Ab Herbst 1942 entstanden in unmittelbarer Nachbarschaft zu Rüstungsbetrieben insgesamt bis zu 1.600 KZ-Außenlager, in denen über 700.000 Häftlinge für die deutsche Kriegswirtschaft arbeiten mussten. Spätestens damit war das System der Konzentrationslager unübersehbarer Bestandteil im Alltag der Deutschen. In Magdeburg bestanden zwei solche Lager mit weit mehr als 5.700 Häftlingen. Neben dem KZ der Polte OHG existierte von Juni 1944 bis Februar 1945 im Industriegebiet Rothensee ein Außenlager von Buchenwald mit etwa 2.200 fast ausschließlich ungarischen Juden. Sie wurden vor allem beim Bunkerbau für das Magdeburger Werk der Braunkohle- Benzin -AG (Brabag) eingesetzt. Zwischen 550 und 650 der hier inhaftierten Männer überlebten die katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen nicht. Inmitten der Wohn- und Arbeitsgebiete des Stadtteils Wilhelmstadt (heute Stadtfeld) wurde zum 14. Juni 1944 das KZ-Außenlager der Firma Polte errichtet. Es befand sich direkt gegenüber dem Hauptwerk des Munitionskonzerns an der Poltestraße (heute Liebknechtstraße). Neben betriebswirtschaftlichen Überlegungen bestärkten auch Initiativen des Rüstungs-ministeriums die Betriebsführung der Polte- Werke um Hans Nathusius in ihren Plänen zum Einsatz von KZ-Häftlingen: Nach schweren anglo- amerikanischen Luftangriffen war im März 1944 unter Aufsicht des Speer-Ministeriums der sog. Jägerstab gebildet worden, der die Produktion für die Luftwaffe lenken und ihre Priorität vor allen anderen Rüstungsaufgaben sicherstellen sollte. Über die Gremien des Jägerstabs verpflichtete Rüstungsminister Speer die Industrie am 9. Juni 1944, binnen einer knappen Woche 20.000 weibliche KZ- Häftlinge in der Produktion einzusetzen. Zu den wichtigen Produzenten für die Luftwaffe gehörte auch der Polte- Konzern. Die Firma Polte wurde 1885 von Eugen Polte als Armaturenwerk gegründet und bis zum Ersten Weltkrieg zur Munitionsfabrik erweitert. Unter der Leitung seiner Nachfolger entwickelte sich das Unter-nehmen ab 1933 zu einem der größten Munitionskonzerne Europas mit mehreren Tochtergesellschaftern und Zweigbetrieben. Bei Kriegsende arbeiten hier etwa 30.000 Menschen. Im Jahr 1938 begann Polte mit dem Ein-satz ausländischer Zwangsarbeiter. Ein erstes KZ-Außenlager des Konzerns entstand 1943 in Genthin. In den Magdeburger Werken des Unternehmens betrug der Anteil von Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen in den letzten Kriegsjahr etwa 50% der Belegschaft. Das Konzentrationslager gegenüber dem Haupt-werk in Magdeburg diente zunächst nur für weibliche Häftlinge. Es bestand bis zum 31. August 1944 unter der Verwaltung des KZ Ravensbrück. Ab September wurde es dem KZ Buchenwald zugeordnet. Bei Übernahme des Lagers durch die Kommandantur Buchenwalds waren dort 1.885 Frauen untergebracht. Bis zur Evakuierung am 13. April 1945 stieg die Gesamtzahl der inhaftierten Frauen auf 3.090 an. Diese gelangten ab September 1944 mit sieben Transporten aus den Konzentrationslagern Ravensbrück, Stuttenhof, Bergen-Belsen und Au-schwitz nach Magdeburg. In ihrer Mehrzahl waren die Häftlinge sowjetische und polnische Frauen, unter ihnen auch Einwohnerinnen von Warschau, die nach dem Warschauer Aufstand in die Außenlager des Reichsgebietes deportiert wurden. Ab November kamen 600 Jüdinnen aus Ungarn, Polen, Litauen, Lettland, Rumänien und Österreich hinzu. In geringer Zahl waren im Polte- Lager auch Frauen aus Italien, Jugoslawien, Tschechoslo-wakei und Deutschland inhaftiert. Den höchsten Belegungsstand hatte das Außenkommando im Januar 1945 mit 2.992 Frauen. Am 3. November 1944 erreichte ein Transport von 500 jüdischen Männern aus Stuttenhof das KZ Polte- Magdeburg. Seit diesem Tag bestand bei der Polte OHG neben dem Lager für Frauen ein Außenlager des KZ Buchenwald für männliche Häftlinge. Die Männer waren von der Betriebsführung als Facharbeiter angefordert worden und sollten ein Kommando Kriegsgefangener ersetzen. Bereits im KZ Stutthof wurden sie im Auftrag des Polte- Konzerns nach ihren Qualifikationen betragt und in Magdeburg auf dieser Grundlage auf die verschiedenen Abteilungen der Produktion verteilt. Der Häftlingstransport vom 3. November 1944 bestand zum größten teil aus lettischen Juden, aber auch aus einigen Litauern, Polen und Deutschen. Bis zur Auflösung erreichten noch zwei weitere Transporte mit ungarischen und polnischen Juden das Lager. Am 2. Dezember 1944 traf eine bisher unbekannte Anzahl Männer zusammen mit 300 Frauen aus dem KZ Bergen-Belsen in Magdeburg ein. Ein letzter Transport mit männlicher Häftlinge kam am 19. März 1945 aus dem Außenlager Langenstein- Zwieberge. Sie waren nicht in der Produktion der Polte OHG eingesetzt, sondern mussten im Innenstadtbereich Magdeburgs Aufräumungsarbeiten nach Bombenangriffen vornehmen. Das Männerlager bestand aus zwei Baracken für je 250 Häftlinge, einer Krankenbaracke und einem Appellplatz. Es war mit einem Stacheldrahtzaun umgeben. Im März 1945 kam für den Transport aus Langenstein- Zwieberge noch eine dritte Baracke hinzu. Das Frauenlager war von einem Holzzaun umgeben, der die Blicke der Anwohner auf das Lagerleben verhindern sollte. Dahinter befand sich ein doppelter elektrifizierter Stacheldrahtzaun mit mehreren Wachtürmen. Die Häftlingsunterkünfte bestanden aus sechs Holzbaracken für jeweils bis zu 500 Frauen. Die Baracken hatten kahle Betonböden sowie kaum verschließbare Fenster und Türöffnungen. Sie waren mit jeweils drei reihen dreistöckiger Kojen ausgestattet. Auch hier gehörten zum Lager ein Krankenrevier und ein Appell-platz mit einem Bunker für Strafmaßnahmen. Außerhalb der beiden Lager befanden sich zudem eine Baracke für die SS-Kommandantur und die Wachmannschaften sowie Unterkünfte und Diensträume für die Aufseherinnen des Frauenlagers. Die äußere Bewachung der beiden Lager oblag Wachmannschaften, die aus Buchenwald ab-kommandiert wurden. Sie setzten sich aus einigen SS-Leuten und ehemaligen Wehrmachtssoldaten zusammen. Für die Bewachung der weiblichen Häftlinge innerhalb des Lagers und auf dem Werksgelände waren Aufseher-innen zuständig, die sich aus der Belegschaft des Polte- Werkes rekrutiert und der SS unterstellt wurden. Ende 1944 betrug ihre Stärke 42 Frauen, die der Wachmannschaften 87 bzw. für das Männerlager 59 Mann. Bisher lassen sich nur ungenaue Aussagen zu den Lagerkommandanten treffen. Wahrscheinlich war zumindest ab November 1944 für das Frauenlager SS-Oberscharführer Andreas Hochwarth zuständig. Verschiedene über-lebende Häftlinge des Männerlagers berichten von einem Kommandoführer Hoffmann, der bereits im Stab der Konzentrationslager- SS von Kaiserwald bei Riga gewesen war und dort bereits einen teil der aus Stutthof kommenden Häftlinge beaufsichtigt hatte. Der Alltag der Häftlinge in Stadtfeld war durch kontinuierliche Ent-würdigung, systematische Unterernährung, wiederkehrende Misshandlungen und traumatisierende Gewalt ge-kennzeichnet. Dies traf im besonderen Maße auf das Frauenlager zu. Die zugigen und nicht beheizbaren Baracken boten keinerlei Schutz vor der Herbst- und Winterkälte. Ehemalige Häftlinge berichten, dass im Winter oft Schnee auf den Fußböden und Schlafkojen lag. Die Bettenzahl war überdies so gering, dass Tag- und Nachtschicht sie abwechselnd belegen mussten. Dabei fanden auch die dünnen Laken zum Zudecken doppelte Verwendung. Die Bekleidung der Häftlinge war äußerst dürftig. In den meisten Fällen besaßen die Frauen nur die Sachen, die sie zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung zur Verfügung hatten. Die hygienischen Bedingungen waren fürchterlich. Einige Baracken hatten keinen Waschraum und keine Toiletten. Dort standen morgens nur Behälter mit kaltem Wasser oder es wurde vorübergehend ein angeschlossener Schlauch hingelegt. Als Toilette diente oft nur ein offener Graben bei den Baracken, wodurch die Wachmannschaften von ihren Posten aus die Häftlinge beobachten und somit demütigen konnten. Im Vergleich zum Frauenlager hatten die Männer etwas bessere Haftbedingungen, wohl weil sie als dringend benötigte Fachkräfte ausgewählt worden waren. Die Baracken waren im Winter beheizt und besaßen Waschräume mit kaltem und warmem Wasser. Die Betten be-standen aus drei Reihen zweistöckiger Kojen, die mit Strohsäcken und Decken versehen waren. Die Häftlinge bekamen nur eine unzureichende Verpflegung, die die Werksküche des Unternehmens dem Lager stellte. Mittags bekamen die Frauen und Männer eine wässrige Suppe aus Kartoffeln- oder Rübenschalen, abends ein Stückchen Brot sowie manchmal etwas Margarine und Marmelade. Dabei war jeweils ein Brotlaib für etwa 12-18 Personen gedacht. Für eine Person entsprach die Brotration dadurch oft nur der Größe zweier Streichholzschachteln. Zum trinken gab es je Schicht morgens und abends einen Becher Kaffee-Ersatz und Wasser. Solche Zustände führten zu vielen Krankheiten unter den Häftlingen, die nur behandelt wurden, wenn sie dadurch ihre Arbeitsfähigkeit schnell wiedererlangten oder die Entwicklung von Epidemien zu verhindern war. Viele der Frauen und Männer waren von Krätze, Geschwüren und Entzündungen gezeichnet. Desinfektionsmaßnahmen hat es dennoch nie gegeben. Chronische Erkrankungen vor allem der Atemwege nahm stark zu. Nicht wenige erkrankten an Tuber-kulose. Die Häftlinge waren überwiegend in den verschiedenen Abteilungen der Munitionsproduktion eingesetzt. Das bedeutete zumeist körperlich schwere und gesundheitsgefährdende Arbeit in zwei Schichten zu je zwölf Stunden. Dabei standen sie unter der ständigen Aufsicht durch die KZ-Bewachung und der deutschen Vorar-beiter. Die unterernährten und vollkommen geschwächten Häftlinge mussten im Akkord arbeiten. Dies und die unzureichenden Arbeitsschutzbedingungen führten zu zahlreichen schweren Unfällen. Das SS-Lagerregime tat sich durch besondere Grausamkeiten hervor und unterwarf die Häftlingsgesellschaft einem perfiden Strafsystem. Die SS nutzte dabei die installierte Häftlingsselbstverwaltung, indem sie hierfür besonders gewalttätige Häftlinge einsetzte. Für jeden Verstoß gegen die vielen unmenschlichen Regeln wurden die Lagerinsassen von den Wach-mannschaften und Aufseherinnen geschlagen. Die Strafen wurden auf dem Appellplatz vor allen Häftlingen voll-streckt. Die Todesstrafe fand ebenfalls Anwendung im Kommando Polte- Magdeburg. Kurz vor der Evakuierung des Lagers am 13. April 1945 wurde im März vor den Augen aller Häftlinge ein junges Mädchen erhängt. „Man brachte das Mädchen barfüßig, ausgezogen, man hatte sie geschoren und hing sie vor unseren Augen auf“, erinnert sich die Überlebende Alexandra Kurilenko. Wendete eine Häftlingsfrau das Gesicht vor diesem Grauen ab, so wurde sie mit Peitschenhieben zu Zuschauen gezwungen. Die SS ließ die ermordete Frau zur „Abschreckung“ 24 Stunden hängen. Auch die Häftlinge des Außenlagers für Männer mussten sich die Leiche ansehen. Die Inszenierung dieser Hinrichtung war der schlimmste, aber nicht der einzige Beweis für die vielen Grausamkeiten der Wachmannschaften und Aufseherinnen. Ehemalige Häftlinge berichten von schlagwütigen Sadisten, grausamen Späßen der SS, die die Häftlinge mit Scheinhinrichtungen bedrohte, oder auferlegten grau-samen Strafen. Die katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen hatten den Tod vieler Häftlinge zur Folge. Für das Lager der Frauen sind 20 Todesfälle verzeichnet. Ehemalige Häftlinge des Männerlagers berichten von Dutzenden Toten in ihren Reihen. Hinzu kamen die ständige Selektion von arbeitsunfähigen Häftlingen und ihre Deportation nach Ravensbrück, Bergen-Belsen, Auschwitz und Buchenwald. Für gewöhnlich überlebten die sog. Rückgeführten solche Transporte nicht. Über 100 Frauen fielen dieser Selektion zum Opfer, von den Männern ist derzeit eine genaue Zahl nicht bekannt. Am 11. April 1945, kurz vor der Einnahme Magdeburgs durch US- Truppen, brach das Lagerregime zusammen, die Wachmannschaften ergriffen die Flucht. In den frühen Morgenstunden des 13. April wurden die inhaftierten Männer und Frauen von zwei Volkssturmeinheiten gewaltsam aus den Baracken getrieben. Etwa 3.500 Häftlinge setzten sich in Begleitung der schwer bewaffneten Einheiten und Angehörigen der Hitlerjugend in Marsch durch das Stadtgebiet Richtung Osten. Die völlig ent-kräfteten Menschen benötigen unter ständigen Misshandlungen Stunden für den Weg zur Strombrücke über die Elbe. Auf dem Gelände des Stadions „Neue Welt“ sahen sich die Bewacher zu einer Rastpause gezwungen. Auf dem Stadiongelände gerieten die Häftlinge plötzlich unter Artilleriebeschuss amerikanischer Truppen, die im südöstlichen Stadtgebiet standen. Es gab mehrere Tote und Verletzte. Die Häftlinge versuchten voller Panik Deckung zu suchen oder zu fliehen. Daraufhin eröffneten die Volkssturmeinheiten das Feuer. Mindestens 42, nach Schilderung von Zeitzeugen sogar deutlich mehr Häftlinge, kamen ums Leben. Nach dem Massaker wurden die Überlebenden erneut zusammengetrieben und in Marsch Richtung Osten geschickt. Als die weib-lichen Häftlinge schließlich das KZ Ravensbrück erreichten, waren von den knapp 3.000 Frauen, die sich aus dem Außenkommando Polte- Magdeburg auf den Todesmarsch getrieben wurden, nur noch etwa 600 am Leben. Die männlichen KZ- Häftlinge aus Magdeburg marschierten weiter Richtung Sachsenhausen.
Im Zusammenhang mit dem Massaker im Stadion „Neue Welt“ fand 1951 in Magdeburg ein Gerichtsverfahren gegen drei damalige Volkssturmangehörige statt. Sie wurden wegen der Ermordung von KZ-Häftlingen ange-klagt und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Allerdings sprach das Landgericht Magdeburg im August 1952 die Angeklagten im Revisionsverfahren aus Mangel an eindeutigen Beweisen für ihre Tatbeteiligung frei. Bis heute wurde keiner der Beteiligten an dem Gewaltexzess zur Rechenschaft gezogen. Offenbar hatte auch die DDR bei der Bestrafung der vermeintlichen kleinen Täter die Integration des Gros der ehemaligen „Volks-genossen“ im Blick, die nun dringend für den Wiederaufbau benötigt wurden. Über Ermittlungen gegen Auf-seherinnen oder Angehörige der Wachmannschaften ist nicht bekannt. Heute ist von den beiden KZ nur noch das steinerne Eingangstor des Frauenlagers erhalten, an dem eine Gedenktafel an die Existenz der Lager erinnert.
Quellen/Literatur: Pascal Begrich, Die Polte OHG und das Außenlager des KZ Buchenwald Polte- Magdeburg, Manuskript der Magisterarbeit, Magdeburg 2003.
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Ich will hier etwas zur #9 anfügen, nicht viel aber zur Sache:
Zwecks Erfassung der Kriegsschäden und ihrer Geltendmachung beim Staat wurde genau registriert wo, wann, was geschehen war und anschließend der Schaden genau beziffert. Die Buckau R. Wolf AG meldete zum Beispiel: Beim Luftangriff gegen 22.50 Uhr wurde das Werk Feldstraße 9/13 durch eine Spreng- und mehrere Brandbomben getroffen. Das an der Werkstraße gelegene Ausländerlager II (4-geschossig, im Erdgeschoss Lagerräume) ist dabei völlig ausgebrannt. Offensichtlich handelt es sich bei so wenig Einschlägen um einen Zufallstreffer - und der erwischte auch noch die Falschen: zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppte Ausländer. Das Unternehmen aber hat bis Februar 1945 8 Mill. RM vom Kriegsschädenamt als Ersatz für Schäden aus den Luftangriffen erhalten.
Der Schaden taucht auch nochmals in einem zusammenfassenden Bericht auf (Seite 3), hänge das als Datei mal an.
Hugo
hat folgende Dateien an diesen Beitrag angehängt
Einigermaßen verwunderlich finde ich dieses Geschäftsgebaren. Warum läßt man diese Baracken nicht einfach vor Ort (z.B. an der Ostfront durch Zwangsarbeiter) fertigen? Warum erst so spät? Ohne einen konkreten Hinweis zu haben stinkt für mich hier einiges nach GELDWÄSCHE.