Als in und um Magdeburg der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, damals vor 75 Jahren - wie war das eigentlich? Diese Frage konnte ich vor über fünfundzwanzig Jahren nur sehr ungenau und vor allem einseitig beeinflusst beantworten, denn ich erlebte die Zeit des schrecklichen Krieges und dessen Ende in der unmittelbaren Heimat nicht selbst. Erst fünf Jahre später erblickte ich das Licht der Welt, also in einer Zeit der Beseitigung der Kriegstrümmer. Bis 1989 vermittelten Magdeburger Geschichtsdarstellungen und Veröffentlichungen nur ein einseitig verzerrtes Bild, in dem nicht auf Details eingegangen wurde. Das lag wohl auch daran, dass militärische Quellen in den National Archives Washington D.C. und aus dem Militärarchiv der Russischen Förderation in Podolsk nicht zugänglich waren. Somit begann in den 1990er Jahren eine intensive Spurensuche. Nach und nach entstand eine umfangreiche Materialsammlung, die hier zu einer bisher einzigartigen Dokumentation mit dem Ziel zusammengefasst wird, eine möglichst realistische Darstellung des Kriegsendes im Frühjahr 1945 in und um Magdeburg in möglichst allen Facetten zu schildern. Dennoch bleibt auch diese Dokumentation nur ein Versuch, die Ereignisse chronologisch zu erfassen. Diese Arbeit basiert auf der Grundlage zahlreicher persönlicher Zeitzeugenberichte und Originalquellen amerikanischer Einheiten, ehemals geheimer amerikanischen Militärunterlagen der 2nd Armored Division und ihrer Regimenter, der 30th Infantry Division, der 83th Infantry Division, der 35th Infantry Division und der 102nd Infantry Division. Diese Dokumente waren lange unzugänglich. Weiterhin konnten auch neueste Veröffentlichungen über die 12. deutsche Armee Wenck und deren Divisionen in die Dokumentation einfließen. Und letztlich auch die nunmehr zugänglichen Kampfjournale aller Sowjeteinheiten vom 1. Mai 1945 bis 1946. Was aber empfanden die Menschen, als ihre Stadt von den Amerikanern und deutschen Einheiten beschossen wurde, und nach allen vorausgegangenen Luftangriffen und Zerstörungen; die sie erlebt und erlitten hatten. Dazu konnte manches nur aus den persönlichen Berichten der letzten Zeitzeugen, die als Kinder und Jugendliche diese Zeit erlebten, deutlich werden. Bisherige Veröffentlichungen berichteten kaum etwas oder nichts über ihre Gefühle und Erlebnisse. Fragen, warum große Industriestädte wie Magdeburg, Halle, Leipzig oder Bitterfeld und sogar Tangermünde zu Festungen erklärt wurden und sich trotz absehbaren Kriegsausgangs noch bis zur letzten Patrone verteidigen mussten, können heute sachlich beantwortet werden. Die Antworten dürfen jedoch nicht aus heutiger Sichtweise und Kenntnis erfolgen, sondern müssen entsprechend der damaligen Lage, Beeinflussung und Erziehung heraus begreifbar gemacht werden. Zudem gab es vor 75 Jahren noch rein militärische Zielstellungen, die nur zu verstehen sind, wenn man diese in die Überlegungen einbezieht, was wiederum entsprechende Kenntnisse erfordert. Dies war aber nie das Anliegen bisheriger Publikationen. Würde man den inzwischen allgemein benutzten Begriff “Die Stunde Null“ für Magdeburg verwenden, drängt sich die Frage auf, was die “Stunde Null“ für die Elbestadt war oder wann sie zeitlich anzusetzen ist? War es der 18. April 1945, als der größte Teil Magdeburgs – der Westteil bis zur Elbe – durch die US-Streitkräfte erobert und besetzt wurde? Oder der 5. Mai 1945, als Truppenteile der Roten Armee das Ostufer der Elbe erreichten und Brückfeld, Cracau und Prester besetzten, wobei es nicht mehr zu Kampfhandlungen kam? Ebenso der 7. Mai, als Generaloberst Jodl in Reims vor den westlichen Alliierten kapitulierte? Und war es der 8. Mai 1945, als Generalfeldmarschall Keitel in Berlin-Karlshorst die Kapitulationsurkunde vor Marschall Schukow unterzeichnete? Dieser 8. Mai 1945 ging als Tag der Befreiung in die Geschichte ein. Für Magdeburg war auch dies nicht ganz zutreffend. Oft wird der Begriff “Stunde Null“ symbolisch für die Zeit des schweren Anfangs, der Enttrümmerung und für den Beginn des Wiederaufbaus in Anwendung gebracht. Im Sinn der der Worte ist auch das nicht korrekt. Die sprichwörtliche “Stunde Null“ vollzog sich im Frühjahr 1945 im kurzen Zeitraum zwischen den verheerenden Luftangriffen und schicksalsschweren Stunden in der Elbestadt und den Gemeinden der Elbaue, der Börde, den ostelbischen Gebieten, im Ohrekreis und dem Südraum Magdeburgs und dem Beginn der Wieder- und Neuaufbaus. Das Ende des schrecklichen Krieges vollzog sich mitten in unserer unmittelbaren Heimat. Das erlebte nicht nur die Magdeburger Bevölkerung, sondern auch viele tausende Flüchtlinge aus den Ostgebieten und Evakuierte, die in diesen Wochen vor der heranrückenden Roten Armee auf der Flucht waren. Hinzu kamen zigtausende ehemalige KZ-Häftlinge, alliierte Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die ihre Freiheit erlangten. Die Todesmärsche durch unsere Heimat bleiben in dieser Dokumentation nicht unbeachtet, doch ihre Darstellung ist kompliziert. Die meisten der damals aktiven Zeitzeugen sind bereits verstorben. Vieles konnte nur noch aus dem Langzeitgedächtnis der damals Jugendlichen rekonstruiert werden. Dennoch bewahrheitete sich, dass gerade bei den heute über 80jährigen das eingebrannte eigene Erleben im Langzeitgedächtnis fest verankert ist und Erlebnisse lebendig abrufbar sind. Doch auch viele Zusammenhänge sind in den vergangenen 75 Jahren oftmals verloren gegangen. Manches ist heute kaum noch nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass in den Wirren der letzten Kriegstage viele Dokumente verloren gegangen sind oder in der Nachkriegszeit vernichtet wurden. Zu DDR-Zeiten waren Darstellungen einseitig darauf ausgerichtet, das Kriegsende in und um Magdeburg als Befreiungstat der Sowjetarmee darzustellen. Dieses Bild sollte vor allem heroisch sein und keine Schatten werfen. Bei der Behandlung des Themas zeigte sich, dass das Kriegsende 1945 in Magdeburg oft mit menschlichen Tragödien verbunden war. Wenige Tage vor dem Ende des grausamen Krieges mussten die Menschen in und um Magdeburg die Not und das Elend des Krieges selbst hautnah erleben. Der Krieg war in die unmittelbare Heimat zurückgekehrt. Nur schwer lassen sich die Ängste und Demütigungen beschreiben. Hier kämpften vorwiegend Soldaten, die durch den allgegenwärtigen Tod verroht oder abgestumpft waren. Menschliche Gefühle waren durch ideologischen Hass und erlebte Verbrechen verkümmert. Von oftmals unsinnigen Befehlen in den Tod getrieben, starben auf beiden Seiten der Fronten noch in letzter Stunde Soldaten, aber ebenso Kinder und Jugendliche, die für “Führer, Volk und Vaterland“ in den Volkssturm gepresst wurden. Nicht wenige mussten das Sterben unschuldiger Menschen mit ansehen, viele wurden noch Zeugen unmenschlichen Verhaltens. Obwohl inzwischen 75 Jahre vergangen sind, erlebten wir bis in die jüngste Vergangenheit die Nachwirkungen des Dritten Reiches und des 2. Weltkriegs. Manche Zeitgenossen argumentieren, dass alles so lange vorüber und damit Vergangenheit ist. Besonders Kluge sprechen sogar vom “Fliegenschiss“ in der Geschichte. Ohne das Damals hätte es aber in Deutschland keine Besatzungszonen gegeben, keine jahrzehntelange deutsche Zweistaatlichkeit und auch keine Mauer, keinen Mauerfall und auch keine Wiedervereinigung. Und ebenso manches, was bis heute in den neuen Bundesländern an Problemen aktuell ist.
Ich möchte an dieser Stelle auch allen danken, die am Gelingen dieser Arbeit beteiligt waren. So ist eine wirkliche Gemeinschaftsarbeit entstanden, die ohne das uneigennützige Zusammenwirken vieler heimatgeschichtlich interessierter Menschen nicht zu meistern gewesen wäre. Mein besonderer Dank gilt dem leider verstorbenen Peter Wittig aus Dresden, einen ehemaligen Magdeburger und Zeitzeuge, der völlig uneigennützig die fachliche Übersetzung vieler amerikanischer Militärunterlagen übernahm. Er selbst veröffentlichte eine wertvolle Dokumentation über die Elbe-Operation zum Kriegsende im Raum Schönebeck- Barby in mehreren Auflagen. Zahlreiche Ortschronisten aus Burg, Gommern, Genthin, Parchau, aus der Altmark, aus Dodendorf, Wolmirstedt, Rogätz, Barleben und vielen anderen Orten der Umgebung stellten mir ihre Dokumente, Bildarchive, Aufzeichnungen und ihr Wissen zur Verfügung. Ihnen gilt mein Dank. Ich möchte Günter Adlung aus Magdeburg und Ulrich Koch aus Berlin für ihre steten Hilfen und Beratungen danken. Ebenso Ulrich Oertel aus Salzgitter für die Beschaffung amerikanischer Berichte aus der Eisenhower Library und Christian Pappenberg für die zahlreichen Übersetzungen der sowjetischen Kampfjournale. Zahlreichen Mitgliedern der Fachgruppe Militär- und Garnisonsgeschichte Magdeburg und des dazugehörigen Forums sei gleichfalls für Übersetzungen gedankt. Mein Dank gilt ebenso den Bürgern, die durch ihre Beiträge in Zeitungen, Zeitschriften und anderen Veröffentlichungen mitgeholfen haben, das historische Bild zu entwickeln und damit das Erlebte dem kollektiven Vergessen zu entreißen. Ich möchte auch denen danken, die mir immer wieder Mut machten, weiter an dieser komplizierten Forschung zu arbeiten. Ein weiterer besonderer Dank gebührt Herrn Herbert Rasenberger. Durch seine persönliche Verbindung zum ehemaligen amerikanischen Verbindungsoffizier 1st Lt. Frank W. Towers, der im April 1945 im 120th. Infantry Regiment der 30th Infantry Division in und bei Magdeburg war, konnten wertvolle militärische Unterlagen nach Magdeburg geholt werden. Frank W. Towers besuchte im April 2005 Magdeburg zum 60. Jahrestag des Kriegsendes und der Befreiung vom Hitlerfaschismus. Bei den durch Frank W. Towers zur Verfügung gestellten Unterlagen handelt es sich um amerikanische Regiments- und Divisions-Historys und After Action Reports einzelner Regimenter und Kampfeinheiten der Divisionen und der 9th US-Army. Von besonderem Wert waren auch die US-Kartenmaterialien und Fotodokumente. Durch die Entschlüsselung der Code-Namen in Verbindung mit den Koordinatenangaben aller agierenden Einheiten konnten viele Aktionen in und um Magdeburg mit Hilfe des US-Kartenmaterials erstmals im Minutentakt auf den Meter genau ermittelt und dargestellt werden. Weiterhin möchte ich an dieser Stelle dem Kulturhistorischen Museum Magdeburg und dem Kampfmittelbeseitigungsdienst im Technischen Polizeiamt Sachsen-Anhalt für die zur Verfügung gestellten alliierten Luftbilder und Hilfestellungen danken. Mit diesen und direkt aus dem National Archives Washington D.C. stammenden Luftbildern war schließlich eine exakte Luftbildauswertung möglich, was u. a. zur Abgleichung von Koordinatenangaben der Berichte mit denen auf den Luftbildern führte – somit war eine exakte Ortung von Straßensperren möglich. Nochmals mein Dank an alle, die mir Rat, Unterstützung und Hilfe gegeben haben.
Helmut Menzel
Erscheint im Frühjahr 2020 mit ca 600 Seiten , A4. In der ersten Hälfte die Aktionen der US-Truppen und in der zweiten Hälfte die der Sowjeteinheiten. Jeweils werden die hiesigen Zeitzeugenberichte hinzugefügt. Kartenskizzen und Fotos ergänzen alles.
Tolle Leistung Helmut, ich bin schon super gespannt auf das Buch, von dem ich auf jeden Fall ein Exemplar bei mir zu Hause haben möchte. Bis 2020 ist noch sooo lang hin
Wie schon bei dir angesprochen, ein Exemplar als Reservierung bitte vormerken! Das sah alles schon sehr gut auf deinen Rechner was Du mir gezeigt hast!😊