Erinnerungen des Pfarrers Wischeropp an das Kriegsende in Niegripp, Schartau und Umgebung
Ausschnitt der Abschrift vom 27. November 1950, des Dokumentes für den Turmknopf des neuen Kirchturmes
Schwer und ernst sind die jähre die hinter uns liegen, sehr ernst ist die Zelt geblieben. Der fetzt amtierende und für die Nachwelt schreibende Pfarrer Otto Wischeropp geb. 02.12.1895 In Möllenbeck (Altmark) war 18 Jahre Pfarrer in Erfurt und kam Ende Mal 1943 nach Schartau. Während des zweiten Wellkrieges. Wie so oft war Fliegeralarm als die Deutschen die Luftherrschaft verloren hatten, kamen die englischen und die amerikanischen Bombergeschwader fast täglich, wochenlang Nacht für Nacht nach Berlin, wie oft In Großangriffen zur Zerstörung der Städte, auch solcher, die keine Kriegsindustrie besaßen. Schrecklich war die Nacht In der wir den geröteten Himmel durch die zitternden und klirrenden Fenster beobachteten, als Im Januar 1945 Magdeburg zerstört wurde, die ganze Altstadt, genau Im Anschluss an die vorher zerstörte Neustadt. Wie viel Tote mögen noch heute unter den Trümmern liegen! Als ich mit unserem jungen Jost einmal am Deich spazieren ging, kam plötzlich eine Kette feindlicher Jagdflieger angeflogen, wovon einer uns sofort unter Feuer nahm, glücklicherweise ohne uns zu treffen, auch Bauern und Arbeiter auf dem Felde wurden häufig beschossen, so dass die Feldarbeit in Frage gestellt wurde. Manchen Luftkampf habe ich beobachtet, neunzehn Abschüsse gesehen, obwohl man sich nach Vorschrift im Keiler aufhielt. Auch in Schartau, und Niegripp sind Bomben abgeworfen worden, In Niegripp einmal 36 Bomben, die glücklicherweise meist ins Feld fielen. Am östlichen Dorfrand gegenüber der Kirche wurde ein Haus neben dem Gasthaus „Zum grünen Baum“ völlig zerstört, dabei die Witwe des Lehrers und Standesbeamten Kersten, und eine aus Berlin evakuierte junge Frau mit ihrem Kinde getötet wurden. Während der letzten Kriegsjahre wurden in zunehmendem Maße besonders Alte, Frauen und Kinder evakuiert, wertvolle Dinge aus den Bomben gefährdeten Städten aufs Land verlagert. Zum Aasgang des Krieges kam der ständig zunehmende Strom der Flüchtlinge hinzu, die teils vor dem über ihr Land hinbrandenden Krieg flüchteten, teils von Bussen oder Polen aus ihrer Heimat ausgewiesen wurden. Durch die Flüchtlinge wuchs Schartau von 750 auf 1060 Seelen, Niegripp von 1250 auf 1558, Heinrichsberg das ein Teil der Kirchengemeinde Niegripp Ist, von 450 auf 762 Seelen. Durch Teilung des Gutes in Heinrichsberg konnten viele Umsiedler (Flüchtlinge) als „Neubauern" - auch viele ehemalige Fremdarbeiter - Je 20 morgen Land - untergebracht werden. Güter und Landwirtschaften über 100 Hektar, gleich 400 Morgen, wurden nach dem Kriege wegen dem „Junkertum" ohne Vergütung ganz enteignet, viele solcher Großgrundbesitzer flüchteten nach in den „Westen". Damit sind die Teile gemeint, die von Amerikanern, Engländern und Franzosen besetzt sind. Die meisten konnten nur mitnehmen, was sie in der Hand tragen konnten. Groß war gegen Ende des Krieges der Strom der Flüchtlinge die über die Elbe wollten. Im Pfarrhans suchten viele Zuflucht in der Nacht: Soldaten bis zum General, von den Zivilpersonen meist solche aus dem Osten, Polentrecks mit Pferden und Wagen. Letztere kamen nicht mehr über die Elbe, als die Rassen kamen. In Massen strömten sie ins Pfarrhaus, indem sofort die westliche Hälfe mit sechs Räumen beschlagnahmt wurde. Die Pfarrfrau flüchtete sofort mit dem noch nicht 5 jährigen Söhnchen auf die Straße, wo sie zwei Stunden herumirrte. Niemand im Dorf ließ sie auf den Hof, um nicht in den Verdacht zu kommen eine Pfarrfrau zu verstecken. Bis ihr auf der Strafte von einem Mann des Polentrecks gesagt wurde, das eben Ihr Mann erschossen sei. Mitten durch die vielen russischen Soldaten, die dauernd nach ihr verlangt hatten, bahnte sie sich den Weg. Nach Auskunft eines Heilpraktikers, der in Schartau als Arzt fungierte, waren allein von Schartau, in den allerersten Wochen, 56 vergewaltigte Franen und Mädchen hilfesuchend zu Ihm gekommen. Die ersten Monate der Besatzung waren in jeder Weise unsicher. Überfälle, Beraubungen, Einbrüche, Diebstähle gab es tagtäglich. Mancher hat sein Leben lassen missen, wenn er sein Rad mit dem er unterwegs war, nicht hergeben wollte. Von den Weiden wurde das Vieh weggetrieben, aus den Ställen holte man sich was man haben wollte, In Nlegripp habe ich folgendes über den Bauern, Paul Könlgsmark, erfahren, der 57 Jahr 7 Monate alt war. Am 6. Oktober 1945 war ein Raubmord in der Gossel beim Mistfahren verübt worden, als er sich seine Zugtiere, ein Pferd und eine Kuh, nicht ausspannen lassen wollte. Er Ist erschossen worden, von einem in fremder Sprache redenden, mit russischer Uniform bekleideten Menschen (von einem russischen Soldaten darf man nicht sagen, dann macht man sich selber strafbar), in Verbindimg mit drei Deutschen, darunter einem Einbeinigen und einem Vierzehnjährigen. Weil die Gefängnisse, Zuchthäuser und KZs (Konzentrationslager) uneingeschränkt geöffnet wurden, kamen auch die Kriminellen Verbrecher frei und erhöhten die Unsicherheit. Manche von Ihnen stellten sich hinter die Russen und ließen sich in besondere Stellungen, zum Beispiel als Bürgermeister, einsetzen. Sie beschlagnahmten dann nach Herzenslust etwa Fahrräder, Sonntagsanzüge für russische Offiziere, Motorräder, Autos, Schreibmaschinen, Möbel, alles im Namen der Russen, die bisweilen nichts davon gewusst haben mögen. Am 5. Mai 1945 kamen die Russen in Niegripp und Schartau an die Elbe. Vorher mussten wir schon wochenlang im feuchtkalten Keiler zubringen, wegen des amerikanischen Artilleriebeschusses - in einer Nacht wurde Schartau über 7 Stunden beschossen, immer dicht am Turme Kirche vorbei, indem ein deutscher Beobachtungsposten war, zugleich auch die Feuerleitstelle der in der Gossel gelegenen fünfzehn Zentimeter Haubitzbatterie. Ihr Hauptmann hatte es sich In den Kopf gesetzt die Werft, den dicken Turm auf dem Gutshof und das Herrenhaus des Gutes zu zustören. Allein dem unermüdlichen, energischen Einspruch und der Widerlegung mit allen Mittel, seitens des Pfarrers Otto Wischeropp In Schartau ist es zu verdanken, dass diese und andere Teile von Rogätz erhalten geblieben sind. Am 11. April 1945 hörte man zum ersten Male an der Elbe das näherrückende Geschützfeuer von Westen her. Am l2. April 1945 erlebten wir die müden zurückflutenden deutschen Truppen. Man erwartete in Kürze den amerikanischen Elbübergang bei Rogätz. Am 14. 04.1945 fiel in Niegripp der 59 jährige Rentner August Arendt durch feindlichen Artilleriebeschuss. Am 15. 04.1945, gerade am 33. Geburtstag der Pfarrfrau, gab es den ersten amerikanischen Artilleriebeschnss Schartaus, der Gottesdienst musste in folge dessen ausfallen, auch eine Taufe konnte nicht gehalten werden. Am 16. 04. 1945 wurde der Witwe Else Wagner 14 Tage vor Ihrem 52. Geburtstag, durch Artilleriegeschosse ein Bein abgerissen. Als die Angehörigen vom Keller hochkamen war die Mutter verblutet. Am gleichen Tage wurde In Niegripp Sonja Braumann durch Beschuss getötet, ihre Schwester Ingeborg im Gesicht verletzt. Am 20.04.1945 wurde der Frankenhof vom Gut Blumenthal durch Phosphorgranaten von Rogätz her, in Brand geschossen, der nachts lichterloh brannte. Am 21.04. wurde wegen der Räumung Schartaus aufgeregt in den Strafen verhandelt. Gegen Abend Bekanntgabe durch den Gemeindediener, Räumung ist freiwillig, Ziel ist Tryppehna, Lühe und Möckern. Jeder Zivilist muss von 20 - 6 Uhr in eigener Behausung bleiben. In Schartau wurde der Bauerntochter Ursula Zander, als sie die Kühe von der Koppel dicht am Dorfrand holen wollte, durch Artilleriebeschuss ein Bein abgerissen. Mit Mühe konnte sie geborgen und gerettet werden. In Schartau war das der einzige Vertust. Am 5. Mai 1945 wurde die Elblinie von den Russen besetzt. Für längere Zeit trennte die Elbe die beiden Welten Russland und Amerika. Viele Wochen konnte keiner auf die Elbwiesen gehen. Traurig hörte sich das Brüllen des hungernden Rindviehs in den Ställen an. Vorbei war der Beschuss an der Hauptkampflinie, die am nahen Deich verlief (vom Küchenfenster des Pfarrhauses sah man die Geschossexplosionen) aber es sollten auch andere Dinge folgen. Gottesdienste fielen aus - trotz des Beschusses auch mal eine Taufe gehalten. Ständig gab es ringsum Waldbrände, bis zu 7 verschiedene an einem Tage, von Kirchturm zu sehen. Höchstbestand der Russenbesatzung in Schartau 2000 Mann. Pfarrhaus stark belegt vier Monate lang, während andere Häuser nur drei Monate lang belegt wurden. Über 50 Feldbetten waren in unserem Hans aufgestellt, die Küche wurde als Offiziers-, die Waschküche als Mannschaftsküche, ein Stall als Lagerraum, der Hauskeller als Arrestzelle, benutzt. Außerdem standen im Hofe 2 Feldküchen, mehrere Wagen und sechs Pferde. Im Flur hantierte ein Soldat als Frisör. Ebenso war bei uns die Löhnungsauszahlungsstelle und die Registriersteile für alle Zivil- und Militärgefangenen, die über die Elbe kamen, so das plötzlich bis 150 Mann auf unserem Hofe lagerten. Drei verschiedene Truppenteile lösten sich hier hintereinander ab, so dass wir über ein viertel Jahr die Zimmer nicht betreten durften. Als alles abgezogen war merkten wir, was wir noch alles besessen hatten! in der Sebastianskirche in Schartau ist wenigstens neunmal eingebrochen worden, im Pfarrhaus vom Keller bis zum Boden wohl zwanzig Mal. Die Kreuzkirche in Niegripp hat durch den Krieg stark gelitten. Da ein deutscher Beobachtungsposten im Turm war, wurde sie mehrfach unter Feuer genommen und hat Volltreffer erhalten die ziemliche Verwüstungen anrichteten. Das Dach und das Tunmgebälk wurden teilweise zerschlagen und zersplittert, auch der Glockenstuhl, die große alte Glocke aus dem 16. Jahrhundert wurde zerschossen, ein größeres Stück abgeschossen, dass später gestohlen wurde. Splitter und Trefferspuren im Mauerwerk, bis stubengroße Löcher Im Kirchendach und viele Fenster gingen entzwei. Der Kircheninnenraum wurde nicht getroffen. Soweit die Schäden durch den amerikanischen Artilleriebeschuss. Die Kreuzkirche zu Niegripp wurde nach Kriegsende von den Russen besetzt, die einen Beobachtungsposten oberhalb der Glocken einrichteten, der die Elbe mit Ferngläsern absuchte, nach Solchen, die über die Elbe zu den Amerikanern überwechseln wollten. Sofort wurde die Wache an der Elbe telefonisch verständigt, die dann vor dem Schwimmer mit Maschinenpistolen herumschossen, so dass dieser umkehren musste und festgenommen wurde. Um die Kirche herum, auf dem ehemaligen Kirchhof, lag eine motorisierte Abteilung, die manches hier gebrauchen konnte. Aus einem in der Sakristei im Schrank hängendem Talar, aus dem Türvorhang hinter dem Altar, der Kanzelbekleidung und dem Samt der Kniebank wurden Putzlappen gerissen. Der Altar, die Sakristeitür und anderes wurden als Brennholz verbrannt, alle Bücher (Agenden, Noten, Gesangbücher) zerrissen und in kindischer Sorgfalt die roten Backsteine des Fußbodens mit Einzelblättern bedeckt, dass kein Stein zu sehen war; eine sehr alte wertvolle Bibel wurde mit einem Dolch, etwa 80 Seiten tief, zerstochen, nach dem der Seitenverschluss zerstört wurde, eine Christusstatue In der Sakristei zertrümmert und die Wasa Sakra geraubt, die große Orgel stark beschädigt, aus dem unbeschädigten Uhrwerk einzelne Teile herausgeschraubt, die Sakristei als Abort benutzt und vieles mehr. Durch die Bürgermeisterei aufgefordert, haben Frauen der Gemeinde die Kirche wieder gereinigt, in Schartau konnte nach Aufforderung eines Majors („Pastor soll in Kirche arbeiten") zu Pfingsten der erste Gottesdienst unter dem Schutze der roten Armee gehalten werden. In Niegripp war das wegen der Unsicherheit der Wege nicht möglich, in Niegripp und in Heinrichsberg wurde der erste Gottesdienst erst wieder zum Erntedankfest gefeiert, am 30. September 1945. Kurz nach dem erscheinen der Russen, bereits am 8. Mai 1945, wurden In Niegripp vier ehemalige Nationalsozialisten hinterrücks erschossen, nachts, unter dem Vorwand sie retten zu wollen: Hermann Helmich, Karl Dehne, Paul Fabian, der Schulleiter Alfred Seewald. Wie sich später herausstellte, hatten die Russen damit nichts zu tun. Üble Elemente unter Leitung eines verbrecherischen Rheinländers hatten 24 Männer und Franen auf die Todesliste gesetzt. Mehrere Frauen gingen aus Furcht vor den Russen ins Wasser, aus der 6ossel ein altes Ehepaar im Alten Kanal. In den Gebäuden des ehemaligen Gutes in Niegripp war von Berlin ein Teil der Kriegsmarineschüler (Modellbau) untergebracht. Beim Zusammenbruch wurde von den Insassen alles genommen, wertvolle Modelle vernichtet (auch mittelalterliche und historische). Mit den Uhrzeiten musste man aufpassen, in dem einen Sommer gab es 3 verschiedene Zelten: die mitteleuropäische (die Normalzeit), die deutsche Sommerzeit, wo die Uhren eine Stande vorgestellt wurden, und die russische Zeit ( Moskauer Zelt) wo die Uhren 2 Stunden vorgestellt wurden. Dazu kam das der eine Kommandant die Sommerzeit einführte (wie es angeordnet war) und der andere nicht. Nach geraumer Zeit hatte sich aber alles eingespielt. Am 9.Seplember 1944 steckte ein etwa 5 Jähriger Berliner Junge einer evakuierten Familie, am ein Feuer zu haben, in Schartau beim Bauer August Schmidt, wo er wohnte, die Scheune abends gegen 8 Uhr an. Mit grober Geschwindigkeit verbreitete sich das Feuer! Die große Scheune und sämtliche Stallgebäude von August Schmidt und Erich Mewes; letzterer ist dem Pfarrhaus benachbart, brannten nieder. Mewes Scheune lag nur 10 Meter vom Pfarrgiebel entfernt. Die Dorfbewohner räumten das Pfarrhaus aus, am nächsten Tag fiel der Gottesdienst aus. Die Kirche stand voll von Hausgeräten usw. So hell leuchtend war das Großfeuer, dass aus der Umgegend 24 Feuerwehren erschienen waren und das Feuer auch deutlich von Stendal aus gesehen werden konnte.
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Zum Ende der NS- Diktatur und des Krieges hatte das kleine Niegripp 121 Tote als Folge direkter Kriegseinwirkungen zu beklagen. Zu ihnen kamen noch 25 – 30 vermisste. Hinzuzuzählen sind auch noch die zahlenmäßig nicht erfassten Opfer der Flüchtlingstrecks, deren Überlebende aus den früheren deutschen Ostgebieten hier zunächst Aufnahme und später eine neue Heimat fanden. Da das Kriegsende in Niegripp auch mit den Kampfhandlungen in und um Rogätz, Heinrichsberg und Glindenberg verbunden war, wurden hier viele Häuser durch Beschuss ganz oder teilweise zerstört. Auch die Viehbestände vielen den Kampfhandlungen zum Opfer. Restbestände raubten oder requirierten dann die einmarschierenden Truppen der Roten Armee. Die Rogätzer oder Heinrichsberger Bevölkerung hatten größtenteils ihre Orte verlassen müssen und in den Wäldern der Umgebung Zuflucht gesucht. Als sie zurück kamen, fanden sie z.T. geplünderte Wohnungen vor. Entschädigungen irgendwelcher Art gab es weder für die ortsansässige Bevölkerung noch für die Umsiedler / Flüchtlinge. Alle Einbußen waren somit der Preis für die national- sozialistische Gewaltherrschaft und den verbrecherischen Krieg.
Zwei Opfer dieses Regimes seien hier mit Namen genannt: Wilhelm Alich, wegen Wehrkraftzersetzung vom Volksgerichtshof am 29. September 1943 unter Roland Freisler zum Tode verurteilt und hingerichtet; Otto Schlehf, der seine kommunistische Überzeugung nicht verleugnete und innerhalb seines Einsatzes bei der Organisation Todt 1941 in Frankreich auf ungeklärte Art und Weise ums Leben kam.
Verschwiegen werden darf auch nicht, dass es nach Kriegsende 1945 Internierte oder Verschleppte gegeben hat, die nicht wieder zurückkehrten, weil sie ohne Verhandlung und Urteil in den berüchtigten NKWD- Lagern zu Tode kamen.
Entsprechend des Abkommens in Jalta (Februar 1945) räumten am 1. Juli 1945 amerikanische und britische Truppen (Schotten) hiesige Teile des von ihnen besetzten westelbischen Gebietes. An ihre Stelle traten Sowjetische Streitkräfte als Besatzungsmacht. Die Kommandantur hatte ihren Standort zunächst in der Schule (Rogätz), dann in der Gaststätte „Elbgarten“ und schließlich im Wohnhaus am Sägewerk in der Müllerstraße. Der Ortskommandant ernannte einen neuen Bürgermeister. Die Aufräumungsarbeiten im Dorf wurden fortgesetzt. Elbkähne die beim tagelangen Beschuss von den Schiffsbesatzungen verlassen worden waren, wurden durch zivile Arbeitskommandos aus dem Dorf, entladen. Nahrungsmittel wurden an die Einwohner verteilt, Baumaterialien fanden zur Reparatur beschädigter Häuser Verwendung. Trotz vieler Schwierigkeiten begann sich das Leben in Niegripp in der zweiten Hälfte des Jahres 1945 allmählich zu normalisieren.
In diesem Zusammenhang steht der Bericht von Inge Growey, geb. Braumann aus Niegripp, der den Tod ihrer Schwester Sonja – dem letzten Opfer Niegripps – schildert, und der von Wolfgang Grune aufgeschrieben wurde.
Sonja Braumann - das letzte Kriegsopfer in Niegripp
Im April 1945 rast die Kriegsfurie auch auf das Jerichower Land zu und fordert noch zunehmend Opfer unter der Zivilbevölkerung. Die Rote Armee befindet sich in schnellem Vormarsch zur Elbe und treibt sich auflösende Wehrmachtsverbände der 12. Armee Wenck und Flüchtlingstrecks aus den deutschen Ostgebieten vor sich her. Unter ihnen befinden sich auch Wehrmachtsangehörige, die nur noch nach Hause wollen. Der von den deutschen Faschisten entfesselte Krieg schlägt nun auf sie selbst zurück und fordert in den letzten Tagen noch viele Opfer. ZU diesen Opfern zählen auch viele unschuldige Frauen und Kinder und alte Menschen, die der Krieg aus ihrer angestammten Heimat vertrieben hat.
Mitte April 1945 befindet sich auch die Luftnachrichtenhelferin Inge Braumann (später Growey), ein hübsches Mädchen von knapp 20 Jahren auf dem Weg in ihre Heimatgemeinde Niegripp. In der Tasche hat sie einen von ihrer Einheit in Potsdam- Eiche ausgestellten Urlaubsschein, wohlwissend, dass sie nicht in ihre Einheit zurückkehren kann und wird. Mit der Eisenbahn kommt sie nur bis Güsen. Hier ist Entstation, so dass ihr nichts anderes übrig bleibt, als zu Fuß weiterzulaufen. Sie kommt wohlbehalten nach Burg, wird auf der Kanalbrücke bei den Knäcke-Werken von einem Militärposten aufgehalten, kontrolliert und nach ihrem Ziel befragt.
Sie ist sehr erschrocken, als sie von einem Offizier erfährt, dass Niegripp von den Amerikanern, die inzwischen das westliche Ufer der Elbe erreicht hatten, in Schutt und Asche gelegt worden sei. Als sie jedoch an ihrem Vorhaben festhält, fährt man sie mit einem Militärfahrzeug in ihr Heimatdorf. Dort angekommen, fällt ihr ein Stein vom Herzen, als sie feststellen kann, dass sich die Mitteilung von der totalen Zerstörung des Dorfes nicht bestätigt.
Als das Mädchen in ihrem Elternhaus (am 16. 4. 45) niemanden antrifft, macht sie sich auf den Weg zu ihrer Tante Anna Eggert, bei der sie dann, wie vermutet, auch ihre Mutter und ihre Schwester Sonja findet. Das Haus der Tante ist durch Artilleriebeschuss total zerstört und unbewohnbar, und so macht man sich bald darauf auf den Weg zu guten Bekannten. Dieser Weg führt entlang des Deichwalles. Im Schutze dieses hohen und starken Walles fühlt man sich relativ sicher. Was man aber nicht weiß, ist, dass sich in dem fast ununterbrochenen über Heinrichsberg kreisenden langsamfliegenden Eindecker ein Beobachter der amerikanischen Artillerie befindet, die auf der anderen Seite der Elbe Stellung liegt. Dieser kann natürlich die Straße hinter dem Deichwall einsehen und meldet die Bewegung auf der Straße sofort seiner Einsatzleitung.
Es geschieht das Unfassbare. Eine der abgefeuerten Granaten trifft eine Mauer in unmittelbarer Nähe der beiden Frauen und der Schwester Sonja. Alle drei werden schwer verletzt. Inge liegt regungslos auf der Straße. Sie hat infolge einer Kopfverletzung vorübergehend das Augenlicht verloren und ist linksseitig gelähmt. Ihre Mutter bleibt schwer verletzt auf der Straße liegen. Sonja, die im Schock nicht gemerkt hat, dass sie ebenfalls schwer verletzt ist, sucht in einem Keller Zuflucht, bis man feststellt, dass aus ihrer von einem Granatsplitter aufgerissenen Bauchdecke die Eingeweide hervordringen. Darauf bringt man die Verletzten in das Krankenhaus nach Burg. Das Krankenhaus ist total überfüllt. Den Operationssaal hatte man in den Keller verlegt. Beide Mädchen und ihre Mutter werden sofort operiert.
24 Stunden nach ihrer Verletzung stirbt die kleine Sonja, ein lebenslustiges hoffnungsvolles Kind, im Alter von 10 Jahren, und lässt eine verzweifelte Familie zurück. Sie ist das letzte zivile Opfer dieses unsinnigen Krieges in der Gemeinde Niegripp. Der Vater, der sich zu diesem Zeitpunkt als Elbschiffer in Dresden befindet, bekommt seine Tocter nicht mehr zu sehen. Inge und ihre Mutter können gerettet werden. Heute ist Inge Mitglied des Reichsbundes der Kriegs- und Wehrdienstopfer geworden und trifft dort auf Menschen, denen der Krieg ebenfalls übel mitgespielt hat.
Quelle: Wolfgang Grune, Volksstimmebericht über das Schicksal von Inge Braumann (Growey), 18.3.1995.
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Marianne Fehse aus Hohenwarthe: „Ich arbeitete beim Wasserstraßenamt- Schleuse Niegripp und erlebte dort Bomber- und Tieffliegerangriffe“
Aufzeichnung eines Zeitzeugengesprächs mit Marianne Fehse (geb. Otte), von H. Menzel, am 5.11.2010
„Ich arbeitete damals mit 18 Jahren beim Wasserstraßenamt Doppelschleuse Niegripp. Das letzte Kanalstück zwischen Hebewerk Niegripp und Elbe, auf Hohenwarther Seite, war unvollendet geblieben. Dennoch gab es dort noch allerhand zu tun. Dort wurden wir 1944 oder schon 1945 von Tieffliegern beschossen. Im Büro hatten wir ein Radio und konnten alle Luflagemeldungen mithören. Außerdem war das Amt an das Frühwarnsystem gekoppelt. So hörten wir auch jede Meldung aus Magdeburg mit. Wenn Flieger über Perleberg im Anflug waren. Als sich die Flieger / Bomber näherten gab es auch für uns Alarm. Alles rannte in den großen Luftschutzraum im Keller unseres Objektes. Stets musste einer oben im Büro bis zu letzt verbleiben, um das gerät auf den Kellerbetrieb umzuschalten. Dadurch konnte man im Luftschutzkeller weiter die Lagemeldungen verfolgen. An diesem Tag war ich das Schlusslicht. Nach der Umschaltung lief auch ich zum Eingang des Luftschutzkellers. Als ich die herabstürzender amerikanischen Jagdflugzeuge sah, dachte ich erst, das es abstürzende Maschinen seien. Dach sofort wurde es mir klar, dass es Tiefflieger waren, die auf alles schossen, was sich im Schleusenbereich bewegte. Ich schaffte es aber noch rechtzeitig in den Keller. Später, als alles vorüber war, ging ich wieder ins Büro zurück und stellte fest, dass ein Geschoss in unserem Büro eingeschlagen war und die Registrierkasse zerfetzt hatte. Vor der Schleuse im Außenhafen wurde auch ein Schiff durch einen Bombentreffer versenkt. An diesem Tag hatte auch Niegripp etliche Bombentreffer erhalten. An der Elbe, in der Nähe der Schleuse befand sich das Barackenlager (Holzbaracken) der Luftwaffen- und Nachrichtenhelferinnen. Die hatte nichts abbekommen. Das gewaltige Getöse der schweren Eisenbahnflak in unmittelbarer Nähe, die zwischen die hoch fliegenden Bomber schoss, war ohrenbetäubend. Nach dem Angriff begann das Aufräumem…“
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War nicht die Sturmgeschützschule Burg unter Oberstleutnant G. Müller praktisch der Kern der Kampfgruppe Burg, welche letztendlich Bestandteil der 12. Armee unter Wenck war? MfG Wirbelwind
Jetzt, wo Du es geschrieben hast, Magado, hat es Klick gemacht. War es nicht auch Artillerie der Division Schill, die die Fährstelle in Rogätz mit Feuer belegt hat bzw. bei Kriegsende im Dorf befindliche LKW mit Munition zur Explosion brachte und damit große Verwüstungen innerhalb der Ortschaft anrichtete, unabhängig von der 10,50 cm Batterie, die aus Friedensthal zusätzlich den Ort beschoss. MfG Wirbelwind
Sehr interessant und dramatisch zu lesen, was sich so zu dieser Zeit in Niegripp alles ereignet hat. Hat jemand vielleicht auch Erinnerung oder Erzählungen gehört, ob sich auch an der Fähre oder im Fährhaus von Niegripp etwas in dieser Zeit ereignet hat..... vielleicht hat auch jemand Bilder der Fähre oder vom Fährhaus? Es wäre sehr schön vielleicht Erzählungen oder Ereignisse weiterzugeben, da wir im Fährhaus von Niegripp leben.
Auf jeden Fall setzten vor den herrannahenden russischen Truppen noch um den 3.- 5. Mai 1945 letzte Wehrmachtgruppen bei Niegripp zu den Amerikanern über.... Aber genaueres liegt dazu vorerst nicht vor. Ich suche schon längere Zeit nach weiteren Berichten und Zeitzeugen dort, da ich zur ostelbischen Region Kriegsende recherchiere. Bekannt ist nur, dass nit konfiszierten Kähnen übergesetzt wurd. Ob die Fähre da noch intakt war entzieht sich meinen Kenntnissen. Es sind auch um den 13.4.45 Wehrmachtseinheiten nach Ostelbien noch mit der Fähre übergesetzt, als amerikanische Einheitenauf Heinrichsberg vorstießen.... Von Ost nach West auch bei Schartau......
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Dankeschön für die Antwort.
Mein Lebensgefährte, hat mir berichtet, das sein Opa mal erzählt hat, was dessen Vater W.Bösener in der Kriegszeit in Niegripp auf seinen Grundstück „Fährhaus Niegripp“ erlebt hat... Die ganze Familie musste das Fährhaus verlassen und kam im Dorf unter, weil sich die Kettenhunde hier im Fährhaus eine Stellung eingerichtet haben, zur Beschießung von Heinrichsberg wo die Amerikaner schon saßen... Die Tiere mussten sie im Stall zurück lassen und mit einem Freund aus dem Dorf kam W.Bösener immer heimlich nachts über die Wiesen geschlichen um die Tiere zu füttern, durch einen späteren Angriff von Heinrichsberg, hatte das Fährhaus einen Granat-Einschlag und die armen Tiere sind durch ein Feuer beim Beschuss alle verbrannt.
Und die Fähre war noch in Betrieb, da die Amerikaner noch übersetzen mit der Fähre, das wissen wir auch noch, aber mehr ist leider im Moment auch nicht bekannt.