Hallo Spurensucher MD, da stimme ich Dir zu. Das Buch war mein ständiger Begleiter in Fragen Gedenkbuch Landkreis Börde. Speziell für Kapitel 4 und 5. Gruß Teddy
Zitat von Olln im Beitrag #120Frage zum Beitrag #106:
Was brennt da hinter der Scheune?
Da müsste man den Standort vom Fotographen rausfinden, logischer Weise. Ich möchte vermuten, daß das Feuer auf dem ehemaligen Flugplatz Gardelegen - (Richtung Nord-Ost) ist.
Noch ein kurzes Wort zu den Beiträgen 114-119. Geschichte ist nie unpolitisch. Sie läßt sich immer verschieden interpretieren. Wohltuend, dass es im Forum wenig polemisch gefühte Diskurse gibt, weil rechtzeitig von den Administratoren eingriffen wird. Es ist ein Irrglaube, aus solchen Diskussionen, die Emotionalität fern halten zu können. Kann ich aus eigenem Erleben nur bestätigen. Bei diesem Thema geht es nicht anders und das ist guT so. MfG Rüdiger
Zitat von wirbelwind im Beitrag #124Noch ein kurzes Wort zu den Beiträgen 114-119. Geschichte ist nie unpolitisch. Sie läßt sich immer verschieden interpretieren. Wohltuend, dass es im Forum wenig polemisch gefühte Diskurse gibt, weil rechtzeitig von den Administratoren eingriffen wird. Es ist ein Irrglaube, aus solchen Diskussionen, die Emotionalität fern halten zu können. Kann ich aus eigenem Erleben nur bestätigen. Bei diesem Thema geht es nicht anders und das ist guT so. MfG Rüdiger
@ Wirbelwind
Ich toleriere Deine Meinung, ach Mensch mir brennt es auf den Nägeln, nee Schluss. Thema Geschichte und Politik überlasse ich mal den Philosophen.
2015 ist ein besonderes Gedenkjahr, da das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Befreiung der noch lebenden Opfer des Nationalsozialismus nun 70 Jahre zurückliegen. Im gleichen zeitlichen Abstand jährt sich auch das Massaker von Gardelegen: Am 13. April 1945, kurz vor dem Eintreffen von US-amerikanischen Truppen, fand nördlich von Magdeburg in der Altmark noch eines der letzten großen NS-Verbrechen statt. SS-Angehörige sperrten mehr als 1.000 durch Haft und Todesmarsch ausgemergelte KZ-Häftlinge in eine Feldscheune am Rande der Stadt Gardelegen und setzten anschließend das dort lagernde Stroh in Brand. Die KZ-Häftlinge verbrannten qualvoll bei lebendigen Leib, erstickten im Rauch oder wurden bei dem Versuch erschossen, ins Freie zu gelangen. Nur wenige von ihnen überlebten das mehrstündige Massaker.
Bei ihrer Ankunft am Tatort entdeckten US-Soldaten zahlreiche entstellte und teilweise bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Häftlingsleichen in der Feldscheune, die noch nicht in eigens ausgehobene Gruben verscharrt worden waren. Fotos von diesen Toten ging um die Welt – als ein schockierendes Zeugnis nationalsozialistischer Verbrechen. Seit Kriegsende wird das Andenken an die Opfer durch ein Gräberfeld in Ehren gehalten, das die US-Army in Form eines Militärfriedhofs anlegte. Zu DDR-Zeit entstand an der ehemaligen Feldscheune eine Mahn- und Gedenkstätte. Mit Mitteln des Landes Sachsen-Anhalt wird jetzt ein Besucher- und Dokumentationszentrum mit einer neuen Dauerausstellung entstehen. 70 Jahre nach der grausamen Tat entsteht am historischen Ort der Raum für eine dauerhafte Aufarbeitung und Erinnerungsarbeit – ein wichtiges Signal gerade auch zu einem Zeitpunkt, an dem das Gedenken an Gardelegen in der deutschen Erinnerungskultur zu verblassen droht.
Die Opfer Die in der Scheune ermordeten KZ-Häftlinge kamen aus Lagern im heutigen Niedersachsen und Thüringen: dem Außenlager Hannover-Stöcken des KZ Neuengamme und Außenlagern des bei Nordhausen gelegenen KZ Mittelbau-Dora. Diese Außenlager waren, wie viele andere, im Verlauf des Jahres 1944 außerhalb der großen Konzentrationslager errichtet worden. Die dorthin verlegten KZ-Häftlinge sollten als „letzte Reserve“ in der Rüstungsproduktion arbeiten. Mit der Errichtung von Außenlagern weiteten die Nazis das System der Konzentrationslager buchstäblich „vor die Haustür“ aus. Bei deren Auflösung trieb die SS die KZ-Häftlinge auf sogenannte Todesmärsche, und spätestens jetzt waren sie für alle sichtbar. Die Todesmärsche bestanden häufig aus extrem strapaziösen Fußmärschen,, bei denen die entkräfteten KZ-Häftlinge in Kolonnen marschieren mussten. SS-Männer erschossen alle, die nicht mehr weiter konnten. Teilweise ließ die SS die Häftlinge, wie im Fall der erwähnten Außenlager der KZ Neuengamme und Mittelbau-Dora, auch in Güterwaggons abtransportieren. Mehrere tausende Häftlinge befanden sich in zwei Zugtransporten, die im April 1945 aufgrund des Frontverlaufs und wegen zerstörter Bahnstrecken – also eher zufällig – in den altmärkischen Bahnhöfen Mieste und Letzlingen stoppten. Von diesen westlich bzw. südlich von Gardelegen gelegenen Bahnhöfen trieb die SS die KZ-Häftlinge dann auf verschiedenen Routen in Richtung Stadt. In Gardelegen sammelte man sie zunächst in einer Wehrmachtskaserne, der Remonte-Kavallerieschule, bevor sie in die Feldscheune kamen. Das große rechteckige, aus Stein gemauerte Gebäude gehörte zum Rittergut Isenschnibbe. Bis heute wird es daher auch als Isenschnibber Feldscheune bezeichnet. Aber nicht nur in der Feldscheune, sondern auch in verschiedenen Dörfern und Wäldern der Umgebung von Gardelegen sowie im Stadtgebiet selbst kam es zu Übergriffen auf die KZ-Häftlinge. In den Ortschaften Mieste, Estedt und Jävenitz töten SS-Männer und Wehrmachtsangehörige kleinere Gruppen von KZ-Häftlingen und vermutlich auch ehemalige polnische Zwangsarbeiter. Über 370 KZ-Häftlinge wurden auf örtlichen Friedhöfen entlang der Todesmarsch-Strecken zwischen Mieste bzw. Letzlingen und Gardelegen bestattet. Von den meisten Opfern des Massakers in der Isenschnibber Scheune sind keine Namen bekannt. In den vergangenen Jahren konzentrierten sich vielfältige Bemühungen deshalb auf die Indentifikation von Häftlingsnummern und die Rekonstruktion von Opfernamen sowie deren Zuordnung zu den Grabstätten. Hierzu ist eine sehr aufwendige Recherche erforderlich, die in den vergangenen Jahren wichtige Ergebnisse gebracht hat. Ausgangspunkt bilden über 300 Häftlingsnummern, die die amerikanischen Soldaten noch identifizieren konnten. (Vgl. Report of Massarce of Political Prisoners at Gardelegen vom 23. Mai 1945, zit. Nach Gring, Diana: Das Massaker von Gardelegen, in: Dachauer Hefte Bd. 20, München 2004, S. 112-126.)
Andere zeitgenössische Quellen wie z.B. Transportlisten sind nicht erhalten. Die bekannten Häftlingsnummern wurden mit denen in den Archiven der KZ-Gedenkstätten Mittelbau-Dora und Neuengamme sowie im Archiv des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen abgeglichen. Dabei konnten auch lange unbekannte Namen ausfindig gemacht werden. Die heute bekannten Opfer stammen aus Polen, Russland, Weißrussland und der Ukraine, Frankreich, Ungarn, Belgien, Italien, Tschechien und den Niederlanden. Unter ihnen befinden sich
auch polnische und ungarische Juden sowie Roma und Sinti. Sie waren zwischen 18 und 56 Jahre alt. Die sterblichen Überreste von französischen und belgischen Häftlingen wurden nach 1945 exhumiert und zunächst auf einen französischen Ehrenfriedhof nach Berlin und später nach Frankreich und Belgien umgebettet. (Vgl. Irmer, Thomas: Neue Quellen zur Geschichte des Massakers von Gardelegen, in Gedenkstättenrundbrief 156, 2009, S.14-19).
Die meisten Toten werden sich aber nachträglich nicht mehr identifizieren lassen. Dennoch bleibt die Rekonstruktion der Namen der Opfer eine zentrale Aufgabe. Noch immer treffen Anfragen von Privatpersonen ein. Die auch 70 Jahre nach dem Massaker nach Angehörigen suchen und Gewissheit haben wollen. Die bekannten Häftlingsnamen bieten für die zukünftige Gedenkstättenarbeit eine Chance, auch Lebensläufe der Toten zu rekonstruieren. Wer waren die Menschen? Auch für die zeitgeschichtliche Bildungsarbeit, etwa in Ausstellungen oder in der Begegnung mit Besucherinnen und Besuchern, stellen Biografien, ähnlich wie Gegenwartsbezüge, einen bedeutenden Ansatz der Geschichtsvermittlung dar.
Die Täter Ein besonderes Kennzeichen des Massakers von Gardelegen war die Beteiligung von verschiedenen Tätergruppen, die sich neben den SS-Bewachern an den Morden beteiligten. US-amerikanische Ermittlungen zufolge nahmen zwischen 100 bis 120 Menschen an dem Massaker teil: neben SS-Männern auch Soldaten der Luftwaffe und Fallschirmjäger sowie Angehörige des Reichsarbeitsdienstes und des im Herbst 1944 gegründeten Volkssturms aus Gardelegen und Umgebung. (In der 1935 gegründeten NS-Organisation mussten männliche und während des Zweiten Weltkrieges auch weibliche Jugendliche und junge Erwachsene einen mehrwöchigen Arbeitsdienst ableisten. Im Verlauf des Jahres 1944 übernahm der Reichsarbeitsdienst eine Grundausbildung am Gewehr. Vgl. Benz, Wolfgang: Vom Freiwilligen Arbeitsdienst zur Arbeitspflicht, in: Vierteljahrsheft für Zeitgeschichte, 16 Jg., Heft $/1968, S. 317-346. Der Deutsche Volkssturm war eine militärische Organisation, der männliche Jugendliche sowie ältere und noch nicht zur Wehrmacht eingezogenen Männer angehörten. Der mit einfachen Waffen ausgestattete Volkssturm sollte zu Bau- uns Schanzarbeiten eingesetzt werden, aber auch bei lokalen Kämpfen gegen alliierte Truppen. Vgl. Yelton, David K.: Hitler’s Volkssturm. The Nazi Militia and the Fall of Germany 1944-1945, Kansas City 2002. Vgl. Report of Investigation 1945). Beteiligt waren aber auch etwa 25 deutschsprechende KZ-Häftlinge. Wieso sie an der Ermordung ihrer eigenen Kameraden teilnahmen, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Bei ihnen handelte es sich um „Kapos“, d.h. sogenannte Funktionshäftlinge, denen die SS angeblich die Freiheit versprochen hatte. Funktionshäftlinge waren Gefangene, denen die SS einfache Kontroll- und Ordnungsaufgaben gegenüber Mitgefangenen übertrug und die dafür Vergünstigungen erhielten. Die begrenzten Machtbefugnisse übten die Kapos häufig gewalttätig aus. Sie verloren das Vertrauen der Häftlinge und waren völlig von der SS abhängig. Der Historiker Daniel Blatman hat die verschiedenen Tätergruppen wie in Gardelegen in seiner großen Studie über die Todesmärsche auch als „kriminelle Gemeinschaft“ bezeichnet. (Vgl. Blatman, Daniel: The Death Marches. The Final Phase of Nazi Genocide, Cambridge 2011, S. 245f.) Er sieht Parallelen zu anderen Endphasenverbrechen, bei denen die jeweiligen Tätergruppen ebenfalls heterogen waren. Darunter waren auch andere von lokalen NS-Funktionsträgern geplante und aus der Zivilbevölkerung mitgetragene Mordaktionen. Auch das Massaker von Gardelegen wurde aller Wahrscheinlichkeit nach durch den örtlichen NSDAP-Kreisleiter Gerhard Thiele (1909-1994) organisiert. Bei Kriegsende tauchte er unter und machte später unter falschem Namen in Düsseldorf Karriere. Erst in den 1990er Jahren konnte seine wahre Identität durch das Landeskriminalamt von Sachsen-Anhalt enttarnt werden. Es wird zukünftig darauf ankommen, auch andere Tätergruppen stärker in den Blick zu nehmen. Noch ist wenig geklärt, welche Rolle die verschiedenen Akteure bei dieser arbeitsteiligen Tat genau einnahmen. Und was waren die Motive der Täter? Ging es beispielsweise um die Beseitigung von KZ-Häftlingen als Zeugen der NS-Verbrechen? Um einen letzten destruktiven Akt im Stadium des Untergangs? Oder entwickelte sich in Gardelegen eine spezifische Eigendynamik in einem auch regional zu betrachtenden Gewaltraum?
Gardelegen in Erinnerungskultur und Forschung Das Massaker von Gardelegen wurde nach der Befreiung als „The Holocaust of Gardelegen“ international bekannt, als die damals vielgelesene amerikanische „LIFE“-Illustrierte Anfang Mai 1945 unter dieser Überschrift Schwarz-Weiß-Fotografien mit verbrannten Häftlingsleichen in der Feldscheune veröffentlichte Immer noch werden Funde wie bislang unbekannte Aufnahmen ehemaliger US-Soldaten gemacht. (Vgl. Castillo, Piper: Largo veteran’s photos the horror of the Gardelegen Massacre, in Tampa Bay Times vom 08. November 2013, online unter http://www.tampabay.com/new/humaninteres...assacre/2151583 (Stand vom 24.03.15). Am historischen Ort befindet sich heute eine Gedenkstätte, in deren Mittelpunkt die als Militärfriedhof angelegte Grabanlage mir mehr als 1.000 Einzelgräbern steht. Die zu DDR-Zeiten errichtete Anlage ist heute selbst ein Zeugnis der Zeitgeschichte, das –wie vor Ort im Besucherleitsystem –kritisch kommentiert werden muss. So etwa im Hinblick auf die pauschale Vereinnahmung der Opfer als antifaschistische Widerstandskämpfer. Der Blick auf die Geschichte des Gedenkens in Gardelegen, auf deren Formen, Inhalte und Akteure kann nunauch Teil einer neuen Ausstellung werden. Die Selbstreflektion, d.h. die Frage wie und an was wir erinnern, ist das Massaker von Gardelegen in die nationalsozialistische Gewaltkultur einzuordnen. Dazu zählt der Blick auf die
Geschichte der nationalsozialistischen Massaker. Massaker, diese, so der Soziologe Wolfgang Sofsky „kollektive Gewalt an Wehrlosen“ (Vgl. Sofsky, Wolfgang: Traktat über die Gewalt, Frankfurt/M. 1996, S. 180. Ähnlich auch der Soziologe Jacques Semlin, in der Massaker als „kollektive Form der Vernichtung von Nicht-Kombattanten (Männer, Frauen, Kinder oder entwaffneter Soldaten)“ bezeichnet. Vgl. Semlin, Jacques: Säubern und Vernichten. Die Politik der Massaker und Völkermorde, Hamburg 2007, S. 353). waren ein Kennzeichen des Holocaust und der nationalsozialistischen Herrschaft nach Kriegsbeginn: So fiel insbesondere die jüdische Zivilbevölkerung im besetzten Osteuropa zahlreichen Massakern zum Opfer. Bekannt sind große Massenerschießungen wie in der Schlucht von Babij-Jar bei Kiew oder im Wald von Bikernieki bei Riga. Massaker fanden aber auch in zahlreichen kleinen Städten und Dörfern statt. (In der Schlucht von Babij-Jar nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew erschossen Angehörige einer SS-Einsatzgruppe am 29. und 30. September 1941 mehr als 33.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder. Vgl. Altmann, Ilja: Opfer des Hasses. Der Holocaust in der UdSSR 1941-1945, Northeim-Sudheim 2008, S. 352-353. In dem östlich der lettischen Hauptstadt gelegenen Kiefernwald ermordeten Angehörige der Sicherheitspolizei und lettische Hilfskräfte zwischen 1941 und 1944 mehrere zehntausende Jüdinnen und Juden, außerdem Kriegsgefangene und politische Gegner. Vgl. Angrick, Andrej/Klein, Peter: Die „Endlösung“ in Riga. Ausbeutung und Vernichtung 1941-1944. Darmstadt 2006, S. 138f).
Unschuldige Zivilisten wurden auch Opfer von Massenmorden, die SS-Angehörige und Wehrmachtssoldaten im besetzten Westeuropa wie in Frankreich, Italien oder Griechenland verübten. Dort ging es weniger um die Ermordung von Juden, sondern vielmehr um äußerst brutale, exemplarische Form von Abschreckung, Vergeltung und Bestrafung. Das Massaker von Gardelegen wird von der Forschung als ein an KZ-Häftlingen verübtes Todesmarsch-Verbrechen untersucht – so von der Historikerin Diana Gring, die bereits Anfang der 1990er Jahre über Massaker und deren Rezeption geforscht hat. Der Historiker Joachim Neander hat sich mit der Entwicklung in der Region befasst. Der bereits erwähnte Daniel Blatman geht auch auf andere Todesmärsche und Massaker ein, darunter auf das Ende Januar 1945 an der Ostsee bei Königsberg verübte Massaker von Palmnicken, bei dem SS-Männer vermutlich mehrere tausend weibliche jüdische KZ-Häftlinge erschossen oder ins Meer trieben. (Vgl. Gring, Diana: Die Todesmärsche und das Massaker von Gardelegen – NS –Verbrechen in der Endphase des Zweiten Weltkrieges, Gardelegen 1993; dies. 2004; dies: Das Massaker von Gardelegen. Ansätze zur Spezifizierung von Todesmärschen am Beispiel Gardelegen, in: Garbe, Detlef/Lange, Carmen (Hrsg.): Häftlinge zwischen Vernichtung und Befreiung, Bremen 2005, S. 155. Vgl. Neander, Joachim: Vernichtung durch Evakuierung? Die Praxis der Auflösung der Lager – Fakten, Legenden und Mythen, in: Garbe/Lange 2005, S. 45-59. Vgl. Blatman 2011; ders.: Die Todesmärsche-Entscheidungsträger, Mörder und Opfer, in: Herbert, Ulrich/Orth, Karin/Dieckmann, Christoh (Hrsg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur, Bd. 2/2, Göttingen 1998, S. 1063-1092, Vgl. Blitz, Maria: Endzeit in Ostpreußen. Ein beschwiegenes Kapitel des Holocaust, hg. Von Uwe Neumärker, Berlin 2010, S. 37-40).
Ein anderes Beispiel aus demselben Zeitraum ist der Fall des Zuchthauses Sonnenburg bei Küstrin, wo Gestapobeamte kurz vor der Ankunft der Roten Armee 819 politische Gefangene ermordeten. (Vgl. Queiser, Daniel: Das Massaker in der Nacht vom 30. zum 31. Januar 1945, in: Coppi, Hans/Majchrzak, Kamil (Hrsg.): Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg, Berlin, S. 49-61).
Gardelegen war jedoch kein Massaker auf der Flucht vor der Roten Armee, sondern fand kurz vor der Ankunft der Amerikaner statt. Es richtete sich auch nicht gezielt gegen Juden oder politische Gegner, auch wenn Juden und politische Häftlinge unter den opfern waren. Eine entscheidende Frage wird wohl immer sein, wieso es noch kurz vor der Befreiung zu einem solchen Verbrechen kommen konnte. Jüngste Forschungserträge über die Endphasenverbrechen im Reichsgebiet wie von Historiker Sven Keller weisen darauf hin, dass es für lokale Akteure durchaus verschiedene Handlungsoptionen gab. Sie reichten von Widerstandshandlungen bis hin zu Beteiligungen an Mordaktionen. Es wäre lohnenswert, die Entwicklung in Gardelegen auch in dieser Hinsicht vergleichend zu untersuchen. (Vgl. Keller, Sven: Volksgemeinschaft am Ende. Gesellschaft und Gewalt 1944/45, München 2013, S. 384f. Keller geht jedoch nicht auf das Massaker in der Altmark ein.)
Schlussbemerkung 70 Jahre nach dem Massaker von Gardelegen sind das Gräberfeld der Opfer und die Überreste der Feldscheune ein deutscher und europäischer Erinnerungsort. Die hier aufgeworfenen fragen zeigen, dass auch heute noch ein wichtiger Forschungsbedarf besteht. Es bestehen auch Anforderungen an die Aufarbeitung des Verbrechens selbst, die noch nicht abgeschlossen ist. Der Blick auf die Ereignisse und das Gedenken an die Opfer fordert auch 70 Jahre später eindringlich zur Suche nach Erklärungen und Antworten auf.