In seiner Schutzhaft in der Magdeburger Zitadelle, aus der ihn eine geheime polnische Militärorganisation befreien will, erinnert sich General Pilsudski an die Zeit, die er mit seinen Legionären im Felde verbracht hat. Gefangene von der Somme, die in die Zitadelle kommen, lassen das Kriegserlebnis in ihm neu erstehen. Wird es ihm über die gefährliche Einsamkeit in dem Haus hinter den Planken hinweghelfen?
6. Fortsetzung
Lied von der Weichsel
Der Tag geht dahin, am Abend erscheint eine andere Ordonnanz bei Pilsudski, Fiedler ist abkommandiert worden. Pilsudski lächelt wieder, in der Warschauer Zitadelle wurden die Gefangenen täglich von einem anderen Wärter betreut.
Als die Abenddämmerung hereinbricht, sitzt er vor dem Schachbrett und spielt. Er hat ein Spiel mit einem unsichtbaren Gegner begonnen, er grübelt über jeden Zug lange Zeit nach.
Einmal horcht er auf. Aus dem sinkenden Tag dringt etwas Merkwürdiges an sein Ohr, ein Lied! Es kommt draußen vom Hof der Gefangenen. Sie sitzen im Kreise um einen Ziehharmonikaspieler, Gefangene in französischer Uniform, sie schweigen und lauschen, und nichts ist mehr auf der Welt als dieses Lied.
Josef Pilsudski steht am Fenster, er lauscht hinaus, kein Ton entgeht ihm. Das Lied, das ein unbekannter Gefangener dort drüben spielt, hat einmal seine Jugend erfüllt. Es ist ein polnisches Volkslied von der Weichsel, die Kosaken hatten die Dörfer abgebrannt, in denen es gesungen wurde.
Ein Gefangener, vielleicht ein Pole, der in der Haller-Armee auf der anderen Seite kämpfte, spielt das Lied aus der Heimat. Pilsudski kann den Soldaten nicht erkennen, die Schatten liegen über dem Hof. Tausend neue Hoffnungen aber kommen in dieser Stunde. Es kann sein, daß dort einer das Lied für ihn spielt, für Josef Pilsudski, polnischen Revolutionär, Verbannter aus Sibirien, Gefangener der Kosaken, für den Kommandanten aus dem Belvedere in Warschau, auf den sie warten.
Schachmatt gesetzt
Infanterist Fiedler rückt ins Feld, er hat wohl ein bißchen damit zu tun, seine Frau zu trösten, aber geht nicht alles in Ordnung? Draußen werden tüchtige Soldaten gebraucht. Er sagt: sie wissen, der Infanterist Fiedler ist tüchtig, also sei stolz Mutter! Ja, sie läßt sich trösten, sie ist stolz, aber was ist das, immer noch Tränen in den Augen? Nein, sie weint nicht mehr, keinesfalls, hat er nicht schon zwei Jahre draußen gestanden! Jawohl, Franz Fiedler, alter Frontsoldat, nun hast du es nicht mehr nötig, Festungsgefangene zu bewachen, er gibt draußen wohl wichtigere Dinge!
Du kommst doch bald zurück! sagt sie. Höchstens noch ein halbes Jahr, sagen sie, wird es dauern.
Ja, ja, ein halbes Jahr? Ist ja Unsinn, Mutter, lohnt ja nicht hinauszugehen! Leb wohl, leb wohl!
Dort fahren sie dahin, ein ganzer Zug Soldaten nach dem Westen. Ununterbrochen rollen solche Züge hinaus. Die Sonne blinzelt auf die Straßen herab, Fahnen wehen über den Türmen und Häuser. Die deutsche Armee hat einen neuen Sieg erstritten! In der Zitadelle verschwendet die Zeit sich, sie steht im Hof der Gefangenen umher, schleicht langsam dahin wie ein Greis, dessen Dasein ohne Sinn ist. Sie hier sind Menschen ohne Bestimmung geworden, sind Gefangene!
In dem Fachwerkhause hinter den braunen Planken sitzt ein einsamer Mann in seiner blaugrauen Uniform über ein S c h a c h b r e t t gebeugt. Er sitz hier schon Tage hindurch, Stunden vergehen, ehe er sich zu einem Zuge entschließt. Dieser Mann kämpft mit einem unsichtbaren Gegner.
Jetzt gibt er dem Unsichtbaren eine großartige Chance, die aber nutzt sie nicht aus, das Spiel kommt zu keinem Ende, Pilsudski erhebt sich, die Ausgangszeit ist da, er geht in den Garten. Da stehen an der Kasematte drei Apfelbäume, es ist Herbst geworden und die Aepfel sind reif. Eine Frau kommt und beginnt sie einzusammeln. Plötzlich beginnt ein Kind zu schreien, sie stellt den Korb mit Aepfeln auf den Boden und eilt aus dem Garten; eine Weile später schweigt das Kind, nun erscheint die Frau und setzt ihre Arbeit fort.
In der Ferne fällt ein Kanonenschuß. Glocken beginnen zuläuten, die Stadt über dem Fluß feiert den Sieg. Das Kind hebt mit seiner Stimme wieder zu schreien an, zum zweitenmal geht die Frau aus dem Garten, als sie zurückkehrt trägt sie das Kind auf dem Arm. Sie setzt es unter winen der Bäume und läßt es mit den Aepfeln spielen, das Kind jauchzt dem einsamen Manne zu, und alles ist Freude.
Vater der Ulanen
Einmal lächelt die Frau bei ihrer Arbeit, der Gefangene spielt mit dem Kind. Ihr Mann ist im Felde, steht in Italien, sein Kind spielt mit einem General! Drei Stunden gehen schnell vorüber, Pilsudski nickt dem Kinde zu, er begibt wieder in sein Heim. Dieses überragende Heim; drei Zimmer und unten der Posten vor der Tür. Das Kind ruft nach ihm, die Frau wird rot und verlässt den Garten. Der Gefangene denkt nach, warum diese Frau wohl errötet: Das Kind rief: Vater!
Einmal haben sie ihn den V a t e r s e i n e r U lö a n e n genannt, aber das ist lange vorüber. Er sitzt hier, gebeugt sich wieder über sein Schachspiel, er spielt Wochen hindurch, der Herbst geht dahin, der Winter ist da, die Gefangenen in den Kasernen und Kasematten der Zitadelle warten, einmal muß sich alles wenden. Pilsudski bringt an dem Tage, an dem der Schnee fällt, sein Spiel zu Ende. Er unterlieg seinem Gegner, hat sich selber Matt gesetzt, Ja, hier auf dem Schachbrett –! Im Leben sollte es wohl anders sein, er hat noch Figuren im Spiel, einmal wird er den Zug bestimmen. Er wartet auf die Peowiaken, ein Tag um den anderen vergeht, nichts geschieht. Es ist kein Grund, zu verzweifeln! Als Pilsudski gestern im Garten spazieren ging, grüßte ihn ein Mann vom Wall herab, der die Uniform eines Infanteristen trug, grüßte kurz und verschwand. Das Gesicht dieses Mannes hatte er schon einmal gesehen. Es dauerte lange, ehe er sich zu erinnern vermag, aber dann tauchen Bilder vor seinen Augen auf, die von weither aus der Vergangenheit kommen. Es war am Anfang der Krieges, als die kleine Polnische Legion sich nach K i e l c e geworfen hatte und hier die Russen erwartete, die angeblich unter General M i s z c z e n k o heranzogen. Eine kleine deutsche Besatzung und die Polen, das war die ganze Garnison, die eines Tages von den Russen überrumpelt werden konnte.
In diesen Tagen richtete Pilsudski einen K u n d s c h a f t e r d i e n s t ein, der Kielce im weiten Kreis umspannte. Es waren fast ausschließlich Frauen, die diesem gefährlichen Nachrichtendienst angehörten, auf klapprigen Fahrzeugen fuhren sie der russischen Armee entgegen und stellten deren Stärke und die Schnelligkeit des Anmarsches fest. Einmal wurde die Nachricht verbreitet, daß eine russische Reiterdivision an der P i l i c a erschienen sei. Sie mußten sich schon auf den Rückzug vorbereiten, da erschien einer der tüchtigsten Kundschafter, der festgestellt hatte, daß es sich nur um e i n Reiterregiment handle, überall sei er nur auf die geschickt verteilten Reiter des einen Regiments gestoßen. Kielce blieb vorläufig besetzt, den Mann aber, der ihm die Nachricht gebracht, hatte Pilsudski heute gesehen, in der Uniform eines deutschen Infanteristen.
Das alles konnte Zufall sein; eine große Zahl von Polen standen in der deutschen Armee, hatten sich freiwillig gemeldet, man konnte sich auch getäuscht haben – aber winkte der Mann ihm nicht zu. Pilsudski blieb dabei, der Ulan aus Kielce befand sich in seiner nächsten Umgebung, eines der tüchtigsten Kundschafter aus der ersten Kriegszeit!
Wincenty will handeln
Der Kommandant der Legion ist nicht vergessen worden. Die Peowiaken indessen zögern immer noch mit der Durchführung des Befreiungsplanes. Kozeniowski ist abgeraten worden, als preußischer Leutnant nach Magdeburg zu gehen! Es ist gelungen, Spione aus Polen bis in die Nähe der Zitadelle zu schicken: sie erklären, daß eine Befreiung nur durch einen b e w a f f n e t e n H a n d s t r e i c h möglich wäre. Aber ist das nicht heller Wahnsinn, mitten in Deutschland, dessen Straßen von den Marschtritten der Soldaten wiederhallen, einen Handstreich auf eine Festung durchzuführen!
Ja, es sei möglich, erklären die Spione! Die Festungswache bestehe nur aus Landsturmmännern, einige verwegene Peowiaken würden nicht allzu großen Widerstand finden!
Die Nacht im Miezzynski- Museum
Eine geheime polnische Militärorganisation will den Legionsgeneral Pilsudski aus seiner Festungshaft in der Magdeburger Zitadelle befreien. .Nachdem ein erster Befreiungsplan verworfen worden ist, beschließen die Mitglieder der Organisation einen zweiten, eben kühnen wie waghalsigen Plan durchzuführen.
7. Fortsetzung
4. Februar 1915
Ein solcher Plan braucht Vorbereitung, er braucht einen verwegenen Führer! Im Spätherbst, als die Absichten zur Befreiung Pilsudskis schon fast eingeschlafen sind, treibt der Kommandant der U n a b h ä n g i k e i t s- K a m p f t r u p p e n i n P o s e n, W i n c e n t y W., die Vorbereitungen zur Befreiung energisch vorwärts. Da er selbst aber wenig Bewegungsfreiheit hat, weil er sich aus gewissen Gründen in der Öffentlichkeit nicht sehen lassen kann, kommen die Vorarbeiten nur langsam weiter. Der Winter ist da; als noch immer nichts geschieht, entschließt er sich, auf eigene Faust zu handeln. Er beruft die Mitglieder der Geheimen Unabhängigkeits- Kampftruppen unter den Augen der Polizei in Posen zusammen.
Der Schnee deckt das Land weithin. In Posen klingeln Pferdeschlitten durch die Straßen. Der Sturm kommt, die Menschen flüchten in die Häuser. So fällt es nicht weiter auf, als am späten Nachmittag des 4. Februar zahlreiche Männer, die aus den Straßen der Innenstadt kommen, im M i e l z y n s k i- M u s e u m verschwinden.
Es sind die Mitglieder der U n a b h ä n g i k e i t s- K a m p f t r u p p e, ihr Ziel ist die Versammlung, zu der Hauptmann Wincenty W. aufgerufen hat. Diese Zusammenkunft ist keine Kleinigkeit, am Anfang lauern sie nach den Türen hin, erst als alles ruhig bleibt, beginnen sie selber daran zu glauben, daß kein Zwischenfall eintritt!
Wincenty W. beginnt zu reden. Er protestiert gegen den Vertrag von B r e s t. In dieser Nacht noch sollen Plakate an die Häuser Posens angeklebt werden, in denen der Protest öffentlich zum Ausdruck gebracht wird. Er sucht Freiwillige, die bereit sind, den Maueranschlag durchzuführen, eine große Zahl meldet sich.
Sie kommen tun zum zweiten Versammlungspunkt, der den b e w a f f n e t e n H a n d s t r e i c h a u f d i e Z i t a d e l l e v o n M a g d e b u r g betrifft. Wincenty W. erläutert seinen Plan. Einige beherzte Männer sollen in den U n i f o r m e n p r e u ß i s c h e r S o l d a t e n n ach Magdeburg fahren, dort in die Zitadelle eindringen und Pilsudski befreien. Um die Wache in Unklarheit zu lassen, muß an Pilsudskis Stelle jemand zurückgelassen werden, der Pilsudski ähnlich sieht. Erst später soll die Besatzung der Zitadelle merken, daß Pilsudski geflohen ist.
Die Peowiaken sind mit dem Plan einverstanden. Wincenty W. macht hierauf eine Mitteilung, die Aufsehen genug erregt. Er hat bereits einen D o p p e l g ä n g e r gefunden, einen Mann, der für Pilsudski in der Zitadelle bleiben wird. Dieser Mann wird zur Verfügung stehen, sobald der Plan durchgeführt werden soll. Er heißt P l u c i n s k i und stammt aus Posen.
Einige Männer beginnen nachzudenken, der Name ist ihnen nicht unbekannt! Plucinski hatte 1905 in der U l e j e U s a z d r o w s k i e bei der großen Demonstration einen Gendarmen den Schädel mit einem Ziegelstein eingeschlagen; er wa r da mals ausgewiesen worden. Aber wo befindet sich dieser Mann heute? Wincenty W. gibt lächelnd die Antwort. Der Doppelgänger Josef Pilsudskis ist in – Deutschland!
In der nächsten Woche noch wird das Unternehmen durchgeführt, die Peowiaken fordern diese Beschleunigung! Als sie einzeln das Museum verlassen, ist es längst Nacht geworden. Eine besondere Aufgabe wartet auf sie, die Plakate gegen Brest müssen noch angeklebt werden. Draußen herrscht ein undurchsichtiges Wetter, muß nicht alles gut aussehen? Keinhat.er von ihnen ahnt, daß die Polizei von der Versammlung im Mielzynski- Museum erfahren Als sie ihre Arbeit mit den Plakaten beginnen, sind die Straßen überall von Beamten besetzt.
Putsch im Reich
Die großen Ereignisse auf den Kriegsschauplätzen überschatten in diesen Tagen alle anderen Dinge. Die Munitionsarbeiter in Norddeutschland sind von A p a r t a k i s t e n und U n a b h ä n g i g e n aufgeputscht worden und streiken, eine Vaterlandspartei hat sich gegründet, der Spartakusbund verteilt Flugblätter, nichts als Geräuche nebenher! Die große Kriegsmaschine überdröhnt alles! Es ist ausschlaggebend, ob die Front aushält. Diese Front, geschwächt von Munitionsmangel durch den Streik, hält aus! Ein einsamer Mann in der Zitadelle zu Magdeburg vergleicht die Nachrichten von den Kriegsschauplätzen mit den Fähnchen, die er sich auf den Landkarten gesteckt hat. Jawohl, Z e i t u n g e n und L a n d k a r t e n sind ein t r ö s t l i c h e r Besitz, sie erschließen einem einen Blick in diesen Krieg, auch wenn auf den Landkarten die Landesgrenzen ausgeschnitten sind und wenn in den Zeitungen die Nachrichten über Polen entfernt wurden!
Diese Deutschen sind voller Zähigkeit, aber ist diese Eigenschaft nicht eine Folge der inneren Stärke und des Glaubens! Ich bewundere die Taten ihrer Armeen“ sagt Pilsudski eines Tages zu Oberleutnant Sch. Ich habe die größte Hochachtung in ihre Organisation und Ausdauer! Sie dürfen Glauben, ich wünsche mir, daß Polen einmal die gleichen großen Kräfte aufbringt! Ja, Josef Pilsudski bewundert die Deutschen. Er sagt es immer wieder, daß man sich später einmal verstehen wird, Polen und Deutsche! Ich will F e u n d s c h a f t m i t D e u t s c h l a n d! sagt er klipp und klar.
Eine Zeitungsnotiz
Der Kommandant der Polnischen Legion ist offenherzig. Als ihn einer der Offiziere des Garnisonskommandos fragt, ob er an den Sieg der Deutschen glaubt, schweigt er zunächst. Es kommt darauf an, sagt er schließlich, ob ihre Kräfte bis zum siegreichen Ende ausreichen werden. D a s a b e r b e z w e i f l e i c h!
Die Offiziere sehen ihn erstaunt an. Ob er glaubt, daß der Feind draußen tapferer sei – und stärker? Pilsudski legt ein Z e i t u n g s b l a t t vor sie hin, das er aus den Zeitungen ausgeschnitten hat, die er nun regelmäßig bekommt. Dieses Zeitungsblatt enthält die von E r z b e r g e r entworfene und von Sozialdemokraten, Liberalen und Zentrum angenommene F r i e d e n s e n t s c h l i e ß u n g d e s R e i c h s t a g e s. Und er zeigt ihnen ein zweites Blatt, in dem steht, daß die Sozialdemokraten E b e r t, S c h e i d e m a n n , D a v i d und H e r m a n n M ü l l e r auf einer S o z i a l d e m o k r a t i s c h e n F r i e d e r s k o f e r e n z i n S t o c k h o l m für den Frieden eingetreten sind. Die Juden H a a s e, B e r n s t e i n und K a u s t y forderten, Deutschland müsse Belgien entschädigen.
Was sind das für Leute, fragt Pilsudski, die hinter der Front nach Frieden schreien. Ihre Armee, meine Herren, ist unbesiegt, aber ich zweifle an einem günstigen Ausgang des Krieges!
Das ist Pilsudskis Meinung. Die Offiziere schweigen, sind beschämt. Gestern wurden in der Zitadelle Demonstranten und Meuterer aus H a m b u r g und L ü b e c k eingeliefert. Pilsudski sieht wohl, was vorgeht, er sieht mehr, als sie ahnen!
Dieser Tage sind die Zeitungen flüchtiger als sonst durchgesehen worden. Eine Notiz ist in ihnen enthalten, die aus Posen stammt, vielleicht ist sie auch mit Absicht übersehen worden. In wenigen Zeilen wird berichtet, daß die Polizei eine Anzahl Verschwörer verhaftet hat, als sie gegen den Frieden von Brest protestierten.
Pilsudski weiß wohl, um welche Organisation es sich handelt. Es gibt keine Aussicht mehr, die Peowiaken hatten sich durch ihre eigene Unvorsichtigkeit der Polizei ausgeliefert.
Das Garnisonskommando wird durch den Nachrichtendienst über die Vorgänge in Posen unterrichtet, in der Zitadelle sind zur besseren Sicherung der Häftlinge besondere Maßregeln ergriffen worden. Die Wache wird verstärkt, an den Türen der Offiziersarrestanstalt bringt man Kontakte an, die Alarmglocken in der Wachstube betätigen, sobald sie außerhalb der Ausgangszeiten geöffnet werden.
In der Stille des Winters beginnt General Pilsudski während seines Aufenthaltes in der Magdeburger Zitadelle mit der Niederschrift des ersten Kapitels seiner Erinnerungen. In ihm befaßt er sich besonders mit seinem Schicksal als Schutzgefangener.
8. Fortsetzung
Das Kriegserlebnis
In diesen Wochen erfüllt sich ein Wunsch Pilsudskis, ihm wird Schreibpapier bewilligt. Er erhälter mit dem Vermerk, das Gesuch wegen Sosnikowski niederzuschreiben. Sosnikowski? Ja, aber Pilsudski hat noch andere Absichten, er will seine Lebenserinnerungen niederschreiben. Das K r i e g e r l e b n i s soll festgehalten werden! Dieser Mann aber hat zu lange in Gefängnissen gesessen, um nicht auch einige Erfahrungen über das Schicksal von Niederschriften gesammelt zu haben, die einer in der Gefangenschaft anfertigt. In Sibirien schrieb er einmal drei Monate hindurch Tag um Tag, sein Lebenswerk sollte es werden, zum Schluß hat ein Kosak mit dem Manuskript Feuer angezündet! Nein, es ist besser, man betätigt sich in aller Heimlichkeit! Pilsudski hat den Vorwand gebraucht, eine Beschwerdeschrift über seine Isolierung einreichen zu wollen. Diese Schrift ist niemals verfaßt worden. An diesem Tage aber beginnt er, seine Erinnerungen niederzuschreiben.
Er ist sparsam bei der Niederschrift, das Papier wird mit kleinen Buchstaben eng beschrieben, es gibt keinen Rand, er hat Furcht, daß diese Bogen seine Gedanken nicht fassen können. Als er schon mit seinen Kriegserinnerungen beginnen will, kommt ihm der Gedanke an ein Vorwort. Später gibt er dem ersten Kapitel den Titel „D i e M a g d e b u r g e r Z i t a d e l l e“.
Urteil über die Haft
Mein Aufenthaltsort ist die Zitadelle der alten Magdeburger Festung, oder besser gesagt ein Gebäude darin, das, wie ich mich aus den Tafeln mit Vorschriften über das Verhalten in den Zellen überzeuge, den komischen Namen trägt: „S o m m e r o f f i z i e r s a r r e s t s t u b e“. Offenbar soll das bedeuten, daß in diesem Bau die Offiziere der Magdeburger Garnison ihre Arreststrafen für irgendwelche Uebertretungen abzusitzen hatten! Doch gleichzeitig weist der Name darauf hin, daß dieser Bau im Winter für diesen Zweck nicht bestimmt ist. Nun werde ich zwar während des ganzen Winters von 1917 auf 1918 hier festgehalten, doch mscvhe ich das den Deutschen n i c h t s o n d e r l i c h z u m V o r w u r f. Freilich, ist es auch manchmal kalt, doch kann ich nicht behaupten, daß man sich nicht bemüht, oft sogar sehr eifrig diesem Uebelstand abzuhelfen! Ich muß annehmen, daß man diesen Ort deshalb gewählt hat, weil es hier am leichtesten fällt, die höhererseits erteilten strengen Befehle durchzuführen: m e i n e v ö l l i g e A b s o n d e r u n g v o n d e r g a n z e n W e l t.
Uebrigens wohne ich ganz bequem. Im ersten Stock stehen drei Zellen zu meiner Verfügung: ein Schlafzimmer, eine Art Empfangszimmer, was mir in meiner Lage recht lächerlich erscheinen muß – ein Eßzimmer. Alle drei Zellen, den ganzen Tag geöffnet, liegen nach einem kleinen Gärtchen, wo einige Obstbäume stehen und etliche Stauden und Sträucher wachsen. Hinter dem Gärtchen befindet sich der mit Gras bewachsene große Erdwall der ehemaligen Festung, bedeutend höher als das Haus. Unten in den Parterrezellen, wohnt der zu meiner Bewachung bestimmte Unteroffizier und die Ordonnanzen, die – wie auch jetzt wieder systematisch in kurzen Zeitabständen gewechselt werden. Im Garten steht ein bewaffneter Soldat als ständige Wache. Ein hoher, fest gefügter Bretterzaun trennt den Garten von der Außenwelt, das heißt von dem riesigen Zitadellenhof. In dieser Außenwelt führt ein Pförtchen, hinter dem ein anderer aus der Festungswache abkommandierte Posten steht.
Gefährliche Stille
Zum Gefängnisleben bin ich anscheinend wie geschaffen. Ich vertrage Einsamkeit leicht, ohne, wie andere ihre ganze Last zu spüren, und vermag das Drückendste des Gefängnislebens – die Sehnsucht – durch G e d a n k e n a r b e i t zu lindern. Es unterliegt nämlich keinem Zweifel, daß die S e h n s u c h t n a c h F r e i h e i t, nach ungehemmter Bewegungsmöglichkeit, jeden Gefangenen niederdrücken muß nach einem Zustand, wo es nicht die vielen Verbote und Einschränkungen gibt, die den Menschen zur Eintönigkeit endlos sich dahinschleppender Tage verurteilen. Tage, die stets gleichmäßig, immer unter denselben Bedingungen zugebracht werden. Für so gewissenhafte isolierte Menschen, wie ich es in Magdeburg bin, von der ganzen Welt abgeschnitten, wird das Leben zu einer fast u n e r t r ä g l i c h e n Last. Ich habe ein K r i e g e r l e b e n gelebt, bei dem sich die menschlichen Nerven an ewige Bewegungen gewöhnt, an tägliche Verwandlungen des eigenen Wesens in ein immer wieder neues Kampfinstrument, das immer wieder mit anderen Willensanspannungen arbeitet, mit anderer Anspannung der Nerven, des Geistes und des Herzens. So ist also die Gefängnisstille und die ungewöhnliche, nämlich deutsche Eintönigkeit des Tages ein ausgezeichneter Nährboden für die oft verzehrende Sehnsucht nach dem bunten bewegungsreichen Kriegsleben. Bei dieser völligen Isolierung kann ich nicht einmal erfahren, was aus meinen Freunden geworden ist, mit denen ich mich in der schweren und harten, doch ungewöhnlichen reizvollen Kriegsarbeit der e r s t e n L e g i o n e n b t i g s d e verbrüdert hatte. Oft tauchen bei den langen, einsamen Spaziergängen im Gärtchen leuchtend und lebensfrisch die Erinnerungen an die letzten Erlebnisse auf. Wie Trugbilder von Oasen in der Wüste erdrücken und betören sie mich, wenn sie mir die lieben Gesichter der Freunde vorgaukeln, wenn mein Ohr fast ihr Lachen vernimmt beim Dröhnen der Kanonen und beim Geratter der Gewehre, die einst ihr Kriegslied um mich sangen.
Um die mich verzehrende Sehnsucht niederzuringen, spiele ich den Kritiker, sei es meiner selbst, sei es meiner Untergebenen, damit die Augen nicht mehr sehen, die Ohren nicht mehr hören. Das Herz sich nicht mehr aufbäumt, um diese fast sinnlichen Eindrücke in analytische Betrachtungen einzuzwängen. Lange, lange arbeite ich nur in Gedanken. Da fühlte ich plötzlich, wie schon oft bei meinen früheren Gefängniserlebnissen, dass ich ein u n w i r k l i c h e s L e b e n zu leben beginne, lediglich von irgendeiner geistigen Arbeit lebe, so daß die ganze natürliche Arbeit des Organismus zu sterben beginnt. Ich beschloß dem ein Ende zu machen, und nachdem ich meine Willenskraft erprobt habe, indem ich zwei Wochern lang nicht mehr rauche, kam ich zu der Ueberzeugung, die einfachste Art, mich von der Last der Sehnsucht zu befreien, ist der Versuch, m e i n e E r i n n e r u n g e n s c h r i f t l i c h a u f z u z e i c h n e n. Eine Feder zur Hand zu nehmen und durch die mechanische Arbeit mich selbst mit dem, wenn auch an Eindrücken armen, immerhin aber r e a l e n Leben fest zu verknüpfen! General Pilsudski arbeitet Tag um Tag, den ganzen Winter hindurch. Er schreibt heimlich, das Kriegserlebnis wird zu Papier gebracht, immer bringt er die Aufzeichnungen beiseite, ehe die Ordonnanz eintritt. Seine Erfahrungen in Sibirien haben ihn ängstlich gemacht, er behütet die Manuskripte als trostbaren Schatz. Es geht schon dem Frühling entgegen, da tritt in Pilsudskis Leben eine bedeutende Veränderung ein. Die Ordonannzen der Attestanstalt werden einem neuen Unteroffizier unterstellt. Dieser Unteroffizier L i n d m a n n kommt von der Front; als Pilsudski von ihm hört, kann er sich eines Gedanken nicht erwehren. Das Garnisonskommando holt einen Frontsoldaten zu seiner Bewachung, es mag seinen Grund dazu haben!
Sosnkowski kommt in die Zitadelle
Diesen Grund soll Pilsudski noch am gleichen Tage erfahren. Oberleutnant Sch. überbringt ihm die Mitteilung, daß dem Gefangenen von der nächsten Zeit ab ein täglicher Spaziergang außerhalb der Zitadelle gestattet wird. Uebrigens ist auch die Genehmigung eingetroffen, Oberst S o s n k o w s k i aus der Hauptarrestanstalt nach der Zitadelle zu überführen und in die Sommeroffiziersarrestanstalt einzuquartieren, allerdings getrennt von Pilsudski in einem Zimmer zur ebenen Erde.
Das ist wohl mehr, als der General erwarten mochte. Er ist gerührt und dankt Oberleutnant Sch., er bittet, auch General R. seinen Dank zu übermitteln.
Und nun beginnt bald eine neue Zeit! In ein paar Tagen schon? Neun Monate im Gefängnis, und nun plötzlich dieser Lichtstrahl! Einmal geht wohl alles zu Ende auf dieser Welt! Und doch gibt die Erleichterung der Haft Pilsudski ein Rätsel auf. Glauben die zuständigen Stellen in der deutschen Heeresleitung, daß die POW in Posen völlig unschädlich gemacht worden ist? In diesem Falle ist mit seiner Befreiung nicht mehr zu rechnen. Vielleicht auch will die Polizei die Verschwörer aufmuntern, um dann beim ersten Versuch kräftig zuzupacken. Die Ordonnanz der Sommeroffizierarrestanstalt werden abgelöst, es geschieht schon zum zweitenmal, seitdem Pilsudski hier ist. Unteroffizier Lindermann tritt seinen Dienst an. Noch am ersten Tage wird er zum Garnisonskommando befohlen.
Frontsoldat? Fragt Oberleutnant Sch. Er sieht eine Meldung durch, die vom Korpskommando eingegangen ist. Ja, ganz ausgezeichnet! Unteroffizier Lindemann, aktiv ausgerückt, dreimal verwundet, das letztemal hat es ihn zwischen C a m b r a i und St. Q u e n t i n ganz besonders schlimm getroffen. Fliegerbombe und zwei Tage verschüttet. Er hat wohl etwas für immer abbekommen! Außerdem einen Bombensplitter in der linken Schulter – noch nicht entfernt! Mann Gottes – und schon im Dienst! ruft der Oberleutnant. Müssen ja eine Bärennatur haben! Selber gemeldet?
Jawohl, zum Frontdienst! erwidert Lindemann.
Hm! Oberleutnant Sch. geht durchs Zimmer. sieht zum Fenster hinaus, draußen marschieren sie wieder mit Blumen an den Gewehren. Hundertfünfzig Mann von der Genesendenkompanie, keiner dabei, der nicht mehrmals verwundet ist. Sind sie hier schon beim letzten Aufgebot angekommen? Er wendet sich mit einem viel zu straffen Ruck zu Lindemann. Müssen trotzdem hier bleiben, Unteroffizier! Haben besonderen Auftrag, so was bekommt nicht jeder. Das Korpskommando muß gewaltiges Vertrauen in Sie setzen: Habe gefährlichen Mann in der Zitadelle zu bewachen! Kann man nicht jedem anvertrauen, brauchen Frontsoldaten dazu!
Alarm der Festungswache
Inmitten der Unzufriedenheit, die spartakistischen Wühlmäuse im Frühjahr 1918 in die deutschen Städte tragen, liegt die streng bewachte Magdeburger Zitadelle mit ihren Gefangenen und dem Schutzhäftling Pilsudski. Aber wird der rote Mob auf die Dauer vor dem Tor der Zitadelle Halt machen?
9. Fortsetzung
Cambrai am Kanal
Es ist in den ersten Märztagen, die Sonne meint es übermäßig gut, und die Menschen kommen vom Winter in den Sommer, sie erleben dieses vierte Kriegsjahr ohne Frühling.
Lindemann geht durch die Stadt, langsam und ohne Ziel, plötzlich steht er am Bahnhof. Die innere Ratlosigkeit hat ihn hergetrieben, er ist immer im Aufbruch, immer noch in Bereitschaft! Diese dreieinhalb Jahre kann man nicht wie ein Nichts abtun! Draußen geht es dem Ende zu! In der französischen Armee hat ein ganzes Armeekorps g e m e u t e r t, sie mußten die Regimenter mit Artillerie zusammenschießen, nun haben sie es drüben wohl endgültig satt bekommen. Alles hängt davon ab, wer hier länger aushält! Lindemann will noch die Familie eines Kameraden am Stadtrand aufsuchen. Er steigt in die Straßenbahn, sucht eine Stunde, als er das Haus endlich findet, hat er seinen Weg umsonst gemacht. Die Kinder sind wohl da, zwei Jungen, die im Garten der Nachbarin spielen. Frau Meinke selber arbeitet in der Munitionsfabrik! sagt ihm jemand. Jawohl, die Kinder sind beim Nachbar untergebracht, sie arbeitet in der Fabrik, und die Frauen hier schlagen sich durch. Ihr Mann liegt in einer Minenwerferabteilung westlich von C a m b r a i am Kanal, seit einem Jahr ist Kamerad Paul nicht daheim gewesen, die dort am Kanal können mit Urlaub nicht rechnen! Urlaub? Die Kompanien vor Cambrai haben noch achtzig, bestenfalls hundert Mann, kann einer da Urlaub haben?
Straßenredner
Sie kämpfen alle; Frauen in den Munitionsfabriken, Männer an der Front! Unteroffizier Lindemann bewacht einen Gefangenen! Er erinnert sich, daß er um zwölf Uhr seinen Dienst in der Zitadelle antreten muß, nun begibt er sich auf den Rückweg, hinterläßt die Nachricht, daß er noch einmal vorsprechen wird. Offen gestanden, Lindemann gefällt es in der Stadt nicht mehr. Vor dem Genesendenheim spricht ihn jemand an, ein Zivilist, der die Hände in den Hosentaschen hat und den Hut tief ins Gesicht zieht, er mag hierfür seine Gründe haben
Kamerad! sagt dieser Mann, der stark und gesund ist und hier umherlungert, wo kaum hergestellte Verwundete ihren Ausgang halten, um wieder ins Trommelfeuer zu gehen. Kamerad! sagt er noch einmal und stellt sich Lindemann in den Weg. Du hast es draußen wohl auch tüchtig satt bekommen? Lindemann ist sprachlos. Der Zivilist legt sich das Schweigen falsch aus, wird vertraulicher und erklärt, daß es j a g a n z s i n n l o s sei noch mal an die Front zu gehen. Er hält Lindemann für einen Soldaten aus dem Genesendenheim. Kamerad, wir wollen diesen Krieg auf eine andere Art zu Ende bringen, sagte er, du sollst endlich wieder zu deiner Familie heimkehren! Dabei steckt er Lindemann einen bedruckten Zettel in die Tasche, ein Flugblatt. Jetzt aber reißt dem Unteroffizier die Geduld. Du Schweinehund! schreit er den Kerl an. Wirst du wohl die Hände aus den Hosentaschen nehmen! Der andere ist verblüfft, beginnt zu schlottern und sich nach allen Seiten umzusehen. Nun nimmt Lindemann sich ihn aufs Korn. Drückeberger! sagt er. Oder vielleicht gar Fahnenflüchtiger! Du Schwein gehörst zu denen, die noch nie draußen waren! Nun aber Dampf auf und sieh, daß du weiterkommst! Wenn ich dich noch einmal hier sehe. Hoho! ruft der Zivilist plötzlich aus und bekommt Mut. Zwei Männer gleichen Schlages tauchen in der Nähe auf, sie kommen herbei und beginnen ebenfalls auf ihn einzureden. Erst als Lindemann auf die Wache des Genesendenheims zugeht, verschwinden alle drei um die nächste Ecke. Schweinehunde! Es hat wohl keinen Sinn, ihnen nachzugehen. Diese Art von Lumpen haben überall, wo sie auftauchen, Winkel, in denen sie unversehens verschwinden. Das nächste Mal wird man schneller zugreifen! Draußen wüste man schon was mit ihnen zu geschehen hätte. Draußen! Unteroffizier Lindemann bekommt wieder S e h n s u c h t n a c h d e r F r o n t, aber er hat einen Befehl durchzuführen, man kann seinen Platz nicht verlassen und davonlaufen! Nein, nein, der Befehl ist höher! Als Lindemann durch das Tor in die Zitadelle geht, sieht er die Wache im Torweg unter dem Wall exerzieren. Jawohl, mit aufgeplanztem Bajonett halten sie den Torweg besetzt und bajonettieren. Abwehr eindringender Gegner! denkt Unteroffizier Lindemann. Aber wen wollen sie hier abwehren? Sie rechnen doch wohl nicht damit, daß jemand es wagen würde, die Zitadelle anzugreifen, hier, mitten in Deutschland. Aber vielleicht geschieht alles nur, um die Landsturmmänner, die hier das Wachkommando bilden, in Bewegung zu halten.
Gefechtsbereitschaft
An diesem Tage noch meldet Lindemann sich bei Pilsudski. Als der General erfährt, daß Unteroffizier Lindemann von der Front kommt, nickt er ihm zu, kurz und anerkennend. Wohl denen, Unteroffizier, die draußen sein dürfen! Hat er zuviel gesagt? Pilsudski kehrt sich hastig ab, steht wieder am Fenster. Draußen lagern die Gefangenen in der Sonne. Diese Männer haben den Krieg hinter sich. Aber was wird das für eine Welt sein, in die sie zurückkommen, Unteroffizier! Für uns alle beginnt dann wohl eine schlimme Zeit. Jawohl! sagt Lindemann. Und er denkt an das Flugblatt, das ihm die Straßenredner zugesteckt haben. Dieser Mann hier ahnt wohl nicht, wie es da und dort zu knistern beginnt in Europa! So, ahnt er es wirklich nicht? In der Nacht schrillt eine Glocke. Sie reißt die Mannschaften des Wachkommandos auf, alarmiert die Besatzung der Zitadelle. Die Wache steht mit aufgeplanztem Bajonett und entsichertem Gewehr am Tor. Sie setzen die Maschinengewehre auf dem Wall in Feuerbereitschaft, automatisch, wie auf dem Exerzierplatz. Als dann plötzlich tiefe Stille eintritt, wirft Unteroffizier Lindemann einen Blick auf die Stadt. Die Posten an der >Brücke stehen wie Silhouetten gegen das Rot des Himmels, in der Stadt rührt sich nichts. Ein Kommando klärt alles auf, die Mannschaften rücken wieder in ihre Wachräume ein. alles war b l i n d e r A l a r m. Lindemann atmet auf, er hatte wohl etwads anderes gedacht, vielleicht an einen Ueberfall? Ja, ja, er erinnert sich an den Zwischenfall gestern in der Stadt. Aber noch war es nicht so weit, Probealarm, um die neuen Glocken auszuprobieren. Vielleicht hatten sie hier einmal einen Handstreich auf der Zitadelle abzuwehren!
Schritt in die Freiheit
Ein schöner Märzmorgen bricht an, die Sonne leuchtet strahlend vom Himmel. Die französischen Offiziere stehen im Hof der Zitadelle umher und warten auf das Vorrücken der Uhr. Der Ausgangstag ist gekommen, den sie rot in ihrem Kalender angestrichen haben. Heute wird Pilsudski ihnen nicht mehr voller Sehnsucht nachsehen; heute ist ein großartiger Tag für ihn angebrochen, soll ihm die erste Hälfte der Freiheit bringen! Der General hat zu diesem überragenden Tag die graublaue Uniform angezogen. Die polnischen Ulanen haben sie getragen, in ihr wird Pilsudski heute den ersten Ausgang in die Stadt unternehmen. Jawohl, Unteroffizier Lindemann, Ausgang in Uniform, Mantel und Mütze! – Und was besonders höflich ist: in Begleitung des Obersten S o s n k o w s k i! Neun Monate ist man allein gewesen, heute ist es mit dieser Einsamkeit aus; man wird nicht mehr hier sitzen und mit einem unsichtbaren Gegner Schlachten auf Landkarten schlagen! Und in der Nacht Kriegserinnerungen schreiben, a u s d a m i t! Ein neues Leben beginnt! Seht, wie sind niemals alt genug, niemals zu weit unten, um nicht immer wieder neu anzufangen. Dieses Leben, Unteroffizier, ist u n e r s c h ö p f l i c h! Eine Stunde, angefüllt mit Erwartungen, vergeht. Die französischen Offiziere vertreiben sich die Zeit mit ihrem Kegelspiel. Sie haben eine Kegelbahn in die Erde gestapft, nun sind sie vergnügt wie Kinder, wenn einem von ihnen ein großer Wurf gelingt.
Legionsgeneral Pilsudski, der seit dem Hochsommer 1917 in der Magdeburger Zitadelle interniert ist, erhält im Frühjahr 1918 die Erlaubnis, die Zitadelle zu verlassen und sich in Begleitung eines Offiziers und ehemaligen Adjutanten frei in der Umgebung der Festung zu bewegen. Zur gleichen Zeit plant die Organisation POW die Befreiung des Generals durchzuführen.
10. Fortsetzung
Erster Ausgang
In dieser Stunde lärmen im Westen Geschütze. Granaten ackern die Felder und säen Eisen in die Erde, damit nimmer Ruhe über die Völker kommt. Und zur gleichen Stunde schlagen in Paris Granaten ein, die aus dem Himmel kommen. Oder hat einer schon von einem Geschütz gehört, das seine Granaten von der deutschen Front bis Paris zu schleudern vermöchte? Nein, dieser Krieg wird wohl noch eine Unmenge Ueberraschungen bringen. Diese jungen Offiziere in der Zitadelle aber treiben währenddessen ein großartiges Spiel. Sie schieben Kegel, und die Märzsonne leuchtet gnädig über ihnen!
Pilsudski schüttelt die Träumerei von sich, die Stunde des Wartens ist vorüber. Oberleutnant Sch., begleitet vom Adjutanten erscheint, er trägt ein anderes Gesicht als sonst, d i e s e r v o r z e i t i g e F r ü h l i n g v e r z a u b e r t a l l e! Sch. nickt seinem Gefangenen zu, es bedarf wohl keiner besonderen Worte. Die beiden Offiziere sind gekommen, um Pilsudski auf seinen ersten Ausgang zu begleiten. Sie lassen den General vorangehen, halten sich mit Absicht zurück. Im Hof der Gefangenen, dicht am Plankenzaun steht ein Mann, der die Zitadelle heute zum erstenmal betrat. Er geht umher und wartet auf Pilsudski
Legionsgeneral Pilsudski steigt die schmale Holztreppe abwärts, noch ahnt er nichts von der Ueberraschung, die ihm bevorsteht. Als er durch die Pforte zum Plankenzaun tritt, erblickt er den Wartenden. Und nun bleibt er, der sich allezeit so überragend in der Gewalt hat, plötzlich stehen, in diesem Augenblick versagen ihm wohl die Beine den Dienst. Dieser wartende Mann in Zivil ist – Oberst Sosnkowski, einst Stabschef im Kommando der polnischen Legionäre. Er war es, der den Plan zum M a r s c h a u f Z a r n o w i c e gefaßt hatte, diesen verfluchten tollkühnen Plan zum Zug zwischen zwei Fronten nach Krakau. Jetzt steht er da, der Rock passt ihm nicht ganz. Schullehrer Sosnkowski! Revolutionär, Soldat – Oberst Sosnkowski! Gegenwärtig in Schutzhaft zu Magdeburg!
Da seht: Pilsudski hat Tränen in den Augen! Es hat stets große Männer gegeben, die sich der Tränen nicht schämten, wenn sie in ein Leben zurückkehrten, von dem man in aller Stille irgendwie schon Abschied genommen hatte.
Oberleutnant Sch. tritt aus dem hause, jetzt reißt Pilsudski sich auf, nimmt sich zusammen, ist gewohnt, sich immer in der Gewalt zu haben. Er geht auf Sosnkowski zu, die beiden geben sich die Hände –und bleiben still. In den größten Stunden unseres Lebens sind Worte noch immer ü b e r f l ü s s i g gewesen. Das hier ist eine Stunde, die zwei Männern unvegessen bleiben wird.
Verräter erscheinen
Das Tor der Zitadelle öffnet sich die Gefangenen dürfen hinausschreiten – und breitet sich hier nicht die Freiheit vor ihnen aus? – Menschen eilen an ihnen vorüber, sie sehen erstaunten Blicks die fremden Uniformen Pilsudkis; in diesen Tagen aber hat niemand Zeit, sich lange aufzuhalten. In der Zitadelle liegen viele fremde Soldaten sie sind längst ein gewohnter Anblick geworden. Außerdem gibt es etwas Wichtigeres: d e r W i n t e r i s t n u n e n d g ü l t i g v o r ü b e r! Eine schlimme Zeit liegt hinter allen, angefüllt mit Not und Entbehrungen – auch mit Zweifel. Heute ist es wieder strahlend schön auf dieser Welt geworden! Die Herren schreiten über die Elbbrücke, gehen durch die Straßen zwischen lachenden Menschen. Musik spielt, alles ist wie Leben aus einer anderen Welt! Soldaten marschieren singend vorüber; auf dem Markt vor dem Rathaus spielt das Musikkorps eines Infanterie- Bataillons. Das Dasein ist niemals ohne Ende! Jawohl, es ist so gut wie unerschöpflich!
Dieses Leben lieben! So heißt das erste Gesetz unseres Daseins. Um dieses Gesetz zu erfüllen, muß einer sein gelebten Tag mit Mühen bezahlen, mit unendlichem Einsatz, mit Kampf, er muß das Leben für sein Dasein hingeben. Ja, ja, so ist es wohl auch; draußen a n d e n F r o n t e n geben sie täglich tausendfältiges Leben. Daheim in den Munitionsfabriken kämpfen sie; Greise und Kinder hungern, der Wille zum Leben hält sie aufrecht! Und die Männer, die in den Gassenwinkeln umherstehen, diese gesunden, starken Menschen, die da und dort einen ansprechen? Um die sich Häuser bilden und die plötzlich verschwunden sind, wenn ein Offizier auftaucht oder eine Streife der festungswache erscheint? Sie sind die hinterhältigen Gegner unseres Daseins! Ihre Arbeit verrichten sie im Auftrage einer Zentrale, die ihren S i t z i n d e r S c h w e i z hat und die bemüht ist, von dort aus den Kampfwillen des deutschen Volkes zu unterminieren.
Josef Pilsudski sieht alles – er schweigt. Also denkt er, wird es darauf ankommen, ob diese Deutschen, die den stählernen Ungewittern an der Front widerstehen, auch diesen Gegner die Stirn bieten können. Die Frontsoldaten werden es; aber die hier, die Alten, Müden, Kranken, Hungernden, die Aengstlichen, Unzufriedenen, werden sie standhalten, die paar Monate noch?
Im englischen Unterhaus fällt in dieser Stunde der Ausspruch: D e u t s c h e k ö n n e n n u r d u r c h D e u t s c h e b e s i e g t w e r d e n! Das gibt die Richtung für die feindliche Propaganda an. Die Feindmächte beginnen über die Schweizer Zentrale der Marxisten, dieser Verräter am Deutschtum, Geld z u r U n t e r s t ü t z u n g v o n Un r u h e n im Reiche zur Verfügung zu stellen. Von diesem Gelde werden auch die Männer bezahlt, die aus ihren Schlupfwinkeln zur Zitadelle hinlauern. Eines Tages werden sie vielleicht auch vor dem Tor der Zitadelle stehen, Sie, die i m A u f t r a g e d e s F e i n d e s d e n K r i e g g e g e n i h r V a t e r l a n d i n d e r H e i m a t b e g i n n e n. Sie sind schon heute bereit, jedes U n t e r n e h m e n gegen die Zitadelle von Magdeburg zu begünstigen.
Pläne verraten
Am Tage, der Pilsudski und Sosnkowski auf ihrem ersten Ausgange sah, traf in W a r s c h a u einen Reisender aus Posen ein, der sich vom Bahnhof geradewegs in die versteckt liegende Zentrale der Polnischen Militär- Organisation begab. Die Papiere dieses Mannes, die von der Bahnhofswache kontrolliert wurden, lauteten auf den Namen J o s e f W a r e c k i. In der Zentrale der POW gab es, als dieser Mann erschien, eine herzliche Begrüßung, Josef Warecki nämlich war niemand anderes als W i n c e n t y W. der Kommandant der Unabhängigkeits- Kampftruppe in Posen, dem es gelungen war, dem Zugriff der Polizei am 4. Februar zu entwischen. Wincenty W. mußte sich einige Zeit verborgen halten; in diesen Wochen hatte die POW in Posen sich in aller Stille gerührt und einen neuen organisatorischen Apparat aufgebaut, der für das Unternehmen zur Befreiung Pilsudskis von besonderem Nutzen sein mußte. Die Peowiaken richteten sich ein „P a ß b ü r o“ ein, in ihm wurden f a l s c h e Pässe ausgestellt, Militärfahrscheine und Ausweise ausgestellt. Dutzende von Polen waren mit ihrer Hilfe schon nach Deutschland geschickt worden. Ihr Auftrag bestand darin, geeignete Leute für die Durchführung eines H a n d s t r e i c h s a u f d i e Z i t a d e l l e v o n M a g d e b u r g zu finden. Die Peowiaken waren sich klar, daß nur Polen diesen Handstreich ausführen konnten, die selbst a l s S o l d a t e n d e r d e u t s c h e n A r m e e gedient hatten. Die Warschauer Zentrale war mit den Plänen, die Wincrnty W. entwarf einverstanden. Ihm selbst aber, das war klar, konnte die Leitung des „U n t e r n e h m e n s M a g d e b u r g“ nicht übertragen werden. Die Behörden kannten ihn, die Polizei war ihm vielleicht, trotz seines gefälschten Passes schon auf der Spur. Es wurde deshalb beschlossen, einem anderen Führer der Peowiaken, S t a n i s l a w S a r o s z e w s k i, die Durchführung des Handstreiches gegen die Zitadelle auf der Elbinsel zu übertragen. Wincenty W war damit einverstanden; noch am gleichen Tage reiste er nach Posen zurück. Rhe er sich von seinen Freunden in Warschau verabschiedete, wollte man von ihm noch Näheres über den Stand der Vorbereitungen zu dem Handstreich erfahren. W. schwieg sich aus, er deutete lediglich an, daß d i e P l ä n e der Z i t a d e l l e i n s e i n e r H a n d s e i e n. Er habe sie von einem Soldaten erhalten, einem Polen, der die Verhältnisse der Festung Magdeburg außerordentlich gut kannte. Im übrigen habe man d i e b e s t e n L e u t e d e s N a c h r i c h t e n d i e n s t e s der POW nach Magdeburg entsandt. Und schon in den nächsten Tagen würden die Kampftruppe, die man ausgesucht habe, ihre Reise nach Mitteldeutschland antreten!
Franzosen fliehen aus Magdeburg
In der Zitadelle zu Magdeburg werden in diesen tagen eine Reihe von Kasematten geräumt. Französische Gefangene, die sie bisher innehatten, verlassen die Festung, um in ein Gefangenenlager überführt zu werden. Am nächsten Tage transportieren Landsturmmänner eine Reihe wenig Vertrauen erweckende Zivilisten in die Zitadelle, es sind Mitglieder des Spartakusbundes, die an den Bahnhöfen in Mitteldeutschland im Auftrage des Juden Karl L i e b k n e c h t –instruiert durch dessen überall verbreitete „Spartakusbriefe“ – Soldaten zurückgehalten haben die vom Heimaturlaub an die Front fahren sollten. Zugleich mit ihnen wurden Kuriere der m a r x i s t i s c h e n Z e n t r a l e i n d e r S c h w e i z, die im Auftrage und mit Zuhilfenahme von En t e n t e m i t t e l n Offenen Vaterlandsverrat betrieben eingeliefert. Die übrigen Häftlinge hatten Wühlarbeit auf den Marineschiffen der N o r d s e e s t a t i o n geleistet. Leutnant Berlett, einer der französischen Offiziere, der eine khakifarbene Uniform trägt, übergibt Unteroffizier Lindemann ein F l u g b l a t t, das ihm bei einem Ausgang zugesteckt wurde. Es enthält das berüchtigte p r o l e t a r i s c h e „Vaterunser“ Berlett gibt seinem Abscheu offen Ausdruck. Ist in Deutschland die Gotteslästerung gestattet? fragt er. Die Gefangenen beginnen so zu erfahren wie es im Reich aussieht. In den nächsten Wochen werden mehrere Fluchtversuche aus der Zitadelle vereitelt. Leutnant B e r l e t t und Kapitän M e y e r aber gelingt die Flucht! Auf ihrem täglichen Ausgange entwischen sie zwischen 10 und 11 Uhr ihrem Begleiter, sie verschwinden am hellen Tage in der Nähe eines Friedhofes. Die alarmierte Festungswache umstellt kurze Zeit darauf den Friedhof, die Franzosen bleiben verschwunden. Später entdeckt man Fluchtspuren, Helfershelfer haben ihnen die Flucht ermöglicht. In der Stadt spricht man offen davon, daß diese Helfer S p i o n e gewesen sind, von denen in Mitteldeutschland schon eine Reihe verhaftet sein sollen.
Der Flüchtling aus Spandau
Legionsgeneral Pilsudski, der seit dem Hochsommer 1917 in der Magdeburger Zitadelle interniert ist, erhält im Frühjahr 1918 die Erlaubnis, die Zitadelle zu verlassen und sich in Begleitung eines Offiziers und seines ehemaligen Adjutanten frei in der Umgebung der Festung zu bewegen. Zur gleichen Zeit plant die Organisation POW die Befreiung des Generals. Sie ist bereits in den Besitz der Festungspläne gekommen. Ihr fehlt nur noch der Anführer für die Truppe, die einen Handstreich durchführen soll.
11. Fortsetzung
Fluchtpläne Pilsudskis
In diesen Tagen erhält Unteroffizier Lindemann Befehl, dem Offizier, der Pilsudski und Sosnkowski auf ihren Spaziergängen begleitet, u n a u f f ä l l i g zu folgen. Die Ausgänge dürfen nicht mehr in abgelegene Stellen der Parkanlage an der Elbe unternommen werden; man möchte nicht, daß sich weitere unliebsame Zwischenfälle wie die Flucht von Berlett und Meyer ergeben.
Der Kommandant der Polnischen Legion hat einen Lieblingsplatz; es ist ein großer Stein im dichten Buschwerk an der Elbe. Er kann hier stundenlang schweigend sitzen und über den Strom sehen. Der Blick erinnert ihn an die W e i c h s e l, in der Nähe von Warschau kennt er einen Platz, der diesem zum Verwechseln ähnelt! Einmal fährt er in diesen Tagen aus tiefen Sinnen auf und fragt den Adjutanten des Platzmajors, ob er wohl später einmal m i t i h m n a c h W a r s c h a u k o m m e n m ö c h t e? Dort hätte er die besten Aussichten, er könne Offizier bleiben und ein wichtiges Kommando bekommen. In Deutschland, so sagt Pilsudski werden sie die Uniform bald ausziehen müssen! Das klingt wie offener Hohn! Oder soll es ein verstecktes Angebot sein, ein Versuch, den Offizier zum Helfer bei einer geplanten Flucht zu dingen? In diesem Falle aber war es klar, die Gefangenen hatten schon Verbindungen mit Helfershelfern außerhalb der Zitadelle hergestellt, Meyer und Berlett haben bewiesen, daß diese Verbindung durchaus möglich war! Von diesem Tage an werden die Ausgänge in die Stadt nicht mehr so regelmäßig wie früher fortgesetzt. Pilsudski findet sich schweigend damit ab, besonders nachdem ihm gestattet wird, mit Sisnkowski sich tagsüber in den gleichen Räumen aufzuhalten und hier zu arbeiten. So kommt Pilsudski wieder zu seiner Niederschrift, die er seit dem Erscheinen seines Adjutanten vernachlässigt hat. Er beginnt jetzt das Kapitel von den ersten Kämpfen der Legion niederzuschreiben. Die ersten Berührungen mit dem Krieg, so schreibt er in diesen Tage, waren für mich w i e e i n e e r s t e J u g e n r l i e b e, wie ein erster Kuß! Heute erscheint es mir, als habe viele rührende Poesie dabei eine besondere Rolle gespielt! Ach, es ist wohl damals am Anfange des Krieges bei der Legion nicht immer so poesievoll zugegangen. Haben die gleichen Erscheinungen, die Pilsudski bei seinen Spaziergängen außerhalb der Zitadelle beobachten konnte, nicht auch in der Legion um sich gegriffen? Es ist kein Geheimnis, so schreibt er in diesen Tagen wörtlich nieder, daß die Polnische Legion, als sie in Mode kam, bald die Möglichkeit bot, s i c h v o r d e m D i e n s t i n d e r Ö s r e r e i c h i s c h e n A r m e e z u d r ü c k e n. Polen, die p o l i t i s c h dem Legionskommando dienten, fanden dann wohl kaum einen Ausweg, sich von dem Heeresdienst zu befreien. D i e s e E r s c h e i n u n g v e r u r t e i l e ich, ich, ich habe für sie eine Bezeichnung: V e r l a u s u n g d e s H e e r e s!
Politische Hetze
General Pilsudski hat wohl beobachtet, wie in der Zitadelle zu Magdeburg die Meuterer der Nordseestation eingeliefert wurden, und wie der politische Hetzer aus der Etappe der deutschen Armee – die in Uniformen steckten, als die Feldgendarmerie sie festnahmen – in den Kasematten immer mehr wurden. Er wendete sich mit Ekel vor diesen Gefangenen ab und gibt nun seine Meinung klaren Ausdruck in der Niederschrift, die später in der Zitadelle zu Magdeburg aufgefunden worden ist. In ihr hat er in diesen Tagen, in denen Spartakisten und jüdische Marxisten als B e a u f t r a g t e d e r E n t e n t e öffentlich zur Meuterung aufriefen, geschrieben: „U e b e r a l l i s t d e r S o l d a t d e n „E t a p p e n p a t a s i t e n“ a u s g e s e t z t, d i e v o n s e i n e m R u h m u n d v o n s e i n e m E l e n d z e h r e n. D i e M o r a l e i n e r A r m e e u n d i h r e s V o l k e s k a n n a n d e m U m f a n g e d e s E t a p p e n d i n s t e s g e m e s e n w e r d e n. V o l k u n d H e e r s i n d u m s o g e s ü n d e r, j e w e n i g e r e s v o n d i e s e n E t a p p e n l e u t e n g i b t“!
Am Abend dieses Tages wurde Pilsudski auf überraschender Weise in seiner Arbeit unterbrochen Er vernahm von draußen das gleiche polnische Lied, das schon vor Monaten erklungen war; als die gefangenen Soldaten der Haller- Armee ankamen. Diesmal aber wurde das Lied von einem Mann gespielt, der i n d e r U n i f o r m e i n e s d e u t s c h e n I n f a n t e r i s t e n auf dem Wall gegenüber der Offiziersarrestanstalt stand. Ein Soldat spielt das Lied von der Weichsel über den Ufern der Elbe. Es geschieht nicht ohne Absicht, dieser Mann gehört zu den Peowiaken! Pilsudsi legt die Feder beiseite. Er hat sie in der Zitadelle nie mehr zur Hand genommen. Die Stunde der Befeiung war nahe. Diese Stunde drängte zum Handeln!
Die Ordonnanzen werden wieder gewechselt, Unteroffizier Lindemann erhält zwei Soldaten, die in S p a n d a u Dienst getan haben. Sie berichten, daß dort bereits mehrere hundert p o l i t i s c h e G e f a n g e n e sitzen. Ausbruchversuche sind an der Tagesordnung! Die Posten feuern rücksichtslos auf jeden Flüchtling, trotzdem ist es einem verwegenen Polen, dem Peowiaken S t a n i s l a w D o m b r o w s k i gelungen, am hellen Tage aus Spandau zu fliehen. Er hetzte durch den Kugelregen und entkam; nicht eine Spur hat man von ihm entdeckt!
Die Auflösung
Helfershelfer! sagt Lindemann. Ueberall ist es unsicher geworden. Der krieg hinter der Front hat Formen angenommen, die von der Regierung nicht vorausgeahnt wurden. Die notwendigen Gegenmaßnahmen blieben aus, sie verlaufen sich im Sande, täglich wächst der unsichtbare Gegner. Er verhindert die Abfahrt von Zügen an die Front, veranlasst Soldaten zum Desertieren, befreit Gefangene aus den Festungen. Lindemann ist mit sich nicht zufrieden, wenn nur dieser verfluchte steife Arm nicht wäre! Er hat sich schon zweimal an die Front gemeldet, konnte diese allmähliche Auflösung daheim nicht mehr mit ansehen, aber Oberleutnant Sch. hat ihn ganz gehörig angepfiffen. Sind der einzige, Lindemann, der noch nicht vierzig ist! Die Festungswache besteht nur noch aus alten Knochen! Immer hübsch dableiben und aushalten, wissen doch, haben besonderen Auftrag!
Jawohl! antwortet Lindemann und es ist auch diesmal nichts mit der erwarteten Ueberraschung. Freilich, mit dem steifen Arm hätte man draußen auch nicht viel ausrichten können! Vielleicht, so denkt er, ist auch bald der Zeitpunkt gekommen, wo sie hier drinnen Frontsoldaten brauchen Vielleicht ist dieser Augenblick sogar schon da.
Legionsgeneral Pilsudski, der seit dem Hochsommer 1917 in der Magdeburger Zitadelle interniert ist, erhält im Frühjahr 1918 die Erlaubnis, die Zitadelle zu verlassen und sich in Begleitung eines Offiziers und seines ehemaligen Adjutanten frei in der Umgebung der Festung zu bewegen. Zur gleichen Zeit plant die Organisation POW die Befreiung des Generals. Bei einem Ausgang erkennt Pilsudski, daß die Revolution jeden Augenblick ausbrechen kann.
12. Fortsetzung
Ballett Charell kommt
Die Litfasssäulen tragen große Plakate, sie rufen zur Zeichnung der n e u n t e n Kriegsanleihe auf. Der Magistrat hat dreißigtausend Mark als W e i h n a c h t s s p e n d e für die Truppen bewilligt. Dabei sind noch drei Monate bis Weihnachten! Die Straßenredner stehen wieder umher und reden gegen den Magistrat, der sich einbildet, daß man zu Weihnachten noch Krieg führt. Ausgeschlossen, jetzt Schluß machen, auf der Stelle! Einer wagt, den Straßenredner zu widersprechen, sie vermögen nicht, ihn niederzureden, d i e F r a u e n n e h m e n P a r t e i. Sie sind f ü r die W e i h n a c h t s s p e n d e! Jawohl, schweigt – hier habt ihr nichts dreinzureden! Die Straßenredner sind geschlagen. An der nächsten Ecke aber beginnen sie wieder gegen den Magistrat zu reden, gegen den Kaiser, gegen die Offiziere. Morgen vielleicht wird der Mann, der ihnen heute mit Erfolg widersprochen hat, nicht vorbeikommen. Und dann –? Unteroffizier Lindemann geht in ein Kaffeehaus. Musik spielt, die Menschen hier plaidern, jemand am Nebentisch bedauert, daß nicht getanzt werden darf. Draußen in einem Dorf gibt es ein Lokal, in dem sie alle Nächte tanzen. Dort werden noch ganz andere Dinge getrieben! Uebrigens, morgen beginnt das B a l l e t t C h a r e l l hier mit einem fünftägigen Gastspiel. Denken Sie, Charell aus Wien! Endlich ist etwas los!
Ruhe! schreit ein Mann zwei Tische weiter, Sie wissen wohl nicht, daß wir Krieg haben! Und ihr Tanzlokal ist gestern bereits a u f g e f l o g e n, die Polizei hat es a u s g e h o b e n und siebzehn sozialdemokratische Funktionäre in ihm verhaftet: Wissen Sie, daß es D e s e r t e u r e waren? Jawohl, D e s e r t e u r e!! Die Männer am Nebentisch zahlen und gehen. Sie haben ein aufreizendes Lächeln, als sie am Tisch vorbeikommen, an dem ein Mann sitzt, der seinen Arm in der Binde trägt. Er ist es , der ihnen zugerufen hat. Diesen Mann wird man sich merken müssen! Haben Zeitungen jemals mehr Dokument ihrer Zeit sein müssen als in diesen Tagen! Lindemann durchblättert sie. Zwei Seiten sind mit T o d e s a n z e i g e n gefüllt, die das E i s e r n e K r e u z tragen. Zwei Seiten mit V e r o r d n u n g e n d e s G a t n i s o n s k o m m a n d o s. Zwei Seiten mit I h t eT h e a t e r a n z e i g e n. Ballett Charell tanzt. Der J u d e Charell aus Wien ist erschienen. Jawohl, endlich ist was los! C h a r e l l t a n z t!!
So – haben sie hier d e n K r i e g v e r g e s s e n? Nein, sie W o l l e n ihn vergessen, sie wollen hier plötzlich nicht mehr wahr haben, daß es um die Nation geht, sie wollen alle i h r e G a n z u n b e d e u t e n d e n p e r s ö n l i c h e n I n t e r e s s e n w a h r e n, Die Straßenredner sprechen wernigstens davon, die Deserteure beginnen schon, sich durchzusetzen.
Europa erschüttert Lindemann liest der Heeresbericht. Sechzehn feindliche Divisionen greifen zwischen C a m b r a i und St. Q u e n t i n an. Der Erste Generalquartiermeister teilt mit, daß der Feind die Front zurückdrückt und daß die Kanalstellung westlich von Cambrai verloren ist. Die A m e r i k a n e r s t ü r m e n gegen d e n A r g o n n e r w a l d! Verflucht, das ist genug für einen Tag! sagt Lindemann laut. Der Mann. Der den Arm in der Binde trägt, nickt ihm zu. Jawohl, Unteroffizier, dort, wo wir vor vier Monaten standen, sitzen jetzt die Amerikaner. Nun müssen wir wohl wieder hinaus! Jawohl, Herr Hauptmann! sagt Lindemann. Wahrhaftig, er hat einen Entschluß gefaßt, er wird wieder hinausgehen. Wenn er wieder zurückgehalten wird, muß er desertieren. Jawohl, er wird aus der Heimat einen F l u c h t v e r s u c h a n d i e F r o n t unternehmen, er will zu
Das hier hat seinen Sinn verloren. Die Musik im Kaffee spielt ein Stück aus dem Ballett Charell. Sie klatschen Beifall, sie gehorchen schon ganz ausgezeichnet, die klatschen dem Juden Beifall, heute im Kaffee, morgen im Reichstag! Draußen vor dem Kaffee bleiben drei Herren stehen. General P i l s u d s k i steht da, Oberst S o s n k o w s k i und der Oberleutnant Sch. Der Oberleutnant hat ein Extrablatt in der hand, er hebt die Schultern, überlegt einen Augenblick, dann gibt er es den Herren. Z a r F e r d i n a n d v o n B u l g a r i e n h a t a b g e d a n k t. D r e i T a g e v o r h e r s a n d t e er a n d e n d e u t s c h e n K a i s e r n o c h e i n E r g e b r n h e i t s t e l e g r a m m, i n d e m t r e u e W a f f e n b r ü d e r s c h a f t g e l o b t w u r d e. D i e b u l g a r i s c h e A r m e e i s t z u s a m m e n g e b r o c h e n. I n S o f i a h a b e n s i e d i e r o t e F a h n e g e h i ß t.
Dort ist es also schon soweit, es war die schwächste Stelle! Die Herren gehen weiter. Pilsudski sieht nicht links, nicht rechts. Das hier ist ein Staat, der eben zusammenbricht. Einen Augenblick noch – dann wird das Krachen seines Sturzes Europa erschüttern. I n s e c h s T a g e n s p i e l t C h a t e l l i n W a r s c h a u, dann hebt dort das gleiche Beben an. Europa soll zugrunde gehen, die Juden haben sich schon ein schönes Grablied ausgerdacht!
Blutendes Deutschland, sterbendes Oesterreich! Die Männer, die euch helfen könnten, stehen an den Fronten, ruft sie zurück und lasst in den Städten aufräumen! Armes Polen, dir müßte man wohl helfen können, man müßte aus dieser Haft ausbrechen! Pilsudski will seine F r e i l a s s u n d v erlangen, im dem beginnenden b o l s c h w i s t i s c h e n Z e r f a l l in Polen ein Ende zu bereiten. Ich will frei sein, um Polen zu retten! sagt Pilsudski. Die letzten Stunden des alten Europas hat begonnen! Gut so, die Pläne für eine neue Welt sind im Entstehen begriffen! Im Kaffee wiederholen sie das Stück aus der Charellrevue. Die Straße beginnt wieder zu beben. Der „Vorwärts“ teilt die neue Regierung mit, sie besteht aus S o z i a l d e m o k r a t e n, Z e n t r u m s m ä n n e r n u n d F o r t g e s c h r i t t l e r n. I n e i n p a a r T a g e n w e r d e n d i e M ä n n e r, d i e d e n m u n i t i o s s t r e i k o r g a n i s i e r t h a b e n, z u S t a a t s s e k r e t ä r e n e r n a n n t d i e G e w a l t g e h t i n i h r e H ä n d e ü b e r.
Die Gewalt? N ein, noch kämpft die Armee! Unteroffizier Lindemann wird zur Front gehen. Zehntausend aus dem R eich, aus Lazaretten und Genesungsheimen wollen in diesen Ragen wieder h e i m z u r F r !o n t
Amnestie befreit spartakistische Agitatoren
Ein Soldat ruft Lindemann, der zur Zitadelle zurückeilt. es ist die Ordonnanz, die ihn seit einigen Stunden gesucht hat. Wissen Herr Unteroffizier sich noch an den Zwischenfall aus Spandau zu erinnern! Ein Pole, der sich in S c h u t z h a f t befand, war am hellen Tage a u s g e r i s s e n. Hatte den Posten niedergeschlagen; die Wache feuerte auf ihn, er war auf und davon, eh e sie zugreifen konnten. Dieser Mann, Herr Unterpffizier, ist mir heute begegnet. Kein Unsinn, er heißt Stanislaw Dombrowski! Der Flüchtling trägt die Uniform eines Feldwebels und ging über die Strombrücke zur Zitaselle. Lindemann bibt der Ordonnanz einen Wink im Eilschritt geht es zur Zitadelle. Sie erkundigen sich bei der Wache, alles trifft zu! Ein Feldwebel hat einen Ausweis vorgezeigt, der ihn zum B e t r e t e n d e r F es t u n g berechtigt. Als er jedoch hörte, daß Pilsudski in der Stadt u8nterwegs ist, sei er, ohne die Zitadelle betreten zu haben, wieder in die Stadt zurückgegangen. Ein Zufall hat so den ersten Anschlag vereitelt! Wenn der Spion zum zweitenmal wiederkommt, werden sie ihn festnehmen. Die Landsturmmänner wollen sich von einem Agenten nicht wieder nasführen lassen. In der Zitadelle ist alles ruhig. Die Gefangenen ahnen wenig von den Dingen, die nun kommen werden. An diesem Tage aber werden die Türen der Räume geöffnet, in denen die Meuterer aus H a m b u r g und L ü b e c k untergebracht sind, und in denen die spartakistischen Hetzer sitzen. E i n e k a i s e r l i c h e A m nm e s t i e h a t s i e f r e i g e l a s s e n . Und nun ergießt sich ein Strom von Verrätern in die Stadt. Jetzt haben sie es nicht mehr notwendig, versteckt zusammenzukommen, sie rufen nun zu ö f f e n t l i c h e n Versammlungen auf, s i e p r o t e s t i e r e n g e g e n d e n K r i e g. Die Offiziere sehen mit finsteren Gesichtern zu, wie die Meuterer lachend an ihnen vorbeigehen. Sie halten die Fäuste geballt. Eine kaiserliche Amnestie hat sie freigegeben.
Kriegsministerium greift ein
Legionsgeneral Pilsudski, der seit Hochsommer 1917 in der Magdeburger Zitadelle interniert ist, erhält im Frühjahr 1918 die Erlaubnis, die Zitadelle zu verlassen und sich in Begleitung eines Offiziers und seines ehemaligen Adjutanten frei in der Umgebung der Festung zu bewegen. Zur gleichen Zeit plant die Organisation POW, die Befreiung des Generals. Bei einem Ausgang erkennt Pilsudski, daß die Revolution jeden Augenblick ausbrechen kann, Europa ist erschüttert! Wie lange wird die Zitadelle von den Spartakisten noch unbehelligt bleiben?
13. Fortsetzung
Letztes Bollwerk Die Zitadelle ist ein Bollwerk, das die Meuterer hassen gelernt haben. Drüben in der Stadt stehen Gruppen und sehen mit finsteren Blick über den Strom, Es heißt, einige spartakistische Anführer sind noch zurückhaltend geworden. In der Stadt bildet sich ein Demonstrationszug, die Demonstranten verlangen die Freigabe der Spartakisten, Ueber die Strombrücke traut sich indessen noch niemand. Die Wache in der Zitadelle steht an den Maschinengewehren
Die Stille ist beängstigend. Französische und englische Offiziere gehen umher und lauschen auf Geräusche von draußen. Hauptmann Meyer und Leutnant Bellet haben gezeigt, daß man bei der Flucht Glück haben kann! Einige Offiziere müssen in Einzelhaft gebracht werden, sie haben versucht, einen g e w a l t s a m e n A u s b r u c h aus der Zitadelle zu organisieren, Die Ordonnanz erstattet Lindemann eine merkwürdige Meldung. Allabendlich, so sagt der Soldat, spielt ein Infanterist auf dem Wall der Zitadelle ein und dasselbe Lied, drei-, viermal hintereinander! Der Soldat gehört zur Festungswache. Lindemann hebt die Schultern, er hat diesen Mann längst beobachtet, aber ist es etwas besonderes, immer nur ein Lied zu spielen? Vielleicht ist es das einzige, das er spielen kann. Die Ordonnanz beginn wohl schon Gespenster zu sehen! Es ist aber ein polnisches Lied! sagt der Mann jetzt. Und der General steht immer am Fenster und hört zu. Gestern sind Pilsudski und Oberst Sosnkowski, bald nachdem der Infanterist zu spielen begann, im Garten spazieren gegangen. Unter der Stelle des Walles, auf dem der Soldat saß und spielte, blieben sie stehen, die drei haben dann miteinander gesprochen! Das sieht einer V e r s c h w ö r u n g verflucht ähnlich. Lindemann denkt nach, man muß die Angelegenheit weitergeben. Der Vorfall wird an das Garnisonskommando weitergegeben.Die Festungswache muß heraustreten, jetzt soll die Ordonnanz den Infanteristen heraussuchen, der mit den Gefangenen in Verbindung getreten ist. Als der Mann nicht entdeckt werden kann, stellt man fest, daß gestern ein Soldat aus der Wachabteilung, der Pole S z c z e p a n P i e c h o d k i nach P o s e n beurlaubt worden ist. Diesem Mann sind s ä m t l i c h e P l ä n a d e r Z i t a d e l l e bekannt. Er hat in der letzten Zeit ein a u f f ä l l i g e s I n t e r e s s e f ü r d i e A l a r m a n l g e n gezeigt. In diesen Tagen wird es allen klar, daß zu einem g r o ß e n S c h l a g g e g e n d i e Z i t a d e l l e ausgeholt wird. Die Wache wird nun verstärkt und steht ständig unter Alarm. Die nächste Stunde schon kann allen eine Ueberraschung bringen; es ist nun so weit!
Wache unter Gewehren
Der neue Reichskanzler hat sich an den P r ä s i d e n t e n d e r V e r e i n i g t e n S t a a t e n gewendet. Die S c h w e i z ist ersucht worden, W i l l s o n zu bitten die H e r b e i f ü h r u n g d e s F r i e d e n s in die Hand zunehmen. Willson beginnt zu diktieren
Die Zitadelle zu Magdeburg ist noch unbehelligt. Der Ausgang ist für sämtliche Gefangene verboten worden. Bellett und Meyer sollen die einzigen sein, die entwischt sind! In diesen Tagen findet General Pilsudski eine Notiz in der Zeitung, die übersehen worden ist, als man die Nachrichten über Polen herausschnitt. Diese Notiz besagt, daß die ö s t e r r e i c h i s c h e n Truppen aus dem polnischen Okkupationsgebiet z u r ü c k g e z o g e n worden sind. Die p o l n i s c h e A r m e e ist in einer Stärke von 4500 Mann aufgestellt worden. Zwei Infanterie- Brigaden, eine Abteilung Artillerie und Feldgendarmerie haben cas von den Oesterreichern geräumte Gebiet besetzt. Es ist nun endlich soweit! Pilsudski zeigt die Nachricht seinem Adjutanten, beide Männer schweigen, sie wissen, daß jetzt die Stunde des Handels gekommen ist. Als sie an das Fenster treten sehen sie die Wache der Zitadelle im Hof angetreten, sie hat Front gegen das Festungstor gemacht und M a s c h i n e n g e w e h r e aufgestellt, deren Mündung auf den Eingang zeigen. Als die Nacht kommt, steht die Wache immer noch angetreten. In der Stadt gibt es neuen Lärm. Die deutsche Delegation zum Abschluß des Waffenstillstandes und zur Aufnahme der Friedensverhandlungen ist heute nach Westen abgereist. In wochenlanger Vorbereitung haben die P e o w i a k e n eine K a m p f t r u p p e zusammengestellt, die den b e w a f f n e t e n H a n d s t r e i c h a u f d i e Z i t a d e l l e z u M a g d e b u r g durchführen soll. Die Führer der Truppe sind in Mitteldeutschland eingetroffen, der Tag ist da, an dem die Peowiaken die Gefangenen der Sommeroffizierarrestanstalt b e f r e i e n wollen. Der Leiter des „U n t e r n e h m e n M a g d e b u r g“, Stanislaw S o r o s z e w s k i , hat seine Truppe mit Hilfe des Infanteristen Szczepan Piechodki, der bis vor einigen Tagen der Wachabteilung der Zitadelle angehörte, genau über den Wachdienst und die einzelnen Offiziere und Unteroffiziere in der Zitadelle unterrichtet. SAie haben genaue Pläne über die Verhältnisse innerhalb der festung in den Händen, nach dem Urlaubsschein von Piechodki wurden die Stempel und die Unterschrift des Festungskommandanten gefälscht. Die Kampftruppe steht bereit, sie soll unter Führung des aus Spandau entsprungenen Stanislaw D o m b r o w s k i in die Zitadelle eindringen, die Wache mit Maschinenpistolen in Schach halten oder niederschießen. Der Doppelgänger Pilsudski, der Pole P l u c i n s k i, soll an Stelle Pilsudski in dessen Uniform zurückgelassen werden. Der General selber wird, so ist geplant in einer preußischen Uniform entfliehen, die man in der Zitadelle bringen wird. Stanislaw Saroszweski setzt den Angriff auf die e r s t e n A b e n d s t u n d e n fest, die Kampftruppe, so befiehlt er, hat noch v o r d e m Z a p f e n s t r e i c h in die Ziradelle einzudringen.
Garnisonskommando für Pilsudskis Flucht
Der Agent, der das Tor zur Zitadelle beobachtet, macht eine Stunde später eine Feststellung, die für die Peowiaken überraschend kommt. Er hat die Maschinengewehre entdeckt, die zur Abwehr eines unvermuteten Angriffs aufgestellt worden sind. Kann man unter diesen Umständen noch Hoffnung auf eine glatte Durchführung des Handstreiches haben? Die Peowaiken drängen, den Plan dennoch durchzuführen, sie müssen indessen einsehen, daß wenigstens eine Verschiebung des Handstreiches auf den nächsten Tag notwendig geworden ist. Dieser nächste Tag aber ist der 8. November 1918! In der Morgenfrühe des 8. November erscheint beim Garnisonskommando Graf K vom K r i e g s m i n i s t e r i u m, er hat den Auftrag, Pilsudski nach B e r l i n zu bringen. Die Offiziere im Garnisonskommando heben die Schultern, keine weiß, ob es noch möglich sein wird, den General ungefährdet aus der Zitadelle zu holen. Ist sie von den Roten nicht schon so gut wie umlagert? Und ist es nicht klar, daß die Spartakisten mit der Entlassung Pilsudski nicht einverstanden sein werden!° Sie haben längst ihre Anweisungen erhalten den General festzuhalten, um dessen Eingreifen g e g e n d e n B o l s c h e w i s m u s in Polen z u v e r h i n d e r n. Graf K indessen ist entschlossen, den Befehl des Kriegsministeriums durchzuführen. Er wird unter den gegebenen Unständen dem Schutzgefangenen einfach zur Flucht aus der Zitadelle verhelfen.
Von Juli 1917 bis in die ersten Novembertage 1918 hat die Zitadelle von Magdeburg dem auf Ersuchen des Ersten Generalquartiermeisters verhafteten Legionsgeneral Pilsudski als Aufenthalt gedient. Die Organisation POW hat mehrere Befreiungspläne aufgestellt. Als ihre Mitglieder am 8. November beim Ausbruch dieser Revolution Pilsudski durch einen bewaffneten Handstreich aus der Festung befreien wollen, greift das Kriegsministerium ein und läßt in klarer Erkenntnis die innerpolitischen Vorgänge den General durch einen Offizier, Graf K., in die Freiheit entführen. Kurz darauf erfolgt der lange befürchtete rote Sturm auf die Zitadelle.
S c h l u ß
General in Zivil
Eine Stunde später begibt Graf K sich in Begleitung eines Offiziers vom Garnisonskommando nach der Zitadelle. Die beiden Herren tragen Zivil und bummeln ganz gemütlich wie zwei Neugierige über die Strombrücke. Die Wache musterte die Zivilisten erstaunt, die sich als Offiziere ausweisen. Aber das Ministerium mag seine Gründe haben, und Befehle werden gegeben um durchgeführt zu werden! General Pilsudski sitzt in einem Zimmer und liest i n S t e g m a n n s G e s c h i c h t e d e s W e l t k r i e g e s, als er Schritte auf der Treppe hört. Sein Ohr erfaßt daß es keine Militärstiefel sind, die über die Stiege heraufpoltern, im Augenblick erfaßt ihn ein sonderbares Gefühl, die nächste Minute muß eine Entscheidung bringen. Zwei Herren treten ein. Pilsudski erkennt ihre Gesichter, es sind Offiziere des Garnisonskommandos in Zivil, Sie sehen an ihm vorbei, haben die Lippen aufeinandergepreßt, es kostet ihnen Mühe, Worte zu finden! H e r r G e n e r a l, i c h h a b e I h n e n i m A u f t r a g e d e s K r i e g s m i n i s t e r i u m s z u e r k l ä r e n, d a ß S i e f r e i s i n d! sagt Oberleutnant Sch. Wir haben den Befehl erhalten Sie und Herrn Oberst Sosnkowski nach B e r l i n zu bringen. Sie können dort bereits heute um sechs Uhr den nach Warschau abgehenden Zug besteigen, ein Sonderwagen für Sie ist bereitgestellt.
Das ist alles, kurz und bündig: H e r r G e n e r a l, S i e s i n d f r e i! Die Offiziere in Zivil bitten den Aufbruch zu beschleunigen. Als sie Pilsudskis erstaunte Blicke auf ihre Kleidung gerichtet sehen, heben sie die Schultern, schweigen – Soldaten stehen hier einem unerbitterlichen Schicksal gegenüber! Als Pilsudski der Ordonnanz läutet, winkt Oberleutnant Sch ab. Herr General, ich muß Sie dringend bitten, nur die allernotwendigsten Dinge auf die Reise mitzunehmen, keine >Koffer, keine Uniformen! Sie können Magdeburg n u r n o c h a l s Z i v i l p e r s o n verlassen.
Stadt in Aufruhr
Pilsudski hat im Augenblick begriffen. Er rafft einige Roilettensachen zusammen, wickelt sie in Zeitungspapier, steckt sie in die Tasche, schon steht Sosnkowski vor ihm. Sie drücken sich die Hände, haben T r ä n e n i n d e n A u g e n, müssen sich zusammennehmen, die Minuten sind kostbar! Da liegt der Hof der Zitadelle zum letzten Mal vor ihnen. Die französischen und englischen Gefangenen blicken neugierig herüber, es ist selten, daß Z i v i l i s t e n diesen Hof betreten. Sie sehen, wie einer dieser Männer stehen bleibt, das kleine weiße Haus, den Garten Dahinter, diese ganze Welt hinter Mauern mit einem Blick erfaßt. Ein Jahr ist sie ihm Heimat gewesen, sie hat ihn mit seiner Sehnsucht beherbergt. Dort die drei Apfelbäume am Wall, der Steinweg, auf dem der Posten in den Nächten um das Haus ging, nun sind sie n i c h t s m e h r a l s E r i n n e r u n g! Das Leben hat einem wieder erfaßt, es greift mit Allgewalt herüber. In B e r l i n steht ein S o n d e r w a g e n n a c h W a r s c h a u bereit! In einer Minute kann sich das Schicksal wenden! Tausendmal hat man es erlebt, eimal haben wir uns immer unserer Hoffnungslosigkeit von gestern zu schämen! Die Herren gehen an der Wache vorüber, die kampfbereit neben den Maschinengewehren steht, als erwarten sie einen Angriff. Einen Augenblick später öffnet sich das Tor der Zitadelle einen Spalt nur – gerade nur die vier herauszulassen. Draußen stehen Demonstranten, die einen flüchtigen Blick hereinwerfen. Als sie die Wache angetreten sehen, gehen sie weiter. Die beiden Offiziere des Garnisonskommandos in Zivil und ihre Begleiter schlendern so unauffällig wie möglich über die Strombrücke der Stadt zu. In Schussweite von der Zitadelle stehen ganze Gruppen von Demonstranten, sie sehen die vier Herren prüfend an – lassen sie passieren. Erst ais aus einer Nebenstraße zwei Auros vorfahren, die Männer einsteigen und die Wagen schnell verschwinden, wird man aufmerksam, aber nun ist es zu spät! G e n e r a l P i l s u d s k i h a t M a g d e b u r g v e r l a s e n.
Als die Peowiaken eine Stunde später erfahren, daß sich Pilsudski n i c h t m e h r i n d e r Z i t a d e l l e b e f i n d e t, erfaßt sie Niedergeschlagenheit. Sie ahnten nichts davon, daß der Kommandant sich längst in Freiheit befindet, sie glauben, er sei nach einem sicheren Gewahrsam überführt worden, als es in diesem Augenblick die Magdeburger Zitadelle darstellt. Erst als der Kampftrupp zwei Tage später wieder in P o s e n eintrifft, hören die Mitglieder, daß Pilsudski durch Graf K auf B e f e h l d e s d e u t s c h e n K r i e g s m i n i s t e r i u m s in die Freiheit entführt worden ist. An diesem 8. November erfolgt dann, bald nachdem Pilsudski die Zitadelle verlassen hat, der lange erwartete Sturm einer roten Bande auf die Zitadelle. Den Riten, die sich noch jenseits der Strombrücke herumdrückten, hat es am meisten die Kriegsflagge angetan, die über dem Wall der alten Festung weht. Die Demonstranten fluchen, die Aufwiegler beschließen, die Brücke zu besetzen, noch aber traut sich niemand näher. Eine Stunde später bilden sie im Stadtinneren einen D e m o n s t r a t i o n s z u g.
Der Sturm auf die Zitadelle
Sie ziehen über die Brücke, stauen sich vor der Zitadelle. Einer hebt die Hand, hinter den Schießscharten sehen sie Läufe von Maschinengewehren! Wenn es denen drinnen einfällt, werden wir hier wie Hasen zusammengeschossen, sagt er. Der Anführer der Demonstranten kommt auf eine großartige Idee, er ruft der Wache zu, daß die Truppen den Befehl erhalten haben, den Demonstranten gegenüber von der Waffe k e i n e n gebrauch zu machen. Ueberall in diesen Tagen sprechen sie von diesem Befehl. Die Offiziere sind unsicher, d e n B e r l i n e r R e g i m e n t e r n i s t d a s S c h i e ß e n v e r b o t e n worden. Es muß was Wahres daran sein, Sie zögern, rufen das nächste Kommando an, dort wird alles bejaht, e s i s t v e r b o t e n, a u f d i e D e m o n s t r a n t e n z u s c h i e ß e n! Die Wache läßt einen Augenblick vergehen, nun werden die Demonstranten ermuntert, sie kommen über die Brücke, einige wollen stehen bleiben, andere drängen nach, sie drücken das Tor völlig auf und strömen in die Zitadelle. Können Maschinengewehre noch feuern, wenn man sie umwirft und die Läufe in den Sand steckt? Die Demonstranten wissen kaum selbst, wie es geschehen ist, sie haben die Zitadelle „erobert“. Nun beginnen sie aufzumucken, sie verlangen, daß die festgesetzten Spartakisten F e i g e g e b e n w e d e n. Die Arrestzellen werden geöffnet, sie dringen ein und erfüllen sich ihren Wunsch selber, die schlimmsten Hetzer kommen so zu ihrer Freiheit. Jawohl, jetzt besinnen sie sich, sind sie nicht H e r r e n d e r Z i t a d e l l e! Sie p l ü n d e r n d a s G e w e h r m a g a z i n, drohen den Offizieren und reißen ihnen die Kokarden von den Mützen und die Achselstücken von den Schultern. Die Offiziere stehen mit bleichen Gesichtern, mit verbissenem Grimm, aber haben sie nicht Befehle erhalten, untätig zu sein! Die Demonstranten haben Waffen, sie zwingen die Landsturmmänner, sich in den Demonstratonszug einzureihen. Als sie sehen, daß alles nach ihrem Willen geht, gibt es eine große Enttäuschung, sie beschließen, nach der Stadt zu marschieren. Einige Hetzer machen den Vorschlag überallhin zu telegraphieren, um die beiden Autos aufzuhalten. Die vorhin an der Brücke abgefahren sind. Als der Zug die Zitadelle verlässt, treffen die Demonstranten auf einen Unteroffizier, der sich d i e K o r k a d e n i c h t a b t e i ß e n läßt. Er steht am Tor und hat eine Pistole in der hand. Er schreit ihnen entgegen, daß er zu lange draußen gewesen ist, um diesen Unsinn hier zu verstehen. „Immer heran“ schreit er ihnen zu. „Ihr seid doch Helden, habt ihe nicht eben eine Festung erobert “? Sie weichen vor dem einzelnen zurück, der Zug wird aufgehalten, schon aber hebt einer das Gewehr mit dem aufgepflanzten Bajonett und sticht zu. Lindemann fasst an die Seite, er taumelt etwas, hält sich aber aufrecht, seine Mütze fällt zur Erde, sie treten auf ihr herum, ziehen höhnend weiter. Kann ein Mann diesernAusbruch der Unvernunft aufhalten? Nein, sie alle können es nicht, sie alle hier sind von einem Taumel erfaßt und vergessen sich!
Die größere Zeit
Es ist still umher geworden. Die Demonstranten ziehen über die Brücke davon. Unteroffizier Lindemann lehnt in einem Winkel am Tor der Zitadelle, es kostet ihm Mühe, sich aufrecht zu halten. Die rechte Schulter schmerzt, jemand hat nach ihm gestochen, ein Mann im Uniformrock, mit einer roten Blume an der Mütze. Der rechte Arm hängt bewegungslos nieder, aber mit der linken Hand kann Lindemann noch die Mütze vom Boden aufheben, dieses zertretene Ding! Ein leuchten geht über sein Gesicht, d i e K o r k a d e i s t u n v e r s e h r t geblieben, so hat er doch gesiegt! Zwei Jungen kommen über die Grabenbrücke, sie gehören seinem Kameraden, dem Infanteristen Meinke, der an der Usine gegen die feindlichen Tanks kämpft. Die Jungen bleiben vor Lindemann stehen, sie bringen ihm eine Nachricht, ihr Vater ist gefallen, weit von hier, in F r a n k r e i c h, a m l e t z t e n T a g! Lindemann nickt den Jungen zu, er überreicht ihnen ein Geschenk, seine Mütze! „Ihr wollt doch Soldaten werden“? fragt er. Jetzt vergessen sie alles, sie tragen die Mütze im Triimpf heimwärts: Infanterist Meinke, am letzten Tag gefallen in Frankreich! Dort gehen deine Jungen, sie wollen einmal Soldaten werden: Deutschlands Jungen sind es immer geworden: Soldaten! Und eine größere Zeit ist mit ihnen herangewachsen.
Zwei Offiziere kommen aus der Zitadelle, sie sehen den Unteroffizier, der sich mühsam aufrecht hält und stützen ihn. Lindemann lächelt immer noch. Er wollte zu seinem Sturmtrupp an die Front, aber nun hat es keinen Sinn, an die Front zu desertieren. Eine Zeit kommt, in der sie daheim kämpfen müssen, einmal werden sie wieder marschieren, diese Jungen, die heute die Korkade aufgenommen haben.
Pilsudskihauss Mein kleiner Beitrag für die Freunde der Zitadelle:
Ein Wohnhaus in Magdeburg bietet keinem Bürger der Stadt Unterkunft. Es befindet sich auf der Zitadelle und diente in den Jahren 1917-18 der Unterbringung von Marschall Pilsudski an¬lässlich seiner Festungshaft in Magdeburg. Inzwischen war Pilsudski Ober¬haupt des neuen polnischen Staates. Oberbürgermeister Dr. Markmann war um gute Bezie¬hungen zum östlichen Nachbarn Deutschlands bemüht und unterbreitet den Vorschlag, das Haus der Vereini¬gung polni¬scher Ver¬bände der Verteidiger des Vaterlandes bei einem ge¬planten Besuch in Magdeburg zu schenken. Die Stadtverwaltung ging davon aus, dass die¬ses Haus im Zuge des Ost-West-Durchbruchs und Baus der neuen Strombrücke der Spitz¬hacke zum Opfer fallen würde. Die Schenkung des Hauses auf der Zitadelle (Parz. 782/11 Kart. Bl. 15) wird deshalb von allen Gremien genehmigt.i Am 3. 7. 1937 war es so weit und der Oberbürgermeister schenkt einer Abordnung der Vereinigung Polnischer Verbände der Verteidiger des Vaterlan¬des unter Leitung des Generals Dr. Gorecki dieses Haus. Nun soll das Gebäude abgebrochen und auf dem Wasserweg nach Polen verfrachtet werden. Am 15. 11. 1937 ergänzt der Oberbürgermeister seine Entscheidung dahingehend, dass das Haus auf städtische Kosten demontiert, er¬gänzt, ver¬packt und nach Warschau transportiert werden soll. Da¬bei will Magdeburg alle Kosten frei polnischer Grenze über¬nehmen. Der Voran¬schlag geht von 7 500 RM aus. Am 11. 11. 1938 meldet die Magdeburgische Zeitung: Heute Weihe des Pilsudski-Hauses
Warschau, 11. November. (EP) Anläßlich des 20. Jahrestages der Wiedererlangung der Freiheit Polens finden am Freitag in der Hauptstadt zahlreiche Feierlichkeiten statt. So wird auch die Einweihung des Hauses erfolgen, in dem, wie oft berichtet, der polnische Marschall Pilsudski während seiner Internie¬rung in Magdeburg gewohnt hat.
11 Monate später wurde es von Deutschen, vielleicht auch Magdeburgern, zerstört; es hatte an seinem neuen Standort noch nicht einmal solange Bestand, wie man in Magdeburg für die Entscheidung zur Schenkung und zu ihrer Realisierung benötigt hatte.
Ende Mai 2015 erschien im Ost-Nordost Verlag Magdeburg nach langer Ankündigung die Broschüre:„Bei Wasser und Brot“. Die Gestaltung, die Gliederung und die Bildauswahl machen einen sehr guten Eindruck. Leider findet man bei den Quellenangaben keinen Bezug zum Text und muss feststellen, dass nicht alle Bildnachweise genannt wurden. Auch gibt es keinen Verweis, wer von den genannten Autoren für welchen Beitrag verantwortlich zeichnet. In der Schreibweise des Namens Piłsudski ist man nicht konsequent. Wenn man schon Józef schreibt, sollte man den Familiennamen auch Piłsudski schreiben und nicht Pilsudski – die Computertechnologie macht es uns heute einfach. Hier haben der Heraus-geber, der Kultur- und Heimatverein Magdeburg e.V. und der Ost-Nordost Verlag Magdeburg ihre Pflichten nicht erfüllt. Meiner Aufmerksamkeit galt in erster Linie der Beitrag über Józef Klemens Piłsudski auf den Seiten 145 bis 150, sowie der Seite 151 über Sosnkowski – meine Kritikschwerpunkte beziehen sich nur auf den Piłsudski-Beitrag, da ich mich seit 2007 sehr intensiv mit dieser polnischen Persönlichkeit beschäftige und sich seitdem bei mir eine Vielzahl von Schriftgut, sowohl vom Freund und Feind, als auch in polnischer, deutscher, englischer und russischer Sprache angesammelt hat. Beim ersten Überfliegen des Beitrages musste ich feststellen, dass sich wie ein roter Faden die Projektarbeit polnischer Schü-ler/innen durch den ganzen Beitrag ziehen – teils wurden ganze Sätze, teils auch nur Satzfragmente wörtlich aus der deutschen Übersetzung abgeschrieben, ohne zu kennzeichnen oder gar deren Richtigkeit zu prüfen, zur Einstimmung einige Beispiele: … 1917 läuft ein Geheimbefehl des Kriegsministeriums… ein, der … Aufregung sorgt; oder Man befürchtet eine Befreiung des Schutzhäftlings durch auswärtige Mächte; oder … (Hof) Innenhof der … wird … schon erwartet; oder in russischen und österreichischen Kerkern gesessen, …, welchen österreichischen Kerkern? Mir sind keine bekannt. Das Plagiat beträgt in etwa 25 bis 33% des ganzen Beitrags. Als Quelle ist auf den Seiten 156-157 zwar die Arbeit des Polnisch-Deutschen Forschungs-projektes des Öffentlichen Gymnasiums Nr. 8 namens Józef Piłsudski in Opole:„Marschall Józef Piłsudski in der Festung Magdeburg 1917/1918“ aus dem Jahre 2008 in deutscher Sprache benannt. Ich persönlich empfinde es als sehr peinlich das geistige Eigentum der polnischen Schüler zu stehlen. Weiterhin musste ich feststellen, dass in diesem Beitrag auf fast jeder Seite Bilder in den Hinweisen der Bildquellen nicht auf-geführt sind. Ein kleiner Fehler, der solcher Art auch in anderen Druckwerken zu finden ist:„Nach Kriegsende setzte (er) seine Ziele …, wo ›er‹ vergessen wurde. Schwerwiegender sind die nicht gekennzeichneten Plagiate oder durch ein falsches Abschreiben, z.B. durch das Auslassen eines ›Kommas‹ beim Abschreiben, der Aussage einen anderen Sinn zu geben. Die Einleitung fängt mit einer Aussage des Schreibers an, Piłsudski sei ein „radikaler Nationalist“. Da erhebt sich die Frage: Was ist ein „radikaler Nationalist“? Diese zwei Begriffe, radikal und Nationalist sind nicht nur im deutschen Sprachgebrauch negativ belegt. Im Freundeskreis diskutierten wir intensiv über die Problematik, wie erklärt man diese Begriffe allgemeinver-ständlich. Der Zufall im Internet präsentierte eine uns verständliche Erklärung: „Ein Nationalist ist quasi ein extremistischer Patriot. Ein Mensch, der glaubt, sein Land, sein Volk, seine Kultur, seine Sprache und /oder alle diese Dinge zusammen seien besser als diejenigen von anderen Menschen. Beispiel: Ein Patriot ist jemand der sagt: "Deutschland ist ein schönes Land. Ich bin stolz auf Deutschland". Ein Nationalist ist dagegen jemand der sagt: "Deutschland ist das großartigste und beste Land der Welt. Alles andere ist Abschaum. Das deutsche Volk ist die Herrenrasse und dazu geschaffen, andere Völker zu beherrschen. Die deutsche Kultur und Sprache ist besser und wertvoller als jede andere Kultur der Welt“. Während Patriotismus unabhän-gig von der eigenen, politischen Gesinnung auftritt, taucht Nationalismus fast immer und ausschließlich am politisch rechten Rand (Rechtsextremismus) auf. Dass ich hier Deutschland als Beispiel genommen habe, ist allerdings völlig willkürlich. Es gibt selbstverständlich in jedem Land Nationalisten. Ein gutes Beispiel für ein anderes Land wäre die Ultra-Rechtskonserva-tive Tea-Party-Bewegung in den USA. Diese Menschen glauben, dass die Vereinigten Staaten nicht nur ein schönes, sondern das beste, wichtigste und wertvollste Land der Welt sei. Alle anderen Staaten sind in ihren Au-gen elende Verlierer (das wurde auch mehrmals von ihnen so gesagt)“. Piotr Stefan Wandycz, ein polnisch-(US) amerikanischer Historiker, beschreibt Piłsudski als „einen glühenden polnischen Pa-trioten, der gelegentlich die Polen für ihre Dummheit, Feigheit und Unterwürfigkeit züchtigen musste. Er nannte sich selbst ein Litauer und war eigensinnig und reserviert, der ungern Gefühle zeigte“ und Adam Krzeminski, Redakteur des polnischen poli-tischen Wochenmagazins Polityka schreibt:„Er war einer jener ›Menschen des Ostens‹, die durch Willensstärke, Menschen-kenntnisse und Phantasie (andere) für sich einnahmen. Weniger Staatsmann als Aktivist der Konspiration und Kämpfernatur, besaß er für einen Politiker unangebrachte Fehler, er konnte eigensinnig, unberechenbar, unhöflich, verschlossen und undiszi-pliniert sein. Und trotzdem spielte er zwischen 1914 und 1921 in Polen eine Rolle, wie kein Berufspolitiker sie hätte spielen können“. Ob Piłsudski ein Nationalist war, darüber könnte man sich streiten, wenn man einige Zitate von ihm aus dem Zusammenhang genommen betrachtet. Piłsudski und seine Geschwister wuchsen in einer Atmosphäre, die von polnischen-föderalistischen Tra-ditionen – der alten „multikulturellen“ Vielvölkerrepublik und einem vaterländisch-patriotischen Geist geprägt war, auf. Er trat als Föderalist, begründet durch seine Erziehung, für einen Vielvölkerstaat auf, trat für einen polnisch-litauisch-weißrussisch-ukrainischen Bundes, eines Staates „Zwischen den Meeren“ (Intermarum, pln. Międzymorze), gemeint ist ein Staat zwischen der Ostsee und dem Schwarze Meer ein. Pilsudski schwebte, im Gegensatz zu seinem politischen Widersacher Roman Dmow-ski, der Plan vor, die alte polnisch-litauische Adelsrepublik von 1772, also vor der ersten Teilung Polens, wiederherzustellen, um somit einen Pufferraum gegen Sowjetrussland (RSFSR) zu bilden. Die Jahre bis 1923 waren deshalb von bewaffneten Aus-einandersetzungen um diese östlichen Grenzen geprägt und erreichten ihren Höhepunkt 1920 im Krieg gegen Sowjetrussland (RSFSR). Aber als „radikal“ kann man Piłsudski nicht einschätzen. Ein „radikaler Nationalist“ war sein Widerpart – Roman Dmowski, der für einen rein polnischen Staat, einer Mononation, eintrat. Bei der Bewertung seiner Persönlichkeit treffen wir meistens auf negative Beurteilungen, wenn diese „jemand“ im Lager der „Linken“ oder der „Nationalisten“ geschrieben hat. Übertreibungen und Mystifizierungen sind oft die Bilder über Piłsudski, die uns aus dem Kreis seiner „Anhänger“ erreichen. Es ist wichtig bei einer objektiven Bewertung der Persönlichkeit Piłsudski das „gesunde Mittelmaß“ zu finden. Aus diesem Grunde stelle ich zwei mir vorliegende Umfrageergebnisse vor. Piłsudski lag bei Umfragen in der 3. Republik Polen, dem heutigen Polen, stets auf Platz 1 und wurde erst durch Karol Józef Wojtyła, als dieser am 16.10.1978 zum Pabst Johannes Paul II. geweiht wurde, auf den 2. Platz verdrängt. Bei einer neueren Internetum-frage in Polen zu Piłsudski und seinem Erzfeind Dmowski, wer mehr für die 2. Republik Polen geleistet hat, stimmten für Pił-sudski über 70% und für Dmowski weniger als 30% der User. Dieses sind überzeugende Belege dafür, wie hoch heute noch die Bedeutung Piłsudski von den Polen bewertet wird. Der Historiker Gotthold Rhode, ein deutsch- polnischer Historiker, schrieb:„[Piłsudski kann]…, weder faschistisch noch nationalsozialistisch genannt werden. Seine Leistungen konnten in der kommunistischen Ära von 1945 bis 1989 einfach ›nur‹ ignoriert werden, da Piłsudskis Ruf schon zu seinen Lebzeiten legendär war“, und Hubert Biskupski, Redakteur von „Super-Album“, ein Geschichtsmagazin in Polen, schrieb zum 76. Todestag Pił-sudskis:„Józef Piłsudski ist ohne Zweifel mit einer der allerwichtigsten Personen in der Geschichte unseres Staates. Diese Per-son kann man nicht in einen politischen Rahmen stecken, es geht nicht, obgleich dieses viele versuchten und noch versuchen. Im Jugendalter ein Sozialist und ein Krieger, der für die Unabhängigkeit streitet, wider der Mehrheit der Gesellschaft, wider des gesunden Menschenverstandes. Auf die alten Tage ein Diktator, der das Steuer der Macht hart in der Hand hält und sich schonungslos mit der Opposition auseinandersetzt, in der auch Sozialisten sind. Die ihn gleichzeitig verherrlichen und hassen. Heute, 76 Jahre nach seinem Tod, erregt er nicht mehr solche Kontroversen, obgleich sein Leben mit Legenden überwuchert ist und es gibt sowohl weiße, wie auch schwarze Seiten. Heute ist er für eine ansehnliche Mehrheit ein Vorbild, als Patriot und Held. Und mit Recht. Man kann einen langen fortwährenden Streit über die politischen Auffassungen Piłsudskis führen, über seine jugendliche Faszination vom Sozialismus, über sein kühles Verhältnis zu den Demokraten und dem Parteienclan, über seine sachliche Behandlung der Kirche und der Religionen, über seinen Maiumsturz, am Ende auch über sein Modell der Aus-senpolitik, des Bewahrens des gleichen Abstandes gegenüber Deutschland und Russland, eine Sache bleibt durchaus indisku-tabel, seine Vaterlandsliebe. In seinem politischen Leben verband Piłsudski nie die Parteiangelegenheiten mit dem privaten Interesse, ausschließlich nur mit der Vaterlandsliebe. Man kann sagen und das ist keine Übertreibung, dass er ihretwegen sein Leben geopfert hat“. Diese wenigen angeführten Zitate mögen aufzeigen, dass mit ein „radikaler Nationalist“ Piłsudski diskre-ditierend eingestuft wurde und im Vorfeld auf die Bedeutung dieser Worte keinen Wert legte. Oder? Der „Geheimnisvolle“…, Piłsudski war nicht „geheimnisvoll“, er war der OHL und dem AOK sehr gut bekannt, auch seine po-litischen Ansichten. Falsch ist auch:„war er der radikal-sozialistischen Gruppierung ›Wille des Volkes‹beigetreten“, richtig ist, er kam in den Kon-takt, beigetreten ist er nicht. Ebenso falsch ist: „1886 war er an Attentatsplänen auf Zar Alexander III. beteiligt“, richtig ist, sein Bruder Bronisław Piłsudski und Alexander Uljanow, der Bruder Lenins, planten mit anderen das Attentat. Durch seine gu-ten Kontakte zu seinen Bruder Bronisław, der zu dieser Zeit in Sankt Petersburg (russ. Санкт-Петербург) studierte - Józef Pił-sudski lebte in Wilna, heute Vilnius, damals russisch Вильнюс, pln. Wilno, wird er Kenntnisse von den Plänen gehabt haben, und das „milde“ Urteil im Gegensatz zu Alexander Uljanow, dem Bruder Lenins →Tod, Bronisław Piłsudski →12 Jahre und Józef Piłsudski „nur“ 5 Jahre. Peinlich ist die Betitelung eines Plakates (Quelle nicht erwähnt): 1914: Aufruf für die Polnische Legion. Diese Peinlichkeit hätte man sich ersparen können, wäre dieses Plakat einem Sprachkundler vorgelegt worden. Es ist kein Aufruf, sondern eine Bekanntmachung für die Bevölkerung, dass es eine Fahnenweihe und einen Fahneneid geben wird. Der obere und wichtigste Teil lautet in deutscher Sprache: „Bürger! Brüder! Städter! Bauern! Am Sonntag, dem 13. September 1914 finden in Sło-miki (Bezirk Miechów) die Fahnenweihe und der Fahneneid der Freiwilligen der Polnischen Legionen statt. Es geht weiter mit der Behauptung: … als Anführer der paramilitärischen Polnischen Legion … diese ist einfach falsch und zeugt von militärhistorischer Unkenntnis. Die Polnischen Legionen (Legiony Polskie), eigentlich immer im Plural, des 1.Welt-kriegs wurden am 16.08.1914 in Galizien auf Initiative der „Provisorischen Kommission der Konföderierten Unabhängigkeits-parteien“ und der polnischen Mitglieder des österreichischen Parlamentes gegründet. Die Polnischen Legionen waren eine un-abhängige, reguläre, militärische Formation der k.u.k. Armee und bestand anfangs aus zwei, später aus drei Brigaden: Der I. Brigade unter Józef Piłsudski, später Kazimierz Sosnkowski und Marian Żegota-Januszajtis, Der II. Brigade unter Ferdynand Küttner, später Józef Haller von Hallenburg, Der III. Brigade unter Wiktor Grzesicki, später Stanisław Maria Jan Teofil Szeptycki, Zygmunt Zielińsk und Bolesław Jerzy Roja. Die II. und III. Brigade wurden von österreichischen Offizieren polnischer Herkunft geführt, nur die I. Brigade stand unter dem Kommando von Piłsudski. Er übte aber durch seinen politischen Scharfblick und sein Charisma als begabter Führer, einen übermächtigen Einfluss auf die ganzen Legionen aus, was auch in Kesslers „Tagebuch“ nachzulesen ist. Die Legionen führten hauptsächlich Kämpfe gegen Russland in Galizien, in Kongresspolen und in den Karpaten durch. Die Vorstufen der Legionen, z.B. die Schützenvereine, wären als paramilitärisch einzuschätzen. Diese wurden von der Donau-naumonarchie gesetzlich geduldet und gefördert, genau wie z.B. die Schützengilden in Tirol. Dieses wird sehr gut vom öster-reichischen Historiker Professor Dr. Manfried Rauchensteiner in seinem Werk „Der erste Weltkrieg und das Ende der Habs-burger-Monarchie“ beschrieben. Am 02.03.2015 erschien in der Zeitschrift „Militär & Geschichte“ ein sehr guter Artikel von Christian Kättlitz unter dem Titel „Polnische Legionen im Ersten Weltkrieg – Kampf für ein freies Polen“. Interessant ist die Geschichte die II. Brigade unter Józef Haller, der den Nationaldemokraten nahestand, die am 15.02.1918 die Fronten wechselte – Grund waren Gebietsabtretungen an die Volksrepublik Ukraine im Separatfrieden vom 09.02.1918, man-che sprechen auch vom Friedensvertrag von Brest-Litowsk vom 03.03.1918 – ist aber mit den Daten nicht stimmig, die vielen Polen nicht gefielen, weil sie den Festlegungen zum Regentschaftskönigreich Polen widersprachen – er konnte nach einer mili-tärischen Niederlage am 10.05.1918 bei Kaniow gegen die Mittelmächte über Kiew nach Moskau fliehen, wo er den Vorsitz des Polnischen Militärkomitees übernahm. Im Juli 1918 fuhr er über Murmansk nach Frankreich und bildete die „Blaue Legi-on“ aus polnischen Kriegsgefangenen der k.u.k. Armee und polnischsprachigen Freiwilligen aus den USA und sogar aus Bra-silien mit denen er Kampfhandlungen gegen Deutschland in den Vogesen und der Champagne ausführte. Nach dem Ende des Krieges wurde die „Blaue Legion“ bis Ende Juni 1919 etappenweise über Danzig nach Polen verlegt. Auf Seite 146 liest man „die beiden Mittelmächte“, es wäre gut, wenn der Verfasser den Leser über die beiden Mittelmächte aufklären könnte – wer ist die erste oder zweite Mittelmacht, es gab meines Wissens nach nur die „Mittelmächte“ Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich – auch immer im Plural – mit ihren Verbündeten. Italien schied als Dreibundmitglied durch seinen „Verrat“ an Österreich-Ungarn und dem Deutsche Reich aus dem Dreibund aus. „Der Blick erinnere ihn an die Weichsel in der Nähe von Warschau“ ist unsachlich wiedergeben und man könnte ihn auf den ersten Blick als geografische Dummheit einstufen, denn erstens fließt die Weichsel, auch damals schon, direkt durch Warschau und zweitens erinnerte ihn sein Blick von Praga, einem Stadtteil von Warschau, auch damals schon ein Warschauer Stadtteil, auf Warschau und er hatte persönliche Gründe dafür, diesen Blick zu erwähnen. Ach hätte der Abschreiber nicht vergessen sol-len das Komma mit abzuschreiben und den Satz richtig zu Ende geführt, bzw. kontrolliert nochmals gelesen! Oder wusste er nicht genau wo und wie die Weichsel fließt? Eine weitere unsachliche und abgeschriebene Formulierung ist, „Dann erscheint am Morgen des 8. Novembers ein Offizier des Kriegsministeriums“ – die Entlassung Piłsudski erfolgte im Auftrag des Reichskanzlers Max von Baden in Abstimmung mit dem Kriegskabinett und war nicht überraschend, denn bereits am 31.10.1918 gab es zu seiner Entlassung Gespräche zwischen Piłsudski und Kessler in der Magdeburger Zitadelle, nachzulesen im „Tagebuch“ Kesslers, Bd.6, S.604 und in der „Frankfurter Zeitung“ Nr.752 vom 07.10.1928. Über den genauen Vorgang der Entlassung berichtet Kessler sehr ausführlich und das in „“ gesetzte Zitat entspricht nicht dem Wortlaut von Kessler. Auch fuhren Piłsudski, Sosnkowski, Kessler und von Gülpen nicht dem Zug nach Berlin, da keine mehr fuhren – sondern mit einem Auto „der Kraftfahrtruppen“, dessen Kommandant von Gül-pen war – nach Berlin. Kessler vermerkt, dass Schloßmann (Schloessmann) befürchtete, dass die Meuterer die Zitadelle stürmen könnten, Bd.6, S.619 ff.. „Die Zitadelle wird kurz darauf von Aufständischen erstürmt“(08.11.1918), klingt sehr dramatisch, ist aber vom Schreiber frei erfunden. Einige mir bekannte Historiker konnten mir eine „Erstürmung“ im November 1918 nicht bestätigen. Die „Volks-stimme“ vom 09.11.1918 und die danach, berichten jedenfalls nichts dergleichen. In Magdeburg ging es, vergleichbar mit an-deren Großstädten, „diszipliniert“ zu, auch vor der Zitadelle. Die „Volksstimme“ vom 09.11.1918 berichtet ausführlich auf der 1. Seite, gleich nach dem Aufruf: „An die Bevölkerung Magdeburgs – An die Soldaten“ unter der Schlagzeile „Revolution in Magdeburg“ über die Vorgänge „Am Bahnhof“, „Sturm aufs Generalkommando“, hier wurden, „da die Tore geschlos-sen waren, diese gewaltsam geöffnet“, „Die rote Fahne weht vom Rathaus“ – alles diszipliniert und unblutig. Zur Situation „An der Zitadelle“ schreibt sie folgendes:„Die Strombrücke ist auf der Stadtseite von Posten besetzt. Zivil darf nicht über die Brücke in Richtung Friedrichstadt-Werder. „Weshalb Kamerad dürfen wir nicht rüber?“ „Auf der Zitadelle wollen unsere Kameraden Arrestanten befreien. Wenn Zivil zusammenläuft, gibt es unnötigen Trubel.“ Den Vertreter der „Volksstimme“ dagegen läßt man passieren. Vor dem Tore des alten roten Steinblocks mit den finstern Wölbgän-gen steht eine nicht allzu große Menge, Männer, Frauen und Kinder. Soldaten kommen vereinzelt an. Die Wache am Tor tritt ihnen entgegen. „In den Hof Kameraden, helft eure Kameraden befreien.“ „Ich will nur Essen holen“, wendet einer ein. „Mensch, wer fragt jetzt nach Kartoffeln und Kohlrübensuppe!“ Der kleine „Könier“ marschiert durchs Tor. Zu seinen Kameraden, um Kameraden zu befreien.“ Sieht so eine „kurz darauf von Aufständischen erstürmte Zitadelle“ aus? Sieht so eine „kurz darauf von Aufständischen erstürmte Zitadelle“ aus? In der Stadt besetzte man militärische Kommandostellen und verlangte die Freilassung von Arrestanten – was auch geschah. Die „Volksstimme“ berichtet vom gleichen Tag, dem 08.11.1918, auch unter „Das erste Opfer“ von einem Vorgang am Don-nerstag, also am 07.11.1918 „auf dem Zentralbahnhof, wo ein Feldwebel von einem Oberstleutnant durch einen Revolver-schuß schwer verwundet wurde“ – Kessler erwähnt diesen Vorfall ebenfalls in seinem „Tagebuch“ und nennt sogar den Namen des Schützen, eines gewissen Oberst von Bothmer, Stellvertreter des Garnisionältesten (Platzkommandanten). Die wirkliche Erstürmung der Zitadelle von Aufständischen erfolgte in den Abendstunden des 07.04.1919 durch bewaffnete Arbeiter, also 5 Monate nach der Entlassung von Piłsudski am 08.11.1918 – ein sehr „kurzes darauf“. Über die Erstürmung der Zitadelle am 07.04.1919 und deren Hintergründe kann man in der „Volksstimme“ vom 09.04.1919 auf der 1.Seite, Spalte 1 le-sen „Am Montagabend haben zweifelhafte Elemente die Zitadelle erstürmt …“, und in „Geschichte der Stadt Magdeburg“ (1975), S.269. wird ebenfalls darauf eingegangen – es besteht somit kein unmittelbarer Zusammenhang mit der Novemberre-volution. Übrigens war Harry Graf Kessler vom 20.11. bis 17.12.1918 erster deutscher Gesandter in Warschau im unabhängig geworde-nen Polen und schildert genau die politischen Verhältnisse zu dieser Zeit in Polen, die vor allem von den „radikalen“ Nationa-listen um Dmowski verursacht, die von den Franzosen aktiv unterstützt wurden. Eine totale Katastrophe und historisch größter Blödsinn ist die Formulierung:„Als der Krieg gegen die Sowjetunion 1920 ge-wonnen, das Endziel aber nicht erreicht wird, erzwingt Piłsudski per Staatsstreich seine Wahl zum Staatsoberhaupt“. Dieses ist die schlimmste Erklärung des Staatsstreiches, die ich bisher gelesen habe. Dieser Satz legt Zeugnis davon ab, dass der Ver-fasser des Textes keine Kenntnis der polnischen Historie bzw. überhaupt keine hat. Eine kleine Aufbesserung der Geschichts-kenntnisse scheinen hier angebracht: Gemeint ist der Polnisch-Sowjetischen Krieg (russ. Советско-польская война; pln. Woj-na polsko-bolszewicka) von 1919 bis 1921, er wurde zwar im August 1920 gewonnen, aber erst am 18.03.1921 mit dem Frie-den von Riga beendet. Am Verbreitesten ist die Bezeichnung für diesen Krieg, Polnisch-Sowjetischer Krieg, dabei steht sowje-tisch aber nicht für Sowjetunion. Sie wurde formell erst Ende Dezember 1922 ausgerufen. Bis dahin nannte sich das unterge-gangene Zarenreich Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR), oder im allgemeinen Sprachgebrauch Sow-jetrussland. Vom Verfasser des Textes sollte schon erklärt werden, welches Endziel nicht erreicht wurde, um den Sinn (Unsinn) der Aus-sage verstehen zu können. Dem Leser sollte auch erklärt werden, warum Piłsudski fast sechs Jahre mit seinem Staatsstreich gewartet hat, der bekanntlich am 12.05.1926 stattfand. Ich erkenne beim besten Willen keinen Zusammenhang zwischen der o.g. Formulierung und zum Staatsstreich, der fünf Jahre (Friedensvertrag) nach dem „Polnisch-Sowjetischer Krieg“, am 12.05.1926 stattfand. Die Behauptung ist historisch völliger Unsinn, völlig unlogisch – einfach katastrophal. Piłsudski war nach 1920 nie Staatsoberhaupt. Bis zur Wahl des ersten verfassungsmäßigen Staatspräsidenten im Dezember 1922 agierte er als eine Art Interims-Staatsoberhaupt und führte den Titel eines Staatschefs. Er wurde dann ganz legal, ohne „erzwungenen Staatsstreich“, zum Staatsoberhaupt gewählt, nahm aber diese Wahl nicht an. An seiner Stelle wurde am 09.12.1922 Gabriel Narutowicz von der Nationalversammlung zum ersten verfassungsmäßigen Staatspräsidenten gewählt und am 11.12.1922 vereidigt. Narutowicz wurde am 16.12.1922 durch einen radikalen Nationalisten der Nationaldemokraten er-mordet und als neuer Staatspräsident wurde Stanisław Wojciechowski gewählt. Piłsudski war Chef des „Engeren Kriegsrates“ (pln. Ścisła Rada Wojenna) und trat zermürbt von den parlamentarischen Auseinandersetzungen, als seine Macht durch Minis-terpräsident Wincenty Witos beschnitten wurde, trat er als Generalstabschef am 30.05.1923 zurück und zog am 28.06.1923 von der politischen Bühne in sein Privatleben zurück. Der Staatsstreich fand am 12.05.1926 statt. Die Jahre zuvor waren von politischen und wirtschaftlichen Krisen geprägt, auch durch Radikalisierung von den Nationaldemokraten, als Beispiel den Mord an Narutowicz, der Mörder wurde von den Natio-naldemokraten zum Volkshelden verklärt – der Anschlag sollte eigentlich Piłsudski gelten – und in vielen Kirchen wurden Messen gelesen, nicht für das Opfer, sondern für den Mörder, unter anderem durch hohe Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche De-pression, Deflation, Korruption, sowie Hyperinflation – ausgelöst durch die USA – usw., ähnlich wie in der Weimarer Repu-blik. In der Weimarer Republik führte der Weg zur Hitlerdiktatur. Nach der Ablehnung einer Regierungsumbildung mit Alek-sander Skrzyński als Ministerpräsident durch Staatspräsident Stanisław Wojciechowski entschlossen sich die Anhänger Piłsud-skis im Militär, in den Gewerkschaften, linke Gruppierungen zu einem Staatsstreich. Gestützt auf die Loyalität der Armee und sein hohes Ansehen in der Bevölkerung und durch die breite Unterstützung der Bevölkerung war der Staatsstreich nach drei Tagen beendet. Piłsudski wurde erneut von der Nationalversammlung am 31.05.1925 zum Staatsoberhaupt gewählt, verzichtete aber auf die Präsidentschaft und überließ das Amt Ignacy Mościcki. Piłsudski selbst war „Kriegsminister“, außer in den Jahren 1926 bis 28 und 1930 Ministerpräsident, aber nie Staatsoberhaupt. Zum Staatsstreich möchte ich, als nur ein Beispiel, die „Deutsche Allgemeine Zeitung“, eine unter Stresemann – der Weimarer Regierung – nahestehende Zeitung zitieren, die am 18.05.1926 unter der Schlagzeile „Der polnische Bürgerkrieg“, folgendes schreibt:„ … Eine jede Regierung Witos war die Regierung der jämmerlichsten Korruption. Der Ämterschacher war nie so groß gewesen, wie unter den beiden Ministerpräsidentenschaften dieses Mannes, der keine Sympathie für einen reingewasche-nen Kragen empfinden konnte. Die reine und selbstlose Arbeit für die Republik war beinahe dem Fluche der Lächerlichkeit preisgegeben, weil der Drang zur Futterkrippe alles überwucherte. Die dritte Ministerpräsidentschaft des gleichen Mannes, die mit einer groben Rechtswidrigkeit begann, hätte sich kaum von dem früheren Regime unterschieden. Gegenüber den natio-nalen Minderheiten stand bereits fest, dass ohne Recht und gegen jede Gerechtigkeit regiert werden sollte. Die nationalen Minderheiten verkennen zwar nicht, dass der Sturz der Witos Leute nicht auf dem Wege der Verfassung herbeigeführt wurde, aber sie haben bei der maßlosen Feindschaft der polnischen Nationalisten keine Ursache, der fünf Minuten vor 12 Uhr ge-flüchteten Regierung auch nur eine einzige Träne nachzuweinen. Staatliche Verwahrlosung auf der ganzen Linie war das allgemeine Symptom der letzten Tage der gestürzten Regierung. Nie-mand wusste etwas, keine Behörde wurde unterrichtet, jede Dienststelle arbeitete auf eigene Faust, jeder Beamte trieb Politik nach dem eigenen Geschmack. Nur so konnte es kommen, dass z.B. der Wojewode von Oberschlesien, nachdem schon am Frei-tagnachmittag die Flucht der Regierung durchgeführt war und schon nachmittags 5 Uhr der Rücktritt sowohl des Staatspräsi-denten wie auch des Ministeriums beschlossen wurde, noch am in der Sonnabend Mittag erscheinenden Blättern eine Prokla-mation erließ, in der Worte gebraucht wurden, die angesichts der vollzogenen Tatsachen der größten Komik nicht entbehrten. Die legale Regierung hätte sich um den Staatspräsidenten und um die Armee geschart, alles stünde auf dem Boden des Rechts, jede Tätigkeit staatsfeindlicher Faktoren würde wieder ausgeknüppelt werden. Dabei war in Wirklichkeit bereits eine neue Re-gierung geschaffen und die alte Regierung irrte unstet und flüchtig von einem Ort zum anderen. Die blutige Tragödie des Bür-gerkrieges hatte sich auch hier zur grotesken Posse gewandelt. Aber was soll werden? Piłsudski, der blutige Sieger, ist sichtlich ein willensstarker Mann. Er geht davon aus, dass die in Po-len so tief eingerissene Korruption in jeder Form bekämpft werden müsse. Das ist gewiss ein guter und schätzenswerter Grundsatz, aber es ist noch kein klares politisches oder wirtschaftliches Programm, mit dem man einen so arg heruntergewirt-schafteten Staat wieder aufrichten, wieder gesund machen kann. Und ohne ein festumrissenes Programm wird auch der Sieger in diesem Bürgerkrieg keine dauerhaften politischen und wirtschaftlichen Erfolge erzielen können. …“ Ob das Stubengefängnis, welches in der Literatur unterschiedliche Bezeichnungen findet, dem polnischen Staat, der Stadt War-schau oder der Föderation der polnischen Vaterlandsverteidiger bzw. dem Bund der polnischen Kriegsgeschädigten zum Ge-schenk gemacht wurde, ist rechtlich zwar wichtig, aber in diesem Fall unbedeutend. Fakt ist, es wurde originalgetreu wieder im Łazienki-Park aufgebaut, der damalige OB Magdeburgs, Dr. Markmann, überzeugte sich mit einer Delegation vom Wiederauf-bau. Und in einem Stadtführer Warschaus von 1941 für deutsche Wehrmacht-Soldaten befindet sich eine Abbildung – Abbild-ungen vom Haus im Łazienki-Park gibt es verschiedene – und folgender Text:„ … Einige Schritte weiter steht das „Magde-burger Haus“, in dem Piłsudski von August 1917 bis 9.November 1918 gefangen gehalten wurde. Im Jahre 1938 wurde das Haus von der Stadt Magdeburg der Stadt Warschau geschenkt. Es wurde in Magdeburg abgerissen, in seinen Einzelteilen ge-nau registriert und hier in Warschau naturgetreu wieder zusammen gesetzt. …“. Es überlebte den 2.Weltkrieg, soll nach Zeu-genaussagen danach von „ausgebombten“ Warschauern bewohnt gewesen sein und nach 1947 in der Bolesław Bierut-Ära, dass lassen die „Bierut-Dekrete“ jedenfalls vermuten, beseitigt worden sein. Ob aus politischen Gründen, aus Kostengründen oder beidem, kann z.Zt. nicht bestimmt werden, da bisher keine Unterlagen zu diesem Vorgang aufgefunden wurden. Die Bildunterschrift auf Seite 150 „bei einem Spaziergang in der Zitadelle Magdeburg“ – beim genauen Hinsehen erkennt, auch ein Ortsunkundiger, dass es keine Örtlichkeit in der Zitadelle sein kann, sondern es in einer der Magdeburger Parkanlagen entstand sein muss.
Ein Beitrag von Bernd Rauchensteiner
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Officier-Arrest-Stube ist also die offizielle Bezeichnung für den Ort, an welchem bestimmte Offiziersstrafen "abzusitzen" waren. In Garnisonsorten waren davon allerdings mehrere erforderlich, so dass entsprechende Gebäude eingerichtet wurden - das waren dann die Offizier-Stubenarresthäuser. Im Gegensatz zu den Militärstrafanstalten für Unteroffiziere und Gemeine, die von den Stadtverwaltungen der Garnisonsorte bereitgestellt werden mussten, waren Stubenarresthäuser Gebäude des Militärfiskus und in die baulichen Anlagen des Militärs integriert. Es ging die Zivilisten nämlich nichts an, wie die gegen die mililitärischen Gesetze verstoßenden Taten der Offiziere geahndet wurden. Grundlage des Strafvollzuges gegen Offiziere war, nach der Abschaffung der Prügelstrafe und anderer diesbezüglicher Bestimmungen im Zuge der nach 1806 erfolgten Militärreformen in Preußen, die vom König Friedrich Wilhelm III. erlassene "Verordnung wegen Bestrafung der Offiziere" vom 3. August 1808, erlassen in Königsberg.
Ich werde die Verordnung einstellen. Sollte es notwendig sein, werde ich auf entsprechenden Hinweis eine Translation in moderne Schrift vornehmen. Ich benutze den Text, wie er in der Zeitschrift "Neue Feuerbrände", 18. Heft (mit französischer Zensur) Seite 144 ff. 1808 veröffentlicht wurde.
Hallo Hugo, ich wäre auch dafür, daß diese Verordnung wegen Bestrafung der Offiziere in der modernen Schrift von Dir nochmals veröffentlicht wird. DANKE
Auf den vielfachen Wunsch eines einzelnen Herren folgt die "Schönschrift" der Verordnung wegen Bestrafung der Offiziere. Verordnung wegen Bestrafung der Officiere. Se. königliche Majestät von Preußen etc. eingedenk, daß hie und da die den Officieren Höchst Jhro Armee von ihren Vorgesetzten zuerkannten Strafen nicht immer mit der, dem gesammten Officier-Stande gebührenden Achtung angeordnet wurden, verordnen in Hinsicht auf diese Verfahrungsart sowohl, als auf die Bestrafungen der Officiere überhaupt, hiemit folgendes: Kein Militair-Vorgesetzter hat das Recht, seine untergebenen Officiere, wie es wohl sonst schon wegen kleiner Exerzier-Fehler geschah, durch einen Unter-Officier und zwey Mann nach dem Arrestorte abführen zu lassen. Befindet sich ein Vorgesetzter in der Nothwendigkeit, über einen Officier die Arreststrafe zu verhängen; so geht dieser allein, oder in Begleitung eines andern Officiers, in seinen Arrestort und sendet seinen Degen an seinen Vorgesetzten. Nur bei groben Verbrechen ist die Arretirung in Begleitung eines Officiers, Unterofficiers und zwey Mann als Sicherheits-Maaßregel noch fernerhin erlaubt. Befindet sich ein Officier in Arrest und Untersuchung; so darf er eben so wenig auf die erwähnte Art nach dem Orte des Verhörs und nach seinem Arrestorte zurückgebracht werden! Blos ein älterer Officier begleitet ihn hin und zurück, wobei er seinen Degen, so lange er über die Straße zu gehen hat, zurück erhält. Nur ebenfalls bei groben Verbrechen oder roher Gemüthsart des Verhafteten ist die oben angegebene Verfahrungsart als Slcherheits-Maaßregel noch gestattet. Wenn ein Officier künftighin über eine noch nicht konstatirte Beschuldigung in Untersuchung geräth; so darf diese nicht mehr damit beginnen, daß man den Officier sogleich in Arrest setzt, sondern es ist vorher der Gang der Untersuchung abzuwarten, und dann erst im Fortschreiten oder nach Endigung derselben der Arrest entweder als Sicherheits-Maaßregel oder als Strafe zu verhängen. Se. Königliche Majestät hegen zu dem Ehrgefühl der Officiere Höchst Ihro Armee das Vertrauen, daß ein von den Vorgesetzten ohne Zeugen gegebener Verweis in den meisten Fällen seinen Zweck nicht verfehlen wird. Schlägt diese mildere Bestrafung nicht an, dann mag ein Verweis bei versammeltem Officier-Korps in ernsthaften, jedoch nicht beschimpfenden Ausdrücken folgen. Eine Zurechtweisung im Tone des unterrichtenden Vorgesetzten bei Exerzier- oder kleinen Dienst-Fehlern ist für keinen Verweis zu achten. Wenn die beiden vorbenannten Bestrafungsarten ihre Wirkung verfehlt haben, oder bei bedeutendern Vergehungen, wird der Verweis in abgemessenen Worten, die zugleich die Thatsache, welche solchen nach sich gezogen hat, genau angeben, dem Parole-Befehl beigefügt und in die Parole-Bücher eingetragen. Es bleibt der Einsicht der Militair-Vorgesetzten überlassen, zu bestimmen, ob, je nach Maaßgabe der Größe des Vergehens, oder der roheren Gemüthsart des Bestraften, oder der öftern Wiederholung eines gleichen Vergehens, der Verweis bei dem Bataillon, oder dem Regiment, oder der Brigade, oder der Division bekannt zu machen, und den Parole-Büchern einzuverleiben ist. Die Sammlung dieser Strafbefehle wird einen Maaßstab abgeben, wie weit ein Offcier-Korps in der Bildung vorgerückt ist.
Eine strengere Bestrafungsart ist Stubenarrest, mit der an sich schon natürlichen Bestimmung, daß derjenige, welcher auf Treue und Glauben unter dieser milderen Verhaftung steht, und dennoch seinen Arrestort verläßt , nicht mehr fähig seyn könne, Officier zu bleiben, da er seine Wortbrüchigkeit durch seine Arrest-Verlassung hinlänglich dargethan hat. Jede verhängte Arreststrafe wird den Parole-Büchern einverleibt und in den Konduiten-Listen bemerkt. Eben so wenig kann ein Officier, dem die Einsicht von seinen Pflichten so sehr mangelt, oder der eines so störrigen Charakters ist, daß er sich in die Subordinations-Verhältnisse nicht fügen will, und der sich wiederholt eines subordinationswidrigen Betragens schuldig machte, länger in seinem Posten bleiben, und Se. Majestät wollen ernstlich, daß ein solcher daraus entfernt werde. Allerhöchst Dieselben, bemerken hiebei mißfällig, daß es sich besonders in den letzten Zeiten gezeigt hat, daß hie und da die jüngeren Officiere in öffentlichen Gesellschaften, auf Bällen, Resourcen etc. sich der Achtung entbunden glauben, welche sie dem Range jedes ältern Officiers schuldig sind. Ein solches unverständiges Benehmen zeigt von Mangel an Kultur und Einsicht. Derjenige Officier, welcher sich ein solches Betragen erlaubt, offenbart hiedurch seine Unfähigkeit, im Dienste weiter aufzusteigen, und eben so erklärt der ältere Officier, welcher schwach genug ist, zu gestatten, daß ein jüngerer sich gegen ihn vergißt, seine Unwürdigkeit, dem ihm verliehenen Posten vorzustehen. Beides soll in den Konduiten-Listen bemerkt werden. Ueberhaupt haben die höhern Vorgesetzten, so wie die ältern Officiere, die Verpflichtung und das Recht, die Unbedachtsamkeit der jüngern oder ungebildeten Mitglieder des gesammten Officier-Standes, in Führung ungeziemender Urtheile über öffentliche Angelegenheiten oder Staatsverhältnisse in die Schranken der Behutsamkeit zurückzuführen, so wie das vorsichtige Betragen derselben bei jeder Gelegenheit in sorgsame Obhut zu nehmen. Se. Majestät wollen hiermit den höhern Militair-Befehlshabern es aufs neue zur Pflicht machen, darüber zu wachen, daß ihre Untergebenen und besonders die jüngeren Officiere sich keine Verletzung der Bescheidenheit und Achtung gegen Personen vom Civil-Stande zu Schulden kommm lassen. Die Vorgesetzten sollen ihre untergebene durch Beispiel und Lehre überzeugen, daß nur ein höfliches Betragen gegen Personen anderer Stände den Mann von Erziehung bezeichne und ihm am gewissesten die öffentliche Achtung sichere, deren ein entgegengesetztes Benehmen unausbleiblich unwürdig macht, während solches Erbitterung herbeiführt, und die Harmonie und Eintracht stört, die zwischen Militair - und Civil-Beamten e i n e s Staats vernünftigerweise herrschen müssen. Ein Officier, der sich dem Trunke ergiebt, oder mit lüderlichen und gemeinen Weibspersonen unanständige Verbindungen eingeht, oder mit Leuten von schlechtem Rufe Gesellschaft hegt, oder gemeine Oerter besucht, oder aus dem Spiel ein Gewerbe macht, oder die Subordinations-Verhältnisse in der den Officieren höhern Ranges schuldigen Achtung nicht zu ehren versteht, oder auf andere Art eine niedere Denkungsart verräth, muß, so lange er nicht Beweise seines gebesserten Lebenswandels giebt, des Avancements für unfähig erklärt werden. Hierüber entscheidet die auf drei Viertheile der Stimmen steigende Mehrheit der Officiere eines Regiments. Jedem Officiere steht das Recht zu, den Antrag zu einem solchen Ehrengericht zu machen; dem Verurtheilten bleibt jedoch das Recht, im Fall er sich mit Unrecht beschuldigt glaubt, auf Untersuchung zu dringen, die dann aber in einem andern Regiment, als in dem, worin er dient, geführt wird. Der Arrest in einer besondern Offfcier-Arrest-Stube verbliebe dann nur für diejenigen, welche sich oft wiederholter Vergehungen oder eines groben, eine Criminal-Untersuchung nach sich ziehenden, Verbrechens schuldig gemacht haben. Se. Majestät hegen zu der vorschreitenden Kultur der Officiere Höchst Ihro Armee das Vertrauen, daß der Fälle, wo Officiere durch Bestrafung zu ihrer Pflicht angehalten werden müssen, immer weniger werden dürften. Wenn die Officiere eines Regiments sich wechselseitig unter einander sorgsam bewachen, die ältern Officiere ihre jüngern Kameraden bei Zeiten warnen, die pünktliche Ausführung jeder übertragenen Dienstpflicht zur Ehrensache gemacht und der gute Ruf des ganzen Officier-Korps, als der Antheil jedes Einzelnen angesehen wird, dessen Schmälerung nicht zu gestatten, der Ehrgeitz eines jeden Mitgliedes des Officier-Korps seyn muß; so wird der höhere Vorgesetzte sich selten in der unangenehmen Nothwendigkeit befinden, Männer, deren Stand und Bildung sie eines äußern Antriebes zur Pflicht-Erfüllung entheben sollten, mit Strafen belegen zu müssen. Schlüßlich erklären Seine Königliche Majestät, daß es Allerhöchstdenenselben zum Wohlgefallen gereichen wird, wenn sich ein Officier-Korps durch Dienstpünktlichkeit seiner Mitglieder, durch achtungsvolles Betragen unter sich und anständige Behandlung der übrigen Stände auf eine vortheilhafte Art auszeichnet, und werden Allerhöchstdieselben einem solchen Korps ihre Werthschätzung bezeigen und durch Zuwendung außerordentlicher Vortheile gern bethätigen. Königsberg den 3ten Aug. 1808. Friedrich Wilhelm.