Die Einnebelung des Industriegeländes Rothensee von der Ostseite der Elbe
ermittelt, von Helmut Menzel
Über die Einnebelung der Magdeburger Industriegebiete 1943 bis 1945 gibt es keinerlei Unterlagen in den Magdeburger Archiven. Aber im Archiv der US- Air Force konnten einige Luftbilder ausfindig gemacht werden, die während der Bombardierungen aufgenommen wurden. Sie dienten der 8. Bomberdivision der Auswertung. Im Regelfall war diese Tarnung zwar in der Theorie gut durchdacht, aber in der Praxis zeigte sich oft, dass die Bomber ihre zerstörerischen Ladungen präzise ins Zielobjekt (z B. BRABAG) geworfen hatten, bevor sich eine weiträumige geschlossene dichte Nebeldecke gebildet hatte. Woran lag das? Dazu muss man wissen, dass die Einnebelung erst nach den entsprechenden Luftlagemeldungen erfolgte. Erst wenn feststand, dass am Tage eine Bomberformation Kurs auf Magdeburg nahm, wurden die Hilfskräfte mobilisiert, die Nebelfässer mit den Zerstäubern zu öffnen. Das waren meist ältere Männer und russische oder polnische Kriegsgefangene. Die austretende Nebelsäure war sehr gefährlich. Diese Männer mussten besondere säurefeste Schutzkleidung tragen (das traf aber nur für die zivilen Hilfskräfte zu, selten für die diensttuhenden Kriegsgefangenen). Viele der Hilfskräfte litten unter schweren Verätzungen und anderer Erkrankungen. Selbst der Acker war im Umkreis auf sehr lange Zeit verseucht und unbrauchbar. Die Einnebelung erfolgte je nach Windrichtung, von Osten, Norden oder aus Westen. Um eine dichte Nebeldecke zu erreichen benötigte man eine lange Vorlaufzeit. Außerdem war eine gewisse Luftfeuchtigkeit erforderlich. So hatte man von der Alarmierung der Nebelkräfte bis zum Eintreffen der Bomber nur wenig Zeit. Die Tarnung der Industriegebiete war deshalb ein riesiges logistisches Problem, denn die Nebelfässer standen an Wegeführungen und entlang des Elbufers, wie eine Perlenschur aufgereiht. Im Gegensatz zu den Sperrballonstationen, die ständig besetzt waren, meist von Luftwaffenhelferinnen – sie bestanden oft aus eingezäunten kleinen Bereichen (Ballongärten genannt) mit Bunkern oder Unterständen und Unterkunftsbaracke – waren die Nebelfasspositionen in etwa gleichen Abständen unbesetzt. Sie besaßen keinerlei Unterstände. Das Hilfspersonal, zumal meist aus den Kriegsgefangenenkompanien, wurde bei Voralarm erst herangebracht. Das heißt, sie wurden aus den Barackenlagern mit Fahrzeugen transportiert und an den entsprechenden Abschnitten verteilt. Eine einzelne Hilfskraft bediente in der Regel 5 bis zehn Nebelfässer. Auf die Streckenverläufe der Nebelfässer berechnet, müssen östlich der Elbe, zwischen Hohenwarthe, Lostau, Gerwisch und Biederitz- Herrenkrug, mindestens 50 Personen tätig gewesen sein. Der Abstand der einzelnen Nebelfässer sollte eigentlich 80 bis 100 Meter betragen. Das war aber abhängig von den Geländegegebenheiten und vom Bestand. Oft waren die Abstände größer. All das erforderte eine Vorhaltezeit von mindesten einer Stunde, bis zum öffnen der Ventile. Bis sich der Nebel entfalten konnte brauchte es noch wesentlich mehr Zeit. Diese Zeit reichte aber oft genug nicht aus. Das belegen uns die Luftbilder, die während der Bombardements aufgenommen wurden. Wo befanden sich nun die Nebelfässer auf ostelbischer Seite? Diese Frage können nur die entsprechenden Luftbilder beantworten. Selbst Zeitzeugen könnten nur die bestimmen, an denen sie agierten. Aber solche Zeitzeugen ließen sich nach 65 Jahren nicht mehr finden. Auf westlicher Seite der Elbe standen zur Einnebelung solche Fässer auf der Deichkrone östlich Glindenberg bis zum Elbabstiegkanal (die noch westlicher gelegenen Nebelreihen werden in dieser Betrachtung nicht berücksichtigt) und weiter nach Süden, östlich der Industriehafenanlagen bis zur Schleuse. Auf der Ostseite der Elbe standen sie auf dem Elbdeich nördlich Hohenwarthe, bis an den Ort heran. Sie sollten hier, im Zusammenwirken mit der Glindenberger Linie, das Schiffshebewerk einnebeln. Westlich der Straße von Hohenwarthe – Lostau reihten sich weitere Nebelfässer auf, bis diese Straße nach Osten, Richtung Heilstätte abknickte. Von dieser Stelle aus nahm die Kette auf der Deichkrone ihren Lauf, an Lostau / Alt Lostau vorbei, bis nach Gerwisch, die MUNA westlich lassend, um auch diese Munitionslager im Bedarfsfall einzunebeln. Bei der MUNA gabelte sich die Kette und reichte bis zum nördlichen Ortseingang von Gerwisch. Auch südlich der MUNA zweigte sich eine Kette Nebelfässer, am Wege bis zum Zuwachs – Alte Elbe, ab. Sie führte um den Zuwachs herum und schließlich bis an die Nordkante des Biederitzer Busches. Von der Alten Ziegelei / Alt Lostau, entlang der Elbe, verlief eine weitere Nebelkette, bis zum Herrenkrug. Auch hier verzweigte sich die Kette vom südwestlichen Ende des Zuwachses, auf einer zweiten Wegführung an der Elbe, bis zur Nordostecke des Herrenkrugs. Im Bereich des Weinberges, wie bereits erwähnt, standen Nebelfässer an der Straße Hohenwarthe – Lostau, von der Autobahn bis zum Übergang auf den Deich. Wenn diese Fässer geöffnet wurden, dann war die Flakbatterie direkt eingenebelt (siehe Luftbild). Wie hätte in diesem Falle die Flak dort ein Feuergefecht führen können? Das Foto vom 16. August 1944 beweist somit, dass sich die Luftverteidigungsmaßnahmen auch gegenseitig behinderten. Unbeachtet der der ausnahmsweise geschlossenen Nebeldecke, über dem Industriegelände Rothensee, setzten die amerikanischen Zielmarkierer exakt ihre rote Rauchmarkierung (im Bild schwarz), mittels Radar, über der BRABAG ab. Somit war die Einnebelung der Rüstungsindustrieobjekte stets ein verzweifelter Versuch, der nur selten Erfolg hatte. Welche Erfolge die schwere Flak verzeichnen konnte lässt sich leicht an den wenigen aufgemalten Ringen an den Geschützrohren erkennen. Die auf Flughöhe eingestellten Granatzünder sollten durch Splitterwirkung Feindflieger beschädigen und so zum Absturz bringen. Selten gelang es einen Ring durch Direkttreffer zu erringen. Übrigens war auch der Versuch, Tiefflieger mittels Sperrballons, die mit Fangnetzen verspannt waren, von den Industrieobjekten fern zu halten, ein ziemlich wirkungsloses Unterfangen, denn nur die amerikanischen Fliegerkräfte griffen Industrieanlagen und Verkehrsknotenpunkte am Tage, aus sehr großer Höhe, an. Nicht ein einziger Fall konnte bis heute ermittelt werden, der von einem Tieffliegerangriff geprägt war. Auch Luftwaffenhelfer der leichten Flak, die ausschließlich Industrieobjekte gegen Tiefflieger zu schützen hatten, erlebten solche Angriffe nicht, oder äußerst selten – zum Glück für die jugendlichen Flakhelfer. Allerdings berichteten ehemalige Luftwaffenhelfer, die in der leichten 3,7 cm Flakstellung der Steinkopfinsel, am Kopfende, in Gefechtsbereitschaft standen, um Haaresbreite durch gezielten Bombenwurf ums Leben gekommen währen. Das war während eines Angriffes auf die BRABAG 1944, als einige Bomber, die über Gerwisch und Lostau Richtung Westen flogen. Die Bombenkette schlug östlich der Elbe, in die Elbe, auf die Elbwiesen östlich des Kanals und in die Flakstellung ein. Das Trefferbild zeigt, dass die Geschützstände und Munitionsbunker wie ein Wunder nicht getroffen wurden. Alle Bomben schlugen in die Zwischenräume ein. Niemand kam zu Schaden. Das Beben des Dammes steckte den Jungs aber nachhaltig in den Knochen. Zu diesen Flakhelfern der Stellung Steinkopfinsel gehörte auch der junge Rolf Herricht, der spätere Schauspieler und Unterhaltungskünstler.
Quelle: Luftbild der US Air Force vom 16. 8. 1944, Nationalarchiv Washington.
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Hallo Magado, wiedermal ein sehr kenntnisreicher Beitrag zum Einnebeln, Deutscherseits nicht schlecht in der Theorie angedacht, aber in der Ausführung mangelhaft, wie Du nachgewiesen hast. Wahrscheinlich mehr als moralische Unterstützung gedacht. Genauso wie das Explodieren von Flakgranaten. Die Splitterwirkung sollte es richten. Wäre das verbaute Material für die Flak und die dazu benötigte Munition in Flak-Raketen bzw. Abfangjäger gesteckt worden, hätte es höhere Verluste für die Allierten gegeben... Aber dann kommt die Fahrradkette MfG Rüdiger
Zitat von MAGADO-2 im Beitrag #10Allerdings berichteten ehemalige Luftwaffenhelfer, die in der leichten 3,7 cm Flakstellung der Steinkopfinsel, am Kopfende, in Gefechtsbereitschaft standen, um Haaresbreite durch gezielten Bombenwurf ums Leben gekommen währen. Das war während eines Angriffes auf die BRABAG 1944, als einige Bomber, die über Gerwisch und Lostau Richtung Westen flogen. Die Bombenkette schlug östlich der Elbe, in die Elbe, auf die Elbwiesen östlich des Kanals und in die Flakstellung ein. Das Trefferbild zeigt, dass die Geschützstände und Munitionsbunker wie ein Wunder nicht getroffen wurden. Alle Bomben schlugen in die Zwischenräume ein. Niemand kam zu Schaden. Das Beben des Dammes steckte den Jungs aber nachhaltig in den Knochen.