Eine Tafel zum Erinnern Neue Gedenktafel informiert über Massaker in Drackenstedt 21. April 2020 Sachsen-Anhalt Gut 20 Kilometer von Magdeburg entfernt, liegt das kleine Örtchen Drackenstedt, welches zur Gemeinde Eilsleben gehört. Mit knapp 400 Einwohnern vermittelt Drackenstedt den Eindruck eines kleinen, unscheinbaren Dörfchens, in dem man die Ruhe und die Luft der Börde genießen kann. Niemand würde vermuten, dass hier vor 75 Jahren ein schreckliches Massaker geschehen ist, welches sich heute jeglicher Vorstellungskraft entzieht.
Im April 1945 wurde immer klarer, dass Deutschland den bereits sechs Jahre andauernden Krieg verloren hatte. Dennoch setzten die Nationalsozialisten alles daran, diese Niederlage zu verhindern und es den Alliierten so schwer wie möglich zu machen. Auch kurz vor Ende des Krieges schreckten die Nationalsozialisten nicht davor zurück weiter Menschen auf schreckliche Weise zu ermorden. So zählen auch die Todesmärsche von KZ- Häftlingen in den letzten Wochen des Krieges zu den Verbrechen der Nationalsozialisten. Als Todesmärsche werden Räumungsaktionen verschiedener KZs durch SS- Wachmannschaften bezeichnet. Dabei wurden frontnahe KZs aufgelöst und die Häftlinge in das Landesinnere verlegt. Zahlreiche Häftlinge überlebten die teils wochenlangen Märsche nicht: Sie erfroren, verhungerten oder wurden erschossen, weil sie vor Erschöpfung zusammenbrachen.
So wurde auch am 3. April das KZ Mittelbau-Dora samt seinen Außenlagern „evakuiert“. Die Häftlinge der Außenlager Stempeda und Rottleberode, ca. 1500 Mann, wurden unter der Führung von SS- Hauptscharführer Erhard Brauny und SS-Unterscharführer Lamp geräumt. Das ursprüngliche Ziel war das KZ Neuengamme bei Hamburg. Schlechtes Wetter, nächtliche Bombenangriffe der Alliierten und zerstörte Straßen sorgten dafür, dass die Gefangenen zu Fuß marschieren mussten und dass bereits einige Häftlinge durch die Bombenangriffe zu Tode gekommen waren. Die Route der Kolonne führte über den Harz in Richtung Neuengamme. Der Treck kam nur sehr langsam voran, da viele Häftlinge in einer sehr schlechten Verfassung waren und am Rande der Erschöpfung.
Die verbliebenen Gefangenen erreichten am 9. April 1945 Drackenstedt. Sie wurden in die Scheune des Großbauern Scherpings einquartiert, welche sich am Rande des Dorfes befand. Diese Scheune existiert heute nicht mehr. Schon in der Nacht flohen einige Gefangene, andere versteckten sich in dem in der Scheune gelagertem, meterhohen Stroh. Am nächsten Morgen fiel auf, dass ca. 150 Gefangene fehlten. Transportführer Lamp war in Eile und befahl den sofortigen Abmarsch ohne die Fehlenden. Einer zufällig eingetroffenen Einheit des Reichsarbeitsdienstes (RAD) unter Führung von Oberstfeldmeister Dilich befahl er, die Häftlinge aus dem Stroh zu holen und zu erschießen, um so schnellstmöglich weiterziehen zu können. Die RAD-Einheit bestand zum größten Teil aus Jugendlichen aus dem Elsass. Einer von ihnen war der damals 16 jährige Jean Uhl, der später Pfarrer wurde und sich entschlossen gegen den Nationalsozialismus aussprach. Er besuchte Drackenstedt nach der Wiedervereinigung noch dreimal um an die schrecklichen Ereignisse, deren Zeuge er geworden war, zu gedenken. Später wurde er von einem französischen Neonazi ermordet.
Oberstfeldmeister Dilich verweigerte den Befehl, da dies nicht zu dem Aufgabenbereich des RAD gehörte. Um weitere Konflikte mit Lamp zu vermeiden, rekrutierte Dillichs Stellvertreter, Oberfeldmeister Wagner, etwa 20 Freiwillige aus der Einheit und ging mit ihnen zur Scheune um das Stroh zu durchwühlen. Einige Häftlinge wurden heimlich wieder mit Stroh zugedeckt um sie zu verschonen, andere wurden aus der Scheune getrieben. Zehn von ihnen sollten eine Grube graben um die Toten darin zu begraben. Danach wurden alle getötet. Insgesamt wurden 58 Häftlinge erschossen. Lediglich zwei Häftlinge überlebten das Massaker. Einer von ihnen war der polnische Jude Joseph Russak, der später in die Vereinigten Staaten von Amerika emigrierte.
Großbauer Scherping verweigerte die Bestattung der Leichen auf seinem Acker und sorgte damit für eine Bestattung in einem Massengrab auf dem Friedhof von Drackenstedt.
Der Landesverband Sachsen-Anhalt des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. hat nun eine Gedenktafel auf dem Friedhof in Drackenstedt in unmittelbarer Nähe des Massengrabs und dem im Jahre 1963 eingeweihten Denkmal errichtet. Sie wird von nun an Besucher über dieses Massaker informieren und dazu beitragen, dass dieses Verbrechen nicht in Vergessenheit gerät.