Gefangenschaft ist, wie auch immer sie geartet war, ein schwerer Einschnitt im Leben eines Menschen. Die physischen und psychischen Erlebnisse bleiben wohl in Gedanken bzw. im Unterbewusstsein bis an das Lebensende des Betroffenen. Gefangene spielten schon zu Beginn der Zivilisationsgesellschaften eine mehr oder minder große Rolle. Schon in der Frühzeit der Antike, die von der Sklaverei geprägt war, kamen Kriegsgefangenen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung bei, denn Sklaven waren die Stützen der Staaten. Die gegnerischen Anführer wurden meistens getötet, die einfachen Krieger versklavt oder gar in die siegreichen Heere eingestellt. Man machte damals auch ganze Völkerschaften zu Gefangenen. Das beste Beispiel war die Umsiedlung der Juden nach Babylon – die sogenannte babylonische Gefangenschaft – ein ganzes Volk war den Babyloniern untertan.
In den frühen Kriegen, die an der Tagesordnung waren, herrschten Tod und Gewalt. Die Gefangenen wurden nach Gutdünken behandelt – gefoltert, verstümmelt oder auch getötet. Das war nach damaligem Verständnis ganz legitim. In den Söldnerheeren herrschten ebenfalls Zustände, die wir heute als barbarisch bezeichnen. Die Kriegsgefangenen waren noch immer rechtlos. Die Sieger pressten Gefangene wie Überläufer in die eigenen Heere. Wer nicht wollte oder konnte wurde getötet, verkauft oder verschenkt! Oftmals waren die Kriegsparteien nicht in der Lage, die Menge der Gefangenen zu ernähren – daher auch die vorgenannte Handlungsweise. In den stehenden Heeren des 18. Jahrhunderts ging es den Gefangenen schon etwas besser, was die Behandlung angeht. Eine weitere Verbesserung trat im 19. Jahrhundert ein. Offiziere wurden auf Ehrenwort entlassen und die Mannschaften in speziellen Lagern untergebracht. Den endgültigen Durchbruch brachte die Gründung des Roten Kreuzes 1863 sowie die Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 ergänzt durch die Genfer Konventionen vom 12. August 1949. Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 brachte zig Tausende von Gefangenen in deutsche Hände: Franzosen, Belgier, Briten, Russen usw. Die Offiziere wurden in eigens ausgesuchten Objekten untergebracht – die Mannschaften kamen in neu aufgebauten Barackenlagern unter. So hatte auch Magdeburg ein Offiziers-Kriegsgefangenen-Lager. Zuerst sollte die Zitadelle dafür genutzt werden, doch der Plan wurde als ungeeignet verworfen. Dafür wurde das Kavalier I Scharnhorst, gelegen an dem westlichen Elbufer, für annehmbar angesehen und genutzt. Für die Mannschaften gab es etliche Lager auf dem Boden des heutigen Sachsen-Anhalt im damaligen Bezirk des IV. Armeekorps: Gardelegen, Altengrabow, Quedlinburg, Merseburg, Zerbst, Stendal, Wittenberg, Werben und Salzwedel. Offizierslager dagegen waren in Magdeburg, Burg, Torgau und Halle. Doch wie war nun das Leben der Gefangenen in den Lagern? Wenden wir uns zuerst dem Offiziers-Kriegsgefangenen-Lager im Magdeburger Kavalier I Scharnhorst (ehemaliger Festungsteil) zu. Zu dieser Zeit waren die Offizierslager eine Neuerscheinung, denn noch im Deutsch-französischen Krieg 1870/71 wurden die Offiziere auf Ehrenwort in Gasthäusern sowie in Bürgerhäusern eingemietet – die Mannschaften dagegen in Lagern untergebracht, in Magdeburg Zeltlager Cracauer Anger. Die Offiziere konnten sich im Allgemeinen recht frei und ungezwungen bewegen bis auf einige Bestimmungen. Doch im Ersten Weltkrieg war das nun etwas anders. Nun hatten auch die Offiziere ihr Lager. Ausgang nur bei außerordentlichen Anlässen – unter Bewachung und unter Offiziersehrenwort. Die Gründe dafür dürften auf der Hand liegen, so dass darauf nicht weiter eingegangen werden muss. Die Lager der Offiziere wurden ebenso wie die der Mannschaften von einem höheren Offizier als Lagerkommandant geführt, natürlich mit genügendem Aufsichtspersonal, das sich meist aus älteren Soldaten z. B. der Landwehr oder des Landsturmes rekrutierte. Andere Offizierslager waren z. B. in Schlössern, Fabriken und Kasernen untergebracht. Das IV. Armeekorps benutzte aber meist militärische Anlagen. In Burg bei Magdeburg waren die kriegsgefangenen Offiziere in Bauten des Artilleriedepots einquartiert. Das Magdeburger Lager war eigentlich recht idyllisch gelegen. Viel Grün und hohe Bäume, die Schatten spendeten, machten den Aufenthalt recht angenehm. Zum Sport treiben stand ein freier Platz zur Verfügung. Die Einrichtung der Stuben war relativ einfach, aber annehmbar. Die Offiziere machten sie sich nach ihrem Geschmack wohnlich.
1916 waren im Lager Magdeburg 409 Offiziere untergebracht. Natürlich variierte die Zahl bis 1918 von Zeit zu Zeit. Außer dem Kavalier I wurde ja noch das recht ansehnliche Wagenhaus nach einigen inneren Umbauten genutzt. Beschränkungen, was die freie Bewegung im Lager anbelangte, gab es wohl nicht. Das Lager war also gut gesichert. Und dennoch gab es Fluchtversuche, wovon einige gelangen. Appelle dienten der Information usw. Da die Offiziere und Mannschaften Post von zu Hause erhielten, waren in den Lagern extra Poststellen eingerichtet worden. Dort wurden die Postsendungen, die rein- und rausgingen, gründlich kontrolliert. Auch Geld von zu Hause bekamen die Gefangenen – ausgezahlt aber nur in deutschem Lagergeld!
Ein sehr wichtiges Thema war natürlich die Ernährung. Für Offiziere und Mannschaften galten unterschiedliche Regelungen, da die Offiziere eine Löhnung bzw. ein Gehalt von der deutschen Heeresleitung bekamen und sich deshalb selbst verpflegten. Die Küche führte ein deutscher Offizier in Gemeinschaft mit einem Küchenausschuss, der auch den Wochenspeisezettel erstellte. Der Lageroffizier kontrollierte tagtäglich das Essen.
Die Küchen der Lager waren sauber, modern und damit zweckmäßig eingerichtet. Das Personal war dementsprechend gekleidet.
Wie man sieht unterschied sich das Essen der Mannschaften grundlegend von dem der Offiziere. Das Gleiche galt auch für die Speisesäle. Den Offizieren waren täglich zwei Flaschen Bier und sonntags eine halbe Flasche Wein genehmigt. Ansonsten waren die Offiziere von ihren Ordonanzen bedient worden, ganz wie in der Heimat. In den Werkstätten waren Mannschaften für die Belange der Offiziere beschäftigt, soweit letztere ihren Bedarf nicht aus der Heimat oder in der Stadt beschaffen konnten. Diese Mannschaften waren getrennt von den Offizieren untergebracht – in Magdeburg 103. Für sechs bis acht Offiziere stand eine Ordonanz zur Verfügung.
Die Sorge um die Gesundheit stand ganz oben auf der Agenda. Die verwundeten Offiziere wurden auf das Beste gepflegt und gehegt. Die hygienischen Zustände waren den Umständen entsprechend bestens. Wasserleitungen, Abortanlagen sowie Heizungs- und Lüftungsanlagen waren trotz unüberwindlicher örtlicher Schwierigkeiten (Magdeburg) in gutem, gebrauchsfähigem Zustand. Auch eine Desinfektionsanlage war vorhanden, wie auch in den Mannschaftslagern. In den Offizierslagern standen extra Krankenzimmer zur Verfügung. Kranke Offiziere fanden in eigens eingerichteten Kurlagern (unter anderem in Klausthal im Harz) Ruhe und Erholung. Natürlich gab es in den Mannschaftslagern eine ausreichende medizinische Versorgung, so dass auch Epidemien bzw. Seuchen verhindert werden konnten. Zur religiösen Erbauung fanden sich entsprechende Möglichkeiten, d. h., dass Räume mit den unerlässlichen Utensilien der Religionsübungen ausgestattet waren. So konnten Christen, Juden, Moslems, Hindus usw. jederzeit ihren religiösen Riten nachgehen bzw. sie ausüben. Wenn ausländische Geistliche nicht vorhanden waren, übernahmen deutsche, die vertraglich gebunden wurden, das Amt. Wichtig war, dass sie die nötigen Fremdsprachen beherrschten. Für die Russen stand im Magdeburger Offiziers-Lager ein Pope, der mehrere Lager betreute, zur Verfügung. Im Halbmondlager Wünsdorf gab es 1915 schon eine Moschee. Ihre Beschäftigung konnten die Offiziere selbst wählen, so in der Küche, Wäsche und Kantine. Auch Lesezimmer waren vorhanden, so dass die Männer deutsche Zeitungen und Zeitschriften sowie Bücher studieren bzw. lesen konnten. Selbst die deutsche Heeresleitung gab fremdsprachige Zeitungen heraus. Das galt auch für die Mannschaftslager. Chöre sowie Musikkapellen waren in allen Lagern Normalität. Irgendwie wurden die nötigen Instrumente beschafft. So konnten auch Theatervorstellungen musikalisch begleitet werden. Was das Theater angeht, so mussten die weiblichen Rollen begreiflicherweise mit Männern besetzt werden, was sehr oft eine übergroße Heiterkeit hervorrief. Natürlich unterschieden sich die Stücke der Mannschaftslager von denen der Offiziere. Was die Beschäftigung betraf, so spielte der Sport eine große Rolle. Fußball, Kegeln, Tennis und Turnen waren überaus beliebte Sportvergnügen. In den Offizierslagern kamen auch Schach sowie Billard zu Ehren. In den Lagern für Offiziere sowie Mannschaften kam die Handwerkskunst zu nicht geahnter Blüte – Malerei, Bildhauerei, Strick- und Stickereien, Metallarbeiten usw. Es gab Erstaunliches von großer Qualität. Die meisten Dinge wurden verkauft, um das „Taschengeld“ aufzustocken. Regelmäßig wurden auch Ausstellungen mit den Arbeiten veranstaltet. Im Torgauer Offizierslager wurden sogar wissenschaftliche Vorträge bzw. Vorlesungen gehalten, also eine Art Weiterbildung. Eine kleine Kuriosität noch am Schluss. Im Werk „Brückenkopf“ (Torgau) waren die Offiziere gärtnerisch tätig und sie hielten Schweine und Schafe – im Werk „Zinna“ (Torgau) wurde Hühner- und Kaninchenzucht betrieben. Mit all diesen „Herrlichkeiten“ war dann 1918 das Ende gekommen!
Quelle: Risse, Die Kriegsgefangenenlager...1916
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Hallo, tja, so etwas ,,leistete" sich die kaiserliche Armee. Im 2. WK sah das, was die Angehörigen der Roten Armee ganz anders aus...Selbst unter Wilhelm wurden die russischen Kriegsgefangenen nicht so schlecht behandelt, wie später im 2. WK. MfG Wirbelwind