Die vergessenen Kinder Magdeburger Historikerin dokumentiert Schicksale von Besatzungskindern. Von Ernst-Günther Wöhler Sommerfeld, ein Dorf in Brandenburg, Anfang Mai 1945. Vier Rotarmisten steuern gegen Mittag auf das kleine Haus der Familie G. zu. Sie reißen die hölzernen Fensterläden auf, dringen in die Stube ein und fallen über die junge Frau her. Sie ist allein mit ihren drei Kindern, ihr Mann ist in Kriegsgefangenschaft. Ein Bauer aus der Nachbarschaft soll die Soldaten zu ihrem Haus geführt haben – um sie von den eigenen Töchtern abzulenken. Als die junge Frau Wochen später merkt, dass sie schwanger ist, schreibt sie ihrem Mann, dass der Krieg sie „auch verwundet“ hätte. Sie stellt ihm frei, zu ihr zurückzukommen. Das Kind aber will sie nicht weggeben. Im Januar 1946 kommt Jan zur Welt. Jan ist das einzige „Russenkind“ im Dorf. Verachtet als „Untermenschen-Brut“. Unter dem Stigma haben auch seine Halbgeschwister zu leiden. „Russenbande“ werden sie genannt, die Schwester als „Russenschlampe“ beschimpft. Jans Verhältnis zu seinem Stiefvater ist angespannt. Die Mutter schweigt. Der kleine Jan versteht einfach nicht, weshalb ihn die Kinder „Iwan“ rufen. Erst als Rabauken ihn verprügeln, ihn mit Steinen bewerfen und er vor Schmerz brüllt, bricht seine Mutter das Schweigen. „Ich erinnere mich an jedes Wort der Mutter, als sie damals beschloss, mir die Wahrheit zu sagen“, sagt Jan ein halbes Jahrhundert später in einem Zeitungsinterview. Sie habe gerade die Betten gemacht und sich mit ihm auf die Bettkante gesetzt. Nach langer Pause habe sie dann angefangen, ihm ihre Geschichte zu erzählen. Bedächtig, ganz langsam habe sie geredet, erinnert sich Jan. Er war erst fünf Jahre alt. Aber er begriff sofort, was das hieß, „mit Gewalt ein Kind machen“. Nach der Beichte meldet die Mutter die Vergewaltigung. Und sie setzt für ihren Sohn – ein vermutlich einmaliger Fall – die Zahlung eines staatlichen Unterhalts durch, um die 100 DDR-Mark pro Monat. Wenig später muss Jan die Schule wechseln, nachdem Jugendliche gedroht hatten, das „Russenkind“ an einen Baum zu knüpfen. 300 000 Kinder wurden infolge von Vergewaltigungen geboren Professor Silke Satjukow von der Universität Magdeburg hat die sogenannten Besatzungskinder zu ihrem Thema gemacht. Die Historikerin geht von 300 000 Kindern aus, die in Deutschland nach einer Vergewaltigung durch Sowjetsoldaten zur Welt kamen, die meisten im Jahr 1946. Und das, obwohl die große Mehrzahl der Frauen, die nach einer Vergewaltigung schwanger wurden, das Kind abtrieben. Heimlich oder vom Amtsarzt genehmigt – „zur Verhinderung unwerten, rassisch unsauberen Lebens“. Die Formulare stammten noch aus der Nazizeit. Danach wurde das Thema totgeschwiegen, die Sowjets zu Freunden erklärt. Das änderte nichts an der langjährigen Stigmatisierung der „Russenkinder“ und ihrer Mütter. Die traf auch jene Kinder, die aus deutsch-sowjetischen Liebesbeziehungen entstanden. Vielleicht sogar noch mehr, denn ihre Mütter waren „Flittchen“, die es gewagt hatten, sich mit dem Feind einzulassen, gegen den man jahrelang gekämpft hatte. Vor allem in kleinen Orten galt das als Todsünde. Auch Erika stammt aus einem kleinen Dorf und arbeitet als Kellnerin in Weimar. Der Krieg ist seit zwei Jahren vorbei. Jewgeni aus der Sowjetischen Militäradministration kommt jeden Tag in die Gaststätte und macht ihr schöne Augen. Erika ist 18 und naiv – und nach kurzer Zeit schwanger. 1948 wird Karen geboren. Erika zieht zurück zu ihren Eltern. Die erlauben sogar, dass Jewgeni sie besucht. Und Erika wird wieder schwanger. Sie und Jewgeni finden eine Wohnung in Weimar und leben wie eine ganz normale Familie. Sie wollen heiraten und bekommen von Jewgenis Eltern auch den Segen. Aber: Sie dürfen nicht heiraten. „Es gilt für die sowjetischen Besatzer noch das Fraternisierungsverbot“, erklärt Silke Satjukow, also das Verbot, sich näher mit Deutschen einzulassen. „Auf dem Papier galt es bis 1953, defacto bis Anfang der 80er Jahre.“ Als Erika im Krankenhaus liegt, um ihr zweites Kind zur Welt zu bringen, wird Jewgeni festgenommen. Er darf noch einen Blick auf seine zweite Tochter, Gabi, werfen, dann wird er Richtung Sowjetunion abgeschoben, ohne Erika noch einmal gesehen zu haben. Erika kommt nach Hause und dreht den Gashahn auf. Nachbarn retten sie und die Kinder. Um Geld zu verdienen, geht sie nach Berlin. Ein Kind lässt sie bei der Hebamme, das andere bei einer Tante. Erst als sie 1954 heiratet, holt sie die Kinder nach Hause. Karen ist 6, Gabi 4. Karen versucht später, ihren Vater zu finden, der sie Marussja genannt hatte und immer mit ihr im Park spazieren gegangen war. Sie lernt Russisch, aber sie tritt nie in die DSF ein, die „Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft“, in der DDR quasi eine „Muss-Mitgliedschaft“, die für 10 Pfennig Beitrag im Monat auch fast jeder mitnahm, um lästigen Diskussionen aus dem Weg zu gehen. „Was ist das für eine Freundschaft, wenn sich Liebende nicht lieben dürfen?“, stellt sie sich quer. Karen nennt ihren Sohn Sascha. In den 80er Jahren fährt sie nach Moskau, um die „Schattenfamilie“ kennenzulernen, und erfährt, dass Jewgeni, ihr Vater, 1962 bei einem Unfall gestorben war. Silke Satjukow kennt viele Fälle von Besatzungskindern. Auch solche, in denen Liebesbeziehungen besonders tragisch endeten. Wenn sie Glück haben und sie aus Liebe entstanden sind, erinnert Besatzungskinder wenigstens ein vergilbtes Foto an den fremden Vater. Dieses ist das einzige Familienfoto, das Karen als Baby mit ihrer Mutter Erika und ihrem Vater Jewgeni zeigt. Foto: dpa Wie die einer deutschen Frau aus Mitteldeutschland und eines sowjetischen Offiziers. Als die Frau schwanger wird, beschließen die beiden, in den Westen zu fliehen, um zusammenbleiben zu können. Sie werden erwischt und als Westagenten verurteilt. Er kommt in ein Arbeitslager, sie für sechs Jahre in den Frauenknast. Dort wird 1949 ihr Kind geboren, das bei der Oma aufwächst. Die Mutter sieht ihre Tochter erst wieder, als sie 1955 entlassen wird. Da ist das Mädchen bereits fünf Jahre alt. * Jan G. wird diesen Monat 67. Bis heute sucht er nach dem Vater in sich: „Man fragt sich immer, warum bin ich, wie ich bin? Wessen Gene habe ich?“ Die Soldaten, die seine Mutter vergewaltigten, so kam irgendwann heraus, waren von der Krim. Mehr wird Jan G. wohl nie erfahren. Dabei weiß er mehr als viele andere Besatzungskinder. „Manche erfahren erst auf dem Sterbebett der Mutter, dass sie kein ,Kind der Liebe‘ waren“, sagt Silke Satjukow. „Die Kinder kommen ins Rentenalter und wollen Klarheit.“ Doch im Unterschied zu Vermissten im Krieg gibt es für sie keine Anlaufstelle. Die Historiker wollen dieses Kapitel der deutschen Geschichte zumindest dokumentieren und öffentlich machen. Silke Satjukow will noch in diesem Jahr zusammen mit dem Wiener Historiker Rainer Gries eine Monografie zu Besatzungskindern aus allen vier Besatzungszonen veröffentlichen. Mit Wissenschaftlern der Uni Leipzig hat sie außerdem ein Interview-Projekt gestartet, in dem Besatzungskinder und ihre Mütter ihre Geschichte erzählen können. Und sei es nur, um sich Erlittenes von der Seele zu reden. • Informationen zu dem Projekt per E-Mail an satjukow@t-online.de oder telefonisch unter 0391-6718989.
Eine Frau von mehreren Hunderttausend: Barbara F. 1947 mit ihrem Kind von einem Besatzungssoldaten. Allein nach Vergewaltigungen durch Sowjetsoldaten sollen in Deutschland 300 000 Kinder geboren worden sein. Egal ob ein Kind der Gewalt oder ein Kind der Liebe – die Mütter und Kinder wurden ausgegrenzt, verachtet und bedroht. Foto: Barbara Stelz-Marx, Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung Graz
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Hier mal ein Beispiel aus Thüringen. Wir könnte auch für unsere Region ein solches Thema bearbeiten. Doch dazu sind noch Forschungen erforderlich, es ist Neuland!!!
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Ich könnte mir vorstellen, dass sich Teddy diesem sehr komplexen Themas annehmen könnte, da ja die Arbeit am Gedenkbuch der Opfer des Nationalsozialismus abgeschlossen ist. Um dieses Thema zu bewältigen ist eine Gliederung erforderlich und dann jede Menge Archivrecherchen..... Auch ZZ werden erforderlich sein. Der Thüringer Zeitungsbeitrag könnte als Vorgehensvorlage dienen.
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Hallo Magado2, gebe Dir im Neuen Jahr eine Antwort zu deinem im Forum veröffentlichten Kommentar, zumal es ja auch meine Familie auch betroffen hat und ich über diese Erlebnisse Dokumente habe. Doch wie gesagt, im nächsten Jahr mehr In diesem Sinne
Guten Abend Magado2, habe mir Gedanken darüber gemacht über einen Titel der von Dir angesprochen Thematik:
"Nichts führt zurück" -Flucht, Vertreibung, Integration- -Zeitzeugen-Erinnerungen -
Würde es begrüßen, die Meinung von anderen Forumsmitgliedern zu hören, da diese Thematik ja nur das Bunddesland Sachsen-Anhalt umfassen soll und wer hat ein Interesse an der Mitarbeit. Allein ist dieses Projekt nicht zu meistern
Im Januar 1943 läutete an der Ostfront die militärische Aufgabe des von der deutschen Armee besetzten Stalingrad die Wende des Zweiten Weltkrieges ein. Im Juni 1944 begann deine sowjetische Offensive, die nicht mehr zu stoppen war. Bereits im Juli wurde Memel, die nördlichste Stadt Ostpreußens, von russischen Truppen eingeschlossen. Bis dahin bleibt die Bevölkerung in Ostpreußen, im östlichen Pommern und in Schlesien von den Bombardements der Alliierten weitgehend verschont; einzelne schwere Angriffe auf Danzig, Pillau, Königsberg, Tilsit und andere Städte ausgenommen. Die Verkehrswege sind intakt, die Lebensumstände lassen noch nicht mutlos werden und an den Durchhalteparolen zweifeln. Die Bevölkerung ist unvorbereitet, als die Front nun auf sie zurollt. Meist viel zu spät und ohne Vorwarnung kommt der Befehl zur Evakuierung, der sie in ein beispielloses Fluchtchaos wirft und dessen diffuses Ziel irgendwo im Westen liegt. Viele glauben lange, die Räumung sei nur für Wochen nötig, gewissermaßen als vorübergehende militärische Vorsorgemaßnahme. Nach nunmehr als 70 Jahren nach der großen Flucht am Ende des Zweiten Weltkrieges gilt es nun diese Erinnerungen wach zurufen, die manche lieber ruhen lassen würden. Sie haben ihre damaligen Leiden eingekapselt und auf den Grund ihrer Erinnerungen versenkt. Sie haben sich ihren Kindern und Enkeln gegenüber verweigert, darüber zu sprechen. Sie haben die Debatten darüber gemieden, in der DDR, nur zu gern der offiziellen Aufforderung gefolgt, über die Geschichte ihrer Herkunft und ihrer Flucht und Vertreibung aus der einstigen Heimat zu schweigen. Das Thema war eines der großen staatlich verordneten Tabus. Doch ohne die Auseinandersetzung mit den Geschehnissen, ohne Aufarbeitung von der Schuld und ohne bewusste Vergebung, kann weder bei den Opfern, noch bei den Tätern inneren Frieden geben. Auch für den Zusammenhalt im zwischen vereinten Europa ist das Erinnern wichtig. Die beabsichtigte Veröffentlichung der eventuell zu erwartenden erschütternden Berichte soll eine erneute Mahnung an das Unrecht sein, das den Vertriebenen zugefügt wurde und das sich fortsetzte, während sie sich bereits bemühten, den Verlust der alten Heimat zu verkraften und ein neues Zuhause zu finden. Aus der Lektüre Hunderter Aufzeichnungen der Nachkriegszeit bleibt die Erkenntnis, das fast alle Vertriebenen in der neuen Heimat Ausgrenzungen und Anfeindungen erdulden mussten. Zwar ist es eine der großen und umstrittenen Leistungen der deutschen Nachkriegsgesellschaft, die Eingliederung von 12,3 Millionen Heimatlosen, etwa ein Achtel der Gesamtbevölkerung, organisiert und finanziert zu haben, doch sind bis heute Wunden geblieben, die noch immer schmerzen. Und obwohl es nie gelingen konnte, die durch Vertreibung erlittenen Verluste auszugleichen, entstand bei vielen Deutschen im Westen in den sechziger Jahren das Gefühl, den Vertriebenen seien Wohltaten gewährt worden. Es bleibt ein Nachkriegsmakel der Westdeutschen, die Heimatvertriebenen in der Mehrzahl schäbig behandelt zu haben. Wenn man die Zeitzeugenberichte über die Eingliederung zwischen 1945 und etwa 1955 in Ost- und Westdeutschland vergleicht, entsteht übrigens ein für den Westen wenig schmeichelhaftes Bild. Es scheint, als sei im Osten trotz geringerer Wirtschaftskraft und einseitiger politischer Reglementierung die persönliche Integration der Vertriebenen erfolgreicher, zumindest schneller verlaufen. Dies ist einerseits erstaunlich, da in der DDR jegliche gesellschaftliche Formierung strikt untersagt war, während es im Westen landsmannschaftliche Verbände gab und mit der BHE bis 1961, zusammen mit der Gesamtdeutschen Partei sogar bis 1968, eine Vertriebenen-Partei politisch aktiv war. BHE steht für „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“-bezeichnend für das Empfinden dieser damals großen Randgruppe. In der DDR hat offenbar die aus Not und Bedrängnis entstandene Solidarität dafür gesorgt, daß die Vertriebenen als die ärmsten der Gesellschaft warmherziger aufgenommen wurden. Zudem konnte es einen gesellschaftlichen Konflikt mit ihnen aber auch deshalb nicht geben, weil die „Umsiedler“, wie sie dort offiziell hießen, keine nennenswerte staatliche Unterstützung erhielten, wie den Lastenausgleich im Westen, mir dem sie hätten Neid auf sich lenken können. Auch heute leben noch viele Menschen unter uns, die die Leiden durchgemacht haben. Mit ihrem Schicksal und ihren Verlusten haben sie für alle Deutschen gesühnt. Niemand soll sagen können, er habe von ihrem Opfer nichts gewusst
Quellen: Zeitgut Herausgegeben von Jürgen Kleindienst, Berlin 2007, Zeitgut Verlag
Teddy, dein Titel ist super! Ich denke, wir sollten, wenn wir es anpacken, damit beginnen, erst einmal eine Stoffsammlung aufzubauen. Für S-A sollten wir uns einen Überblick verschaffen, was in den letzten wenigen Jahren dazu bereits existiert in Literatur und .... Parallel können dann ZZ gesucht werden. Mir persönlich sind zZ nicht einmal Zahlenangaben bekannt, die ermittelt wurden... Es dürfte also wichtig sein, woher die her gestrandeten Flüchtlinge u. Vertiebenen kamen, wann sie kamen und unter welchen Umständen sie dann hier blieben. Dann ist wichtig, wie sie aufgenommen wurden in der hiesigen Bevölkerung und behandelt wurden und ab wann sie wirklich Fuß fassten. Wie wurde das alles gefördert... usw.
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Genauso werden wir es machen Magado2. Und wenn sich Forumsmitglieder sich uns anschließen, werden wir gemeinsam diesen vor uns liegenden steinigen Weg gehen und es mit vereinten Kräften schaffen, da bin ich mir ganz sicher
Teddy.....ein hab ich auch noch: Das ist hier ja eigentlich DER Ansprechpartner bei diesem Thema http://www.bdv-lsa.info/Geschaeftstelle.html Ich denke da geht was.