Das waren turbulente, gefährliche, aber auch sehr befreiende Zeiten für unsere Stadt! In der ersten Woche nach der Besetzung gab es wieder Auf-regung: Auf der damals noch unbebauten Mühlenbreite landete plötzlich ein kleines amerikanisches Flugzeug, dem ca. 15 Amis entstiegen, mit dem Ziel auf die Hausgärten der Tarthuner Straße. Nachdem sie schnell die Zäune zerschnitten und sich auf den Höfen umgesehen hatten, forderten sie die Bewohner der Häuser Tarthuner Str. 30 und 31 (Familie Lohmann und Weber) auf, ihre Wohnungen zu räumen. Das Hinterhaus der Familie Lohmann blieb verschont, dort konnten sich Lohmanns frei bewegen. Nach zwei Wochen zogen die Soldaten wieder ab und die Bewohner konnten in ihre fast unbeschädigten Wohnungen wieder einziehen. Äußerlich war der Krieg hier zu Ende, aber in der unmittelbaren Umgebung, besonders in den Wäldern und der unübersichtlichen Bodeniederung, gab es immer noch gefährliche Unruheherde. So waren versprengte Truppenteile der ehemaligen deutschen Wehrmacht, von denen einige immer noch an den „Endsieg“ glaubten, und die anderen, die der Gefangenschaft entgehen wollten, unterwegs überall tauchten die freigekommenen KZ-Häftlinge besonders aus dem Lager am Tarthuner Schacht IV und die ehemaligen ausländischen Kriegsgefangenen auf, dazu die vielen Fremdarbeiter, von denen mancher Rache nehmen wollte für die schlechte Behandlung durch ihre früheren Dienstherren, aber meistens hatten sie an die nötige Selbstversorgung zu denken. Es gab Übergriffe, besonders an den Stadtgrenzen, bei denen einige Einwohner von ehemaligen KZ-Häftlingen und Ausländern bedroht und bestohlen wurden. Um diese Gefahr abzuwenden, kamen einige junge Männer zu einer „Bürgerwehr“ zusammen, welche aber ohne große Auseinandersetzung wieder auseinander ging. Zum Ende des Krieges gab es in Egeln und Umgebung einige Lager, wie z.B. ein kleines Nebenlager des KZ Dora bei Nordhausen, welches aus einem kleinen Barackenlager gegenüber dem Tarthuner Schacht IV errichtet worden war. Zur Unterbringung von Franzosen wurden die Ställe des Schützenhauses ge-nutzt. Weiter wurden für die Russen das Hinterhaus des ehemaligen „Naverma-Hauses“ (heute steht darauf der Busbahnhof), für Italiener der Lager-schuppen der ehemaligen Kornhandlung Blumenthal (gegenüber dem Bahn-hof Egeln) für Polen und Russen die Kasernen an der Halberstädter Straße bereitgestellt. Fremdarbeiter, meistens aus Polen wohnten im „Bodeschlößchen“ (neben der Mühlendamm-Bodebrücke). Zu dieser Zeit gab es viele Versuche, um den Hunger zu stillen, in Gartenanlagen und Ställen einzubrechen, von wo dann Hühner, Kaninchen und auch mal ein Schwein „erbeutet“ wurden. Als dann bekannt wurde, dass an verschiedenen Stellen zum Teil beachtliche „Staatsreserven“ eingelagert waren, wurden aus den kleinen Diebereien schlimme Gewaltmaßnahmen, wobei rücksichtslos gestürmt und geplündert wurde. Da gab also im Gasthof „Drei Kronen“ (heute Spielhalle Zeidler) große Mengen an Stoffballen, wo man über die Reste der Panzersperre in die Fenster einsteigen konnte. Im „Markt-Kaffee“ (jetzt Volksbank) gab es Rohkakao, ebenso bei Schrader-Meier – Lager Unger – Ecke Töpferstraße / Breiteweg. In der ehemaligen Gaststätte „Volkspark“ (jetzt Jugendfreizeit-Zentrum Oberknick) lagerten ebenfalls Stoffballen; im Schützenhaussaal lagerten große Mengen an Waren aller Art, ebenfalls auch gerettete Güter von Ausgebombten und Evakuierten. Zu all den hiesigen Lagern entdeckten die Bedürftigen und auch die Geschäftstüchtigen sehr umfangreiche Vorräte in der ehemaligen Malzfabrik in Etgersleben, wo es alles aus Textil und Leder gab. So aber auch in einem langen Eisenbahnzug bei Hakeborn, wo es u.a. Werkzeugmaschinen, Möbel, Elektromaterial, Alu-Bleche, Tabakballen und in Kesselwagen auch noch Alkohol gab. Da nicht nur Trinkbranntwein, sondern auch vergällter Industriesprit angezapft wurden, gab es für leichtsinnige „Besorger“ teilweise große gesundheitliche Probleme. Die „Völkerwanderung“ zum Zug bei Hakeborn brachte die größten Raritäten in den „Handel“, mit denen noch in manchen Betrieben jahrelang gearbeitet wurde. So konnten wir auch, als durch Sprengungen bei Tarthun die Fenster der Klosterkirche Marienstuhl eingedrückt waren, hier so manches Loch mit Alu-Blech wieder schließen. Mit dem sauberen Sprit wurde mit großem Geschick sehr begehrter Likör hergestellt, nämlich mit dem Rohzucker aus der stilliegenden Zuckerfabrik und dem Rohkakao, der auch manchmal zugeteilt wurde. Da diese Beute für viele nicht genügte, wurde begonnen, in Geschäfte einzu-brechen; nachdem hier teilweise die Schaufensterscheiben eingeschlagen waren, entstanden ganz wilde Plünderungen. Das war bei Meißner (Herren-und Kinderbekleidung und Schuhe) – jetzt Haus Fahrschule Grabau; bei Kaufhold-Textilien (jetzt Schlecker); bei Kortum-Textilien (jetzt Quelle); ferner bei Laue – Konfektion, Bettwäsche – (jetzt Elektro-Lohmann); Schröder Textilkaufhaus (jetzt Möbel-Heinz) und bei Fleischer Moser, da gab es Wurst und Fleisch (heute kleiner Parkplatz neben Möbel-Heinz). Es wurde zerstört und geräubert, was mancher kaum tragen konnte. Angefangen hatten die Fremden, auch die „KZ-ler“, wie sie sich selber nannten, in ihren gestreiften Jacken, aber denn kam auch die Egelner Bevölkerung zum Zuge, welche manchmal die halb verhungerten Fremden noch weit übertrafen. Besondere Opfer an Menschenleben gab es dabei nicht, die neue „Hilfs-Polizei“ war hilflos und auch machtlos; Waffen hatten sie sowieso nicht, und die Besatzungssoldaten sahen zu und hatten wohl ihren heimliche Spaß daran, dass hier die Deutschen ihre eigenen Landsleute bestahlen. Zur allgemeinen Situation ist zu berichten, dass der Eisenbahnverkehr für die Zivilbevölkerung völlig ruhte, eine Gasversorgung gab es nicht mehr, das elektrische Licht war bis auf einige Sperrstunden stabil, das Trinkwasser wurde bis auf kleine Unterbrechungen vom Egelner Wasserwerk geliefert. Der in der Egelner Feldmark liegende Braunkohleschacht „Cäsar“ konnte weiter arbeiten und fördern, so dass neben der Stromversorgung auch geringe Mengen an den damals bekannten „Knorpelkohlen“ (Rohbraunkohle) an die Bevölkerung kamen. Wer mit einem Bergmann gut verhandeln konnte, hatte die Möglichkeit, von dessen Deputat zu profitieren. Die Schulen waren seit Kriegsende bis zum 1. Oktober 1945 geschlossen. Die damalige Oberrealschule (genannt Aufbauschule) konnte nur einen sehr eingeschränkten Schulunterricht während des Krieges durchführen, weil die meisten Schüler für militärische Aufgaben in fernen Lagern eingesetzt waren. Für kriegsindustrielle Aufgaben waren im Zeichensaal und einigen Klassen Konstruktionsbüros untergebracht. Im April 1945 wurden in einigen Klassen und der Aula ein Lazarett für die amerikanischen Truppen eingerichtet, welche aber am 22. Mai 1945 wieder abgezogen wurden.
(Oberrealschule – Aufbauschule – erweiterte Oberschule – seit 1990 Gymnasium Haus I)
Berichte zum Alltag in Egeln Inzwischen kamen täglich unzählige Flüchtlinge an, die vor den anrückenden Russen aus ihrer Heimat Ost- und Westpreußen, Schlesien und dem Sudeten-land geflohen waren. Mit Kinderwagen und alten Handkarren, teilweise auch ohne jede Habe, da die ihnen unterwegs noch geraubt worden war. In diesem Zusammenhänge gab es ganz große Unterbringungsprobleme, denn bereits im Laufe des Krieges waren viele Menschen aus den westdeutschen Ballungs-gebieten nach Egeln gekommen, um dem Bombenterror zu entgehen. In Egeln (ohne Bleckendorf) wohnten im Sommer 1945 ca. 10.000 Menschen, und da gab es wohl kein Haus, wo nicht jeder Raum vom Keller bis zum Dachboden belegt war. Aber das Dach über dem Kopf war nicht alles; es gab keine Kochstelle, keine Töpfe und Tassen, von den nötigsten Lebensmitteln ganz zu schweigen, die Kleidung war oft nur das, was man am Körper trug. Heute für uns unvorstellbar – doch wir können das mit den Katastrophen-ländern dieser Erde vergleichen. Aber es konnte geholfen werden, die Egelner Mitbürger, - jedenfalls die meisten – rückten zusammen und gaben auch aus ihren „heiligsten Vorräten“, die ihnen ein glückliches Schicksal in Egeln gelassen hatte. Schon nach 2 Tagen hatte der neue Bürgermeister, der Pfarrer der ev. Stadtkirche, die Möglichkeit am 20.04.1945 ein kleines „Mitteilungsblatt der Stadt Egeln“ herauszubringen. Es wurde bei der Buchdruckerei Metzner und Lohmann am Markt hergestellt und gab dem neuen Bürgermeister die Gelegenheit sachdienliche Informationen an die Bürger zu bringen und damit auch zu möglicher Ruhe und Ordnung beizutragen. In der ersten Ausgabe richtete er die folgenden Sätze an die Einwohner seiner Stadt: „In schwerer Zeit ist unsere Stadt führerlos geworden. Deshalb habe ich, als Leben und Eigentum der Mitbürger in Gefahr gerieten, bis auf weiteres die Leitung unseres Gemeinwesens übernommen. Für die unparteiische und gerechte Arbeit in dieser Notzeit bürge ich mit meiner Person, meiner Vergangenheit und mit der Voraussetzung meines geistlichen Amtes. Jene höhere Macht, an die ich glaube, hat uns gnädig beschirmt. Die mir von der Militärregierung übertragene Vollmacht besagt: Der Stadtverwaltung wird alle Autorität übertragen, die der amerikanischen Besatzungsbehörde zukommt. Sie hat volle Verantwortung dafür, davon den richtigen Gebrauch zu machen……..um Handel und Wandel zu normalisieren und zu intensivieren.“ Am drückendsten wurde die Ausgangssperre empfunden, da nur in Ausnahmefällen auch Passierscheine im Rathaus ausgestellt werden konnten. Diese galten nur bei Tageslicht und nicht für Spaziergänge, sondern nur für Wege zur Arbeit und für lebenswichtige Besorgungen. Egeln hatte zu dieser Zeit 11.000 Einwohner! Der Breiteweg, als Hauptdurchfahrt, war für die Militärtransporte so beenget, dass über den Breiteweg von „Naverma“ bis „Hotel Grüne Tanne“ keine Kinderwagen verkehren durften; Fußgänger mußten stets rechts gehen und Fuhrwerke durften die Straßen nur überqueren. Im Geldverkehr gab es teilweise Probleme durch ausbleibende Geldtransporte und deshalb sollte auch durch Bürgermeister und Sparkasse ein „Egelner Notgeld“ in den Werten von 1.-, 2.-, 10.- und 20.- Mark heraus-gegeben werden. Auf den Rückseiten waren bördetypische Bilder in Linolschnitten dargestellt worden, welche vom damaligen Lehrer für Kunsterziehung, Herrn Rolf Hartung (Ehemann der praktizierenden Ärztin Frau Dr. Hartung) stammten. Das Egelner Notgeld wurde in der Zeit vom 27. April bis 31. Mai 1945 in der Buchdruckerei Metzner und Lohmann am Markt hergestellt. Da die normale Arbeit in der Druckerei verboten war, wurden dafür die Drucker H. Eckert aus Bleckendorf und K. Naevig aus Egeln eingestellt. Nach Fertigstellung wurde aber von der Militärkommandantur die Genehmigung der Herausgabe verweigert und die fertigen Scheine am 3. Mai 1945 beschlagnahmt. Der Drucker H. Eckert aus Bleckendorf wurde ohne bekannte Gründe am 7. Mai 1945 von der Militärpolizei festgenommen. Für den täglichen Zahlungsverkehr waren die bisher verwendeten Geldscheine und Münzen weiterhin gültig. Die Lebensmittelversorgung wurde Ende April 1945 als „noch gesichert" eingeschätzt, wenn es auch so manches nur als Austausch gab, wie z.B. Nudeln gegen Mehl usw. . Durch einen „Versorgungsring“ mit den umliegenden Nachbarorten versuchte man leichter über Probleme dieser schweren Zeit hinweg zu kommen. In Egeln wurde ein „Technisches Amt“ gegründet, welches mit der Behebung von Notständen in der Landwirtschaft, im Gewerbe, in der Versorgung mit Wasser, Kohle und Strom und im Gesundheitswesen beauftragt war. Am 20. April 1945 wurde öffentlich bekannt gegeben, dass die Geschäfte nur Nach-mittags von 5 – 6 ( 17 – 18 Uhr ) geöffnet werden dürfen und daß zu dieser Zeit nur die Frauen die Straßen nutzen durften. Die Dienststellen und Abteilungen im Rathaus wurden neu geordnet, dabei wurde ein „Quartier- und Verpflegungsamt“ eingerichtet, welches die er- forderlichen „Quartier- und Verpflegungsscheine“ an die Flüchtlinge und Heimkehrer ausgeben konnte. Für die „Heimkehrerkarte“ gab es zusätzlich Zucker, Kakao und einige Lebensmittel aus Egelner Kriegsreservelager. Damals als „Ehrenmarke“ bekannt.
Gedanken zu einem besonderem Drama An allen Tagen kamen neue Heimatlose, die im Osten vor den anrückenden Russen flohen oder aus ihrer angestammten Heimat ausgewiesen wurden. Vertriebene, die man später nur noch „Umsiedler“ nennen durfte. Sie kamen, ihrer Habe beraubt, unterwegs auch noch vergewaltigt und ausgeplündert. Sie alle suchten nun Schutz vor Wetter und Verfolgung, sie hatten weder Geld noch Lebensmittel. Sie suchten die menschliche Aufnahme, die Ruhe und vor allem Essen und Trinken, - und ein Dach über dem Kopf. Zur Linderung der allergrößten Not wurden durch die Initiative des Pfarrers Strewe zwei „Volksküchen“ eingerichtet, wo mit den aus der Plünderung geretteten Lebens-mitteln warme Mahlzeiten ausgegeben werden konnten. Die Ärmsten, die weder Topf noch Tasse besaßen, bekamen hier ihr Essen in Schüsseln und Töpfen; sie saßen auf dem Hof der alten Fleischerei Stoya am Alten Markt und bei Kälte im ehemaligen Pferdestall. Es gab neben Kartoffeln, Erbsen, Bohnen, Graupen, Grießbrei, auch etwas Fleisch und Fett. Alle 4 Tage wurde die Speisekarte geändert, dazu gab es aber täglich pro Kopf ein großes Stück Brot und eine kleine Tüte mit Zucker. Erst kamen die Flüchtlinge einzeln, manche auch mit Hand- oder Kinderwagen mit der letzten Habe, später wurden sie gesammelt und hier im Lager Tarthun untergebracht, später in der ganzen Umgebung verteilt. Dann kamen viele mit der Bahn. Sie standen in Reihen vor dem Egelner Bahnhof und warteten, dass sie von mitfühlenden Menschen, die noch einen Wohnraum zu bieten hatten, und ihnen ein Dach über dem Kopf und ein Bett zur Verfügung stellen wollten.
Erinnerungen zur Volksküche – von Erika Grube Gernrode damals, im Januar 1945, als Millionen von Menschen auf der Flucht waren, bei klirrender Kälte hungernd und heimatlos ! Auch ich war eine der vielen, die wochenlang mit der Bahn in Viehwagen unterwegs waren. Als wir dann in Egeln ankamen, die erste kleine Wohnung hatten und jeder wieder sein eigenes Bett bekommen hatte, war das die größte Seeligkeit für mich, denn vorbei waren die Nächte im Viehwagen auf Stroh oder blanken Dielenbrettern! Dieses Gefühl hat mich bis heute nicht mehr losgelassen. Immer, wenn ich nach harter, oft sehr langer Arbeitszeit zu meinen Leuten kam, hier „zu Hause“ sein und in meinem Bett liegen konnte, überkam mich ein Gefühl der Dankbarkeit, dass mir das wieder möglich war! Und so ist es eigentlich bis heute geblieben. In den letzten Kriegstagen, ab Anfang April 1945, war unsere Stadt bereits von den Amerikanern eingenommen worden. Für den damals von den Amis eingesetzten Bürgermeister, Herr Pfr. Lic Strewe war es eine wichtige Aufgabe, die Versorgung der Bevölkerung so einigermaßen aufrecht zu erhalten. Die Stadt hatte durch die vielen Evakuierten und Flüchtlinge einen starken Zuwachs zu verzeichnen und dazu kamen noch die vielen in die Freiheit entlassenen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter, auch KZ-Häftlinge waren unter ihnen. Da war also Hilfe gefragt und so taten sich einige fleißige Leute zusammen, die auch alle in derselben Not waren und gründeten mit Hilfe des Bürgermeisters eine Küche zur Versorgung der Heimatlosen und Durchziehenden und auch teilweise die Russen und Polen, die nun auf den Rücktransport in ihre Heimat warteten. Die Frauen der Küchengruppe schälten Kartoffeln, putzten Gemüse, die Männer besorgten die nötigen Lebensmittel – in Egeln waren einige Militärreserven zur Verfügung -, holten Holz aus dem Wald, der seinerzeit gerade „geplündert“ wurde und Kohlen gab es in den umliegenden, damals noch existierenden Kohlenschächten. Auf dem Gelände des heutigen Parkplatzes am „Alten Markt“ stand die alte Fleischerei Lemgau und da diese stillgelegt war, war es eine gute Sache, darin die neue „Volksküche“ zu errichten. Die Witwe des letzten Fleischermeisters, Frau Stoya, wurde die Chefköchin und da bekam auch ich mit noch weiteren 5 Frauen und Mädchen unsere Arbeit als Küchenhilfe. Der Stundenlohn betrug 45 Pfennig bei oft sehr langer Arbeit, aber es fiel auch mal ein Teller Suppe ab, der seiner Zeit von großem Wert sein konnte. Die alte Fleischerei war ein interessantes Gebäude, an der Straße der Laden, das Schaufenster mit weißem Marmor ausgekleidet und um den großen Hof lagen hufeisenförmig die Ställe und das Schlachthaus. Interessant war auch die Galerie, welche im 1. Stock den Zugang zu allen Räumen ermöglichte. Auf dem geräumigen Hof standen lange Tische und Bänke, an denen die „Gäste“ sitzen konnten. Im Schlachthaus war die Küche. In der ersten Zeit wurde in zwei großen Kesseln gekocht, meist gab es Suppe, wie Kartoffel-, Graupen-, Erbsen-, Bohnen- und manchmal auch Grießsuppe mit Wasser gekocht,-aus Mangel an Milch-. Ich kann mich noch gut erinnern, dass letzteres scheußlich schmeckte, obwohl alle sehr hungrig waren. Alle Zutaten kamen damals aus noch vorhandenen Beständen der ehemaligen Wehrmacht. Manchmal gab es auch ein gutes Stück Fleisch und ein paar Knochen, daraus entstand dann natürlich eine wohlschmeckende Mahlzeit. Sonntags gab es auch mal Gulasch und Kartoffeln. Ungezählte Menschen nahmen damals die Kost sehr gern an und es gab eigentlich keinen Unterschied zu den Ausländern. Nachdem der Krieg dann am 8. Mai 1945 offiziell zu Ende war, erfolgt am 1. Juli 1945 die Übergabe unseres Gebietes an die russischen Truppen, die Amis und die Engländer zogen gen Westen; die ausländischen Fremdarbeiter und ehemaligen Gefangenen konnten die Rückreise in ihre Heimat antreten. Die „Volksküche“ konnte aber ihre Arbeit nicht einstellen, denn inzwischen kamen immer mehr Menschen, die für eine warme Mahlzeit dankbar waren. Durch die Vertreibung aus den Ostländern kamen sie nun aus dem Sudetenland, aus Schlesien und Ostpreußen, mit Pferd und Wagen, manche nur mit Handwagen, zu Fuß, manche mit Kinderwagen. Der Eisenbahnverkehr war zusammengebrochen, aus den Straßen fuhren nur noch „genehmigte“ Autos, der Bürgermeister Pfr. Strewe hatte einen uralten DKW an dessen Heckscheibe sein derzeitiger Titel „Captain“ zu lesen war. Überall standen die Suchanzeigen angeschrieben, weil durch die Vertreibung viele Familien auseinandergerissen wurden. Es hatte sich auch in der Umgebung herumgesprochen, daß es in Egeln „etwas zu essen“ gab. Allerdings konnten wir inzwischen nur noch Erbsensuppe kochen, die längst nicht mehr so kräftig war. Dann gab es aber zu dem Essen eine dicke Scheibe Brot und ein Viertelpfund (125Gramm) gelben, klebrigen ungereinigten Zucker, was damals eine Kostbarkeit bedeutete! Im Rathaus konnte man jeweils 2 Tage Gutscheine für die Verpflegung in der „Volksküche“ erhalten. Als dann ab Juli 1945 die Eisenbahn wieder fuhr, kamen Menschen auch aus Auffanglagern nach Egeln, um in der schon übervölkerten Stadt eine Unterkunft zu suchen. Manche hatten nicht mal eine eigene Kochgelegenheit, auch nicht Teller und Tasse, dazu kam ein kalter Herbst und ein kalter Winter, - da wurde der Essenraum im ehemaligen Pferdestall eingerichtet. Leider wurden die Lebensmittelzuteilungen immer geringer. Woher kam der Segen überhaupt? Es gab in Egeln und Umgebung verlassene Wehrmachtslager, da gab es Tauschobjekte und es gab eine Zuckerfabrik mit einem riesigen Rohzuckerlager – dafür gab es fast alles – und es gab damals noch eine große Mühle, - und eben Menschen, die für Menschen zu Verfügung standen. Einmal ist die „Volksküche“ dann noch umgezogen, in die Gaststätte „Gesellschaftshaus“, die der Familie Hempel enteignet wurde (heute ist das die „Wilde Zicke“) und sie bestand dann noch bis September 1946. Mag sich mancher erinnern und mancher möge nachdenklich werden, wenn er das jetzt liest. Immer, wenn diese Transporte ankamen, sprach es sich in der Stadt herum, daß wieder mal Hilfe gebraucht wird, daß man zum Bahnhof gehen sollte – um zu helfen! So kamen auch wir zu unseren neuen Mitbewohnern, obwohl wir bereits seit Jahren eine bombengeschädigte Frau mit einem Kleinkind in der Wohnung hatten. So kam noch ein alter Opa, der mit seinen beiden Töchtern aus der Heimat Bad Reinerz ausgewiesen war, die wir noch mit dem Nötigsten versorgen konnten. Da hat man Menschen erlebt, die mit offenen Herzen an ihrem „verschonten Reichtum“ andere teilnehmen ließen; leider aber auch viele, welche aus der unendlichen Not der Heimatlosen ihre Geschäfte machen wollten.
Am 24.April 1945 wurden die „Ausgehstunden“ auf von früh 7. 00 Uhr bis abends 7. 00 ( 19.00 Uhr ) festgelegt. Für besondere Passierscheine war nur der amerikanische Kommandant zuständig. Bei Übertretung, auch durch Ausländer, sollte die Militärpolizei auch von der Waffe Gebrauch machen. Für die Benutzung des Breitewegs gab es 3 Tage Anlernzeit, danach wurde Strafe angedroht. Die Angehörigen der früheren Wehrmacht und der SS sollten sich im Rathaus registrieren lassen, Verwundete sollten sich in der „Verbandstelle“ im Kaffee Holle (jetzt Kaffee Ulrich) eintragen lassen. Die Bevölkerung wurde zur Arbeitsaufnahme aufgefordert, damit die lebenswichtigen Arbeiten wieder geleistet werden konnten. An Bürokräften, Krankenschwestern und Dolmetschern gab es wegen „Überangebotes“ keinen Bedarf. Der evangelische Kindergarten in der Meisterstraße konnte seine altbewährte Tätigkeit wieder aufnehmen. Die Milch- und Butterversorgung wurde behördlich neu geregelt und es wurde ernsthaft auf das Verbot von Wasserzusätzen bei Magermilch, Wurst, Hackfleisch und Koks hingewiesen. Die Druckerei Metzner und Lohmann am Markt durfte nur Druckaufträge vom Rathaus ausführen, das Drucken für alle anderen Kunden war verboten. Am 1. Mai 1945 wurde in Egeln in der ehemaligen „Commerzbank“ eine Etappenkommandantur eingerichtet, die sofort besondere Anordnungen erließ, wie zum Beispiel, dass sich alle in Egeln befindlichen Soldaten, die bereits registriert waren, im Rathaus oder in der Verbandsstelle Holle melden mußten. Durch amerikanische Offiziere und Soldaten wurden die ca. 70 Personen im Sitzungssaal des Rathauses verhört und, bis auf die 7 Verwundeten, mit Militärfahrzeugen in ein unbekanntes Lager abtransportiert. Wie man später hörte, mußten die Gefangenen in belgischen Bergwerken arbeiten. Zur gleichen Zeit kam der Befehl zur Beschaffung von Wohnraum zur Unterbringung der ehemaligen russischen Gefangenen und Hilfsarbeiter, welche teilweise auf dem Durchmarsch waren und zum Abtransport über die Elbe gesammelt werden sollten. Für diese Maßnahme mußten viele Wohnungen am Hakeborner Weg, an der Hundertstraße und an der Halberstädter Straße geräumt werden. Weitere Russen wurden in der „Jahn-Turnhalle“ und in Gebäuden der Zuckerfabrik untergebracht. Diese Sammlung dauerte bis zum 10. Mai 1945, als gegen 6.00 Uhr mit einem großen Aufwand der Abtransport der ehemaligen Gefangenen auf dem Egelner Marktplatz zusammengestellt wurde. Weiter wurde angeordnet: „……daß auf den Straßen größte Sauberkeit und im Ort die Ordnung gesichert sein muß. Das Herumstehen auf Verkehrsstraßen und Plätzen ist verboten!“ In der Zeit klagte der Bürgermeister über unsachliche Diskussionen gegenüber der Stadtverwaltung. Er schreibt an die „Spaziergänger“: „Wird es denn wirklich jeden Tag schlimmer? Gewiß, es steht uns noch vieles bevor. Aber, die Suppe, die heute niemand gekocht haben will, ist serviert und muß gegessen werden. Ich, der Bürgermeister, bitte immer wieder, sich klar zu machen, wer Sieger ist und wer Unterlegener. Aber bei aller persönlichen Not soll täglich und auch nächtlich bedacht werden: 1) Egeln hat kein Luftbombardement erlebt. Die Lieder, die ich vorsorglich für den ersten Gottesdienst nach der Zerstörung unserer Heimatstadt drucken ließ, liegen bis heute unbenutzt im Kirchenschrank. 2) Egeln hat keinen Straßenkampf erlebt, durch den mancher sinnlos verteidigte Ort der näheren und weiteren Umgebung in Trümmer ging. 3) Die Sprengung der Wehrmachtsanlagen von Tarthun stand unmittelbar bevor. Durch sie wäre auch Egeln dem Erdboden gleichgemacht, Tatsachen für nachdenkliche Leute!“ Die Lebensmittellage wird ernst eingeschätzt, und dabei die Androhung, dass Geschäfte, die gegen die Anordnungen verstießen, sofort geschlossen und schon am folgenden Tage durch einen Treuhänder weitergeführt würden. In sehr beschränktem Maße wurden Lebensmittelzulagen ausgegeben, besonders für Bergarbeiter, Landarbeiter, werdende Mütter, Magen-, Zucker- und Tuberkulosekranke. Alle Leute über 70 Jahre erhielten eine „Ehrenmarke“, die zum Kauf von zusätzlich 125 g Fleisch berechtigte. Der Bürgermeister, Herr Strewe, schrieb in seiner Zeitung in fast humoriger Art: „Jede Woche brät eine Extrawurst. Erst war es eine zusätzliche Fettportion ( Talg ), jetzt noch 125 g Rosinen und nächste Woche sollte es noch 125 g Kakao geben.“ Gegen Abstempelung der „Haushaltskarte“ konnte man die Schuhe mit Leder besohlen lassen; die „Selbstbesohler“ erhielten auf Karten auch ein Paar Sohlen. Die Schuhmacher wurden gebeten, genügend Mitarbeiter einzustellen, damit die Arbeit auch geschafft werden könnte. Ebenfalls wurde bekannt gegeben, dass beide Drogerien ( F.L. Schmidt – Grabe und Schwandt – Becker ) auf „Haushaltspaß“ je eine Zahnbürste oder Kleinbürste zu verteilen hätte. Zu dringenden Besorgungen für das tägliche Leben wurden die ortsüblichen Handwagen zu einem ganz besonderen Bedarf. Im Rathaus wurden dafür besondere Bezugscheine ausgegeben, mit denen bei der Firma Fahrzeugbau Straube, Breiteweg/Ecke Wallstraße ein dort produzierter Handwagen erworben werden konnte. Dabei wurde sicher so mancher wertvolle Baum aus dem Egelner Wald durch das Gatter geschoben. Das „Arbeitsvermittlungsamt Egeln“ suchte: Ofensetzer, Töpfer, Schmiede, Schlosser, Tischler, Stellmacher, Zimmerleute, Maurer, Rohrleger und Schuhmacher, alle anderen Berufe seien überbesetzt. In einer Anzeige wurde auf die besonders handwerklichen Künste der russ. Gefangenen und Arbeiter hingewiesen, deren Holz- und Stroharbeiten in einem „Russenladen“ getauscht werden könnten. Zu diesem Thema „Tauschen“ ist auch bekanntgegeben worden, dass der „Deutsche Tauschring“ ins Leben gerufen wurde, der einen Ausgleich für schwer oder gar nicht beschaffbare Waren bieten sollte; denn die Not bei der Beschaffung von Schuhen, Wäsche und Kleidung war groß. Das „Technische Amt“ beklagte, dass die Kokslieferungen noch nicht „spruchreif“ seien - in dringendsten <fällen kann man aber ½ Zentner (25 kg) beim Kohlenhändler kaufen, wenn der betr. Kunde in der „Kohlenliste“ eingetragen ist. Um dieser großen Not um die festen Brennstoffe etwas abzuhelfen, wurde auch geraten, dass man nötigenfalls nur Eintopfgerichte kochen sollte, es sollte auch eine Einteilung bei der Benutzung von Kochstellen für mehrere Familien festgelegt werden. Bei aller Versorgungsnot gab es aber auch sogenannte „Erfolgsmeldungen“, die uns heute etwas schmunzeln lassen, nämlich, dass die Herstellung von Seife und Kaffee-Ersatz bald anlaufen würde. Für notwendige Transporte an Lebensmitteln, Brennstoffen usw. wurde im Rathaus eine „Fahrbereitschaftsstelle“ eingerichtet. Die Deutschen Solvey-Werke in Westeregeln boten ihre Reparaturleistungen an landwirtschaftlichen Geräten, an Maschinen und Fahrzeugen, an Haushaltsgeräten, elektrischen Einrichtungen und an Möbeln an, wobei die Auftraggeber gebeten wurden, soweit wie irgend möglich, Reparaturmaterial mitzubringen.
In den „Mitteilungen der Stadt Egeln“ vom 7. Mai 1945 beklagt der Bürgermeister, Pfarrer lic. Strewe die bestürzenden Problem bei der Jugend mit den Sätzen: „Probleme der verlorenen Jugend“ --- zertrümmerte Warte-räume und völlige Verständnislosigkeit --- „Unsere Jugend hatte keine Fragen mehr, das quellenden Leben war ( in diesem irrsinnigen Krieg ) zu Stumpfheit und Dressur geworden. Es gab keinen jugendlichen Widerspruch mehr, Vermassung und Versteppung hatten von den Seelen Besitz ergriffen. Jetzt waren wir zum Herdentier herabgesunken.“ Aber in seiner Hoffnung schrieb er weiter: „Es rufen von drüben die Stimmen der Geister, die Stimmen der Meister: Versäumt nicht zu üben die Kräfte des Guten! Wir heißen Euch hoffen!“ In der gleichen Zeitung mußte der Bürgermeister beklagen, dass die Versorgung immer noch sehr problematisch sei. Bei der Kohleversorgung wurde ein „Kohlenmarkensystem“ eingeführt „ um die seither übliche Willkür zu beenden.“ Nach einem Aufruf, die Arbeitsleistungen zu steigern, wurden erste Erfolge erkennbar. Zur Unterstützung dieser Maßnahmen gaben die Gemeinden die Karten nur an Arbeitende aus. Die nichtarbeitenden Arbeits-fähigen mußten ohne Zuteilungen auskommen. So erlebten wir es, - Kurz vor dem totalen Zusammenbruch; ein wahnsinniger Krieg, der aus einer vermessenen Idee mit verbrecherischer Suggestion ein ganzes Volk verführt hatte, - der Krieg schien zu Ende. Wilde Gerüchte über die Lebenslage und besonders über die zukünftigen Grenzen zwischen Ost und West fanden willige Hörer und so mancher hatte auch schon seinen Handwagen zur weiteren Flucht gepackt. Am 9. Mai 1945 erfuhren wir von der Kapitulation der deutschen Truppen in Berlin-Karlshorst. Bei allem Ernst und Schrecken gab es in den „Egelner Miieilungen“ auch mal eine spaßige Nachricht: „Zum Himmelfahrtstag am 10. Mai 1945, sollten die Ausflüge zum Herrentage in den nahen Hakel diesmal ausfallen.“ – man sollte die auf später verschieben. Das Gesundheitswesen war in Egeln neben der guten ärztlichen Versorgung so eingerichtet, daß es neben der Soldatenverbandsstelle im Kaffee Holle auch das Krankenhaus in der Mühlenstraße für Ausländer und Kranke mit ansteckenden Krankheiten gab. Ferner wurde in der altenSchule neben der Stadtschule am Pestalozziplatz ein „Behelfskrankenhaus“ eingerichtet, welches aber wegen der räumlichen Enge keine Auswärtigen aufnehmen konnte, mit Ausnahmen, wenn sie in Egeln erkrankten. Im gleichen Hause befanden sich auch die Wöchnerinnenstuben. Neben den vielseitigen Unbequemlichkeiten und Notständen gab es auch noch Eingriffe in das Privateigentum, indem die Besatzungsmacht bei einigen Bürgern Rundfunkgeräte und Fotoapparate beschlagnahmen ließ. Dieses wurde oft mit dem Bedarf für die Ausländerlager erklärt. Und das mußte die Unterschrift des Polizei-Revierleiters Körner tragen. Als am 15. Juni 1945 die letzte „Mitteilung“ herausgegeben werden konnte, gab es noch mal einen Überblick über die komplizierte Lage in der Stadt. Die Reisegenehmigungen waren erleichtert, indem man jetzt in der Umgebung, so von Magdeburg bis Quedlinburg frei verkehren durfte, für weitere Bereiche allerdings nur die Kommandantur zuständig. Man konnte, soweit die Strecken instandgesetzt waren, bis zu 30 km mit der Eisenbahn fahren. Nach Westen, wie z.B. ins Rheinland oder nach Osten über die Elbe hinaus gab es keine Erlaubnis. Für dringende Fahrten mit Kraftfahrzeugen gab es nur Genehmigungen über den Landrat an die Militärregierung. Neben den großen Problemen in der Lebensmittelversorgung, entstanden große Mängel in der finanziellen Sicherstellung für Leute, welche sich ihren eigenen Lebensunterhalt nicht verdienen konnten. Es konnte bisher noch nicht geklärt werden, wie z.B. Invaliden-, Unfall-, Knappschafts- und Angestelltenrenten gezahlt werden können, ebenso die Pensionen für Beamte. Für oben genannten Personenkreis sollte es dann Unterstützung durch die öffentliche Fürsorge geben, was auch für Evakuierte, Flüchtlinge und Angehörige von Soldaten galt. „Bei Arbeitsverweigerung wird keine Unterstützung gezahlt!“ das war das Gesetz. Weiter wurde Mitte Juni 1945 bekannt, dass die Lebensmittelversorgung jetzt kreiseinheitlich geregelt sein soll. Einige Beispiele zur Fleischversorgung: - in doppelter Menge konnten abgegeben werden = Schweineköpfe (mit Ohr und ohne Fettbacken), Eisbein (Dickbein), Kalbshaxen, alle Innereien (mit Ausnahme von Zunge, Leber und Nieren), Kopfsülze, Ochsenmäuler, Schweineschwänze und – ohren, Rückgratknochen und frische Blutwurst, gleichgültig ob lose oder im Darm verkauft wurde. In zehnfacher Menge (auf Fleischmarken) wird Kesselgrützwurst (lose Wurst) abgegeben. Rotwurst muß mindestens 30% Fettflocken enthalten, nachgeputzte Knochen sind markenfrei. Immer gingen wilde Gerüchte um, die Angst und Sorgen brachten, denn in der großen Politik der Siegermächte wurde um spätere Grenzen ihrer Herrschafts-Bereiche hart gerungen.
Als wir den Krieg noch einmal verloren So kam der Sonntag, der 1.Juli 1945 als gegen 10 Uhr überall der Ruf ertönte: „Die Russen kommen!“ Wir waren gerade in der Kirche, als da jemand hinein rief: „Leute die Russen kommen!“ Viele liefen raus und wollten schnellstens nach Hause, denn viele waren gerade vor den Russen durch halb Deutschland geflohen, und – was nun? Dann sahen wir fassungslos zu, wie die Amerikaner und die Engländer in geordneten Gruppen westwärts fuhren, - wir hatten mit etwas Schulenglisch so manchen menschlichen Kontakt aufgebaut. Und gegen Mittag kamen dann die Ersten der „Roten Armee“, die erst mal gar nicht so, wie die Sieger aus-sahen. Sie zogen zu Fuß, scheinbar endlos, oder ob sie zur Demonstration im Kreise marschierten? Sie sahen schlecht aus, ebenso ihre Uniformen mit den gerollten Decken über der Schulter, Wickelgamaschen und schlechtem Schuhwerk, Mützen auf den Köpfen. Kleine Pferdegespanne (wir kannten doch die Panje-Wagen) begleiteten die Kolonnen. Selten waren Kraftfahrzeuge dabei, manchmal ein Panzer. Tage und Nächte zogen sie durch unser Städtchen. Ihr monotoner, auf- und abklingender Gesang verbreitete Angst und Sorge vor dem, was nun alles auf uns zukommen würde. Schnell gab es am Markt eine Kommandantur und im Rathaus gab es sofort eine totale Veränderung. Neben vielen Angestellten mußte der bisher amtierende Bürgermeister, der Pfr. Adolf Strewe, sofort seinen Platz räumen, damit der Vorsitzende der KPD (Kommunistische Partei), Herr Willi Heuer, zum Bürgermeister ernannt werden konnte. Viele Bürger ergriffen sofort die Flucht in Richtung Westen, denn zu der Zeit war die neue Grenze noch kein großes Hindernis. Für die Hierbleibenden gab es sofort vielseitige Probleme. Unter der Herrschaft der Westmächte gab es wenige Übergriffe durch die Besatzungsmacht. Jetzt wurde das anders. Durch die Verhöre und Verhaftungen entstanden für viele Bürger sehr gefährliche Situationen. Auf Hinweise mißgünstiger und politisch fanatischer Mitbürger wurden die meisten ehemaligen Nazi-Mitarbeiter zum Rathaus bestellt oder auch, meistens bei Nacht, aus den Wohnungen abgeholt und mit unbekannten Zielen fortgeschafft. Eine Gerichtsverhandlung gab es dafür nicht. Nur einige junge Männer, die als Melder beim „Volkssturm“ eingesetzt waren, wurden aktenkundig vernommen ; einer davon kam ohne Tatbeweise später ums Leben. Ein Ungeheuer, vor dem viele Tausende – auch ich – über sehr lange und lebensgefährliche Wege geflüchtet waren, hatte uns wieder eingeholt.