Interessengemeinschaft Rogätzer Heimat- und Kulturfreunde
Geschichte in Geschichte Das Kriegsende 1945 in Rogätz
Veröffentlicht im Mai 2005
Vorwort
„Wie war das eigentlich damals, als in Rogätz der Krieg zu Ende ging?“ fragten meine Söhne eines Tages. Ich konnte dir Frage nur sehr ungenau beantworten. Mein Vater hatte mir seinerzeit einiges erzählt. Von den vielen Fahrzeugen im Ort, dem Kahn mit den Fleischbüchsen und der furchtbaren Zerstörung. Ich wusste auch, dass die Menschen in den Wald geflüchtet sind und die Amerikaner die ersten Besatzer waren. Aber Vater war damals selbst noch ein Kind und ist inzwischen leider schon lange tot. Sein Vater starb in französischer Gefangenschaft. In Erdkuhlen der nassen Rheinwiesen liegend hatte er erfahren, dass Rogätz Brückenkopf war, vieles zerstört und Einwohner getötet wurden. Er verlor darüber alle Hoffnung und starb in der Fremde. Wie hatte er von den letzten Kriegstagen in Rögätz erfahren? Diese Frage stellte ich mir. Ich glaubte, darauf niemals eine Antwort zu finden. Liest man in den Chroniken unseres Dorfes, dann erfährt man von über 121 Toten „als Folge direkter Kriegseinwirkung“ und von 25 bis 30 Vermissten. Auch dass 55 Gebäude total, 24 schwer und 106 leicht beschädigt wurden, ist nachzulesen. Und berichtet wird, wie das Leben nach Kriegsende neu begann. Was aber haben die Menschen empfunden beim Erwarten der Besatzer, beim Beschuss durch deutsche Truppen und nach all der zerstörung? Was erlebten sie, als die erste Besatzungsmacht, die zweite und schließlich die dritte den Ort einnahm. Woher kamen die Soldaten, wo wollten sie hin, was geschah in den umliegenden Orten? Über Gefühle und Erlebnisse berichtet die Chronik nicht. Das ist nicht ihr Anliegen. Und doch bewegen einen diese Fragen. Welchen Zeitzeugen man im Ort auch fragt, zu erfahren sind immer nur Bruchstücke. Das leuchtet ein, bedenkt man die Größe des Ortes und dass die meisten Menschen zum Kriegsende im Wald waren. Aber plötzlich hört man, nicht alle sind gegangen. Manch junger „Ströper“ streifte durch die Gegend, sah das Geschehen mit kindlichem Leichtsinn als großes Abenteuer oder musste sehen, wie die Familie zu Nahrung und einem neuen Dach über dem Kopf gelangte. Die Rogätzer Heimat-und Kulturfreunde kamen zu dem Schluss: Wer heute nicht fragt, wird diesen teil der Ortgeschichte nie mehr erfahren. Die Generation der Zeitzeugen wird eines Tages nicht mehr unter uns sein. Und wie gut es war, dass wir nachgefragt haben, zeigt hoffentlich dieses kleine Buch. Alle befragten brachten zum Ausdruck, wie wichtig es ist, dass künftige Generationen wissen, welches Leid dieser Zweite und hoffentlich letzte Weltkrieg über die Rogätzer, die Menschen in der Umgebung und die Soldaten auf beiden Seiten brachte. Ich fand bei diesen Recherchen die Antwort darauf, wie mein Opa in den Rheinwiesen zu den Informationen aus Rogätz gekommen waren. Das habe ich Hans Skupin zu verdanken, einem Mann aus Bad Gandersheim. Als 17jährigen Soldaten hatte es ihn schicksalhaft nach Rogätz verschlagen. Hier ging er in amerikanische Gefangenschaft. Sehen Sie uns nach, dass nicht jeder noch lebende Zeitzeuge aus unserem Dorf befragt werden konnte. Vielleicht gäbe es auch noch das eine oder andere zu erzählen. Warum nicht? Sprechen Sie darüber und/oder schreiben Sie es auf! Wenn diese Arbeit Anlass ist, noch einmal über die Ereignisse am Kriegsende 1945 zu sprechen, dann ist unser Ziel erreicht. Was bleibt besser in Erinnerung als Geschichte in Geschichte.
Margitta Häusler Vorsitzende der IG Rogätzer Heimat- und Kulturfreunde
„Die Amis kommen!“ von Christian Häusler
Die Lage im März 1945
Nach vier Jahren Materialschlacht und einem kräftezehrenden Zweifrontenkrieg liegt die deutsche Wehrmacht Anfang 1945 am Boden. Aus Westen und Osten drückt der Feind mit einer zahlenmäßigen Überlegenheit im Verhältnis von mehr als 3:1. Nachschub und Luftunterstützung funktionierten kaum mehr, ausgebildete Soldaten sind Mangelware. An einen Sieg glauben nur noch wenige Offiziere und Soldaten. Ihnen geht es vor allem um das eigene Überleben und das ihrer Familien sowie um das Aufhalten der Roten Armee im Osten. Denn vor den Sowjets hat man die größte Angst. Auf amerikanischer Seite hingegen ist der Sieg zur Gewissheit geworden. Kein Wunder, ist die Versorgungslage doch um einiges besser als auf der deutschen Seite. Hinzu kommt, dass der Vormarsch immer schneller zu werden scheint. Ziel der amerikanischen, britischen und französischen Streitkräfte ist die Elbe. So war es auf der Konferenz von Jalta 1944 beschlossen worden. Auch die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen wurde dort bereits festgelegt. Der Sieg war für Churchill, Roosevelt und Stalin beschlossene Sache! Bis dahin betrachteten die westlichen Alliierten Berlin als den „großen Preis“ für ihren Sieg. Da aber nach Jalta Berlin in der sowjetischen Besatzungszone liegt, verspüren die Amerikaner, Franzosen und Briten nicht das Verlangen, jene Gebiete zu erobern, die später sowieso den Russen überlassen werden sollen. Montgomery, der im Norden Deutschlands vorrückt, protestiert gegen diese Planänderung. Er sieht in der Sowjetunion schon den nächsten Feind.
Der Ruhrkessel
Ende März beginnen die 1. und 9. US-Armee das Ruhrgebiet einzukesseln. Zur 9.Armee gehört auch das 134 Infanterieregiment das später mit einer Kompanie nach Rogätz kommt. Bis zum Ende der Einkesslung nehmen die Amerikaner ca. 325.000 deutsche Soldaten gefangen. Dabei handelt es sich um die gesamte Heeresgruppe B unter General Model, der sich durch Selbstmord der Gefangennahme entzieht. Nach dem Ruhrkessel steht praktisch keine geordnete Front der Wehrmacht mehr. Nur noch eilig aus den Wehrkreisen zusammengeraffte Truppen verteidigen dieses Gebiet. Für die Amerikaner kein ernstzunehmender Widerstand.
Vorstoß zur Elbe
Am 11.April, nur zwei Wochen nach dem Verlust der front im Zentrum, stehen die ersten Amerikaner am Elbufer südlich von Magdeburg. In zwei Tagen würde man Berlin erreichen. Doch man hält an der Elbe und wartet auf die Russen. Vorsicht wird allzu großer Kühnheit vorgezogen. Ein „sauberes“ Zusammentreffen mit den Russen ist das Ziel. Ein Vorstoß hätte Eisenhower zufolge ca. 100.000 Soldaten gekostet. Man beginnt vielmehr mit der Säuberung der eingenommenen Gebiete. Nur wenige Tage später erreichen amerikanische Einheiten Rogätz. Sie kommen aus westlicher Richtung, also von Colbitz und Angern und von Norden aus Bertingen. Wolmirstedt wurde Kommandoposten der 30. Infanteriedivision. Ihre Einheiten erreichten am 13.April Rogätz. Das 134. Infanterieregiment der 35. Infanteriedivision (XIX. Corp, 9.Armee) marschiert mit der Kompani I am 16.April in Rogätz ein. Im „After Action Report“ des Regiments wird eine Frontverlängerung nach Süden erwähnt. Die Einheit der 30. Division wurde abgelöst. Allerdings bereiten versprengte deutsche Soldaten in der Colbitz-Letzlinger Heide den Amerikanern zu diesem Zeitpunkt immer noch Sorgen. Erwähnt ist in einem nachträglich verfassten bericht, dass die Amerikaner die Augen aufhielten nach einer „Task Force Clausewitz“. Dabei handelte es sich um eine größere Gruppe Deutscher, die mit erbeuteten amerikanischen Fahrzeugen ausgestattet waren. Diese Gruppe war teil der 11.Armee, die sich in den Hatz zurückzog und dort umzingelt wurde. Auf der Ostseite der Elbe kämpfte indes Wencks 12.Armee, Hitlers letzte Hoffnung. Wenck soll zunächst Model aus dem Ruhrkessel befreien und die Westfront stabilisieren. Dann aber wird der ihm der Vorstoß nach Berlin befohlen, um Hitler zu befreien. Wenck hat aber schon andere Pläne. Ihm stehen gar nicht mehr die Mittel zur Verfügung, um 2,5Millionen russische Soldaten zu bekämpfen. Stattdessen will er deutsche Flüchtlinge und Soldaten nach Westen bringen, um sie so den Russen zu entziehen. Wenck ist bewusst, dass es dem Ende zugeht, während Hitler in seinem Wahn noch an den Endsieg glaubt. Zwischen Elbe und Berlin sieht es den Umständen entsprechend gut aus. Was man vom westlichen Westufer nicht sagen kann. Die Amerikaner brechen durch, kesseln ein und bereinigen im Nachhinein schwieriger zugängliche Gebiete, vor allem Wälder. Berichtet wird über Angriffe der umherstreifenden Gruppen, die teilweise die einzelnen Bataillonshauptquartiere erreichen. Man nimmt 73 solcher versprengten Gruppen fest. Nördlich von Rogätz, wahrscheinlich im Bebiet Zibberick, Mahlwinkel und Bertingen (nicht genau benannt), entdecken die Amerikaner einen deutschen Fuhrpark. Sichergestellt werden: 148 LKW’s, 3 Panzer, 2 Panzerhaubitzen, 3 Artilleriegeschütze, 26 Motorräder, 9 Sdkfz’s, 16 Luftabwehrgeschütze, 300 Maschinengewehre, 80 Radios und vieles mehr. Diese Menge an Gerätschaften war typisch für damals entdeckte Lager, schließlich erreichte die deutsche Wirtschaft erst 1944 ihren Maximaloutput.
Die 30. Infanteriedivision
Es ist nicht viel bekannt über die Aktivitäten dieser Division in der Region nördlich von Wolmirstedt*. Sicher ist, dass sie in Wolmirstedt ihren letzten Kommandoposten am 12./13.April errichtet. Die 30. Infanteriedivision hat schon im Ersten Weltkrieg gekämpft und damals während der Sommer-Offensive die Hindenburg-Linie durchbrochen. Nach dem Einsatz im Ersten Weltkrieg werden die Regimenter wieder auf die einzelnen US-Bundesstaaten aufgeteilt, um dort als National-Garde zu dienen. Die Division wird im September 1940 wieder aktiviert und trainiert. Am 10.Juni 1944 landet die Division am Omaha Beach und löst die 29. Division ab, die fast vollständig aufgerieben wird. Später wird die Division zum Alptraum für die SS. Sie bekommt vom OKW den Spitznamen „Rooswelts SS-Truppe“ weil sie ständig die 1.SS-Division angreift und besiegt. Das letzte Zusammentreffen findet während der Ardennenoffensive statt, bei der die 1.SS-Division vernichtend geschlagen wird. Am 13.April nimmt die 30. US-Division die Dörfer nördlich von Wolmirstedt ein und übernimmt dann am 16.April, durch eine organisatorische Änderung der Frontlinie das 134. Infanterieregiment (35. Division) und dadurch die Kontrolle über Rogätz. Diese Division ist weiter nördlich in Stendal und Tangermünde im Einsatz. Sie nimmt die Kapitulation der 12.Armee entgegen. * (Anmerkung Menzel, es ist sehr wohl jede Menge bekannt, nur zum Zeitpunkt der Entstehung des Manuskripts noch nicht.)
Über das 134. Infanterieregiment
Das 134. Infanterieregiment ist während des Zweiten Weltkrieges der 35. Division angegliedert. Es nimmt 124 Städte ein und verliert dabei 1.200 Soldaten, 10.200 werden verletzt. Die Geschichte dieses Regiments reicht zurück bis zu den Indianerkriegen und dem Sezessionskrieg (Nordstaaten gegen Südstaaten). Es wird am 23.Dezember 1854 in Nebraska als „First Nebraska Infantry Regiment“ aufgestellt und nimmt Ende des 19. Jahrhunderts an der Schlacht am „Wounded Knee“ teil. Auf den Philippinen 1898 bekommt das Regiment seinen Leitspruch „All Hell Can’t Stop Us“ (Nicht mal die Hölle kann uns aufhalten). 1899 wird das Regiment ausgemustert und erst 1913 wieder aktiviert als „Fourth Nebraska Infantry Regiment“. Nach Einsätzen an der mexikanischen Grenze wird es 1917 zur „134th Infantry“ um im Ersten Weltkrieg in Frankreich eingesetzt zu werden. Tatsächlich wird es dort aber nicht in den Kampf geschickt. Ab 1921 dient das Regiment in Nebraska als Nationalgarde und wird erst wieder 1940 Teil der US-Army. Nach der Neugruppierung nimmt das Regiment am größten Manöver der USA teil, das sich über das südliche Arkansas bis ins nördliche Louisiane erstreckt. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor sichert das Regiment einen 190 Meilen langen Küstenabschnitt an der Westküste Amerikas. Im August 1942 wird ein Battallion zu einer Geheimoperation auf die Aleuten (Pazifik) geschickt, um ein Flugfeld zu errichten. Ab Januar 1943 bis Januar 1944 erfolgt eine Neugruppierung der Regiments. Es nimmt an verschiedenen Manövern in Alabama und West Virginia teil. Im Mai wird das Regiment nach England verlegt. Es landet am 4.Juli 1944 in der Normandie. Die erste große Schlacht findet in Mortain statt, dort bekämpft es die SS-Division „Das Reich“. Anschließend kämpft das Regiment im Süden und unter anderem in Le Mans und Orleans. An der Mosel konnte es eine unzerstörte Brücke einnehmen, muss sich aber wieder zurückziehen, weil die eigentlichen Kampfeinheiten nicht schnell genug vorrücken. Im September befreit das Regiment Nancy. Im November rückt es weiter vor und überquert die Blies bei Habkirchen. Das 134. Regiment ist das erste Regiment des XII. Corps das in Deutschland einmarschiert. Ende 1944 wird das Regiment schnell nach Belgien verlagert, um eingeschlossene Truppen in Bastogne zu befreien. Am 31.Dezember verteidigt das Regiment Bastogne gegen eine deutsche Infanterie und ein deutsches Panzerregiment. Anfang März überquert das Regiment während eines Angriffs die Roer nördlich von Hilfarth und steht wenig später bei Wesel am Rhein. Danach wird das Regiment am 12.März abgelöst und bei Birholz einquartiert. Nach einer Pause überquert es am 25.März den Rhein und rückt bis Recklinghausen vor, das am 1.April eingenommen wird. Bis zum 13.April nimmt das Regiment an den Kämpfen im Ruhrkessel teil, bis es nach Bösdorf (heute Ohrekreis) verlegt wird. Das Regiment wird mit Lkws transportiert. Es legt 231 Meilen (über 300km) an einem tag zurück. Die größte Verlegung einer Truppe im Krieg. Von Bösdorf aus rückt das Regiment vor und erreicht am 15.April die Elbe nördlich von Rogätz. Am 16.April kommt es nach Rogätz. Der Ort wird zur letzten Station des Regiments im Zweiten Weltkrieg. In Rogätz bleibt das Regiment bis zum 26.April 1945 und wird dann nach Hannover verlegt, wo es für den Aufbau neuer Verwaltungsstrukturen sorgt. Das 407. Infanterieregiment, 102 Division übernimmt nun die Kontrolle über das Gebiet nördlich von Rogätz.
Letzte Kämpfe des 134. Infanterieregiments
Der letzte Kampf des Regiments findet in Kehnert statt. In der Nacht des 17.April 1945 kommen deutsche Soldaten über die Elbe bei Kehnert und greifen die Amerikaner an. Die aber können das Dorf halten. Am 23.April wird Kehnert ein zweites Mal angegriffen. Aus zwei Richtungen kommen ca. 50 Deutsche (SS und Wehrmacht) auf das Dorf zu. Der Großteil kommt von Norden und rückt direkt auf eine MG-Stellung zu. Ein SS-Leutnant nähert sich von der Flanke her. Als er entdeckt wird, gibt er vor, aufgeben zu wollen, um den Amerikaner vom MG wegzulocken. Als dieser sich nähert, wirft der SS-Offizier eine Granate. Sie verfehlt jedoch ihr Ziel, der SS-Offizier wird getötet. Bis zum Abend werden 17 tote Deutsche gezählt. 7 werden verletzt und 12 unverletzt gefangengenommen.
Besatzerwechsel
Das 407. Regiment, 102. Division löst das 134. Regiment ab. Bis Mitte Mai bleiben die Amerikaner in Rogätz. Sie werden dann von den Briten der 2.Armee abgelöst. Bevor die Amerikaner das Gebiet verlassen, holen die am 16.Mai 1945 Max und Marga Planck aus Rogätz ab. Dort hat der Nobelpreisträger über anderthalb Jahre gelebt. Am 1.Juli 1945 wird das Gebiet westlich der Elbe von der Roten Armee besetzt.
Literatur: Gellermann, Günther W. „Die Armee Wenck – Hitlers letzte Hoffnung“ 3.Auflage, Bernarg&Graefe Verlag, Bonn 1997 Anderson, Duncan: „Das Ende des Dritten Reichs“, Tosa Verlag, Wien 2002 134th Infantryregiment: „After Action Report“ –April 1945 Treguboff, Pete A.: History of the 134th Infantry Regiment” http://www.coulthart.com/134/134%20history%20I%20and%20e.htm (eingesehen Januar 2005) Koppes, Jeroen: “30th US Infantry Old Hickory” hppt://www.ieroenkoppes.com/ww2/units/30th&20Inf.Div.asp (eingesehen Januar 2005
(hier waren die inzwischen bekannten After Action Reports noch nicht in Auswertung, H. Menzel)
Das Kriegsende in Rogätz vor 60 Jahren
Langanhaltendes und durchdringendes Geheul von Sirenen kündigt am 11.April 1945 im Altkreis Wolmirstedt das Ende des Krieges an. Feindalarm! Von Westen her nähert sich die 9.US-Armee. Schneller als erwartet, ist der „Feind“ vorgerückt. Gerade kämpfte er noch im Ruhrgebiet, nahm dort den Brückenkopf Remagen ein, da verlegt er mit einem bis dahin nie da gewesenen Vormarsch seine Truppen in die Region Braunschweig-Celle. Ziel ist die Elbe. In Rogätz und Umgebung sind die Menschen aufgeschreckt. In aller Eile packen sie am 12.April das Nötigste zusammen, um in den nahen Wäldern Schutz zu suchen. Während dessen strömen endlos lange Militärkolonnen, Pferdefuhrwerke und zahllose Trupps von Soldaten zum Fluss. Sie wollen mit der Fähre möglichst schnell hinüber, nur weg. Im Osten ist der Russe bis zur Oder vorgerückt, die Reichshauptstadt Berlin gilt es zu verteidigen. Dort wartet Adolf Hitler auf die Wunderwaffe und auf die Armee Wenck. Das letzte Aufgebot des deutschen Heeres unter Führung von General Walther Wenck agiert zwischen den sich auf einander zu bewegenden Fronten. Bevor jedoch seine letzten Divisionen „Clausewitz“ und „Schill“ aufgerieben werden, erkennt der General die Aussichtslosigkeit des Kampfes und versucht nur noch zu retten, was zu retten ist. Das heißt, möglichst vielen Menschen die Flucht über die Elbe zu ermöglichen. Zunächst geht es Mitte April von West nach Ost, Anfang Mai aber – als sich die Russen nähern – von Ost nach West. Nadelöhre sind die Orte mit Brücken und Fähren. Die von Rogätz fährt vom 10. bis zum 13.April fast pausenlos, Tag und Nacht. Vollgestopft sind die Straßen mit Lastern und Fuhrwerken, mit Geschützen und fliehenden Soldaten. Auch Häftlinge oder KZler müssen unter den Fliehenden gewesen sein. Augenzeugen aus Bertingen und Schartau berichten von Kolonnen. Und ich erinnere mich an eine alte Rogätzerin, die beobachtet hat, dass am Katerberg eine Häftlingsgruppe kurz rastete. Zwischen Bertingen und Mahlwinkel fordert einer dieser Todesmärsche sieben Tote. Einem Juden aus Prag aber gelingt bei Rogätz die Flucht. Er hält sich auf einem der Kähne an der Ohrefähre versteckt. Gerda Kurpat, die dort mit ihrer Familie lebt, sieht ihn später aus dem Versteck kommen. Eine tickende Zeitbombe im Ort sind die Lkws voller Panzerfäuste und die zig Kisten mit Munition, die vor allem in der Magdeburger Straße und unterhalb des Katerberges stehen. Um diese Trecks zügig über die Elbe zu schaffen, wird ein Brückenkopf-Stab eingerichtet. Der Kommandant macht einen besonnenen Eindruck, erinnert sich Rolf Steffen an die Worte seines Vaters Bruno. Auf dem Hof von Otto Meyer in der Magdeburger Straße hat der Stab seinen Sitz. Dort spricht der kommissarische Ortsgruppenleiter Bruno Steffens vor. Der Seilermeister will verhindern, dass der Volkssturm eingesetzt wird. „Er hatte gewaltige Manschetten, dass hier so alte Familienväter noch mit einer Panzerfaust in irgendeinen Graben gehen müssen. Die hatten doch überhaupt keine Erfahrung damit umzugehen.“ Der Kommandant meinte darauf: Ich will Ihnen eins sagen, Steffens, mir sind zwei Mann, die stehen bleiben, lieber, als hundert, die weglaufen.“ Bruno Steffens fällt ein Stein vom Herzen. Sofort schickt er den Bimmelmann los und lässt die Bevölkerung ausrufen, umgehend den Ort zu verlassen, da mit schwerem Beschuss zu rechnen ist. Auch der Physiker und Nobelpreisträger Max Planck und seine Frau Marga, die seit Ende 1943 im Herrenhaus der Stills leben, müssen den Ort verlassen. Mit seinem kleinen blauen Koffer, den er mit einer Handschelle am Arm befestigt hat, zieht er wie viele andere in den Wald. Sie gehen mit Sack und Pack zum Vorwerk Friedrichshöhe, einige fliehen nach Angern, wo gleichzeitig Menschen aus Bertingen und Kehnert eintreffen. Der Brückenkommandant findet Ersatz für den Volkssturm. Es sind vor allem junge Leute, die Rogätz verteidigen sollen. Unter den zur Elbe strömenden Massen sind genug davon zu finden, beispielsweise die Gruppe, der Hans Skupin angehört. Die Truppe ist in Potsdam zusammengestellt worden. „Die meisten meiner Kameraden waren aus Westdeutschland, aus Zweibrücken, Pirmasens, ich und noch einer war aus Schlesien, einer aus Pommern, aus Sachsen kamen Kamerad Schmutzler und unser Unteroffizier, der Herr Ost.“ Im besonderen Auftrag des OKH (Oberkommando des Heeres) sollen sie Guderian flankieren, wenn dieser mit seinem Panzer voraus in den Kampf eilen sollte. In Braunschweig aber hören die Soldaten schon, dass sich der Amerikaner nähert. „Kehrt marsch!“ heißt es. Der Trupp übernachtet am 12.April in Loitsche, speist mit der Großfamilie Arndt am weißgedeckten Tisch und schläft- wie schon lange nicht mehr- in richtigen Betten. Obwohl die Truppe es bislang immer gut versteht, dorthin zu gehen, wo möglichst nicht geschossen wird, marschieren die Soldaten am nächsten Morgen in ihr Verhängnis nach Rogätz, wo just an jenem Freitag dem 13.April 1945 der Brückenkopf eingerichtet wird. „Am Fährdamm standen zwei Kettenhunde, zwei Feldgendarmen und ein Soldat mit umgehangener Zeltbahn“, erinnert sich Hans Skupin, der da erst 17 Jahre alt ist. „Er hat so ein bisschen genieselt. Wir wurden gefragt, wo wir hinwollten. Unser Unteroffizier hat gesagt, dass das niemandem was angehe. Daraufhin hat der eine seinen Kragen frei gemacht und wir sahen, dass es ein hoher SS-Offizier war. „Der hat uns sofort gedroht, wenn wir die Fähre betreten, würde er von seiner Schusswaffe gebrauch machen und uns über den Haufen schießen.“ Hans Skupins Trupp darf nicht übersetzen, sondern muss sich im Brückenkopf-Stab melden. Etwas früher am Tage jedoch gelingt es vielen anderen noch die Flucht über die Elbe. Zum Beispiel dem 19jährigen Hamburger Paul Kehlenbeck. Er ist auf dem Kotflügel eines Lkws sitzend von Calvörde bis Rogätz gekommen. „Du musst hier verschwinden und das bald“, befiehlt er sich und schwingt sich von seinem unbequemen Sitzplatz auf die Straße. Sie steht voll mit Fahrzeugen. Paul Kehlenbeck streckt sich aus auf einem Heuwagen, der wie verloren in dem Durcheinander steht. Am nächsten Morgen verlässt er sein Versteck und geht zur Elbe. „Etliche graue Gestalten schlugen sich in die Seitenstraßen, es war schwer zu erraten was sie vorhatten.“ Aber er, schreibt Kehlenbeck in seinem Buch „Schicksal Elbe“, hat nicht Offizier werden wollen, um in Gefangenschaft zu gehen. „Von Süden war Geschützdonner zu hören, von dorther, wo Magdeburg liegen musste.“ Kehlenbeck gelingt die Flucht. „Die für solche martialischen Transporte wahrlich nicht gebaute Elbefähre war gefährlich mit Landsern überfüllt und strebte nur allzu gemächlich dem anderen, flachen östlichen Ufer zu. Die ersten Strahlen der Sonne fielen gegen die Häuser von Rogätz oben über dem Fluss. Von dorther zerriss jetzt das bösartige Knattern von Maschinenwaffen die fast idyllische Morgenstille: Die Amerikaner waren da!“ Drei Panzersperren sind im Dorf. Eine in der Tangermünder Straße, die Zweite unterhalb der Kirche an Stempels Haus (heute Geue) und eine dritte am Mühlenweg. „So ein Blödsinn“, ärgert sich Alfred Steglitz noch heute, „da haben sie praktisch zur Straße und den Gehweg abgesperrt und nebenan durch die Gärten war der Weg frei“. Gertrud Ittner geborene Leuffert glaubt, dass die Munitionstransporte, die vom Friedhof bis zum Elbdamm und in der heutigen Max-Plank-Straße standen, gesprengt werden sollten. „Aber dazu ist es nicht mehr gekommen.“ Ein großes Geschütz, welches das Ebelsche Haus an der Ecke zum Fährdamm fast eingerissen hat, gelingt die Überfahrt über die Elbe. „Das sollen die gewesen sein, die uns später von Blumenthal aus beschossen haben“, sagt Gertrud Ittner. Als sie gerade mit der Mutter einige Sachen verstaut, um dann zur Familie am Katerberg in den Keller zu gehen, fährt vor dem Haus ein Kradmelder vor. „Da stand gerade Bruno Steffens vor der Tür und erzählte mit einem Offizier. Der Kradmelder sagte: Herr Hauptmann, Feindberührung im Nachbarort Angern.“ Dort treffen die Amerikaner völlig überraschend nicht von Sandbeiendorf oder Colbitz, sondern von Wenddorf kommend ein. Am 12.April, 12.45Uhr, steht der erste Panzer am Friedhof von Angern. Vereinzelt gibt es Widerstand und Tote. Wie in der Chronik berichtet wird. Kam es am Bahnhof zu weiteren Kämpfen. Der NSDAP-Kreisleiter Niemöller -verwandt mit Pfarrer Niemöller, der im KZ umkam- hat sich nach Angern abgesetzt. Lisa Wipprich geborene Palm, die in der Gemeindeverwaltung Angern arbeitet, muss den toten Niemöller auf dem Friedhof identifizieren. Von dem bereits erwähnten Kradfahrer, der über den Feindkontakt beim Stab Rogätz berichtet, schreibt auch der Gefreite Hans B. in dem Buch von Voss/Kehlenbeck „Die letzte Division“ er hat mit einem Jagdpanzer am 12.April 1945 am nördlichen Ortsausgang von Rogätz Stellung bezogen: „Am 13.April 1945 früh gegen 9Uhr kam ein Leutnant und teilte mit, dass an einer Tankstelle in der Ortsmitte von Rogätz noch Benzin vorhanden sei und wir dort voll tanken könnten. Während des Tankvorgangs kam ein Melder und meldete die aus Richtung Angern anrückenden Amerikaner. Wir wurden sofort in Marsch gesetzt. Zwischen Rogätz und dem Bahnhof Angern kam es zu Kampfhandlungen. „Ein deutscher Jagdpanzer gegen zwölf Amerikaner“. Zwei Shermans werden nach kurzem Feuergefecht außer Betrieb gesetzt. Aber auch der deutsche Jagdpanzer ist kampfunfähig. Im Wassergraben flüchtet die Besatzung hinter das erste haus von Rogätz (damals Schliep). Trotz nochmaligen Versuchs, ihr Gefährt wider in Gang zu bringen, gelingt dies nicht, weil die Amerikaner es bemerken und schießen. Überlegt oder unüberlegt lässt der Fahrer eines Munitionstransports seinen Lkw an der Tankstelle von Schlüters stehen. Als die Familie mitkriegt, was der Wagen geladen hat, setzt sich Großvater Schlüter hinters Lenkrad und kutschiert das Fahrzeug mit seiner gefährlichen Fracht aus dem Dorf hinaus. Im Brückenkopf von Rogätz meldet sich der Trupp von Hans Skupin beim Kommandanten, einem Ritterkreuzträger. Er sagt, er müsse sich zurückhalten, solange der Tross nicht über die Elbe gesetzt hat. Sie müssten die Kampftruppe verstärken. Genügend Panzerfäuste liegen bereit. „Wir sollten die Panzer abschießen, die aufgesessene Infanterie würde naher beschossen werden von Landesschützen. Er hätte vorm Ort einen dünnen Schützenschleier von Männern des Landsturms, was wir allerdings kaum glauben konnten“ erzählt Skupin. Wenig später schon fliegen die ersten Geschosse über ihre Köpfe hinweg und es herrscht helle Aufregung. In aller Eile lässt der Kommandant die Truppe von einem Feldwebel der Artillerie an den Panzerfäusten unterrichten und dann müssen die Soldaten los. Obwohl keiner von ihnen in den letzten Minuten des Krieges sterben möchte. Der Kommandant des Brückenkopfs fährt mit dem Kradmelder an den westlichen Ortsausgang, um die Lage zu erkunden. Amerikanische Panzer sind schon in etwa ein Kilometer Entfernung hinter dem Bahndamm aufgefahren und Infanterie schwärmt aus. Auf deutscher Seite stehen einige Panzer an der Konservefabrik (heute Hamker), auch die Infanterie liegt dort bereit. Als der Kommandant etwa am haus von Aldags (heute Biastoch) ankommt, wird er von Schüssen schwer verwundet. Hans Skupin und sein eiligst neu zusammengestellter Haufen von fünf, sechs Mann und einem Unteroffizier läuft zur Straßensperre an Wuttkes Haus (heute Max-Planck-Straße). „Sa war der Beschuss schon etwas stärker“ erinnert sich Skupin „plötzlich kam der Hauptmann (Brückenkommandant) mit dem Krad zurück. Er saß hintendrauf. Seine linke Gesichtshälfte war voller Blut Man konnte nicht erkennen, wie schwer die Verwundung war, aber das ganze Gesicht war mit Blut verklebt und der Ledermantel war blutbespritzt. Er konnte nicht mehr sprechen, zeigte nur mit dem Daumen in die Richtung, wohin wie uns schnell begeben sollten.“ Als eine Gruppe an der Sperre ankommt, sind schon zwei Landser vor Ort. Das herz der jungen Leute rutscht fast in die Hose, als sie sehen, dass ein amerikanischer Panzer unmittelbar vor der Sperre steht. Indes wird der schwer verwundete Kommandant mit der Fähre auf die Schartauer Seite gebracht und ein „spritziger“ junger Leutnant mit Ritterkreuz tritt seine Nachfolge an. „Er soll das genaue Gegenteil von seinem Vorgänger gewesen sein“ berichtet Rolf Steffens, „der Leutnant war unruhig, hastig und machte die Lage allgemein etwas verrückt.“ Inzwischen ist der Fährmann am Ende seiner Kräfte. „Um 14.Uhr entschloss sich Martin Leuffert, einen Anhänger der Wehrmacht über die Fähre rollen lassen. Dadurch ging die Fähre unter. Dann war Schluss mit dem Übersetzen“ weiß Reinhard Steinwerth. Die Fähre liegt auf der Ostseite auf Grund. Bei dem 15jährigen Alfred Steglitz -der das Schiff seines Lehrherren Franz Zabel aus Kehnert- im Winterhafen der Ohre bewachen soll, melden sich immer öfter deutsche Soldaten und betteln, „bring uns rüber!“ Für den Jungen, seine Brüder und Freunde ist das Kriegsende ein spannendes Erlebnis. Da sind die zahllosen Kähne mit allerlei Brauchbarem : Tische, Stühle, Ziegelsteine, OP-Einrichtungen, Ansichtskarten, Aschenbecher, Zuckersäcke und Fleischbüchsen. Letztere werden noch vor der Einnahme durch die Amerikaner an die Bevölkerung verteilt. Sechs Büchsen pro Person gibt es. Doch geht den Leuten das verteilen zu langsam. Sie nehmen die Sache selbst in die Hand und transportieren gleich ganze Kartons ab. Hunderte Leute stehen an, als plötzlich fünf feindliche Flugzeuge in nur 25 Meter Höhe über die Elbe fliegen. „Die Menschen haben geschrieen, das kann man sich gar nicht vorstellen“, sagt Alfred Steglitz, „wenn die in die Menge geschossen hätten, das hätte Hunderte Tote gegeben. Es war schrecklich. So was möchte ich nie wieder erleben.“ Auch in der Friedrichshöhe schlagen -wie der 74jährige sagt- so etwa 40 bis 50 Granaten ein, alles Blindgänger. Gott sei Dank. Als es an die Verteidigung von Rogätz geht, wird es am so genannten Pferdering, einer Koppel hinter dem Schäferhof , zum Einsatz überredet. „Jungs, kommt doch mal her!“ rufen ein paar Soldaten und locken die herumstreifenden Jugendlichen in den Schützengraben. Sie sollen Vertretung „spielen“ man käme gleich wieder. Die Jungen ziehen sich die Uniformen über und gehen mit den MGs in Stellung. Alfred Steglitz aber reicht es nach einiger Zeit. Die Soldaten kommen nicht wieder. „Ich hau ab, das wird mir hier zu bunt“ sagte er und geht nach Hause. Sein Kumpel im Schützengraben bleibt und marschiert für zwei Jahre in die Gefangenschaft. In der Bahnhofstraße erfahren der Zahnarzt Bobzin und seine Familie -die Schwiegereltern aus Magdeburg sind darunter- dass es nicht mehr lange dauern wird, dann ist der Ami da. „Aber die missten ja noch verteidigen“ erzählt Inge Bobzin, „bei uns im Garten, wo der große Rasenfleck ist, da haben sie einen Granatwerfer eingegraben. Der Kommandostand war bei uns in der Küche. Da ist so ein großes Fenster, da haben sie immer Befehle rausgeschrieen. Wir mussten in den Keller runter.“ Und das Schießen begann. Mit einem „Rumms“ raste ein Blindgänger in die Garage und riss eine Ecke ein. Außerdem kam ein Flieger und schoss. „Wir blieben solange im Keller, bis die Panzer kamen und die Amerikaner im Graben lang liefen. Wir haben aus dem Kellerfenster geguckt.“ Sie warten, bis ein Amerikaner hereinkommt und fragt: „German Soldat?“ Die verängstigten Leute antworten: „Nix!“ und sitzen weiter die ganze Nacht auf ihren Koffern im Keller. Vor der Tür hören sie die amerikanischen Soldaten schnarchen. Indes steht am Vorwerk Friedrichshöhe ein Mann mir weißer Fahne und wartet auf die Amerikaner, die durch den Wald kommen. „Mir einem Jeep fahren dann plötzlich zwei, drei Mann vor, drehen eine Runde und verschwinden wieder“, erinnert sich Hermann Albrecht, der damals zehn Jahre alt ist und sich mit der Familie in Friedrichshöhe aufhält. Im Dorf spitzt sich die Lage zu. Der Beschuss von östlicher Elbseite beginnt und die vordringenden amerikanischen Panzer schießen auf die abgestellten Lkws voller Munition. Eine riesige Ladung Panzerfäuste steht vor dem Kaufhaus Staack (Platz vor Mehrzweckhalle). Bruno Steffens, der kommissarische Ortsgruppenleiter, hält sich gerade gegenüber bei Junges auf, als dort eine Granate zur Haustür hineinfliegt, abgeschossen von einem amerikanischen Panzer, der oben auf dem Katerberg steht. „Vater ging um Junges Haus herum und wollte zum Bunker am Gemeindebüro“, erzählt Rolf Steffens, „da gab es eine gewaltige Detonation. Es war ein derartiger Knall und es soll im gleichen Moment stockrabendunkel gewesen sein. Vater wusste nicht mehr wo er war.“ Dem Erdboden gleich ist die untere Magdeburger Straße, links und rechts von der Abfahrt zur Elbe steht kaum mehr ein Haus. Auch Marx großer Saal brennt ab, weil davor ebenfalls ein Lkw mit Munition steht. „Außerdem lag hüfthoch Stroh drin, weil da wohl Gefangene lagen“, weiß Elke Arnold geborene Marx. Woher die Gefangenen waren, weiß sie nicht. Sie ist damals erst drei Jahre alt. „Aber noch heute erinnere ich mich an den Brandgeruch, wenn im Frühjahr und Herbst die zweige in den Gärten verbrannt werden. Der Saal hatte ein Pappdach, das war gut gepflegt, weil Opa Dachdecker war. Nach dem Beschuss brannte es lichterloh. Innen war außerdem der Fußboden gewachst. Wir haben später zerschmolzenes Glas in der Asche gefunden.“ Ihre Mutter versuchte, wenigstens die Betten zu retten und wirft diese aus dem Fenster. Die Tochter trägt sie in eine nasse Decke gewickelt aus dem brennenden Haus. „Geschosse flogen hindurch und nur die Front vom Saal bleibt stehen. Später stürzte sie dann bei einem Sturm um. Großvater ist 1946 vor Kummer gestorben. Ich erinnere mich an Zudecken mit Teerspritzern und an weinende Eltern und Großeltern.“ „Die Häuser in der Magdeburger Straße 1 bis 15 werden beim Beschuss durch deutsche Artillerie fast alle zerstört, höchstens ein paar Wände bleiben stehen“ sagt Reinhard Steinwerth. Seine Familie wohnt am Fährdamm bei Ebels (heute Martin Treffkorn). Es war alles ausgebrannt. In den Straßen lagen tote Pferde, Kühe und Schweine. Tagelang, weil der April warm war bis 20 Grad Celsius, stank die ganze Gegend.“ Er berichtet weiter, dass außerdem „Häuser in Brand geschossen wurden, wo deutsche Soldaten herausgeschossen haben. Das waren die Häuser von Pastor Schliep in der Bahnhofstraße, Franz Schulze in der Tangermünder Straße, die Gaststätte Magdeburger Hof (heute Sparkasse), Wuttkes Villa (heute Max-Planck-Straße) sowie die Häuser von Palms, Behrens und Bühnemanns in der Brinkstraße.“ Auch das Elternhaus von Gertrud Ittner wird getroffen. Es soll eines der ersten gewesen sein, erfährt die Familie noch nachts in Keller am Katerberg. Aber von dort ist nicht auszumachen, wie getroffen das Haus wirklich ist. Darum läuft die junge Frau quer durch den Teichgarten. „Ich weiß noch, dass die Kirschbäume blühten. Und plötzlich hörte ich jemanden stöhnen. Es war ein deutscher Soldat. Walter Seemann aud Kiel, hat er mir erzählt. Aber ich hatte nicht den Mut, bei ihm zu bleiben. Von unserem Haus standen nur noch die Wände. Bei uns wurden nachher Kanister von der deutschen Wehrmacht gefunden. Es wurde erzählt, die hätten die Häuser angesteckt.“ Hans Skupins Trupp muss Rogätz verteidigen und wird zunächst einmal vom Unteroffizier beruhigt. „Er war so Ende Zwanzig, ein sachlicher Vorgesetzter, der uns sagte: „Wir werden hier nicht mehr verrückt spielen. Es wird kein Panzer mehr geknackt, denn dann ist der Ort unter starkem Beschuss. Wir versuchen, das irgendwie über die Runden zu kriegen.“ Vor dem Ort wird heftig geschossen. Skupin weiß nicht, dass daran deutsche Panzer beteiligt sind. Er läuft gemeinsam mit seinem Unteroffizier auf die andere Straßenseite zum Mühlenweg hin. Weil das Hoftor des letzten Hauses am heutigen Friedensplatz zugeschlossen ist, springen beide mit einem Satz hinüber und treffen im Hof auf einen weinenden alten Mann, der mit einer Eimerspritze zu löschen versucht. Er solle in den Keller gehen, rufen ihm die Soldaten zu und klettern hinterm Haus durch den Zaun, um schließlich neben dem Mühlenweg zu verharren. „Wir schnappten nach Luft. Es wurde ein bisschen ruhiger. Da sagte der Unteroffizier zu mir, ich solle hier liegen bleiben, er wolle sich ein bisschen umgucken.“ Verdrückt habe der sich bestimmt nicht, glaubte Skupin bis heute, aber er sieht seinen Kameraden nicht wieder. „Grab Dich ein!“ hatte er ihm noch zugeraunt. Aber womit? Mit den Panzerfäusten, seinem Essgeschirr oder der Fleischbüchse, die er kurz zuvor von Rogätzern bekommen hat? Der amerikanische Panzer vor der Sperre steht da wie auf dem Präsentierteller. Skupin sieht Gestalten herumlaufen. „Sind das Amerikaner?“ Er kennt ihre Uniformen nicht. „Schnapp Dir Deine Knarre und komm mit!“ fordert ihn ein Feldwebel auf, der Ami sei auf der anderen Seite schon 300 Meter im Dorf. Aber der 17jährige hat nur zwei Panzerfäuste, da lässt ihn der Ältere liegen. Als ein junger Leutnant kommt und fragt: „Hier sollen Panzer sein?“ zeigt Skupin hinter die Sperre. Da seid Ihr zu feige, den abzuschießen? Der soll doch schon angeschossen sein.“ Der Leutnant verlangt eine Panzerfaust und robbt damit zum Panzer. Erneut setzt Artilleriebeschuss ein und Hans Skulpin wird für einen Moment ohnmächtig. Als er sich abstützt, steht plötzlich ein amerikanischer Soldat vor ihm. Beide sind furchtbar erschrocken. Sekunden entscheiden über Leben und Tod. Skulpin wird gefangen genommen. Bevor er in den Keller von Muttkes Haus -heute Vorbrich- gestoßen wird, sieht er den schwer verwundeten Leutnant. Er will ihn versorgen, darf es aber nicht. Skupin geht wie Tausend andere Soldaten in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach einer Nacht in Angern wird er per Lkw abtransportiert in die Rheinwiesen. In seinem Rucksack findet er die zerfetzten Fleischbüchse, die ihn vor einem Granatsplitter beschützt hat. Noch heute sieht er sich und andere Gefangene gemeinsam mit amerikanischen Soldaten um ihr Leben rennen unter deutschem Beschuss. Sie laufen vorbei an einem abgeschossenen deutschen Panzer. Ein toter Soldat hängt kopfüber aus dem Turm heraus und ein anderer Toter liegt vor dem Panzer. Genau dort im Graben zwischen dem Bahnhof und Rogätz, müssen wenige Stunden zuvor etliche Soldaten der Dinge harren, die da kommen. Unter anderem ist der 21jährige Flieger Harry Fell aus Barleben darunter. „In den Obstplantagen standen die amerikanischen Panzer. Solange wir da gelegen haben, ist kein Schuss gefallen. Die Amerikaner werden wohl starke deutsche Verbände vermutet haben, die Schwierigkeiten an der Elbe machen“ erzählt Harry Fell. „Bloß nicht verrückt spielen“ hatte auch ein Major gesagt. Ein amerikanischer Panzerspähwagen mit gehisster weißer Fahne fährt an ihnen vorbei in Richtung Rogätz. Als das Fahrzeug vorbei ist, heißt es antreten. Nicht wie gewohnt in Dreier- sondern in Viererreihen und ohne Waffen. Es geht zum Bahnhof vorbei an Angern. Dort filmt ein amerikanischer Kameramann von einem Lkw herunter, wie die Deutschen in Gefangenschaft gehen. „Alle Verwundeten rechts raus ins Wasserschloss!“ hieß es nach der Ankunft in Angern. Alle anderen kommen in Scheunen und Ställen unter. Die einfachen Soldaten liegen auf Stroh, die Unteroffiziere auf blanker Erde und die Offiziere müssen im Mist der Schweineställe stehen. Harry Fell ist verwundet. Er flüchtet noch in jener ersten Nacht der Gefangenschaft mit Hilfe einer Sanitätsschwester. An der Bahnlinie entlang und durch die Plantagen geht er nach Farsleben zu Verwandten. Zur gleichen Zeit, wird wohl auch die Gruppe mit dem Gefreiten Hans B. von Rogätz aus losmarschiert sein. Am Ufer der Elbe entlang zur Ohrefähre und weiter nach Heinrichsberg, wo schließlich nach Osten übergesetzt wird. Sie wollen nach Burg. Dort wird am nächsten Morgen, am 13.April 1945, aus der Sturmgeschützschule die „Kampfgruppe Burg“ gebildet, die unter dem Kommando des Schulleiters, Major Alfred Müller, antritt. Dazu schreibt die „Nationalzeitung“ fast 60 Jahre nach dem verheerenden Krieg: „…Alfred Müller, am 20.April 1945 zum Oberstleutnant benannt, hatte die Führung der -Kampfgruppe Burg- bis zum letzten Kriegstage inne. Er machte durch seinen persönlichen Einsatz und Opferbereitschaft der Sturmgeschützwaffe alle Ehre.“ Möglicher weise war er es, der auf Rogätz und die dort eingeschlossenen deutschen Truppen feuern ließ. „Im Ort war alles voller Militär, auch der Friedhof war Militärgebiet“ berichtet Ruth Albrecht geborene Förster. „die Panzersperren, die aufgebaut wurden, waren einfach zum Totlachen, bloß ein paar Baumstämme übereinander gestapelt.“ Es seien Kisten gewesen, sagt hingegen Ingeborg Bobzin. Die amerikanischen Panzer haben die nachher einfach weggeschoben. Und Ruth Albrecht weiter: „Ich weiß noch, dass ich schnell Wasser holen wollte und mit zwei Eimern über die Straße gerannt bin. Da, wo heute das Schild von Meyer-Paulmann ist, stand früher die Pumpe. Plötzlich schlägt eine Granate ein. Es ist ein Wunder, dass mir nichts passiert ist.“ In der Bahnhofstraße aber geschieht das, was der alte Herr Strumpf immer geahnt hat. „Die schießen hier garantiert rein.“ Tatsächlich feuerte ein Geschoss einmal quer durch alle Zimmer, fegt das Essgeschirr vom Tisch und geht hinten wieder raus in die Scheune, ohne zu explodieren. Glück im Unglück. Der Vater, erinnert sich Inge Bibbert, hatte auf dem Hof einen Bunker gebaut. „Er hatte Angst, dass es brennt und niemand löscht. Wuttkes Villa ist abgebrannt, weil gegenüber ein Soldat saß, der auf Panzer geschossen hat.“ Niemand war bei Wuttkes zum Löschen da. Die Eltern sind auf Schifffahrt und der 15jährige Richard Wuttke ist in Tangermünde. Als er kurz heim kommt, ist das Elternhaus „noch richtig warm vom Brand. Im Hof lag ein toter Amerikaner. Der Junge kann nur einen Plünderer vertreiben, dann fährt er zum Schiff seiner Eltern, die in Blumenthal auf der Ostseite der Elbe liegen. „Von dort setzten wir noch etliche deutsche Landser über nach Kehnert. Die wollten wohl stiften gehen.“ Der schlimmste Beschuss auf Rogätz kommt von deutscher Seite, vom östlichen Ufer der Elbe her und aus Richtung Kehnert. Obwohl die Einwohner kurz vor dem Führergeburtstag am 20.April noch einmal aufgefordert sind, das Dorf zu verlassen, bleiben einige daheim. Um beispielsweise löschen zu können, um Plünderer abzuhalten oder weil, wie Annerose Brehmeyer erzählt, ihre Schwester gerade entbunden hat. In der Brinkstraße 5 sitzt ihre Familie im Keller. „Mutter ist mal raus und hat geduckt. Als sie zurückkam, hat sie gesagt, -ganz Rogätz brennt-. Es wurde ja immerzu geschossen. Die Amis hatten und gewarnt. Nachher lagen überall tote Tiere in den Straßen. Es war schaurig. Es war furchtbar.“ Als Familie Förster von Ramstedt zurückkehrt, haben die Amerikaner ihr in der Magdeburger Straße besetzt. Auch im Schloss, im Kantorat, bei Gerickes in der Tangermünder Straße, bei Bobzins und der Fährmannsfamilie Leuffert quartieren sich Amerikaner ein. Ein Sergeant Miller hört dort am Radio von der Kapitulation. Er weint. Es ist der 8.Mai 1945.
Fortsetzung folgt Reinschrift Teddy
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Es ist der 15./16.April 1945, als die geflohenen Rogätzer aus dem Wald und von Vorwerk Friedrichshöhe zurückkehren. Dort haben die Leute schon erfahren, was im Dorf geschehen ist. Sie ahnen Schlimmes, doch die Realität ist grausamer. Welch schrecklicher Anblick bietet sich ihnen: abgeschossene Panzer, tote Soldaten, verkohlte Leichen, ausgebrannte Fahrzeuge, dazwischen jede Menge tote Tiere. Ein furchtbarer Gestank liegt über dem Dorf. Erschütterung und Schmerz sind groß. Etliche Häuser sind ausgeplündert, andere von amerikanischen Soldaten besetzt. Am schlimmsten trifft es die Ausgebombten, die alles Hab und Gut verloren haben. „Wir hatten nur noch das, was wir am Leibe trugen“, berichtet Reinhard Steinwerth. Dessen Familie wohnt damals bei Ebels direkt am Elbdamm. Besonders dort in der Magdeburger Straße und in der Brinkstraße ist die Zerstörung groß. Die US-Armee zieht in viele große und gut erhaltene Häuser ein, unter anderem ins Herrenhaus auf dem Rittergut und ins Kantorat. Von oder aus organisiert die Truppe die Beerdigung der gefallenen Soldanten. „Frau Banke, Herr Knoll und Herr Stempel waren dabei“ weiß Ingeburg Bobzin. Auch Bruno Steffens nimmt an der Beisetzung teil. Rolf Steffens erinnert sich noch, dass sein Vater sagte, es war furchtbar. Man guckte zu Teil in Kindergesichter. An der Ziegelei wird ein Kriegsgefangenenlager errichtet. Von zig Tausenden wird berichtet, die dort mehrere Wochen unter freiem Himmel verbringen. Auf Wachtürmen, die aus den Pappeln in der Umgebung gezimmert werden, bewachen die Amis die Gefangenen. Im Dorf wird unter anderem Bruno Steffens verhaftet. Die Amis wissen, wer welche Funktion inne hat. Nur den kranken Vorgänger von Steffens kennen sie nicht. Und der Seilermeister schweigt, nennt nicht den Namen Franz Käubler. Doch der steckt dem neu eingesetzten Bürgermeister Heinrich Hilker, dass Steffens angeblich eine Waffe besitzt. „In solch schwierigen Situationen erlebt man als Mensch, das hält man nicht für möglich“, sagt heute der Sohn Rolf Steffens. Allerdings erfährt die Familie durchaus auch Unterstützung. Ein Leumundszeugnis von alten SPD-Genossen, die zur Nazizeit durch Steffens vor der Verhaftung bewahrt wurden, rettet später vor der Enteignung. In Rogätz ist der Krieg erst richtig vorbei, als die Russen Anfang Mai auf der Ostseite der Elbe ankommen. Bis dahin wird der Ort mehrfach durch deutsche Truppen beschossen. Dies sorgt für die größten Zerstörungen im Dorf. Zum Führergeburtstag am 20.April rechnen die Amerikaner noch einmal mit einem großen Angriff und lassen die Rogätzer Straßenweise evakuieren. Bis nach Letzlingen und Born ziehen die Trecks. Einen von ihnen führt der Fleischer Hans Unkelbach. Indes siegen die Sowjets an der Oder bei Seelow, bei der größten Schlacht auf deutschem Boden. Die geschlagene deutsche 9.Armee weicht zurück und wird am 23.April 1945 in den Wäldern von Halbe, südlich von Berlin, eingekesselt. Es gibt ein unvorstellbares Gemetzel. Allein etwa 25.000 zumeist unbekannte deutsche Soldaten fallen. Weitere 20.000 brechen durch und retten sich zu Wenck. Seine oft beschworene Armee soll den Belagerungsring um die Hauptstadt aufsprengen. So will es Hitler. Die Armee stößt auch bis in den Raum Potsdam vor, dann aber entscheidet sich Walther Wenck trotz drohender Todesstrafe dafür, seine jungen Soldaten nicht mehr zu opfern. Bei Beelitz warten seine Truppen auf den Durchbruch der Reste der 9.Armee. Mit ihnen setzen sie sich in Richtung Elbe ab, wo sie am 7.Mai 1945 in Tangermünde schließlich in US-Gefangenschaft gehen. Unter den etwa 118.000 Soldaten befindet sich der 17jährige, spätere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher. In panischer Angst flieht die letzte deutsche Armee vor den Russen über die Elbe und Deutschland kapituliert. Tags darauf -am 8.Mai 1945- wird die Einstellung aller Kriegshandlungen gemeldet. Da erst dürfen die Rogätzer nach fast drei Wochen Ausharren in der Fremde wieder in ihr Heimatdorf zurück. „Unten an der Lügenbank standen jede Menge Pferdegespanne“ erzählt Alfred Steglitz, „da war auch die Kasse der Armee dabei. Dort haben wir uns das Hartgeld zusammengesucht. Das Papiergeld war schon verbrannt. Außerdem lag unterhalb von Grieseckes an der Mauer ein Lazarettschiff von der Wehrmacht. Medikamente und ganze Operationssäle waren dort drin. Aber die Menschen waren ja so dumm und haben alles kurz und klein geschlagen.“ Die ehemaligen polnischen Zwangsarbeiter leben vorübergehend auf dem Schiff, feiern dort mit den US-Soldaten. Als die Jungen dort herumschnüffeln wollen, werden sie erwischt. Die Polen sind auf die Deutschen nicht gut zu sprechen. „Man kann das ja verstehen, schließlich mussten sie die ganze Zeit für uns arbeiten und mit einem -P- auf der Kleidung herumlaufen“ so Steglitz. Von den Polen werden er und die anderen neugierigen Jungs zum Schloss hinauf geprügelt, wo sie von den Amerikanern eine Nacht in den Keller gesperrt werden. Nicht nur 50 bis 60 Kähne und Dampfer liegen zum Kriegsende im Winterhafen der Ohre oder auf der Elbe. Überhaupt sei in Rogätz viel eingelagert gewesen, sagt Steglitz. „Zum Beispiel Stiefel für den Volkssturm. Das hat alles bei Aldags gelegen. Als sich der Staat nun so sachte auflöste, hat sich jeder was geholt an Stoff und Stiefel. Es wurde viel Unsinn getrieben.“ Von Organisation kann keine rede mehr sein. es herrscht damals wüstes Chaos. „Dann hieß es bald, alle Jugendlichen von 16 Jahren an, sollen morgens antreten an der Schule.“ Jede Hand wird zum Trümmerbeseitigern gebraucht. Auch Alfreds Bruder begibt sich dorthin. Er war Soldat, aber nicht mehr zur Truppe zurückgekehrt. „Der Vater hatte gesagt, pass auf, da fährst du nicht mehr hin, der Krieg ist so wie so bald vorbei.“ Bürgermeister Karl Schulze aber kommt beim antreten zu den Aufräumarbeiten auf ihn zu und sagt: „Du warst Soldat!“ Auch Alfred albrecht muss zur Seite treten. Beide werden zunächst mit anderen bei Theuerkaufs in den Keller eingesperrt und dann in Gefangenschaft gebracht. Zwei Jahre danach ist sein Bruder aus Belgien wieder zurück, schwer lungenkrank. Er stirbt ein halbes Jahr später. „Es war alles heil geblieben, aber ausgeplündert“, erinnert sich Ingeburg Bobzin an ihre Heimkehr aus Angern, „bei uns waren die Schränke leer. Auch die Koffer meines Onkels waren weg, der in Magdeburg ausgebombt war. Vor allem Betten, Bettwäsche und Steppdecken fehlten. Damit haben sich die Amerikaner auf ihren Lkws zugedeckt. Bei Venedigers nebenan haben sie die Chippendale-Möbel rausgeholt.“ Aber es sind nicht nur Soldaten die plündern. „Auch Deutsche, die hier reinkonnten. Wir haben nachher mal unser Silber bei jemanden gesehen, als dort Silberhochzeit war.“ Die Amerikaner holen sich aus den Häusern der Leute, was ihnen gefällt und was an deutscher Ware begehrt ist: Uhren, Fotoapparate, Gemälde und anderes mehr. So erinnert sich Annemarie Zellmer geborene Homann aus der Brinkstraße daran, dass in der Wohnung der Eltern unter anderem 20 Matratzen und 12 Wohnzimmeruhren lagerten. „Bei uns im Vorderhaus hatten sich die Amerikaner einquartiert. Der große Wohnraum war zur Schreibstube und Telefonzentrale umfunktioniert. Einige Soldaten sprachen Deutsch.“ Sie verteilen allerdings auch Unterlagen der Hauseigentümer und anderes im Hof. „Das Geschirr meiner Eltern war benutzt und dann aus dem Küchenfenster geworfen worden. Fast alle Stücke gingen zu Bruch.“ In der Hoschestraße bei Schlüters halten die Amerikaner ein kleines Gelage ab. Mit den Beinen auf dem Tisch verspeisen sie große Schinken, die in der Nachbarschaft „besorgt“ werden. Die abgenagten Knochen landen in einem Wassereimer, der mitten auf dem Tisch steht. Auch bei Leufferts am Katerberg quartiert sich ein US-Soldat ein. Als er hört, dass Gertrud Leuffert ihr Elternhaus verloren hat, will er ihr ein Fahrrad schenken. Ihr Onkel Martin wird indes zeitweilig im Klutturm eingesperrt. „Die Amis hatten alle Männer aussortiert.“ Um die Versorgung mit Brot in den Griff zu bekommen, schreibt Lisa Wipprich (damals geborene Palm) in der Gemeindeverwaltung in Angern so genannte Brotkarten. „Es waren ja unheimlich viele Evakuierte in Angern. Die Menschen standen nach Brot an. Das halbe Brot wurde noch einmal geteilt und trotzdem bekamen nicht alle etwas ab“, erinnert sich die ehemalige Verwaltungsfachkraft. Sie überlegt und entwickelt die Karten, tippt den Entwurf mit der Schreibmaschine auf eine Matrize und zieht diese auf einem Rotationsapparat ab. Das Ganze ließ sie sich vom Landratsamt genehmigen. „Mit der Kutsche ging es über Colbitz nach Wolmirstedt. Telefonieren ging nicht und öffentliche Verkehrsmittel gab es auch nicht. Im Landratsamt waren sie ganz erstaunt, dass wir schon an die Karten daran gedacht haben. Zuvor wurden beim damaligen Mühlenbesitzer Gustav Bethge in Rogätz die Mehlbestände ermittelt, die wurden dann rübergeschafft zu den Bäckern nach Angern.“ Nun hatte jeder im Ort die gleichen Chancen, etwas von dem Brot abzubekommen. Anfang mai feiern die Amerikaner und Russen in Rogätz „Verbrüderung.“ Dazu wird am Fährdamm geschmückt, Autos über Autos stehen an der Elbe und viele Leute kommen dorthin. Alfred Steglitz kann sich gut daran erinnern. Die Amis holen mit einer wohl eigens dafür gebauten großen Fähre die Russen über den Fluss. Auf jeder Seite steht eine Kapelle. Die Fähre ist mit einem roten Läufer ausgelegt, „der aus der Rogätzer Kirche geholt wurde“ weiß Richard Voss und Hermann Albrecht bestätigt: „die Russen kamen mit großem Trara.“ Es wird so sehr gefeiert, dass die erschöpften und ausgehungerten sowjetischen Soldaten bis zum nächsten Tag an der Elbe ihren Rausch ausschlafen. Bis die Amerikaner abrücken, freunden sich viele junge Leute mit ihnen an. „Wir haben unten an der Elbe mit ihnen im Boot gesessen, erzählt und gesungen. Das Boot lag dort, wo sich heute der Anleger von der Wassersportgemeinschaft befindet“ berichtet Gertrud Ittner. Auch viele Kinder suchen die Nähe zu den Soldaten. Von ihnen bekommen sie immer etwas zugesteckt. Daran zum Beispiel erinnert sich Richard Voss aus der Gartenstraße gut. In seiner Nachbarschaft, in dem Haus, das heute Familie Klaus-Dieter Thom gehört, sind ebenfalls Amerikaner untergekommen. „Wir hatten überhaupt keine Angst. Wir durften sogar mit den Jeeps mitfahren und haben Kaugummi gekriegt. Mit einem jungen Soldaten, ich glaube er hieß Freddy, haben wir uns angefreundet. Ich weiß noch, er war sehr traurig, als er erfuhr, dass er nach Japan sollte.“ Annerose Brehmeyer gehörte auch zu den Kindern, die, „als es etwas ruhiger wird“, in die Müllerstraße zu den Amerikanern gehen. Sie wohnen im Haus hinter der Mühle. „Da haben wir uns rumgedrückt, weil wir Schokolade kriegten, so große Würfel Kochschokolade. Davon machten uns unsere Muttis Schokoladensuppe.“ Als die Amerikaner abziehen, sagen sie den Kindern, sie sollen nicht traurig sein, i ein paar Wochen kämen sie wieder. „Das haben sie auch den Erwachsenen erzählt“, sagt Annerose Brehmeyer. Für besonders großes Staunen, ja sogar blankes Entsetzen sorgen die schwarzen US-Soldaten Schließlich hat man den Kindern immer Angst vorm „Schwarzen Mann“ gemacht und nun ist er da. Deren Anblick haben Heinz Schröder, Dr. Franz Engel und viele andere bis heute nicht vergessen. Auch Alfred Steglitz begegnet den schwarzen Gis. Er trifft sie am Waldrand. Gemeinsam mit seinem Bruder hat er von daheim Zudecken geholt für die zwei kleinen Kinder der Schwester. Mit einem großen Sack auf dem Rücken ziehen sie nach Friedrichshöhe, als die Soldaten ihnen entgegenkommen. Die Amerikaner wollen wissen, was die Jungen bei sich tragen. Als man sich darüber nicht verständigen kann, schlitzen die Soldaten den sack auf und die schönen, wärmenden Federn fliegen davon übers freie Feld. Nur mit blankem Inlett kehren die Brüder zur Familie nach Friedrichshöhe zurück. Als Ruth Albrecht geborene Förster und ihre Familie aus Ramstedt heimkehren, finden sie in ihrem Haus in der Magdeburger Straße keinen Platz mehr. Die Amerikaner haben es besetzt. Während Ruth zu ihrer Freundin Rita Hahn schlafen geht, ziehen die Eltern in den Keller. Sie atmen auf, als die US-Armee Mitte Mai abrückt. Aber eines sonntags, Ruth schläft etwas länger, steht plötzlich ein schneidiger Engländer in der Zimmertür. „Er inspiziert das ganze Haus und sagte dann: „24Stunden und alles ist raus vom Keller bis zum Boden. Uns wurde ein Fahrzeug bereitgestellt und beim Umzug geholfen. Wir mussten mit sack und Pack ausziehen“, erinnert sich Ruth Albrecht, „dann war richtiger Kasernenbetrieb in unserem Haus. Mit Musik waschen und bügeln. Ich habe mich gewundert, dass weder die Amis noch die Tommys über die Elbe gegangen sind.“ Die halten sich an die Abmachungen von Jalta. Aber wer weiß das damals schon auf deutscher Seite? Wenige Meter von Försters entfern, in der Magdeburger Straße, ziehen Max und Marga Planck nach der Rückkehr aus Born bei Melkermeister Zeh ein. Die Wohnung im Herrenhaus haben die Amerikaner in Beschlag. Doch die Plancks werden schon bald von Karl Friedrich Still gesucht, dem Sohn ihres Freundes des Rittergutsbesitzers Carl Still aus Recklinghausen. Als der junge Mann sieht, wie Plancks untergebracht sind, fährt er zur Kommandantur nach Wolmirstedt „Max Planck?“ wird Still gefragt, „kenne ich nicht. Ich kenne nur Max Schmeling.“ Doch es wird telefoniert bis nach Amerika, wo Professor Albert Einstein aktiv wird. Am 16.mai 1945 packen die Plancks ihre Sachen. Eine Gruppe amerikanischer Wissenschaftler ist entsandt worden, um Deutschlands berühmtesten Physiker und Nobelpreisträger nach Göttingen zu Verwandten zu schaffen. Er ist der letzte Tag der amerikanischen Besatzungszeit. Die englische schließt sich sofort an. Viele im Dorf bemerken es gar nicht. Für die meisten sind Amerikaner und Engländer ein und dasselbe, schon wegen der Sprache. Hermann Albrecht aber erinnert sich gut an die anderen Besatzer, die sogar im Schottenrock auftreten. Ende Juni geht auch deren Zeit zu Ende. „Eines Tages kam ein Engländer zu uns“ berichtet Ruth Albrecht, „der den Zeigefinger vor den Mund hielt und flüsterte: -Die Russen kommen“- Als die Engländer abziehen, gehen vor allem jene Evakuierten aus dem Ort mit, die aus Westdeutschland sind, zum Beispiel aus Cleve. Viele Rogätzer geraten wegen der Sowjets in Panik. Zwischen den Familien Dr. Banke und Zahnarzt Bobzin tauscht man sich aus, was zu tun wäre. „Da wollten wir Gift nehmen, Schluss machen“ sagt Ingeburg Bobzin, „wir hatten gehört, wie die auf der Ostseite der Elbe gehaust hatten. Banks riefen uns an, ob wir Schluss machen.“ Ihr Vater aber sagt: „Nein, wir warten erst mal ab, wie es kommt. Das bleibt uns in letzter Konsequenz immer noch Schluss zu machen.“ Es kam nicht dazu. „Die Russen haben uns nichts getan und die Amerikaner auch nicht. Die waren ganz human“ schätzt Frau Bobzin ein, obwohl die Amis ihren DKW eingezogen haben und das viel dringender gebrauchte Auto von Landarzt Dr. Banke. Bei Angern am Sportplatz findet Ingeburg Bobzin später ihr völlig ausgeschlachtetes Auto. Als „die Russen“- im Grunde waren es Vertreter aller Völkerschaften, also sowjetische Truppen- am 1.Juli 1945 kommen, geschieht das eher unauffällig und doch herrscht Panik im Ort. Annemarie Zellmer weiß, dass rote Fahnen gehisst werden sollen. Aber kaum jemand traut sich auf die Straße, erinnert sich Gertrud Ittner und Annerose Brehmeyer. Bürgermeister Hilker sagt, dass die Leute keine Angst haben müssen, er sehe schon zu, dass ihnen nichts passiert. „Ich sehe noch, wie die Russen von Wolmirstedt her und nicht über die Elbe kamen, erzählt Ruth Albrecht, „es regnet in Strömen und die Panjewagen mit den kleinen Pferden davor zogen am Friedhof vorbei ins Dorf.“ Es soll wieder ein Sonntag gewesen sein, als die dritten Besatzer einrücken und wieder bei Försters Quartier machen. „Ehe wir uns verguckt hatten, waren sie über das Tor gesprungen und hatten die Scheune aufgemacht. Russische Offiziere sagten, dass sie hier schlafen wollten, wir müssten raus. Ein Kopfkissen und eine Decke durften wir mitnehmen. Wir schliefen dann alle unten in einem großen Raum. Alles andere mussten wir liegen und stehen lassen. Vateucktr ist aufgeregt rundherum gelaufen und hat geguckt.“ Aber Erlösung naht. Schon am Abend kommt ein Kradfahrer und die Besatzer verschwinden. „So fix, wie die gekommen sind, waren sie auch wieder weg. Angst hatten wir immer, auch wenn die Soldaten nett und freundlich waren.“ Die Kommandantur zieht laut Chronik zunächst in die Schule ein, dann in die Gaststätte „Elbgarten“ (Steinortstraße) und dann in das Wohnhaus am Sägewerk, Müllerstraße 2, das ehemalige Kochsche Haus. Der neue Ortskommandant ernannte einen neuen Bürgermeister und die Aufräumarbeiten wurden fortgesetzt. Die ersten Vertriebenentrecks kamen im Dorf an. Es war wegen der vielen zerstörten Häuser im Ort schwierig, sie unterzubringen. „Neben Privatquartieren auf engstem Raum wurden das Gutshaus, Gaststättensäle und auch die Schule belegt“, berichtet die Chronik, „zusätzlich wurden von der gemeinde Wohnbaracken aufgestellt.“ Der Hunger war groß. „Wir haben Ähren gesammelt“ erzählt Ingeburg Bobzin, „um vier, fünf Uhr sind wir los, als noch nicht abgeharkt war. Das haben wir vor her auskundschaftet und dann ging es los. Auf dem Hof haben wir dann die Ähren ausgeklopft und später Suppe gekocht, ohne was dran. Und falsche Leberwurst haben wir aus Gries und Majoran gemacht. Wir hatten doch nichts.“ Ihre Nachbarn, die Schifferfamilie Venediger, hat mit dem gesammelten Getreide Hühner gefüttert. „Meine Mutter hat mit Zuckersackwolle gestrickt“ erzählt Jutta Budde geborene Venediger, „das hat so schön gekratzt. Furchtbar. Aus Haferflocken haben wir Plätzchen gemacht. Die schmeckten wirklich.“ Ihr Vater Paul verliert sein Schiff. „Wo Kapitalist?“ fragen die Russen und ziehen das Schiff ein. „Es hatte einen Wert von drei Häusern. Das Schiff sollte über die Ostsee. Dort liegt es nun auf dem Meeresgrund.“ Um mit der zahnärztlichen Versorgung wieder beginnen zu können, fehlt es dem Zahnarzt Bobzin nach dem Krieg an Instrumenten. Vom Friseur Albert Giesecke bekommt er Hebel und Zangen, mit denen er schon früher operierte und Zähne zog. Zum Zahnarzt kommen auch die neuen Besatzer. „Ein Fischereikommando der Russen war in Bertingen. Als die zur Behandlung kamen, fragte mein Vater nach etwas zu essen. „Ich kommen wieder’ antwortete der Russe. Und er kam, brachte ganz hartes Kommissbrot, das wir eingeweicht haben und wo wir Suppe von kochten“ berichtet Ingeburg Bobzin, „dann ging das nachher wieder langsam los hier.“ Es werden Kräfte für Entlade- und Erntearbeiten gebraucht. „Die Kähne, die in Rogätz lagen, mussten entladen werden“ erinnert sich Lisa Wipprich. „Klinkersteine waren da zum Beispiel. Es wurden lange Schlangen gebildet und dann die Kähne entladen. Ich hatte auch eine Verpflichtung zum Heupressen auf dem Johannenhof bekommen. Dafür gab es nichts. Das war unentgeltlich. Das war so.“ Das Leben geht weiter, wenn es auch schwer ist. „Wenn man jung ist“ sagt Lisa Wipprich, „ist man auch immer voller Hoffnung.“
Feldpostbrief an Carl -Heinz Mewes:
„…Bei den Kämpfen um unseren Ort sind 27 Häuser zerstört und viele beschädigt. Wir haben dadurch viel Arbeit. 2 gesellen und 2 Lehrlinge habe ich jetzt. In der Werkstatt hatten wir 5 Granateinschläge. Der eine Tisch der Hobelmaschine ist zerstört. Ich habe einen neuen aus Holz gemacht. Ein paar Wochen konnten wir nicht arbeiten und hatten mit Aufräumen und Wiederaufbau zu tun. Meißner, Marx und die Häuser bis Karl Schulze sind zerstört, ebenso Kabelitz, Behrens und Wuttke. Überall wird wieder gebaut, soweit material vorhanden ist. Während der Kämpfe war ich hier geblieben, um Feuer zu löschen. Die meiste Zivilbevölkerung war geflüchtet. Mutti war mit Anhang in Angern, da war nicht gekämpft. Ich könnte viel davon schreiben…“
Fortsetzung folgt
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Nun ja, solche Arbeiten, wie der des Heimatvereines Rogätz zum Kriegsende sind immer interessant, doch leider oft auch mit Dingen behaftet, die wahrscheinlich bei genauerem Hinsehen anders zu bewerten sind, als es im Bericht steht. Das, was Herr Häusler schreibt, ist in meinen Augen stellenweise mit argen Fehlern behaftet. Auch 2005 war bereits bekannt, dass die PD ,,Clausewitz" unter ihrem Kommandeur, Generalleutnant M. Unrein dem 39. Panzerkorps unter General der Panzertruppe, K. Decker zugeordnet war, welches wiederum ein Bestandteil der 12. Armee unter Wenck darstellte. Auftrag des 39.Panzerkorps lautete gemeinsam mit der 12. Armee in den Harz vorzustoßen und danach mit der 11. Armee unter Lucht, den Ruhrkessel zu öffnen. Die Ereignisse überschlugen sich, der Ruhrkessel stellte am 20.04.45 den Kampf ein und GFM Model gab sich am darauf folgenden Tag die Kugel. Zu diesem Zeitpunkt hatte auch die PD ,,Clausewitz" aufgehört zu existieren. Nachdem das in einem anderen Thread des Forums bereits beschriebene Nachtgefecht in Fallersleben stattgefunden hatte, gab sich Decker ebenfalls die Kugel, als er in der Nähe von Wendhausen in einem Wäldchen von Amerikanern umzingelt war. Da die einzelnen Truppenteile, die in der PD einzugliedern waren, zu unterschiedlichen Zeiten eintraffen und der Gröfaz auf Antritt bestand, wurden 4 Kampfgruppen gebildet, die faktisch die PD ,, Clausewitz" darstellten. Die Panzerraid, der am weitesten vorgedrungenen Kampfgruppe endete im Elm, unweit von Königslutter am 22.04.45 durch Auflösung/Gefangennahme. Ironie, mit Erreichen des Elms wurde die Grenze zur 11. Armee erreicht Die PD ,,Clausewitz"existierte nur 3 Wochen nach Aufstellung. Nachzulesen in ,,Die letzten Divisionen 1945" von Voß/Kehlenbeck, ,,Armee Wenck" von Gellermann und die Dokumentation von Schulz. Was den Jagdpanzer in Angern betrifft, so müsste er einer von den 10 Jagdpanthern gewesen sein, die noch kurz vor Kriegsende in Braunschweig an die Truppe ausgeliefert wurden. Was mich in dem Zusammenhang stutzig macht, es wird wieder von einer SS-Einheit beim Angriff auf Kehnert gesprochen, bei dem es auch deutsche Gefallene gegeben haben soll, bloß wo sind diese registriert? Bisherige Nachfragen sowohl in de Standesämtern Rogätz als auch Tangerhütte führten zu keinem Ergebnis. Wie wir wissen stand bei Blumenthal deutsche Artillerie und bei Wiesental soll es ebenfalls dt. Ari gegeben haben, die Rogätz beschoss. Ist das glaubhaft? MfG Rüdiger
Ja, absolut glaubhaft, denn die 35. ID der Amerikaner nimmt die von Blumenthal rüberkommenden gefangen, am 20.4.45. Die Übersetzung ist bei Parchau drin und ich stell sie hier noch mal rein.
ParchauBurg Bericht Gefangenenbefragung, US 35. Infanteriedivision, datiert 19.04.1945. Das 320. Regiment der 35. US Division war vom 14. bis 25. April der 83. US Division unterstellt: "..Kampfgruppe Zock. Besteht aus 100 fanatischen Nazis, aus verschiedenen Einheiten von SS, Luftwaffe und Hitlerjugend, unter Befehl von Lt. Zock. Die 23 Angehörigen der Hitlerjugend tragen Zivilkleidung, der Rest Uniform. Die Bewaffnung besteht aus 35 Panzerfäusten, 10 MG, 6 MP, 45 Pistolen, einigen Selbstladegewehren, und unzähligen Handgranaten. Der Befehlsstand befindet sich bei Blumenthal, es ist ein kleines Gebäude am Nordwestlichen Eck eines Bauernhofes. Artillerieunterstützung erhält die Einheit von einer Batterie 105er aus der Gegend Parchau. Die Aufgabe der Hitlerjugend besteht aus Erkundung bei Tag und Nacht über die Elbe. Sie arbeiten in Gruppen und sollen unsere Stellungen aufklären. Dies soll für kleinere Gegenangriffe von 20 bis 30 Soldaten dienen, der letzte solche Angriff auf Kehnert am 15. April forderte 2 Tote und 6 Verwundete. Die Gruppen überqueren die Elbe in kleinen Booten. Eine aus 4 Hitlerjungen bestehende Gruppe überquerte die Elbe in der Nacht vom 18.-19.4. Beide Gruppen ergaben sich unseren Soldaten. Die Kampfgruppe hat auch 2 Frauen, die als Spione von Ortschaft zu Ortschaft gehen. Die Frauen werden wie folgt beschrieben: 1), 26 Jahre alt, dunkelbraunes Haar, ovales Gesicht, flache Nase, dünne Lippen. Bekleidet mit dunkelblauer Schneehose, dunkelblauer Jacke, einem passenden Pullover mit goldenen Ornament über der linken Brust. Sie war früher Sekretärin. 2) jünger als die andere. Ihr Name ist Katy. Blondes Haar. Die beiden Frauen sind Geschwister. Blaue Augen, schmale gebogene Nase, langes Gesicht, gut aussehend. Sie trägt eine blaue Trainingshose, in die Stiefel gesteckt, dunkelblaue lange Jacke. Weißer Pullover mit Rollkragen. Sie trägt noch eine blaue Jacke mit sich, die aber nicht getragen wird. Die weitere Befragung ergab dass bei der Hitlerjugend auch 12jährige sind, die mit Pistolen bewaffnet sind. US330Reg Ebenfalls Gefangenenbefragung, datiert 19. April, 35. Division: "..in Schermen befindet sich eine Ersatzeinheit von etwa 200 Soldaten, genannt Marschgruppe Erdmann (Lt.). Die Soldaten werden als Ersatz für die Kampfgruppe Müller verwendet, die sich ebenfalls in Schermen befindet. Bei Müller soll es sich um einen Colonel handeln, es sollen weitere Offiziere bei ihm sein. Die Einheit soll angeblich auf Regimentsgröße aufgefüllt werden. Die Soldaten der Einheit schlafen in verschiedenen Gebäuden in Schermen. Der Gefechtsstand einer nicht identifzierten Artillerieeinheit soll sich bei 729107 befinden, eine Batterie mit 105ern soll isch bei 731095 befinden. Zwei oder drei Eisenbahngeschütze (?) sollen sich am 15. bei 769104 befunden haben. Sie kamen von Gerwisch (zwischen Burg und Magdeburg). Die Bevölkerung protestierte gegen die Geschütze, die daraufhin zurückgezogen wurden. Es befinden sich Truppen bei 784107. Ein schwerer Granatwerfer (etwa 400 mm (?)) befindet sich im Gehölz bei 78881148. Eine Selbstfahrlafette mit 88 mm Geschütz wurde bei der Fahrt durch Schermen beobachtet. US330Reg Gefangenenbefragung, datiert 20. April 1945, 35. US division, IPW (Interrogation Prisoner of War) Team 60: ...es wird vermutet dass durch Kampfgruppe Zook eine Telefonleitung durch die Elbe gelegt wurde. Diese wird von den Patrouillen genutzt um Feststellungen durchzugeben und Boote für den Transport anzufordern. Die Übergänge sind jetzt weiter nördlich verlagert. Der Zeitpunkt der Verlagerung und die neue Örtlichkeit sind nicht bekannt. Sturmboote stehen jetzt für die Überfahrt zur Verfügung. Bei 783227 ist das Hauptquartier einer der Einheiten die die Elbe verteidigen. Es handelt sich um einen durch Bäume getarnten Anhänger. Er kann durch eine gedachte Linie ausgehend von einem einzelnen ballförmigen Baum auf der Westseite über einem einzelnen Lastkahn nahe der Ostseite und weiter zu dem ersten Büschel Bäumen gefunden werden, dort ist der Anhänger geparkt. Boote in diesem Bereich sind mit Lebensmitteln beladen die von den Einheiten geleert werden. US330Reg Gleicher Bericht: ..2 Fünfzehnjährige Jungen, Angehörige der Hitlerjugend, wurde auf unsere Seite des Flusses durch einen 1. Lt. der SS geschickt, dessen Gefechtsstand sich bei Blumenthal befindet. Ihr Auftrag war die Seite aufzuklären. Sie wurden ursprünglich für diese Aufgabe vom HJ Führer in Burg ausgewählt. Sie setzten per Boot um 4 Uhr bei 799224 über, durchquerten die Wiesen in nordwestlicher Richtung und wurden bei 791244 gefangen genommen. Beiden ist bewusst dass sie als Spione erschossen werden. US330Reg ebenfalls datiert 20.04.45, IPW Team 60, gemeldet an 35. Division: Der Gefangene ist Angehöriger der 3. Kompanie, 23. Engineer Training Bn. (23. Pionierausbildungsbataillon (?)), Beseler Kaserne, Askanierring, Spandau. Er meldete sich freiwillig zu einer Panzerabwehreinheit (richtig dürfte sein Panzerjagdeinheit, im Original steht Antitank Task Force) deren Aufgabe es war unsere Panzerspitzen anzugreifen. Sie wurde in Dessau aufgestellt. Nachdem er in Dessau eingetroffen war (vor etwa 10 Tagen) wurde er der Task Force 6 (vermutlich Jagdeinheit 6) zugeteilt, ohne dass er sich freiwillig gemeldet hatte. Diese bestand aus 30 bis 35 Soldaten, eingeteilt in 4 Gruppen, jeweils bestehend aus 4 Soldaten, einem Unteroffizier und einem Offizier. Die gesamte Einheit wurde mit 3 Lkw nach Burg gebracht, sie traf dort am 15. April ein, am gleichen Tag ging es weiter nach Blumenthal. In der gleichen Nacht sollte die Elbe überquert werden. Da jedoch keine Boote gefunden wurden kehrte man nach Blumenthal zurück. Man überquerte in der nächsten Nacht um 22 Uhr. Die Aufgabe, die nur den Offizieren bekannt war, war vermutlich Brücken hinter unseren Linien zu sprengen und Sprengmittel zum Werwolf (Örtlichkeit unbekannt) zu bringen. Jeder Soldat hatte einen 70 lb Rucksack mit 3 6 lb Pole Charge (gestreckte Ladung) und viele 1/4 und 1/2 lb Ladungen. Die meisten der Soldaten kamen aus Westdeutschland, und es wurde angenommen dass sie nach Erfüllung des Auftrags in Zivilkleidung zu ihren Heimatorten zurück kehren sollten. Der Führer der Einheit war ein Lt. Gottschalk. 2 der Soldaten konnten durch das Gewicht des Rucksacks nicht mithalten, der Gefangene war einer davon. US330Reg
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Hallo Wirbelwind, Die Problematik "Chronik Rögatz" in auch das Kriegsende behandelt wurde -oberflächlich Wiedergabe- hat zum Beispiel Magado 2 beim erfolgten Treffen in Barleben (11.2.2016) in einem Gespräch unter vier Augen auch gegenüber Frau Margitta Häusler kritisiert, welche an diesem Tage auch von mit persönlich zu diesem Treffen (Übergabe Geddenkbuch) eingeladen worden ist. Magado 2 bot diesbezüglich wieder Hilfe an zur Richtigstellung der Rögätzer Geschichte. Mehr als wie Hilfe und Angebote machen geht nun mal nicht. Wie werden ja sehen was die Zukunft bringen wird, in Bezug der Zusammenarbeit
Die hier erwähnte Werwolfeinheit müsste in der südlichen Altmark sich aufgehalten haben. Die meisten Angaben zu Werwolftrupps entpuppten sich meist als pure Legende. Aber hier, im offiziellen Bericht, scheint es eine solche Gruppe tatsächlich gegeben zu haben. Unterstützt wird das auch durch den Bericht des Bannführer Zwanzig, Bann 26 MD gegenüber Gen- Ltn Raegener in MD. Zwanzig hatte seine HJ-Gruppe angewiesen, nach erfolglosem Widerstand gegen die Amerikaner in MD sich in Zivil in die Altmark abzusetzen, zur dortigen Werwolfeinheit. So liegen dazu nun 2 offizielle Erwähnungen vor, die die Existenz wohl bestätigen....
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Zitat von Teddy im Beitrag #5Hallo Wirbelwind, Die Problematik "Chronik Rögatz" in auch das Kriegsende behandelt wurde -oberflächlich Wiedergabe- hat zum Beispiel Magado 2 beim erfolgten Treffen in Barleben (11.2.2016) in einem Gespräch unter vier Augen auch gegenüber Frau Margitta Häusler kritisiert, welche an diesem Tage auch von mit persönlich zu diesem Treffen (Übergabe Geddenkbuch) eingeladen worden ist. Magado 2 bot diesbezüglich wieder Hilfe an zur Richtigstellung der Rögätzer Geschichte. Mehr als wie Hilfe und Angebote machen geht nun mal nicht. Wie werden ja sehen was die Zukunft bringen wird, in Bezug der Zusammenarbeit
In diesem Sinne
Ich würde nicht so weit gehen und die Chronik als oberflächlich bezeichnen. Ich gehe schon davon aus das die hier handelnden Personen nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet haben. Lediglich die Quellenlage wird eine andere gewesen sein. Solche Chroniken sind immer nur Momentaufnahmen die in den nächsten Tagen schon überholt sein können wenn neue Erkenntnisse auftauchen. Wir sollten also nicht so hart mit "Kollegen" ins Gericht gehen die eigentlich das selbe wollen wie wir. Ein Stück weit den Mantel der Geschichte anheben. spusu
Gebe dir völlig Recht. Unsere Aufgabe ist es darauf aufzubauen... Und, auch unsere momentanen Erkenntnisse können schnell überholt sein, wenn unerwartet doch noch was neues auftaucht. Ich habe die Seiten absichtlich unkommentiert reingesetzt. Damit ist die Grundlage zur Diskussion gegeben.
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Ebenfalls Gefangenenbefragung, datiert 19. April, 35. Division: "..in Schermen befindet sich eine Ersatzeinheit von etwa 200 Soldaten, genannt Marschgruppe Erdmann (Lt.). Die Soldaten werden als Ersatz für die Kampfgruppe Müller verwendet, die sich ebenfalls in Schermen befindet. Bei Müller soll es sich um einen Colonel handeln, es sollen weitere Offiziere bei ihm sein. Die Einheit soll angeblich auf Regimentsgröße aufgefüllt werden. Die Soldaten der Einheit schlafen in verschiedenen Gebäuden in Schermen. Der Gefechtsstand einer nicht identifzierten Artillerieeinheit soll sich bei 729107 befinden, eine Batterie mit 105ern soll isch bei 731095 befinden. Zwei oder drei Eisenbahngeschütze (?) sollen sich am 15. bei 769104 befunden haben. Sie kamen von Gerwisch (zwischen Burg und Magdeburg). Die Bevölkerung protestierte gegen die Geschütze, die daraufhin zurückgezogen wurden. Es befinden sich Truppen bei 784107. Ein schwerer Granatwerfer (etwa 400 mm (?)) befindet sich im Gehölz bei 78881148. Eine Selbstfahrlafette mit 88 mm Geschütz wurde bei der Fahrt durch Schermen beobachtet.
Wenn ich mich recht erinnere kam es bei den Beschreibungen der Kämpfe um den Elbübergang bei Barby zur Erwähnung von Eisenbahngeschützen auf ostelbischer Seite. Gerwisch liegt ebenfalls ostelbisch und eigentlich nicht wirklich weit von Barby entfernt. Sollte es da Zusammenhänge geben oder bestätigt hier der eine den anderen Bericht?
Na das ist etwas irreführend. Die 120thIR 30th ID erwähnt den Beschuss E Flak auf einem Gleis von Burg nach ehem Baustelle Niegripp in AAR um den 15.4.45. Das gabs da wirklich.
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Wasser, Seife und ein schneeweißes Handtuch Hans Skupin, Bad Gandersheim
„Ihr könnt froh sein, Ihr habt Euer Leben gerettet. Ob auch ich durchkomme, das weiß ich nicht“ sagt ein amerikanischer Soldat in bestem Deutsch zu Hans Skupin, als er mit anderen Gefangenen am Johannenhof unweit vom Bahnhof Angern-Rogätz ankommt. Es sind gutgemeinte Worte, die der 17jährige nach seiner Gefangennahme am 13.April 1945 in Rogätz zu hören bekommt. 1999 kehrt Skupin zum ersten Mal in den Ort zurück. Er steigt am Bahnhof aus und geht langsam jenen Weg, den er 54 Jahre zuvor in umgekehrter Richtung gelaufen war. Hans Skupin besucht zunächst die Fähre, fährt einmal hin und zurück über die Elbe. den Fluss hat er im Frühjahr 1945 mit seinen Kameraden überqueren wollte, aber dazu ist es nicht gekommen. Hans Skupin erzählt:
Wir waren 21 Mann, genau dreimal sieben Mann mit Unteroffizier. Von der Marschkompanie in Potsdam sollten wir zu einer Sondereinheit nach Holzminden. Dazu sind wir aufgeteilt worden in drei Geschützbedienungen. Dann wurden wir losgeschickt. Auf dem Weg haben wir erfahren, dass der Tommy schon in Holzminden war. Also sind wir nach Neuruppin in eine riesige Kaserne. Da brauchten sie uns aber nicht als Panzerjäger, die wollten Panzerfahrer haben. Wir waren also verkehrt. Der Spieß hat uns dann nach wenigen tagen loswerden wollen und zum Bahnhof geschickt, weil dort eine Frontleitstelle war. Da dachten wir: Neuruppin liegt näher am Osten, also werden wir bestimmt auch in Richtung Osten verlegt. Aber das geschah nicht. Wir waren plötzlich herrenlos. Wir hatten unsere Wehrpässe, wir hatten unsere Uniform, aber keine einzige Waffe, um uns verteidigen zu können. Die meisten meiner Kameraden waren aus Westdeutschland. Da war ja schon der Ami und wir wollten zusehen, dass wir ohne Verwundung und ohne Gefangenschaft und ohne noch zu fallen den Krieg überstehen. Also sind wir immer dahin gegangen, wo es am wenigsten geknallt hat. Meine Kameraden kamen aus Zweibrücken, Pirmasens, ich und noch einer waren aus Schlesien und einer, glaub ich, kam aus Pommern und dann war aus Sachsen der Kamerad Schmutzler und unser Unteroffizier, Herr Ost. Der war Schornsteinfegermeister in Magdeburg oder Oschatz. Die aus dem Westen hatten zu uns aus dem Osten schon gesagt, „wenn ihr nach dem krieg nicht nach Hause könnt, dann kommt Ihr erst mal mit zu uns, wir sehen dann schon weiter.“ Dazu kam es aber nicht. Wir waren zunächst im Raum Braunschweig, Peine unterwegs. Dort wurden bereits die Verpflegungslager geräumt. Als die Zahlmeister uns in Uni form gesehen haben, wurden wir versorgt mit Zigaretten und sogar mit Zigarren in Glasröhrchen, also Sachen, die wir noch nie beim Militär gesehen hatten. Wie gesagt, wir sind immer dahin gegangen, wo es am wenigsten geknallt hat. Das Artilleriefeuer hatte man schon gehört und Parolen machten die Runde, das sei der Ami. Wir waren ständig in Ungewissheit, wo wir hin sollten. Wir haben versucht, uns von Tag zu Tag weiter zu hangeln und haben gehofft, dass jeden Tag der Krieg zu Ende geht. Überhaupt hat uns gewundert, dass der Krieg noch nicht zu Ende war. Wir wussten, dass der Russe nahe an die Elbe ran war. Und der Ami und der Tommy haben uns ja auch immer näher zur Elbe gedrückt. Die wenigen Soldaten, die noch in diesem Zwischenraum waren, die waren ja gar nicht mehr kampffähig. Denen fehlte es an Waffen, an Munition, an allem. In Loitsche trafen wir am 12.April ein. Wir haben immer versucht, nachts irgendwie unterzukommen und haben uns kleine Orte ausgesucht, haben bei Bauern gefragt, ob wir übernachten könnten in der Scheune. Die haben das nie abgeschlagen. Im Gegenteil. Meist heben wir auch Kartoffeln und so was bekommen. Wir hatten zwar Marken, Verpflegungsmarken, die wir so auf unsere Papiere hin bekommen hatten, aber die nützten ins nichts mehr. Wir besaßen Geld. Wehrsold hatten wir noch bekommen, aber es gab nichts mehr. Das einzige, was wir als Tauschmittel hatten, waren Schnaps und Zigaretten. Und so haben wir uns durchgeschlagen. „Bubi“ meinte da mein Stabsgefreiter, mein Ziehvater, „Bubi“, wir suchen uns heute kein Bett, wir legen uns nur in die Scheune und schlafen.“ Vorher wollten wir uns ein bisschen waschen an der Pumpe im Hof. Da saß unser Kamerad Schmutzler schon mit freiem Oberkörper und sagte: „Ich habe mich hier bei Herrn Arndt einquartiert.“ In diesem Moment kamen die zwei Töchter aus dem Haus heraus und sagten, es käme nicht in Frage, dass wir in der Scheune übernachten, im Hause wäre noch Platz. Abends hat uns Frau Arndt ein wunderschönes Essen gekocht. Es gab Braten und wir saßen mal wieder an einem weißgedeckten Tisch. Das hatten wir schon Wochen, Monate nicht mehr erlebt. An dem Abend haben wir geglaubt, dass wir die Zeit bis zum Kriegsende einigermaßen vernünftig durchbringen. Das gelang uns bis dahin wegen unseres besonderen Vermerkes oben auf dem Soldbuch. Wir waren in Potsdam ausgesucht worden. Teilweise waren es Soldaten, die mehr Auszeichnungen hatten. Dann waren vielleicht auch Soldaten gewählt worden nach Lebensalter. Denn uns wurde gesagt, falls Guderian noch mal das Oberkommando über eine Neuaufstellung übernimmt, sollten wir ihn persönlich beschützen. Guderian war bekannt dafür, dass er meist mit dem ersten Panzer den Angriff fuhr. Wie so eine Art Leibwache sollten wir ihn praktisch schützen. Diese Code-Nummer wurde uns im Soldbuch vermerkt und auf der ersten Seite wurde ein kleiner, mit Schreibmaschine geschriebener Streifen aufgeklebt: „Gesperrt vom OKH“ Sperre vom Oberkommando des Heeres. Und auf der Innenseite war eine Code-Nummer, die auch die Kettenhunde der Militärpolizisten hatten. Die haben dann immer ins Buch geguckt und so sind wir ohne Schwierigkeiten von einer Kontrollstelle zur anderen gekommen, bis wir in Rogätz über die Elbe wollten. Es war der 13.April1945. Am Fährdamm standen zwei Kettenhunde, zwei Feldgendarmen und ein Soldat mit umgehangener Zeltbahn. Es hat so ein bisschen genieselt. Wir wurden gefragt, wo wir hinwollten. Daraufhin hat der eine Unteroffizier gesagt, dass ihn das nichts anginge. Wir fragen ja auch nicht, was er hier macht. Daraufhin hat er seinen Kragen frei gemacht und wir sahen, dass es ein hoher SS-Offizier war. Der hat uns sofort gedroht, wenn wir die Fähre betreten, würde er von seiner Schusswaffe Gebrauch machen und uns über den Haufen schießen. Nun mussten wir uns auf dem Gut (Meyer/Kuske) beim Ortskommandanten melden, einem Hauptmann und Ritterkreuzträger. Und der sagte uns, er ist gezwungen, uns zurückzuhalten, bis der tross über die Elbe gesetzt hätte. Das wäre sei Auftrag und wenn dieser erfüllt sei, könnten wir dahin gehen, wohin wir wollten. Solange aber müssten wir seine Kampftruppe verstärken. Und dann hat er uns die ungarische Gulaschkanone gezeigt und gemeint: „Hier, die Offiziere und die Mannschaft sind schon weg und die Gulaschkanone zieht auch in Kürze ab, lasst Euch noch mal was zu essen geben.“ So sind wir in Rogätz hängen geblieben. Wir haben ja geglaubt, dass diese Trosseinheit recht bald kommt und übersetzt und haben uns schon gefreut, dass wir gegen Abend weiterziehen könnten, aber es war leider nicht so. Zwei Funker sagten uns, dass der Ami schon in der Nähe sei. Da sagten wir dem Hauptmann, dass er mit uns keine Verstärkung in der Kampfeinheit bekäme, weil wir keine Handfeuerwaffen hätten. Er entgegnete, es würden hier genügend Panzerfäuste zur Verfügung stehen. Wir sollten Panzer abschießen, die aufgesessene Infanterie würde nachher beschossen werden von Landesschützen. Er hätte vorm Ort einen dünnen Schützenschleier von Männern des Landsturms, was wir allerdings kaum glauben konnten. Wenig später flogen die ersten Granaten über das Gut hinweg, wahrscheinlich Panzergranaten. Es herrschte helle Aufregung. Nun sollten wir die Panzerfäuste nehmen. Und jeder hat gesagt, er kenne sich damit nicht aus. Da hat dann der Hauptmann einem Feldwebel von der Artillerie befohlen, er solle Unterricht machen. Es war gerade einen Moment Ruhe. Ich selbst bin ja ausgebildet worden am „Ofenrohr Panzerschreck“, auch an Panzerfäusten, T-Minen und Brandflaschen, was zur Panzerbekämpfung gehörte. Ich habe natürlich nicht gesagt, dass ich mich da auskenne. Nur als ich dann gesehen habe, wie der Feldwebel da hantierte mit den Zündern beim Einsetzen, da habe ich richtig Muffengang gekriegt, weil ich dachte, hier fliegen gleich welche mit den Panzerfäusten in die Luft. Es standen da riesige Stapel von Kisten mit Panzerfäusten. Schwer zu schätzen, wie viele es waren, aber es waren ganz hohe Stapel. Als der Beschuss einsetzte, sind wir durch die Scheune gerannt in den Splittergraben. Unsere Rucksäcke blieben im Hof zurück. Da drin hatten wir was zu essen. Die Rogätzer Leute waren ja sehr liebenswürdig zu uns und haben uns mit Kuchen versorgt, mit Butterbroten, mit Fleischkonserven von dem Kahn, der unten vorher ausgeräumt worden war. Wir wussten, dass wir nicht wieder so gut verpflegt würden und deshalb sagte ich zu meinem Ziehvater, Du, Martin, ich hole die Rucksäcke.“ „Bleib hier Bub i“ sagte es, „das ist zu gefährlich.“ Ich ging aber doch kurz auf den Hof, wo die Rucksäcke lagen. Ich hatte sie schon in der Hand, als der Hauptmann kam und sagte, wir müssten sofort die Panzersperre in Richtung Angern verstärken. Wir mussten also die Rucksäcke fallen lassen, unsere Panzerfäuste nehmen und sind dann mit fünf, sechs Mann und dem Unteroffizier (den kannte ich nicht) in Richtung Panzersperre gegangen (zwischen Wuttke und Vorbrich). Da war der Beschuss schon etwas stärker. Plötzlich kam der Hauptmann mit dem Krad zurück. Er saß hinten drauf, seine linke Gesichtshälfte war voller Blut. Man konnte nicht erkennen, wie schwer die Verwundung war, aber das ganze Gesicht war mit Blut verklebt und auch der Ledermantel war blutbespritzt. Er konnte nicht mehr sprechen, zeigte mit dem Daumen in die Richtung, wohin wir uns begeben sollten. Als wir zur Sperre kamen, waren da schon zwei ältere Landser. Keuchend fragten wir: „Was ist los hier?“ Da antwortete der eine: „Der erste Panzer steht nur ein paar Meter vor uns.“ Da ist uns fast das Herz in die Hose gerutscht. Unser Unteroffizier war vielleicht Ende Zwanzig, Anfang Dreißig. Ein ganz ruhiger, sachlicher Vorgesetzter, den ich noch nie vorher gesehen hatte. Der hat uns klipp und klar gesagt: „Wir werden hier nicht mehr verrückt spielen. Es wird kein Panzer mehr geknackt, denn dann ist der Ort unter starkem Beschuss. Und es geht keiner von uns in ein Haus rein, damit die Zivilisten, die nicht in den Wald gegangen sind, nicht gefährdet werden Wir wollen versuchen, das irgend wie über die Runde zu kriegen.“ Da haben wie uns dran gehalten. Vor dem Ort wurde zu der Zeit viel geschossen. Wir wussten nicht, dass daran auch deutsche Panzer beteiligt waren, die versucht hatten, die Amis aufzuhalten. Wir hörten Abschüsse, konnten aber nicht unterscheiden. Später haben wir einen deutschen Panzer gesehen. Kurz vor dem Bahnhof. Ein Soldat hing mit dem Oberkörper aus dem Turm raus, der Panzer brannte noch und ein Soldat lag vor dem Panzer. Aber zurück zur Panzersperre. Unser Unteroffizier sagte, wir sollten mal über die Straße gehen und gucken, was sich dort abspielt (in Höhe Mühlenweg). Das grüne Hoftor am letzten Haus war verrammelt, wir sind drüber gesprungen. Ein Opa hat gerade auf dem Hof versucht, mit der Eimerspritze zu löschen, denn es brannte. Wir sagten ihm, er solle in den Keller gehen. Dann sind wir über den Hof, hinten raus und kamen zum Weg, der zur Mühle führt. Wir schnappten nach Luft. Es wurde ein bisschen ruhiger. Da sagte der Unteroffizier zu mir, ich sollte hier liegen bleiben, er wolle ein bisschen umgucken, er würde mich dann holen. Aber er ist nicht gekommen. Ich nehme an, dass er vielleicht verwundet oder gefallen ist. Oder eher in Gefangenschaft gekommen ist, aber ich habe ihn dann nicht mehr gesehen. Dass er einfach abgehauen ist und mich im Stich gelassen hat, das glaube ich nicht. Denn er war ein seht guter Kamerad. Er hat die Lage übersehen und war kein Held, der noch das Ritterkreuz haben wollte. Ausgerechnet in diese am 13.April nördlich von Magdeburg aufgestellte Kampftruppe mussten wir geraten. Ihr Kommandant war der ehemalige Leiter der Sturmgeschützabteilung Burg, Alfred Müller. Dazu fällt mir heute der Spruch von heiz Erhardt ein, der einmal sagte:
Die alten Zähne waten schlecht und man begann sie auszureißen. Die neuen kamen gerade recht, um damit ins Gras zu beißen.
Im Weggehen sagte der Unteroffizier noch: „Grab Dich ein!“ Aber womit? Wir hatten wohl Feldgeschirr, aber keine Waffe und keinen Spaten. Nur die beiden Panzerfäuste waren da. Den Panzer vor der Sperre konnte ich jetzt seitlich einsehen, wie auf dem Tablett zum Abschuss freigegeben. Die Entfernung hat gestimmt, etwa 70 bis 80 Meter. Die ganze Breitseite hätte ich haben können. Aber mir ist der Gedanke, die Panzerfaust abzudrücken, gar nicht gekommen. Einmal weil mir bewusst war, dass ich die vier bis fünf Mann Besatzung in den Tod schicke. Und zum anderen, weil es klar war, wenn hier ein Panzer geknackt wird, dass Rogätz zum Trümmerhaufen wird. Ich muss noch hinzufügen: Kurz bevor der Beschuss einsetzte, kamen die ersten Fahrzeuge der Trosseinheit. Es waren nur bespannte Pferdefahrzeuge, beladen mit Sätteln und Zaumzeug, nagelneues Pferdegeschirr und dann die „Knochensäcke“, diese Sprunganzüge der Fallschirmjäger. Und da sagte der Hauptmann noch, wir sollten uns damit einkleiden. So dass wir als Fallschirmjäger gegolten hätten. Vielleicht war das auch der Grund, dass der Ami vor uns ein bisschen Angst hatten und dachten, es läge da eine Eliteeinheit. Ich habe diesen Anzug gern genommen, weil das Wetterschutz für uns war. Ich bin nachher ganz gut damit zugerecht gekommen. Wie ich so allein am Mühlenweg lag, kam ein Feldwebel mit Maschinenpistole und fragte, mich, was ich mache. „Ich soll auf den Panzer aufpassen“, sagte ich. Mensch, meinte der, der Ami ist doch schon auf der anderen Seite 300 Meter in Rogätz drin. Es dauerte nicht lange und dann ist der hier. „Schnapp Dir Deine Knarre und komm mit!“ Ich hatte ja gar keine und so ließ er mich liegen. Er wollte sich wahrscheinlich nicht die Mühe machen, mich auch noch zu beschützen und ist dann abgehauen. Plötzlich kamen zwei ältere Soldaten vorbei mit einem MG42 und fragten, wo die Mühle wäre, sie sollten da in Stellung gehen. Ich kannte ja die Gegend nur aus der liegenden Stellung, aber ich konnte die Mühle sehen und zeigte dorthin. Da sagte der eine: „Hast Du schon die neuste Munition gesehen?“ Ich glaubte, die Wunderwaffe gezeigt zu bekommen, da machte er den Kasten auf, der halb gefüllt war mit Platzpatronen. „Mensch“ sagte ich, „das sind doch bloß Platzpatronen.“ „Ja“ meinte der Soldat, „wir sollen doch den Ami bloß ein bisschen erschrecken.“ Die haben den Kasten zugemacht und sind verschwunden. Ich habe sie bei der Mühle nicht gesehen. Die sind abgehauen. Ich habe dann vor dem Haus von Wuttkes schon Soldaten vorbeihuschen sehen. Da uns der Hauptmann gesagt hatte, es läge noch ein Schützenschleier vor Rogätz und der kommt zurück, wenn der Ami kommt, habe ich geglaubt, das wären unsere Kameraden vom Landsturm. Aber es waren schon die Amis. Ich hatte bis zu diesem Tag noch keine amerikanische Uniform gesehen. Russische Uniformen kannte ich. Und die Amis müssen mich irgendwie spitz gekriegt haben. Jedenfalls haben die auf mich geschossen, da spritzte zweimal der Dreck vor mir auf. Ich hatte mir mit dem Helm so einen kleinen Hügel als Schutz gemacht. Jetzt hatte ich Schiss. Die Panzerfäuste lagen neben mir, scharf. Ich dachte, wenn die die Panzerfäuste treffen, dann fliegst du mit in die Luft. Und da habe ich die Panzerfäuste genommen und hab mich draufgelegt. Man versucht eben das Nächstliegende, was einem unter Umständen Gesundheit und Leben rettet. Wenn ein Schutzengel gekommen wäre und gefragt hätte, was brauchst du, hätte ich nicht gesagt, nach Hause. Ich hätte gesagt, schick mir einen Spaten, um mir ein Erdloch zu buddeln. Das wäre das Nächstliegende gewesen. Plötzlich kam ein junger Leutnant ohne Stahlhelm, nur mit Mütze und sagte zu mir: „Hier soll ein Panzer sein?“ „Ja, wenn Sie sich umgucken, der steht da.“ „Da seid Ihr zu feige, den abzuschießen? Der soll doch schon angeschossen sein.“ „Wenn wir den abschießen, dann ist das ganze Dorf ein Trümmerfeld“ sagte ich daraufhin und der Leutnant antwortete: „Ist mir scheißegal.“ Er verlangte eine Panzerfaust und ist in Richtung Panzer gerobbt. Danach setzte Artilleriebeschuss ein und ich muss etwas auf den Kopf bekommen haben. Jedenfalls bin ich wach geworden und lag mit dem Gesicht auf der Erde. Ich dachte, liegst du schon im Grab? Ich konnte mich im Moment nicht erinnern, was passiert war. Und da habe ich mich so auf die Hände gestützt, komme mit dem Kopf hoch und es steht die erste Infanteriekette von den Amis da. Es war eine Sekundenentscheidung, dass mich der Ami nicht umgelegt hat, denn der hatte mich auch nicht gesehen. Ich wurde zum Haus Wuttke geschickt und sah links den Leutnant liegen. Er war verwundet, konnte aber noch den Oberkörper aufrichten. Laufen konnte er nicht mehr. Da waren sie vergessen seine Heldentaten. Ich aber wollte ihm helfen und machte einige Schritte auf ihn zu. Da kam der Ami zurück aus dieser Schützenkette und schlug mir mit dem Kolben ins Kreuz. Ich musste zum Haus. Dort stand ein kleiner Granatwerfer. Die Bedienung war ein älterer Soldat und so ein Rotzlöffel von 19 Jahren. Es war ja ein schöner Apriltag geworden, schön warm und der junge Ami hatte die Ärmel aufgekrempelt. Auf jedem Arm so drei, vier Armbanduhren. Das erste war: „Du SS!“ Er sah nämlich den Adler auf der Uniform von der Luftwaffe. Da hat er das Messer genommen und das Abzeichen abgeschnitten. Ich durfte nichts behalten, nicht mal das Taschentuch. Was er nicht entdeckt hatte, waren diese schrägen Brusttaschen oben. Da hatte ich deutsche Zigaretten drin. Alles andere musste ich fallen lassen. Das Sturmgepäck, dieses Tragegestell und den Brotbeutel. Da hatte ich noch eine Fleischbüchse von den Rogätzer Leuten drin und ein paar Socken und einen Rasierapparat, was ein Landser eben dringend braucht. Jetzt lag der Brotbeutel mit den ganzen Sachen auf dem Boden und ich hatte nichts mehr und griff nach dem Brotbeutel! Da wollte er mir mit den Füßen auf die Hände treten. Der ältere Soldat hat ihn zurückgehalten und mit dem Kopf genickt, ich könnte das aufklauben. „Uhr?“ fragte der Jüngere. Ich hatte eine billige Taschenuhr. Die hat er ans Ohr gehalten und grinste. Dann hat er sie mir vor die Füße geworfen, dass sie in tausend Teile zersprungen ist. Und jetzt kam ich in Vorbrichts Haus (damals Muttke) und wurde die Treppe in den Keller runtergestoßen. Drinnen bekam ich gleich einen Bauchtritt und hörte eine deutsche Stimme mit leichtem Akzent, on ich nicht beim deutschen Barras gelernt hätte, Vorgesetzte drei Schritte vom leibe zu gehen. In der Ecke war ein Kohlenhaufen, dort musste ich mich draufsetzen. Dann sagte der Ami zu mir: „Wir wissen alles, ich will nur noch die Bestätigung von dir, ob das stimmt. Und sobald ich dich bei einer Lüge ertappe, lege ich dich hier im Keller um.“ Und dabei drehte er wie ein Cowboy in der Hand einen Revolver. Wie in Wildwestfilmen. Ich habe gesagt, wie ich heiße und übergab mein Soldbuch. Ich wusste ja nichts. „Wo ist die Brücke?“, fragt der Ami weiter. „Ich habe keine Brücke gesehen.“ „Habt Ihr die schon gesprengt?“ Ich wüsste nichts, sagte ich wieder, ich hätte nur eine Fähre gesehen. Dann hat er mich beschimpft. Es war keine angenehme Situation. Aber plötzlich stand da eine ältere Frau mit einer Schüssel warmem Wasser, einem schneeweißen Handtuch und Seife. Es gab damals im krieg die Lehmseife, die war schwer. Dann gab es die Schwemmseife, die war ganz leicht. Und ein solches neues Stückchen brachte sie mir, kniete sich vor mir hin und sagte: „Bubi, wie heißt du denn und können wir an deine Eltern schreiben, damit sie wissen, dass du hier bist?“ „Nee, Oma“ sagte ich, „ich bin aus dem Osten, aus Schlesien, da ist lange der Russe. Ich weiß nicht, wo meine Eltern sind.“ Und der Amerikaner sagte: „Raus, raus!“ Die Frau aber war so tapfer und sagte: „Nix raus, der Bubi wäscht sich jetzt erst einmal.“ Ich habe mir den Dreck aus dem Gesicht gewaschen. Ob ich Hunger hätte, fragte die Frau oder Durst. Den hatte ich. Sie wollte mir gleich was bringen und nahm das Wasser mit. Es war mir peinlich, mein schwarzes Gesicht in das weiße Handtuch zu stecken, aber das Waschen war eine Wohltat. Ich war verschwitzt und dann die Angst. Sie brachte mir etwas zu trinken. Ich war immer noch der erste Gefangene im Keller und der Ami guckte so. Ich erinnerte mich plötzlich an meine Zigaretten in der Brusttasche und wollte mir eine anzünden. Streichhölzer hatte ich nicht mehr, ich musste ja die Hosentaschenleer machen. Und da fragte ich, ob ich rauchen darf. „Kriegsgefangenen ist das rauchen verboten!“, lautet die Antwort. Wenig später fragte er, ob ich gern rauche, ob ich Zigaretten oder Tabak hätte. „Ja“. Als ich nach Feuer fragte, holte er so ein kleines Heftchen hervor und warf es mir zu. Ich fing das, zündete die Zigarette an und wusste nicht was tun. Sollte ich die Streichhölzer einstecken oder aufstehen und das Heftchen zurückgeben. Womöglich sieht er das als Angriff an und erschießt mich. Also habe ich ihm das Heftchen wieder zugeworfen. Schnell hat er das abgetatscht, ist in die Luft hochgesprungen und hat den Revolver auf mich gerichtet. Jetzt ist dein letztes Stündlein gekommen, dachte ich. Der Ami schrie: „Ob ich Nazischwein glaube, dass er etwas in die Hand nimmt, was ich in der Hand gehabt habe.“ Mir ist vor Schreck die Zigarette ausgegangen. Ich habe nicht wieder nach Feuer gefragt. Wohl aber erzählte ich vom verwundeten Leutnant draußen und fragte, ob man dem nicht helfen könne. „Wenn der verreckt, ist es ein Nazischwein weniger“ war die Antwort. Darauf berichtete ich ihm, dass ich den Panzer hätte abschießen können. Weil aber ein Unteroffizier so vernünftig war und das nicht wollte, sind fünf meiner Kameraden nicht getötet worden. Er hat trotzdem nicht zugelassen, dass ich den Offizier versorge. Als ich dann später nach Rogätz kam, habe ich von einem Einwohner erfahren, dass man den Verwundeten doch ins Haus geholt hatte, aber er ist dort verblutet. Dann fing wieder Beschuss an. Wir wurden von der eigenen deutschen Artillerie beschossen. Wir (20 bis 25 Mann) mussten gegen Mitternacht aus Muttkes Haus raus. Wir sind in Richtung Angern getrieben worden. Alle sind gerannt. Die Amis auch. Wir wollten nur aus dem Artilleriefeuer raus. Dann haben wir eine kleine Pause gemacht. Ein Feldwebel sagte aufgeregt: „Mensch, ich habe ja hier im Brotbeutel noch eine Eierhandgranate.“ Da haben wir einen Kreis gebildet und er hat die Granate aus dem Brotbeutel rausgenommen, die Zünder schnell ausgeschraubt, damit kein Unheil mehr passiert und hat sie weggeworfen. Am Gut vor dem Bahnhof angekommen, wurden wir an die Wand gestellt. Im Hof brannte etwas. Ob es ein Gebäude war oder ein Scheiterhaufen, wussten wir nicht. Dann kamen zwei oder drei schwarze Soldaten mit Hacke und Schaufel und wir dachten, die werden uns jetzt erschießen und einbuddeln. Da ist es uns ein bisschen anders geworden. Ich weiß nicht, wohin sie gegangen sind. Das war das erste Mal, dass ich schwarze Soldaten gesehen habe. Eigenartig, in der Nacht das Feuer, die weißen Augen und die weißen Zähne. Wir hatten schon ein bisschen Bammel. Dann brachte man uns einen Lkw, der in Richtung Angern fuhr. Vorher hatte ich den ersten Menschen unter den Amis kennen gelernt. Das war der Bewachungssoldat. Der sprach sehr gut Deutsch und sagte uns: „Seid zufrieden. Ihr habt Euer Leben gerettet.“ In Angern kamen wir zu einer großen Scheune und wurden getrennt. Mannschaftsdienstgrade auf die rechte Seite, da war Stroh. Unteroffiziere und Feldwebel auf die linke Seite, da war die blanke Tenne und die Offiziere (es waren in Angern schon etwa 100 Gefangene) mussten in den Schweineställen stehen. Die ungarischen Offiziere aber standen draußen mit den Amis zusammen und haben Zigaretten geraucht. Als uns bewusst wurde, dass die Gefahr vorüber war, verprügelt oder erschossen zu werden, da meldete sich der Hunger. Ich hatte ja noch eine Büchse von den Rogätzern und wollte sie öffnen. Ich greife in den Brotbeutel hinein und merkte, ich greife in Matsch. Da ziehe ich die Büchse raus und sehe, dass sie durch einen Granatsplitter aufgerissen war. Die Büchse hatte mir das Leben gerettet. Ich habe nichts mehr gegessen von dem Fleisch. Mir war der Appetit vergangen und ich war heilfroh, dass ich das so überlebt hatte. Bei seinem Besuch im Frühjahr 1999 geht Hans Skupin noch einmal an seine „Schauplätze“ in Rogätz. Ein Stück Seife hat er dabei für Familie Muttke, die er aber nicht mehr antrifft. In der Eisdiele fragt er eine ältere Frau nach Orten in der Umgebung. Als Loitsche genannt wird, weiß Skupin, wohin er noch fahren möchte: zu Arndts. Horst Blaschke bringt Hans Skupin nach Loitsche. Dort aber sind die Arndts nicht mehr anzutreffen. Schon Anfang der 50er Jahre waren sie in den Westen gegangen. Herr Arndt hatte den jungen Soldaten Hans Skupin aufgefordert, in Loitsche zu bleiben. Er sollte sich bei ihm verstecken. Aber die Angst vor den Kettenhunden ließ die Truppe am Morgen des 13.April 1945 weiterziehen nach Rogätz. Als Hans Skupin 1999 von einem Mann aus Loitsche mit dem Traktor zum Bahnhof Zielitz gebracht wird, fragt der Fahrer, ob Skupin wüsste, dass es in Rogätz etliche Soldatengräber gebe. Den Mann aus Bad Gandersheim durchfährt es wie ein Blitz. Er hatte bis dahin gar nicht daran gedacht, dass in Rogätz Kameraden seiner Truppe gefallen sein könnten. Hans Skupin kehrt im Sommer noch einmal zurück und besucht die Grabstellen. Auf einem Grabstein liest er den Namen eines Freundes. 20 Jahre jung ist der nur geworden. Voller Demut steht Skupin vor dem Grab. Seither kommt er einmal im Jahr -meist im April- besucht den Friedhof und zahlt in der gemeinde Geld ein zur Pflege der Soldatengräber. Am 13.April 2005 war Hans Skupin wieder in Rogätz.
Fortsetzung folgt
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Alfred Steglitz erzählt: Im wüsten Chaos ging es ums nackte Überleben
1945 war ich 15 Jahre alt, wurde 16. ich war damals auf Schifffahrt. Wir lagen mit dem Kahn in der Ohre, oben an der roten Brücke. Von 1944 im November bis zum Umbruch. Mein Chef war die Schiffseigner Franz Zabel aus Kehnert. Der war eingezogen worden zum Volkssturm und ich habe den Kahn derweil solange bewacht. Neben unserem Kahn lag der von Zabel, der Kahn mit den SKS-Büchsen, die nachher in Rogätz ausgeladen wurden. Ich habe mich immer gewundert, dass da immer die SS kam und den Kahn kontrolliert hat, ob die Ladung noch verplombt war. Was die Büchsen mit Rindfleisch betrifft, wurde eines Tages die Bevölkerung aufgerufen, jeden kann sich melden, pro Person gibt es sechs Büchsen. Einige zeit ging das gut. Aber es dauerte nicht lange, dann wurden die Menschen ungeduldig und die ersten kletterten in den Kahn, holten einen ganzen Karton heraus. Da waren 24 Büchsen drin. Und wie das so im gang war, kamen amerikanische Tiefflieger. Vier oder fünf Stück. Zur gleichen Zeit fuhr ein dampfer die Elbe hoch. Die Menschen haben geschrieen, das kann man sich gar nicht vorstellen. Die Flugzeuge sind in 20 bis 25m Höhe geflogen, so niedrig, haben aber nicht geschossen. Wenn die in die menge geschossen hätten, es hätte Hunderte von Toten gegeben. Das war schrecklich. So was möchte ich nie wieder erleben. Darum erzählt man das ja auch, damit die Kinder erfahren, wie schlimm es damals war. Als nun das Kriegsende näher rückte, kamen viele Soldaten nach Rogätz. Die kamen zu mir ans schiff und fragten: „Kannst Du uns rüberfahren?“ So ein Quatsch, nachher wollten sie alle wieder zurück nach dem Westen. Na, das war ja was für uns Jungs, ein großes Erlebnis. Wir waren so fünf, sechs Bengels und mussten hinter den Pferdering, wo die Soldaten lagen. Die sagten zu uns: „Jungs, kommt doch mal her! Hört Ihr das Schießen?“ „Ja“, sagten wir und die weiter, „wisst ihr was, Ihr könnt doch hier in den Schützengraben rein.“ Da lag alles, MGs und uniformen. Die haben wir uns angezogen. Die Soldaten wollten zum Abend wieder da sein. Die sind aber nicht wiedergekommen. Mir wurde das zu bunt. Ich habe die Sachen wieder abgelegt und gesagt, „ich haue ab. Das mache ich hier nicht mit!“ Und der andere hat das nicht gemacht, der ist dann nachher in Angern gefangen genommen worden und war zwei Jahre in Gefangenschaft. Bevor die Amerikaner kamen, musste Rogätz geräumt werden. Ich weiß nicht mehr genau wann. Wir waren eine große Familie, die auf dem Doktorhof gewohnt hat. Meine Schwester hatte zwei kleine Kinder und wir sollten normalerweise nach Born. Wir sind aber nicht dorthin gefahren, sondern nach Friedrichshöhe (Vorwerk im Wald). Ich musste einen Handwagen ziehen, bepackt mit Sachen und dann sind wir los. Die Cröchernsche Straße war natürlich nicht so wie heute ausgebaut. Da war alles noch Lehm, ein Feldweg eben. Dort sind wir hochgefahren und haben eine Nacht erst mal in der Sandkuhle im Forsthaus von Heinrichshorst übernachtet. Aber am nächsten Tag mussten wir raus. Da haben wir uns dann einen Bunker gebaut und haben sechs Tage im Wald gelebt. In der Nähe vom Edelmannsberg. Es war nass und kalt. Wegen der zwei kleinen Kinder sind wir dann in die Scheune nach Friedrichshöhe umgezogen. Die Deutschen haben von Burg aus genau nach Friedrichshöhe geschossen etwa 40, 50 Granaten. Wir hatten großes Glück, dass das alles Blindgänger waren. Die sind zwar eingeschlagen, aber nicht detoniert. Ansonsten wäre ein furchtbares Blutbad angerichtet worden. Vom Wald aus haben wir beobachtet, wie das haus von Pastor Schliep als erstes in Brand geschossen wurde. Es dauerte gar nicht lange, da kamen in Friedrichshöhe die Amerikaner vorgefahren mit einem Jeep. Wir sind dann noch mal ins Dorf gegangen, um für die Kinder Betten zu holen. Mein Bruder war dabei, der war bei den Soldaten. Normalerweise sollte der nach Magdeburg wieder in die Kaserne, aber mein Vater hatte gesagt: „Pass auf, da fährst du nicht wieder hin. In drei, vier Tagen ist der Krieg vorbei!“ Nun sind wir also nach Hause, um Bettzeug zu holen. Das ganze Dorf war voller Amerikaner. Die waren eigentlich ganz freundlich. Wir hatten uns aus so einer Granate Stangenpulver gebaut, dann flog das durch die Straßen, die Magdeburger Straße hoch bis zur Müllerstraße. Da kam ein Amerikaner, wir sollten ihm das zeigen. Na jedenfalls haben wir die Betten geholt und in so einen sack gestopft. Als wir wieder am Waldrand sind, kommen uns zwei Schwarze entgegen und fragen, wo wir hin wollen, was wir in dem großen Sack haben. Wir haben es erklärt, aber sie glaubten uns nicht. Na jedenfalls haben sie ihr Seitengewehr genommen und den Sack mit den Betten aufgeschlitzt. Die Federn stieben heraus, so dass wir in Friedrichshöhe nur noch mit dem blanken Inlett ankamen. Wenn ich daran denke, Rogätz war damals menschenleer, richtig unheimlich. Schlimm. Ein Pferd kam die Magdeburger Straße hoch gelaufen. Der Amerikaner ging da nicht etwa an die Seite. Der hat seine MP genommen und hat das Pferd erschossen. Dann lag das so auf der Straße bis es später weggeholt wurde. Unten an der Lügenbank standen jede Menge Pferdegespanne. Da war auch die Kasse dabei von der Armee. Die Kasse war getroffen worden. Da haben wir uns das Hartgeld zusammengesucht, das Papiergeld war ja verbrannt. Und bei uns auf dem Hof stand ein Pferdewagen, beladen, der ist vollkommen abgebrannt, auch der Holzdiemen daneben. Nur die Pferde standen noch an der Stange da. Dass das Ganze nicht abgebrannt ist, war ein Wunder. Damals war unser Vater erst in Magdeburg. Er wollte aber die Bombenangriffe nicht mehr mitmachen und hat sich zum Volkssturm gemeldet. Er war in Rogätz verantwortlich für das Ausschachten der Löcher zur Verteidigung. Abends klopfte es mit einmal an der Tür, da kam einer von der SS und sagte, „sie sind doch hier verantwortlich für die Kampftruppen. Wir bringen noch eine große Ladung Panzerfäuste. Wo sollen wir damit hin?“ Halbtrunken vom Schlaf meinte Vater: „Ich habe keine Panzerfäuste bestellt.“ Na, das war ja was. Er musste sich sofort anziehen und mit zur Elbe. Es hatte nicht viel gefehlt und sie hätten ihn da erschossen. Die Panzerfäuste haben sie dann abgeladen. Das war ein bären Durcheinander, schon vorher. Wagen standen etwa vom Friedhof bis zur Fähre. Alles war voll gestellt, darunter Gespanne mit Munition. Die Magdeburger Straße war teilweise verschüttet durch Trümmer. Meyers Haus war zur Hälfte auf die Straße gestürzt und gegenüber das Haus auch. Es war kein Durchkommen mehr. Drei Panzer waren gebaut worden. Eine gleich hier (in der heutigen Max-Planck-Straße), wo der Mühlenweg abzweigt. So ein Blödsinn, da haben sie praktisch nur die Straße und den Weg abgesperrt und nebenan durch die Gärten war alles frei. Die zweite war in der Tangermünder Straße am „Feldschlösschen“ etwa und die dritte in der Magdeburger Straße auf der Höhe von Peter Geue. Naja, jedenfalls saßen denn alle, die in Rogätz was zu sagen hatten, zusammen in dem alten Gemeindebüro, das heute Rolf Böttcher besitzt. Da war doch der Bunker. Dort wurde beredet, was wird, wenn die Amerikaner kommen. Wir mussten dann aus Friedrichshöhe weg, warum weiß ich nicht mehr. Dann sind wir mit dem Handwagen los, wie so ein Treck, erst mal noch Colbitz. Dort haben wir übernachtet in einer Scheune, wo vorher gefangene waren. Hinterher saßen wir voll mit Läusen. Und da meine Mutter eine Schwester in Farsleben hatte, sind wir von Colbitz aus wieder mit dem Handwagen los nach Farsleben. Jetzt rannte meine Mutter schon vorne weg. In Farsleben aber war Typhus, das Dorf war gesperrt. Mutter krabbelte unter dem Schlagbaum durch. Wir mit unserer Familie -zwölf Mann waren wir ungefähr- wollten hinterher. Der schwarze Amerikaner am Schlagbaum meinte zwar, dass keiner durch kann, aber letztlich ließ er uns doch rein. Es war unser Pech, dass wir da überhaupt hin sind zur Verwandtschaft, die hat uns schlechter behandelt als alle anderen. Wir mussten gleich am anderen Tag ran und die Leichen aus dem Zug holen und mit begraben (Güterzug mit internierten ungarischen Juden, die in den letzten Kriegstagen ins KZ gebracht werden sollten. Der Zug irrte tagelang zwischen Magdeburg und Stendal hin und her und blieb durch den Zusammenbruch auf der Strecke stehen. Der Lok-Führer wohnte in Farsleben und war krank geworden. -M. Häusler). Nachher sind wir von Farsleben aus wieder zurück nach Rogätz. Für uns Jungs war es natürlich ein Erlebnis, überall da rumzukrabbeln, wo noch was zu holen war. Da lag unten an der Elbe unterhalb von Grieseckes an der Mauer zum Beispiel ein großes Lazarettschiff von der Wehrmacht. Da war alles drin an Medikamenten und ganze Operationssäle. Aber die Menschen waren ja so dumm und haben alles kurz und klein geschlagen. Die Polen (ehemalige Zwangsarbeiter) waren dort auf dem Schiff und auf uns natürlich nicht so gut zu sprechen. Das kann man ja verstehen, die sind hier rumgelaufen mit dem „P“ auf der Jacke. Dass die nachher einen hass auf uns hatten, war klar. Nun wollten wir uns da mal ein bisschen was aneignen und sind mit einem Paddelboot zum Schiff hingefahren. Da haben sie uns aber gehört. Amerikaner, die bei den Polen waren, kamen raus mit einem Karabiner uns schossen auf uns. Wir sind rangefahren an den Buhnekopp und die Polen haben uns geprügelt bis ins Schloss, wo der amerikanische Kommandant war. Wir sind da reingekommen und haben fast geweint. Der Kommandant saß da so, seine Beine hochgelegt auf den Tisch und fragte, wie alt wir sind. Wir wollten Englisch sprechen und sagten „fufftien.“ Darauf lachte der Offizier und ließ uns in den Keller einsperren bis es dunkel war. Nachher haben sie uns sachte wieder rausgelassen. Vorher kam meine Schwester noch und hat immer doller geheult vor dem Kellerfenster. Sie hat uns eine Stulle gebracht und gefragt, wie lange wir noch dort bleiben müssten. „Kommt man bald nach Hause!“ sagte sie uns. Als wir dann im mai nach der zweiten Evakuierung wieder zurück in den Ort kamen, hieß es dann bald: Alle Jugendlichen von 16 Jahren an morgens antreten an der Schule! Wir dort hin, mein Bruder (der nicht mehr zur Truppe zurückgekehrt war) stand neben mir. Bürgermeister Karl Schulz kam, zeigte auf meinen Bruder und sagte: „Du warst Soldat!“ Auch Alfred Albrecht war da noch, der Soldat war. „Raus, raus, raus!“ Die mussten sich rechts hinstellen. Anschließend wurden die bei Theuerkaufs in den Keller gesperrt. Da saßen schon mehrere, die sie am nächsten Tag weggeschafft haben in die Gefangenschaft. Von dort kam mein Bruder nach Belgien. Zwei Jahre später war er wieder zu Hause, schwer lungenkrank. Er hat nur noch ein halbes Jahr gelebt. Es gab ein großes Gefangenenlager in Rogätz, das etwa sechs bis acht Wochen an der Ziegelei bestand. Dazu hatten sich die Amerikaner am Kanal etliche Pappeln abgesägt und davon Wachtürme gebaut. Aber einen Tag vergesse ich nie und zwar, als hier die Verbrüderung war. Das war ja was für uns Jungs. Die ganze Elbe war auf dieser Seite voll Amerikaner. Die hatten alles so schön geschmückt. Sie hatten eine große Fähre gebaut mit einem roten Teppich und dann sind sie nach drüben gefahren. Da standen die Russen mit ihren Panje-Wagen und die haben sie dann rübergeholt. Hier stand eine große Kapelle und auf der anderen Seite eine von den Russen und haben Musik gemacht. Und am Elbdamm auf der Rogätzer Seite haben sie Verbrüderung gefeiert. Wir rein in die Ami-Autos. Da wollten sie uns fast verhauen. Aber einer hat uns dann doch noch so ein Paket gegeben, solche K-Rationen, wo Kaugummis und Zigaretten drin waren. Und jetzt kamen die Russen rüber. Da haben die Amerikaner die besoffen gemacht, so was habe ich noch nicht gesehen. Die lagen hier an der Elbe rum bis zum nächsten Tag. Daran müsste sich eigentlich so mancher noch erinnern, es waren do viele Leute da. Damals wurde die Elbe auf beiden Seiten bewacht, hier von den Amerikanern und drüben von den Russen. Und wir sind öfter mit einem Boot hochgefahren zum Masten, da lag der Kahn von Zehmann aus Rogätz. Der war glaube ich, so gar untergegangen. Als wir da ran kamen, wurde von den Russen mit MG auf uns geschossen. Darum hatten wir vor denen höllische Manschetten. Der Hass war ja damals ungeheuer groß. Und die ersten, die hierher kamen von den Russen, waren so eine Art Mongolen. Da hatte man richtig Angst. Als die Krieg vorbei war, lagen in der Ohre mindestens 50, 60 Kähne und Dampfer. Das war dort ein richtiger Winterhafen. Ein Kahn war mit Zuckersäcken beladen. Die haben wir geholt. Die Säcke wurden aufgeräufelt und wir bekamen davon was gestrickt. Das Zeug hat furchtbar gekratzt. In Rogätz war überhaupt allerhand eingelagert, zum Beispiel Stiefel für den Volkssturm. Das hat alles bei Aldags gelegen. Als nun der Staat so sachte auflöste, hat sich jeder was geholt an Volkssturmstoff und Stiefel. Es wurde viel Unsinn getrieben. Es war eben keine Organisation mehr, es herrschte wüstes Chaos.
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Erinnerungen von Gertrud Ittner geb. Leufert Die Kirschbäume blühen im Teichgarten
Ich erinnere mich, dass es in diesen Apriltagen sehr warm war. Die Soldaten haben sich bei uns auf dem Hof in der Magdeburger Straße gewaschen. Mein Onkel, Martin Leuffert, meinte zu mir und meiner Mutter: „Bleibt nicht allein, kommt zu uns zum Katerberg!“ Als wir noch schnell einiges im Keller verstauten, stand Ortsgruppenleiter Bruno Steffens vor unserer Tür und erzählte mit einem Offizier. Ein Kradmelder kam angefahren und meldete: „Herr Hauptmann, Feindberührung im Nachbarort Angern!“ Wir machten schnell alles dicht und ließen die Jalousien runter. Rogätz wurde meines Erachtens in der Nacht vom 12.zum 13.April 1945 eingenommen. Der deutsche Stab war im Haus von Schlieps in der Bahnhofstraße untergebracht. Es war wohl eines der ersten Häuser, die kaputt waren. Wir saßen bei meinem Onkel Martin im Keller. Bei uns war auch Familie Klaus aus Magdeburg. Wir haben die Schießerei draußen gehört und hatten natürlich große Angst. Eine Flakbatterie aus Blumenthal hat genau auf die Fährstelle gezielt um die Amis nicht rüber zu lassen über die Elbe. Die Fähre hatte zu diesem Zeitpunkt schon auf der Ostseite auf Grund gelegen. Reinhold Nahrstedt und Herr Woge kamen in der Nacht an der Elbe entlang -trotz Beschuss- und zu uns in den Keller rein. Wir fragten gleich: „Was ist mit unserem Haus?“ Die Antwort: „Das war eines der ersten.“ Am anderen Tag haben Frau Klaus und meine Mutter -sie waren die Mutigsten- um die Ecke geguckt, ich hinterher. Ich bin durch den Teichgarten gelaufen, dort stand eine alte Bude. Ich weiß noch, dass die Kirchblüten blühten. Plötzlich hörte ich jemanden stöhnen. Es war ein deutscher Soldat. Er sei Walter Seemann aus Kiel hat er mir noch erzählt. Aber ich hatte nicht den Mut, bei ihm zu bleiben. Von unserem Haus haben nur noch die Wände gestanden. Es wurden später Kanister von der deutschen Wehrmacht gefunden und erzählt, sie hätten die Häuser angesteckt. Mutters neues Esszimmer und der neue Teppich sind aus dem Keller herausgeklaut worden. Deutsche Fahrzeuge voller Munition ließen die Soldaten auf der Flucht zurück. Die Lkws standen von Hennings bis Theuerkaufs. Das heutige Janottsche Haus (damals Albert Düttkopp) war kurz und klein. Die Munitionstransporte sollte zunächst gesprengt werden, aber dazu ist es nicht mehr gekommen. Mit den langen Geschützrohren sind sie bei Ebels fast nicht um die Ecke gekommen. Das sollen die gewesen sein. die uns von Blumenthal aus beschossen haben. Schließlich sind die Amerikaner ins Haus von Onkel Martin und Tante Martha am Katerberg gekommen. Bei uns hat ein Sergeant Miller gewohnt. Er hat vor dem Radio gesessen und von der Kapitulation gehört. Er hat sich so gefreut und geheult. Er war etwa Anfang 20. Wir haben später unten an der Elbe mit den Amerikanern im Boot gesessen, erzählt und gesungen. Das Boot lag dort, wo heute der Anleger der Wassersportgemeinschaft ist. Nach den Amis sind die Engländer gekommen, danach die russen. Da war Panik im Dorf. Bürgermeister Hilker meinte: „Ihr braucht keine Angst haben. Ich seh’ schon zu, dass Euch nichts passiert!“ Der Stab der Russen ist einmal mit dem Boot nach Tangermünde zu einer Feier gefahren. Hermann, der Fährmann und Bootsführer, wurde dort so besoffen gemacht, dass ich dachte, er stirbt. Abends ist er immer Patrouille mit dem Boot gefahren. Die Amerikaner -hat Hermann berichtet- hätten die Russen auf der anderen Uferseite gar nicht angeguckt. Wenn Deutsche zu sehen waren, hätten sie gewunken. Junge Mädchen waren dann im Einsatz zum Steineklopfen. Ich brauchte nicht, weil zuhause genug zu tun war. 1948 sind wir wieder in unser Haus eingezogen. Der Baubetrieb August Rusche hatte das Haus wieder aufgebaut. Das „Elbschlösschen“ lag im April 1945 unterhalb von Leufferts am Katerberg. Dort haben es die Amis in Augenschein genommen und ganz vorsichtig geguckt. Es hat dort eine Knarre an der Wand gelehnt, als sie umfiel, hat sich der Soldat mächtig erschrocken. Sie haben das Elbschlösschen dann weggebracht. Onkel Martin war von den Russen erst in den Kultturm gesteckt und dann nach Schartau in einen Keller gebracht worden. Wir haben ihm eine Kanne Kaffee und was zu essen gebracht. Als Martin wieder frei war, haben wir ein Fest gefeiert. Anfang der 50er Jahr wurde eines Tages am Fährdamm ein Russe angeschwemmt. Hermann Leuffert hat ihn gefunden. Er wurde gleich für zwei Tage von den Russen mitgenommen. Ihm wurde unterstellt, er habe den Russen totgeschlagen und in die Elbe geworfen. Später wurde aufgeklärt, dass das gar nicht möglich war, der Russe schon länger im Wasser lag und hier erst angetrieben wurde.
Schilderung von Reinhard Steinwerth In Friedrichshöhe waren wir sicher
Vom 12. zum 13.April 1945 wurde Rogätz von amerikanischen Truppen besetzt. Zwischen dem 10. und 12.April zogen sich die deutschen Truppen über die Elbfähre Rogätz in Richtung Schartau. Die Fähre musste bis zuletzt übersetzen. Es war schon Geschützdonner von Angern zu hören. Um 14.Uhr entschloss sich der Fährmann Martin Leuffert einen Anhänger der Wehrmacht über die Fähre rollen zu lassen. Dadurch ging die Fähre unter. Dann war Schluss mit dem Übersetzen. Gegen Abend des 12.April wurde der Geschützdonner von amerikanischen Kanonen immer schlimmer. Da die Amerikaner einrückten wurde, Rogätz von der deutschen Artillerie von Burg aus unter Beschuss genommen. Dadurch wurden die Häuser der Magdeburger Straße 1 bis 15 stark beschädigt. Die Häuser der Gaststätte Marx (heute Schlecker), Michaelis, Ebel, Zabel, Kohlen-Schmidt, Bauer Junge, Meyer-Schulze (heute Kuske), das Geschäft von Karl Staacke (heute Platz vor der Turnhalle), Gertrud Leuffert (Ittner) und Wilhelm Steinwerth (heute Inge Steinwerth) waren ausgebrannt. Die Bevölkerung von Rogätz flüchtete am Abend und in der Nacht vom 12. auf den 13.April in Richtung Friedrichshöhe. Da waren sie sicher. Zwei bis drei Tage später kehrten sie -Frauen, Kinder und alte Leute- wieder zurück nach Rogätz. Da sahen wir die zerstörten und ausgebrannten Häuser der Magdeburger Straße. Wir wohnten am Fährdamm bei Ebel (heute Martin Treffkorn). Es war alles ausgebrannt. Wir hatten nur noch das, was wir am Leibe trugen. In den Straßen lagen tote Pferde, Kühe und Schweine. Tagelang. Weil der April warm war bis 20 Grad, stank die ganze Gegend. Viele Häuser, wo die deutschen Soldaten rausgeschossen hatten, wurden von Amerikanern in Brand geschossen. Sie brannten total aus. Das waren die Häuser von Pastor Schliep, fritz Schulz in der Tangermünder Straße, Gaststätte „Magdeburger Hof“ Wuttke (heute in der Max-Planck-Straße), Palms, Behrens und Bühnemann in der Brinkstraße. Am 18.April haben die Amerikaner Rogätz straßenweise evakuiert nach Angern, Mahlwinkel, Colbitz und Born usw. Weil die Deutschen von Burg aus mit der Artillerie weiter geschossen haben. Denn das gebiet von Elbe bis Oder war noch in deutscher Hand. Der Fährdamm war vermint. Die Evakuierung der Rogätzer dauerte zwei bis drei Wochen, dann konnten sie zurück. Die Amerikaner richteten in der Ziegelei (heute Betonwerk) ein Kriegsgefangenenlager für deutsche kriegsgefangene ein, wo ca. 15.000 bis 20.000 eingesperrt waren.
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Noch kurz ein Wort zur Veröffentlichung des Heimatvereins Rogätz. Sicherlich war 2005 beim Erscheinen derselbigen nicht der gleiche Wissensstand wie heute vorhanden. Nur, Frau Häusler hat journalistisch gearbeitet und da gehe ich schon davon aus, dass zumindest in einem gewissen Umfang vernünftig recherchiert wird. Außerdem wäre es sicherlich nicht falsch, zumindest zu dieser Veröffentlichung eine Ergänzung zu bringen, die die neueren Erkenntnisse berücksichtigt. Wie allerdings die ungarischen Offiziere nach Rogätz gekommen sind, frage ich mich. Zwar ist bekannt, dass sich unter den Truppen, über die Raegener verfügte, sich auch eine geringe Anzahl ungarischer Armeeangehöriger befand, nur klärt das deren Anwesenheit in Rogätz noch nicht vollständig. Ganz zu schweigen von den SS-Angehörigen in Kehnert und Umgebung. MfG Rüdiger