Sechzehnjährige hissten 1945 weiße Fahne Ausgerechnet zwei 16-jährige Zuchauer hatten vor 74 Jahren als einzige die Courage, eine weiße Fahne auf dem Kirchturm zu hissen. Von Thomas Linßner Volksstimme 03.04.2019, 11:01 Zuchau l Eigentlich vergisst man solche entscheidenden Momente im Leben nicht – aber Ernst Pfanne weiß nicht mehr genau, ob es der 16. oder 17. April 1945 war, als er zusammen mit seinem Freund Ewald Mädge auf den Kirchturm stieg und damit Regionalgeschichte schrieb ... Wie nebenbei machte Ernst Pfanne (91) am vergangenen Sonnabend ein paar Bemerkungen, die etwas detaillierter der Nachwelt erhalten werden sollten. „Da oben haben wir eine weiße Fahne raus gehängt, als die Amerikaner kamen“, deutete er mit dem Kopf in Richtung eines der Schalllöcher des romanischen Turms. Das Bettlaken hatte der damals 16 Jahre alte Ernst aus der Wäschetruhe seiner Mutter Helene genommen. Ohne viel zu fragen, stiegen die Jungen die hölzernen Treppen des Turms hoch, um in Richtung Sachsendorf den anrückenden Amerikanern ein Signal zu geben: Zuchau kapituliert. NSDAP-Bürgermeister Kurt Übe habe nicht mehr am Kodex „Kämpfen bis zur letzten Patrone“ festgehalten. „‚Das habt ihr richtig gemacht, Jungs‘, hat der zu uns gesagt“, erinnert sich Ernst Pfanne und wundert sich bis heute darüber ein bisschen. Warum ausgerechnet zwei 16-Jährige die Courage hatten, die Kapitulationsfahne zu hissen, beantwortet Erst Pfanne lapidar: „Es war wahrscheinlich keiner weiter da ...“ Keine ungefährliche Angelegenheit, weil fanatische Nationalsozialisten anderenorts das Standgericht einberiefen. Kurz zuvor waren vom Volkssturm noch Panzersperren errichtet worden, die „den Feind keine fünf Minuten aufgehalten hätten“. „Der Volkssturm und andere Waffenträger entsorgten Munition und Waffen eilig im Dorfteich“, erzählt der 91-Jährige. Einen erheblichen Kriegsschaden habe es an der Gaststätte „Zum Kronprinzen“ gegeben, wo eine Granate Fassade und Dach beschädigte. Makaber: Vor diesem Haus steht von alters her ein Sühne- oder Mordkreuz; die ausgebesserten Schäden im roten Backstein sind bis heute zu sehen. Nach dem Einmarsch der Amerikaner machten sich Gruppen von Zwangsarbeitern Luft und plünderten das Dorf. Auch sei es zu einigen Denunzierungen gekommen. Ob sie berechtigt oder unberechtigt waren, weiß Ernst Pfanne nicht mehr genau zu sagen. Den Zuchauern und vielen Menschen der Umgebung ist Pfanne bis heute als freundlicher Fleischermeister in Erinnerung. Ursprünglich hatte er eine andere Karriere vor Augen, als er nach der Grundschule das Gymnasium Köthen besuchte. Doch Krieg und Dienst bei der Heimat-Flak machten einen Strich durch diese Rechnung. „Mein Vater hat gesagt, lerne lieber einen Beruf, das ist sicherer“, lächelt der 91-Jährige, der derzeit ältester Einwohner Zuchaus ist. Was sich aus ganz praktischen Gründen in der Hungerzeit bewahrheiten sollte. Bis 1946 lernte er bei Fleischer Rehse in Calbes Schloßstraße, zwei Jahre später ging er zu seinem Vater nach Zuchau zurück. 30 Jahre war Ernst Pfanne Leiter der HO-Fleischerei in Calbe, der 1951 bereits „seinen Meister gemacht hatte“. Wie die Zuchauer Chronik von 2003 berichtet, seien die amerikanischen Panzer am 17. April gegen 16 Uhr in das Dorf eingerückt. (Kurz zuvor muss die weiße Fahne raus gehängt worden sein.) Zu Kampfhandlungen kam es nicht. Am 15. und 16. April war Zuchau von der Artillerie beschossen, ein Haus vollkommen zerstört worden.
Hierbei hat es sich wahrscheinlich um Säuberungen der Amerikaner gehandelt da Zuchau nicht in der Hauptstoßrichtung Elbe /Barby lag. Ein weiterer Hinweis dafür ist das Sachsendorf von wo aus die Amerikaner anrückten östlich von Zuchau lag.