Wir dürfen nicht vergessen, dass vor 500 und mehr Jahren die geografischen und ethnologischen Kenntnisse noch sehr begrenzt waren. Tartaren waren dann eben mal Mongolen und zu anderen Zeiten Mohammedaner. Zweimal standen sie vor Wien und die Schweden besiegten sie gemeinsam mit Kurbrandenburg am 12. Oktober 1656 bei Phillppowa (kleine polnische Stadt an der ehemals ostpreußischen Grenze), wo sie gemeinsam mit den Polen unter Gonsiewsky kämpften. Bei Lyck (Stadt in Masuren, im SO. Preußens) hatten kurz vorher am 27. September eben diese Polen und Tartaren unter Gonsiewsky über die Schweden und Brandenburger unter Graf von Waldeck einen Sieg errungen. Im 16. und 17. Jahrhundert erfolgten die Vorstöße der mongolischen Türken mit ihren Janitscharen-Einheiten, die mehrfach bis nach Wien führten, so dass für Jahrhunderte das Stoßgebet vieler Deutscher lautete: "Vor Türken und Tataren schütz' uns der Herre Gott!" Später änderte sich die Einstellung zu den Mohammedanern-Tartaren. Der Bau fester Mauern und von Wehrtürmen ergab sich als Schutzmaßnahme wie von selbst. Da Wehrtürme und Geschütze individualisiert wurden, indem man ihnen Namen gab, war auch ein Tatarenturm etwas ganz normales. Man hätte ihn ja nach damaligen Erfahrungen auch Sachsen- oder Polenturm nennen können. Die Einstellungen zu den Tataren änderten sich, als sich 1745 die Zahl muslimischer Söldner im preußischen Heer erheblich erhöhte, nachdem der albanische Juwelenhändler Sarkis dem preußischen König eine Schwadron bosnischer Lanzenreiter als Gegengewicht gegen die im vereinigten sächsisch-polnischen Heer dienenden tatarischen Reiter verkaufte. Der König war mit ihrer Leistung sehr zufrieden und richtete ihnen nach dem Friedensschluß in Ostpreußen feste Garnisonen ein. 1760 liefen zahlreiche in der russischen Armee dienende muslimische Truppen zu den Preußen über, weil sie befürchteten, in einen Krieg gegen das Osmanische Reich gezwungen zu werden; aus ihnen wurde ein selbständiges »Bosniakenkorps« gebildet - zehn Eskadronen mit insgesamt über 1000 Mann. Die Soldbücher dieser Truppeneinheit nennen einen preußischen Heeres-Imam: »Leutnant Osman, Prediger der preußischen Mohammedaner«. 1795 gewährte der König den Nachkommen der tatarischen Goldenen Horde, die beim Anfall Westpreußens und weiterer polnischer Gebiete an Preußen bei den muslimischen Lanzenreitern eintraten, in »Neu-Ostpreußen« freie Religionsausübung, einen eigenen Wohnbezirk, die Aufstellung eines eigenen Reiterkorps. Die muslimisch-tatarischen Kleinadligen nannten sich mit einem türkischen Wort »Oghlani« - woraus die berühmten preußischen Ulanen entstanden. Über den Tartarenturm und die Herkunft seiner Bezeichnung wurde nicht mehr viel geredet und heute fehlt eben dieser Bezug im Wissen und Gedächtnis der Menschen - ist ja wohl auch normal.
sehr interessant Dein letzter Beitrag im Thread. Allerdings verwundert mich der von Dir verwendete Begriff ,,mongolische Türken" etwas. Dergleichen kenne ich nicht. Entweder sind es in meinen Augen Mongolen, die ja bspw. unter Dhingis Khan oder Batu-Khan auch ein großes Reich besaßen oder Türken. Janitscharen gehörten zu den Eliteeinheiten des Osmanischen Reiches und waren oft Kinder von Christen, die den Eltern weg genommen, im muslimischen Glauben erzogen wurden und eine harte militärische Ausbildung hatten. MfG Wirbelwind
das mit den "mongolischen Türken" ist in erster Linie den begrenzten Kenntnissen des Mittelalters in Bezug auf Geografie und Völkerkunde zuzuschreiben. Aus dem Osten (gibt es denn so etwas noch?) kamen unbekannte Völkerscharen und bedrohten das christliche Abendland. Mit ausgeprägten Wangenknochen waren sie äußerlich von den europäischen Völkern zu unterscheiden. Mongolen waren der Oberbegriff für diese Reitervölker (in Europa waren es ja lange die "gefährlichen" Magyaren, die als Reitervolk dem Lebensunterhalt folgten und erst auf dem Lechfeld ... siehe Otto der Große und die Otto-Stadt). Aber auch die Turkmenen kamen aus dem Osten und hatten breite Wangenknochen, immerhin breitere als die Franken. Mit der Eroberung des nahen Ostens nahmen diese den Glauben des Islam an (damit ließen sich die besiegten Völker besser regieren) und wurden zu Türken. Dieses ganze Gemisch verschmolz dann im 16./17. Jahrhundert zu den "mongolischen Türken". Es war mehr ein Begriff für die Moritatensänger, als für Historiker und Ethnologen. Aber eben mundgerecht und eingänglich fürs Volk. MfG Hugo
Hallo Hugo + Wirbelwind, alle anderen Mitstreiter natürlich auch
ich habe bisher noch nie so einen Bezug zum Tatarenturm gehört. Die Tataren kamen aus dem Osten und damit waren meine Kenntnisse zu Ende. Bisher habe ich meine "Festungsarbeit" nur auf die bauliche Substanz und ihrem Zusammenwirken als Festung reduziert. Es gibt also noch mehr dazu zu erörtern, wie ein paar Steine übereinander geschichtet, die man dann als Bauwerk bezeichnet. Für jede Information, egal in welche Richtung, bin ich dankbar. Mieze
Bild entfernt (keine Rechte) Berlin, Gendarmenmarkt am 02.09.2017
Ich habe die mir zur Verfügung stehende Literatur befragt und folgende Brichte gefunden: 1. Magdeburgische Schöppenchronik In der ersten gedruckten Ausgabe vom Jahr 1869 (Leipzig, S. Hirzel) ist auf Seite 149 zu lesen: (zum Lesen Texte anklicken)
Da die Schöppenchronik der älteste Beleg ist, diese zuerst. Der Bau erfolgte demnach 1239, wobei sich die Herausgeber nicht endgültig auf den Turm am Kreuzgang oder den Turm am Ausgang von der Möllenvogtei festlegen. Ersterer wird allerdings bevorzugt, da im Turm am Ausgang der Möllenvogtei Baureste auf ein früheres Entstehen hinweisen.
2. Rathmann, Geschichte der Stadt Magdeburg (1801, Magdeburg, Creutzsche Buchhandlung), Band 1 Seite 80:
Bild entfernt (keine Rechte)
Hier ist das Jahr 1241 als Erbauungsjahr genannt. Es wird nur ein gegenwärtig noch existenter Turm genannt, der wahrscheinlich als "Tartarthurm" erbaut wurde. Der Turm in dem sich damals die Wasserkunst (der Domfreiheit) befand, ist der frühere Turm am Ausgang der Möllenvogtei. Das er zum Schutz vor den Tartaren, die ja richtigerweise "Mogolen" seien (wie Rathmann auf Seite 79 schreibt), errichtet wurde, ist natürlich nicht stichhaltig. Einen einzigen Turm zu errichten gegen Horden berittener Angreifer ist, wenn überhaupt, nur im Zusammenhang mit der übrigen Festungsanlage zu sehen. Aber seine Lage am südöstlichen Ende der Befestigungsanlagen war mit dem von dort gut zu überblickenden östlichen Elbvorland gut zu begründen. Von dort mussten die Feinde der Christenheit ja kommen.
3. Hoffmann, Geschichte der Stadt Magdeburg (1845, Magdeburg, Emil Baensch) Band 1 Seite 180:
Bild entfernt (keine Rechte)
Hoffmann legt den Bau in den Zeitraum von 1237 bis 1241 ("um diese Zeit") und plädiert für den Turm der zur Lossier'schen Badeanstalt gehört. Also auch wieder den Turm am Ausgang der Möllenvogtei.
4. Wolter (Magdeburg 1901) schreibt in seiner Geschichte der Stadt Magdeburg (3. Auflage) Seite 32 von der Bedrohung durch die Tartaren und verlegt die Bauzeit des Tartarenturms auf 1244. Er stellt ihn in die "Nähe des Domes ... auf der Südseite des jetzigen Fürstenwalls". Das wäre auch wieder mehr der Turm am Ausgang der Möllenvogtei, als der zur ehemaligen Küsterwohnung am Kreuzgang gehörige Turm.
Ich will mich nicht festlegen, aber anschließen würde ich mich der Mehrheitsmeinung.
Hallo, an einem Diskurs über ein interessierendes Thema bin ich immer interessiert. In punkto ,,Tatarenturm" kenne ich keine Unterlagen, so wie Hugo beispielsweise. Die Bennung,,Tatarenturm" fand ich merkwürdig, aber nun erklärbar, nachdem entsprechende Infos ins Forum gestellt wurden. Die von Hugo mitgelieferte Erklärung, was ,,mongolische Türken" bedeuten, ist mir jetzt plausibel, wenn er in den Kontext der damaligen Zeit gestellt wird. Da gab es die feinen völkergeschichtlichen Unterschiede, so wie wir sie heute kennen, in dem Umfang nicht. Erst waren es die Magyaren, dann die Mongolen, die Mitteleuropa heimsuchten, bevor sich die Türken aufmachten, Christenland zu erobern. Alles Heiden, die es sich zu erwehren galt. Noch ein Hinweis an mieze. Die Themen im Forum verfolgen, da kann ,,Ihnen geholfen werden" oder natürlich selber Fragen stellen. So habe ich es bisher gehalten.
Ich melde mich erst jetzt - leider! Danke für die Hinweise und Erleuterungen. Als Entschuldigung für mich kann ich nur vorbringen - ich bin erst 3 Wochen aktiv im Forum. Alles kann man in der "kurzen" Zeit nicht erledigen, wenn man sich seit 40 Jahren mit dem Festungsbau und -geschichte beschäftigt. Alles weis ich leider auch nicht. Im Forum habe ich mich schon einigermaße umgetan und viel Interessantes gefunden. Kommt Zeit - kommt Rat. Ich gedenke jedenfalls noch längere Zeit mitzumachen. Wie heißt es bei Esso - packen wir´s an. Die Fragen werden schon noch kommen. Mieze