Ich kenne dieses Büchlein auch. Es handelt sich sicherlich um ein Auftragswerk der damaligen Machthaber. Insofern ein Zeitdokument. Nicht wegen der Zahlen, die kennen wir heute besser, sondern wegen der Sichtweise. Ganz klar welche Geschichte damals erzählt werden sollte.
#307 diesen Bericht kannte ich bisher nicht wie vieles für uns und auch persönlich für mich unbekannt war, weil diese Thematik die wir heute krampfhaft versuchen versuchen der Öffentlichkeit Nahe zu bringen.
Entgegen Helmuts Rat habe ich mich doch nochmal etwas tiefer in dem Misionsbericht der 458th Bombardment Group vom 16. Januar 1945 vergraben. Er ergibt meines Erachtens ein recht rundes, wenn auch noch nicht vollständiges Bild des Tagesangriffs vom 16. Januar:
Der Angriff war eingebettet in eine Mission mit den Zielen Ruhland, Alt Lonnewitz und Brabag Rothensee. Sekundärziele waren der Dresdner Rangierbahnhof sowie die Industrieanlagen von Krupp-Gruson und Schäffer&Budenberg in Magdeburg.
Die Brabag sollte von der 458th Bombardment Group im 96th Combat Wing sowie von der 389th, 445th und 453rd Bombardment Group, die den 2nd Combat Wing bildete, angeflogen werden. Dabei bestand jede BG aus ca. 30 B-24 Liberator, die sich auf drei Squadrons aufteilte. Magdeburg wurde also an diesem Tag von zwei Verbänden angeflogen, einem größeren aus drei BGs mit etwa 90 Flugzeugen und wenige Minuten dahinter von der einzelnen 458th BG mit 29 Flugzeugen.
Nachdem über dem Primärziel Brabag eine nahezu geschlossene Bewölkung gemeldet wurde, schwenkten die Verbände auf das Sekundärziel Krupp/Schäffer&Budenberg um. Aufgrund der starken Bewölkung wurde das Ziel nicht visuell, sondern „blind“ mittels des an Bord befindlichen Radargerätes H2X (Spitzname „Mickey“) angeflogen. Der größere Verband des 2nd Combat Wing flog aus westlicher und nordwestlicher Richtung als erster das Ziel an und warf zwischen 11:43 und 11:45 seine Bomben aus einer Höhe zwischen 6.700 und 7.300 Metern ab. Die Zielgenauigkeit wurde hinterher in einer Missionsliste der 389th mit „alle drei Squadrons schlecht“ angegeben. Die 445th bewertete ihre Treffergenauigkeit auf dieser Mission als „good“. Für die 453rd habe ich bisher keine Angaben zu dieser Mission gefunden.
Eine Minute später, um 11:46, erreicht der zweite Verband mit den 29 Liberators der 458th das Zielgebiet. Der Ablauf ist hier anhand des Mission Reports vergleichsweise detailliert dokumentiert. Die drei Squadrons der Gruppe flogen hintereinander aus nordwestlicher Richtung das Ziel an. Während des Anflugs erhielt eine Maschine einen schweren Flaktreffer, konnte sich aber später bis auf Alliiertes Gebiet retten. Der Radarnavigator sagte beim Debriefing, dass das Sekundärziel Krupp mit dem Radar wesentlich schwerer mit auszumachen war als das Primärziel Brabag in Rothensee. Der radargeleitete Zielanflug lag dadurch rechts ab vom Ziel. Erst in letzter Sekunde konnte der Bombardier des Lead Squadron visuell einen Kontrollpunkt auf der gefrorenen Elbe ausmachen und korrigierte daraufhin den Zielanflug um 12 Grad nach links. Dennoch landeten nur 20% der abgeworfenen Bomben innerhalb eines 600 Meter-Radius um das Ziel. Das dahinter fliegende Low Left Sqadron konnte dieser späten Kurskorrektur noch folgen und erreichte sogar eine höhere Trefferquote von 80%. Das dritte „High Right“ Squadron folgte jedoch weiter dem Radarzielanflug und warf seine Bomben „rechts vom Zielpunkt“ ab. Gut möglich (aber ohne ähnlich detaillierte Berichte zu den Abwürfen des ersten Verbandes unmöglich mit Sicherheit zu sagen), dass diese Fehlwürfe jene waren, die an diesem Tag in der Planetensiedlung und auf der Salbker Chaussee einschlugen.
Somit ergibt sich aus dem Mission Report dieser mögliche (dreimal fett unterstrichen!) Ablauf:
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Die auf Luftbildern erkennbaren etwa 80 Krater in diesem Bereich entsprechen jedenfalls ungefähr der Menge an Bomben, die ein Squadron aus 8-10 Flugzeugen abwarf:
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Das Sterberegister der Gemeinde Groß Ottersleben notiert für den 16.01. insgesamt 32 Tote, die um 11 Uhr 46 „bei einem feindlichen Luftangriff gefallen“ sind. 21 von ihnen waren Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeiter, überwiegend aus der UdSSR sowie aus Frankreich, Italien, Belgien und Polen. Mindestens vier waren Bewohner der „Siedlung Lindenhof“, heute Planetensiedlung. In Buckau und Fermersleben dürfte es weitaus mehr Todesopfer gegeben haben, allerdings sind in den Sterbebüchern der jeweiligen Standesämter nur wenige Tode genau diesem Angriff zugeordnet, bei vielen ist der Todeszeitpunkt als "unbekannt" vermerkt.
Der später angefertigte und auf Basis von Luftaufklärung erstellte Schadensbericht ordnet dem Angriff darüber hinaus folgende Treffer zu:
- Krupp-Gruson-Werk (Ziel) - Bebautes Gebiet nordwestlich Werk „Otto Gruson&Co.“ - Bebautes Gebiet 0,6 - 1 Kilometer nord-nordöstlich des Ziels - Filteranlage des Buckauer Wasserwerks - Rangierbahnhof Südost - Maschinenfabrik R.Wolf AG - Wohnbebauung und Eisenbahnlinie 2,3 Kilometer südöstlich des Ziels - „Offenes Feld“ 2 km südwestlich des Ziels (Damit könnte die Siedlung Lindenhof gemeint sein) - Drei Treffer auf dem Flugplatz Magdeburg Süd - Im Nordwesten von Magdeburg, drei Meilen nordwestlich des Ziels
Ich zweifle noch ein wenig, dass alle dort gelisteten Treffer auf diesen einen Angriff zurückgehen, dafür liegen sie teils doch sehr verstreut.