Interessanter für unser Forum als die vom Zeitzeugen Immermann im Thema „Der Fürstenwall und Umgebung #121“ berichteten Verhältnisse sind die, die etwa ein Jahr später einsetzen. Ich übernehme wieder den Originalbericht.
Erster Teil - Vorspiel: Die Schlacht bei Jena und Auerstädt
Die Armee war in Thüringen, und durch unsere niedersächsische Ebene breitete sich nun im September und in der ersten Hälfte des Oktobers die tiefe Stille aus, welche großen Dingen vorherzugehen pflegt. Diese erschienen dann vorgebildet in der trügendsten Fata Morgana. Nämlich so. Am 14ten Oktober 1806 war die Familie auf dem Neustädter Markte in einem verwandten Hause. Es war Herkommens, das dieser Jahrmarktstag dort mit einem großen Essen gefeiert wurde; alle Freunde und nähere Bekannte nahmen daran Theil und zuweilen drängten sich gegen fünfzig Personen in der kleinen Predigerwohnung zusammen. Für die Kinder war der Tag eine andere Weihnacht und Monate lang vorher Gegenstand der ausgelassensten Erwartung, denn alle Strenge der Disciplin hörte dann auf und die wildesten Spiele durften ohne Scheu vor Nachahndung in Hof und Hausflur getrieben werden. Es gehörte zu der Eigenart meines Vaters, daß, so stramm er sonst die Zügel festester Ordnung hielt, er solchen Saturnalien Alles nachzusehen wußte. Am Abend jenes Tages tollte denn also auch wieder ein großes Rudel von Knaben und Mädchen mit Haschen und Kämmerchen vermiethen durch den Flur, als trotz des ungeheuren Lärmens ein Geschrei vom oberen Theile des Hauses sich hörbar machte. Ein Theil der Spielgenossen wurde dadurch nicht geirrt, Mehrere aber ergriff doch die Neugier, sie liefen die Treppe hinauf, und unter diesen befand ich mich auch. Oben hatten wir folgenden Anblick. Die Stube war gedrängt voll von Basen, Vettern, Oehmen, Muhmen, Freunden und Zugehörigen. In dem kleinen offenen Raume in der Mitte befand sich ein Mensch, der verrückt zu seyn schien. Er sprang in kurzen Sätzen empor, hielt sich den Kopf mit beiden Händen, kreischte, jauchzte, umarmte jetzt diesen und dann den. Man drang in ihn, er solle denn endlich sagen, was er wolle? und da gab er in abgebrochener, keuchender Rede, untermischt von unarticulirten Tönen von sich, daß so eben bei dem Gouvernement eine Staffette eingegangen sey, der Post und Überlieferung, Napoleon sey bei Schleitz total geschlagen und in voller Flucht nach dem Rheine. Hieran knüpften sich die glorreichsten Nachrichten von der Zahl der Todten, der Gefangenen, der eroberten Kanonen. Die Verluste gingen in's Unermeßliche. Der freudigste Jubel brach aus. Man schüttelte einander die Hände, Thränen der Rührung wurden vergossen, die Seligkeit des Glücks leuchtete aus den Augen der ältesten und trockensten Personen. Ich habe, wenn ich nachmals über diesen Vorfall in meiner Erinnerung kam, stets innig empfunden, wie tief die edeln Regungen, welche da erweckt wurden, in der menschlichen Brust gegründet sind. Man konnte wirklich zu jener Zeit vom Staate nicht viel mehr wissen, als daß er eine Anstalt sey, worin die Soldaten Spießruthen liefen, worin der Adel empfange, der Bürger und Bauer aber zu geben habe, und dennoch jauchzten die Menschen über sein Glück, als hätten sie ein Vaterland, welches ihnen die köstlichsten Früchte der Freiheit und des Großsinns trage. Die Nacht und der folgende Morgen ging im Schwelgen des befriedigten Patriotismus hin. Um Mittag kam aber der Vater mit einem ernsten Gesichte von der Kammer znrück und sagte: Bei dem Gouverneur ist keine Staffette eingrgangen und man weiß überhaupt nicht, woher die ganze Nachricht rührt. Prinz Louis soll bei Saalfeld angegriffen und schwer verwundet worden seyn. — Das klang nun freilich gar anders, und die unbestimmte Ahnung eines Unglücks, welche sogleich hervortrat, erhielt die tiefste tragische Wendung. Denn der Prinz war für Magdebnrg, was Achill für das Lager in der Ebene von Ilium gewesen. Er war Chef eines der bei uns garnisonierenden Regimenter, Domprobst, aber über diese Prädicate hinaus lagen die Zauber, mit denen er auf die Menschen wirkte. Seine Tapferkeit, Bonhomnie, seine große Begabung für Musik nicht minder als seine Waghalsigkeiten und forcirten Ritte nach Berlin und als selbst seine Schulden, Ausschweifungen und Liebeshändler hatten ihn in alle Lichter romantischer Beleuchtung gestellt. Der Tag und der folgende verging still und gespannt und ich weiß noch, daß ich in meinem Knabenkopfe darüber nachdachte, wie es möglich seyn könne, daß die Menschen an einem Abende entzückt und am Tage darauf niedergeschlagen wären. Ich wußte freilich keine Lösung zu finden, aber die erste Ahnung von der tiefen Zweideutigkeit und Tücke des Lebens entstand mir damals und knüpfte sich so an ein furchtbares allgemeines Geschick. — Niemand wußte, wie die Sachen sich verhielten. Ein Nachbar, von dem vielleicht noch öfter die Rede seyn wird, trat aber im Dunkel unter das Fenster, zu dem der Vater hinaus sah, und sprach von einer großen zweitägigen Schlacht bei Frankenhausen, die, als der Courier abgegangen, noch unentschieden gewesen sey. Auf so umstellende Weise bildete der Dunstkreis der Ereignisses seine Doppelheit ab. — Der Vater seufzte tief und stieß den Schmerzensruf aus: Gott, Friedrichs Soldaten werden denn doch wohl ihre Schuldigkeit thun! Der Morgen des 17ten Oktobers (wenn ich nicht irre) brachte den Jammer der kläglichsten Gewißheit. Schon in der Frühe war ruchtbar geworden, die Nacht zuvor sey ein verwundeter Offizier vom Schlachtfelde angekommen, der dem Gouverneur die schlimmsten Dinge entdeckt habe. Der Tod des Prinzen wurde bekannt. Aber, was in gewöhnlichen oder nur nicht ganz entsetzlichen Verhältnissen wie ein Fall sonder Gleichen erschienen wäre, das verschwand hier fast unbeachtet vor dem Heranschreiten des unerhörtesten Elendes. Denn um neun Uhr Morgens begann der Rückzug (wenn man ihn so nennen will) der geschlagenen Armee, welche in Magdeburg sich wieder sammeln sollte, und er hat ununterbrochen den ganzen Tag hindurch bis spät in die Nacht, so wie einen Theil des folgenden Tages fortgedauert. Aller Aufsicht entlassen, war ich als eilfjähriger Knabe beständig auf der Straße, habe ihn daher mit meinen Augen gesehen, und kann mithin sagen, daß meine erste große Anschauung der grausenvollste Sturz und Ruin gewesen ist. Um neun Uhr zogen die ersten Flüchtigen zum Sudenburger Thore herein. Haufen Fußvolks waren mit halben oder viertel Geschwadern Reiterei vermischt, dazwischen fuhren dann wohl einzelne Kanonen oder Pulverkarren. Durch einander trieben Uniformen aller Regimenter und der verschiedensten Grade sich zur Stadt herein. Auch einzelne Packpferde mit den balancirenden Zeltstangen wurden wieder sichtbar, Feldequipagen folgten und selbst die erbärmlichen rothen Küchenwagen blieben nicht aus. Zuweilen kam ein Stabsoffizier gesprengt, befahl etwas mit heftigen Schreiworten an Leute, die nicht von seinem Regimente waren, und sprengte dam weiter, ohne darauf zu achten, ob sein Befehl ausgeführt wurde. Das Volk hatte sich auf dem Breitenwege und am neuen Markt in dichten Haufen versammelt und sah Anfangs mit einer Art von dnmpfer Hoffnung dieser Verwirrung zu. Es sind die erstee Ausreißer, hörte ich mehrere Leute sagen, die halten sich nie in der Ordnung. Nur Geduld, bald werden regulaire Regimenter kommen. — Aber es wurde Mittag, es wurde Nachmittag, es ging gegen den Abend und noch hatte das Durcheinander nicht aufgehört, noch immer wälzte sich der verworrene Knäuel, zu welchem der Schlachtengott hier ein Heer zusaumengeballt hatte, durch die Straßen. Endlich kamen einige geordnete Schaaren, gleichsam zur Probe und um doch auch eine Ausnahme von der grausen Regel zu zeigen. Eingehüllt waren nun die Fahnen, die auf dem Hiuzuge so lustig im Winde geflogen hatten. Meistens zog Alles ohne Sang und Klang einher. Nur einmal tönte die Musik hell, gleichsam ein Lachen der Verzweiflung über das gramvollste Geschick. Das war, als das Trompetercorps eines Kuirassierregiments einpassirte. Sie hatten ihr Regiment nicht hinter sich, waren überhaupt ganz allein und für sich und bliesen so auf ihre eigene Hand den Dessauer Marsch, als sey Alles in bester Ordnung. Sie sahenwohl aus, die Trompeter, und saßen auf feistgenährten Pferden. Überhaupt fiel es auf, daß die Einzelnen nicht abgerissen oder abgehungert, oder sonst zerstört sich ausnahmen; das Tiefste des Unglücks trat in diesem Contraste persönlicher Wohlbehaltenheit mit allgemeiner Vernichtung zu Tage. Am Nachmittage wußte Jeder, daß es ein preußisches Heer eigentlich nicht mehr gebe. Eine marklose Trauer lag auf den Gesichtern der Menschen. Doch selbst in dieser regte sich noch der unbeschreibliche Geist, der jene Zeit charakterisirte. Ich hörte Jemand zu seinem Nachbar sagen: Das mag nun seyn, wie es will, schlecht ist es allerdings hergegangen, aber wir haben mit Ehren verloren, denn ich hörte so eben, daß die Franzosen in der Schlacht nicht aus dem Schritt, die Preußen jedoch nicht einmal aus dem Tritt gekommen seyen. Er wollte damit andeuten, wie vortrefflich unsere Armee bei Jena und Auerstädt exercirt habe. Der König war augekommen und in der Domprobstei am neuen Markte abgestiegen. Man wußte, daß er nach dem Fürstenwalle oder nach dem Gouvernementshause sich begeben hatte. Eine große Menge Menschen war, seine Rückkunft erwartend, in der hinabführenden Straße versammelt. Es dämmerte schon etwas, als der König die breiten Steine an der Seite der Straße zu Fuße heraufgeschritten kam, nur von einem Adjutanten begleitet. Bei seinem Anblicke brach die Menge in ein lauthallendes Vivat aus. Dieser Ruf mochte ihm so unerwartet seyn, der Augenblick ihn in dem Bewußtseyn seiner Lage so ergreifen, daß ihn die ihm sonst eigene Fassung verließ. Er zog sein Taschentuch hervor, bedeckte damit das Antlitz und ging so verhüllt einige Schritte weiter auf seinem Wege. Dann nahm er das Tuch wieder hinweg und schritt nun ernstgrüßend nach seiner Wohnung den Menschen vorüber, welche, erschüttert von der Thräne ihres Herrschers, den gewaltigen Moment durch das tiefste, ehrfürchtigste Schweigen feierten.
Zweiter Teil: Die geschlagenen Truppen in der Stadt, Vorbereitung der Verteidigung und Kapitulation
Die Stadt war von den Trümmern des Heeres überfüllt und an ein Einquartieren der Soldaten wurde in der allgemeinen Unordnung nicht gedacht. Die armen Menschen suchten sich gegen die Herbstkälte in den Vorhallen der öffentlichen Gebäude, unter Schwiebbögen, oder wo sonst ein Schutzdach überhing, zu bergen, wie es eben gehen mochte. Viele Tausende aber, die zu spät gekommen waren, lagen auf dem nackten Pflaster, und um wenigstens im Rücken einen Widerhalt zu haben, hatten sie sich zu beiden Seiten der Gassen gegen die Häuser gesetzt. So bildeten sie lange Spaliere Frierender, Hungernder, Murmelnder. In der Klosterstraße, worin das Haus meiner Eltern stand, war ein solches hauptsächlich aus Überbleibseln von polnischen Regimentern zusammengesetzt. Der Hunger quälte sie, und zwang Manchen zur Befriedigung durch den verachtetsten Wegwurf, da die Mildthätigkeit der Einwohner einer solchen Menge doch nur spärliche Kost darreichen konnte. Am ersten und zweiten Tage mögen zwischen vierzig- und fünfzigtausend Mann in Magdeburg gewesen seyn. Für einen Leckerbissen galt es jenen armen Polacken, wenn sie zu dem hin und wieder empfangenen Kommißbrode eines Töpfchens mit braunem Syrup habhaft werden konnten, in welches dann oft eine ganze Corporalschaft gierig die Brodschnitte eintauchte. Indessen dauerte dieser Zustand nicht lange. Hohenlohe zog ab und etwa zweiundzwanzigtausend Mann blieben in der Stadt, die der alte Kleist zu vertheidigen denn doch nothgedrungen sich das Ansehen leihen mußte. Es wurde sogar ein Wort ausnehmenden Heldenmuthes von ihm umgetragen. Er sollte gesagt haben, er werde die Stadt halten, bis das Schnupftuch in seiner Tasche brenne. Jedermann machte sich daher auf eine Belagerung gefaßt uud richtete sich auch im Hause ein, wie in einer Festung. Die werthvollsten Sachen, das Silberzeug und was sonst einer wenig Raum einnehmenden Verpackung fähig war, wurde in Koffer und Kisten gethan und darauf mit saurer Anstrengung in den Keller befördert, den Jeder für sich und die Seinigen auch als Zufluchtsort im Fall eines Bombardements erlas und zurichtete. Namentlich galt es für ein Sicherungsmittel gegen Bomben und Granaten, die Zugänge mit großen Düngerhaufen zu verwahren, so daß die Häuser bald wie polyphemische Heerdengrotten aussahen und dufteten. Aber dieses und auderes dergleichen wurde vor dem Antlitze der Gefahr nicht beachtet. Am meisten Sorge machte den Hausvätern die Verproviantirung ihrer Angehörigen. Mein Vater hatte kurz zuvor einen einfältigen Bauerburschen in Dienst genommen, weil es seine Sitte war, sich die Bedienten aus dem Stande der Rohheit zuzuziehen; diesen sendete er nun in die nahen Dörfer aus, mit dem Befehl, an Lebensmitteln zusammenzubringen, was er bekommen könne. Der Mensch war bis dahin völlig unbrauchbar gewesen, faul, nachlässig, langsam bis zur Widerwärtigkeit; bei diesem Verpflegungsgeschäfte aber nahm er sich, vermuthlich aus dem Grunde, weil die Sache seinen Magen mit betraf, unglaublich diensteifrig. Als ein wahrer Eulenspiegel der Versorgung hatte er im Wortsinne der empfangenen Ordre an Lebensmitteln zusammengebracht, was zu bekommen gewesen. Mit einem vierspännigen Wagen passirte er ein, hochbefrachtet durch Säcke voll Korn, Mehl, Erbsen, Bohnen, Linsen, Kartoffeln, hinterher ging ein Gehülfe und trieb einen Mastochsen, mehrere Hämmel und Schweine nach. Den Eltern wurde bei dem Anblicke dieser gigantischen Vorräthe, die für einen zweiten trojanischen Krieg auszulangen schienen, doch bedenklich zu Muthe. Man ließ von den Säcken und von der Heerde die Hälfte an Befreundete ab, und hatte kaum für den Rest Platz im Hause. So waren denn die Bürger wohlbereitet auf Erdulden und Ausharren, und es kam nun darauf an, was der Gouverneur thun würde. Ende Oktobers hieß es eines Morgens plötzlich, man könne nicht mehr zum Thore hinaus, weil die Franzosen davorständen. Jetzt also war die Stadt belagert, und wir Kinder wurden mit in den Belagerungsstand erklärt. Der Vater ließ uns nämlich Abends nicht mehr zu Bette gehen, sondern der Reihe nach in den Kleidern auf einem Strohlager niederlegen, damit wir gleich munter und marschfertig seyen, wenn das Bombardement angehe und Feuer ausbreche. Ney machte an einigen Abenden schwache Angriffe auf das Crökenthor und die hohe Pforte, damit denn doch die Sache den Schein von so einer Art von Kriegesbegebenheit gewinne. Generalmarsch wurde geschlagen, ein halbes Stündchen an beiden Thoren geschossen und zwei oder drei Granaten fielen in die Stadt. Das war das Ganze. Der französische Marschall wußte, mit wem er zu thun hatte und wollte einem Platze nicht schaden, den er schon für das Eigenthum seines Herrn ansah. Bei einer jener Gelegenheiten sollten wir zugleich erfahren, wie tief sich das Verderben in den Stand eingefressen hatte, von welchem alles Heil des Vaterlandes erwartet worden war. Zwei Offiziere lagen bei uns in Quartier; zwei junge Lieutenants. Als nun in einer Nacht das Schießen begann und die Trommel zum Generalmarsch gerührt wurde, verfügte sich mein Vater zu den Beiden hinunter, um sie zu wecken, kam aber nach einigen Minuten blaß vor Entrüstung zurück. Denn als er den Beiden gesagt, sie möchten aufstehen, der Feind greife die Stadt an und es werde Generalmarsch geschlagen, hatten sie versetzt, sie würden liegen bleiben. Und als er mit Nachdruck seine Botschaft wiederholt, hinzufügend, sie würden ihn wohl nicht recht verstanden haben, war ihm der Eine ungeduldig in die Rede gefallen und hatte gerufen: Ja doch! Er solle sich doch deswegen keine unnütze Sorge machen, die Sache draußen werde schon ohne sie von Statten gehen, und wirklich waren beide nicht zum Aufstehen zu vermögen gewesen. Nachdem wir etwa vierzehn Tage lang in einer stumpfen Erwartung hingelebt hatten, hörten wir von französischen Parlamentairen, die mit verbundenen Augen zur Stadt hereingeleitet worden seyen und bald darauf geschah, was bekannt genug ist. Der Fall von Magdeburg war schlimmer als die verlorene Schlacht. Denn daß sich alte ermüdete Geister im offenen Felde wider Napoleon nicht zu helfen gewußt hatten, bewies doch eigentlich nur die Überlegenheit, die dem Genie immer beiwohnt. Allein ganz anders verhielt es sich hinter den Wällen einer mit zweiundzwanzigtausend Mann Garnison und Vorräthen aller Art wohlversehenen Stadt einem Feinde gegenüber, der nicht einmal Belagerungsgeschütz mit sich führte. Hier hätte eine ganz gewöhnliche Pflichterfüllung zugelangt. Und wollte man auch diese zu schwer für einen halbkindisch gewordenen Greis finden, so war doch der Umstand einzig in der Kriegsgeschichte zu nennen, daß unter den achtzehn Generalen und höheren Offizieren, aus denen Kleist seinen Rath zusammengesetzt haben soll, nur Einer der Capitulation zu widersprechen wagte. Beinahe hätte der Ehrgeiz der Gemeinen, welcher in diesem Falle da rege war, wo er die wenigsten Antriebe empfing, am Morgen der Übergabe gefährliche Auftritte erzeugt. Die Leute waren schwer gereizt durch die schmachvolle Überlieferung, welche ihrer vollen Kraft und Stärke feiges Erliegen zumuthete. Schon am Abend des siebenten November‘s hatten sich einzelne Unruhige geäußert, man müsse dem Gouverneur die Fenster einwerfen. Nun hatte man am andern Morgen in der Frühe unvorsichtigerweise von den Brantweinvorräthen, welche in den Gewölben der Festung lagerten, den Soldaten reichlich zapfen lassen, weil man lieber diesen das Gute gönnte als den Franzosen. Dadurch aber waren die Köpfe entzündet worden und es bildeten sich, als die Stunde des schimpflichen Hinausmarsches herannahte und als man wußte, daß die Franzosen bereits auf dem Glacis aufmarschirt standen, große Haufen, welche wie wüthend durch die Straßen liefen. Verschiedenartig war das rasende Beginnen, welches diese Meuterer androhten. Die Einen schrien: Sie wollten den alten Hund (womit sie den Anstifter des Elendes meinten) massacriren, die Anderen vermaßen sich, auf die Franzosen draußen losgehen zu wollen; mit Mord und Brand gegen die Stadt warfen wieder Andere um sich. Wenn der Aufruhr größere Massen ergriffen hätte, so wäre ein schweres Unglück zu besorgen gewesen. Denn Ney's Schaar wartete wohl nur auf eine günstige Gelegenheit einzudringen und dann in der Stadt, als in einer erstürmten, zu plündern. Indessen wußten einige der im besten Ansehen stehenden Offiziere, welche den Haufen nachgingen, diese durch Zureden, Güte oder List zu beruhigen, auseinander zu bringen und unschädlich zu machen. Die Garnison wurde getrennt und zu verschiedenen Thoren ausgeführt. Auf diese Weise nahm Alles einen unschädlichen Verlauf, man erzählte aber, daß eingroßer Theil der Soldaten unterweges zornig die Gewehre auf dem Pflaster zerschmettert habe und ganz waffenlos, oder doch nur mit verstümmelten Waffen auf dem Platze angekommen sey, wo diese gestreckt werden sollten. Französische Husaren mit dicken Haarzöpfen sprengten in die Stadt, Chasseure folgten, bald zogen auch Infanterieregimenter ein, die gegen unsere Truppen ein ziemlich bettelhaftes Ansehen hatten, denn Ney führte eigentlich nur Halbgesindel. Die sogenannte „Löffelbande" war für die Festungen genügend erschienen, und die besten Regimenter hatten den Zug zu dem ernsteren Kampfe in Polen und Ostpreußen angetreten.
Wir wußten jetzt wirklich, woran wir waren, wie jene Offiziere im Zeughause vorausgesagt hatten, und der eigentliche Stand der Sache sollte bald ganz klar werden. Die Franzosen benahmen sich nämlich durchaus nicht wie in einem durch Capitulatiou übergebenen Orte, sondern eine Menge von Excessen bezeichneten den Tag ihres Einrückens. Nun hatte sich gleich aus den Notabeln der Stadt eine Commission zum Verkehr mit dem französischen Heerführer und zur Besorgung der städtischen Angelegenheiten zusammen- gethan. Diese wandte sich an Ney, da bei den untergeordneten Befehlshabern nichts auszurichten war, und bat um Schutz. Ney empfing die Bittenden äußerst höflich, versetzte aber auf ihr Gesuch, daß er unmöglich glauben könne, was sie ihm vortrügen, er commaudire zu disciplinirte Truppen, eine kleine Erholung sei dem Soldaten auf seine Strapatzeu wohl zu gönnen. In der Nacht aber und am folgenden Tage mehrten sich diese Erholungen. Schränke wurden erbrochen, Silbersachen geraubt, Mißhandlungen an den ersten Einwohnern, Gewaltthätigkeiten an Frauenzimmern verübt, so daß der Zustand nahe an eine Plünderung streifte und in diese übergehen mußte, wenn nicht von Seiten des Wachthabenden augenblicklich Einhalt geschah. Die arme Commission begab sich daher wieder zu diesem, wurde anfangs gar nicht vorgelassen, nachher mit finsterem Gesicht empfangen und heftig angefahren: Er begreife nicht, wie ihn die Stadt Magdeburg immerfort behelligen könne, da sie sich noch gar nicht um ihn bekümmert habe! — Die Mitglieder sahen einander betroffen an, da sie wußten, daß keine Form verletzt worden war, die der Überwundene dem Überwinder schuldig ist. Ungnädig entlassen verweilten sie draußen im Vorgemache noch einen Augenblick, über den Sinn der dunkelen Rede nachdenkend. Den legte ihnen nun ein Commissaire Ordonateur aus, welcher mit ihnen in Neys Zimmer gewesen und ihnen gefolgt war, vermuthlich abgesandt von dem Marschall, um der deutschen Beschränktheit zu helfen. Er sagte ihnen nämlich ganz freundlich, der Herr Marschall verstehe eigentlich unter dem Bekümmern das übliche Geldgeschenk, womit sich eine eroberte Stadt von der Einbuße ihrer Glocken loskaufen müsse, welche nach Kriegsrecht dem Eroberer angefallen seyen. Nachdem die Commission solchergestalt den Sinn des französischen Kuustausdrucks gefaßt hatte, fragte sie schüchtern den gefälligen Zahlmeister, der aber in diesem Falle zum Einnehmer werden sollte, auf wie hoch denn etwa das „Bekümmern" zu veranschlagen sey, und erhielt den Bescheid, Einhundertfünfzigtausend Thaler würden wohl hoffentlich genügen. — Dem ersten Entsetzen über diese unmäßige Forderung folgte dann ein förmliches Dingen und Feilschen, und man handelte bis auf Einhunderttausend Thaler (wenn mir recht erinnerlich ist) herunter. Fünfundsiebenzigtausend Thaler wurden nun in wenigen Stunden durch Beisteuern der reichsten Einwohner aufgebracht, über den Rest der Summe ließ sich Ney Wechsel gefallen. Es versteht sich, daß auch die Umgebung zu bedenken war, und daß namentlich der Dollmetsch des fremden Ausdrucks ansehnliche Übersetzungsgebühren empfing. Sobald Ney das Glockenlösegeld empfangen hatte, ergingen die geschärftesten Befehle, Manneszucht herzustellen, einige der Eroberer niederen Grades, welche sich noch beigehen ließen, noch zu ihrem Glockenantheile in den Kisten der Bürger zu gelangen, wurden mit strengster Strafe belegt und Jedermann war nun seines Eigenthums und seiner Gliedmaßen sicher. Alle diese Vorgänge, über welche die Biographien des Fürsten von der Moskwa schweigen, hörten wir vom Vater erzählen, der auch in die Commission eingetreten war. Die Zeiten, welche einem Schlage, wie er damals alle Verhältnisse zerschmetterte, folgen, sind eigentlich keine Zeit. Die Menschen leben nur vom Abend zum Morgen, ihre Vorstellungen schwärmen ohne Zusammenhang umher, den Entschlüssen fehlt jede Conseqnenz. Alles verzettelt sich, bröckelt auseinander und schnappt in den kurzathmigsten Anstößen nach Luft. Ein Land, eine Provinz, der jeder höhere Lebensathem solcherweise abgeschnürt wurde, bietet den Anblick eines niedergetretenen Ameisenhaufens dar. Die Thätigkeit der Herstellung ist groß, aber die Menschen wimmeln auch nur so durch einander in thierischen Instinkt, die Eierchen wegzutragen, dieses Gängelchen und jenes Kämmerlein wieder auszutreten. Der Egoismus zeigt sich in seiner häßlichsten Gestalt und die Gemeinheit deckt ganz scheulos ihre Blöße auf. Eine Caricatur erschien, welche Kleisten mit Beziehung auf das erzählte renommistische Wort des faselnden Greises darstellte. Das Schnupftuch hing ihm lang aus der Tasche und ein französischer Soldat steckte es mit einem Fidibus hinterrücks in Brand. Und es gab Menschen, welche dieses Witzbild über die Schmach der eigenen Stadt kauften, auch darüber zu lachen im Stande waren. Wir Kinder mußten von allen Seiten den großen Kaiser Napoleon nennen hören uud seine außerordentliche Familie; da setzten wir uns hinter unsere Tuschkästchen, illuminirten kleine Landschaften und schrieben Dedicationen darunter „an Napoleon den Unüberwundenen und Unüberwindlichen", an die Kaiserin Josephine, an Mürat. Eylau tönte nach einigen Monaten aus weiter Ferne herüber, und Colberg, aber das war doch nur Schall und Rauch. Lange vor dem Tilsiter Frieden stand es in der Überzeugung eines Jeden fest, daß das Vaterland für uns verloren sey. Die Franzosen übten eine Nachsicht gegen die Anregungen, die der Patriotismus hätte finden können, welche von ihrer Verachtung zeugte. Schill's Bild wurde bald in den Läden ausgeboten, Blücher ebenfalls, wie er bei Lübeck sich tapfer durchhieb, Friedrich der Große stand trübsinnig an eine abgebrochene Säule gelehnt, welche die Inschrift: „Preußens Größe" führte. Der Debit dieser Darstellungen wurde nicht gehemmt; ein Widerspruch gegen die nachmaligen argwöhnischen Beaufsichtigungen. Aus historischen Träumen erwacht, die für Wirklichkeit gegolten hatten, stießen sich nun die Menschen gegen eine Wirklichkeit, die fast wie ein grauser Traum aussah.
Vierter Teil: Allgemeine Stimmungslage zur Rolle Napoleons seit Beginn des Krieges mit Österreich 1805
In diesem Teil werden noch einige Fragen beantwortet (Was sagten die zwei Offiziere auf dem Domplatz?, Was war mit den Zeltstangen und den roten Küchenwagen?) - siehe oben. Fragen, die auch für Diaramenbauer oder Colorierer und Maler interessant sind.
Die erste große Weltbegebenheit, welche meinem Sinne einging, war der Krieg der Österreicher im Jahre 1805. Die Dinge, welche ich davon vernahm, sind charakteristisch, um die damalige jetzt unglaublich aussehende Stimmung in Norddeutschlaud zu bezeichnen. Ich hörte nämlich eines Tages unter mehreren Bekannten des Hauses von dem nahen Ausbruche jenes Krieges reden, und es war nicht anders, als wenn es ein Unglück wäre, sollten die Österreicher siegen. An welche Schlußfolgerung diese Sorge geknüpft wurde, ist mir entfallen. Sie erschien um so verwunderlicher, als daneben her der Abscheu gegen den französischen Vergewaltiger ging. Ein alter Doctor, der Hausarzt, hatte sich besonders unter jenen Redenden hervorgethan, jedoch die Zweifelmüthigen mit der Aussicht auf die gewisse Niederlage der Österreicher beruhigend. Dieser war es auch der meinem Vater in seine Gartenstube die erste Nachricht von dem gräulichen Unglücke bei Ulm brachte. Was habe ich gesagt, Vetter! rief er schon von draußen zwischen den Blumenbeeten meinen Vater an; die Halters haben tüchtige Schmiere gekriegt. — Ich saß mit meiner Rechentafel beschäftigt in einen schwierigen Bruch vertieft und dachte, als ich nun Macks Capitulation mit anzuhören bekam, im Stillen: da habt Ihr es für den Sturm von Magdeburg. — Wie erdichtet klingt es, es ist aber wahr, daß die demnächst erfolgte Auflösung des Reichs und die Niederlegung der Kaiserkrone bei uns nur Freude erregte. Es wurde darüber gewitzelt, gespöttelt und ein munteres lebhaftes Frauenzimmer, deren Zunge bei keiner Gelegenheit zu feiern pflegte, habe ich ausrufen hören: Nun hat sich das Fränzel selbst auf Pension gesetzt! — Ein großer Illuminirter Kupferstich hing in einem Bilderladen aus, da sahen wir einen untersetzten Mann im bienenbesäten Mantel von einem alten Manne in Purpur etwas empfangen, was wir nicht recht unterscheiden konnten und rings umher Damen und Herrn, prächtig gelb, roth, blau, grün angestrichen, und man sagte uns, daß sey die Kaiserkrönung Bonaparte's. Mit diesem verknüpften wir den Begriff, daß er eine Art von Tollem sey, der sich zu seinem Vergnügen überall in der Welt herum haue und herumschieße, daß er uns etwas thun könne, fiel Niemandem ein. Wenn von seinen Siegen 1805 die Rede war und nebenher noch Manches andere zur Sprache kam, was er gethan, so hieß es immer: laß ihn sich nur erst einmal gegen die Preußen versuchen. Für uns Kinder hatte er durchaus etwas Lächerliches und das kam daher, weil seine einzige Verehrerin im Kreise der Bekanntschaft uns den Lachreiz durch ihre Person gab. Diese Bonapartistin war nämlich eine alte unvermält gebliebene Jugendfreundin der Großmutter, die uns um so mehr auffiel, als wir sie nur in Gesellschaft der Großmutter sahen, und da allerdings ein starker Contrast hervortrat. Die Großmutter, zu ihrer Zeit ein gepriesene Schönheit, war eine große, wohlerhaltene Frau in den Fünfzigern; die Freundin dagegen eine kleine, verwachsene Gestalt mit einem Gesichte, grau, faltenreich, alräumchenhaft. Die Großmutter sprach laut, daß man es im dritten Zimmer hören konnte, die Freundin hatte den asthmatischen piependen Ton, hüstelte zwischen jedem Satze und mengte in Alles französische Phrasen, hinter deren Jeder aber das Wörtlein: Hé quoi? [He was?] angeflickt wurde, gleichsam als Ballast für das unter fremder Flagge fahrende Schiff. Da sie nun überdies auch Taback schnupfte und immer einen grünseidenen Hut trug mit rothen Rosen, so war sie für uns eine entschieden komische Figur und hieß wegen ihrer Anhänglichkeit an den frisch-Gekrönten, Ruston, denn von diesem Leibmamelucken war auch schon vielfach Rede gewesen. Tante Ruston hatte sich also bei Zeiten für den Gewaltigen entschieden und verhehlte nicht, daß sie ihn für den ersten Helden und größten Mann aller Zeiten halte. Toulon, Egypten, Montenotte, Millesimo, Dego, Arcole, Lodi, Marengo stäubten ihr nur so von den Lippen, uud da sie nach der Art alter Jungfrauen sehr viel sprach, so erfuhren wir von diesen französischen Heldenwundern nicht seltener als von den Schlachten des siebenjährigen Krieges durch den Vater. Es fehlte aber viel, daß sie auf uns einen ähnlichen Eindruck gemacht hätten, denn Tante Rustan piepte, hüstelte uud näselte sie ab, wodurch alle Würde des Vortrags verloren ging. Es kann dazu der Umstand, daß sie in eigensinniger Verkehrtheit dem Namen ihres Helden einen ganz ungehörigen Pleonasmus gegeben hatte. Sie nannte ihn nämlich nie anders als Neapoleon. Vergebens corrigirte sie die Großmutter jedesmal, so oft diese sonderbare Verlängerung hörbar wurde, umsonst wurde sie auf gedruckte Documeute verwiesen; sie blieb dabei, daß das Wort: Napoleon eine neidisch verkleinernde Contraction sey und daß der Name in seiner wahren Fülle so klinge, wie sie ihn ausspreche. — Wir Kinder aber, die wir wohl wußten wie es darum stand, setzten bei uns in der Stille fest, daß an einem Manne, den seine eifrigsten Anhänger nicht einmal richtig zu benennen wüßten, unmöglich viel seyn könne. Was meinen Vater betrifft, so nannte ihn dieser nur Bonaparte, ist auch bei der Bezeichnung die ganze Zeit der Unterdrückung hindurch verblieben. Übrigens stimmte er weder in die Herabsetzungen der Österreicher ein, obgleich er auf dieselben vom „Könige“ her, nicht gut zu sprechen war, noch ließ er sich zu übermüthigen Dingen wider den französischen Kriegesfürsten verleiten, wie er denn der ernsteste und in sich gezogenste Charakter war, der mir je vorgekommen ist. Seyn Vertrauen aber auf Friedrichs Staat und Heer sprach er bei jeder Gelegenheit herzhaft aus. Dieses Gefühl steigerte sich noch, als auf einer großen Magdeburger Revue plötzlich französische Marschälle von Hannover aus als schlaue Ehrengäste erschienen. Der Herzog von Braunschweig stand jener Heerschau vor, und eine ganze Woche lang sahen wir alle Morgen die Regimenter im höchsten Staat mit den Fahnen vom siebenjährigen Kriege her, die nur in Fetzen flatterten, aber wie wir wußten durch diesen Beweis des empfangenen Kugelsegens um so ehrwürdiger waren, ausrücken. Nicht genug konnte man sagen, wie die Marschälle, unter denen wir Bernadotte nennen hörten, des Lobens und Rühmens voll seien über die preußischen Truppen, und Jeder der davon sprach, that, als sey ihm etwas Schmeichelhaftes widerfahren. Diese kindischen Geschichten lehren, daß damals der Traum sicherer Größe nicht bloß von einzelnen Verblendeten, und nicht von einer Classe, sondern durch alle Stände und bis zu den Kindern hinab geträumt wurde. Es schien, als ob alle Welt einen Taumelkelch getrunken habe, denn es gab doch Landkarten und statistische Bücher und die sogenannte Rheincampagne hatte doch endlich zu dem nicht sehr ehrenvollen Frieden von Basel geführt, aber keine Erinnerung schreckte. Ja es war, als ob der Mann, der sich andrer Orten so furchtbar erwiesen hatte, in diesem Falle den Schwindel mehren sollte, anstatt von ihm heilen. Die preußische Armee mit der Revolutionsmasse zusammengestoßen, schien da einem ihr nicht gemäßen Elemente begegnet zu seyn, die Zweideutigkeit der Erfolge konnte aus einem gewissermaßen unanständigen Versuchen der Kriegesmeisterschaft wider rohes Naturalisiren abgeleitet werden. Wie nun aber Napoleon als unbezweifelbarer Virtuose des Metiers hervortrat, so entstand sofort die Vergleichung mit Friedrich, und da dieser dem Durchschnitte der Menschen noch immer als der Höchste galt, der überhaupt im Kricgeswesen gedenkbar sey, so fiel das Prognostikon unbedingt ungünstig wider den französischen Helden aus. Man nahm an, daß Napoleon sich nach Regeln schlage, und die Regeln aus Friedrichs Schule, deren Tradition noch bei dem Kriegesstaate fortgepflanzt wurde, mußten natürlich die siegbringenden seyn, wenn auch von noch so alten und kraftlosen Händen ausgeführt. Möllendorf wurde mit der größten Ehrfurcht genannt, doch erinnere ich mich auch, daß Blücher schon damals in den Gesprächen stark hervorklang, und daß man wegen eines kühnen und gewaltigen Reiterangriffs (welcher? ist mir entfallen,) an ihn die Aussicht knüpfte, vor ihm sey, wenn er zum Einhauen komme, kein Bestand, denn er reite Alles nieder. Indessen glaubte bei uns seit der Revue, welche die Marschälle besucht hatten, Niemand mehr an den Krieg mit den Franzosen. Es hieß, daß sich nun die Obersten der fremden Armee selbst von der Vortrefflichkeit des preußischen Exercitiums überzeugt hätten und daß der französische Kaiser daher wohl Bedenken tragen würde, eine schlimme Lection in Empfang zu nehmen. Aber eines Tages sahen wir plötzlich in dem großen, gewaltigen Zeughause, welches zunächst dem Dome einem bedeutenden Theile des neuen Marktes seine Front zukehrte, (es ist nachmals abgebrannt;) eine unruhige Bewegung. Die Flügelpforten des Gebäudes waren aufgethan, neugierig schauten wir in die geheimnißvollen schwarzen Räume, in welchen Geschütz an Geschütz, Kugelhaufen an Kugelhaufen sich befand. Ein Zufall begünstigte meine Forschbegier, ich drang in diese Werkstätte des Todes ein und gelangte selbst auf die oberen Böden. Dort sah ich mit schämigem Vergnügen auf unabsehlichen Gerüsten den Feuergewehrbestand des Magazins. Soldaten schleppten sich mit Flinten und Pistolen, unten wurden Kanonen und Laffetten untersucht, hinausgefahren, und zwei Offiziere, hinter denen ich herging, hörte ich die charakteristischen Worte sprechen: In vier Wochen wissen wir, woran wir sind. Bald nachher wurde die Stadt der Schauplatz eines fortgesetzten Hnereszuges. Regimenter zu Fuß und zu Pferde, Batterien, Fuhrkolonnen, Feldbäckereien, Pontons (die uns ganz besonders auffielen) marschirten und fuhren Wochenlang zum Brückthore herein, zum Sudenburger-Thore hinaus. Eine Kriegesschaar in Bewegung hatte damals anderes Beiwerk als jetzt. Der Troß in seiner Sonderbarkeit prägte sich der kindlichen Vorstellung tief ein. Schon die Packpferde waren uns merkwürdig, welche den Regimentern die Zelte nachtrugen. Ein weitläuftiges Geschnür von Leinwand und Stricken auf dem Rücken eines solchen Thieres und darüber hinaus die langen Zeltstangen balancirend! Pferd mußte hinter Pferd gehen, weil sich sonst die Stangen gestoßen hätten, man kann also denken wie lang die Koppel wurde. Noch wunderlicher aber kamen uns die rothangestrichenen Küchenwagen der Generale und Obersten vor. Diese Wagen hatten nämlich zu beiden Seiten lange Gatter mit vorgehängten Freßtrögen und hinter den Stäben st robelte sich und gackerte das Federvieh — Hühner, Kapaunen, Truthennen, welches die Befehlshaber zur Sicherung ihrer Tafelfreuden mit in den Krieg nahmen. Eine solche Fürsorge kam selbst uns Kindern befremdlich vor, und ich erinnere mich, daß einmal einer meiner Spielcameraden bei dem Anblicke solcher beweglichen Hühnerhöfe ganz naiv fragte: Ob es denn unterweges in den Dörfern keine Hühner gäbe? Herrlich nahmen sich unter dieser schwerfälligen Feldöconomie die leichten bunten Bosniaken und Towarczys aus. Tante Rustan war, sobald die verhängnißvollen Züge begonnen hatten, noch quecksilbriger geworden, und hatte die deutsche Mundart in ihren Reden immer spärlicher hören lassen. Sie gab uns sogar eines Tages mit Energie den Rath, uns nur fleißig auf das Französischlernen zu verlegen, welches wir jedoch mit entschiedener Verachtung zurückwiesen. Am Siege wurde nicht gezweifelt. Es war eine seltsame Schlußfolgerung aufgekommen, welche ihn logisch darweisen sollte. Napoleon wurde nämlich mit Alexander von Macedonien verglichen, hinzugesetzt aber wurde, Alexander habe auch nur über Perser seine Siege erfochten, da nun die Preußen keine Perser seien, so habe es mit ihm nicht viel zu sagen.
An dieser Stelle sprudelte die Quelle nicht weiter und ich bin mit den Schilderungen dieses Zeitzeugen am
Der Verlauf des Feldzuges 1806 und die kraftlose Verteidigung der Festungen hatte Konsequenzen. Eine gute Zusammenfassung, wenn auch weitaus ohne spürbare Wirkungen für den weiteren Kriegsverlauf, hatte das Publicandum des preußischen Königs vom 1. Dezember 1806. Ich will es hier in seinem vollen Wortlaut wiedergeben, da es viel über den Zustand der bis dahin stärksten europäischen Kriegsmacht aussagt.
"Der Fisch stinkt vom Kopf" , ein König voll Standesdünkel als unumschränkter Herrscher, der die Öffentlichkeit am liebsten meidet, der sich sprachlich nur mit kurzen Sätzen artikulieren kann, der sich vor jeglicher Entscheidung drückt obwohl er angeblich alle Missstände vorher kannte, der die Armeeführung schon mit seiner Anwesenheit durch seine negativen Eigenschaften blockiert, sich als König aber jede endgültige Entscheidung selbst vorbehalten hat, der nur Personen um sich duldet, die seinem Charakter entsprechen, der falsche oder keine (siehe Auerstedt) Personalentscheidungen bei der Stellenbesetzung der Armeespitze trifft, der den Reibereien der führenden Generale tatenlos zusieht, der die totale Zersplitterung der Armee im Vorfeld des Kampfes zulässt und der sich in einer äußerst kritischen Situation nach der Schlacht aus dem Staub macht........- was will man bei dieser Führung noch von der Armee und seinen Generälen für Leistungen erwarten!
Übrigens nicht wenige Bestrafungen wurden in den Folgejahren heimlich abgemildert. Auch sollte man überkommene, heute vielfach die Meinung prägende, Äußerungen zu Personen und zum Zustand der Armee, wie dem von Clausewitz, Scharnhorst u. a. Leuten, mit gehöriger Skepsis begegnen. Da halten sich bis heute solche Gerüchte wie das zu den schlechtesten Gewehren (siehe Schussversuche von Scharnhorst), dem Parade-Drill als vorrangiger Ausbildungszweig, der Überalterung des Offizierskorps als Ursache der Niederlage ( die Generalität 1870/71 war z.B. im Schnitt um einiges älter) usw. Um hier ein richtiges Bild von diesen Aussagen zu erhalten, sollten man nicht nur die bekannten Einzelzitate zum Maßstab nehmen, sondern schon möglichst alle Arbeiten und Aussagen der beiden zuvor genannten Herren mit einbeziehen..