die Familie aus Frankreich nach Barleben. „Wobei die Mutter immer vom 11.April als dem Sterbetag ihres Sohnes gesprochen hat“, so Elfriede Brämer, „und sie sind anschließend steht’s zur Gedenkstätte Isenschnibbe gefahren.“ Auf dem Friedhof von Barleben bettete man eines Tages zu den neun Opfern des Faschismus ein zehntes. Der ungarische Name „Imre Nagir“ stand bis dahin auf einem kleinen Holzkreuz. Seine sterblichen Überreste sollen ebenfalls neben den Bahngleisen gefunden worden sein. Die Häftlinge im Zug waren von unterschiedlicher Nationalität und kamen aus dem KZ „Mittelbau-Dora“ in Nordhausen. Sie sollten nach Bergen-Belsen bzw. Lüneburg verbracht werden. In den Lagern von „Mittelbau-Dora“ starben allein von Januar bis April 1945 etwa 6.000 Häftlinge. Die Gesamtzahl lässt sich nicht genau ermitteln. Weitere Tausende Menschen fielen den Bomben und Raketen zum Opfer, die in den unterirdischen Anlagen des KZs hergestellt worden waren. Nach massiven Luftangriffen wurden die „Evakuierung“ der Gefangenen beschleunigt. Der erste Transport per Bahn aus dem Lager „Mittelbau-Dora“ fuhr dort am 5.April 1945 ab. Unzählige Menschen wurden in den Zügen nach Bergen-Belsen bei Celle, Sachsenhausen nördlich von Berlin und Ravensbrück an der Havel gebracht. Kolonnen von Häftlingen gingen zu Fuß durch den Harz in Richtung Nordosten. Insbesondere in der Gegend nordöstlich von Magdeburg kam es wiederholt zu Massakern. Am 11.April 1945 befreiten Soldaten der US-Army die zurückgelassenen Kranken und Sterbenden in „Mittelbau-Dora“.
Die Alliierten und das Kriegsende rücken näher „Ruhig Leute, wir ergeben uns!“
Im Kreis Wolmirstedt heulten am 11. April 1945 alle Sirenen. Feindalarm! In der Region kündigte sich das Ende des Krieges an. „Wir hörten in gewissen Abständen ein dumpfes Grollen, konnten uns aber nicht vorstellen, dass die Amerikaner schon so nah waren“, beschreibt Anni Brauer die Situation. Als der Feindalarm erschallte, gingen sie gerade von der Arbeit nach Hause. „Seit einigen Tagen schon waren an allen Ortseingängen sogenannte Panzersperren errichtet. Sie bestanden aus dicken Betonringen. Jeder dieser Ringe hatte eine Höhe von etwa einem Meter und einen Durchmesser von 0,8m bis 1,00m. Die Ringe lagerten seit Jahren auf dem Hof der jetzigen Breitscheidstraße33 und waren für die Straßenkanalisation vorgesehen. Nun standen die Betonteile zu beiden Seiten der jeweiligen Einfahrtsstraßen und sollten bei Alarm auf die Straße gerollt werden. Der damalige Bürgermeister und Ortsgruppenleiter Heinrich Keindorf war für die Aktion verantwortlich. Auf Befehl standen einige ältere Männer an den Sperren.“ Die aber wurden nie geschlossen, vor allem weil die Männer von Hand die Betonringe gar nicht bewegen konnten. „Das war wohl auch eine weise Voraussicht des Bürgermeisters, denn so konnten die Amerikaner ungehindert in Barleben einziehen“, meinte Frau Brauer, „und so wurde das Dorf vor der Zerstörung bewahrt.“ Am 12. April 1945 näherten sich die amerikanischen Truppen von Meitzendorf und Ebendorf her, die Wolmirstedter Flak feuerte dorthin und nach Groß Ammensleben, wo sich die Vorhut der 9. US-Armee aufhielt. Die Truppen blieben über Nacht in sicherer Entfernung. Vom Felsenberg wurden mit Scheinwerfer die Stellungen ausgeleuchtet. Zuerst soll die am weitesten nördlich stehende Batterie am zweiten Flakweg aufgelöst worden sein, dann die hintere Batterie. Ihre Besatzungen hatten beobachtet, wie am Mittellandkanal Gestalten hin- und herhuschten. Es kam zu Feuergefechten mit Wehrmachtsangehörigen. „In der Ebendorfer Straße, wo jetzt die Häuser 4-6 stehen, befand sich eine große Flak-Batterie. Deren Besatzung hatte sich gleich nach dem Fliegeralarm selbstständig gemacht, war also stiften gegangen“, berichtet Anni Brauer, die damals in der Ebendorfer Straße wohnte. „Die Nacht verlief ruhig, trotzdem konnte bei uns im Haus keiner schlafen. Die Anspannung war zu groß. Am frühen Vormittag wurde dann bekannt, dass die Bäckerei Glade am Breitenweg gebacken hatte und Brot verkauft. Ich habe mich dort angestellt. Wie wir so in der Schlange anstanden, bemerkten wir, dass Fahrzeuge von Wolmirstedt gefahren kamen.“ Auch vom Felsenberg bei Dahlenwarsleben kamen Soldaten gelaufen. Die Dlakstellungen verlassen und die Amis noch nicht da –das war eine gute Gelegenheit für den damals zehnjährigen Horst Blume und andere Kinder, sich die schicken Flugzeugmodelle der Flak Spoer zu holen. Es waren Holzmodelle, mit denen die Flakhelfer geschult worden waren. Als die Kinder auf dem Dach von Ravia.Spoer herumturnten und kurz aufblickten, sahen sie von Wolmirstedt die US-Panzer auf Barleben zurollen. „Ich weiß noch“, sagt Blume, „wir haben uns in die Hose geschissen vor Angst.“ Kurz vor dem Ort schwärmte die Truppe zu einer breiten Front aus. Die Großkampfbatterie(24Geschütze) in Hohenwarthe war immer noch besetzt. An den Panzersperren in der Kirchstraße, in der Breitscheidtstraße, am Bahnhof und anderswo wurden die Männer unruhig. „Heini, die Panzersperren müssen verschwinden, sonst schießen die“, soll Bauer Karl Wehling dem Orts- und Kreisbauernführer Heini Keindorf geraten haben. Ähnlich dachten Karl Klöpfel und der Kriegsgefangene Andre vom Knochmußschen Hof. Keindorf zögerte wohl nicht lange. Es soll sich auf sein Leichtmotorrad geschwungen haben und durch den Ort gefahren sein, berichtet Kurt Plock vom Hörensagen: „Ruhig Leute“, hatte Keindorf wohl gesagt, „bleibt in den Häusern! Wir ergeben uns.“ Lange hätten die Panzersperren sowieso nicht gehalten, sind die Zeitzeugen von damals überzeugt. Die Bauern waren es also, die Barleben gerettet haben. Einfach nur Glückssache war es nicht. Die Vernunft hatte gesiegt. Barleben und seine Einwohner erlebten die Ankunft der US-Armee ohne schwere Zerstörungen. „Magdeburg verteidigte sich noch, so blieben die Amerikaner in Barleben und bezogen Quartier“, schildert Anni Brauer „viele Barleber mussten sofort
Wohnungen oder Häuser räumen. Die wichtigste Habe luden sie auf Handwagen oder ähnliche Gefährte und suchten sich bei Verwandten oder Bekannten im Ort Unterkunft. Es war schon ein eigentümliches Gefühl, das zu beobachten.“ Als Magdeburg sich ergeben hatte, zog der größte teil der Amerikaner weiter. Viele Leute konnten wieder in ihre Wohnungen zurück.
Bevor um 14 Uhr die Amerikaner kamen
Oben vom Kanal aus konnten die Amerikaner das Dorf einsehen. Und für sie war es offensichtlich ein gutes Zeichen, dass die Leute die Panzersperren eins, zwei, drei beiseite geräumt hatten, noch bevor Truppen der 30. US-ID um 14:00Uhr in Barleben einrückten. Erich Wehner stand damals gerade mir mehreren Jungs bei Badewitz an der Ecke. „Die Straßen waren voller Leute. Die Soldaten wurden nicht wie Feinde empfangen, obwohl sie bis an die Zähne bewaffnet waren.“ Doch der achtjährige wurde ganz schnell heimgeholt. Seine Mutter kam und schrie: „Abhauen, abhauen, schnell nach Hause!“ Dann setzte es ein paar Backpfeifen. Mit seiner Schwester Inge war Kurt Borsch am 13. April 1945 unterwegs zum Kohlen besorgen“. Es muss vormittags gewesen sein, als beide das Fahrrad mit einem sack Koks beladen von Rothensee heimwärts schoben nach Barleben. An der Panzersperre am Breitenweg war Schluss. Die Kinder gingen daraufhin im weiten Bogen durch die Gärten. Plötzlich standen sie wieder vor einer Panzersperre. „Karl Klöpfel hatte sich mit irgendwelchen Leuten angelegt. Er sagte: -Die Sperre muss weg!- Wir wollten bloß schnell nach Hause. Unsere Mutter hatte Angst um uns. Vater war bei Polte in Magdeburg“. In letzter Minute wollte ein deutscher Offizier das Schiffshebewerk sprengen. Erich Wehner war gerade mit einigen anderen Kindern unterwegs, da fragte der Mann nach dem Weg zum Hebewerk. „Er ist querfeldein gegangen, legte unter die vier Spindel eine Sprenggranate und wollte gerade wieder raus, da haben ihn die Amerikaner erschossen, sonst wäre das Schiffshebewerk in die Luft geflogen.
Der Munitionszug von Eichenweiler
In Rothensee verließ am 12. April 1945 der letzte Güterzug den Bahnhof. Karl Heinz Blumenthal aus Asheville in North Carolina(USA) schildert die Geschehnisse auf der Internetseite von Hobby-Eisenbahner und Freunden vom Bahnbetriebswerk Rothensee. Blumenthal schreibt, dass Magdeburg schon unter Artilleriebeschuss lag, als noch ein vollbeladener Munitionszug in Eichenweiler stand, gleich bei der Überführung am Wasserturm. Vom Zugpersonal war weit und breit nichts mehr zu sehen. So entschloss sich sein Vater - die Familie wohnte in Eichenweiler - den Zug aus dem Wohnbereich zu fahren. Wahrscheinlich geschah dies am 14. April 1945 kurz vor Mitternacht. Karl Blumenthal drückte den Zug zurück in den Bahnhof Rothensee und ließ ihn an den Feldern nach Barleben stehen. Am folgenden Tag soll der Munitionstransport beschossen worden sein und detonierte. Eichenweiler blieb dank einer mutigen Tat verschont.
Als die US-Truppen anrückten, durchquerten sie zunächst den Ort und machten an der Ziegelei halt, am Ortsausgang nach Magdeburg. Auf dem Mittelstreifen der Autobahn hatten sich einige Hitlerjungen verschanzt. Horst Frase war dabei, als die Panzer der Amis heranrollten. „Die waren schon im Ort, da schoss die Flak von Neustadt herüber. Es knallte und auf einmal war die Kolonne von der Straße verschwunden. In den Häusern haben die Soldaten Deckung gesucht.“ Kurt Plock ist überzeugt, dass der Beschuss vom Hohenwarther Weinberg, von der Flakstellung am östlichen Elbufer kam. Mit Munition beladene LKW’s und ihre Anhänger wurden getroffen. Benzin lief aus, eine zusätzliche Gefahr. Ein Mann aus dem Rheinland wurde getötet und der Barleber Otto Rost verwundet. Das erklärte Ziel der 9. US-Armee und der 2. Britischen Armee war die Elbe. Die ersten Truppen erreichten sie am 11. April 1945 südlich von Magdeburg. Die Briten standen am 19. April 1945 bei Dannenberg am Fluss. In zwei Tagen hätten die Amerikaner in Berlin sein können. Aber nein, sie warteten an der Elbe auf die Russen. Es sollte ein „sauberes“ Zusammentreffen geben. Ein weiterer Vorstoß hätte womöglich 100.000 US-Soldaten das Leben gekostet. Das lehnte der Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte in Europa, General Dwigth D. Eisenhower, ab. Außerdem war in Jalta der Grenzverlauf vereinbart worden. Also blieben die US-Divisionen wie vorgesehen am Westufer der Elbe stehen und begannen mit der Säuberung eingenommener Gebiete. Versprengte deutsche truppen waren noch in den Wäldern unterwegs oder hielten sich versteckt. 73 solcher Gruppen wurden laut Bericht des 134. IR: festgenommen. („History of Old Hickory“) Am 12. April 1945 starb der amerikanische Präsident Roosevelt. Tags darauf richtete die 30. US-ID. in Wolmirstedt ihren letzten Kommandoposten in der Lederfabrik ein. Vorläufiges Ende eines langen Weges zum Frieden. Magdeburg aber widersetzte sich. Amerikanische Parlamentäre forderten die Übergabe der Stadt und deren Besatzung, doch der SS-Brigadeführer Boleck lehnte dies ab mit den Worten: „Keine Übergabeverhandlungen – ich werde Magdeburg bis zum Letzten verteidigen. Starke Verbände rollten auf der Reichsautobahn von Westen kommend der Elbe entgegen. Das Ziel war zum Greifen nah. Truppenvertreter fuhren am 16. April 1945 um 11:40Uhr von Barleben aus mit einem Jeep und gehisster weißer Fahne über die Autobahnbrücke in Richtung Magdeburg. In einem Gelände wurden die Parlamentäre in den Keller geführt. Oberst Cobalt empfing sie und hielt Rücksprache mit dem kommandierenden General Raegener. Dieser lehnte die Übergabe ab, woraufhin die Stadt am nächsten Tag nochmals bombardiert wurde. Raegener erteilte am 18. April 1945 früh morgens um 2:30Uhr den Absetzbefehl, der teilweise nicht befolgt wurde.
Am 10. Juni 1944 war die 30. ID. in der Normandie(Omaha Beach) auf europäischem Festland gelandet und schlug in der Ardennenoffensive die 1. SS-Div. Vom Ruhrkessel ging es in einer bis dahin nie da gewesenen Truppenverlegung über 231 Meilen bzw. rund 300km nach Braunschweig und weiter bis Magdeburg. Die deutschen Kräfte reichten nirgendwo mehr aus, schreibt Günther W. Gellermann in „Die Armee Wenck –Hitlers letzte Hoffnung“: „Es fehlte nicht nur Artillerie und Fahrzeuge aller Art, sondern auch leichte und schwere Infanteriewaffen sowie Nachrichtengerät. Als Ersatz standen nur halb ausgebildete Soldaten und Volkssturm zur Verfügung. Große Große Versorgungslager waren westlich des Rheins verloren gegangen.“ Die Luftüberlegenheit der Alliierten war so enorm, dass wenn sich deutsche Truppen fortbewegen wollten, dies nur Nachts möglich war. Südöstlich von Uelzen bis Salzwedel verlief die Trennungslinie zwischen britischen Truppen im Norden und der 9. US-Armee. Da keine nahtlose Verbindung zwischen den alliierten Verbündeten bestand, konnte sich im Raum Lauenburg die 12. Armee von General Wenck sammeln. Zwischen ihr und der in Harz stehenden 11. Armee sollte die eigens gebildete Panzerdivision Clausewitz die Verbindung herstellen. „Sie hießen Panzerjäger, aber jetzt wurden sie von den Panzern gejagt…Das dumpfe Brummen der Panzermotoren vermischt sich immer mehr mit dem Hämmern von Maschinengewehren und dem Krachen der Panzerartillerie. … die Fahrer denken nicht daran, zu halten. Da wirft er sich in der Kurve, in der sie stark bremsen müssen, auf den Kotflügel eines offenen Viersitzers und hat gerade noch die Kraft sich festzuhalten. Dämmerung liegt auf dem Land. Im Westen brennt Calvörde, die letzten Abendsonnenstrahlen mischen sich seltsam mit dem rötlich gelben Feuerschein.“(Paul Kehlenbeck, „Schicksal Elbe“). Zunächst ahnte niemand, das der 13. April 1945 ein großer Tag werden würde, sie der Elbe ganz nah kämen. Heinrichsberg wurde eingenommen, anschließend ging es nach Hermsdorf und Hohenwarsleben, wo sie schließlich die Position zum Angriff auf Magdeburg bezogen. Die 30. Div. sollte Magdeburg von links angreifen und die zweite PD. von rechts. Das Erste Bataillon richtete den Angriff auf das Zentrum der Stadt. Am 17. April 1945 wurde ein schwerer Angriff gestartet, bevor das Bataillon nachmittags um 15:15Uhr losstürmte. Unter beträchtlicher Gegenwehr stieß das Bataillon bis zum Einbruch der Nacht weiter vor und stand am nächsten Morgen um 6:30Uhr am Ziel. Am späten Nachmittag war die Elbe erreicht. Nach dem Sturm auf Berlin abgesagt war, warteten die Truppen drei Wochen lang auf die Russische Armee und das Ende des Krieges. Während sich die letzten deutschen Truppen beharrlich wehrten. Von östlicher Elbseite schossen sie auf die US-Truppen. In „Die letzte Division“ schildert Obergefreiter Karl H: „Am 12. April 1945 ca. 1:30Uhr Alarm, ca. 4:00Uhr Abtransport mit Lastwagen nach Burg, Flugplatzkaserne… ca. 17:00Uhr Abmarsch nach Hohenwarthe/Elbe, von dort mit einer Fähre über die Elbe nach Glindenberg. Ab folgendem Tag eine Panzersperre auf der Autobahn nahe dem Schiffshebewerk Hohenwarthe gebaut. Nacht in Deckungslöchern auf dem Damm des Mittellandkanals geschlafen. 16. 04 1945, ca. 19:30Uhr : US-Panzerspitze besetzt Schiffshebewerk. Wir entkommen noch mit ca. 500 Mann über die Autobahnbrücke. 17. 04. 1945, 6:00Uhr wird diese gesprengt. Wir beziehen am östlichen Elbufer eine vorbereitete Stellung, es bleibt ruhig.“ Leutnant Hans Joachim Q: „15. April 1945, Stellung unweit Hohenwarthe am Ostufer bezogen, um Zeit zu gewinnen, die zurückfluteten Truppen neu zu organisieren und auszurüsten… Sobald sich bei uns etwas rührt, haben wir gut liegendes Feuer schwerer Waffen.“ Die Flakstellung Hohenwarthe schoss noch tagelang in Richtung Westen. „Ja, es wurde über die Elbe herüber geschossen“, Hertha Knochenmuß, „weil ich aber mit den Kindern schon wieder oben in meinem Schlafzimmer geschlafen habe, hat der polnische Arbeiter immer gesagt: „Frau, Du in Keller! Immer noch schießen. Aber die haben ja nicht hierher geschossen, die haben ja mehr nach Magdeburg geschossen.“ Und nach Glindenberg und Rogätz. Erst am 3. Mai 1945 nahmen die sowjetischen Truppen Hohenwarthe ein.
First Lieutnant Frank Towers in Magdeburg und Barleben 1945 und 2005
Lieutnant Frank Towers gehörte zu den Truppen, die am 13.April 1945 in Barleben einmarschierten. Über die Gegenwehr Magdeburgs schreibt er in seinen Kriegserinnerungen. So berichtet er, dass die heftige Gegenwehr zurückzuführen war auf einen gewissen Generalleutnant Raegener, der es ablehnte, sich den US-Truppen zu ergeben. Sie wussten damals nicht, dass sich riesige Zwangsarbeiterlager am Stadtrand befanden. Bekannt war hingegen, dass Magdeburg eine Stadt der Rüstungsindustrie war. Im Jahr 2005 besuchte Towers die Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts und die Gemeinde Barleben und trug sich dort ins Goldene Buch ein. Towers berichtet im Internet seinen Kameraden über Magdeburg , den Krieg und seine Rückkehr in die Stadt nach 60 Jahren sinngemäß: Am 13.April 1945 wurde ein Lager mit amerikanischen und britischen Kriegsgefangenen befreit, von denen waren viele Air-Force-Besatzungen, die in den zurückliegenden Monaten mit ihren Maschinen in der Umgebung abgestürzt waren. Neben alliierten Kriegsgefangenen fand er auch Deportierte aus Ost-Europa. Und nicht zuletzt gab es ein großes Lager mit jüdischen Insassen, denen eine Fahrt ins Todeslager erspart geblieben war, weil sie jung, stark und in der Lage waren, in einer der Fabriken hart und lang zu arbeiten. Manchmal 18 Stunden am Tag. Es war die größte Menschengruppe, die Towers jemals gesehen hat, schreibt er. Körper, ein bisschen mehr als Haut und Knochen, unvorstellbar. Diese Menschen grüßten die US-Soldaten und baten um Essen, Wasser und Zigaretten. Sie waren so glücklich. Manche aber waren unfähig zu sprechen. Diese deportierten Personen sollten sich für die US-Armee zum Problem entwickeln. Die ehemaligen Zwangsarbeiter wurden zunächst zentral in großen Lagern untergebracht, um sie zu beköstigen und unter Kontrolle zu haben. Obwohl die Zwangsarbeiter rund um die Uhr bewacht wurden, schafften es einige, in Gruppen zu fliehen um nach Hause zu gelangen. Was tun mit den etwa 4.500 Menschen in den Lagern? Für die US-Truppen war es wichtig, sie einfach aus dem umkämpften Gebiet herauszuholen, wo noch Luftangriffe stattfinden sollten. Zudem wusste man nicht genau, was die Russen mit diesen Deportierten und besonders mit den Juden machen würden. Deshalb wurden die ehemaligen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter abtransportiert. 1,5- und 2,5-Tonnen-LKW’s schafften sie etwa 130km weit zu einem Flugplatz zwischen Helmstedt und Braunschweig, wo die US-Armee sie medizinisch betreute. Die deutsche Bevölkerung wurde aufgefordert, diese Menschen mit Essen zu versorgen. In den letzten Monaten des Krieges war Frank Towers eingesetzt als Verbindungsoffizier zwischen Divisions- und dem Regimentsstab. Der Divisionsstab befand sich in der Lederfabrik von Wolmirstedt. Der Regimentsstab in Barleben seinen Sitz. Daher, schreibt Frank W. Towers, hatte er ständig Übersicht darüber, was in der besetzten Zone vor sich ging, und das in großem Umfang. Der Krieg war zu dieser Zeit im wesentlichen vorüber, berichtet er und schätzt ein, dass ab sofort seine Aufgaben weniger umfangreich waren. Die deutschen Truppen gaben Magdeburg am 18. April 1945 endgültig auf, was das Ende des Einsatzes für die Männer der 30. US-Division bedeutete. Ihre Aufgabe war es fortan, in Magdeburg vorübergehend das Leben neu zu organisieren. Am 25. April 1945 trafen sich Amerikaner und Russen an der Elbe, fünf Tage später beging Hitler Selbstmord und am 8. mai 1945 kapitulierte das Deutsche Reich vor der Übermacht der Alliierten. Lange unbekannt war ihm, berichtet Towers, dass sich in der Gruppe der Deportierten ein jüdischer Mann aus Riga in Litauen befand, der später in die USA immigriert war und sich in Boynton Beach, Florida niedergelassen hatte, nur 250 Meilen entfernt von Towers, der in Nord-Florida lebt. Ernst Kann aber stand in Kontakt mit Persönlichkeiten von Magdeburg und diese gaben ihm Towers Adresse. Kann setzte sich mit ihm in Verbindung. Seitdem sind die beiden in Kontakt. Towers erfuhr, dass Kann zu jener Gruppe von Holocaust-Überlebenden gehörte, die der US-Lieutenant am 13. und 14. April 1945 nach Helmstedt abtransportieren ließ. 17. April 2005: Herr Kann kommt nach Magdeburg wo sich die beiden persönlich kennen lernen. Es war ein sehr emotionales Treffen. Nach 60 Jahren kamen sie in das befreite Magdeburg und Barleben, wo der Stab des 120. IR. seinen Sitz hatte. Towers erinnert sich nicht mehr genau, in welchem Gebäude der Stab einst untergebracht war. Es ist inzwischen vollständig renoviert worden, schreibt er. Eingeladen durch die Gemeinde Barleben habe er eine Nacht im Hotel verbracht und sei dann weitergefahren nach Wolmirstedt. Leider habe er die Lederfabrik nicht mehr vorgefunden, weil sie inzwischen abgerissen wurde. Seine Fahrt ging weiter nach Rogätz, die östliche Station seiner Division an der Elbe. Towers besuchte anschließend Colbitz, wo sich einst ein kleines Konzentrationslager befand. Nach einem Aufenthalt in Berlin kehrte er zurück nach Magdeburg. Familie Villard nahm ihn dort herzlich auf, dass er noch lange und gern daran zurückdenkt. „Das waren nicht mehr die Monster, die wir in den Kriegstagen bekämpft hatten.“
Auch ein gewisser A.P. Wiley schreibt über seine Kriegserinnerungen im Internet und erwähnt, dass er von Helmstedt aus mit seiner Truppe nach Born, Dolle und Wolmirstedt kam. Alle drei IR. - das 117., 119. und 120. – nahmen am Angriff auf Magdeburg teil. Wiley berichtet, sein Ausgangspunkt dazu war Barleben, „eine kleine Stadt umgeben von flachem Land“. Von der anderen Seite der Elbe wurde geschossen und es gab Widerstand zu überwinden beim Einmarsch in Neustadt. Die US-Soldaten suchten im vierten Stock eines Kaufhauses Schutz uns schossen mit ihren Maschinengewehren von dort über die Elbe. Etwa 280 deutsche Soldaten nahm Wileys Trupp gefangen. Viele seien froh gewesen, in Gefangenschaft zu gehen, berichtet der ehemalige GI. Die deutsche Bevölkerung kam langsam aus ihren Verstecken und gab den Amerikanern Bier zu trinken. Vorher aber ließen sie zur Sicherheit die Leute selbst trinken, um zu sehen, ob das Bier nicht vergiftet war. Und letztlich blieb ihm dieses Bier in guter Erinnerung. Es soll das beste gewesen sein, was Wiley jemals getrunken hat. An diesem Tag hatte der US-Soldat noch ein weiteres beeindruckendes Erlebnis. Er kam an einem Kanal entlang, „der ohne Steine gebaut worden war“, schreibt er. Danach wohnte Wiley mit seinen Kameraden in Häusern von Wolmirstedt. „Wir waren nur wenige Meilen von Berlin entfernt, aber wir mussten dort bleiben.“ Unterdessen „organisierte“ die Truppe noch etliches von jenem köstlichen Bier aus der Magdeburg Brauerei. „Wir bekamen drei warme Mahlzeiten pro Tag und nahmen endlich ein Bad, nachdem uns die Army eintransportables Badehaus aufgestellt hatte.“ Am 30. April 1945 verließ das zweite Platoon Wolmirstedt in Richtung Groß Ammenleben und zog dort ins Rathaus ein. Motorisierte Patrouillen wurden täglich nach Klein Ammensleben geschickt. Am 2. Mai 1945 musste Wiley wegen eines Treffens oder einer Beratung zurück nach Wolmirstedt. Auf dem Wege dorthin stellte er fest, dass ein Flugzeug gelandet war. Einer der Piloten sagte „Hop in!“, „Steig ein!“ Wiley freute sich und ließ sich nicht lange bitten. Bisher war er noch nie zuvor geflogen, nun saß er in der Maschine und überflog Magdeburg nach Süden hin. „Und ich konnte sehen welche Zerstörungen unsere Bomber und die Artillerie angerichtet hatten. Zurück ging es etwa 10 Meilen über die Elbe. Plötzlich beschlich den Passagier ein seltsames Gefühl, so als sei irgendwas nicht in Ordnung mit dem Piloten oder dem Flugzeug. Mit Schrecken dachte er, das ein Infentry Sergant nun bei einem Flugzeugabsturz getötet würde. Es war alles in Ordnung, nur ein Experiment. Das kleine Flugzeug landete sicher, Wiley, dankte dem Piloten und fuhr mit dem Jeep zurück nach Groß Ammensleben. Die deutsche Bevölkerung war freundlich, berichtet der Amerikaner, und kooperativ. Am 6. Mai 1945 wurde sein Trupp informiert, dass die Kampfhandlungen am 7. Mai 1945 eingestellt würden und die deutsche Wehrmacht am 8. mai 1945 kapituliert. „Ich kann nicht sagen, was ich in diesem Augenblick empfunden habe. Ich war einfach glücklich. Etwas später erinnerte ich mich meiner Freunde, die ich verloren hatte. Zuerst dachten wir, Minute um Minute’, dann Stunde um Stunde und schließlich, Tag um Tag. Wir stellten mit der Zeit fest, dass die deutsche Zivilbevölkerung in der Lage war, ihr Leben allein zu meistern. Wir hatten lediglich ein Lager in Klein Ammensleben mit über 300 Polen zu betreuen, die uns einige Probleme bereiteten. Wir sagten ihnen, dass sie in ihre Heimat zurück könnten und das so bald wie möglich. Anfangs mussten wir sie davon abhalten, die Deutschen zu schlagen.“ Weil alles Warnen nichts genützt habe, berichtet Wiley, erzählten die US-Soldaten, dass einige deutsche Soldaten aus Magdeburg geholt würden, um sie im Dorf herum laufen zu lassen. Damit wurden die Polen eingeschüchtert. Am 9. Mai 1945 verließen Wiley und sein Trupp das Gebiet in Richtung Harz.
Vorsichtig schob sich der Kopf eines amerikanischen Soldaten über die Mauer zum Garten von Familie Knochenmuß. Der schwarze GI gestikulierte, er wollte tauschen. Hertha Knochenmuß, fast starr vor Schreck, reichte völlig entgeistert ein Radieschen hin und erhielt dafür einen Kaugummi. „Ich stand in der Südstraße an der Ecke und wollte gucken, wann die Amerikaner kommen“, sagt Anneliese Knochenmuß, die damals gerade sieben Jahre alt war, „mit einem Mal hieß es, -alle Mann verschwinden-. Es durfte keiner auf die Straße sein. Da hat mich meine Mutter an die Hand genommen und ist gerannt, immer die Südstraße hinunter, immer ander langen Mauer entlang bis zu Hesses runter hat sie mich langgeschleift und rein ins Haus, die Läden zu. Das weiß ich noch. Diese endlos lange Mauer, an der sie mich entlang zog, habe ich nie vergessen.“ Indes kamen viele Leute von Rothensee gelaufen. In Deutschlands größten Güterbahnhof standen Züge mit allen möglichen Dingen, unter anderem mit Pullover, Unterwäsche, Speiseöl und Medikamenten. Die Waggons wurden geöffnet und geplündert. Was die Leute sich von den Zügen, aber auch von den Schiffen und aus Lagern „besorgten“, war über die nachfolgende zeit gut zu gebrauchen für den Tauschhandel. Außerdem strömten ehemalige Insassen aus dem Brabag-Lager nach Barleben. Dort richtete sich das 120. US-IR. häuslich ein. Magdeburg galt es noch einzunehmen. Der Regimentsstab zog ins haus der Familie Spoer in der Breitscheidstraße ein. Auf dem Hof der Ziegelei hatte eine Batterie Granatwerfer Aufstellung genommen. Einige Truppenvertreter fuhren am 16. April 1945 um 11:40Uhr mit dem Jeep und einer weißen Fahne über die Autobahnbrücke in Richtung Stadt. In einem Gebäude wurden die Parlamentäre in einen Keller geführt. Oberst Cobalt empfing sie. Nach Rücksprache mit dem kommandierenden General Raegener wurde die Übergabe abgelehnt. Daraufhin wurde Magdeburg am 17. April 1945 nochmals bombardiert. Raegener erteilte schließlich am 18. April 1945 um 2:30Uhr früh den Absetzbefehl, der zum Teil nicht gefolgt wurde. Wie in anderen Orten auch mussten viele Barleber ihre Wohnungen für die Truppen räumen. „Five minutes“ -fünf Minuten- hieß es und die Bewohner sollten verschwunden sei. „Die Amerikaner standen bei uns vor der Haustür, Breitenweg 87“, erzählt Manfred Stieger, „der Trupp bezog erst mal in unserem Haus Quartier.“ Mit heftigem Donnern gegen die Haustür verschafften sich die Soldaten Einlass. „Mein achtjähriger Bruder öffnete, sah wohl einen Schwarzen und schlug die Tür vor lauter Schreck wieder zu.“ Als die Soldaten dann erneut gegen die Tür trommelten, öffnete der Vater. Die Begegnung mit Schwarzen, damals nannte man sie „Neger“, war für viele Deutsche ein hoch emotionales Erlebnis, weshalb es unvergessen blieb. Die meisten begegneten den Andersfarbigen zum ersten Mal im Leben. „Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann?“ hieß einst ein bekanntes Kinderspiel und dann waren da die in der Nazizeit verbreiteten Geschichten vom menschenfressenden Neger. Bei Stiegers im Haus müssen die Besatzer auf den ersten Blick gesehen haben, dass dort etwas zu holen ist. Als Beute besonders begehrt waren Kameras, Uhren, Ferngläser und nicht nur die von Stiegers in Barleben. Die Familien mussten die Wohnung verlassen und in den Keller ziehen. Dort hatte der Vater einige Bretter ausgelegt und darauf Stroh ausgebreitet. Auch Wehners mussten aus ihrem Haus. „Wo nun hin? Erst mal ging es los zur Tante in der Bahnhofstraße. Sie war Gemeindeschwester. Bei ihr wohnten wir zunächst im Keller. Am anderen Morgen haben wir geguckt. Die Soldaten hatten sich eingerichtet, umgeräumt und gemacht und getan. Wir blieben zwei Tage bei Görsdorfs im Keller, dann kamen plötzlich Offiziere und wir mussten auch dort raus. Die ganze Westendsiedlung wurde geräumt. Wir sind dann mit dem Handwagen los zur Tante.“ Als die Familien eines Tages nach dem Haus gucken gingen, waren alle Türen verschwunden. Auch bei den Nachbarn fehlten sie. Auf dem Kochschen Plan war aus den Türen ein Bunker entstanden. Das Regiment bereitete sich auf die Einnahme Magdeburgs vor. Dazu war die Kommandozentrale am Breitenweg 87 eingerichtet worden. Auf dem Hof der Ziegelei brachte man Granatwerfer in Stellung. Am Kochschen Plan entlang wurden Kanonen eingegraben. Dafür errichteten die Soldaten Bunker und warfen Tarnnetze darauf. Die Stellung soll bis an die Behelfsbrücke gereicht haben. Bei der Truppe war an alles gedacht: Verpflegung, Wasser, sogar Toiletten hatte sie hingestellt. Bei Brauers fuhr ein Panzer-Späh-Wagen auf den Hof. „Weil man von oben aus dem Haus bis Magdeburg gucken konnte. Und so haben sie von dort alles genau beobachtet“, erzählt Anni Brauer. Nachdem sich Magdeburg am 18. April 1945 ergeben hatte, konnte die US-Armee dazu übergehen, das kommende Leben in der Elbestadt und in Barleben neu zu organisieren .
Vorerst wurde der Postangestellte Alois Pohl von den Amerikanern zum Bürgermeister ernannt. Wahrscheinlich weil sich geradewegs gegenüber der Villa Spoer die Post befand. „Da haben sie sich den Pohl genommen“, glaubt Inge Fuhr, „der war dann eben der Mann für alle Fälle.“ Während vielerorts noch geschossen wurde, Berlin heiß umkämpft war und Hitler noch lebte, hatte für Barleben „der kleine Frieden“ begonnen. Ein bisschen konnten die Menschen schon aufatmen. Auch wenn die Besatzer gleich Ausgangssperren verhängten und in jedem Haus fragten: „Waffen, Wein, Schnaps?“ Die Evakuierten mussten sofort den „Braunen Hirsch“ räumen und sich ein neues Quartier suchen. Die kleinen Sofas aus der Gaststätte wurden in einen größeren Raum zu Zachaus gekarrt, dazu ein paar Radioapparate gestellt. Dann machten es sich die Soldaten gemütlich, ließen ihre Beine aus den Fenstern baumeln und alle Radios durcheinander dudeln. Statt den Tisch abzuräumen, wurde die Tischdecke nach dem Essen zusammengerafft und mit dem schmutzigen Geschirr in den Hof geworfen. Müll landete oft im Keller. „Sie haben uns nichts getan, die Amerikaner“, sagt Hertha Knochenmuß, die in der Kirchstraße lebt, „im gegenteil. Meine Kinder, die haben mittags nie Hunger gehabt und das hat mich gewundert. Nachher habe ich einen ganzen Sack voller Papier gefunden von Keksen und Schokolade.“ Eines Morgens kam einmal ein Soldat auf den Hof. Herthas ältester Sohn fürchtete sich ganz schrecklich. Der Amerikaner wollte unbedingt in den Keller. Dort suchte er nicht etwa nach Wäsche und Kleidung, wie die Bäuerin vermutete, vielmehr stand ihm der Sinn nach etwas Alkoholischem. Hertha Knochenmuß hatte noch eine Flasche Kirschschnaps zu stehen. Erst musste sie davon nippen als sie nicht auf der Stelle tot umfiel, riss der Amerikaner ihr die Flasche aus der Hand, lief die Treppe hoch und ward nicht mehr gesehen. Herthas Schwester, die in der Südstraße wohnte, musste für die Truppe waschen. „Ganz anständig hatten die Amerikaner gefragt. Seife gab se selbstverständlich dazu. Nein konnte sie doch nicht sagen.“ Dafür hätten die Schwester und deren Sohn Mittagbrot bekommen. „Das war ja auch schon wichtig. Nachher hat sich keiner mehr darum gekümmert, ob jemand einen Ernährer hatte oder nicht“, sagt Hertha Knochenmuß. Die gelernte Plätterin Vera Hohoff musste ebenfalls für die Amerikaner waschen. Sie wurde abgeholt und ruckzuck zur Chefin der Wäscherei ernannt. Ab und an besuchte der Kommandeur die Wäscherei, um etwas abzusprechen. Persönliche Kontakte waren den US-Soldaten untersagt. Sie hatten Angst, das spürte jeder. Was durchaus verständlich war, wollte doch niemand mehr sein Leben riskieren in den letzten Stunden auf deutschem Boden. Bei Walter Görges in der Abendstraße wurde eines Tages lautstark an die Tür gebummert. Zwei Amis standen vor der Tür und verlangten Eier. „Eine Stunde vorher war gerade mein Bruder, der acht Jahre älter ist als ich, vom Jungvolk Zerbst zurückgekommen. Wir saßen mit unserem 70jährigen Großvater am Tisch. - Du Nazi! - sagten die Soldaten und zeigten auf den Bruder, - und Du auch Nazi - sagten sie zum Großvater. Ich war keiner, ich war erst ja erst zehn Jahre alt. Dann aber riefen sie - eggs, eggs! .- Großvater holte eine Stiege mit 15 oder 20 Eiern. Wir waren froh, dass sie nicht mehr wollten.“ Die Kinder gewannen sehr schnell Zutrauen zu den amerikanischen Soldaten. Andere mussten sich vorsehen. Gleich in der ersten oder zweiten Nacht mussten einige ältere Menschen mit zum Friedhof. Sie sollten - so glaubt Dieter Hohoff - die Leichen von Amerikanern ausgraben, eine Flugzeugbesatzung, die bei Barleben abgestürzt war. Unglaubliche Aufregung muss jedoch geherrscht haben, als ein US-Soldat im Ort erschossen wurde. „Täter war ein Pole, stellte sich heraus, und schon mussten alle polnischen Zwangsarbeiter zum Schulhof“, erinnert sich Erich Wehner, „dort musste abgelegt werden, was sie entwendet hatten. Aus dem Berg von Sachen konnte sich jeder das zurückholen, was ihm gestohlen worden war. Dann fuhr ein Zug vor und alle Polen wurden abtransportiert.“ Was den Barlebern unvergessen blieb, war die großzügige, ja geradezu verschwenderische Umgang mit den Amerikaner mit Lebensmitteln, Kaugummis, Schokolade, Zigaretten lagen herum. Als bei Wehners die Kantine der Amis befand, landete alles, was diese nicht brauchten, hinter der Tür eines Bodenraumes. Damals aß Erich Wehner zum ersten Mal Schokolade. Ein unvergesslicher Augenblick für ihn. Und obwohl sie genug zu naschen hatten, gingen die Kinder auf Diebestour, um für die Familie Essen heran zu schaffen oder Dinge zu besorgen, die einen Tauschwert besaßen. Besonders beliebt waren die blau-weiß- und rot-weiß gestreiften Verpflegungspakete, die aus den amerikanischen Fahrzeugen gestohlen wurden. Eine gefährliche und aufregende Zeit. „Trotzdem empfanden wir Kinder sie als herrlich“, sagt Manfred Stieger, „die Soldaten gaben uns Schokolade, die wir in den letzten Kriegsjahren überhaupt nicht mehr bekommen hatten.“ Die „Umstellung“ auf Schokolade und Kaugummis fiel leicht, schwer hingegen war es, sich bestimmte Geflogenheiten wieder abzugewöhnen. So musste Manfred Stieger eines Tages von Bäcker Radack Brot holen. „Als er beim Bäcker reinkam, waren da eine Menge Leute drin. Ich grüßte wie immer: - Heil Hitler! - Und die Leute sagten erschreckt: - Junge, bist Du stille, sei stille!“ Bei Zachaus am Breitenweg hatten die Amerikaner ihre Küche eingerichtet. Sagenhaft soll die Verpflegung gewesen sein. Dietrich Zachau erinnert sich, dass für die US-Soldaten extra halbe Schweine eingeflogen wurden. „Hinten im Garten musste einer, der in Magdeburg gefangen genommen wurden war, ein riesiges Loch buddeln und immerzu Schokolade essen, bis er nicht mehr konnte. In das Loch wurden Speckschwarten gekippt, weil nur das schiere Fleisch verarbeitet wurde. Über den Abfall wurde Benzin gegossen und angesteckt.“ Zu der Zeit besaßen Zachaus etwa 150 Küken, die ein Soldat aus Spaß mit Keksen fütterte. „Der konnte sich einen Teufel freuen, wenn ein Küken den Keks ergattert hatte und damit auf und davon rannte, die anderen alle hinterher.“ Dietrich Zachau durfte zur Verpflegung des Viehs regelmäßig auf den Hof gehen und stellte dadurch den Kontakt zu einem Offizier her, dessen Eltern aus Thüringen stammten. „Er war interessiert an Deutschland und wollte sich unterhalten. Von diesem Offizier habe ich Pullover und Hosen bekommen und Verpflegung, so viel wie ich wollte.“ Die Kinder der aus ihren Wohnungen verwiesen Familien durften regelmäßig heim, um Hühner und Kaninchen zu füttern und heimlich zu kontrollieren, ob vergrabene Lebensmittel, Gläser mit Braten und Wurst, noch sicher waren in ihrem versteck. Eine Versorgungsstelle der Amerikaner befand sich an der alten Schmiede-Schule. Ein großer Kessel mit Schokoladensuppe wurde dort öfters gekocht, davon gab es dann eine tasse voll und ein bisschen Weißbrot dazu. „Bei Brämers stand ein Zelt“, erinnert sich Dieter Hohoff, „da wollten wir mal Schokolade kappen, aber gekappt haben sie uns und den ganzen Tag eingesperrt.“ Bis zum Amsel- und Fliederweg haben die US-Truppen eines Tages den Boden ganz fest gewalzt und einen großen Basenallplatz angelegt. Den Bauern aber kippten sie die Schweinetröge voll Sand oder brachen in die Küchen ihrer Quartiere ein Loch in den Boden, wo hindurch sie den Schmutz hinausspülten.
Im Juni 1945 rückte die 30. US-ID. aus dem Raum Magdeburg ab. Ölsnitz im Vogtland war ihr Ziel, kurz danach ging es heimwärts, erst nach England und von dort per Schiff über den großen Teich nach Amerika. In Barleben waren in der Zwischenzeit die Engländer als neue Besatzer eingezogen. Wieder hieß es Wohnungen räumen. Die Engländer hätten sich sehr reserviert verhalten und waren in ihrer art irgendwie schadenfroh, wird berichtet. Kontakt mit der Bevölkerung unterhielten sie kaum. „Als Deutscher“, sagt Dietrich Zachau, „durfte man nicht auf den Bürgersteig gehen. Man musste runter auf den Fahrdamm.“ Mit den Deutschen gemeinsam den gehweg benutzen, ging den Briten gegen die Ehre. In der Siedlung aber hätten sie alle Frauen zusammengerufen und ihnen gesagt, dass sie gehen und nun die Russen kämen. Wer wollte, zog mit auf und davon. „Nach ihnden“, berichtet Lieselotte Botenwerfer, 2 musste Großreinemachen angesetzt werden.“ Die Enkelin von Anna Oerlecke wohnte von März 1943 bis November 1948 im Vorwerk von Barleben, wo sie im September 1945 ihre Tochter Heidrun zur Welt brachte. Frau Botenwerfer erinnert sich, dass einige britische Besatzer in den Häusern ihre Exkremente verteilt hatten. Bevor die Briten endgültig abrückten, informierten sie jedoch die Leute im Ort, dass nun die Russen kämen. Etliche packten daraufhin ihre Sachen und schlossen sich der Armee an.
Girlanden, Spruchbänder und Totenstille als die Russen kommen
Mit Pferdegetrappel und rumpelnden Panje-Wagen zogen am 1. Juli 1945 die „Russen“ in Barleben ein. Eigentlich waren es ja Vertreter vieler Völker aus dem riesigen Sowjetland. Der Ruf, der ihnen vorauseilte, war beängstigend. In Mitteldeutschland hatten die Menschen längst erfahren, wie schlimm es besonders den Mädchen und Frauen in Ost- und Westpreußen, in Pommern, Schlesien uns im Sudetenland beim Einzug der Sowjets ergangen war. Andererseits galten die Rotarmisten als besonders kinderlieb und auch das machte schnell die Runde. Und so saßen die Steppkes am Sonntag, dem 1.Juli 1945, draußen vor der Tür, um die Rote Armee zu erwarten. „Keine Panzer, kein LKW, nur kleine Pferdchen mit Wagen. Und alles war so dreckig“, erinnert sich Erich Wehner und Herbert Koch. Mit den Panje-Wagen kamen sie von Osten über die Autobahn gezogen. Im Dorf sollen Girlanden und Spruchbänder gehangen haben, worauf stand: „Wir grüßen unsere Befreier!“ Und einige hätten sich sogar russische Uniformen angezogen, um die „Freunde“ in empfang zu nehmen, wird berichtet. Ein paar größere Jungen beobachteten die Neuankömmlinge von der Autobahnbrücke aus. „Im Dorf herrschte Totenstille, kein Mensch war zu sehen, die Fensterläden waren zu. Beim Anblick der ersten Gefährts machten wir Jungs uns auf und davon. „Am Tag danach trieben die „Russen“ Kühe herbei, sperrten sie in Ställe ein und riefen Barleber Frauen über Lautsprecher zum Melken auf. Auch diese Besatzer schickten ihre Quartiermeister los, um große Wohnungen zu requirieren. Wie andernorts auch, wurden die von den Amerikanern und den Briten eingesetzten Bürgermeister wieder abgesetzt und neue bestimmt. Postvorsteher und Bürgermeister Alois Pohl wurde verhaftet und ins Lager Mühlberg an der Elbe gebracht. Das ehemalige Kriegsgefangenenlager im Brandenburgischen diente einst dem Arbeitsdienst. Nach der Befreiung durch die Rote Armee am 23. April 1945 übernahm das NKWD, eine sowjetische Behörde(Volkskommissariat für innere Angelegenheiten), das Lager, im September 1945 und betrieb es bis 1948. Ohne Klärung der Schuldfrage wurden missliebige Personen jahrelang in völliger Isolierung und unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten. Von fast 22.000 Lagerinsassen starben 7.000. In Barleben „regierten“ ab dem 1. Juli 1945 Bürgermeister Johann Stein und die Moskauer Zeit. Für fast alles brauchte man Ausweis und Genehmigungen. Wahrscheinlich aus lauter Bequemlichkeit wurden im russischen besetzten Teil Deutschlands die Uhren zwei Stunden vorgestellt. Heute bekannt unter „doppelte Sommerzeit“, ein Extrem, das für die Menschen damals mir erheblichen Problemen verbunden war. „Achtung doppelte Sommerzeit!“ steht heute noch in meteorologischen Fachbüchern. Statt 10:00Uhr vormittags war es plötzlich schon 12:00Uhr mittags. „Für die Menschen war es eine gewaltige Umstellung, auch weil es abends einfach nicht dunkel werden wollte“, erinnert sich Barbara Coester. Selbst Babys wurden damals nach Moskauer Zeit geboren.
Das Aufräumen in den zerstörten Betrieben und in der Stadt Magdeburg begann. „Wir versuchten bei Junkers die Produktion wieder aufzubauen“, erzählt Willy Pollex, „jede Menge Leute hatten sich gemeldet, alles Fachkräfte, Dreher, Fräser usw. Aber der Russe wies an: - Demotage, alles abbauen. - Vor Wut haben wir eine riesige, vier Meter hohe Presse aus Gusseisen umfallen lassen. Sie zersprang in tausend Stücke.“ Außerdem mussten jede Menge Kisten genagelt werden. Die Arbeiter machten alles und schoben dabei mächtigen Knast. Laut Befehl 234 der Sowjetischen Militäradministration stand jedem Arbeiter im Betrieb täglich eine warme Mahlzeit zu. Wie diese warme Mahlzeit - meist eine Suppe – auf den Tisch kam, darum mussten sich die Leute selbst kümmern. Brot war sagenhaft teuer und eine Kiste Burger Knäckebrot – irgendwo versteckt – ein großer Schatz. Die sowjetischen Kommandanturen griffen rigide durch, wenn es um die Aufgaben der Bauern ging. Schließlich trafen immer mehr Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Gebieten ein. Normalität herzustellen war über lange Zeit ein Kraftakt. Es gab bei den Sowjets wie zuvor bei den anderen Besatzern nur stundenweise Ausgang. Den hatten die hochschwangere Lieselotte Botenwerfer und ihre Schwiegermutter eines Tages im Schrebergarten vertrödelt. „Wir waren in der Burgenser Straße in Höhe Gemeindeamtes, das hörten wir Pferdegetrappel hinter uns. Hoch zu Ross kam ein Russe daher. Der erste, den wir je zu Gesicht bekommen hatten. Wir flüchteten in ein Gehöft, bis die Luft wieder rein war.“ Bei Oerleckes zogen die Russen ins Erdgeschoss ein. „Sehr angenehme Menschen“, erinnert sich Lieselotte Botenwerfer, „sie hatten einen kleinen Sohn, Toni hieß er. Der Opa von Toni war ein Bezirksbürgermeister von Moskau.“ Im Vorwerk gab es eine kleine Badeanstalt mit Wannen, wo zum Wochenende angeheizt wurde. Nur wer sich angemeldet hatte, konnte das Wannenbad nutzen. Gegenüber befand sich eine Wäscherolle, die von den unmittelbaren Nachbarn genutzt wurde. Im Vorwerk gab es zudem eine Heißmangel., die Erna Kuhlmann betrieb. Frau Botenwerfer berichtet, dass die russischen Besatzer bei ihrem Abzug aus Barleben ein Gewehr vergessen hatten. „Ich schwang mich mit meinem Karabiner auf mein altes klappriges Fahrrad und fuhr zur Bahnrampe. In den schon fahrenden Zug habe ich das Gewehr in den letzten Wagen hineingereicht.“
Hertha Knochenmuß hatte mit keinem Besatzer Probleme, auch nicht mit den Russen. „Erstens durfte man sowieso kaum raus und warum sollte ich auch, die Bauern waren ja Selbstversorger. Die bekamen keine Lebensmittelkarten.“ Frau Knochenmuß hatte allerdings vorausgedacht und sich mit Erbsen, Bohnen, Linsen. Im Keller standen Gläser mit eingekochten grünen Bohnen, Kartoffeln waren bevorratet. So konnte die Bäuerin jeden Tag wenigstens eine Suppe kochen. Mehl um Brot zu backen, besaß sie auch und natürlich Eier, Milch und Butter. Um Schuhe und Unterwäsche kümmerten sich „ihre Mädchen“, die Polin und die Ukrainerin. Sie setzten sich aufs Fahrrad und fuhren nach Rothensee zu den Zügen mit den unglaublichen Vorräten. Eimerweise schleppten die Leute Speiseöl heran. In Vahldorf am Mittellandkanal holten sie Stoffe von den Schiffen herunter und aus einem großen Lager „besorgten“ sie Tabak. Bei Ravia-Spoer gab es Kunsthonig. Elfriede Brämer erzählt, dass man die Inverzuckercreme in Wassereimern bekam. „Die gab man beim Pförtner ab. Da waren gleich zwei, die immer hin- und herliefen und den Kunsthonig herbeiholten.“ Überhaupt wurde, was nicht niet- und nagelfest war, geräubert. Bei Eavia-Spoer, in der ehemaligen Schokoladenfabrik, gab es auch Bettbezüge zu holen. Wer jedoch alte Postsäcke mit Hackenkreuz obenauf nutzte, der musste aufpassen. Mit einem solchen Sack hatte Erich Wehner Korn geholt und wurde erwischt. Nach einer Hausdurchsuchung musste Wehner den Sack abliefern und Bußgeld zahlen. Aus aufgeräufelten Zuckersäcken wurden damals Pullover gestrickt, die fürchterlich kratzten. Etwas mehr Ordnung zog erst mit Einführung der Lebensmittelkarten ein, die je nach Schwere der Arbeit ausgegeben wurden:
1- Schwerstarbeiter 2- Körperlich harte Arbeit, außer Bauern (Selbstversorger 3- Lehrer 4- Büroangestellte 5- Kinder (bisschen Butter und Milch) 6- Rentner (weder Butter noch Fleisch)
Ein Witz machte in jener Zeit die Runde, der ging so: Haste schon gesehen? Auf dem Friedhof steht ein großes Schild, darauf steht „Gruppe 6 herzlich willkommen!“
„Weil die meisten aber in einer Großfamilie lebten und ihre Marken zusammenlegten“, sagt Barbara Coster, „kam schon was dabei heraus. Hatte der Fleischer ein paar Knochen übrig, dann gab er sie manchmal mit, um daraus für die Kinder eine Brühe zu kochen.“ Wer etwas zu verkaufen hatte, ging zu den Bauern. Schmucksachen, Teppiche, echte Porzellane und Gemälde wurden eingetauscht gegen Lebensmittel. „Die Züge von Berlin waren immer furchtbar überfüllt. Sogar auf den Trittbrettern klemmten sich die Fahrgäste. Immer wenn ein Zug in Barleben ankam, brachten die Leute alles Mögliche mit. Die Großstädter dachten, hier in der Börde gibt es was zu holen. Damals hieß es, die Bauern würden sich ihre Ställe bald mit Teppichen auslegen.“ Ganz groß in Mode war zu jener Zeit das Rübensaftkochen. Überhaupt wurde mit allem gekocht, was irgendwie verwendbar war. Aus Sauerampfer wurde Suppe, die Wegwarthe wurde als Kaffeeersatz genutzt, um nur einiges zu nennen. Solange und so oft wie möglich ging es zum stoppeln hinaus aufs Feld. Jede Ähre, jede Kartoffel, jedes Hälmchen wurde abgesammelt und heim getragen. Fuhren Wagen mit holprigen Eisenrädern vorbei und Rüben hüpften herunter, dann wurden die Rüben aufgehoben und nach Hause getragen. Barbara Coester: „An der Bahnstrecke von Barleben nach Meitzendorf geht es ja so ein bisschen bergauf. Wenn dort der Zug langsam fuhr, sprang der Sportlichste der Familie auf und schmiss runter, was er zu greifen bekam. Die anderen Familienmitglieder liefen neben dem Zug her und sammelten alles in einen sack. Und schnell ging es nach Hause.“ Wer zum Beispiel zum Friseur wollte, musste zwei Kohlen mitbringen, damit Wasser zum Haarewaschen erwärmt werden konnte.
Not machte erfinderich und das besonders bei großem Hunger. Viele konnten nach dem Krieg nur träumen von einem leckeren Schweinebraten, von Wurst und Schmalz. Selbst wer Grauppensuppe hasste, aß diese wochenlang. Die Menschen waren froh, überhaupt etwas Warmes in den bauch zu bekommen, womit die schwere Arbeit bewältigt werden konnte. Strengste Strafen hatte derjenige zu erwarten, der beim Schwarzschlachten erwischt wurde. „Es gab dann Schweine mit acht Beine“, erzählt Willy Pollex, „ein Schwein wurde angemeldet und zwei wurden geschlachtet. Das war ungefährlich. Einmal war er dabei, beim Schwarzschlachten. Und das geschah ausgerechnet während der Fahrt mit einem LKW am hellerlichten Tag zwischen Schweinitz und Biederitz. „Ich war ja schon mal verlobt vor meiner Ehe und der Schwiegervater hatte ein Fuhrgeschäft in Biederitz. Bei dem musste ich LKW fahren. Ich hatte aber keinen Führerschein damals, nur fürs Motorrad. Und trotzdem bin ich gefahren. – Fahr man, fahr man - ,hatte der angehende Schwiegervater gemeint. Und hinter mir wurde gewerkelt während der Fahrt. Ich hab es bloß quiecken und knallen gehört, und dann war die Sache erledigt. Fahr nicht so schnell, nicht so dolle bremsen, rief es von hinten. Die haben da Schüsseln gehabt und alles Mögliche. Ich musste schön vorsichtig fahren. Das war ein Abenteuer.“ Auf Schwarzschlachten standen damals „saftige“ Strafen erinnert sich Achim Eichbaum. „Da konnte man mit ein bis zwei Jahre Gefängnis rechnen. Das wurde ganz hart geahndet. Nur noch ganz wenige haben es sich getraut, nachdem sie von den ersten Verurteilungen gehört haben.“ Trotzdem hatte die Familie seiner späteren Ehefrau 1946/47 in Barleben schwarz geschlachtet. Monika Eichbaum kann sich heute noch köstlich darüber amüsieren. „Bei meiner Oma auf dem Schäferhof haben wir die Stube ausgeräumt und dann das Schwein durch die Küche in die Stube getrieben. Da wurde es dann getötet. Alles haben wir drinnen gekocht und verarbeitet. Nachts, weil das keiner riechen sollte. Wochenlang hat es gedauert, ehe der Geruch wieder aus der Wohnung rausging, geputzt und gescheuert wurde etliche Male. Und mein Opa, er war ein bisschen asthmatisch sollte das Schwein festhalten, dabei hat er vor lauter Aufregung einen Asthmaanfall gekriegt. Diese Wirtschaft und Hektik!“ Außerdem erinnert sie sich daran, dass ihr Onkel einmal angetrunken vom Tanz heim kam und eine Kuh mitbrachte. „Ein paar Tage vorher hatten wir Sirup gekocht, da lagen noch diese Schnipsel auf dem Hof. Davon hat die Kuh gefressen. Später hat sie Gustav Voigt zusammen mit einem Schwein geschlachtet.“ Höhepunkt des Ganzen war eine Mitteilung im Schaukasten der gemeinde: „Kuh entlaufen! Besitzer die Rote Armee.“ Es soll sogar eine Belohnung gegeben haben, aber die Kuh war ja nun geschlachtet. „Ach hat mein Onkel gesagt – Besitzer die Rote Armee?. – Die haben die Kuh och bloß jeklaut. Also loaten wi uns die jut bekomm. Diese Geschichte“, sagt Monika Eichbaum „ hat sich die Familie noch lange mit Freuden erzählt.“
Radio und Tanz-zwei Vergnügen jener Zeit
Einmal kam zu Familie Pollex ein russischer Offizier. Er besah sich deren rotes Samtsofa, setzte sich hin und testete mit Schwung die Federung. Die muss ihm offensichtlich nicht behagt haben, denn er zog wieder von dannen. Nebenan bei Reisings gefiel ihm die Lagerstatt besser und so quartierte er sich dort ein. Jeden Abend trank der Offizier uns stellte das Radio auf volle Lautstärke. Und das auch in der Nacht. Die Nachbarschaft war um ihren Schlaf gebracht. Willy Pollex aber kam auf die Idee, das Radio mit einer 24-Volt-Zündspule außer Betrieb zu setzen. „Man konnte einen Funken ziehen, so dass das Radio fast auseinander fiel.“ Der Russe besorgte sich ein Radio nach dem anderen und eines nach dem anderen ging kaputt. „Bis er kapiert hatte, er darf den Apparat nicht so laut stellen.“ Sonst liebte Pollex die Musik, vor allem wenn er mir seiner Band im „Schwarzen Adler“ spielte. Dann war der Saal immer voll. Eines Tages hieß es mittendrin: „Mitkommen!“ Mit dem großen Akkordeon vor dem Bauch stieg der junge Mann in den Seitenwagen eines Motorrades. Auf dem Sozius saß sein Vater und vorn auf dem Seitenwagen hievte sich ein weiterer Musiker. Es ging zur Kommandantur, wo fein angezogene Leute auf eine nette Unterhaltung warteten. Wodka, „Sto gramm“, und Bier gab es. Wer das nicht getrunken hat, mit dem verstanden die „Freunde“ keinen Spaß, erinnert Willy Pollex. „Trink das nicht!“ hatte Vater geraten, so kippte Willy Bier und Schnaps klammheimlich ins Klavier.
Dieses Kapitel ist ein trauriges, eines, das selbst nach 60 Jahren schwer auf Barleben lastet. „In der Breitscheidstraße 33 war der Sitz der GPU(Glawnoje Politischesk Uprawlenije, der Geheimdienst der Sowjetunion, d. Verf.). Die Fenster von Brauers, von denen aus man normalerweise auf den Hof schauen konnte, mussten extra weiß angestrichen werden, erzählt Anni Brauer, „meine Schwiegermutter hat trotzdem Verhaftete beim Rundgang gesehen, weil die Farbe ein bisschen abgekratzt wurde. Daraufhin gab sie Elma Garz Bescheid: -- Du Wilhelm ist auch hier.- Und dann kamen sie und haben durchgeguckt. Da waren verschiedene Barleben bei der GPU eingesperrt.“ 28 Männer wurden auf ihren Geheiß verhaftet und verschleppt. Auffallend ist, dass anfangs viele Geschäftsleute von der Bildfläche verschwanden. Im Archiv der Gemeinde Barleben lagert ein Ordner voller Protokolle des Antifa-Ausschusses von 1945-1948. Hochbrisantes Material. „Abgeholt wurden unter anderem Ernst Schulze aus dem Hirtentor 2, Wilhelm Reising aus der Meitzendorfer Straße, Paul Braune aus der jetzigen Thälmann Straße, Fritz Wallstab, der Kaufmann Rudolf Lohse, Konrad Schneider aus der Gartenstadt Siedlung, Otto Feller, der Gemeindesekretär war, und Walter Belling aus der Dahlenwarsleber Straße“, erzählt Dietrich Zachau auf. Zuvor waren von den Amerikanern schon Rudi Ibe, Willi Hoff, Heinrich Keindorf, Wilhelm Neuschulz und andere verhaftet worden. Auch Anni Brauers Schwiegervater bekam ein von der Sowjetischen Kommandantur eine Aufforderung, sich in Wolmirstedt zu melden. Im Hause der Brauers hatte einst ein gewisser Richard Hartkopf gewohnt, ein arbeitsamer Mann, der bei den Junkerswerken in Magdeburg angestellt war. Dort standen damals auf einem großen Schornstein die Buchstaben „M“ und „S“ geschrieben, was „Militärschüler“ bedeutete. Sie haben bei Junkers gelernt. Richard Hartkopf aber habe so dahergequatscht, die Buchstaben würden „Moskau siegt“ heißen. Eines Tages wurde er abgeholt und ins Zuchthaus Brandenburg gesperrt. Weil sich Hartkopfs Frau, die Stiefmutter seines Jungens, nicht sonderlich gut um die Kinder kümmerte schob ihnen Frau Brauer ab und an eine Stulle zu oder stellte einen Teller Suppe hin. Davon erfuhr Richard Hartkopf im Gefängnis und schrieb von dort einen langen Brief an die Brauers. Darin dankte er ihnen, dass die Familie ein solches Augenmerk auf seine Kinder habe. Sie mögen das doch weiter so halten. Diesen Brief nahm Herr Brauer mit zur Kommandantur nach Wolmirstedt. Der Tischlermeister durfte wieder nach Hause. Richard Hartkopf war 1943 hingerichtet worden. Von 28 verhafteten Barleber Bürgern kehrten lediglich Konrad Schneider, Paul Braune und Rudolf Lohse aus den Lagern heim. Lohse war so krank, dass er nicht mehr lange lebte. Viele seien verraten worden von einer Frau, die Russisch sprach, wird berichtet. „Damals“, sagt Ursula Fuhr, „habe man sich hinter vorgehaltener Hand erzählt, dass der Antifa-Ausschuss aus neun Leuten bestanden hat. Namen wurden offiziell nie bekannt“. Die Akte bleibt vorerst noch geschlossen.
…und die Hoffnung stirbt zuletzt
Viele Barleber blieben im Krieg, starben im Lazarett oder in Gefangenschaft. Wenn der Briefträger kam und überbrachte ein Schreiben von der Truppe, dann wurde der Verlust des Mannes und Vaters, des Sohnes, Bruder oder Freundes zur traurigen Gewissheit. Irgendwie miss es Erich Wehner sen. Geahnt haben, dass er nicht mehr heimkommt. Als ihn sein Sohn Erich beim letzten Heimaturlaub zum Bahnhof begleitete, sagte er sinngemäß: Wir sehen uns wohl nie wieder! Ein Leben lang blieb dieser Moment für den Sohn unvergessen.
„E.O., 12.11.1944
Sehr geehrte Frau Wehner! Als Kompanieführer Ihres Mannes habe ich die traurige Pflicht Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Mann in der Zeit vom 1.11. bis 3.11. im Raum Sibenik vermisst ist. Bei den Absetzbewegungen unseres Regiments war Ihr Mann bei einer Kompanie als Minensucher eingesetzt. Diese Kp. Wurde plötzlich aus dem Hinterhalt überfallen und zersprengt. Als sich der größte Teil des Kp .später wieder einfand war Ihr Mann nicht darunter. Ich hoffe mit Ihnen, dass Ihr Mann verwundet in Gefangenschaft geraten ist und nach einem siegreichen Friedensschluss wieder zu Ihnen und Ihren Kindern zurückkehrt. Mit Ihrem Mann verliert die Kompanie einen ihrer besten Pioniere, einen guten Soldaten und Kameraden. Er war bei Vorgesetzten und Kameraden gleichermaßen beliebt. Wir können den Verlust nur schwer ertragen. Liebe Frau Wehner, grämen Sie sich nicht zu sehr und haben Sie Vertrauen, dass Sie in nicht langer Zeit Ihren Mann gesund wieder sehen. Diese Hoffnung teile ich und die ganze Kompanie mit Ihnen.
Mit herzlichen Grüßen verbleibt Ihr Wilh. Bindlein (?) Lt. U.Kp.führer