Zuerst trafen wir auf den Flieger, dessen Fallschirm sich nicht geöffnet hatte. Er lag auf dem Feldweg neben der Stellung in seltsam breiter Form, einige Zentimeter in den harten Boden eingedrückt. Sein noch mit einem Helm bekleideter Kopf zeigte eine unnormale ovale Form und die Fliegen saßen schon auf seinem Gesicht. Wir mussten ihn umdrehen, um seine Papiere sicherzustellen. Dabei ließen wir aber auch seine Zigaretten und den Kaugummi mitgehen, die er in den Taschen hatte, es war unsere erste Kriegsbeute. Ich muss sagen, es war mir recht mulmig. In das anfängliche Triumphgefühl mischte sich nun doch eine gewisse Beklommenheit. Er war der erste Tote, den ich im Kriege sah und ich war daran nicht unbeteiligt. Ich stellte mir vor, dass ich hätte das sein können und mir wurde richtig übel bei diesem Gedanken. Die nächste Etappe war weitaus schlimmer. Wir fanden das Heckteil mit den beiden überschweren Maschinengewehren, die von zwei Mann bedient wurden. Beide saßen noch an ihrem Platz, aber der Anblick war furchtbar. Die Explosionsstichflamme hatte die Oberkörper beider Männer bis auf das Skelett verbrannt und Unterleib und Beine waren fast unversehrt, nur dass die Eingeweide offen lagen. Wir mussten mit bloßen Händen versuchen, die Leichen zu bergen. So erforderte es die Vorschrift und die war nun mal bei Preußen heilig. Unser Glück war aber, dass hier die Hitze noch so stark war, dass wir es nach einigen versuchen aufgeben mussten. Das taten dann nachmittags andere für uns. Ich habe sie nicht beneidet. Nachdem die mehr als unangenehme Prozedur beendet war, gingen wir zur Batterie zurück, um uns erst einmal gründlich zu waschen und die „Beute“ aufzuteilen. An diesem Tage rauchte ich die erste Zigarette in meinem Leben -es war eine amerikanische „Camel“. Ich kann nicht sagen, dass sie besonders gut schmeckte, aber es war sehr männlich- so glaubten wir jedenfalls. Unser Spieß hatte in der Zwischenzeit die drei gefangenen Amerikaner zum Flugplatz Ost an der Berliner Chaussee zu bringen. Dazu musste er zu Fiß durch die ganze Stadt, denn man schickte uns kein Auto. Das war sicher Absicht, denn es gab einige Male Schwierigkeiten mit der aufgeputschten Bevölkerung, wie unser Spieß nach seiner Rückkehr berichtete. Er musste sogar einmal mit der Waffe drohen, um sich den weg frei zu machen. Doch hatte er noch Glück, denn in der Nähe des Neustädter Bahnhofs nahm ihn ein Wehrmachtsfahrzeug auf und brachte ihn zum Flugplatz Ost. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn er den ganzen weg hätte zu Fuß machen müssen Dann ging es zum Essen. Ich muss gestehen, dass ich es mir trotz der bedrückenden Bilder schmecken ließ. Es war eben Krieg. Nachmittags, als die Eltern und Freundinnen kamen, ließen wir uns dann als Helden feiern. Meine Eltern sahen darin allerdings kein Heldentum und ich war ein bisschen enttäuscht. Übrigens haben wir später noch allerhand Unfug mit der gefundenen Munition getrieben. So wurden die Geschosse entfernt, um das Pulver der Treibladung zu bekommen. Wir haben sogar versucht, die Leuchtspurmunition anzuzünden und das Geschoß dabei in der Hand gehalten -aber nur einmal, denn es klappte auf Anhieb. Und es wurde teuflisch heiß. Wie heiß es wurde, wird daran ersichtlich, dass eines der Geschosse, das wir auf die Fensterbank gelegt hatten, dort ein tiefes Brandloch hinterließ. Man sieht, wir waren trotz unseres sonstigen martialischen Auftretens im Grunde genommen immer noch richtige Kinder. Weitere Angriffe auf die Brabag erfolgten am 20. und am 29.Juni1944. Aber den Erfolg vom 28.Mai konnten wir nicht wiederholen. Für die nun sich ständig steigernden Angriffe erwiesen sich die Luftverteidigungsstruktur im Norden Magdeburgs als unzureichend. So wurde das gesamte Luftverteidigungssystem im Sommer1944 umstrukturiert. Für unsere Batterie sah das so aus, dass sie erst einmal nach Stolpmünde auf den Flakschießplatz verlegt wurde zur Vertiefung der Ausbildung, vor allem zur Bekämpfung von Tieffliegern. Dazu mussten die Geschütze aus ihren Deckungen herausgezogen und auf Waggons verladen werden, desgleichen unsere anderen Geräte, denn wenn die Ausbildung Erfolg haben sollte, konnte sie nur mit der Bewaffnung und dem Gerät erfolgen, mit der man auch sonst im Gefecht stand. Danach wurde unsere Batterie nach Wolmirstedt verlegt. Hier entstand eine Großbatterie, die sich aus vier Geschützen 12.8-Batterien cm-Eisenbahnflak, einer Batterie von sechs Geschützen Kaliber 10,5cm, sowie zwei Batterien von je sechs Geschützen vom Kaliber 8,8cm zusammensetzten. Das war eine gewaltige Feuerkraft. Ich wurde Gott sei Dank von den vielen arbeiten, die mit dieser Umstrukturierung verbunden waren, weitgehend verschont, denn ich bekam zu der Zeit meinen Jahresurlaub. Es war der Juli 1944. Mein Urlaubsschein enthielt auch eine Zivilerlaubnis. Leider konnte ich sie nicht wahrnehmen, denn ich fiel zwei Tage vor Urlaubsantritt unserem Reincke in die Hände. Der hatte gerade Besuch von seiner hübschen Frau, die wir Jungen alle heimlich verehrten. Wegen irgendeiner Kleinigkeit musste ich mich bei ihm in seinem Bunker melden. Dort saß er mit seiner Frau, was ich ausnehmend angenehm empfand. Doch etwas schien ihm an meinem Haarschnitt zu stören. Nun muss ich hier einfügen, dass ich immer eine militärisch kurze Frisur bevorzugt habe, eine „Mähne“, wie sie manche in meinem Alter trugen, konnte ich ohnehin nicht leiden. „Grigoleit, ab zum Friseur! Sie melden sich in zehn Minuten mit einem anständigen Haarschnitt zurück!“ Da hatte ich nun keine Sorge, denn was wollte er schon abschneiden. Unser Batteriefriseur sah das auch so und schickte mich zurück. Als ich wieder erschien, rastete Reinecke beinahe aus. Vielleicht wollte er seiner Frau einmal seine Macht über uns demonstrieren oder was weiß ich, jedenfalls begleitete er mich selbst zum Friseur und gab Anweisung, wie er zu schneiden hätte. Danach hätte ich mich wieder bei ihm zu melden, ließ er noch verlauten und verschwand wieder zu seiner Frau. Nach Abschluss der Prozedur konnte ich mich selbst nicht mehr sehen. Ein Irokese mit seiner Skalplocke sah attraktiver aus als ich. Als ich bei Reincke anrückte, fingen beide an zu lachen und ich konnte abtreten, allerdings zutiefst gedemütigt. Das habe ich ihm nie vergessen. Als mein Freund Reincke in den ersten Wochen nach dem Kriege als Polizist auf der Halberstädter Straße überraschend wieder traf, habe ich seine ausgestreckte Hand geflissentlich übersehen. Die vielen Schikanen und Schleiferein habe ich ihm nicht nachgetragen, das war „bei Preußens“ nun einmal so üblich, aber diese sinnlose Demütigung konnte ich ihm nicht verzeihen. Unter diesen Umständen war es mir völlig unmöglich, im Urlaub Zivilsachen anzuziehen. Ich trug also tapfer meine Uniform mit Mütze, obgleich schon der Juli sehr heiß war. Das war mir andererseits aber auch wieder ganz lieb, denn ein tapferer Krieger rennt nun einmal nicht in Zivil herum, wenn er ein Mädchen beeindrucken will. Und gerade das wollte ich in diesem Urlaub. Beim Friseur Graumann gegenüber in der Nr.12 arbeitete eine Friseuse, sicher noch in der Lehre, die über meine Mutter angeblich Grüße an mich bestellt haben sollte. Daraufhin hatte ich mir von Jo Härter, der das Mädchen auch kannte, ihre Adresse besorgt und ihr einen Brief geschickt, jedoch keine Antwort erhalten. Es war ein außerordentlich hübsches Mädchen -fand ich. Doch als ich jetzt persönlich aufkreuzte und vor ihrem Laden auf und ab spazierte, würdigte sie mich keines Blickes. Nun war ich doch etwas pikiert. Entweder hatte meine Mutter mir nur einen Streich spielen wollen oder ich war bei näherem Hinsehen doch nicht ihr Typ. Jedenfalls war außer Spesen nichts gewesen. Allerdings bewegte mich das nicht sehr lange, dennoch hatten aber meine Urlaubswünsche einen herben Dämpfer bekommen. Ich tröstete mich, idem ich zum Baden in den „Stern“ fuhr, meinem alten Verein. In diesen Urlaub fällt noch ein Erlebnis, an das ich eigentlich nicht so gern zurückdenke. Es war kein Ruhmesblatt. Ich war mit meinem Bruder Diethard in den Stadtpark gefahren, weil wie uns an der Rote-Horn-Spitze ein Paddelboot ausleihen wollten, um ein bisschen auf der Elbe herumzuschippern. Das ging auch ganz gut, bis uns ein Schleppdampfer entgegenkam, der wohl sechs bis acht Kähne stromaufwärts zog. Ich wähnte mich auf der Seite, die die wenigsten Wellen abbekommen würde und beschloss, die andere Flussseite aufzusuchen. Dummerweise steuerte ich unser Boot in die Lücke zwischen Schleppdampfer und erstem Kahn, weil ich meinte, hier den meisten Platz zu haben. Doch das ging voll daneben. Ich hatte sowohl die Geschwindigkeit des Schleppzuges als auch die der Strömung vollkommen unterschätzt. Es gelang mir, das Boot gerade noch ganz knapp vor dem Bug des Kahnes vorbeizusteuern, dessen Bugwelle uns im letzten Moment beiseite schob. Ich höre noch heute das Geschimpfe des Schiffers über diesen bodenlosen Leichtsinn. Ich konnte ihm nur recht geben, denn hätte uns der Kahn erwischt, wären wir sicher nur mit großem Glück mit dem Leben davongekommen, obgleich wir beide schwimmen konnten. So aber saß uns zwar der Schrecken gehörig in den Gliedern, aber wir waren gesund und munter.
Fortsetzung Dr. Grigoleit folgt
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Zu hause haben wir davon wohlweislich nichts erzählt. Der Urlaub ging zu Ende und ich musste mich wieder bei meiner Batterie melden, die ihre Stellung in Wolmirstedt bereits bezogen hatte. In den letzten Julitagen kam ich hier an. Das Gelände der Großbatterie, zu der ich nun gehörte, erstreckte sich vom Bahnhof aus, wo die Eisenbahnflak stationiert war, über einen Kilometer weit längs der Straße nach Glindenberg. Es war gerade abgeerntet worden, überall lag noch Stroh herum, teilweise standen sogar noch Garben da. Die Deckung für die Geschütze und die Feuerleitgeräte waren bereits fertig. Auch die Wohnungsunterkünfte, unsere „Bunker“, waren mit den entsprechenden Erdwällen versehen. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Objekten wurden durch Lattenroste hergestellt, da es noch keine festen Wege gab und bei Regen auf dem aufgeweichten Acker sonst alles im Schlamm versank. Neben den Lattenrosten liefen Kabelgräben, die die Kabelverbindungen zwischen den Feuerleitgeräten und von da aus zu den Geschützen aufnahmen. Sie waren offen, etwa 30cm breit und 40cm tief. Alles das war noch lange nicht mit der Stellung in Ebendorf zu vergleichen, in der wir recht komfortabel mit befestigten Wegen gelebt hatten. Unsere Korporalschaft hatte hier einen eigenen Bunker in der Nähe des Kommandogerätes zugewiesen bekommen. Da ich mich beim Einzug in die neue Unterkunft auf Urlaub befand und noch ein Bett fehlte, wurde ich erst einmal in der großen Mannschaftsbaracke untergebracht. Es war schon damals so wer zu späte kommt, den bestraft das Leben! Hier traf ich auch wieder auf Wolfgang K., der von seinen Kameraden ausquartiert worden war. Er hatte eben das seltene Talent, überall anzuecken. So auch in diesem fall, denn als ich die Baracke betrat, saß er oben auf dem Bett und wusch sich sein „edelstes Teil“ in einem Kochgeschirrdeckel, in dem er sonst Kaffee empfing. Er war zu faul, sich in den Waschraum zu begeben. Das ein solches Verhalten bei den Kameraden auf wenig Gegenliebe stieß, ist sicher zu verstehen. Der Aufenthalt dauerte hier für mich allerdings einige Tage länger, als ursprünglich geplant war, denn in der Zwischenzeit waren Wanzen in unserem Bunker festgestellt worden. Wir machten uns daran, alle Strohsäcke zu verbrennen und die Ritzen in den Bettgestellen und den Spinden mit der Lötlampe auszubrennen. Der Bunker selbst wurde von den Kammerjägern intensiv unter Gas gesetzt. Wie wir bald feststellen konnten, hatten wir einen vollen Erfolg erzielt-fortan wurde keine Wanze mehr gesehen oder gespürt. Erst nach dieser Aktion wurde mein Bett angeliefert und ich konnte wieder bei meinen Kameraden einziehen. Unseren Bunker nannten wir „Peters Nachtlokal“ nach einem bekannten Magdeburger Cafe und richteten uns hier gemütlich ein. Das hatten wir schon in Ebendorf versucht, waren aber daran gescheitert, weil sich unsere Unterkunft in der großen Mannschaftsbaracke befand und unser Spieß hier keine Veränderungen zuließ. Ich hatte mir zwar einen kleinen Bücherbord an der Wand über meinem Bett angebracht, auf dem meine Karl Mays standen, die ich noch immer aus unserer Leihbücherei bezog. Das war es dann aber auch schon. Mehr war an Verschönerungen für unser „Heim“ nicht drin. Übrigens fielen die Bücher jedes Mal herunter, wenn die Batterie das Feuer eröffnet hatte. Die dünnen Barackenwände waren den Erschütterungen, die das anhaltende Flakfeuer in unmittelbarer Nähe verursachte, nicht gewachsen. In der neuen Unterkunft hatten wir jedoch endlich freie Hand. Wir schufen aus dem einen Raum zwei, indem wir mit den Spinden eine künstliche Zwischenwand bauten. Dahinter standen dann unsere Doppelstockbetten und im vorderen teil war unser Wohnraum, in dem wir unsere Freizeit verbrachten. Einen Höhepunkt stellte immer das Wettessen dar, wenn wir genug Vorräte angesammelt hatten. Mir gelang es einmal, elf Schnitten mit Leberwurst zu verputzen -und das war noch nicht der Rekord, der bei fünfzehn lag. Na ja, in diesem Alter kann man noch futtern wie eine neunköpfige Raupe und Appetit hatten wir eigentlich immer. Unsere Verpflegung war jedoch so reichlich, dass selbst Heranwachsende wie wir satt werden konnten. Das Problem bestand nicht so sehr in der Quantität, sondern vielmehr in der Qualität. Brot bekamen wir genug, aber der Belag war dafür recht einseitig. Es gab drei Wurstsorten, Leberwurst, die den schönen Beinamen „Zementwurst“ trug, Jagdwurst mit dem Beinamen „Gummiwurst“ und Rotwurst, die mit der „Gummiwurst“ eng verwandt war. Die beinamen sagen alles über die Qualität dieser Wurstsorten aus. Dazu gab es Margarine, auch Butter und vor allem Marmelade- die gute Vierfruchtmarmelade für 64 Pfennige das Kilo. Auch das Mittagessen war reichlich. Unsere Küche gab sich redliche Mühe, ein anständiges Essen zu zaubern. Selbst Pudding brachte unser Koch zustande, wenn es auch nur hartgewordener Griesbrei war, der mit einer Soße aus verdünnter Marmelade versehen wurde. Da liegt es auf der hand, dass Zusätze von zu Hause wie Obst sehr begehrt waren. Da wir einen Garten hatten und somit viel Obst, habe ich manchen Ausgangsschein erhalten, weil unser Uffz. Stahlecker davon auch seinen Anteil bekam. Auf Grund seines Ansehens bei uns hätte er ihn wohl auch sowieso bekommen. Aber nicht nur die kleinen Obstzuschüsse verhalfen mir zu so manchen zusätzlichen Urlaubsschein, sonder auch der Umstand, dass Unteroffizier Stahlecker genau so ein Karl-May-Liebhaber war wie ich auch. Ich besorgte also regelmäßig die Karl Mays, die er dann ebenfalls zum Lesen bekam. Das andere sehr angenehme neue in der Großbatterie war die Tatsache, dass neben uns ein Bunker lag in dem eine Gruppe RAD-Mauden wohnte, die für den Dienst als Nachrichtenhelferinnen vorgesehen waren. Ursprünglich sollten sie zwar die Scheinwerfer bedienen, aber die kamen nicht mehr zum Einsatz. So vollführten wir hier bald interessante Balzzeremonielle, ohne allerdings auf spürbare gegenliebe zu stoßen. Warum sollen sich auch 17-bis 18jährige Mädchen mit 16jährigen Grünschnäbeln abgeben, wenn es genug gestandene Männer in der Batterie gab? Und vor allem auch solche mit ansprechendem Lametta und den damit verbundenen Freiräumen, die man nun einmal für die „Liebe“ braucht, will man sie nicht allzu primitiv betreiben. Dennoch soll es bei uns einige Ausnahmen gegeben haben, denen es gelang, in die Phalanx der Unteroffiziere und Offiziere einzubrechen.
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