Im Scan des Beitrags Nr. 3 ist zu lesen "werden nach dem Kriegsgesetz betraft".
Mir ist nicht klar, was damals damit gemeint war, es gab ja mehrere souverän Handelnde: War da ein Kriegsgesetz der UdSSR gemeint? War da ein (mir unbekanntes) Gesetz der DDR gemeint? Oder war das einfach nur eine Floskel, um allen Angst einzujagen?
Kann jemand fundiert sagen, welches Kriegsgesetz da gemeint war?
Vermutlich meint man diese Sache, Ausnahmezustand.
ZitatDie sowjetischen Behörden reagierten mit der Verhängung des Ausnahmezustands für 167 der 217 Landkreise der DDR. Gegen 13 Uhr wurde durch den Militärkommandanten des sowjetischen Sektors von Berlin, Generalmajor Pawel Dibrowa, in Ost-Berlin der Ausnahmezustand verkündet, der erst am 11. Juli 1953 wieder aufgehoben wurde. Mit dieser Ausrufung des Kriegsrechts übernahm die Sowjetunion offiziell wieder die Regierungsgewalt über die DDR. Die bereits ab 10 Uhr in Berlin, in den Bezirken zeitversetzt gegen Mittag oder Nachmittag einrückenden sowjetischen Truppen demonstrierten vor allem Präsenz, denn mit dem Eintreffen der Panzer verlor der Aufstand schnell an Schwung; zu größeren Angriffen auf das Militär kam es nicht. Insgesamt waren 16 sowjetische Divisionen mit etwa 20.000 Soldaten im Einsatz, sowie rund 8.000 Angehörige der Kasernierten Volkspolizei (KVP). Obwohl die sowjetischen Behörden die Situation schon am 17. Juni weitgehend unter Kontrolle brachten, kam es auch in den darauf folgenden Tagen noch zu Protesten, vor allem am 18. Juni, in einzelnen Betrieben aber auch noch bis in den Juli hinein. So wurde am 10. und 11. Juli bei Carl Zeiss in Jena und am 16. und 17. Juli im Buna-Werk Schkopau gestreikt. Die Stärke des 17. Juni 1953 wurde aber nicht mehr annähernd erreicht. Intensiv war eine erste Verhaftungswelle. Mit etwa 6.000 Verhaftungen durch Polizei, MfS und Sowjetarmee wurden vor allem so genannte „Provokateure“ verfolgt.
Mehrere Personen wurden nach dem 17.6.53 als Drahtzieher verhaftet und durch sowjetische Militär´- Schnelljustitz zum Tode verurteilt und vollstreckt. Dafür gibt es in Zeitungsartikeln und Veröffentlichungen die erst nach der Wende möglich wurden mehrere Beispiele. Werd sie raussuchen und hier reinstellen wenn gewünscht. Magado
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Volksaufstand in Magdeburg vor 60 Jahren – wer erinnert sich? Zum Jahrestag des Aufstandes am 17. Juni 1953 sucht die Gedenkstätte Moritzplatz Zeitzeugen und Dokumente vom Geschehen in Magdeburg Magdeburg (rs) Im Jahr 2013 jährt sich der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR zum 60. Mal. Im Brennpunkt dieser Ereignisse stand nicht nur Ost-Berlin, sondern auch das durch Schwermaschinenbau, Bergbau und Chemieindustrie industriell geprägte Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt mit Magdeburg. Nach Recherchen der Gedenkstätte am Moritzplatz spielte sich das Geschehen in etwa so ab: Am 17. Juni 1953 streikten in Magdeburg Zehntausende Arbeiter. Mehrere Demonstrationszüge mit jeweils Tausenden Teilnehmern zogen durch das Stadtgebiet. Der wohl wichtigste Brennpunkt in Magdeburg war neben dem Rathaus und den Dienststellen der FDJ, des FDGB und der Volksstimme der Bereich vor dem Polizeipräsidium, dem Bezirksgericht und Gefängnis in der Halberstädter Straße. Hier forderten Tausende Demonstranten die Freilassung von politischen Gefangenen und versuchten diese auch zu befreien, bis sowjetisches Militär die Proteste mit Waffengewalt erstickte: Tote und Verletzte waren die Folge. Bei der Untersuchungshaftanstalt der Volkspolizei am Moritzplatz hatten die Demonstranten hingegen Erfolg: Über 200 Häftlinge wurden durch sie befreit, bis auch dort sowjetische Soldaten eingriffen. Wie in Magdeburg wurde der Volksaufstand in der gesamten DDR durch den Einsatz von sowjetischem Militär blutig niedergeschlagen. Die Besatzungsmacht mit ihren Militärtribunalen, vor allem aber die SED-gesteuerten DDRStrafverfolgungsorgane, rächten sich anschließend an jenen, die am 17. Juni Freiheit, die Gewährung der Grundrechte und eine Verbesserung der Lebensverhältnisse in der DDR eingefordert hatten. Stellvertretend stehen die in Magdeburg ausgesprochenen Todes urteile gegen Herbert Stauch, Alfred Dartsch und Ernst Jennrich. Für die vielen Menschen, die aufgrund ihrer Teilnahme am Volksaufstand für lange Jahre inhaftiert wurden, stehen die Schicksale der Magdeburger Erich Küstermann, Horst Linowski und Karl-Heinz Fräsdorff. Vielen DDR-Bürgern wurde seinerzeit in der SED-Presse suggeriert und später auch in der Schule beigebracht, dass der Aufstand am 17. Juni ein „faschistischer, reaktionärer, vom Westen gesteuerter Putsch“ gewesen sei. Über ihre seinerzeitigen Erlebnisse und Motive durften weder Teilnehmer noch Augenzeugen der Streiks und Demonstrationen öffentlich sprechen, standen ihre Erinnerungen doch in der Regel in eklatantem Widerspruch zur offi ziellen Deutung der SED. Während an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 im Westen Deutschlands ab 1954 als „Tag der deutschen Einheit“ erinnert wurde, war ein Erinnern an den Mut der Aufbegehrenden und ein Gedenken an die Opfer der Niederschlagung des Volksaufstandes im Osten erst nach der friedlichen Revolution von 1989/90 möglich. Anlässlich des 60. Jahrestages des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 sucht die in der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt Magdeburg-Neustadt bestehende Gedenkstätte Moritzplatz Magdeburg gemeinsam mit der Volksstimme nach Zeitzeugen der seinerzeitigen Ereignisse in Magdeburg und Umgebung. Zeitzeugen und ihre Erinnerungen bzw. Unterlagen sollen für Ausstellungen, Veranstaltungen und die Berichterstattung in der Volksstimme genutzt werden. • Zeitzeugen: Gedenkstätte Moritzplatz Magdeburg, Umfassungsstraße 76, 39124 Magdeburg (Telefon: 2 44 55 90, EMail:anmeldung-moritzplatz@ stgs.sachsen-anhalt.de)
Eines der ganz wenigen Fotos, die es vom Aufstand in Magdeburg gibt. Blick auf das ehemalige Polizeipräsidium, heute Innenministerium, am Platz der deutschen Einheit/Stauchstraße. Foto: Archiv
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Warum das Volk am 17. Juni 1953 auf die Barrikaden ging , V.8.6.13 Die SED-Führung baute an mehreren Stellen Fronten gegen ihre Politik auf. Von Wilfried Lübeck Die SED-Führung pflegte den Mythos vom faschistischen Putsch, wenn es um den Volksaufstand am 17. Juni 1953 in der DDR ging. Doch selbst fünf Monate danach musste Ernst Wollweber, seit Juli 1953 Chef der Staatssicherheit, in einer Dienstberatung erklären, „daß es uns bis jetzt nicht gelungen ist, die Hintermänner und Organisatoren des Putsches festzustellen“. Es gab auch keine. Die Aufstände um den 17. Juni 1953 waren eine spontane und unorganisierte Aktion gegen eine jahrelang verfehlte SED-Politik. • Mit ihrem Beschluss zur Umbildung zu einer Partei neuen Typus nach dem Vorbild der stalinistisch geprägten KPdSU im Januar 1949, leitete die SED eine Säuberungswelle gegen kritische ehemalige Sozialdemokraten ein. Dadurch und durch begrenzte Mitgliederaufnahme ging die Zahl der SED-Mitglieder von 1,55 Millionen im März 1950 auf 1,1 Millionen im Juni 1951 zurück. Parallel geschah dies im Staatsapparat mit Politikern aus der LDPD und CDU. Im Juli 1950 erklärte Walter Ulbricht: „Wir haben im Zusammen- „Wir werden das Wort ,unmöglich‘ aus dem deutschen Lexikon streichen.“ Walter Ulbricht auf der II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 hang mit dem Fall Herwegen und Brundert auch den Sozialdemokratismus in Sachsen- Anhalt zerschlagen.“ Herwegen war CDU-Landesminister und Brundert, früher SPD, hoher Beamter in der Landesregierung. Von 61 Bezirksvorstandmitgliedern der SED kamen im September 1952 nur noch 14 aus der SPD. • Ein nicht zu bekämpfendes Ärgernis war für die SED-Führung die anhaltende Republikflucht. Seit der DDR-Gründung im Oktober 1949 bis zum 17. Juni 1953 hatten rund 800 000 Bürger die DDR verlassen. Die damit zusammenhängende Zwangsumsiedlung aus den Grenzgebieten führte ab Mai 1952 zu einer weiteren Beunruhigung der Bevölkerung. Im Bezirk Magdeburg mussten innerhalb von zwei Monaten 292 Familien mit 1248 Angehörigen ihren Wohnsitz verlassen und wurden fernab der Grenze irgendwo in der DDR neu angesiedelt. Der Volkspolizeichef des Bezirkes Magdeburg resümierte im August 1952: „Es kam darauf an, alle unliebsamen Elemente auf dem schnellsten Wege aus dem Bereich zu entfernen, damit der Gegner keinerlei Möglichkeiten einer Basis hat.“ • Auf der II. Parteikonferenz im Juli 1952, beschloss die SED den planmäßigen Aufbau des Sozialismus in der DDR. „Wir werden das Wort ,unmöglich‘ aus dem deutschen Lexikon streichen“, erklärte SEDGeneralsekretär Walter Ulbricht vollmundig. Folgende Maßnahmen sollten dafür die Grundlage schaffen: Errichtung einer Schwerindustrie, Kollektivierung der Landwirtschaft, Verdrängung der Privatwirtschaft, Zentralisierung des Staatsapparates und Aufbau von Streitkräften. Durch die Namensgebung Kasernierte Volkspolizei (KVP) sollte der Begriff einer Armee kaschiert werden. Bis zum 17. Juni 1953 desertier ten aus ihr 8000 Angehörige in die BRD. Diese ehrgeizigen Ziele waren nur durch Druck auf breite Kreise der Bevölkerung zu erreichen. Nach Auswertung aller überlieferten Sekretariatssitzungen der Bezirksleitung der SED, vom 8. August 1952 bis zum 14. Juni 1953, dokumentiert im Landeshauptarchiv Magdeburg, braute sich damals auch im Bezirk Magdeburg ein explosives Gebräu von politischer Willkür und stetiger Verschlechterung des Lebensstandards zusammen. Dennoch übernahm die regionale Parteiführung widerspruchslos Beschlüsse „von oben“ und ignorierte Hinweise unterer Vorstände und ihrer Mitglieder. • Die SED-Politik verursachte enorme Kosten. Drei Milliarden DM kostete den Staat im Jahr 1952 der Aufbau der Kasernierten Volkspolizei. Der Bezirk Magdeburg musste 2500 junge Männer dafür gewinnen, die in der Produktion fehlten. In der Sekretariatssitzung am 13. August 1952 äußerte der 1. Sekretär der SEDBezirksleitung, Alois Pisnik: „Kräfte, die Jugendliche von der Meldung zur KVP abhalten, müssen zur Verantwortung gezogen werden.“ Die Bildung neuer Kreisverwaltungen wie Havelberg, Kalbe/ Milde, Tangerhütte, Klötze, Seehausen/Altmark, Staßfurt und Loburg einschließlich entsprechender SED-Kreisleitungen mit ca. 30 bis 50 Mitarbeitern erforderten noch einmal 4000 Personen. Hinzu kam, dass in den 77 Motoren-Traktoren-Stationen (MTS) auf dem Lande des Bezirkes Magdeburg hauptamtliche Politabteilungen mit 4 bis 5 Beschäftigten gebildet werden und in allen Großbetrieben über 800 Mitarbeiter hauptamtliche Politabteilungen. In 33 Grenzgemeinden des Bezirkes wurde ein hauptamtlicher Parteisekretär eingesetzt. * Die Betriebe stöhnten unter Arbeitskräftemangel und hohen Reparationskosten an die Sowjetunion. Dominant in diesem Quellenmaterial waren die Repressionen gegen Bauern, die sich weigerten einer LPG beizutreten. Übergangsphasen bei der Kollektivierung gab es erst nach dem 17. Juni 1953. Ganz bewusst legte sich die Bezirksleitung der SED mit 6268 sogenannten Großbauern im Bezirk an. Sie definierte die Großbauern nicht ab einer bestimmten Hektargröße, sondern ordnete fast alle Landwirte, die schon vor 1945 einen eigenen Hof bewirtschafteten, in diese politische Kategorie ein. In der Regel waren Betriebe schon ab 40 ha großbäuerliche Unternehmen. Die Bauern, die nach 1945 Bodenreformland erhielten, wurden als werktätige Einzelbauern bezeichnet und genossen die volle Unterstützung der Partei. Saatgut, Kunstdünger und Maschinen erhielten sie schneller und ihr Abgabensoll war geringer. Am 23. Oktober 1952 schreibt der Abteilungsleiter Landwirtschaft bei der Bezirksleitung an die 1. Sekretäre der Kreisleitungen: „Wenn die erzieherischen Auseinandersetzungen und Geldstrafen bei Nichterfüllung des Abgabesolls bei Großbauern nicht wirken, ist der Gesetzesbrecher dem Staatsanwalt zur Erhebung der Anklage zu über geben.“ Als erzieherische Mittel waren in den Orten „Dorfleistungstafeln“ aufgestellt, auf denen von allen Bauern des Ortes die Sollerfüllung dokumentiert wurde. Eine Art Pranger und Lob ohne Berücksichtigung der Umstände. Aus einer Vorlage der Abteilung Landwirtschaft vom 8. Oktober 1952 für das Sekretariat: „Die Großbauern, diese Schädlinge an unserer Volkswirtschaft, werden von der Klasse der werktätigen Einzelbauern verurteilt und sie fordern ihre schärfste Bestrafung und gegen sie die ganze Härte der Gesetze.“ Von August 1952 bis März 1953 verließen 670 Großbauern und 710 werktätige Einzel- und Mittelbauern den Bezirk Magdeburg Richtung Westen, vor allem aus den Kreisen Salzwedel, Haldensleben und Zerbst. (Fortsetzung am 15. Juni)
Tausende Frauen und Männer demonstrierten am 17. Juni 1953 vor dem Magdeburger Polizeipräsidium (heute „Platz des 17. Juni“) gegen die Politik der SED, die unter anderem mit steigenden Preisen und der Anhebung der Arbeitsnormen den Bogen überspannte. Archivfoto: Volksstimme Fortsetzung folgt
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Schon 1952 erste Streiks in Magdeburg Warum das Volk am 17. Juni 1953 auf die Barrikaden ging (Teil 2) Von Wilfried Lübeck Die Versorgungsschwierigkeiten in den letzten 14 Tagen sind größer geworden. Sie ist desorganisiert, die Schlachtkapazitäten reichen nicht aus.“ Das berichtete der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Magdeburg am 11. Dezember 1952 vor dem SED-Bezirkssekretariat. Er erwähnte nicht, dass im II. Halbjahr 1952 52 private Fleischereien im Bezirk ihr Geschäft wegen zu hoher Steuerbelastung und schlechter Belieferung mit Schlachtvieh aufgegeben haben. Ende Januar 1953 erfuhr das Sekretariat, dass im Bezirk Magdeburg auf 30 000 Hektar kein Weizen ausgesät worden war, auf 4825 Hektar kein Roggen und auf 700 Hektar keine Gerste. Im Boden befanden sich aber noch auf 10 000 Hektar Zuckerrüben. Am 12. März 1953 schrieb der 1. Sekretär der Bezirksleitung an die Kreisleitungen der SED: „Wenn Bauern Beträge über 1000 DM abholen, oder Konten auflösen, müssen die Direktoren der Sparkasse oder Bauernbank dies den 1. Sekretären der Kreisleitungen melden.“ Eine eventuelle Republikflucht sollte dadurch verhindert werden. „Gut bürgerlicher Mittagstisch“ wird zu feindlicher Propaganda Am 15. April 1953 erließ das Sekretariat der Bezirksleitung der SED die Weisung „Zur Erhöhung der Wachsamkeit auf dem Lande“, nach der „private Händler, Gewerbetreibende, Großbauern usw. sofort“ aus der Feuerwehr auszuschließen waren. Mein Vater, der zu dieser Zeit eine private Gastwirtschaft betrieb, die seit 1840 in Familienbesitz war, musste die Reklame-Aufschrift „Gut bürgerlicher Mittagstisch“ am Hausgiebel entfernen. Er sollte keine Reklame für eine absterbende feindliche Klasse machen, war die Auffassung des Ortsparteisekretärs. 182 000 Bürger verließen 1952 die DDR, davon 26 000 den Bezirk Magdeburg. Im März 1953 lagen im Bezirk Magdeburg 14,3 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche brach. Die Parteiführung suchte und fand die „Feinde“ überall. 1953 waren im Bezirk Magdeburg 229 Busse polizeilich gemeldet, davon 160 in Privatbesitz. Auf der Sekretariatssitzung am 24. März 1953 wurde ihnen unterstellt, durch zu viele Pannen und Ausfälle ihrer meist alten Transportmittel die Volkswirtschaft bewusst zu schädigen. Auch in den drei Theatern des Bezirkes, in Magdeburg, Stendal und Halberstadt „sind das Personal und die Genossen noch nicht auf der Höhe der Zeit, denn überwiegend kommen dort alte Operetten, Schauspiele und Opern zur Aufführung.“ Massiv wurden Jugendliche diffamiert, die in der „Jungen Gemeinde“ der evangelischen Kirche organisiert waren. Im Mai 1953 erklärte SED-Bezirkschef Alois Pisnik sie zu einer „Terrororganisation für Kriegshetze, Sabotage und Spionage. In diesem Sinne ist eine Aufklärungsarbeit unter der Bevölkerung zu organisieren. Ziel muß es sein, sie von der Kirche zu isolieren ... Zulassungen an Universitäten und Hochschulen werden unterbunden.“ Sogar der Justiz misstraute die Parteiführung. Am 20. Januar 1953 schrieb Alois Pisnik in einer vertraulichen Verschlusssache an das ZK der SED: „Die Auswahl der Richter und Staatsanwälte, die ohne Mitwirkung der Bezirks- und Kreisleitungen erfolgt, muß als ungenügend betrachtet werden. Auch die Zusammensetzung der Bezirksstaatsanwaltschaft bietet nicht die Gewähr für eine einwandfreie Arbeit im Sinne unserer Partei.“ Die sogenannte fortschrittliche und demokratische Politik der Partei der Arbeiterklasse – wie wurde diese von der Arbeiterschaft wahrgenommen? SKL-Arbeiter schicken Ende 1952 Ultimatum an die DDR-Regierung Vor Weihnachten sorgten einige Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre aus Magdeburger Großbetrieben für richtig Stunk, als sie sich bei der Auszahlung des Weihnachtsgeldes, jetzt Jahresendprämie genannt, sehr großzügig selbst bedienten, während jeder vierte Werktätige gar nicht bedacht wurde. 20 bis 150 DM bekam die Belegschaft und bis zu 900 DM die Funktionäre der SED und Gewerkschaft. Im SKL begannen daraufhin am 15. Dezember 1952 die ersten Arbeitsniederlegungen. In einer Resolution wird die DDR-Regierung aufgefordert, bis zum 18. Dezember diese Ungerechtigkeit zurück zunehmen und die Versorgung zu verbessern. Arbeitsniederlegungen folgten in der Werft in Rothensee, im SKET, im Karl-Marx- Werk und in der Druckerei der „Volksstimme“. Im RAW Salbke entfaltete man ein Spruchband mit der Aufschrift „Es geht alles vorüber es geht alles vorbei, auch Stalin und seine Partei“. 176 Seiten umfasste der Erklärungsversuch der SED-Bezirksleitung für das ZK in Berlin. Politbüromitglied Hermann Axen kommt am 22. Januar 1953 zur Auswertung der Streiks nach Magdeburg. Pisnik übt Selbstkritik über die Schwächen der Partei und FDJ in den Betrieben des Bezirkes. Aber die wirkliche Schuld haben, wie üblich in der Parteiargumentation, die anderen. Er nennt als Drahtzieher insbesondere ehemalige Berufssoldaten und Offi ziere der Wehrmacht, Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen. In Wirklichkeit arbeitetet die SED selbst daran, das Volk gegen sich aufzubringen. So strich der Ministerrat mit Wirkung vom 8. April 1953 privaten Gewerbetreibenden und Landwirten die Lebensmittelkarten. Sie hätten so viel Geld, um in den staatlichen HO-Läden die drei- bis fünfmal teureren Waren zu kaufen. Der erhoffte Beifall der Arbeiterklasse blieb aber aus, weil am 14. Mai alle Arbeitsnormen in den staatlichen Betrieben – das waren 80 Prozent der DDR-Betriebe – um bis zu 30 Prozent erhöht wurden. Gestrichen wurde auch der (später wieder eingeführte) Haushaltstag für allein stehende werktätige Frauen. Es erfolgten Preiserhöhungen für Arbeiterrückfahrkarten bei der Reichsbahn, für Spirituosen, bei einigen Lebensmitteln, Textilien und Schuhen. Die Mehrheit der Arbeiterschaft fühlte sich doppelt bestraft. Die Stimmung wurde immer gereizter, weil gleichzeitig die Partei-Propaganda immer unterwürfiger gegenüber der Sowjetunion wurde. Verzweifelter Versuch zur Rücknahme der Zwangsmaßnahmen Als am 5. März 1953 der „geniale Stalin, der Vater aller Völker“ starb, organisierte die Bezirksleitung der SED zwei Konferenzen mit jeweils 450 Teilnehmern über die richtungweisenden Werke Stalins. Die neue Führungsriege der Sowjetunion verlangte jedoch Ende Mai 1953 von der SED-Führung eine Korrektur ihrer desaströsen Innenpolitik, ahnte sie doch, dass der Staat vor einem Zerfall steht. Ministerpräsident Otto Grotewohl und Generalsekretär Walter Ulbricht wurden am 2./3. Juni nach Moskau zitiert. Am 9. Juni verkündet das Politbüro der SED den „Neuen Kurs“ und die Rücknahme aller Zwangsmaßnahmen. Die Parteiführung gestand Fehler ein und glaubte, damit die Explosion des Gärungsprozesses verhindern zu können. Am 11. Juni 1953 forderte Alois Pisnik die 1. Kreissekretäre der SED auf, ihn täglich über die Stimmung unter der Bevölkerung und der Arbeiter in den Betrieben zu informieren. Die Stimmungsberichte machen klar, dass die Menschen im Bezirk Magdeburg die Bestrafung der verantwortlichen Politiker für die ökonomische und politische Lage fordern. Der „Neue Kurs“ gilt als populistisches und unglaubhaftes Versprechen. Am 16. und 17. Juni weilt Alois Pisnik zur Dienstberatung in Berlin. Am 16. Juni um 11 Uhr sendet sein 2. Sekretär an die 1. Sekretäre der Kreisleitungen ein Fernschreiben: „Feindliche Kräfte versuchen Unruhen in die Bevölkerung zu tragen und in den Betrieben Provokationen durchzuführen. Da mit weiteren Aktionen zu rechnen ist, sind folgende Maßnahmen durchzuführen.“ Es folgen neun Punkte zur Alarmierung der Volkspolizei-Kreisämter und des MfS. 1966 gab das ZK der SED eine mehrbändige „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ heraus. Die Leitung des Autorenkollektivs hatte Walter Ulbricht. Zu den Ereignissen um den 17. Juni dominiert folgender Satz. „Die Imperialisten beschlossen deshalb, den seit langem vorbereiteten Tag X, den konterrevolutionären Putsch gegen die DDR beschleunigt auszulösen.“
17. Juni: Totgeschwiegen und so noch mal getötet In den Bezirken Magdeburg und Halle starben damals 26 Menschen / Buch soll Opfer vor dem Vergessen bewahren. Von Wolfgang Schulz Magdeburg Streiks, Demonstrationen, Unruhen und Aufruhr wurden am 17. Juni in über 700 Städten und Gemeinden in allen Teilen der DDR verzeichnet. Mehr als eine Million Menschen beteiligte sich daran. Auch in Magdeburg, Halle, Bitterfeld und anderen Regionen zündete der Funke. In Magdeburg traten am 17. Juni in den frühen Morgenstunden Tausende Arbeiter in den Großbetrieben des Schwermaschinenbaus in den Ausstand. Nach Betriebsversammlungen marschierten sie in die Innenstadt. Dabei wurden mehr und mehr die ursprünglich sozialen und ökonomischen Forderungen von politischen Forderungen verdrängt. „Freie Wahlen“, „Nieder mit der Regierung“, „Freiheit für politische Gefangene“ wurden allerorts gefordert. In Bitterfeld, Gommern, Halle, Magdeburg und Merseburg drangen Aufständische in Gefängnisse ein und erzwangen die Freilassung von politischen Häftlingen, allerdings gelang nur wenigen die Flucht in den Westen, die meisten saßen kurze Zeit später wieder ein. Gegen 11 Uhr trafen sich Demonstrationszüge aus verschiedenen Magdeburger Stadtteilen im Stadtzentrum. Zwischen dem Hauptbahnhof und dem Hasselbachplatz bzw. der Hallischen Straße versammelten sich mehr als 20 000 Demonstranten. Auf dem Weg ins Zentrum waren sie in die Gebäude der Bezirksund Kreisleitung der SED, des FDGB, der FDJ und der Bezirksbehörde der Volkspolizei eingedrungen, hatten Akten und Möbel aus den Fenstern geworfen. Schauplatz blutiger Ereignisse wurde die Strafvollzugsanstalt Sudenburg an der Halberstädter Straße. Bei dem vergeblichen Versuch, das Gefängnis zu stürmen, fielen Schüsse. Die Polizisten Georg Gaidzik (32) und Georg Händler (25) sowie der Stasi-Wachmann Hans Waldbach (43) wurden getötet. Das Blatt wendete sich, als gegen 13 Uhr bewaffnete So wjetsoldaten mit einem Panzer eintrafen und die Menge gewaltsam zurückdrängten. Dabei starben die Landarbeiterin Dora Borgmann (16), der Kellner Kurt Fritsch (47) und der FDJ-Instrukteur Horst Prietz (17). 45 Demonstranten wurden zum Teil schwer verletzt. Um 14 Uhr verhängte der sowjetische Stadtkommandant das Kriegsrecht, es begann eine gnadenlose Jagd auf sogenannte Hetzer, Provokateure, Saboteure und Rädelsführer. Allein im Bezirk Magdeburg wurden 827 Personen verhaftet; DDRweit waren es etwa 10 000 Festnahmen. 60 000 Hallenser kamen zu einer Großkundgebung Die Justiz beteiligte sich an dieser Verfolgung. Ein sowjetisches Militärtribunal verurteilte bereits am 18. Juni den Müllermeister Herbert Stauch (35) und den Lackierer Alfred Dartsch (42) zum Tode. Das Urteil wurde um 14.15 Uhr von einem Volkspolizisten per Genickschuss im Gefängnis Sudenburg vollstreckt. In einem Schauprozess wurde der Gärtner Ernst Jennrich (52) im Oktober zum Tode verurteilt und am 30. März 1954 in Dresden enthauptet. In der sowjetischen Kommandantur in Schönebeck stirbt am 21. Juni 1953 der Landwirt Ernst Grobe (49) unter ungeklärten Umständen. Im Bezirk Halle wurden am 17. Juni nach Polizeiangaben 211 Betriebe bestreikt. Neben den machtvollen Demonstrationen Zehntausender in der Bezirkshauptstadt mit der Erstürmung öffentlicher Gebäude und der Befreiung von Häftlingen kam es zu Protesten in Merseburg, Wolfen, Naumburg, Eisleben und Bitterfeld. In Halle gelang es am 2000 Demonstranten 245 Gefangene aus der Haftanstalt Kleine Steinstraße zu befreien. Keinen Erfolg hatten dagegen die 700 Menschen, die gegen 14 Uhr die Freilassung der Gefangenen aus dem berüchtigten Zuchthaus „Roter Ochse“ verlangten. Die Wachmannschaften eröffneten das Feuer, der Tischler Kurt Crato (42) und der Doktorand Gerhard Schmidt (26) sterben sofort, der Kesselschmied Manfred Stoye (21) nachts im Krankenhaus. Die Belagerung hielt trotz der Schüsse an, bis die Sowjets die Umgebung räumten. Um 16 Uhr verhängten die Sowjets den Ausnahmezustand für Halle. Trotzdem versammelten sich um 18 Uhr rund 60 000 Hallenser zu einer Großkundgebung auf dem Hallmarkt. Sowjetische Panzer vertrieben die friedlichen Demonstranten. Auf dem Rückweg vom Hallmarkt gerieten die Demonstranten immer wieder an Polizisten und MfS-Leute, die rücksichtslos von ihren Waffen Gebrauch machten. Aus Kellerfenstern der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit wurde gegen 20 Uhr ohne Vorwarnung auf die wehrlosen Menschen geschossen. Der 25-jährige Edmund Ewald, von dem weiter nichts bekannt ist, brach getroffen zusammen und verstirbt im Krankenhaus. Ebenso der Malerlehrling Horst Keil (18). Rundfunkmechaniker Rudolf Krause (23) wurde kurz nach 21 Uhr mit einem Kopfschuss tot aufgefunden. Zu den Toten im Zusammenhang mit dem 17. Juni im Bezirk Halle gehören außerdem die Verkäuferin Margot Hirsch (19) aus Halle, der Bergmann Kurt Arndt (38) aus Eisleben, der Kraftfahrer Erich Langlitz (51) aus Spören im Kreis Querfurt, der Bergmann August Hanke (52) aus Bietegast im Kreis Wittenberg, die angebliche „KZ-Kommandeuse“ Erna Dorn aus Halle, der Zimmermann Hermann Stieler (33) aus Bitterfeld, der Bahnpostbeamte Karl Ruhnke (61), der Uhrmacher Wilhelm Ertmer (52) aus Roßlau, der Betriebsleiter Adolf Grattenauer (52) aus Wengelsdorf im Kreis Weißenfels und der Elektromonteur Paul Othma (63) aus Sandersdorf. Über die Zahl der Todesop- DDR-Staatssicherheit sprach hinterher von 25 Toten fer des Volksaufstandes gab es im Laufe der Zeit die widersprüchlichsten Angaben. Die DDR-Staatssicherheit sprach am 25. Juni 1953 von 25 Toten. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen nannte „nach sorgfältig überprüften Angaben“ die Zahl 507. Beides stimmte nicht, wie Edda Ahrberg, von 1994 bis 2005 Lan desbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, der Volksstimme sagte. Zusammen mit Hans-Hermann Hertle und Tobias Hollitzer hat sie das Buch „Die Toten des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953“ herausgegeben. „Nach unseren Rechercheergebnissen sind 55 Todesopfer durch Quellen belegt, unter ihnen vier Frauen“, so Ahrberg. „Die Darstellung ihres persönlichen Schicksals ist ein Versuch, die Toten vor dem Vergessen zu bewahren und ihnen und ihren Angehörigen und Freunden auf diese Weise eine späte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen“, betont Ahrberg. Den allermeisten Toten sei ein normales Begräbnis im Familienkreis verweigert worden. „Sie wurden totgeschwiegen und so noch einmal getötet.“ Im Bezirk Halle kamen 16 und im Bezirk Magdeburg zehn Menschen ums Leben. Im Einzelnen ergaben die Nachforschungen zu den 55 Todesopfern: 34 Demonstranten wurden von Volkspolizisten und sowjetischen Soldaten erschossen. Nach Todesurteilen von sowjetischen und DDRGerichten wurden sieben Menschen hingerichtet, darunter die beiden Magdeburger Alfred Dartsch und Herbert Stauch. Infolge der Haftbedingungen starben vier Personen, und vier Menschen töteten sich in der Haft, wobei in mindestens zwei Fällen Fremdeinwirkung nicht auszuschließen ist. Beim Sturm auf ein Polizeire vier starb ein Demonstrant an Herzversagen. Zudem wurden fünf Angehörige der DDR-Sicherheitsorgane getötet. Der 17. Juni 1953 galt im SEDStaat als absolutes Tabuthema, obwohl er schnell zur Legende geworden war. Die Machthaber hatten bis zu ihrem Untergang Angst vor der Kraft und dem Freiheitswillen der angeblich von ihnen vertretenen Arbeiter und Bauern. Der 53er Volksaufstand war das Menetekel, das sich schließlich in der friedlichen Revolution 1989 bewahrheitete.
Die Namen der Toten Bezirk Halle Kurt Crato (42 Jahre), Tischler, Vater eines Sohnes Gerhard Schmidt (26), Doktorand der Landwirtschaft Manfred Stoye (21), Kesselschmied Rudolf Krause (23), Rundfunkmechaniker Edmund Ewald (25), Angestellter Horst Keil (18), Malerlehrling Karl Ruhnke (61), Beamter Margot Hirsch (19), Verkäuferin „Erna Dorn“ (Identität unklar) Hermann Stieler (33), Zimmermann, Vater von drei Kindern Paul Othma (63), Elektromonteur Kurt Arndt (38), Bergmann, Vater von vier Kindern Wilhelm Ertmer (52), Uhrmacher Adolf Grattenauer (52), Landwirt Erich Langlitz (51), Kraftfahrer August Hanke (52), Arbeiter in einer Brikettfabrik
[ Editiert von Administrator MAGADO-2 am 15.06.13 10:29 ]
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V17.6,13 „Das Scheppern der Panzerketten habe ich noch heute in den Ohren“ Der 17. Juni 1953 in Magdeburg•/•Volksstimme-Leser melden sich als Zeitzeugen zu Wort Von Wolfgang Schulz Magdeburg Die meisten Zeitzeugen, die ihre Erlebnisse aufgeschrieben oder in der Gedenkstätte in Interviews mit dem Gedenkstättenmitarbeiter Dr. Frank Stucke geschildert haben, gingen im Juni 1953 noch zur Schule. So zum Beispiel Peter von Pokrzywnicki aus der Bertolt-Brecht-Straße, der die 10. Klasse der Otto-von-Guericke-Oberschule besuchte. Er erlebte den 17. Juni so: „‚Leute, heute ist Schluss mit Schule, raus auf den Schulhof, es wird gestreikt. Schließt euch der Demonstration an!‘ Wir Schüler waren sprachlos über diese Aufforderung, die mehrere Männer auf den Fluren gerufen hatten, erinnert sich der Zeitzeuge. „Doch wir haben nicht lange gezögert und sind nach draußen gelaufen. Vom Gewerkschaftshaus dringen laute Rufe zu uns, Akten und Einrichtungsgegenstände werden aus den Fernstern geworfen. Es ist keine normale Demonstration. Männer und Frauen, Alt und Jung gehen völlig ungeordnet, die gesamte Breite von einer Häuserfront zur anderen nutzend, die meisten in Richtung Hasselbachplatz. Wir laufen mit. Am Hasselbachplatz treffen sich drei Züge aus drei Richtungen. ‚Es geht zum Polizeipräsidium, sie wollen das Gefängnis öffnen‘, ruft ein Mann seinen Kollegen zu. Es ist ein Geschiebe und Gedränge, doch niemand beschwert sich oder rastet aus, bis dahin eine friedliche Situation.“ Steine fliegen auf das Polizeipräsidium Doch das habe sich geändert, schreibt Peter von Pokrzywnicki weiter. „Das Polizeipräsidium ist erreicht. Auf der Böschung zum Bahndamm bewegen sich zahlreiche Leu te, werfen Steine Richtung Hof und Gebäude. Dann plötzlich Rufe: ,Die Russen sind unterwegs!‘“ Jetzt habe sich Angst unter den Demonstranten breit gemacht. „Wie von Geisterhand geschoben, bilden die Menschen eine Gasse. Ein gepanzerter Mannschaftswagen der Russen drängt sich durch, fährt bis zur Kinderklinik an der Halberstädter Straße, wendet und bleibt dort stehen.“ Nun hätten sich die Ereignisse überschlagen. „Unmittelbar danach hörten wir aus Richtung Hasselbachplatz das Geräusch rollender Panzer. Sie kommen schnell näher. Auf der Abzweigung Leipziger•/•Halberstädter Straße drehen sie mit lautem Getöse auf den Straßenbahnschienen. Das Heulen der Motoren, Scheppern der Ketten auf dem Pflaster habe ich noch heute in den Ohren. Wir stehen auf der linken Straßenseite neben der Bäckerei Mundt. Unmittelbar vor uns bleibt der Panzer auf dem Bürgersteig stehen. Ich spüre zum ersten Mal Todesangst, mache mich ganz klein und drücke mich in den Hauseingang. Wenige Minuten später, sie erscheinen uns wie eine Ewigkeit, setzt der Panzer zurück. Ein Lautsprecherwagen verkündet die Ausgangssperre.“ Nach diesem Erlebnis seien er und seine Klassenkameraden schnell nach Hause gelaufen. Einige Tage sei noch hinter vorgehaltener Hand über die Ereignisse getuschelt worden. Details zu den Auseinandersetzungen und zum Eingreifen der Russen habe es aber nicht gegeben. „Die Lehrer gingen ohne Kommentar zur Tagesordnung über. Die offi - zielle Propaganda macht den Klassenfeind verantwortlich, spricht von geplanten und organisierten Provokationen. Andere Meinungen werden mit Strafandrohung unterdrückt.“ Das Anrollen der sowjetischen Panzer hat bei den meisten Zeitzeugen einen tiefen Eindruck hinterlassen. Waren sie es doch, die in allen Teilen der DDR den Volksaufstand blutig beendet haben. Was keiner der Millionen Demonstranten wusste, war, dass es schon am Abend des 16. Juni in Moskau die Entscheidung gegeben hatte, einen Putsch in der DDR mit militärischer Gewalt niederzuschlagen. Noch in der Nacht waren 500 sowjetische Panzer auf Berlin vorgerückt. In Magdeburg waren die Panzer auch von Birgit Rose, heute an der Lübecker Straße wohnhaft, gesehen worden. Als kleines Mädchen wohnte sie am Hasselbachplatz. „Noch heute sehe ich in Gedanken drei Panzer auf dem Hasselbachplatz stehen“, schreibt sie. Am Nachmittag des 17. Juni sei sie mit ihren Eltern zur Georgshöhe zu einer Familienfeier gefahren. „Unterwegs hielten mir Mutter und Vater meine Augen zu. Ich sah aber trotzdem brennende Plakate und einen Toten in der Carl-Miller-Straße. Ich war aber viel zu klein, um den Ernst und die bedrohliche Situation zu begreifen.“ Hilmar Thiele, heute wohnhaft am Renneweg, war Schüler der Klasse 10b der Käthe-Kollwitz-Oberschule und hatte am 17. Juni gegen 9 Uhr Zeichenunterricht. Plötzlich sei der Hausmeister in den Klassenraum gekommen, habe stillschweigend das Stalinbild abgehangen und sei wieder verschwunden. „Stalin, der größte Führer aller Zeiten, wie uns immer weisgemacht wurde, und nun das? Von draußen hörten wir dann Lärm. Der Lehrer verließ das Klassenzimmer ohne Worte, auch wir liefen auf die Straße“, erinnert sich Hilmar Thiele. Dort habe er beobachten können, wie ein Mann das Straßenschild „Karl-Marx-Straße“ abriss und unter dem lauten Jubel von etwa 100 Menschen an die Hauswand mit Kreide „Breiter Weg“ schrieb, wie die Straße zuvor Jahrhunderte hieß. Seine weiteren Erlebnisse beschreibt er so: „Ich ging durch die Leiterstraße zum Hauptbahnhof, weil ich schnell nach Hause fahren wollte. Dabei beobachtete ich, dass aus dem Verlagsgebäude der Volksstimme riesige Papiermengen bzw. Zeitungen und auch Schreibmaschinen aus den Fenstern geworfen wurden. Weiterhin sah ich ein umgekipptes Auto und einen Volkspolizisten, der offensichtlich verprügelt wurde. Da vom Hauptbahnhof keine Züge mehr fuhren, ging ich Richtung Sudenburger Bahnhof. In der Halberstädter Straße/Ecke Leipziger Straße sah ich am Polizeipräsidium eine große Menschenmenge von vielleicht 3000 Personen. Vom Bahndamm aus wurden Steine gegen die Fenster geworfen.“ Auch Hilmar Thiele erlebte die Panzer. „Sie standen, vielleicht fünf Stück, vor dem Polizeipräsidium. Um die Menschen, die immer noch ausharrten, in die Flucht zu schlagen, schossen plötzlich die Panzerkanonen in die Luft. Dabei fuhren die Panzer auf den Fußweg, die Menschen flüchteten in die Glacisanlagen. Ich rannte um mein Leben.“ In der Schule hätten die Lehrer an den Tagen danach erklärt, schreibt der Zeitzeuge weiter, dass die Provokationen von den Imperialisten der BRD über den amerikanischen Hetzsender RIAS Berlin geschürt worden seien und die Arbeiter durch eingeschleuste Agenten aufgehetzt worden wären, um den Aufbau des Sozialismus in der DDR zu verhindern. Eine besondere Erinnerung an den 17. Juni hat auch Ingolf Bierstedt, der heute am Ahornweg in Biederitz lebt. „An diesem Tag war die Abschlussprüfung der 8. Klasse der damaligen Diesterwegschule in der Magdeburger Nachtweide im Fach Gesellschaftswissenschaft und Gegenwartskunde angesetzt“, schreibt er. Der Lehrer habe sie mit folgenden Worten empfangen: „Die Prüfung findet heute auf der Straße statt. Auf der Lübecker Straße streiken die Arbeiter gegen ihren eigenen Staat. Das solltet Ihr Euch mal ansehen. Darüber schreibt Ihr dann einen Aufsatz, der wird für die Prüfung bewertet.“ „Wir machten uns in kleinen Gruppen auf den Weg zur Lübecker Straße“, erinnert sich Ingolf Bierstedt weiter. „Zwischen Mittagstraße und Neustädter Bahnhof stand eine fast unübersehbare Menschenmenge. Es wurde erregt debattiert und geschimpft, dass es so nicht weiter gehe. Dann hielt ein Mann von einem Lkw herunter eine flammende Rede, deren Inhalt wir nicht so richtig verstanden, aber die Menge setzte sich in Bewegung in Richtung Stadtmitte. Die Massen stürmten die nahe gelegene Stadtbezirks-Parteizentrale der SED und warfen Akten auf die Straße. Uns war klar, dass es hier um Proteste gegen die Staatsgewalt ging.“ Die Gedenkstätte Moritzplatz und das Bürgerkomitee eröffnen am kommenden Donnerstag, 18 Uhr, im ehemaligen Stasi-Knast die Ausstellung „Wir wollen freie Menschen sein! Der DDR-Volksaufstand vom 17. Juni 1953“, die bis zum 31. Juli zu sehen ist. Zur Eröffnung werden auch die Zeitzeugen erwartet, die sich auf den Volksstimme-Aufruf hin gemeldet haben. Darüber hinaus erlebt an diesem Abend das Buch „Zielvorgabe Todesstrafe“ von Marie Ollendorf seine Premiere. Darin wird am Fall des Magdeburger Gärtners Ernst Jennrich, der im Oktober 1953 wegen der tödlichen Schüsse in Sudenburg zum Tode verurteilt und am 30. März 1954 hingerichtet wurde, die Justizpraxis der DDR entlarvt.
Die Bilder machte einst Fotograf Rolf Heyer an der Hallischen Straße (links) und an der Kreuzung zur Carl-Miller-Straße (rechts).
Auf dem Sachsenring kurz vor der Eisenbahnbrücke (links) fanden sich Demonstranten zusammen, während Militärfahrzeuge an der Carl-Miller-Straße rollten.
In einem anderen Zusammenhang wurde bereits im Forum berichtet, dass in der Klausener Str. in Magdeburg sowjet. Soldaten nach Kriegsrecht im Zusammenhang mit dem Volksaufstand hingerichtet wurden. Die Skelette sind ja dann nach Abzug der sowjet. Armee gefunden worden. Wie groß war deren Anzahl und was war der genaue Hintergrund? MfG Rüdiger
Die sind erst n1993/94 entdeckt worden auf dem Grundstück Klausener 18. Es waren knapp über 60, alle mit den gleichen Hinrichtungsmerkmalen. Dazu aber gesondert ausführlich.
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