In diesem Zusammenhang stelle ich mal eine Wortmeldung aus dem FdW zur Diskussion, ist schon etwas älter aber ich höre davon zum ersten mal das die Amis selbst transportiert haben und dann noch in MD: Anfang Mai 45 wurde deutsche Soldaten an der zerstörten Herrenkrugbrücke-Magdeburg (Sie war die nördlichste in der Stadt-als Eisenbahnbrücke)mit Stormschnellboten der Amerikaner über die Elbe geholt.Auf der Westseite der Elbe wurden große GefangenenLager angelegt. Mein Opa gelangte selbst so in Amerikansche Gefangenschaft.Alle mühe war vergebens..im Juni 45 übernahmen schon die Russen die Stadt und kümmert sich somit um die ehemaligen Wehrmachtsangehörigen.Erneute Verhaftungen standen an.
Hier eine Leseprobe zum obigen Buch im Frühjahr 2018 fertig. Dem Beitrag gehen die Ereignisse um die Verwundeten des Lazaretts aus amerikanischer Sicht voeaus und es schließen sich die Exhumierungen als Berichte an. Der Zeitzeugenbericht ist so zu sagen ein Kronzeugenbericht. Herr Grabowski (Sohn) stellte den Bericht zur Publikation bei mir zur Verfügung, da er damals vom Museum MD als "zu emotional" für die Ausstellung Stunde 0 abgelehnt wurde.
Anita und Hans-Ludwig Grabowski
Erinnerungen aus dem Lazarett
Einleitung Mein Vater erzählte nicht viel vom Krieg, doch die Narben an Körper und Seele waren nicht zu übersehen. Im Herbst 1945 hatte er – aus einem Magdeburger Lazarett und russischer Gefangenschaft entlassen – meine Mutter kennengelernt, die nur wenige Jahre später begonnen hatte, beider Erinnerungen und gemeinsamen Erlebnisse von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die 1960er Jahre handschriftlich zu verfassen. In mehrere hundert Seiten umfassenden Aufzeichnungen beginnen mit der Niederschrift eines alten Tagebuchs und mut dem Wunsch: „Hoffentlich erreiche ich es noch ein neues Tagebuch zu schreiben, um meinen Kindern es als stete Erinnerung zu widmen. Ich will es meinen Kindern im Gedächtnis erhalten, um dieser furchtbaren Zeit sich steht’s erinnern zu können.“ Denn Erinnerungen aus Kindheit und Jugend meiner Eltern folgen aus der Zeit des Kriegsendes und der „Stunde Null“ 1945, als sich beider Wege schicksalhaft in einem kleinen thüringischen Städtchen kreuzen sollten – Wege zweier Menschen, die sich ohne Krieg und Niederlage nie begegnet wären. Erst spät begann mein Vater auch mir – seinem Sohn – von Krieg und Leid, von Verzweiflung und Hoffnung, von Tod und Lebenswillen und von einem Magdeburger Lazarett zu erzählen – von einer Zeit der Entmenschlichung des Menschen durch den Menschen. Um des Kampfes gegen das Vergessen Willens und in Andacht zahlloser Schicksale jener Zeit, habe ich versucht, seine Erinnerungen zur „Stunde Null“ in Magdeburg für die Menschen von Heute und Morgen aufzuarbeiten. Als bedeutendste Quelle dienten mir neben den romanhaften Aufzeichnungen meiner Mutter persönliche Erzählungen meines Vaters. Wenn ich ihn vorstelle und seine Erinnerungen so erzähle, als würde er dies selbst tun’, so nur deshalb, weil ich damit beispielhaft einer ganzen Generation verlorener Jugend eine Stimme leihe, die sich direkt und ohne Umwege an uns wenden kann.
Vorstellung Mein Name war Gerhard Grabowski. Ich wurde am 21. März 1921 als Gerhard Erwin Besler in der Nähe von Bromberg(2) geboren, als dieser Teil Deutschlands nach den Bestimmungen von Versailles(2) schon an das neu entstandene Polen gefallen war. Das Glück meiner Eltern hatte nur einen kurzen Sommer gedauert und mein Vater floh ins Reich, als er wie alle jungen deutschen Männer in die polnische Armee gezwungen werden sollte. Als er von mir erfuhr, suchte er die neu errichtete Grenze zu überwinden und meine Mutter mitsamt dem Kind in ihrem Bauch zu holen. Er kam nie an, war von polnischen Soldaten erschlagen worden. Wenige Monate nach meiner Geburt flüchtete meine Familie nach Ostpreußen. Hier wuchs ich auf und erhielt nach meinem Stiefvater im Alter von acht Jahren den Namen Grabowski. Hier kam ich zum Reichsarbeitsdienst und von hier aus rückte ich 1939 zur Wehrmacht ein – dem Jahr 1939, in dem ein neuer blutiger Weltkrieg beginnen sollte. Ich nahm am Polen- und Frankreichfeldzug teil und kämpfte von 1941 bis zum bitteren Ende in Russland und schließlich in der eigenen Heimat. Unzählige Menschen aus Ost- und Westpreußen waren auf der Flucht vor den heranrückenden russischen Truppen und deren Greueltaten. Am 11. März 1945 war der Rest unserer Sturmartillerie-Brigade(4) in Gotenhafen(5) eingeschlossen und lag unter dem Feuer russischer Granatwerfer. Wir versuchten die Stadt und den Hafen zu halten, um den Flüchtlingen ein Entkommen über See zu ermöglichen. Aus dem Augenwinkel konnte ich noch sehen, wie einem Kameraden neben mir der halbe Kopf weggerissen wurde, nur Augenblicke später wurde ich selbst wie von einem Hammerschlag umgerissen. Mein Rücken war von einigen großen und hunderten kleinen Granatsplittern getroffen. Als ich aus einer tiefen Bewusstlosigkeit erwachte, hörte ich Menschen schreien. Ich lag auf dem Bauch am Kai und eine Krankenschwester übertrug mir ihr Blut, da ich schon viel zu viel von meinem eigenen verloren hatte. Bereits mit einer Trage an Bord gebracht, musste ich wie viele andere Verwundete das Schiff wieder verlassen, um Platz für Frauen und Kinder zu schaffen. Erst das nächste Schiff sollte uns aufnehmen. Es brachte uns sicher nach Kiel, doch die Lazarette der Stadt waren überfüllt. Immerhin war uns das Schicksal der „Wilhelm Gustloff“(8) erspart geblieben, die von russischen Torpedos getroffen mit tausenden Menschen in der eisigen Ostsee sank. Mit einem Zug ging es von Kiel weiter nach Hannover, doch auch hier konnte man keine Verwundeten mehr aufnehmen und so endete meine Irrfahrt Mitte März 1945 im Wehrmachts-Lazarett in Magdeburg
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Das Lazarett Das Lazarett befand sich im Magdeburger Stadtteil Herrenkrug in einem Kasernenviertel östlich der Elbe. Es bestand aus einem großen Gebäudekomplex mit Innenhöfen und Nebengebäuden. Auf dem Gelände war ein kleiner Park. Ich lag auf dem Bauch und meine eiternden Wunden, in die viele Haare meiner Kaninchenfelljacke eingedrungen waren, die mich seit Jahren gegen den russischen Winter geschützt hatte, wurden täglich versorgt. Wildes Fleisch, das besonders in einer großen Eintrittswunde im Rücken wucherte, wurde ohne Betäubung immer wieder ausgeätzt, bis sich schließlich eine pergamentene Hautschicht gebildet hatte, die die Hauptwunde bedeckte.(7) Seit einer Woche versuchte ich aufzustehen, konnte mich aber nur qualvoll an zwei Krücken fortbewegen. Dennoch begrüßte ich freudig meine ersten Gehversuche und strahlte voller Glück, noch am Leben zu sein – immer noch. Ich war Optimist und glaubte an das Gute und die Hilfe Gottes. In schweren Zeiten erinnern sich wohl die meisten Menschen an einen Gott. Ich war schon christlich erzogen worden und der Glaube hatte mich trotz aller Greuel auch im Krieg nicht verlassen. Fast noch ein Junge, hatte man mich an die Ostfront geschickt. Hier sah ich viele Kameraden sterben, Menschen hungern und unschuldige Kinder um Brot betteln. Die Erinnerungen ließen mich nicht mehr los, sie nagten wie ein Krebsgeschwür an mir und in den Nächten voller Erinnerungen fror ich wieder vor Moskau, kämpfte bei Kursk, stand vor der zerstörten Kathedrale von Smolenk und sah in die starren Augen der Toten und die ängstlichen der noch Lebenden.
Der Tod in der Elbe Am 18. April 1945 hatten die Amerikaner ihren Vormarsch an der mit den Russen vereinbarten Elbe-Saale-Linie gestoppt und den Westteil von Magdeburg besetzt. Am 5. Mai rückte dann die russische Armee in den Ostteil der Stadt ein. Ich wickelte mein Soldbuch, meine Schulterstücke, all meine Orden und Auszeichnungen sowie eine Pistole, die mir mehr als einmal mein Leben gerettet hatte, in altes Ölpapier und eine Schwester vergrub alles in die Erde. Auch viele andere Unteroffiziere und Offiziere suchten sich ihrer Rangabzeichen und Orden zu entledigen und sich damit selbst zu einfachen Soldaten zu „degradieren“. So rosteten die Zeugnisse der durchlebten Kriegsjahre über Jahrzehnte im einstigen Lazarett und man glaubte dadurch einem schlimmeren Schicksal zu entgehen. Als sich di Russen Herrenkrug näherten und ihr Geschrei immer lauter wurde, brach Panik im Lazarett aus. Mehrere hochrangige Offiziere, darunter ein Ritterkreuz-Träger, sprangen aus Fenstern und ein SS-Offizier schoß sich eine Kugel in den Kopf.(7) Alles, was sich noch fortbewegen konnte – egal ob humpelnd oder kriechend – versuchte zu flüchten und sich auf die amerikanische Seite der Elbe zu retten. Ich konnte an meinen Krücken nur langsam bis an den Fluß folgen. Die Menschen stürzten sich wie eine schwarze Masse in die Fluten, um an das andere Ufer zu gelangen. Viele Kameraden fanden den Tod in der Elbe, weil sie wegen ihrer Verwundungen und qualvoller Schmerzen nicht schwimmen konnten. Am Ufer gegenüber lag amerikanisches Militär, das immer wieder mit verzweifelten Rufen „Help! Help!“(7) um Hilfe angefleht wurde. Immer mehr Menschen stauten sich am östlichen Flussufer. Das Heranrücken der russischen Truppen schien alles Volk auf die Beine zu bringen. Alles drängte in den Fluß und hinüber zum anderen Ufer. Das Zuschauen allein war schon unerträglich. Die Menschen zogen sich gegenseitig in die Tiefe und ich stand auf meinen Krücken gestützt in der drängenden Menschenmasse. Will denn dieses Bild nie verschwinden? Ich war am Ende meiner Kräfte und der Anblick, der sich mir bot, war entsetzlich. Ein guter Kamerad von mir wälzte sich in einem Menschenkneuel im Wasser. Seine Beinverwundung hinderte ihn daran, sich freizuschwimmen. Er wollte nach Hause, einfach nur nach Hause! Er musste es einfach schaffen, den Fluß zu überwinden und ich rief ihm noch nach: „Komm gut rüber Benno, ich bleibe hier!“ Die Hilferufe aus dem Wasser wurden immer lauter und der Siegestaumel der Russen auf den Straßen schwoll weiter an. Viele verloren nun die Nerven und stürzten sich in die Fluten, um ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Am furchtbarsten aber war, daß der Amerikaner – statt zu helfen – seine Waffen auf die schwarze Menschenmenge richtete und in sie hineinschoss, sodaß viele den Tod in der Elbe fanden und sich der Fluß rot färbte.(7) Also hatte ich es aufgegeben, meine „Freiheit“ beim Amerikaner zu suchen. Kaum hätte ich es auch geschafft ohne Hilfe über die Elbe zu kommen. Schweren Herzens und resigniert humpelte ich zurück ins Lazarett, doch auch hier war alles kopflos geworden. Auch die Schwestern und Ärzte wussten nicht, was tun. Angst lag auf allen Gesichtern und der Feind kam unaufhaltsam näher. Das schreckliche Ende war nicht mehr abzuwenden. Finstere Schatten überzogen den Himmel und langsam breitete sich die Dämmerung aus.
Befreiung Ich schleppte mich zurück in mein Krankenzimmer und quälte mich unter Schmerzen in mein Bett. Ich fühlte mich ohnmächtig, völlig hilflos und Tränen standen mir in den Augen. Jetzt wurde auch das Lazarett von russischen Truppen besetzt. Wie könnte man das Erlebte je vergessen? Grausame Tage voller Angst und Schrecken sollten folgen. Das Interesse der Russen galt zunächst den Offizieren und SS-Angehörigen. Jeder, der sich auf den eigenen Beinen halten konnte, musste vor dem Gebäude antreten. Da sich alle nur als niedere Dienstgrade auswiesen, wurde der russische Kommandant wütend, er brüllte und ließ kurzerhand wahllos Verwundete erschießen. Ich hatte Glück, denn sein Zeigefinger, der einem Todesurteil gleichkam, traf einen Kameraden neben mir. Wir waren ohnmächtig vor Angst.(7) Junge Schwestern, die die Verwundeten betreut hatten, brachten es nicht über sich, die hilflosen Menschen im Stich zu lassen. Auch sie wurden nicht von den Soldaten verschont. Die Befreier vom Nationalsozialismus trieben die Mädchen aus den Krankenzimmern, wo sie Schutz bei den verwundeten deutschen Soldaten gesucht hatten, in die Kellerräume. Was sich dort zutrug, kann sich jeder denkende Mensch vorstellen. Die jungen Frauen schrien und wurden wieder und wieder von betrunkenen Russen vergewaltigt. Ein Deutscher, der den Frauen zu Hilfe kommen wollte, wurde kaltblütig niedergeschlagen. Die Schreie drangen bis in die Krankenzimmer und an die Ohren der verwundeten deutschen Männer, die hilflos dem schrecklichen Geschehen kein Einhalt gebieten konnten. Auch der Chefarzt und seine Leute konnten nichts weiter unternehmen als das, was sie schon getan hatten. Ein Schrecken löste den anderen ab und jeder Tag brachte neues Grauen. So erlebte ich nun die russische „Befreiung“ inmitten des Vaterlands. Vier Jahre hatte ich an der russischen Front gekämpft und Land und Leute kennen gelernt. Vier Jahre hatte ich ums Überleben gerungen, war dem Todeshagel der Menschenschlachtmaschine entronnen, hatte der Kälte getrotzt und totgesagt die Blutuhr überstanden, hatte meine mageren Rationen mit hungernden Kindern geteilt und mir die Menschlichkeit bewahrt. Jetzt war ich also „befreit“!? Das ganze Lazarett wurde auf den Kopf gestellt und bald schon gab es keinen geheimen Winkel für die Russen mehr. Die Soldaten hatten schließlich ein Grammophon aufgestöbert, auch Platten mit Filmmusik und anderen Aufnahmen. Den ganzen Tag spielte nun das Koffer- Grammopohn unter den Fenstern des Lazarettgebäudes sämtliche Platten ab. Alle Köpfe erhoben sich jedoch aus den Kissen, als plötzlich „Deutschland, Deutschland über alles“ und dann auch noch „Die Fahne hoch“ erklang. Wir konnten das Lachen nicht mehr unterdrücken. Anscheinend fanden diese Lieder größeres Gefallen, denn immer wieder spielten die Russen diese Platte ab – einmal die Seite mit dem Deutschlandlied und dann wieder „Die Fahne hoch“. Es herrschte ausgelassene Stimmung im Park und die Russen klatschten den Takt und tanzten wie freudige Kinder. Die Freude hielt an, bis der pockennarbige Lazarett-Kommandant erschien und den kahlgeschorenen Rotarmisten ihr Spielzeug wegnahm. Dabei brüllte er wutentbrannt mit rot angelaufenem Gesicht. Was dann mit den Soldaten geschah, wusste man nicht. Das Grammophon spielte nie wieder im Hof.
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Alles verloren Nach und nach gingen russische Offiziere und Soldaten nun auch alle Krankenzimmer ab und durchwühlten die persönliche Habe der Verwundeten, um nach höheren Dienstgraden zu fahnden, aber auch um Wertsachen zu stehlen. Schließlich nahmen sie uns die letzten Habseligkeiten ab und niemand blieb von den Zugriffen verschont. Vor dem Krieg hatte ich den Beruf des Schneiders erlernt und weil ich wenigstens noch einen Teil meines Geldes retten wollte, hatte ich drei Hunderter so geschickt in eine Uniformjacke eingenäht, daß sie selbst bei einer Visite kein Knistern verraten konnte. Meine Rückenwunde war nach Wochen endlich mit einer dünnen Haut überzogen, die bei jeder verkehrten Bewegung reißen konnte und die anderen schwer verwundeten Männer waren nicht besser dran. Die Russen verfuhren jedoch schonungslos mit uns, selbst die Matratzen wurden umgewendet und alles unterste zu oberst gekehrt. Bis auf meine gut versteckten Geldscheine verlor ich aber alles, was ich noch besaß. Man stahl mir meine Armbanduhr, einen goldenen Siegelring und meine Brieftasche – alles Geschenke, die mir viel bedeutet hatten, da sie mit Erinnerungen verknüpft waren. Damit verlor ich auch noch das Letzte, das ich mein eigen nennen konnte, denn als Ostpreuße hatte ich meine Heimat und mein Zuhause ja ohnehin schon verloren. Von meiner Panzerabteilung hatte ich sehr schöne Stiefel bekommen, die mit Lammfell gefüttert waren und die meine Füße an der Ostfront vor dem Erfrieren geschützt hatten. Auch an diesen Stiefeln fanden die Russen Gefallen und sie drohten mit der Faust, weil ich sie so gut vor ihnen versteckt hatte. Nun war ich auch noch meine Stiefel los und musste mich auch damit abfinden. Was half schon alles Jammern, denn Menschlichkeit konnte man von den Russen wohl kaum erwarten. Schließlich fanden sie auch noch meine Fotos und zerrissen sie vor meinen Augen. Es schien, als würde mir Stück für Stück das Herz aus der Brust gerissen. Der Kommissar sah sich jedes Bild genau an und meine letzte Aufnahme in Uniform missfiel ihm sehr. Seine Augen schienen Funken zu sprühen und es lief mir eiskalt über den Rücken. Es war ein schönes Porträt-Foto gewesen, das mich als Oberfeldwebel in schwarzer Panzeruniform mit hellen Totenköpfen am Kragen zeigte. Der Anblick der Uniform steigerte seine Wut und er schrie: „Du komm! Du Faschist! Du As-As!“ Er zerrte mich aus dem Bett und ich ahnte nichts Gutes. Der herbeigeholte Dolmetscher sollte jedoch meine Rettung sein. Es schien mir wie ein Wunder, daß ich in diesem Moment die richtigen Worte fand ich sie glaubwürdig und gelassen aussprechen konnte. Ich fragte den Dolmetscher, ob er noch nichts von eineiigen Zwillingen gehört habe, die im Aussehen nicht zu unterscheiden seien. Ich lag am Boden, meine Rückenwunde war aufgeplatz und ich blutete. Nachdem er übersetzt hatte, zerriss der Kommissar auch noch dieses letzte Foto vor meinen Augen und warf die Schnippsel auf den Boden, bevor er das Zimmer verließ. Lange hatte es gedauert, bis sich das Loch im Rücken geschlossen hatte, nun begann alles Leid und Schmerz von vorn. Wieder musste ich nur auf dem Bauch liegen und geduldig warten, bis sich die Wunde abermals schloss. Ich hatte zwar alles verloren, doch immerhin nicht mein Leben.
Kriegsgefangenschaft im Lazarett Mit der „Befreiung“ durch die Russen waren alle Verwundeten im Lazarett zu Kriegsgefangenen geworden. Alle Deutsche – ausgenommen das Sanitätspersonal – mussten auf den Korridore antreten und ein Friseur wurde gezwungen Ihnen die Köpfe kahl zu scheren. Ich durfte jedoch meine Haare behalten, da Ärzte und Schwestern vorgaben, ich sei Sanitäter. Für die Russen war es verwunderlich, daß es im ganzen Lazarett keine deutschen Offiziere geben sollte. Es gab lediglich Gefreite und Obergefreite, denn ab Unteroffizier nahm man jeden gleich mit. Wer wollte schon wegen seines Dienstgrades dieser Ungewissheit über das eigene Schicksal aussetzen? Auch ich war nach eigenen Angaben nur Obergefreiter gewesen. Tatsächlich gab es aber viele Offiziere und auch Ritterkreuzträger im Lazarett, die unbekannt geblieben sind. Soldbücher, Rangabzeichen und Orden waren vergraben und nichts mehr übrig von all dem Glanz und Gloria, von Macht und Herrlichkeit. Arm und hungrig waren wir dem Feind ausgeliefert. Gar mancher ist noch aus dem Lazarett geflohen und konnte wohl glücklich sein, einem schlimmeren Schicksal zu entgehen. Die Kameraden, die zurückgeblieben waren, mussten jedoch dafür büßen. Waren zwei Gefangene geflohen, so gab es zwei Tage nichts zu essen. Grausamkeit und Hass wechselten sich ab. Endlich konnte ich wieder aufstehen und mich an Krücken bewegen, doch meine Wangen waren hohl und der Hunger hatte meinen Körper sehr geschwächt. Alle im Lazarett fürchteten den russischen Kommissar, denn alles hing von ihm ab – auch die Verpflegung, die man den Deutschen gewährte. Die Schwerverwundeten bekamen auch nur ärmliche Mahlzeit und mancher ist noch gestorben, der schon längst über den Berg gewesen ist. Einmal am Tag gab es einen Teller Graupen, Wasser und ein Stück trockenes Brot. Dabei konnte niemand genesen und die Sterbeziffer stieg ständig. Unterdessen verzehrten die Russen die Vorräte, die für die Kranken und Verwundeten bestimmt waren. Viele, die gehen konnten, wagten sich in die Küche um etwas Essbares zu erbetteln. Um die Mittagszeit hielten sich besonders viele Menschen in der Nähe der Küche auf, um Reste zu erwischen, die auf den Tellern der Russen übrig blieben. Die Offiziere füllten sich hier ihre Bäuche und es war ihnen ein besonders vergnügliches Schauspiel, wenn sich ihre deutschen Gefangenen über die Reste auf ihren Tellern stützten. Hunger tut weh und er erniedrigt zum Tier, dennoch hatte ich mir geschworen lieber zu verhungern, als meinen menschlichen Stolz zu verlieren und die Reste von den Tellern der Russen zu lecken.
Vier Kartoffeln Eines Tages stand auf dem Hof ein Anhänger und ich beobachtete, wie Rotarmisten Kartoffeln abluden. Ich stand auf meine Krücken gestützt und überlegte, wie ich mir am besten ein paar Kartoffeln nehmen konnte, ohne daß es jemandem auffiel. Die Oberschwester hatte eine kleine Wohnung im Lazarett- Gebäude, vielleicht bestände sogar eine Möglichkeit, die Kartoffeln zu kochen. Auch die Zivilisten litten schließlich Hunger und Kartoffeln waren sehr beliebt zu jener Zeit. Die Menschen zogen aus den Städten aufs Land und gaben ihre letzten Habseligkeiten für ein paar Kartoffeln. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, wartete bis zur Dämmerung und schlich mich an den Kartoffelberg. Unter Schmerzen bückte ich mich und hielt schließlich in jeder Hand zwei Kartoffeln, die mir wie ein großer Besitz vorkamen. Mühevoll erhob ich mich, aber ein kräftiger Tritt streckte mich vollends auf den Kartoffelberg. Schnell kamen einige russische Soldaten und schlugen mich so lange mit ihren Gewehrkolben, bis ich ohnmächtig wurde und mich nicht mehr erheben konnte. Als ich wieder zu mir kam, lag ich blutig geschlagen auf den Kartoffeln. Tränen flossen über min Gesicht, meine Rückenwunde war wieder aufgeplatzt und ich verfluchte die Russen für den Dank, den sie mir erwiesen für meine Menschlichkeit ihnen gegenüber. Ich erinnerte mich sehr gut an all die Jahre in Russland, an die Familien und Quartiere, in denen ich lebte, an Frauen und Kinder, denen ich Brot und Essen brachte. Ich erinnerte mich an die Pakete aus der Heimat und daran, wie ich mich über die leuchtenden Augen der russischen Kinder freute, wenn ich ihnen Leckereien daraus reichte. Mein Mittagessen aus der Feldküche hatte ich mit ihnen geteilt und holte sogar Nachschlag, nur um sie satt zu wissen. Ich hatte mich nicht einmal vor ihren Rotznasen geekelt, die über mein Kochgeschirr hingen und ließ sie alles auslecken. Hühner, Enten und Gänse hatte ich gestohlen und deckte damit so manchen armen russischen Tisch. Ich er erinnerte mich wieder an mein schönstes Weihnachtsfest in Russland, als ich den Menschen zeigen konnte wie in Deutschland Weihnachten gefeiert wird. Ich bereitete einen Gänsebraten für meine Quartiers-Familie und die Kartoffeln für die Klöße rieb ich auf einem durchlöcherten Blechnapf. Die Schmatzerei und das ewige „Hm“ zeugten davon, daß es allen schmeckte. Wenn ich ein Quartier verlassen musste, gab es Tränen. Die Hände und Füße hatte man mir geküsst und geschworen, daß mich nie eine russische Kugel treffen würde, weil ich ein guter Mensch sei. Doch das russische Blei hatte mich mehr als einmal getroffen und die schwere Verwundung nahe der Heimat ersparte mir immerhin noch größeres Leid, da mir der Weg als Gefangener zurück nach Russland bis jetzt erspart geblieben war.
Die Toten und der Pfarrer Der Hunger nahm immer schlimmere Ausmaße an und viele Kameraden starben vor Hunger. Es wurden Löcher in die Erde gegraben und die Toten endeten als Namenlose im Lazarettpark. Unzählige deutsche Soldaten liegen hier verscharrt und viele Angehörige haben nie von diesen letzten „Ruhestätten“ erfahren und vielleicht noch Jahrzehnte nach den Vermissten gesucht und auf eine Heimkehr gehofft. Alle Aufzeichnungen sind von den Russen verbrannt worden und eine Aufklärung der menschlichen Schicksale scheint wohl für alle Zeiten unmöglich zu sein. So manche deutsche Frau und Mutter wusste nicht, daß die Gebeine des geliebten Mannes oder Sohnes in deutscher Erde ruhen. Deutsche mussten die Löcher schaufeln und Russen standen mit Gewehren dabei. Täglich standen wir am Fenster und schauten dem letzten Gang von Kameraden zu. Waren sie beklagenswert oder waren wir es? Allein, daß sie wie tote Hunde in die Erde gescharrt wurden, verletzte unseren Stolz. Sah so auch bald unser Ende aus? In den Zimmern beteten die noch lebenden, doch vermochte bislang niemand die Kraft aufzubringen, den toten Kameraden ein letztes gutes Wort zum Abschied zu sprechen. Unter den Lazarett-Insassen befand sich auch ein Feldpfarrer. Eines Tags ging er ohne zu Zaudern mit hoch erhobenen Haupt hinunter in den Park bis vor ein Loch, in das man schon einen toten Kameraden geworfen hatte. Nackt, wie er auf die Welt gekommen war, so lag er in der Grube. Der Pfarrer faltete seine Hände und betete leise. Seine Lippen bewegten such und seine Augen waren in den Himmel gerichtet. Die Gesichter der Russen waren feindlich, ein Gewehr erhob sich und ein Schuß zerriss die Totenstille. Kopfüber fiel der Pfarrer in die Grube, an deren Rand er gestanden hatte. Man schaufelte das Loch zu, ohne nachzusehen, ob er tot war.
Der Kommissar und die Tänzerin Im Lazarett hatte sich eine russische Tänzerin einquartiert, schon vor der russischen Besetzung. Sie hatte beim Front-Theater und auch in Deutschland vor deutschen Soldaten getanzt. Sie war noch sehr jung und hübsch, doch ihre Auftritte für die Deutschen hätte ihr kein Russe verziehen. Aus Angst um ihr Leben war sie in das Lazarett geflüchtet und man hatte sie aufgenommen und unter das Personal der Küche gemischt. Man meinte wohl, sie wäre dort am sichersten aufgehoben. Jeder Deutsche im Lazarett hätte diesem Mädchen geholfen, wenn es in seiner Macht gestanden hätte. Im Lazarett befand sich aber auch jener Kommissar, der meine Fotos zerriss. Er war als Mensch abstoßend, seine rote Zwiebelnase zeugte von vielen Wodkaflaschen, die er schon in seinem Leben geleert hatte. Er war Jude und es schien, daß Ärzte und Pflegepersonal ihn lieber gehen als kommen sahen. Sie mieden ihn, da er ständig betrunken war. Dieser Kommissar hatte herausbekommen, daß eine Russin unter dem Küchenpersonal war, und so konnte sie ihrem Schicksal nicht mehr entgehen. Russen, die während des Krieges in Deutschland gearbeitet hatten, wurden gesammelt, auf Lastautos verladen und abtransportiert. Niemand wusste, welchem Schicksal sie entgegengingen, aber viele ahnten, daß ihnen ein schreckliches Ende bevorstünde. Die russische Tänzerin befand sich aber noch immer im Lazarett und jeden Abend konnte man hören, wie der Kommissar mit ihr umsprang. Sie war in seiner Gewalt und er entschied über ihr Leben und ihren Tod. Sie hatte keine Wahl und musste sich diesem Scheusal beugen. Ständig wurden volle Flaschen mit russischem Wodka in sein Zimmer gebracht, er schien nur zu trinken oder zu toben. War er dann von Alkohol bis zum Hals voll, schrie er wie ein Stier nach seinem Opfer. Weinend und sich wehrend wurde sie dann von Soldaten herangeschleppt und die Tür wurde sogleich wieder verschlossen. Inmitten des Zimmers stand mit rotem, aufgedunsenen Gesicht der russische Jude. In der rechten Hand hielt er eine Lederpeitsche, die er bedrohlich über seinem Kopf kreisen ließ. Nun hörte man seine kreischende Stimme und bittende Wehlaute des Mädchens. Als ihr zarter Körper von Schlägen der Peitsche getroffen wurde, zerrissen Schreie die Stille der Nacht. Ich hatte von meinem Fenster aus gesehen, was dieser Tyrann dem Mädchen antat. Sein Zimmer lag im Vorderbau und sein Fenster ließ einen Lichtschein in den Park fallen – genau gegenüber dem Fenster, hinter dem mein Krankenbett stand. Nackt und mädchenhaft schön stand sie vor diesem abstoßenden Kerl und musste all ihre Scham überwinden. Was er befahl, musste sie tun, wollte sie den Schlägen der Lederpeitsche entgehen. Kaum sahen Deutsche sie noch, denn sie verkroch sich in ihr Kämmerlein und kühlte die Wunden. Narben zeichneten ihr Gesicht und ihre Augen zeugten von bitterlich durchweinten Nächten. Manchmal aber ergab sich, daß sie das Durchlebte einem Deutschen anvertraute und Mitleid und Trost fand. Da sie gut Deutsch sprach, erfuhren ihre Freunde auch, wie man mit den Russen umsprang, die in Deutschland gelebt hatten. Auch der Kommissar drohte ihr täglich an. sie zu erschießen, wenn sie sich seinem Willen nicht fügen würde. Dem Tode würde sie sowieso nicht entgehen, aber wann der Zeitpunkt gekommen sei, das würde allein er bestimmen. Nach der schrecklichen Nacht, die sie ertragen musste, trug man ihren geschundenen und blutigen Körper ohnmächtig auf einer Barre in den Operationssaal. Eine Brust war völlig zerkratzt und die andere so zerbissen, daß sie der deutsche Chefarzt bis zur Hälfte abnehmen musste. Es heilte zwar gut ab, doch ihre junge Seele war traurig und trüb geworden. Gebeugt wie eine alte Frau, sah mancher mitfühlende deutsche Soldat sie durch den Park schlurfen. Eines Tages war sie verschwunden und niemand wagte mehr von ihr zu sprechen.
Die Hoffnung Ein Tag war so trostlos wie der andere, doch brachte ein Tag dann auch einen Sonnenstrahl der Hoffnung. Ein französischer und ein englischer Offizier holten Gefangene aus dem Lazarett, die aus dem Elsaß waren oder deren Eltern im westdeutschen Gebieten wohnten. Die Glücklichen entgingen dem Schicksal weiterer russischer Gefangenschaft. Ich rang mit mir und überlegte, ob diese Möglichkeit nicht auch für mich etwas Gutes hätte, denn ich hatte nichts mehr zu verlieren. Warum ich mich dann doch anders entschied, ist mir nie recht klar geworden. Ich blieb und harrte der Dinge, die noch kommen sollten. Eine Bekannte aus Ostpreußen hatte sich schon 1935 nach Magdeburg verheiratet und ich versuchte eine Nachricht aus dem Lazarett zu schmuggeln. Zwischenzeitlich hatte man erlaubt, daß Angehörige Besuche machen konnten. Ich hatte großes Glück schon in der folgenden Woche kam mein Besuch und ich freute mich sehr, wieder einmal ein bekanntes Gesicht zu sehen. Unter Bewachung konnten wir uns in einem Raum unterhalten. Ich erkannte sofort die Frau, die ich zuletzt als Kind in der ostpreußischen Heimat gesehen hatte. Viel hatte sich das gute Tantchen nicht verändert, sie war die alte geblieben in ihrer frischen und herzlichen Art. Früher ging sie im Hause meiner Eltern ein und aus und uns Kindern war sie so zur Tante Else geworden. Nun stand sie mit ein paar Habseligkeiten aus ihrem Haushaltsvorrat vor mir, aber für mich waren es Leckerbissen, die ich schon so lange vermissen musste. Es waren ein paar Semmeln, etwas Butter und Marmelade und auch ein kleines Stück Wurst war dabei. Das alles hatte sie von ihrer kargen Ration abgespart, um mir etwas Gutes zu tun. Unsere Begrüßung war herzlich und rührselig. Man hätte meinen können, es wäre meine eigene Mutter. Tante Else hatte mich schon immer besonders ins Herz geschlossen gehabt. Nun erfuhr ich, daß Onkel Karl auch in der zerstörten Stadt wohnte. Er hatte seine Frau schon früher ins Reich geholt und nun lebten sie schon eine ganze Zeit in Magdeburg. Außerdem erfuhr ich auch, daß meine Mutter zusammen mit der Schwester und dem kleinen Bruder aus Ostpreußen geflüchtet waren und ich wollte Verbindung zu ihnen aufnehmen.
Die Räumung Den Besuch meines Onkels konnte ich nicht mehr abwarten. Im August 1945 wurde das Lazarett überstürzt geräumt und nur in paar Mann hatten das Glück, nach Hause entlassen zu werden. Die meisten deutschen Soldaten wurden auf Autos verfrachtet und traten den Weg in die Gefangenschaft nach Russland an. Sogar Beinamputierte mussten mit, um Russland wieder aufzubauen. Ein russischer Arzt und eine Ärztin nahmen die Untersuchungen vor und schätzten die Arbeitsfähigkeit jedes einzelnen ein. Ich wagte kaum daran zu denken, was von dieser Entscheidung für mich abhing. Da sagte der Arzt plötzlich: „Du na Doma! Mama! Verstehn?“ Ich hatte es nur zu gut verstanden und hätte diesen russischen Mann am liebsten umarmt. Unteer den wenigen Entlassenen war auch ich.
Krankenheim Viktoriaschule Verbliebene deutsche Soldaten aus dem Lazarett wurden Mitte August 1945 in der Magdeburger Viktoriaschule gesammelt. Es sollte aber noch etliche Tage dauern, bis ich alle notwendigen Dokumente erhielt. Am 23. August stellte man mir ein Stück Papier aus, das mich in meine Heimat entließ, doch meine Heimat Ostpreußen sollte ich nie mehr wieder sehen. Nur einen Tag später erhielt ich einen vorläufigen Personalausweis in deutscher und russischer Sprache, da ich selbst keine Papiere mehr hatte, die meine Identität nachweisen konnten. Am 27. August 1945 wurde ich endlich aus dem Krankenheim Viktoriaschule entlassen und mein erster Weg führte mich zu Tante Else, die mich freudig bei sich aufnahm. Sie hatte keine Kinder, aber einen zahmen Fuchs, der mit in der Wohnung lebte wie ein Hund an der Leine ging. Hier erfuhr ich, daß meine Mutter in den kleinen Ort Ottenhausen nach Thüringen evakuiert worden war. Ich blieb einige Tage, doch drängte es mich die eigene Familie wieder zusehen. Das Tantchen begleitete mich noch zum Bahnhof, da ich an zwei Stöcken nicht gut laufen konnte. Magdeburg war stark zerstört und es zog mich weg von diesem Ort, an dem der Krieg und alles Leid noch immer so nag waren.
Der Abschied Meinen richtigen Vater durfte ich nie kennenlernen. Meine Jugend und Gesundheit habe ich im Krieg gelassen. Meine Heimat habe ich verloren. Mein Leben habe ich in einem geteilten Land verbracht, in dem noch Jahrzehnte russische Soldaten stationiert waren. Meine Mutter und mein Stiefvater ruhen in Magdeburger Erde. Meine Erinnerungen aus dem Lazarett erzählte ich meiner Frau Anita, die ich 1945 in Thüringen kennengelernt und die sie niederschrieb. Mein Sohn Hans-Ludwig hat sie nun für die Leser dieses Buchs bearbeitet und aus meinen Erzählungen ergänzt – eines Buches, das von der „Stunde Null“ in Magdeburg berichtet. Ich selbst habe mich vier Jahre nach meiner geliebten Frau am 23. Mai 1999 für immer von dieser Welt verabschiedet. So bleiben denn nur ein paar Fotos, einige vergilbte Dokumente und meine Erinnerungen in diesem Buch übrig, um Menschen zu berichten von einem Lazarett, in dem heute junge Menschen studieren und von einem Park, in dem so viele ihre letzte Ruhe fanden und in dem sich heute Menschen erholen – meine toten Kameraden unter ihren Füßen.(8) Die Mauern schweigen, das Wasser der Elbe fließt weiter in die See, Wehklagen und Gebete sind verstummt, die letzten Zeugen längst tot. Und wenn die Kameraden immer noch Stimmen hätten, so würden sie Euch vielleicht darum bitten, sie und ihr Leid an diesem Ort nicht zu vergessen. In einem Krieg gibt es keine Täter und Opfer, alle waren wir Täter und Opfer zugleich. Was uns unterschied, waren unsere Uniformen und Sieg oder Niederlage. Nur wer aus der Geschichte lernt, wird die Welt verstehen und eine friedliche Zukunft bauen.
Anmerkungen
(1) Anita Grabowski verwendete in ihren Aufzeichnungen für ihren Mann Gerhard den Namen Erwin Besler, der seinem zweiten Vornamen und Geburtsnamen entsprach. (2) Geburtsort Falkenburg/Kreis Bromberg (heute Bydgosz) (3) Gemeint ist der Versailler „Diktatfrieden“ von 1919, der der deutschen Seite keinerlei Mitspracherecht einräumte und auf der Basis des sog. „Kriegsschuldartikels“(231) zahlreiche Gebiete vom Reich abtrennte, durch enorme Reparationsforderungen eine bisher ungeahnte Hyperinflation in Deutschland auslöste und damit den Aufstieg des Nationalsozialismus möglich machte. (4) Am 27. Juni 1943 wurde in Jüterbog die Sturmgeschütz-Abteilung 277 gebildet. Nach der Schlacht im Kursker Bogen (Juli/August 1943) mit der größten Panzerschlacht der Weltgeschichte bei Prochorowka, an der Gerhard Grabowski als Kommandant eines Panzerwagens VI „Tiger“ teilgenommen hatte, war seine Einheit eingekesselt und aufgerieben worden – alle Panzer waren verloren. Er wurde der 3. Batterie der Sturmgeschütz-Abteilung 277 zugeteilt und übernahm in Burg bei Magdeburg ein Sturmgeschütz „Ferdinand“. Die Abteilung kam an der Ostfront zum Einsatz und wurde am 14. Februar 1944 in Sturmgeschütz-Brigade 277 umbenannt. Kompanieführer der 3. Batterie war Karl Buckel, der „für die beispiellose Tapferkeit und den hervorragenden Einsatzwillen seiner Batterie bei den Kämpfen im Lepel“ am 15.12.1944 das Ritterkreuz erhielt und zum Hauptmann befördert wurde. Im Winter 1944/1945 erfolgte die Umbenennung in Heeres-Sturmartillerie-Brigade 277. (5) Gdingen, Stadt in der Danziger Bucht (1939 in Gotenhafen umbenannt) (6) Das ehemalige KdF-Schiff (NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“) „Wilhelm Gustloff“ wurde mit mehr als 10.000 Flüchtlingen an Bord am 30. Januar 1945 durch ein sowjetisches U-Boot versenkt. Der Untergang gilt als die größte Schiffskatastrophe der Seefahrt. (7) Aus persönlichen Erzählungen von Gerhard Grabowski (8) Nach Abzug der russischen Streitkräfte 1994 und im Zusammenhang mit der Übernahme des Geländes durch die Fachhochschule Magdeburg - Stendal wurde das gesamte Areal durch den Kampfmittelräumdienst von Altlasten geräumt. Durch die Deutsche Kriegsgräberfürsorge wurden aus dem Park insgesamt 175 nicht identifizierte Tote auf dem Zentralfriedhof von Magdeburg umgebettet.
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Hallo, war erst ein wenig erstaunt, was Generalmajor K. Dittmar mit der Verteidigung von Magdeburg zu tun hatte. Nach Bemühen von Wiki rundete sich das Bild. General Dittmar war nach seiner schweren Erkrankung in Finnland Kommentator im Reichssender. Anfang April 45 erschien er wohl nicht mehr zum Dienst. Er setzte sich nach Magdeburg ab, wo er versuchte, die dt. Verwundeten den Amerikanern auf der Westseite der Elbe in Magdeburg zu übergeben. Sein Vorhaben scheiterte wohl daran, dass die dt. Seite unter Raegener nicht bereit war, die Kampfhandlungen einzustellen und Dittmar dies nicht befehlen konnte. Am 25.04.1945 begab er sich freiwillig mit seinem Soh in amerikan. Gefangenschaft. General Hobbs, kommandeur der 30. ID lud ihn medienwirksam zu einem gemeinsamen Abendessen in Magdeburg ein. Dittmar war auch den Allierten als Voice of Germany bekannt. MfG Wirbelwind
Ich wollte es auch genauer wissen, habe natürlich die gleiche Quelle benutzt. Für mich erstaunlich, dass der General die Zeit überstanden hat. Eigentlich, im strengeren Sinne war er fahnenflüchtig. Einen Auftrag für Magdeburg hatte er nicht.
Etwas weiter oben hatten wir den General samt Sohn schon einmal. Auftrag für MD hatte er offensichtlich nicht aber im ostelbischen Woltersdorf wird er bemerkt. Hier macht er Quartier. In diesem relativ kleinen Örtchen findet man einen Weltkriegsgefallenen (1.WK) mit gleichem Namen. Zufall? Wenn er einfach nur zu den Amerikanern wollte macht es keinen Sinn noch Quartier zu machen. Sinn macht es nur wenn man bei Verwandten untertauchen kann. Möglicherweise hat er hier auch auf seinen Sohn gewartet oder umgekehrt. Pluskat ist ihm vielleicht über den Weg gelaufen oder aber sie hatten mit einander zu tun. Die Normandie liegt westelbisch so das er nicht auf direktem Weg von dort zu Elbe war. Aber nur Mutmaßungen. Sicher ist nur die Verbindung nach Woltersdorf.
Hallo, ob die Geschichte mit der Übergabe von Verwundeten so stimmt, ist mir nicht bekannt. Nicht alles, was bei Wiki steht, ist die reine Wahrheit. Für mich vorstellbar, dass auch Generalmajor Dittmer nicht unbedingt den Drang verspürte, noch in den letzten Kriegstagen den Helden zu spielen und ,,für Führer, Volk und Vaterland" sein Leben zu riskieren. Also sich selbst den Marschbefehl erteilen und ab in die alte Heimat. Hätte auch mit Standgericht enden können. Glück gehabt, was vielen Landsern zum Kriegsende leider nicht vergönnt war. MfG Wirbelwind
ZitatAlso sich selbst den Marschbefehl erteilen und ab in die alte Heimat. Hätte auch mit Standgericht enden können. Glück gehabt, was vielen Landsern zum Kriegsende leider nicht vergönnt war.
So sehe ich das auch. Deswegen sollte man um diesen Mann nicht soviel Aufhebens machen.
Die Sache mit den Verwundeten ist bei Wiki nur die halbe Geschichte. Meine Unterlagen sind genauer... Übrigens, Dittmar war Magdeburger und er besuchte in seiner Jugend das Domgymnasium.
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Quelle: http://schreckenbach.info/vor-70-jahren-...e-in-magdeburg/ Vor 70 Jahren im April 1945 – das Kriegsende in Magdeburg Es war ein wunderschöner, sonniger und warmer Tag. Den hatte ich beim Rumtoben mit den Nachbarkindern im Garten und in den Ruinen der Häuser in unserer Straße verbracht. Ich kannte mich in den Mauerresten der ausgebrannten Reihenhäuser in unserer Siedlung gut aus. Schon vor Kriegsende und erst recht danach habe ich Holzreste aus den Ruinen (angekohlte Balkenstücke, zerbrochene Fenster- und Türrahmen, usw.) für das Kochen im Küchenherd und zum Heizen in den Kachelöfen in unserer Wohnung im Hof zerkleinert. Der Hackklotz dafür stand dort immer, und „meine“ Axt lag griffbereit hinter der Kellertür. Süßer Blütenduft der vielen Frühlingsblumen hing in der Luft, als die Sirenen am Nachmittag des 11. April 1945 zum „Feindalarm“ heulten. Das hieß: Die amerikanischen Panzer sind im Westen und Süden bis an die Stadtgrenzen von Magdeburg vorgestoßen. Das hieß auch: „Kein Spielen mehr draußen“. Uns war mulmig zumute. Wir hatten Angst und rannten nach Hause; denn auch wir Kinder ahnten, dass da noch Schlimmes auf uns zukam. Ich hatte ja aus den Gesprächen meiner Eltern mitbekommen, was alles passieren könnte, wenn der Krieg zu Ende ging. Und in unserer Stadt hatte der Stadtkommandant bereits Anfang April dazu aufgerufen, „Magdeburg bis zum Letzten zu verteidigen“ – was immer das bedeutete. Meine ältere Schwester und ich waren Ende März aus Uslar im Solling in unsere Heimatstadt Magdeburg zurückgekehrt in einer sehr hastig organisierten, zwei Tage lang andauernden Flucht quer durch den südlichen Harz und über Dessau, als die Amerikaner schon fast bis zur westlichen Weserseite vorgestoßen waren. Ich war nach der Evakuierung meiner Oberschulklasse aus der Luisenschule in Magdeburg im September 1943 nach Uslar zu einem Bruder meines Vaters verfrachtet worden, weil mein Vater nicht wollte, dass ich ins Evakuierungslager nach Wernigerode kam. So war ich eigentlich schon als Elfjährige von Zuhause weg, zwar bei Verwandten, aber doch „in der Fremde“ und musste sehen, wie ich zurechtkam. Im Dezember 1944 hatte mein Vater mich schon lange vor Weihnachten abgeholt, weil wir in Uslar in der dortigen Sollingschule kriegsbedingt ab Mitte Dezember „Kohleferien“ hatten mit ungewissen Angaben, wie lange die andauern würden. Der letzte Kriegswinter 1944/45 war eisig, und Kohle war Mangelware geworden. Mein Vater war dann gleich nach Weihnachten wieder nach Berlin gefahren, wo er in einer Forschungsanstalt für Wasserwirtschaft arbeitete. Er war am Kriegsanfang 1939 als „kriegsuntauglich“ eingestuft worden und in Berlin an der Forschung von Unterwasserbauten beteiligt. So war er am 16. Januar 1945 auch nicht bei uns, als unsere Wohnung in den Flammen der alliierten Phosphorbomben mit allem darin, was mir als Kind am Herzen lag, verbrannte. Mit seinen Erfahrungen, die er bei den vielen Bombenangriffen in Berlin gemacht hat, hätte er sicherlich viel mehr aus unserer Parterre-Wohnung retten können, als erst der Dachstuhl, dann das Obergeschoss und zuletzt das Erdgeschoss des Reihenhauses brannte. Meiner Mutter gelang es nur unserer Betten und einige wichtige Dokumente zu retten. Nach dem Verlust unserer Wohnung war nun auch meine Schwester mit mir zu den Verwandten nach Uslar mitgekommen. Als die Amerikaner dort im März 1945 näher rückten, gab es nur eines für uns, zur Mutter zurück nach Magdeburg. Mein Vater erlebte die letzten Kämpfe der deutschen Wehrmacht und den Einmarsch der Russen bei der „Endschlacht“ in Berlin. Wir haben ihn erst 1946 wiedergesehen. Aber das ist eine andere Geschichte. Meine Schwester und ich waren jedenfalls nach Magdeburg in unser altes Viertel zurückgekommen. Dort hatten meine Eltern nach der Ausbombung eine leerstehende Wohnung in der Röntgenstraße 1 zugewiesen bekommen (in der damaligen Wilhelmstadt – das Eckhaus war am 16. Januar nicht zerstört worden). Sie hatten es auch geschafft ein Sammelsurium von Behelfsmöbeln, Einrichtungs- und Haushaltsgegenständen sowie Wäsche, usw. zu organisieren, sodass wir mehr oder weniger wieder ein Zuhause hatten, obwohl die Wunden, die der Verlust unserer ganzen Habe geschlagen hat nie ganz verheilt sind. Außerdem sind wir die furchtbaren Erinnerungen an die schreckliche Bombennacht nie wieder losgeworden. Dass die Alliierten immer näher rückten, merkten wir an den hektischen Bemühungen der „Stadtverteidiger“ Magdeburgs, die zum letzten Kampf aufrüsteten. Da wurden zunächst die alten Männer und Kriegsversehrten auch aus unserem Viertel zum Volkssturm einberufen und mit allerlei Schießgerät ausgerüstet. Unter ihrer Leitung mussten alle anderen dann – auch wir größeren Kinder, die beim Graben helfen sollten – an der Mündung der Röntgenstraße in die damalige Hindenburgstraße (die heutige Albert-Vater-Straße) eine „Panzersperre“ bauen, wie das auch an vielen anderen Straßenmündungen in unserer Stadt befohlen wurde und geschehen ist. Und was totaler Unsinn war, denn die Sherman Tanks der Amerikaner umfuhren die Sperren ganz einfach bei der Einnahme unserer Stadt später. Die „Goebbelsschnauze“ (der Volksempfänger, den meine Mutter auch aus der bereits brennenden Wohnung gerettet hatte am 16. Januar) plärrte immer noch vom „Endsieg“! Zum Panzersperren-Bauteam kamen dann noch ein paar alte Herren vom Arbeitsdienst hinzu, die mit vereinten Kräften zusammen mit den anderen alten Männern aus der Nachbarschaft verbogene Stahlträger aus den Trümmern der zerstörten Häuser zogen und einrammten. Die so errichteten „Sperren“ wurden dann mit Trümmerschutt hoch aufgefüllt.
Als der Feindalarm verklungen war, wussten wir, dass der Krieg sich nun wohl seinem Ende näherte. Die 2. Panzer Division der Amerikaner stand vor den Toren der Stadt. Die knapp eine Woche lang andauernden Kämpfe, die begleitet waren von weiteren Bombenangriffen durch alliierte Jagdbomber und dem fast täglichen Beschuss durch die amerikanische Artillerie sowie dem der vorrückenden Panzer, zwangen uns zum Daueraufenthalt im Luftschutzkeller mit den unhygienischen „Begleiterscheinungen“. Die Waschküche wurde zur Toilette umfunktioniert. Als die Elbbrücken von der Wehrmacht gesprengt wurden, die sich teilweise auf das Ostufer der Elbe zurückgezogen hatte (wie wir später erfuhren), hörten wir die Explosionen bis in unser Viertel. In den ersten Tagen der Kämpfe um die Stadt, die sich anfänglich eher auf den Süden der Stadt zu konzentrieren schienen, gelang es meiner Mutter noch unser Mittagessen in der Küche zu kochen. Unsere Wohnung war in der ersten Etage. Es gab nur noch das, was am einfachsten zu kochen war, nämlich Eintöpfe – Graupensuppe, Bohnensuppe, Steckrüben- und Kartoffelsuppe. Kartoffeln und Gemüse – davon hatte meine Mutter genügend Vorräte in unserem Keller eingelagert zusammen mit Eingemachtem aus dem Garten. Kritisch wurde die Versorgung mit Brot nach wenigen Tagen. Letztendlich ist uns allen nach einigen Tagen sowieso der Appetit vergangen. Richtig schlimm wurde es dann für uns, als sich in unserem Haus am 15.4. ein Trupp Soldaten „zum Endkampf“ einlagerte unter der Leitung eines schneidigen, blutjungen und sehr fanatisch noch immer an den „Endsieg“ glaubenden SS-Leutnants. Außer ihm war ein alter Feldwebel mit dabei (eingezogener Reservist aus dem ersten Weltkrieg) und fünf von der Schulbank geholte junge Soldaten, die noch „grün hinter den Ohren“ waren, wie ein alter Mann aus unserem Haus gleich sagte, und die ihre Angst kaum verbergen konnten. Wir hatten auch alle schreckliche Angst, denn diese Truppe hatte einen Haufen Panzerfäuste bei sich, jede Menge Handgranaten, Maschinenpistolen und Gewehre mit Munition. Die vordere Haus- und hintere Hoftür, sowie alle Wohnungstüren mussten offengelassen werden, sodass die Soldaten von überall aus dem Haus aus den Fenstern die Röntgenstraße, Hindenburgstraße und den Hof „einsehen“ konnten. Den letzten Luftangriff erlebten wir am 17.4. Danach setzten die Amerikaner zum Sturmangriff auf unseren Stadtteil an. Davon, was im Rest der Stadt bis dahin geschehen war, hatten wir keine Ahnung. Der Leutnant hatte am Abend des Vortages aus der Küche im ersten Geschoss der Eckwohnung zur Hindenburgstraße einen anrollenden Sherman Tank der Amerikaner mit einer Panzerfaust zerstört. Durch den Rückstrahl aus der Panzerfaust wurden die halbe Kücheneinrichtung und ein Teil der Wohnung beschädigt. Danach ging der Beschuss auf unser Haus los. Wir konnten von Glück reden, dass nicht unser, sondern das gegenüberliegende Eckhaus getroffen wurde. Ein uns nicht bekannter Zivilist wurde dabei getötet. Er lag hinter der Panzersperre in unserer Straße, bis jemand ihn in einem Bollerwagen abholte. Als totalen „Glücksfall“ für uns kann das Abkommandieren des Leutnants danach in seine Befehlszentrale bezeichnet werden, die sich im evangelischen Gemeindehaus Ecke Freiherr-vom-Stein und Gagernstraße befunden haben soll. Er ist nicht mal bis dorthin hingekommen, sondern nur bis zum unteren Ende der Röntgenstraße, wo er im Feuer der einrückenden amerikanischen Truppen umgekommen ist. Das erfuhren wir, nachdem die Amerikaner eingerückt waren. Bei uns im Haus begann nun eine hektische Auseinandersetzung mit dem alten Feldwebel, der das Kommando übernommen hatte. Wir waren zu der Zeit insgesamt 23 Erwachsene, Kinder und Jugendliche im Keller. Vor allem meine Mutter und unser Nachbar, dessen Wohnung von dem Rückstrahl der aus der Küche abgeschossenen Panzerfaust ziemlich lädiert worden war, redeten auf den Feldwebel ein doch bitte aufzuhören mit dem „Verteidigen“ und sich mit seinem Jungvolk abzusetzen. Der Krieg sei doch nun wirklich zu Ende, und an irgendwelche Wunderwaffen glaubte doch kein vernünftiger Mensch mehr. Am 17. April haben sich dann auch noch zurückziehende deutsche Soldaten aus der Stadt mit den Amerikanern Haus-zu-Haus Kämpfe geliefert in unserem Viertel bis in die Nacht hinein. Wir bekamen das, zitternd und bangend im Keller hockend mit durch die Schießereien, die zu hören waren beim Durchlaufen der sich bekämpfenden Truppen durch unser Haus. Unsere Haus- und Hausflurwände hatten jede Menge Einschusslöcher. Der Boden war hinterher übersät mit zerbrochenen Wandfliesen.
In diesen Stunden entledigte sich die bei uns befindliche Soldatengruppe ihrer wichtigsten, als Uniform erkenntlichen Kleidungsstücke, Koppel, Abzeichen, usw. Ihre Stahlhelme und alle Waffen haben sie mitgenommen und wollten sie draußen „entsorgen“. Was brennbar war, wurde im Waschküchenofen verbrannt. Dabei konnten wir uns mit dem, im großen Waschkessel erhitzten Wasser endlich selbst mal waschen und auch die stinkende Waschküche wenigstens etwas säubern. Unter großer Lebensgefahr wurden in den „Kampfpausen“ Zivilklamotten aus den Wohnungen geholt, in die sich die Soldaten dann einkleideten. Wir hatten in unserem eigenen Keller noch alte Kleidung von unserem Vater eingelagert, die er nicht mehr brauchte und die so eine gute Verwendung gefunden hat. Als der Gefechtslärm in der zweiten Nachthälfte fast völlig nachließ, und es dann plötzlich ganz still wurde – wir nahmen an, dass die Amerikaner die Stadt eingenommen hatten – brach der nun „zivile“ Feldwebel mit seiner jungen Truppe auf, noch im Dunkel der Nacht. War der Krieg für uns jetzt zu Ende? Noch nicht ganz. Wir wagten uns erst gegen Mittag am nächsten Tag, dem 18. April, einem herrlichen Sonnentag aus dem Keller und zum Luftschnappen vor die Haustür. Die Amerikaner konnten wir nicht hören, sie waren auf ihren gummibesohlten Schuhen plötzlich da und gaben uns mit einer Bewegung ihrer MPs zu verstehen, dass wir sofort wieder ins Haus zurückgehen sollten. Wir konnten nun aber endlich unbeschadet in unsere Wohnungen. Meine Mutter hat ein weißes Tuch aus dem Fenster gehängt. Wir konnten aus der Wohnung miterleben, wie die Amerikaner neben einer Panzerkolonne die Hindenburgstraße nach Osten marschierten, sich dabei aber immer noch mit ihren angelegten Maschinenpistolen absicherten. Das Klirren und Quietschen der Panzerketten war das einzige Geräusch, das wir hörten. Wir sahen auch Schreckliches. Als wir zum ersten Mal in den Hof blickten, sahen wir, dass ein toter amerikanischer Soldat im Hofausgang des Nachbarhauses in der Hindenburgstraße auf dem Gesicht lag. Mit schwarzem Lockenkopf. Sein Helm lag daneben. Und an der Gartenmauer des Nebenhauses gegenüber lag ein toter deutscher Soldat in voller Montur mit Stahlhelm auf, sein Gewehr umklammernd, auch auf dem Gesicht liegend. Da, wo vorher unsere Mülltonnen standen, war ein großer Bombentrichter. Das Panzerkettengeräusch und der Anblick dieser beiden Toten lassen mich hin und wieder auch heute noch nachts aufwachen und haben mit dazu beigetragen, meiner Kindheit ein jähes Ende zu setzen. Gegen Mittag erschien dann der erste Trupp amerikanischer Soldaten mit einem Offizier in unserem Haus. Wir Schulkinder mit einigen Englischkenntnissen dolmetschten. Sie wollten wissen, ob noch deutsche Soldaten bei uns seien. Wir wiesen sie nur auf den toten Landser hin, der im Garten lag. Dann wurde uns gesagt, dass wir in den nächsten Tagen die Panzersperre abzubauen hätten. Ihren toten Kameraden hatten sie vorher schon abgeholt. Wir hörten nur noch sporadisches Schießen in der Ferne. Am 19. April war dann auch der ganze westliche Teil unserer Stadt in amerikanischer Hand. Es hat noch einige Tage gedauert, bis wir wieder richtig schlafen konnten, nachdem uns klar geworden war, dass wir diesen wahnsinnigen Krieg und Hitlers „Tausendjähriges Reich“ (das 12 Jahre gedauert hat) überlebt haben. Eine „Entwarnung“ vom Feindalarm hat es nie gegeben. Das war auch nicht mehr nötig. Wir wussten, dass der später als „Zweiter Weltkrieg“ in die Geschichte eingehende Krieg mit seiner schrecklichen und fast unvorstellbar hohen Opferzahl von fast 50 Millionen Toten, für uns zu Ende war. Nachdem die kämpfende amerikanische Truppe abgezogen war, kamen Briten und Schotten als Besatzer in unser Viertel. Am 1. Juli zogen dann die Russen ein. Wir gehörten von da an nach dem Potsdamer Abkommen zur sowjetischen Besatzungszone und später zur DDR. Ein Erlebnis aus den unmittelbaren Nachkriegstagen möchte ich noch erzählen. Ich war, wie so häufig am Holzhacken im Hof, als ein riesiger amerikanischer Soldat um die Hausecke bog. Ein Afroamerikaner auf Patrouille, der erste schwarze Mensch, den ich in meinem Leben gesehen habe. Er hielt vor mir an, lachte mich an, ich sah nur seine blitzend weißen Zähne. Und dann gab er mir einen Kaugummi. „Have a gum“, waren seine Worte. Mir schlotterten die Knie. Er zog an meinen Zöpfen und entschwand. Ich hätte ihn zu gerne angefasst, um zu sehen, ob er „farbecht“ ist. Aber da war er schon weg. Wie oft habe ich an dieses Erlebnis gedacht, als ich 22 Jahre lang in Ghana in Westafrika gearbeitet habe. Auch dort haben mich die Kinder in den entlegenen ländlichen Gegenden bei der Begrüßung immer berührt, um zu sehen, ob ich „farbecht“ war. Sie hatten noch keine weißen Menschen gesehen, so wie ich damals, 1945 noch keinen schwarzen. Und einen Kaugummi kannte ich auch (noch) nicht! Die Männer aus unserem Haus konnten dann auch endlich den toten deutschen Landser dort, wo er lag begraben. Wir sind durch die Trümmer geklettert, haben in den Gärten herumgetobt und sind immer wieder an dem dort liegenden Toten vorbeigerannt. Ein einfaches, kleines Holzkreuz wurde auf dem Grab aufgerichtet mit seinem durchschossenen Stahlhelm darauf. Seine Marke, die er an einer Kette um den Hals trug, wurde dem Roten Kreuz übergeben, das seine Arbeit gleich nach dem Kriegsende wieder aufgenommen hatte. Meine Mutter hat mir später erzählt, dass einige Jahre nach dem Kriegsende seine Gebeine abgeholt worden seien. Er stammte aus einer Stadt im Ruhrgebiet. Die noch überall nach Kriegsende herumliegende Munition, Panzerfaust- und Handgranatenköpfe und deren Stiele wurden in dem Bombentrichter im Hof „entsorgt“. In diesem Trichter hatten wohl auch „unsere“ Soldaten ihre Helme und Bewaffnung deponiert, bevor sie im Dunkel der Nacht geflohen sind. Die Mülltonnen waren bei den Kämpfen zerstört worden. Aller Hausmüll und die Gartenabfälle füllten das große Loch nach und nach zusammen mit dem Trümmerschutt der abgebauten Panzersperre. Einige Jahre nach dem Kriegsende wurde der Bombentrichter dann geöffnet, um dieses höchst gefährliche „Kriegsgut“ richtig zu beseitigen. Und wie mir meine Mutter in späteren Jahren auch noch mitteilte – da war ich schon aus der DDR geflüchtet und in Ghana tätig – haben sich viele Jahre nach dem Krieg tatsächlich zwei Familien der jungen Soldaten gemeldet, die es bis nach Hause geschafft haben oder aus amerikanischer Gefangenschaft in der Zwischenzeit entlassen worden waren. Einer von ihnen hatte sich den Namen und die Anschrift meiner Mutter geben lassen, bevor die Truppe aus unserem Keller aufgebrochen ist in der letzten Kriegsnacht in Magdeburg vor siebzig Jahren.
31.01.2017, 10:00 Zeitzeugenbericht über die Ereignisse vom 16. Januar bis zum Mai 1945 in Magdeburg | von Walter Friesecke (Rechtsanwalt und Notar; 1886 - 1976)
Der 16. Januar 1945 brachte die zweite Zerstörung Magdeburgs. Sie kann ohne Übertreibung mit der vom 10. Mai 1631 verglichen werden. Schon vorher, so besonders am 28. September 1944, waren zahlreiche öffentliche und private Gebäude in verschiedenen Stadtteilen zerstört und schwer beschädigt worden. Am 16. Januar abends, gegen 21:30 Uhr, machten die englischen Bombergeschwader ganze Arbeit. Vom Bahnhof Neustadt bis zum Scharnhorstplatz und von der östlichen Wilhelmstadt bis zur Elbe wurde das ganze Stadtgebiet völlig verwüstet. In diesen Räumen sollen insgesamt nur noch 18 Häuser zur Not bewohnbar gewesen sein. Feindberichte meldeten, Magdeburg sei in überraschendem Angriff schwer getroffen, die Stadt könne als vernichtet gelten. In der Tat blieben nur noch wenige Bezirke übrig, in denen noch Leben war. Namentlich die Sudenburg, Teile von Wilhelmstadt und Buckau, die Gegend vom Scharnhorstplatz südlich, Teile von Cracau und Friedrichstadt, im westlichen auch der Werder. Die Zahl der Toten ist nicht mitgeteilt worden, es mögen wohl 10.000 gewesen sein. Die Einwohnerzahl der Stadt sank von 330.000 auf 130.000. Wir erlebten den Angriff in unserem kleinen Gartenbunker. Er kam so schnell, dass uns keine Zeit mehr blieb, den Brückenpfeiler aufzusuchen. Drei, vier Stunden lang hörten wir das Niederrauschen und Bersten der fallenden Bomben. Einige schlugen in nächster Nähe ein und bewirkten, dass unser Bunker von Balken, Brettern und Ästen und dergleichen überschüttet wurde. In unmittelbarer Nähe des Bunkers, dessen Türen durch den Luftdruck eingedrückt, eine sogar aufgerissen wurde, leuchtete das helle Feuer von Brandbomben auf. Die Zeit erschien endlos. Wir saßen eng beieinander, immer damit rechnend, dass die nächste Bombe uns selbst treffen könnte. Als schließlich der Bombenhagel nachließ, fanden wir unsere Erwartung, dass unser Haus getroffen sei, bestätigt. Der westliche Dachstuhl brannte bereits lichterloh. Das Haus Löhr war durch Volltreffer völlig zerstört. Eine weitere Bombe war unmittelbar vor unserem Haus in die Elbuferböschung eingeschlagen. So war das Haus von zwei Seiten durch Luftdruck und Sog so schwer mitgenommen, dass nur die Küche, die Plättstube und die Waschküche zur Not bewohnbar waren. Aber auch in diesen Räumen waren die Türen und Fenster, diese zum Teil einschließlich der Fensterkreuze, zerstört. In dem Kellergang unseres Hauses hatten mehrere Soldaten Schutz gegen die Bomben gesucht. Meine Aufforderung, beim Löschen zu helfen, lehnten sie ab. Sie meinten, es sei aussichtslos. Wir machten uns daher zunächst allein an die Löscharbeit. Mit Hilfe von zwei Minimax-Apparaten (einer Art Feuerlöscher – d. Red.), des Inhalts der Badewannen und anderer Behältnisse gelang es, die Ausdehnung des Brandes nach Osten zu verhindern und ihn sogar etwas zurückzudämmen. Bald kam Henning. Er half sehr fleißig, trug die halbe Nacht hindurch Wasser von der eisschollenbedeckten Elbe herbei und hielt schließlich auch die Brandwache, nachdem der Brandschutt von dem Dach heruntergeschippt worden war. Eine besonders eifrige Hilfe leisteten uns Herr Dr. Franz Hilffert mit Frau und Sohn, auch Herr Thron stellte vorübergehend einige Mann zur Verfügung, es halfen auch die Mitglieder des Selbstschutztrupps, des Luftschutzes, namentlich zwei Mädels von Löhrs, Gisela Kaempf und andere. Zwei Brandbomben staken im Gebälk auf der Ostseite des Hauses und wurden unschädlich gemacht. Bei unseren Löscharbeiten kam uns sehr zustatten, dass Ostwind wehte, der die Flammen vom Hause wegtrieb. Es war ein schauriger Anblick, im Westen auf dem ganzen Elbufer stromaufwärts und -abwärts nichts als lodernde Brände zu sehen, deren Feuer sich im Strom zwischen den treibenden Eisschollen spiegelte. Auch das Haus Zuckschwerdt brannte lichterloh, so dass eine Hilfe aussichtslos war. Gegen 3 Uhr morgens legten wir uns in Hennings Zimmer, das ohne Fenster und Türen war, zu einer kurzen Ruhe nieder. Am nächsten Morgen erschien Dr. Lütken und Frau. Sie hatten ihre Wohnung am Skagerrakplatz mit allem Inhalt durch den Angriff verloren. Lütken hatte nur einen Handkoffer und seine Geige gerettet. Sie entschlossen sich, trotz der schwierigen Verhältnisse bei uns im Hause zu bleiben. Wir haben dann tagsüber in dem einzigen leidlich heizbaren Raum, der Waschküche, zu fünfen einige Tage gehaust, nachdem wir sie einigermaßen wohnlich eingerichtet hatten. Lütken machte sich dann mit Feuereifer an die Wiedereinsetzung der Türen und Fenster. In erster Linie musste das Erdgeschoß dichtgemacht werden, denn überall blies der Westwind durch das Haus und es waren draußen etwa 7° Celsius Kälte. Henning bekam vier Tage Einsatzurlaub und machte sich mit seinem Kameraden Frehde ebenfalls sehr nützlich. So brachten beide den Treppenaufgang vom Untergeschoß nach dem Hauptgeschoß und die nach Süden (zu Löhrs) führende Haustür in Ordnung. In den ersten Tagen erhielten wir Verpflegung von der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt – d. Red.), schmackhafte Eintopfgerichte und dick belegte Doppelbrote. Es gelang uns dann, für die Küche einen neuen Herd für Holz- und Kohlenfeuer und für die Plättstube einen kleinen Ofen zu beschaffen. Wir konnten nun die Plättstube wohnlich einräumen. Sie diente uns als Wohn-, Ess- und Schlafzimmer. Die Büroarbeit – Rechtsanwalt und Notar Justizrat Ehrhardt hatte mir einem großen Raum als Ersatz für das zerstörte Büro Otto von Guerickestraße 25 zur Verfügung gestellt – wurde auf die Vormittage beschränkt; der Nachmittag gehörte der handwerklichen Arbeit im Hause. Dem Angriff am 16. Januar folgten einige weitere, zum Teil gleichfalls sehr schwere. Dabei wurde auch das Haus Markmann zerstört. Türen und Fenster unseres Hauses, die mit vieler Mühe behelfsmäßig wiederhergestellt waren, wurden mehrfach erneut beschädigt. Das einzige Fenster in der Plättstube musste viermal erneuert werden. Im Laufe der ersten Monate des Jahres 1945 drangen die feindlichen Armeen von Ost und West immer tiefer in Deutschland ein. Die Hoffnung, dass Deutschland den Krieg noch gewinnen könne, war immer mehr und mehr geschwunden. Mit dem Verlust der Industriegebiete im Westen und Oberschlesien erschien eine Fortsetzung des Krieges aussichtslos. Trotzdem klammerte man sich immer noch an den letzten Rest einer trügerischen Hoffnung und man schenkte den durch Rundfunk und Presse gegebenen Zusicherungen der Männer, die es unternommen hatten, das Volk zu führen, und ihren geheimnisvollen Andeutungen über neue Waffen und eine nahe bevorstehende grundlegende Wende noch immer etwas Glauben, richtiger gesagt, man glaubte zwar nicht mehr an die Wende, aber man wünschte doch von Herzen, dass man sich irren und alles noch gut ausgehen möchte. Indessen ging der unaufhaltsame Vormarsch der Feindarmeen weiter. Im Westen hatte, nachdem es der Gegenseite gelungen war, den Rhein zu bezwingen, jeder ernstliche Widerstand aufgehört. Im Osten wurde wohl noch an einigen Stellen erbittert gekämpft. Man war sich aber dessen bewusst, dass der Russe eine neue Großoffensive vorbereite, um Berlin zu erreichen. Ende März standen Amerikaner und Engländer bereits im Thüringer Wald, bei Kassel und Hannover, stießen auf Bremen vor und hatten das Ruhrgebiet eingekesselt. In Magdeburg hatten schon vorher – ziemlich planlos oder doch wenig überlegt – Schanzarbeiten eingesetzt. So wurde auch an der Markgrafenstraße am Ostende der Hindenburgbrücke eine Schanze errichtet. Der Volkssturm wurde sonntags vormittags mit Schanzarbeiten beschäftigt. Mangels verständiger Führung zwischen der Partei, der der Volkssturm unterstand, und der Wehrmacht waren diese Schanzarbeiten, abgesehen von ihrer militärischen Unzweckmäßigkeit, meist völlig zwecklos. Es machte deshalb keine Freude, seine Zeit auf solche Dinge zu verwenden, da sie doch für Instandsetzung des schwer angeschlagenen Hauses viel nützlicher hätte verwendet werden können. Ende Februar/Anfang März 1945 fanden wir auf Einladung von Max Prentzel zehn Tage lang Aufnahme in dem Erholungsheim des Arbeitsgaues XIII in Schierke. Der Aufenthalt in dem wohl erhaltenen Hause, die Ruhe, die rührende Fürsorge der Familie Prentzel und der Frieden der Harzwälder bot uns eine willkommene Erholung nach den schweren Wochen in dem größtenteils zerstörten Hause. Dankbar kehrten wir nach Magdeburg zurück. Dort stellten wir fest, dass man auf unserem Grundstück bereits ein Schützenloch als Verteidigungsstellung ausgehoben hatte… Im März bot sich Gelegenheit, mit einem Lastwagen nochmals Sachen nach Schierke zu bringen. Wir packten etwa 17 Körbe, Koffer, Kisten und dergleichen und schickten sie nach Schierke. Nicht lange danach entschlossen sich Prentzels auf die Nachricht hin, dass die Amerikaner Nordhausen erreicht hätten, Schierke zu verlassen. Wir konnten sie in Magdeburg sprechen. Sie nahmen in Beese (Altmark) Aufenthalt. Von dort aus konnte Krista einmal anrufen. Ende März/Anfang April konnte kein Zweifel mehr darüber bestehen, dass die Amerikaner binnen kurzem in Magdeburg sein würden. Wir überlegten, was zu tun sei. Unsere Lage an der Elbe erschien uns besonders gefahrdrohend. Wir rechneten damit, dass die Elbe eine Hauptwiderstandslinie bilden und um die Elbbrücken hart gekämpft werden würde. Alle Brücken wurden zur Sprengung vorbereitet, ein Brückenkommando wurde eingerichtet. Man versicherte uns zwar, unser Haus werde bei der Sprengung der Brücke wahrscheinlich stehen bleiben, es sei nur mit Dach-, Fenster- und Türschaden zu rechnen. Es war aber auch zu befürchten, dass neue schwere Bombenangriffe auf das Gebiet beiderseits der Brücken erfolgen würden. Obgleich wir uns nur sehr ungern entschließen konnten, das Haus zu verlassen, rangen wir uns schließlich dazu durch und beschlossen, nach Zens zu gehen. Wir rechneten damit, dass dieses abgelegene kleine Dorf vom Kampf verschont bleiben würde. Am 10. April fuhr ich mit dem Rade nach Zens, erhielt dort die Zusage, dass wir notfalls unterkommen könnten und brachte auch noch meinen besten Anzug, Hennis bestes Kostüm und einige andere Sachen dorthin. Auf der Fahrt traf ich nur in Welsleben deutsche Wehrmacht an. Am nächsten Morgen wurden an die Volkssturmmänner einige Gewehre und Panzerfäuste verteilt. Dann wurden wir eingeteilt, um die Schanzen zu bewachen. Mir fiel die völlig überflüssige Aufgabe zu, die Schanze an der Garten- und Weidenstraßenecke, die so gebaut war, dass nur Personen, aber keine Fahrzeuge passieren konnten, zu bewachen und „verdächtige Personen“ anzuhalten. Dort habe ich dann vier Stunden lang Wache geschoben. Um die sonst unnütz vertane Zeit nützlich zu verwenden, nahm ich mir einen Stuhl und einige Akten mit, die ich dort bearbeitet habe. Am Nachmittag des 11. April wurde Panzeralarm gegeben. Ich war wieder in das Wachlokal des Volkssturms bestellt, um weiter Dienst zu tun. Als ich mich dorthin begeben wollte, rief mir ein Kamerad entgegen, ich sollte meine Binde vom Arm nehmen und nach Hause gehen. Das Dienstgebäude der Ortsgruppe Werder ging in Flammen auf. Wir wollten am gleichen Tage noch nach Zens fahren. Auf Anruf in Schönebeck erhielten wir aber die Nachricht, dass die Amerikaner dort schon eingetroffen seien. Wir mussten deshalb annehmen, dass wir nicht mehr durchkommen würden und sahen von der Reise ab. Am nächsten Morgen, dem 12. April – es war mein 59. Geburtstag – fuhren wir zunächst mit den Rädern nach der Platzanlage des „Magdeburger Tennis- und Hockey-Clubs Grün-Rot“, um dort bis zum Einrücken der Amerikaner zu bleiben. Wir fanden aber bald, dass dies doch wohl nicht das Richtige sei, und entschlossen uns, zurückzugehen und eine andere Unterkunft zu suchen. Der diensttuende Oberleutnant auf der Brücke empfahl uns, in einen Bunker jenseits der Elbe zu gehen und dort den Angriff abzuwarten. Wir begaben uns daher mit dem Luftschutzgepäck nach dem Bunker an der Jakobi-Kirche, hielten es dort nicht lange aus. Dann folgten wir der Einladung unseres Freundes, Rechtsanwalt Dr. Theodor Martin, in sein Haus in der Lutherstraße 30 zu kommen. So fuhren wir mit den Rädern schwer beladen mehrfach von Markgrafenstr. 1 nach der Sudenburg und fanden dort herzlichste Aufnahme. Martin war in dem Haus allein mit einer seiner Angestellten. Frau Hartmann, die seit 22 Jahren bei ihm tätig ist und jetzt seinen Haushalt führte, Elisabeth und Jutta Martin waren am 11. April zu Verwandten nach Offleben gefahren; es war ungewiss, ob sie ihr Ziel erreicht hatten. An diesem Tage wurde das Heereszeugamt in Brand gesetzt. Der Flughafen Süd wurde von den Amerikanern besetzt, der Fernsprechverkehr mit Schönebeck unterbrochen. Das Leben spielte sich in den nächsten Tagen in der Hauptsache in der Küche und in den Kellerräumen ab. Wir selbst schliefen in der sehr großen Waschküche, während Martin und Frau Hartmann im Luftschutzkeller schliefen. Die ersten Tage der „Belagerung“ verliefen leidlich ruhig. Wir erhielten sogar Besuch von Herrn Medizinalrat Dr. Andre und spielten mit ihm mehrfach Skat. Des abends wurde regelmäßig eine Flasche Wein getrunken, damit sie den Amerikanern nicht in die Hände falle. Auch der Garten bot in den herrlichen Frühlingstagen einen angenehmen Aufenthalt. Wir fuhren in dieser Zeit noch mehrfach nach der Markgrafenstraße, um weitere Sachen zu holen. Das letzte Mal – es wird am 14. oder 15. April gewesen sein – gerieten wir in starken Schrapnellbeschuss, weil die Königsbrücke unter ständigem Störungsfeuer lag. Wir benutzten die Pause zwischen zwei Einschlägen, um in die Stadt zurückzufahren. Es folgten dann zahlreiche Angriffe auf Magdeburg durch Artillerie, Bombengeschwader, Tiefflieger … Am 17. April setzte schwerer Artilleriebeschuss ein und dauerte den ganzen Tag an. Wasser und Licht versagten. Auch die Bombenangriffe wurden fortgesetzt. So wurde der Justizpalast auf das Schwerste getroffen, die Mitte der Vorderfront gänzlich zerstört und die übrigen Teile schwer beschädigt. Der rechte Seitenflügel brannte aus. Die „Verteidigung“ der Stadt kostete 1.000 Einwohnern das Leben und nahm 12.000 Personen ihr Obdach. Am Abend dieses Tages sahen wir in der Dämmerung, wie einige deutsche Soldaten sich durch die Lutherstraße vor den Amerikanern zurückzogen. In diesen Tagen mussten unsere Frauen ständig um Lebensmittel anstehen. Am 17. April sollte es, um die Versorgung für längere Zeit zu sichern, 4 Pfund Fleisch auf den Kopf der Bevölkerung geben. Die für uns bestimmten insgesamt 16 Pfund holte Martin abends unter Artilleriebeschuss vom Fleischer, zur großen Freude aller Hausbewohner. Am 18. April erschienen die Amerikaner. Zwei von ihnen fragten nach „Pistoll“. Ich händigte ihnen Ernsts Pistole aus. Außerdem nahm man mir meine „Fotomaschine“ (meine Voigtländer-Bessa) ab. Dann wurde das Haus Martin von den Amerikanern als Quartier in Anspruch genommen. Ein Panzer fuhr in die Einfahrt und legte dabei einen Torpfeiler um, zwei andere rissen die Mauer des Gartens ein und fuhren über Quittenbäume, Rosenbeete und Sträucher in den Garten hinein. Wir wurden aus dem Haus gewiesen. Man ließ uns eine halbe Stunde Zeit. Im Haus Richter gegenüberliegend fanden wir zwei Tage und Nächte hindurch Aufnahme. Auch hier wurden abends einige Flaschen Wein geleert, weil sie sonst vielleicht den Amerikanern in die Hände gefallen wären. Frau Richter musste ihren gesamten Sektvorrat abgeben. Es kamen immer wieder Amerikaner, die behaupteten, es sei hier eine „Snaps-Fabrik“, und sie verlangten die Ablieferung von „Snaps“. Andere wollten 150 Flaschen Champagner haben. Während dieser Tage gingen wilde Gerüchte um. Es hieß, die Männer zwischen 16 und 60 Jahren würden von den Amerikanern nach Westen verschleppt und müssten dort arbeiten. Es hieß auch, nach den Amerikanern würden die Neger kommen. Polen, Russen, Juden und sonstige Ausländer benutzten das Wirrwarr, um nach Möglichkeit zu stehlen und zu plündern. Leider beteiligten sich auch Deutsche daran. Lebensmittellager und Eisenbahnwagen wurden beraubt, der Inhalt von Kähnen an der Elbe verteilt. Man sah Leute mit großen Mengen Öl, Margarine, Mehl, Zucker, Marmelade, Kunsthonig und anderen Lebensmitteln. Auch ein Wagen mit Sperrholz wurde von der Bevölkerung ausgeplündert. Es schien der Grundsatz zu herrschen, dass das alles erlaubt sei und das töricht sei, wer sich ausschließe. Das Anstehen nach Wasser erforderte anfangs länger als eine Stunde. Der Brunnen erschöpfte sich schon in den ersten Vormittagsstunden und gab dann nur noch spärlich Wasser. Ich habe deshalb an den folgenden Tagen immer gleich morgens zwischen 7 und 8 Uhr Wasser geholt. Die Ausgehzeit war anfangs von 9 bis 12 Uhr beschränkt. Es sollten sich auch nur Frauen auf der Straße bewegen, die Männer sollten in den Häusern bleiben. Die Benutzung von Fahrrädern sollte nicht erlaubt sein. Es erschien auch nicht ratsam, Rad zu fahren, weil die Gefahr bestand, dass Polen, Juden und andere Ausländer sich der Räder bemächtigten. Frau Hartmanns Rad wurde aus der zeitweilig unverschlossen gebliebenen Garage sofort gestohlen. Am 20. April morgens fuhren die Amerikaner aus Martins Haus wieder ab. Wir besetzten sofort das Haus und mussten feststellen, dass die Gäste sämtliche Behältnisse im Hause aufgebrochen und alles durchwühlt hatten. Sie hatten aber außer dem Rundfunkapparat, der Küchenwäsche, Handtücher, Taschentücher, Handschuhe und einzelnen anderen Gegenständen nichts Wesentliches mitgenommen und abgesehen vom Aufbrechen der Schränke und der Benutzung der Gardinen zum Panzerputzen, nichts mutwillig zerstört. In den nächsten Tagen besserten sich die Verhältnisse allmählich. Die Ausgehzeit wurde von 7 bis 18 Uhr, später von 7 bis 21 Uhr verlängert. Am 21. April schien die Lage soweit geklärt, dass wir es wagen konnten, zu Fuß nach dem Askanischen Platz zu gehen. Die Ostseite der Elbe war nämlich nach wie vor von SS, Volkssturm und HJ besetzt und es wechselten Feuerüberfälle mit Gewehrfeuer. Am Askanischen Platz wurden wir durch einen amerikanischen Posten, der im Gorgass’schen Hause auf Ausguck saß, angehalten. Wir konnten aber sehen, dass unser Haus noch stand. Das Dach war durch die Sprengung der Brücke beschädigt, die Haustür und die Kellerfenster herausgerissen, ebenso ein zugemauertes Fenster im Damenzimmer wieder aufgebrochen. Die Besuche am Askanischen Platz wurden in den nächsten Tagen mit dem Rad mehrfach wiederholt. Das Ergebnis war immer das gleiche: Es wurde gekämpft, ein Herüberkommen war unmöglich. Am 21. April erschien eine Anordnung der Militärregierung, dass die Magdeburger Versorgungsbetriebe am 22. April ihren Betrieb wiederaufzunehmen hätten, während die übrigen Betriebe einen Tag später mit der Arbeit beginnen sollten. Es zeigte sich das Bestreben, baldmöglichst Ordnung zu schaffen. Am 23. April erfuhr ich durch Rechtsanwalt Bünger, dass die Rechtsanwälte und Notare neu zugelassen werden müssten und zuvor einen Eid zu leisten hätten. Dies wurde mir bei einer Besprechung am 24. April im Justizpalast bestätigt. Auch die Richter und Staatsanwälte dürfen ihre Tätigkeit erst wiederaufnehmen, nachdem die Militärregierung sie zugelassen und die Beamten den Eid geleistet haben. Ich musste bei dieser Gelegenheit feststellen, dass mein Robenschrank durch den Luftdruck aufgesprungen und die Robe gestohlen war. Am 25. April unternahmen wir es, mit den Rädern nach Schönebeck zu fahren, und blieben dabei unbehelligt. Wir stellten fest, dass Lotte, Fuhrmanns, Martha und Agnes ohne größere Schäden davongekommen waren. Hans Fuhrmann war einen Tag lang als Volkssturmmann in Kriegsgefangenschaft, wurde aber dann entlassen. Am 26. April gab es wieder Wasser, eine große Erleichterung für die Hauswirtschaft. In diesen Tagen wurde bekannt, dass die Grenze von Stettin über Berlin, entlang der Havelseen und Kanäle nach Magdeburg und von dort ostwärts der Elbe elbaufwärts verlaufen solle. Wir machen uns langsam mit dem Gedanken vertraut, nicht wieder in die Markgrafenstraße 1 zurückkehren zu können und die dort befindlichen Sachen verloren zu geben. Die Nachricht findet eine gewisse Bestätigung dadurch, dass die Amerikaner nicht über die Elbe gehen, obgleich ihnen dies ohne Schwierigkeiten möglich wäre. Sämtliche Elbbrücken von Barby bis Magdeburg-Neustadt sind gesprengt; nur die Autobrücke bei Hohenwarthe soll noch stehen. Es ist aber nicht möglich, hinüberzukommen. Da wir nun damit rechnen mussten, auf vorläufig nicht übersehbare Zeit westlich der Elbe bleiben zu müssen, sahen wir uns nach einer Wohnung um. Wir fanden Herrn Bankdirektor Friedrich Dittmer, Duvigneaustraße 8, bereit, uns aufzunehmen und erhielten auf diese Weise ein neues Heim, wie wir es uns nicht besser wünschen konnten, ein behaglich eingerichtetes Zimmer mit Morgensonne, nach dem schönen Garten hinausgehend und durch eine große Flügeltür mit diesem verbunden, ein Schlafzimmer im Obergeschoß, ein daneben liegendes kleineres Zimmer, ein Bad zur Mitbenutzung und Aufenthalt im Garten. Am 3. Mai bezogen wir die neue Unterkunft beim Ehepaar Dittmer. Da es ziemlich kalt war, – die Eisheiligen hatten sich in diesem Frühjahr zehn Tage früher eingestellt – saß man abends am Kamin. Das Holz wurde vorher aus dem zerstörten Berndt’schen Haus an der Duvigneaustraße gemeinsam geholt. Am 4. Mai wurde ich von der Militärregierung als Rechtsanwalt und Notar vereidigt, nachdem ich an diesem Tage eine Stunde, am vorhergehenden Tage vormittags drei Stunden und nachmittags zwei Stunden hatte anstehen müssen. Mit mir zusammen wurden weitere sieben Kollegen vereidigt, darunter auch Martin. Ich nahm daraufhin am 7. Mai meine Berufstätigkeit wieder auf, zunächst nur vormittags. In der Zeit wurden die Bemühungen, nach dem Werder zugelangen, ergebnislos fortgesetzt. Eine Reihe von Magdeburgern hatten Familienangehörige jenseits der Elbe und waren sehr in Sorge, weil die Russen immer näherkamen. Einige von ihnen – so Direktor Cornehl von „Schäffer & Budenberg“ und Herr Miller von „Wilhelm Paul & Miller“ – patrouillierten dauernd an der Elbe zwischen Barby und Hohenwarthe, um eine Möglichkeit zu finden, um über die Elbe zu kommen und die Angehörigen herüberzuholen. Die Gattin des Generaldirektors Dr. Katter von Fahlberg-List wurde von amerikanischen Soldaten herübergeholt. Frau Fischer (C.W. Neumann) konnte sich nächtlicherweise von einigen beherzten Männern mittels zweier Boote aus dem Frauen-Ruder-Verein über die Elbe bringen lassen.
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Am 6. Mai hörte die Schießerei an der Elbe auf. Die Russen standen an der Turmschanzenstraße. Am 7. Mai besetzten sie auch den Werder. Wir konnten am 6. Mai sehen, dass unsere Kellerfenster wieder eingesetzt waren. Der Werder lag still, das Haus schien unversehrt zu sein. Am gleichen Tage wagte es Rosemarie Grünwald, über die gesprengte, im Wasser liegende Königsbrücke nach Haus zu klettern. Sie war zur Zeit des Eintreffens der Amerikaner in Bernburg gewesen; hatte sich von da nach Magdeburg durchgeschlagen und 14 Tage auf der Westseite der Elbe verbracht, ohne ihre Eltern benachrichtigen zu können. Der Schicksalskampf des deutschen Volkes ging inzwischen zu Ende. Der seit langem sinnlose Widerstand brach endgültig zusammen. Es wurde gemeldet, dass Hitler, Goebbels und Göring tot seien. Später wurde das widerrufen, dann aber für Goebbels und Familie bestätigt, ebenso für Hitler. Über die Art seines Todes stand zunächst nichts fest. Nach deutschen Nachrichten sollte er Berlin bis zum Letzten verteidigt haben und in der Reichskanzlei an der Spitze der dort kämpfenden Truppe gefallen sein. Nach anderer Lesart sollte er Selbstmord verübt haben … Am 9. Mai wurde die bedingungslose Kapitulation gegenüber allen Feindstaaten bekanntgegeben. Damit fand das traurige Kapitel deutscher Geschichte sein unrühmliches Ende. Niemals ist ein tüchtiges, arbeitsames, tapferes und friedliebendes Volk schlechter geführt worden. Eigensinnige und laienhafte Führer, die für sich in Anspruch nahmen, die größten Feldherren und Politiker aller Zeiten zu sein, haben es in ungeheuerlicher Selbstüberschätzung durch eine sinnlose und frevelhafte Politik in namenloses Unglück gestürzt. Sie haben in Unkenntnis weltpolitischer Verflechtungen und der Stärkeverhältnisse der einzelnen Nationen den Krieg, der namentlich gegen Russland wohl zu vermeiden gewesen wäre, angefangen und ihn in verbrecherischer Weise fortgesetzt, obgleich er seit langem aussichtslos war, und sie haben in ihrer Verblendung manche Gelegenheiten, den Krieg durch einen verständigen Frieden zu beenden, ungenutzt vorübergehen lassen. Am 10. Mai war Himmelfahrtstag. In den Tagen vorher wurde von amtlicher und amerikanischer Seite mehrfach erklärt, der Russe käme nicht über die Elbe. Es ging auch das Gerücht, es solle jenseits der Elbe, also mit dem Werder beginnend eine neutrale Zone von etwa 3o km Breite gebildet werden. Wir erhielten daraufhin vom Wirtschaftsamt den Bescheid, Kartoffelkarten könnten wir nur auf 14 Tage erhalten, weil dann voraussichtlich der Werder wieder zugänglich sei und wir an unsere eigenen Kartoffeln herankönnten. Am Himmelfahrtstage kamen das Ehepaar Fischer (C.W. Neumann) und Herr Krämer (Kunneth & Knöchel) mit der Alarmnachricht, die Amerikaner zögen ab, nun würden sicher die Russen kommen. Eine Nachprüfung ergab, dass nur ein Teil der Amerikaner abzog, um andere Aufgaben zu übernehmen. Angeblich wollen die Amerikaner noch 5 bis 6 Monate hierbleiben, dann sollen die Engländer die Verwaltung übernehmen. Vormittags suchte ich Herrn Generaldirektor Katter (Fahlberg-List) auf. Er erzählte mir, dass es Herrn Cornehl gelungen sei, auf die Ostseite der Elbe zu kommen und seine Familie durch amerikanische Soldaten herüberholen zu lassen. Wir verabredeten dass, wenn einer von uns nach dem Werder kommen würde, er sich um das Haus des anderen kümmern und Herrn Thron bitten sollte, einen zuverlässigen Mann in das Grundstück hineinzusetzen. Am 11. Mai war ich vormittags wieder einmal an der Hindenburgbrücke. Die im Strom liegende Brücke wurde in der Mitte von dem inzwischen gestiegenen Wasser überspült. Unser Haus lag still da; nur in den Trümmern des Löhr’schen Hauses suchte ein Mann Holz und beschäftigte sich mit einer weißen Tür. Am Nachmittag erschien eine frühere Büroangestellte von Dr. Martin, die sich über die Elbe mit einer anderen Angestellten von Dr. Martin unterhalten hatte. Sie berichtete, auf dem Werder werde viel gestohlen – namentlich in dem Haus von Rechtsanwalt Friesecke. Sie erzählte weiter, die Männer von 17 bis 55 Jahren seien in Loburg in einem Lager zusammengefasst; auch Frauen bis zu 45 Jahren müssten arbeiten, z.B. die Schanzen wieder abbauen; Lebensmittel gebe es auf dem Werder nicht mehr, weil es an Nachschubmöglichkeiten fehle und die Russen die Lebensmittel beschlagnahmt hätten. Die Verhältnisse seien sehr schlimm … Eine von dem Amerikaner abgeworfene Fallschirmzeitung gibt die endgültige bedingungslose Kapitulation der gesamten deutschen Armee bekannt, ebenso die Gefangennahme der Familie Göring und des Feldmarschalls Kesselring in Radstadt (Tauern). So endete die ruhmreiche deutsche Wehrmacht, die sich in zahllosen Schlachten und Einzelkämpfen hervorragend geschlagen hat, mattgesetzt durch die Unzulänglichkeit der Führung … Einzelne Teile der Stadt haben schwer unter kriegsgefangenen Russen zu leiden. Magdeburg dient als Durchgang für alle Kriegsgefangenen, die aus dem Westen des Reiches kommen. Sie werden hier in Lagern zusammengefasst. Eines dieser Lager in der Enckekaserne hat sich auf diesem Gebiet besonders hervorgetan. Deutsche sind auf der Straße ihrer Oberkleidung und ihres Schuhwerks beraubt worden, Läden sind geplündert, Fahrräder in Mengen geraubt, Ringe und Schmucksachen ihren Trägern auf offener Straße entrissen. Auf dem Westfriedhof mussten die Bestattungen abgesagt werden, weil den Trauergästen die Kleider ausgezogen wurden. Nach einigen Tagen griffen die Amerikaner ein. In einem Gefecht sollen drei Amerikaner und 40 Russen getötet sein. Seitdem ist es etwas besser geworden. Am 12. Mai gab es wieder Strom. Wir hörten zum ersten Mal wieder den Rundfunk – keine erfreulichen Nachrichten – Dänemark begrüßt die Engländer als Befreier, die tschechoslowakische Regierung wiedergekehrt, deutsche Armeen, die noch Widerstand leisten, aufgerieben, ein weiteres Konzentrationslager in Ebensee entdeckt. Die Verdunkelung wurde aufgehoben. Der Anblick erleuchteter Fenster täuscht einen leider noch in weiter Ferne liegenden Friedenszustand vor. Nachmittags wieder einmal an der Königsbrücke: Unser Haus liegt scheinbar ruhig da. Auf dem Vorland, namentlich in der Nähe der Arkonastraße, Badebetrieb. Wir haben an diesen Maitagen außergewöhnliche Wärme, etwa 30 Grad im Schatten. Dr. Gehrig berichtet, das Schicksal Magdeburgs sei noch immer nicht endgültig entschieden, es bestehe die Möglichkeit eines russischen Brückenkopfes westlich der Elbe, der auch Magdeburg umfasst. Am Sonntag, 13. Mai, morgens unterhalten wir uns über die Elbe hinweg mit Familie Thron, die wir herbeirufen ließen. Es bestätigte sich, dass alle Männer bis 55 Jahren von den Russen weggebracht sind; ihr Aufenthalt ist unbekannt. Die Verpflegung ist schlecht. Throns haben freundlicherweise einen Teil unserer Sachen an sich genommen, so die Stiefel aus dem Schrank im unteren Korridor, Küchengeräte, die Stehlampe und anderes. Das Haus steht nach wie vor öde, es ist niemand drin, auch keine Russen. Die Frage der Familie Thron, wann wir herüberkämen, konnten wir leider nicht beantworten. Die Amerikaner bauen dicht unterhalb der Königsbrücke am Pionierübungsplatz eine Pontonbrücke. Am 15. Mai ist die Brücke fertig, aber nur für amerikanische Soldaten zugänglich. Es soll ein amerikanischer Posten in unserem Hause sein. Es wird erzählt, er habe sich ein Kissen aus unserem Haus geholt und auf dem Vorland ein Sonnenbad genommen Nachmittags fuhr ich mit dem Rad nach Frohse zu Bauer Kohlschmidt, um Kartoffeln zu holen. Auf der Straße zwischen Südost und Frohse wurde ich von zwei verdächtig aussehenden Ausländern angehalten und nach einem Ausweis gefragt. Ich war überzeugt, dass sie mir das Rad wegnehmen wollten und versuchte, in beschleunigtem Tempo vorbeizufahren, wurde aber von dem einen Ausländer angestoßen und zu Fall gebracht. Dabei wurde die Lenkstange zur Seite gedreht und das rechte Pedal so verbogen, dass ich nicht weiterfahren konnte. Diesem Umstand und dem Hinzukommen anderer Radfahrer habe ich es offenbar zu verdanken, dass mir das Rad nicht geraubt wurde. Ich hatte geringfügige Abschürfungen an der rechten Hand und am rechten Knie. Bei Kohlschmidts konnte ich mein Rad wiederherrichten und die Rückfahrt unbehelligt durchführen. Am 16. Mai Besprechung mit den Direktoren von Polte. Das Werk ist in den Händen der Amerikaner. Es darf – außer 15 Mann Küchenpersonal – niemand hinein. Im Werk sind deutsche Kriegsgefangene untergebracht, die leider dort schlimm hausen. Die Versuche, das Werk wieder in Gang zu setzen, sind bisher ohne Erfolg geblieben. Nach den erlassenen Gesetzen unterliegt das ganze Werk der Beschlagnahme, weil Hans Nathusius verhaftet und bestraft ist. Eine förmliche Beschlagnahme ist aber bisher nicht ausgesprochen. Am 17. Mai lag die Pontonbrücke still und unbenutzt da. Ein Soldat – anscheinend Amerikaner – ging durch unseren Garten in die Garage. Herr Hermecke ist mit einem Floß aus Cracau über die Elbe gekommen. Er berichtet schlimme Dinge aus dem russisch besetzten Gebiet. Bisher angeblich 14 Selbstmorde in der Cracauer Kolonie. Als wir abends auf der Terrasse saßen, hörten wir zum ersten Mal wieder das Geräusch eines fahrenden Zuges, der sich zwischen Magdeburg und Buckau bewegte. Auch aus Braunschweig ist ein Zug mit russischen Kriegsgefangenen angekommen. Deutsche Kriegsgefangene sind in Schönebeck in der Radiatorenfabrik. Über das endgültige Schicksal von Magdeburg ist noch nichts bekannt. Bald weiß man ganz bestimmt, dass in zwei Wochen die Russen ganz Magdeburg und noch dazu einen Brückenkopf besetzen werden, bald heißt es mit ebenso großer Gewissheit, dass die Russen bei Loburg und anderweitig schanzen und sich über eine Freizone zurückziehen. Es wird auch erzählt, dass die Amerikaner Munition stapeln und dass bei Torgau schon Krieg zwischen Russland und USA sei. Wir gewöhnen uns daran, auf solche Gerüchte nichts zu geben. Das Pfingstfest am 20. und 21. Mai verlebten wir ruhig. Am 20. Mai versuchten wir eine neue Unterhaltung über die Elbe mit Familie Thron, leider vergeblich, weil die Russen am Donnerstag vorher solche Gespräche untersagt hatten. Unser Haus ist übrigens nicht von einem amerikanischen, sondern von einem russischen Posten besetzt. Am 21. Mai waren wir mit den Rädern in Schönebeck. Bei dieser Gelegenheit stellte es sich heraus, dass ich unwissentlich beinahe zum Kohlenklauer geworden wäre – der Keller im Lorenzweg, den ich aufgebrochen hatte und in dem die Briketts schon zur Abfahrt bereitstanden, gehörten nicht den Familien Saling und Peters, sondern anderen Mietern. Am 23. Mai erhielten wir Nachricht von Prentzels. Margrit war mit einem Lastauto von Seehausen (Altmark) über Magdeburg nach Schönebeck gekommen, hatte uns in Magdeburg nicht finden können und dann Lotte in Schönebeck aufgesucht. Prentzels haben von Beese nach Seehausen übersiedeln müssen. Max Prentzel ist am 27. Mai, zwei Tage vor seiner Silberhochzeit, gefangen genommen worden. Prentzels haben nun fast alle ihre Möbel und Kleidungsstücke verloren. Auch Geld konnten sie auf ihre Sparbücher in Seehausen nicht erhalten. Lotte gab ihnen einige Kleidungsstücke und 200 Reichsmark. Am 24. Mai zog ein Teil der Amerikaner ab. Sie wurden durch Engländer ersetzt. Einige Häuser in unserer nächsten Nähe wurden von ihnen in Anspruch genommen. Durch unser Dach regnet es stark durch. Da der Dachdecker trotz mehrfacher Zusage nicht erscheint, beschäftigen wir uns zur Abwechslung damit, das Dach auszubessern, indem wir es vom Boden aus mit den vorhandenen Ziegeln behelfsmäßig zuhängen. Fräulein Söchting, Sekretärin von Alfred Nathusius, berichtet, Herr Nathusius sei mit seiner Frau und einer Tochter von Grüneberg (Nordbahn) abgefahren und angeblich auf der Flucht erschossen. In seinem Hause, das sie betreut, sind etwa zehn Personen einquartiert. Am 25. Mai hieß es, die Russen seien abgezogen. Wir waren daraufhin am 26. Mai wieder einmal an der Königsbrücke, mussten aber feststellen, dass die Russen nach wie vor da sind. Ein Kommando von etwa fünf Mann liegt in unserem Hause. Angeblich sollen die Russen nun bestimmt am 5. Juni das Ostufer räumen. Man erzählt sich aber, dass sie alles, was sie gebrauchen können, mitnehmen, auch Möbel. Im Polte-Werk ist ein Lager deutscher Kriegsgefangener eingerichtet. Sie werden sehr schlecht verpflegt und bitten über den Zaun hin um Brot und andere Lebensmittel. Frau Herrling fuhr heute im Auftrage der Hausgemeinschaft Duvigneaustraße 8 zu Polte und gab dort Lebensmittel und einen Blumenstrauß für die deutschen Kriegsgefangenen ab. Am Sonntag, 27. Mai, gegen Mitternacht traf Achim Zirkler in der Heimat ein. Er war im März bis zu seinem Ersatztruppenteil in der Nähe von Wien gekommen, aber bis zum Waffenstillstand nicht mehr eingesetzt, und hatte sich dann mit seinem Kameraden nach Westen gewandt. Bei Regensburg wurde er von den Amerikanern gefangen genommen, durch mehrere Lager geführt, schließlich entlassen und mit Kraftwagen von Nürnberg nach Magdeburg gebracht. Die Freude war bei Frau Zirkler groß. Am 28. Mai hatte ich Gelegenheit, den Ing. Jung zu sprechen, der vom Werder gekommen war. Die Russen hatten von ihm bei Androhung von Todesstrafe verlangt, er solle ihnen kurzfristig elektrisches Licht verschaffen. Da er das nicht konnte, ist er nachts durch die Elbe geschwommen und trotz Beschuss unverletzt herübergekommen. Nach seiner Schilderung sind die Zustände besonders in den kleinen Ortschaften wie Heyrothsberge, Biederitz, Möser, Hohenwarthe, sehr schlimm. In Friedrichstadt und Cracau, mit Ausnahme der am Rande liegenden Häuser, soll es besser sein. Noch günstiger auf dem Werder. Jung hat sich eine Zeitlang im Grundstück Heinrichshofen vor den Russen verborgen gehalten und ist von Frau Thron verpflegt worden. Auch bei Throns haben die Russen geplündert. In Cracau ist ein Gefreiter zum Bürgermeister ernannt. Er hat befohlen, dass russische Offiziere gegrüßt werden müssen. Zahlreiche deutsche Flüchtlinge sind in einem Lager zusammengefasst und warten darauf, über die Elbe kommen zu können. Die abziehenden kriegsgefangenen Russen müssen jenseits zu Fuß weitergehen und werfen dann alle entbehrlichen Sachen weg, die sie westlisch der Elbe zusammengeraubt haben. Diese werden dann auf Befehl der Russen von Frauen aus Cracau und Friedrichstadt zusammengeholt und verbrannt. Alle Männer von 17 - 65, Frauen von 17 - 45 müssen arbeiten. Techniker, Ingenieure, Facharbeiter jeder Art werden nach Osten abtransportiert. Die Verpflegung ist schlecht: 700 g Brot u. etwas Pferdefleisch in der Woche. Über die lange Brücke darf man nur mit besonderer Genehmigung gehen. Am 29. Mai hieß es, die Russen seien im Abzuge. Leider mussten wir uns vom Gegenteil überzeugen. In unserem Hause liegt nach wie vor eine Brückenwache von 8 - 10 Mann. Neben der Strombrücke wird eine feste Behelfsbrücke gebaut, die anscheinend schon weit fortgeschritten ist. In diesen Tagen machen mir verschiedene verhaftete Fabrikdirektoren, deren Verteidigung ich übernommen habe, sehr zu schaffen. Mehrere Autofahrten nach Schönebeck zu Besprechungen wegen der beiden Direktoren des Junkerswerks, die beide in Haft sind, der eine weil er ohne Erlaubnis nach Ballenstedt gefahren ist, um seine Tochter vor einem angeblich unmittelbar bevorstehenden Einmarsch der Russen in Sicherheit zu bringen, der andere, weil er zu Unrecht beschuldigt ist, für das KZ Buchenwald tätig gewesen zu sein. Viel Arbeit verursacht mir auch Frau Goebbels, deren Mann, technischer Direktor einer Pappenfabrik in Westerhüsen, auf Grund falscher Anschuldigungen von Mitarbeitern verhaftet ist. Das Denunziantentum blüht. Die Amerikaner sind erstaunt über das Ausmaß der Anzeigen von Deutschen gegen Deutsche. Am 30. Mai wurde der frühere Gauleiter Jordan aufgegriffen u. im Hause Seldte, Humboldtstraße, festgesetzt. Er musste auf der Straße Benzin auffüllen und wurde dabei von englischen Soldaten vor der empörten Bevölkerung geschützt. Auch die Bitte eines ehemaligen deutschen Strafgefangenen, ihm nur drei Mal in den Hintern treten zu dürfen, wurde nicht erfüllt.
Rechtsanwalt und Notar Walter Friesecke geb.: 12.04.1886; gest.: März 1976 in Karlsruhe (einst wohnhaft in der Markgrafenstraße 1, 39114 Magdeburg); Walter Friesecke war verheiratet und hatte vier Söhne, von denen einer, Ernst Friesecke, im Krieg gefallen ist. In den 1950-er Jahren zog er aus Magdeburg nach Eisenberg in der Pfalz. Die Söhne Henning, Hans und Walter lebten mit ihren Familien bereits in der Schweiz und in Hamburg bzw. Kiel.
MAGDEBURG KOMPAKT Heft Nr. 87 | 1. Februar-Ausgabe 2017 (Text gekürzt und redaktionell bearbeitet; Der Text ist ein authentisches Zeitdokument und wurde von der Redaktion nicht inhaltlich verändert.)
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