Tagebuchnotizen eines Genthiner Bürgers über seine Erlebnisse während des 2. Weltkrieges in seiner Heimatstadt
Schriftreihe zur Genthiner Stadtgeschichte
„Genthiner Stadtgeschichte“ e. V. Druck: Elbe-Havel-Werkstätten Schönhausen Erschienen: 09/2014
Aufzeichnungen eines Genthiner Bürgers, über die letzten Tage des 2. Weltkrieges in seiner Heimatstadt
Vorwort
Die nachstehenden Texte wurden so einem Material des Paul ALBRECHT entnommen und unverändert wiedergegeben, Vielleicht ist es erforderlich, über das Vorwort hinaus, einige erklärende Bemerkungen zur Person Paul Albrecht zu machen, der in der deutschen Geschichtsschreibung und insbesondere auch der für den Kreis und die Stadt Genthin, sehr unterschiedlich dargestellt und wahrgenommen wird. Unstrittig ist, dass er in den Wirren der Nachkriegszeit sehr viel für den Wiederaufbau unserer Stadt getan hat und ihm die SED bis 1989 weit über seinen Tod hinaus ein Denkmal gesetzt hat. Sicherlich ist die unterschiedliche Sicht auf Paul Albrecht aus dem Blickwinkel des Betrachters geduldet, denn gleich wie, es bleibt eine subjektive Wertung, die da erfolgt. Von daher sollen die nachstehenden Daten und Fakten den Versuch unternehmen, Paul Albrecht in die Zeit einzubringen, die Peter Reisewitz durch den gewählten Freitod nicht mehr erleben konnte.
Zu Paul ALBRECHT (* 7. Februar 1902 in Erfurt; gest. 22.Mai 1985 in Halle/Saale) Paul Albrecht wurde als Sohn eines Arbeiters und einer Wäscherin in Erfurt geboren. Er besuchte die Volksschule in Erfurt. Anschließend erlernte er den Beruf des Werkzeugschlossers. Nach der Beendigung seiner Lehre 1919 trat Albrecht dem DMV und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) bei. In der Weimarer Republik trat er 1921 der Freien- Arbeiter- Union- Deutschlands (FAUD) bei, der er bis 1927 angehörte. Während er u. a. als Betriebsrat in den Norddeutschen Kabelwerken Berlin- Neukölln tätig und zeitweise Vorsitzender der Arbeitervertretung. 1929 trat Albrecht in die KPD ein. Entscheidenden Anteil an diesem Politik- Wechsel hatte Walter Ulbricht, auf dessen Initiative hin Albrecht schon 1930 als gewählter der 4. Arbeiterdelegiertenkonferenz in die Sowjetunion nach Moskau reiste. Im November des Jahres 1932 wurde Albrecht als Abgeordneter der KPD für den Wahlkreis 2 (Berlin) in den Reichstag gewählt. Bereits einen Monat später, im Dezember 1932, schied Albrecht aus dem Reichs- Parlament aus, um ins preußische Landesparlament, den Preußischen Landtag, zu wechseln. Im März 1933 errang er erneut ein Mandat im Preußischen Landtag für die KPD, konnte dies jedoch angesichts der Verfolgung durch die Nationalsozialisten nicht mehr antreten. Zum Zeitpunkt der Wahl befand sich Albrecht bereits in Haft. In der Nacht des Reichtagsbrandes vom 27. auf den 28. Februar 1933 wurde Albrecht in „Schutzhaft“ genommen und in einem Lager in Berlin- Spandau interniert, ehe er am 1. Juni 1933 ins KZ Sonnenburg verschleppt und ein halbes Jahr lang festgehalten wurde. Danach kam er vorerst frei, wurde aber fortan und für den Rest der NS- Zeit unter ständiger Polizeiaufsicht gestellt. Arbeit fand er in einer Berliner Firma als Werkzeugmacher. 1937 verhaftete ihn die Gestapo erneut, misshandelte ihn schwer und hielt ihn einen Monat lang im KZ Sachsenhausen gefangen. In seinem Buch „Fälschung und Instrumentalisierung antifaschistischer Biographien“ geht Frank Hirschinger davon aus, dass Albrecht damals dem Kommunismus abschwor und zum Opportunist wurde. Unbestritten ist, dass Albrecht 1938 im Rahmen eines Sorgerechtsstreits mit Liesel Albrecht einen Brief an das Amtsgericht Berlin schrieb, in dem es heißt: „Jawohl, ich habe vor 1933 eine andere politische Einstellung gehabt. Als der Führer aber den früheren Gegnern die Hand zur Versöhnung anbot, habe ich mich ihm dankbar und ehrlich überzeugt angeschlossen“, Außerdem beschuldigte er seine Ex- Frau der „Rassenschande“. Das Albrecht den Brief nach einem langen Verhör und in der Angst vor einer erneuten Inhaftierung im KZ schrieb, bleibt bei Hirschinger jedoch unerwähnt. Als Albrechts Wohnung 1043 durch einen Luftangriff zerstört worden war, ging seine neue Frau zu Verwandten nach Genthin. Im Februar 1945 floh Albrecht aus Berlin und zog seiner Frau nach. In Genthin wurde er von Anwohnern bis zum Einmarsch der Roten Armee am 6. Mai 1945 versteckt. Nach dem Krieg, am 20. mai 1945 wurde Albrecht vom Kreiskommandanten der Roten Armee im Landkreis Jerichow II, Oberstleutnant Chernow, zum Bürgermeister der Stadt Genthin ernannt. Einige Wochen später, am 19. August, wurde er mit dem Amt des Landrates des Kreises Jerichow II, der 88 Dörfer und die beiden Städte Jerichow und Genthin umfasste, betraut. Albrecht, der im Februar 1945 „illegal“ aus Berlin nach Genthin gekommen war, gelang es dabei, zuerst den von den Sowjets eingesetzten Bürgermeister Müller, später den Landrat Kinne bei den Besatzern derart zu diskreditieren, dass beide abgelöst wurden. Zunächst wurde Albrecht Bürgermeister und der Kommunist Dr. Meyer Landrat. Albrecht beklagte, dass Meyer „seinen Aufgaben nicht gewachsen“ war. So wurde Paul Albrecht selbst Landrat und war gegenüber den Russen für die Durchführung der Bodenreform verantwortlich. Sein Nachfolger als Bürgermeister von Genthin wurde Gustav Dittmann, sein Stellvertreter als Landrat zunächst Kurt Hempel und dann August Langnickel. Im Landkreis Jerichow II leitete Albrecht 1945 die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung der einheimischen Bevölkerung und der zahlreichen mit dem Kriegsende dort gestrandeten Flüchtlinge. In den folgenden Jahren koordinierte er außerdem die Durchführung der sozialistischen Bodenreform im Kreis. Im Gegensatz zu diesen Requirierungsmaßnahmen wirkte Albrecht zu dieser Zeit auch auf die Erhaltung bestehender Strukturen hin: Im Juli 1945 gelang es ihm etwa, die vollständige Demontage des Henkelwerkes durch die Sowjetische Militäradministration in Deutschland erfolgreich zu verhindern. 1949 stieg Albrecht zum Ministerialdirektor im Innenministerium des Land Sachsen- Anhalt in Halle (Saale) auf. Einige Jahre später übernahm er eine Tätigkeit im Bezirksvorstand des FDGB in Halle, wobei die Gründe für sein Ausscheiden aus der Landesregierung dunkel blieben. Viele seiner späteren Schilderungen sind mit Widersprüchen behaftet und halten einer tieferen Prüfung nicht stand. Fakt ist, dass die Sowjetische Kontrollkommission (SSK) 1951 zur Einschätzung gelangte, dass Paul Albrecht ein „schlimmer Verbrecher“ gewesen sei, der Antifaschisten an die Gestapo ausgeliefert habe. Dabei hatte Albrecht zwar seine Frau und weitere Kommunisten in Gefahr gebracht. Beweise für deren Verhaftung existieren aber nicht. Jedenfalls wurde Albrecht 1951 aus der SED ausgeschlossen und aus dem Innenministerium entlassen. Vordergründig kündigte er jedoch zum 31 August wegen seiner Erkrankung an Tuberkulose. Albrecht übte im Folgenden Selbstkritik und bemühte sich um seine politische Rehabilitierung, indem er für die „Zersetzung meines proletarischen Klassenbewusstseins“ den kleinbürgerlichen Anarchismus verantwortlich machte. 1957 wurde er schließlich wieder in die SED aufgenommen. Zu seinem 80. Geburtstag 1982 erhielt Albrecht die Ehrenspange zum Vaterländischen Verdienstorden in Gold, weil er, so die Begründung, „in den Jahren von 1924 bis 1945 eine unermüdliche politische Arbeit unter den werktätigen Massen geleistet und die Ziele der KPD vertreten“ habe. In den letzten Jahren seines Lebens litt Albrecht an einem schweren Herzleiden und war fast vollständig erblindet.
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Aufzeichnungen eines Genthiner Bürgers, des Direktors der „Spar- und Gewerbebank Genthin“
Beim Einmarsch der Roten Armee verübte er mit Frau und Tochter Selbstmord
Juli 1945 Paul Albrecht
Aus dem Tagebuch:
Genthin, den 18.11.1941
Zur Lage: Heute erzählte man mir, dass der KDF Kreisleiter Sprengler, welcher früher mal ein Zigarrengeschäft in Genthin hatte, etwa bis Mitte 1939, von seinen Lieferanten bisher immer noch sein Kontingent an Zigarren, Tabak und Zigaretten bezieht. Er hat sein Gewerbe abgemeldet, er muss aber doch sein Kontingent irgendwie verwenden, die vielen Zigarren usw. k a n n er ja gar nicht für sich verwenden. Die einfachste Logik muss sagen, dass er also noch Geschäfte damit macht, obwohl ein Gewerbe gar nicht mehr betreibt. Er betrügt also den Staat um die Steuern, den Verbraucher um die Anzahl. Auch ein Stück unserer Volksgemeinschaft, von welchem Reisinger sagt, dass man sich außerhalb der Volksgemeinschaft stellt, wenn man nicht Mitglied der NSDAP ist. Wahrscheinlich besteht die Volksgemeinschaft n u r aus solchen Mitgliedern der NSDAP.
Genthin, den 15.7.1942
Was die Waschfrau erzählt: Der Kreisleiter besucht des öfteren die Lazarette. Bei einem Besuch hat er sich an das Bett eines Verwundeten gesetzt und im Laufe der Unterhaltung sich über die Pfaffen ausgelassen. Der Verwundete hat sich diese ruhig angehört, dann hat er gemeint, in Russland hätten wohl einige das Beten wie er gelernt, denn es sei die Hölle gewesen. Auch seien Pfaffen dort draußen gewesen, aber nicht um ihnen Mut zuzusprechen, sondern um mitzukämpfen. Diese Pfaffen hätten mit dem Gewehr in der hand mitkämpfen müssen um ihr Leben. Es seien auch einige Pfaffen gefallen, dass aber ein Kreisleiter dort draußen gefallen sei, hätte er (der Verwundete) nicht gehört. Mach diesem Gespräch hätte sich der Kreisleiter schweigend entfernt. Dr. Usbeck, der dieses Gespräch aus einer Entfernung mitgehört hatte, ist auf den Verwundeten zugegangen und hat zu ihm gesagt, dass dieser Tag der schönste seines Lebens sei.
Genthin, den 17.2.1943
Stimmungsbild: Es ist eine schwere Zeit für uns alle. Am Montag war Großalarm. Wir wurden gegen 7 Uhr abends als Mitglieder der Stadtwacht zum Rathaus befohlen. Wir wurden mit Waffen ausgerüstet, jeder Mann Karabiner und einen Rahmen Patronen. Dann erhielten wir den Auftrag die Ausländerlager nach Waffen zu durchsuchen. Ich wurde dem Trupp zugeteilt, welche bei Henkel eine Durchsuchung vornehmen sollte. Wir untersuchten die Polenbaracken und das Lager wo die Ukrainer Mädel untergebracht sind. Vorgefunden wurde n i c h t s. Es sollte ein besonderes Augenmerk auf Stichwaffen gerichtet werden. Wir haben keine gefunden und ich persönlich kam mir sehr lächerlich vor. Ich meinte nachher, dass es sich doch wohl um einen Scherz gehandelt hat. Dem ist aber nicht so. Gestern erzählte mir Herr Willi Behrendt, dass die SA Führer in einer SA Führerbesprechung gehört hätten, dass die Ausländer sich bereits Brotmesser in Massen aufkauften. Dieses hätte einen bestimmten Zweck. In Wirklichkeit ist es so, dass kaum eine deutsche Hausfrau ein Brotmesser kaufen kann, viel weniger natürlich die Ausländer. Wenn man derartige Instruktionen gibt, dann muss einem die schlotternde Angst im Gebein sitzen.
Genthin, den 11.3.1943
Notiz Augenblicklich macht folgende kleine Episode die Runde: Auf der Brandenburger Straße wird ein Obergefreiter der Infanterie von einem uniformierten in der Parteiuniform angehalten. Der Uniformierte in der Parteiuniform redet den gefreiten an: „Na, Sie wissen wohl nicht, dass Sie zu grüßen haben?“ Der Gefreite: „Wie was, ich soll Sie grüßen? Haben Sie vielleicht das Verwundetenabzeichen oder das Infanteriesturmabzeichen oder das Eiserne Kreuz? Wenn Sie nicht machen, dass Sie wegkommen dann trete ich Sie in den Arsch!“ Der Uniformierte zog schleunigst von dannen! (Der Uniformierte war der Kreisleiter)
Notiz 40 Engländer waren in Hohensalza ausgerückt. Es wurde Großfahndung befohlen. Von Sonnabendnacht bis zum Mittwochabend halb 8 waren die Männer der Stadtwacht auf Posten. Mein Posten war an der Amtsbrücke. Natürlich klappte es nicht, da die Gruppeneinteilung der Stadtwacht nach dem ABC erfolg war. Meiner Gruppe gehörten Männer an die in Altenplathow bei dem Altersheim wohnen und auch Männer, die in der Magdeburger Straße wohnen. Ich stand am 10.3. von 5 bis 7, von 1 bis 3 und von 11 bis 1. Mittags bekam ich Krach mit dem Zugführer der Luftpolizei Senff. Er meinte ich sabotierte die Sache. Ich sagte ihm, dass er mir gar nichts zu sagen hätte. Er meinte ich könnte die Bank nur schließen, da diese Sache nicht kriegswichtig sei. In Genthin haben etwa 150 Mann tagelang und auch nächtelang nach den entflohenen Engländern ausgespäht. Wenn man berücksichtigt, dass das 1,5% der Bevölkerung darstellt, dann sind in Deutschland 1,2 Millionen unterwegs gewesen. Was soll erst werden, wenn 100 000 Engländer da sind? Auf der Polizeiwache saßen die dicken Schutzleute herum und machten ihren gewöhnlichen Dienst. Es war zum Erbarmen. Die Sache hat mich sehr mitgenommen. Scheinbar haben die Sicherheitsorgane des Staates versagt.
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Der Genthiner Bannführer: Es soll hier eine Geschichte erzählt werden, welche uns beweist, dass der Humor noch immer wach ist. Es handelt sich um Hochstapelei ersten Ranges, es ist nicht zu verkennen, dass der Münchhausen- Film seine Auswirkungen nach sich zieht. Bei dem Ortsgruppenleiter Albrecht meldet sich ein Oberst telefonisch. Er habe einen Feldwebel aus Russland mitgebracht, welcher gewissermaßen einen Zwangsurlaub begehe, weil er keine Angehörigen habe. Er sei ein äußerst tapferer Soldat, welcher mehrfach ausgezeichnet sei, ob es nicht möglich wäre, ihn in Genthin unterzubringen, damit so ein tapferer Frontsoldat mit an die Front nehme, dass es auch in der Heimat noch anständige Menschen gebe. Albrecht versprach selbstverständlich, eine tadellose Unterbringung. Es kam dann ein Feldwebel Nassler, angetan mit allen möglichen höchsten Orden. Er wurde bei Wachsmuth untergebracht. Nach einigen Tagen meinte dann der Ortsgruppenleiter, dieser Mann müsste privat untergebracht werden, damit er noch mehr Heimatgefühle bekäme. Nach persönlichen Bemühungen gelang es den Feldwebel Nassler bei Thormann unterzubringen. Nassler hatte sich inzwischen bekannt gemacht. Allgemein errang er Hochachtung, da er EK1, das Kriegsverdienstkreuz, Spanienkreuz und noch verschiedene Plaketten trug. Er führte sich tadellos ein. Er ging auch mit Thormann auf die Jagd. Er lebte wie Gott in Frankreich. Ins Kaffee Behrendt nahm er immer eine andere mit. Alle bewunderten diesen tapferen Feldwebel. Bei der HJ hatte er sich als Bannführer eingeführt. Die Jungs, mit denen er auch Geländeübungen abhielt, waren begeistert. Er ließ auch tüchtig die Trommeln und Pauken auffahren. Dem Kreisleiter gegenüber meinte er, er sei bemüht aus dieser Schweinerei etwas Ordentliches zu machen, weil die ganze Bande verlottert sei. Der Kreisleiter meinte, das sollte er nur machen. Bei der Heldengedenkfeier saß Nassler zur Rechten der hohen Herren. Er erzählte nun auch alles, was er durchgemacht hätte, er hätte 4 Monate in russischer Gefangenschaft zugebracht. Hier sei er einem russischen Kommissar begegnet, welcher ein Lehrer aus Deutschland sei, seine Eltern wohnten in Erfurt. Mittels dieses Kommissars sei es ihm geglückt wieder in unsere Linien zu kommen. Nassler fühlte sich dank der Bewunderung sauwohl in Genthin. Und doch platzte die Seifenblase. Am letzten Montag wurde Nassler verhaftet, alles was er erzählt hatte, waren lauter Lügen. Die Telefongespräche hätte er selbst geführt. Er sei fahnenflüchtig.
Genthin, den 27.6.1944
Siegeszuversicht! Frau Ballarin versucht in ihrer Schulklasse den Begriff der Invasion zu erklären. Sie erklärte, dass die Engländer usw. einen Landekopf bilden, wie sie mit den Kriegschiffen heranfahren und die Küste bombardieren, wie die Flugzeuge von oben die Stellen abriegeln und schützen. Hiernach hebt der kleine Reisener den Finger und sagt: „Mein Vater hat gesagt, dass, wenn die Invasion kommt, dann gehen wir kaputt!“
(Dieses hat mir Becker gestern erzählt).
Genthin, den 28.7.1944
Berliner Range: Ein Junge kommt in ein hiesiges Geschäft. Er sagt: „Guten Tag!“ Ein im Geschäft anwesender Polizist fragt ihn, ob er nicht „Heil Hitler!“ sagen kann. Der Junge sagt nichts. Er fragt nach einer Mütze. Er bekommt keine! Als er beim Herausgehen ist, an der Tür, sagte er: Wenn ick in Berlin „Heil Hitler!“ sage, dann kriege ick eene in die Fresse.
Genthin, den 2.11.1944
Notiz: Ganz Genthin ist wieder in Aufregung, jeder erzählt sich, dass Eugen Meyer vom Bezugsscheinamt sich heute Nacht erschossen hat. Das ist gewiss der erste Auftakt zu der Affäre Lucke.
Genthin, den 4.11.1944
Ein Märchen! Das Kind der Zeit wird unter großen Schmerzen geboren! Bei der Taufe befinden sich drei reizende Feen ein. Sie beschenken das Kind:
Die erste Fee schenkt Charakter. Die zweite Fee schenkt Verstand. Die dritte schenkt das Parteibuch.
Damit war das Kind mit den kostbarsten Geschenken versehen. Plötzlich erscheint der Teufel und erklärt, dass er dem Kind das Leben zur Hölle machen wird. Die drei Feen ziehen sich zurück, um gegen den Angriff des Teufels alles zu tun, was möglich ist. Sie beschließen, dass das Kind in Zukunft immer auf eines der Geschenke verzichten muss, wenn es die anderen beiden benutzt. Das Kind der Zeit richtet sich hiernach: Wenn es den Verstand und Charakter gebraucht, dann hatte es kein Parteibuch. Wenn es Parteibuch und Charakter gebraucht, dann hatte es keinen Verstand. Wenn es Verstand und Parteibuch benutzt, dann hatte es keinen Charakter.
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Genthin, den 9.3.1945 Eben ruft der Kreisleiter an, er schimpft fürchterlich, er würde mich sofort verhaften lassen, ich habe ihm den gemeinsten Brief geschrieben, den er jemals empfangen hat. Der Brief sei an die NSV gegangen. Ich habe den aufgeregten Mann meine Meinung gesagt, dass ich ihn keineswegs beleidigen wollte, ich wollte sogar eine bewusste Unterstellung vermeiden, damit nach jeder Richtung hin, diesen Unterstellungen die Spitze abgebrochen wird. Er hat mich Lump und Schuft tituliert, ich bin kalt geblieben, wie Eis. Ich habe meinen Standpunkt genau präzisiert. Er habe mir nichts mehr zu sagen, er wolle die Namen wissen, damit er ein Exempel statuieren könne. Er hat mir sogar Ohrfeigen angeboten.
Genthin, den 16.4.1945 Dramatische Tage liegen hinter uns! Es war aber nur der Auftakt. Freitag fuhr ich nach Brandenburg, um Geld zu holen, es gelang auch. Am Donnerstag waren wir in der Bank Zeuge einer Panikstimmung, wir zahlten in kurzer Zeit erhebliche Summen aus, wir kürzten zuletzt die Auszahlungen der Einlagen auf 100.- pro Buch. Unser Geld hat, dank unserer Vorsorge, gereicht. Auch heute haben wir entsprechende Mittel! Sonnabend früh machte ich eine Exkursion mit Düsseldorf zusammen an die Front- Elbe. Wir fuhren um 5 Uhr los. Der Elbkahn, welcher wegen Beschuss aus geleert wurde, war in der Nacht abgeschleppt worden. Dieser Kahn enthielt die heute wertvollsten Dinge, Tabak, Zigarren, Ölsardinen, Käse, Schokolade, Kaffee und andere Dinge. Wir hatten keinen Erfolg, wir haben dann einzelne Kunden von Düsseldorf Zickelfelle mitgenommen und dabei interessante Einzelheiten erfahren von der Kampflage, welche seit Donnerstag hier besteht. Ich sah bei dieser Gelegenheit auch den ersten Panzer, welcher in eine Geschützstellung einfuhr. Die Leute waren seit Tagen und Nächten schon von dem Kampfgeschehen berührt und dementsprechend eingestellt. Sie erzählten von Gefechten, welche Hitlerjungen mit dem Feind gehabt hatten bei Bittkau, diese hätten hierbei Verluste gehabt, weil die Kähne, die die Jungen übersetzen sollten, untergingen usw. Wir durchfuhren auch Derben und sahen Stätte der Verwüstung. Ausgangs Derben hielt ich bei Bolle an, welcher mir sagte, dass in Derben ein Kahn mit Fleisch lag. Wir gingen heran und wir holten aus diesem Kahn 6 halbe Schweine heraus, davon haben wir 3 verschenkt, nachdem ich erst mit dem Kreisleiter verhandelt hatte deswegen, der Leiter des Ernährungsamtes Herztsch, welcher mit mir feststellte, dass es sich bei den Schweinen um Strandgut handelte. Wir haben dann entsprechend gelebt und sind richtig satt geworden. Am Sonntag haben wir dann Schlachtfest gefeiert. Sommermeier hat uns alles zurecht gemacht. Ich habe alle 4 Stunden Wache geschoben. Unzählige Wehrmachtswagen gesehen, nicht etwa abgerissen oder schlecht, sondern neu und fahrbereit, man konnte denken, dass unsere Wehrmacht über vieles verfügt. Am Donnerstag ging durch Genthin ein Strom von flüchtigen Truppenteilen, es mag die Etappe zwischen Braunschweig und der Elbe gewesen sein, es waren schreckliche Bilder. Hart rühren die jetzt bestehenden Verhältnisse an unser inneres Leben. Am Sonnabend Abend sah ich vom Wachposten aus die verheerenden Wirkungen der Angriffe auf Potsdam, der Wahnsinn regiert, alles menschliche Denken ist sinnlos. Heute früh begrüßt uns der erste Tiefflieger, welcher uns mit Maschinengewehrfeuer beschoss. Die Nähe der schlacht rührt an unser Genthin. Wann werden die Wogen der Schlacht uns erreicht und uns zerstampft haben? Wie werden dabei mit untergehen?
Genthin, den 17.4.1945 Während die ersten Tiefflieger den ersten Tanz eröffneten, kamen heute mehr davon, gestern. Haben sie einige Lokomotiven der Kleinbahn zerstört. Heute bepfeffern sie Silva. Wir lagen noch im Bett, seit gestern Abend schlafen wir im Keller. Ich stand heute Nacht von 2 bis 3 Posten und hatte ein Rekontre mit einer Polizeistreife, die mich nach meinem Ausweis fragte. Beim Schreiben dieser Zeilen knallen erneut die Bordkanonen der Tiefflieger. Immer neue Eindrücke kommen, es gibt keine Statik mehr im Tagesablauf, alles hastet. Es ist seit einigen Tagen alles in den Geschäften zu haben, es werden Bestände an Lebensmittel und Gebrauchsgegenständen verkauft, alles schafft sich die Keller voll. Es ist Not der Fülle, die Menschen wissen nicht, was sie zuerst nehmen sollen. Sie fallen zum Teil wie Tiere über die ihnen gebotene Möglichkeit, etwas zu bekommen her. Draußen zeigt uns der Frühling nochmals die Schönheit dieser Welt, heute am 17. April stehen fast alle Obstbäume in Blüte, es ist eine erstaunliche Pracht, weil die ganze Natur aufblüht mit einem Mal. Auch bei mir im Garten ist eine noch nie da gewesene Pracht. Dr. Krüger war am gestrigen Abend in seiner Wohnung. Offenbar hat man ihn gesucht, mein gestriges Schreiben hat wohl doch eine Wirkung gehabt. Hoffentlich machen sie etwas, was Eindruck bei der Bevölkerung macht. Man will Taten sehen. Gestern Vormittag soll Pechmann verhaftet worden sein und zwar von einem Wehrmachtsoffizier. Nähere Einzelheiten fehlen vorerst noch. Gestern Abend, ich war mal in Altenplathow, gegen halb 10 Uhr traf ich vor dem Haus von Graefe eine Zugmaschine mit 2 Anhänger voll beladen mit Tabak, drei Männer waren in der anbrechenden Dunkelheit dabei, sich entsprechende Ballen für den Hausgebrauch abzuladen. Ich fragte, ob es sich um Tabak handelt, man antwortete ganz nüchtern, ja!
Genthin, den 18.4.1945 Der Mensch erschrickt n u r vor Drohungen, mit vollendeten Tatsachen findet er sich schnell ab! Dieses von mir in der Vergangenheit so oft gebrauchte Worte, findet in unseren Tagen seine Bestätigung! Letzte Nacht ein erhebliches Gewitter eigentlich zwei. Wenn man im Keller schläft, dann sind die Schallgeräusche doppelt zu spüren. Die Schallgeräusche der Detonationen und Abschüsse und das Gewitter mischen sich. Auf meinem Posten zwischen 2 und 3 ergab sich nichts Besonderes, die Polizeistreife war besoffen. Heute Vormittag keine Fliegertätigkeit, erst gegen 12 Uhr Alarm. Gestern hat man Silva bombardiert und das Haus Nr. 39 zerschlagen. Der Direktor Frentzel hat seine Familie in Sicherheit gebracht und dabei einen neuen Unfall erlitten, er soll sein Bein noch mal gebrochen haben. Die Strafe folgt auf dem Fuß, meint man. Bei allen Geschäften steht man Schlange nach Waren, obwohl der erste Hunger durchaus befriedigt ist. Gestern roch die ganze Stadt nach Schweinebraten, der Schweinekahn wird nun in Genthin ausgeladen. Bemerkenswert sind auch die erheblichen Tabakvorräte an Rohtabak. Frau Wahrenburg hat dem Volkssturm 60 000 Zigarillos ausgehändigt. Ich selbst bin wegen Tabak noch knapp, ich werde mich bemühen müssen, einen ballen Bulgaria zu erwischen. Der Kreisleiter hat den fall Krüger auf der Versammlung publiziert. Ein neuer Fall + Zwick + ist aktuell geworden. Eben kommt die Mitteilung, dass unsere Truppen das gegenüberliegende Ufer der Elbe bei Grieben und Bittkau wieder besetzt halten, es sollen sich nur schwache Kräfte bei Tangermünde befinden. Mit der Bevölkerung sollen Verbrüderungsfeste mit Tanz und Jazz gefeiert worden sein. Heute soll auch der Betreuer der NSV von Drateln mit seiner Frau verschwunden sein.
Genthin, den 20.4.1945 Der gestrige Tag verlief ohne besondere Ereignisse. Die Waldungen der Umgebung brennen, in Dunkelforth sollen es 100 Morgen sein. Die Schlangen an den Geschäften haben sich jetzt bei den Textilgeschäften gebildet, es gibt jetzt markenfrei alles, was sie dort haben und das ist natürlich ein Fressen für die Frauen. Von 2 bis 5 laden wir Steine auf. Um 6 Uhr erhalte ich eine neue Einteilung, ich brauche jetzt als Gruppenführer nicht mehr Posten zu stehen. Tangermünde soll wieder besetzt sein. Nur ein kleiner Vortrupp der Engländer soll da gewesen sein. Die Mädels sollen dort Feste mit den Engländern gefeiert haben. Nach Eintreffen von schwachen deutschen Kräften, haben sich die Engländer wieder verzogen. Ob Stendal noch besetzt ist, ist zweifelhaft, aber keiner kann es vorerst wissen. Gestern gingen große Bomberschwärme über uns hinweg, wahrscheinlich Berlin. Das Wetter ist herrlich, gestern Nordwestwind, der den Boden austrocknet, zum Garten bin ich nicht gekommen. Ich werde heute gehen. Goebbels hielt anlässlich des Geburtstages Führers gestern eine Rede.
20.4.1945
Notiz: Dr Buhl kommt eben zu mir und legt mir ein anonymes Schreiben vor. In diesem Schreiben werden ihm Vorwürfe gemacht, dass er ein Verräter ist, er ist Defaitist usw. Der Werwolf würde ihn richten. Das Schreiben war von einer gezeichneten Rune unterzeichnet. Ich habe den Hinweis gemacht, dass ich ihm immer gesagt habe, dass er den Mund zu halten habe, jeder sei nicht so tolerant und ginge auf die augenblickliche Stimmung des anderen ein, wie ich. Ja, ich sei auch so einer mit Untertanenverstand. Ich bestritt dieses, was ich getan hätte in aller Freimütigkeit hätte bisher keiner von den Untertanen gewagt. Er solle jetzt zum Kreisleiter gehen, denn der wüsste ja wohl Bescheid. Den Brief hätte wohl irgend so ein Stiesel geschrieben. Wenn man ihn umlegte, dann wäre er eben früher bei Renate. Er würde trotzdem sagen, dass Hitler ein feiger Lump sei. Ich warnte ihn ganz dringend, den Mund zu halten und seine Pflicht zu tun so wie es sich für jeden gehörte.
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Notiz: Heute wieder ein wunderschöner Frühlingstag. Die ganze Welt prangt im Blütenschmuck der Obstbäume und anderer Frühlingssträucher. Bäume sind voll entfaltet, sie Pranken im jungen Grün. Es ist so, als wollte die Natur den (wahnsinnigen) Menschen. Aber die wenigsten sehen etwas davon, sie hasten durch den Alltag, die müssen erraffen, erjagen, sich voll pumpen von alle den Dingen, die es gibt. Als Symbolik liegen bereits wieder Lumpen auf der Straße, kein Mensch hebt sie auf, sie haben keinen Wert mehr. Es gibt heute in den Textilgeschäften Waren ohne Punkte und da lohnt es sich wirklich nicht, an die Lumpen zu denken. Fleisch gibt es genug, auch Juhnhold brachte uns heute noch einen schönen Schweinebraten, der gar nicht so sehr meine Begeisterung erweckte, wie noch vor einer Woche. In der Bank ist der Run zu Ende, es werden bei uns von den Geschäftsleuten erhebliche Beiträge eingezahlt, weil sie Große Kassenbestände haben.
Genthin, den 21.4.1945 Es war eine ruhige Nacht, die üblichen Alarme. Das Geschützfeuer an der Front ist abgeschwächt. Nach einem warmschwülen Abendregen, der auch heute Morgen noch anhält. Stehe von 6 bis 8 Uhr Posten. Im Anschluss gehe ich in meinen Garten. Es ist wunderbar nach diesem Regen. Heute, am 21.4. kommen schon die Kartoffeln durch. Eine ungeheure Blütenfülle allerorts zeichnet diesen Frühling aus, denn wir sind immer noch im Vorfrühling im April. Die tief hängenden Wolken verhindern eine Einsicht. Wir warten auf die Ereignisse, die noch kommen sollen. Gestern Abend wurde Scherer, weil er mir wiederholt den Dienst verweigert hat, von der Polizei in Gewahrsam genommen. Gestern Abend ging auch das Gerücht durch, dass an der Ostfront neue deutsche Waffen zum Einsatz gekommen sind, welche verheerende Wirkungen haben sollen. Hoffentlich ist es wahr. Nach vorläufigen Verlautbarungen muss ich heute noch nach der HKL zum Schanzen, ich soll dort einen Trupp bekommen, mit welchen ich an den neuen Stellungen zu arbeiten habe.
Genthin, den 23.4.1945 Gestern Morgen wurde ich sehr früh geweckt und musste meine Gruppe zum Ausladen nach der Hafenstraße alarmieren. Hier standen zwei Lazarettzüge auf den Schienen. Ein Zug davon musste von uns und noch vielen anderen entladen werden. Der Menschheit ganzer Jammer greift uns an. Sie lagen da auf Stroh seit dem 17.4. und warteten auf Entladung und das ging sehr langsam, weil die Lazarette überfüllt waren. Ich habe Mann für Mann auf die Bahren geladen, die Bahren zu den verschiedensten Fahrzeugen geschafft, einer nach dem anderen, es waren wohl über 400 Mann. Hilflos, verhungert, durstend schmerzerfüllt! Ein Bild des menschlichen Jammers. Ich hatte nur einen Teil unserer Gruppe, die immer kommen, wenn sie gerufen werden. Es dauerte bis zwei Uhr Nachmittags. Als ich nach Hause kam, habe ich geweint, ich schäme mich dieser Tränen nicht, denn es war erschütternd. Während dieser Zeit war Aprilwetter eingetreten, Schnee und Hagelschauer rasten durch das Land. Nachmittags war ich im Garten und stellte fest, dass die wunderbare Pracht der bunten Tulpen von gemeiner Hand abgepflückt worden sind, wie schon am Sonnabend die Anchusa. Es ist inzwischen sehr kühl geworden, es sind nur noch 5 Grad Wärme. Eine furchtbare Stimmung besteht bei den Menschen. Ich habe natürlich auch gestern wieder meine Meinung gesagt, als wir Besprechung in der Krankenkasse hatten. Ich habe Krüger als Lump bezeichnet und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass es für uns eine Provokation bedeutet, wenn andere immer nur zum Zukucken kommen und es nicht nötig haben, anzufassen, z. B. Hohmann von der Sparkasse. Auf Grund seines Postens in der Sparkasse ist er vom Dienst befreit, weil nur ein Mann in der Sparkasse ist. Ich habe verlangt, dass er zum Dienst herangezogen wird.
Genthin, den 25.4.1945 Gestern haben wir geschanzt am Kanal. Es waren auch Scharen von Ausländern, Franzosen und Polen angetreten. Wir sind gut vorangekommen. Von uns waren nachmittags gegen 4 Uhr nur noch 6 Mann da. Man kann sich an und für sich über das Eiltempo ärgern, man vergisst den Ärger aber dann, wenn man doppelt arbeitet. Und so habe ich es auch gemacht. Gegen 11 Uhr kreisten Aufklärungsflieger über uns und ebenso um 1 Uhr, als ich zu Tisch ging. Gegen 2 Uhr kamen die ersten Schüsse herüber, es war anscheinend mittleres Kaliber, Genthin erhielt die ersten Treffer. Henkel, Bahnanlagen bei Kajahn, Altenplathow, Henkel. Es mögen so 20 Schuss gewesen sein. Hiernach hat es den Anschein, dass Genthin beschossen werden soll. Vormittags ging an der Arbeitstelle das Gerücht um, dass die Russen etwa 5km vor Brandenburg sind. Man konnte es den Menschen ansehen, wie das wirkte. Die Stadt wird wieder durchzogen von Flüchtlingen, die vom Osten kommen, kein Mensch weiß wohin. Auch große Scharen von Soldaten durchziehen und durchfahren die Stadt. Genthin hat bestimmt die doppelte Anzahl an Einwohner. Heute Morgen haben wir dann an unserer Stellung weitergebaut und sie fertig gestellt. Auf dem Genthiner Friedhof warten seit Tagen 39 tote Soldaten auf ihr Grab, es sind keine Kräfte da, die das vornehmen. So ist alles wieder in Wallung, man sieht traurige Menschen. Kein Mensch weiß, was kommen mag. Gestern brachte uns ein Stabsintendant Haupt von der Fliegerhorstkommandantur Werder/Havel die Kasse und Unterlagen. Es waren über 30 000.- Reichsmark. So ist alles, aber auch alles durcheinander gebracht. Sämtliche Zusammenhänge scheinen nur noch an einem Faden zu hängen, ist dieser faden durchschnitten, dann löst sich alles in ein Nichts auf. Kreisleiter Reisener hält nach wie vor seine Reden an sein Volk. Wie schutzbedürftig sich das Volk fühlt, beweist, dass die Menschen in Scharen dahin laufen, um zu hören, was er sagt. Nach den heutigen Gerüchten soll Bobby Fischer die Stadt verlassen haben, um sich an seinen Posten zu begeben. Die Familie Helm ist weg und vorübergehend auch die Familie von Hass. Was hieran wahr ist, wollen wir den kommenden weiteren Ereignissen überlassen. Alle diese Menschen rennen in ihr Schicksal hinein.
Genthin, den 26.4.1945 Immer größer wird der Wirrwarr, immer größer wird die Zersetzung. Tausende Flüchtlinge aus dem Osten durchziehen Genthin, in Scharen durchziehen sie die Stadt und auch in wohlgeordneten langen Reihen. Alle möglichen Ausländer. In den Gruppen, die die Stadt durchziehen, schießen russische Tiefflieger hinein, in der Brandenburger Straße soll es drei Tote gegeben haben. Sie verwenden Maschinengewehre und Bordkanonen. Gerüchten zu Folge, soll der Russe bei Plaue stehen, er ist also nur etwa 20km von uns entfernt. Wenn er nun mit nur einem Panzer durchstößt, dann kann er die ganze Stadt besetzen und jeder ordnet sich dem Befehl eines Feindes unter. S o ist die geistige Verfassung. K e i n e r weiß mehr, was er tun soll. Die Abhebung der Kasse steigert sich jetzt wieder, alle wollen sie Geld haben. Alle diese wollen fliehen, wohin wissen sie nicht. Dazu ein wunderbarer Frühlingstag, die Sonne scheint war vom Himmel. Ein Gerücht, welches die Hoffnung wieder weckt, ist, dass eine ganze Armee unter Generalfeldmarschall Schörner in Schlesien durchgebrochen ist und die Russen jagt, während eine Armee unter Wenk vom Westen kommt, wohl ausgerüstet unter Billigung der Amerikaner, um gegen die Russen vorzugehen. Wir sollen nach diesem Gerücht in Kürze mit dem Einrücken dieser Truppen auch in Genthin rechnen können. Hoffentlich fällt eine solche Armee vom Himmel herab, denn ich wüsste nicht, woher sie noch kommen soll. Reckling erzählte mir, wie tapfer der Kreisleiter sich einstellt und wie sein Stab, sich aus lauter Feiglingen zusammen etzt, die bei jedem Schuss gleich weglaufen möchten. Bobbi Fischer ist nicht weg, er ist anscheinend wieder gekommen. 3 Mal täglich gibt der Kreisleiter nun seine Mitteilung an die Bevölkerung. Unsere Kompanie macht Arbeiten bei Henkel, Kabellegen, um Licht zu machen für bestimmte Teile Genthins. Ich selbst habe keinen Auftrag mitzuarbeiten.
Genthin, den 27.4.1945 Eine große Enttäuschung erlebten die Menschen gestern. Gegen Mittag kam die Mitteilung, dass der Amerikaner mit schwachen Kräften die Elbe überquert habe, er sei im Anmarsch auf Genthin. Die Panzersperren würden offen bleiben und auch die Brücken sollten nicht gesperrt werden. Als diese Meldung offiziell bekannt gegeben wurde, haben sich die Menschen beinahe umarmt, weil sie dadurch einen Ausweg aus der Russennot sahen, sie wollen lieber Amerikaner werden. Wir haben gewartet und gewartet. Die Meldung, dass der Ami nun in Nielebock sei, bewahrheitet sich nicht. So stürzte alles von der höchsten Erwartung in die tiefste Enttäuschung, denn heute Morgen, ist der Ami immer noch nicht da. Große Flüchtlingsströme ergießen sich in Richtung Elbe. Traurige Bilder sind wieder zu sehen. Alles hastet in Richtung Westen. Wo bleiben die Menschen? Viele Verwundete zu Fuß machen den weg von etwa Brandenburg oder Plaue hierher. Wieder viele Truppen, die die Fahne verlassen haben. Es ist Auflösung! Offenbar wird Genthin weder gegen Russen noch gegen Amerikaner verteidigt, wir werden wohl so überrannt werden. Rathenow soll brennen, ebenso Brandenburg. Brandenburg ist umschlossen. In der Gegend von Ziesar sollen Kavallerietruppen der Russen aufgetaucht sein. Heute Morgen stehen wieder Frauen vor den Geschäften, um noch etwas zu bekommen. Menschen, die da leben, verzichten nicht! Gegen Mittag kam ein russischer Tiefflieger und beschoss Flüchtlingshaufen, wie mit einer Sense gemäht, lagen sie auf dem bauch. In der Brandenburger Straße gab es drei Tote und verschiedene Verwundete. Gestern waren wir im Garten und erlebten bis 9 Uhr die nicht zu beschreibende Blütenpracht. Radio geht nicht, wir hören nur Feindsender. Das Licht versagt des öfteren, wir kochen das erste Mal auf unserem Herd in der Waschküche. Wie erleben eine ruhige Nacht. In den Wäldern um Genthin halten sich tausende Flüchtlinge auf. Von der Geschichte sich entziehen, vor ihr flüchten, ist nur eine andere Art das Schicksal zu erfüllen. Von der großen Politik hören wir gar nichts, wir sind vollständig davon abgeschnitten, weil unser Radio nicht mehr funktioniert. Wie hat doch Sprengler alles, aber auch alles vorausgesehen. Man darf nicht denken, wie in dieses Wirrwarr noch einmal Ordnung kommen kann. Am beschissesten stellen sich die klugen Köpfe an. Becker meinte gestern am Gartenzaun, wie Frau Kiehne eine tapfere Frau sei, die noch am 20.4. die Hakenkreuzfahne gehisst hatte aus Opposition, sie hätte gemeint, es sei das letzte Mal gewesen. Mit solchen Nutzniessern von Adolf Hitler, die es so machen, kann das Volk natürlich keinen Krieg gewinnen. N u r bei Adolf Hitler hat der Oberstleutnant K soviel herum faulenzen können. Auch Becker hat nichts für den Sieg getan. Frentzel von Silva hat gesicherte Zonen aufgesucht.
27.4.1945 Die Verwundeten von Genthin haben Genthin verlassen. Sie sollen in Richtung Magdeburg gegangen sein, weil dort die Möglichkeit des Durchlasses besteht. Der Schiffer Schulze war gestern in Derben, Ferchland usw. Die Amerikaner haben in Derben verlangt, dass die weiße Flagge gehisst wird. Die Elbdörfer westlich der Elbe sind von Zivilisten geräumt, dort haust nur der Amerikaner. Den Deutschen nehmen sie alles weg, was sie gebrauchen können. Dem Kompanieführer des Volkssturms Jerichow Köhler haben sie das Fernglas weggenommen und sein Auto zerstört. Die Amis haben sich einfach reingesetzt und die Gänge eingeschaltet, dabei haben sie einmal die Tür abgerissen und in einem anderen Fall die Gänge zerstört. Sie haben sich dann abgewandt. Fleischkonserven usw. haben sie aus dem wagen geworfen. Sie stehlen wie die Raben. Zivilpersonen lassen sie nicht herüber. Sie lassen nur Ausländer rüber und wenn sie Feierabend machen, dann sagen sie, dass sie morgen wieder wiederkommen sollen. Die Massen der Flüchtlinge sind abgeebbt, es ist auch keine feindliche Tätigkeit irgendwelcher Art. Ein Stabsarzt und ein Oberarzt erzählten uns, dass die russischen Kräfte bei Brandenburg nur ganz schwach seien. Die Russen legten sic etwa 250m vor den Sperren fest und beschossen dann die einzelnen Sperren, weil die dann sich gegen die Panzerfaust schützen. Man wollte von uns 100 000.- Reichsmark für die Wehrmacht haben. Wir haben die beiden Ärzte nach der Kreissparkasse verwiesen. Geld wird nur noch abgehoben. Die Geschäftsleute haben zum Teil erhebliche Einzahlungen gemacht.
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Genthin, den 28.4.1945 Gestern Abend ging ein kurzes aber heftiges Gewitter nieder. Viel Regen, Hagelschauer, z.T. war der Boden weiß. In der Mühlenstraße verstopft sich der Gully, die Straße überschwemmte bis weit in die Hafenstraße hinein. Kreisleiter hatte viel Besuch bei seinem Vortrag am Abend. Er hatte auch zu berichten, dass die Russen inzwischen nach Potsdam zu, abgerückt sind und dass verschiedene deutsche Stöße erfolgreich verlaufen. Sonst immer mehr Flüchtlinge von allen Seiten. Dr. Overlack versuchte über die Elbe zu kommen, er kam aber mit Frau und Kindern nach etwa 3 Stunden zurück. Es war nichts, bei Tangermünde kann man nicht hinüber. Just, der Besitzer von Groß Demsin, hat sein Rittergut mit einem Treck verlassen und es einem jungen 22 jährigen überlassen. In ganz primitiver Form hat er dem Jungen, Freiherr Hans Jürgen von Plotho, das Gut übergeben. Er selbst wird wahrscheinlich gesucht von der SS. So spielten sich die absurdesten Dinge ab. Der Wirrwarren in dem Denken der Einzelnen ist so groß, keiner weiß, was er machen soll. Heute ist nun ein grauer Regentag, es ist etwa 10 Grad. der Regen ist natürlich überaus fruchtbar. Wenn alles enttäuscht, dann kann man wohl sagen, dass die Natur den Menschen nur Segen bringt. Es ist ein überaus fruchtbares Jahr, es muss eine fabelhafte Rekordernte geben, wenn alles in den Boden gebracht werden kann und konnte. Die Waldungen um Genthin häufen sich mit Menschen und Flüchtlingen. Von Brandenburg erzählt man sich haarsträubende Geschichten. Immer und immer wieder ist von Vergewaltigungen durch die Russen die Rede, z.T. viele, viele Male. Man muss sich Gedanken machen, wann denn eigentlich die Russen kämpfen, wenn sie nur die Frauen vergewaltigen. Man will auch an nichts mehr glauben, nur das, das glaubt man und setzt noch eine ganze Menge dazu. Ich war nur ganz kurz im Garten als das Gewitter kam. Heute will ich natürlich versuchen alles das zu pflanzen, was nötig ist, vielleicht schon Tomaten. U.U. muss ich auch morgen arbeiten, damit der Garten nun alles bekommt, was er haben soll. Wie werden die Erwartungen der Einzelmenschen hin und her geworfen, wie werden sie enttäuscht und immer wieder enttäuscht. Man sieht als Lüge an, was sich nicht erfüllen lässt. Man verlangt alles das, was jetzt gar nicht mehr möglich ist. Flüchtlinge zeigen einen Zeitungsausschnitt, nach welcher sie überall Geld abheben können. Sie begreifen gar nicht, dass hierüber schon längst raue Tatsachen hinweg geschritten sind. Augenblicklich ist der Zustand so, mit der von Renten, Gehälter usw. Die Behörde sagt, die Banken haben Anweisung auszuzahlen, während sie sich selbst drücken. Eine Anweisung ist nie gekommen und als in dieser Form gegeben wurden war es eine ganz andere Zeit. So kommt nun heute mancher überhaupt nicht mehr mit. Und weil jeder nur individuell denken kann und nur nach seiner eigenen Interessenlage handelt und fühlt, so gibt es auch hier manche Enttäuschung.
Genthin, den 29.4 1945 Nun sieht die Welt wieder ganz anders aus. Es wird gekämpft in Brettin und Altenplathow. Gestern Nachmittag erhielt ich Befehl, beim Ausladen von Verwundeten zu helfen, diese kamen mittels eines großen Kahnes aus Brandenburg, es waren nicht viele und auch die Verwundungen waren nicht so schwer. Es dauerte sehr lange, weil die Verwundeten aus der Last herausgewunden werden mussten. Während des Ausladens schoss ein Tiefflieger dazwischen und warf unzählige Flugblätter ab. „Bahn frei“. Hiernach beabsichtigt der Amerikaner die Elbe zu überschreiten, wo es nicht geschehen ist, um nach Genthin zu kommen. Mit diesen Gedanken gingen wir sehr spät zu Bett und standen auch erst gegen 10 Uhr auf. Geweckt wurden wir im Keller durch Tiefflieger. Als ich mich wusch, hörte ich eine erhebliche Explosion und gleich darauf, dass die Brücke über den Kanal in der Mühlenstraße gesprengt worden ist. Es war auch sofort das Wasser weg, ich war der einzigste in unserem Hause, der sich noch gewaschen hat. Jetzt versuchen die Frauen Wasser aus Brunnen der Nachbarschaft zu erhalten. Ich begab mich gleich zur Brücke und sah die Bescherung. Fast alle Fensterscheiben in der Mühlenstraße sind kaputt. Scheußlich. Vor der Brücke eine Wache von Fallschirmspringer. Wir konnten nicht hindurch. Die Brücke in der Amtsstraße ist noch frei. Zwischendurch hörten wir, dass bei der Amtsbrücke ein Schnapskahn liegt, wir, es waren noch Stenner usw. dabei hin. Wir sind dann noch eine Strecke in Richtung nach Hagen gegangen und von dort an den Kanal. Hier erhielten wir Feindfeuer, die Schüsse pfiffen über uns hinweg. Ich ging dann allein über die Wiesen zurück und musste Deckung nehmen gegen Tiefflieger. Das Wetter ist abgekühlt, nur ab und zu kommt die Sonne durch. Schwere Wolken hängen am Himmel. In Altenplathow wird schwer geschossen, die Maschinengewehre ratterten. Ab und zu hört man die Explosion einer Panzerfaust. Nach der Unterhaltung soll der Ami in Brettin eingedrungen sein. Er ist uns also sehr nahe auf den Leib gerückt. Weil kein Wasser in der Stadt vorhanden war, ist die Feuerwehr dabei Wasser aus den Tiefbrunnen zu holen. Zur Zt. ist es ruhig, wir hören keinen Gefechtslärm. Gegen 1 Uhr mittags.
29.4.1945
Es ist 3 Uhr, Frau Korn kommt eben von Altenplathow. Altenplathow ist frei vom Feind. Es sollen den Gerüchten nach über 100 Amerikaner gefangen genommen sein, die einfach die Hände hochgehoben haben. Ein Teil der Gefangenen wurde auf dem Marktplatz von Genthin den Kampfkommandanten vorgeführt. An der Ecke beim Gärtner Pukall hat man gekämpft, es sind einige Stöße gewechselt worden. Frau Korn brachte mir den Geldschrankschlüssel, den ich vermisst habe, weil ich sonst morgen den Schrank nicht öffnen konnte. Im Augenblick stehen vor unserem Haus zwei Kampfwagen, Panzerspähwagen. Solche Wagen haben Korn beim Hause gestanden nach Brettin rein geschossen. Das Wasser wird vom Marktplatz in unser Haus geschleppt. Unser Radio funktioniert wieder, im Augenblick wird ein Märchen erzählt.
Genthin, den 30.4.1945 Wir hatten eine ruhige Nacht! Wir haben bis gegen 1 Uhr Grog getrunken, Friedrich war bei uns zu Besuch. Wir sind aber erst gegen 3 Uhr ins Bett gegangen. Gegen 2 Uhr habe ich den Posten in der Mühlenstraße aufgesucht. Tschernig war von 2 bis 4 eingeteilt. Schwere Benzinwagen durchzogen vom Westen kommend die Stadt. Nach Mitteilungen sollen die Amis die Elbe östlich wieder verlassen haben. Mussolini soll mit seiner ganzen Regierung füsiliert worden sein, er ist also nicht mehr, damit verfällt auch Italien restlos dem Feinde. Ein Friedensangebot Himmlers soll von allen Seiten abgelehnt worden sein. Die Russen sind bei Brandenburg weiter zurückgedrängt. Ein Putsch in Bayern soll nach einigen Stunden bereits erledigt worden sein. Überall fließt also Blut, überall sitzt uns die Vernichtung im Nacken. Die letzten Stunden kommen nun. Was werden sie bringen. Heute ist die Temperatur noch weiter gesunken, es sind nur 6 Grad. Die Wasserleitung der Stadt ist noch nicht in Ordnung. Die Feuerwehr pumpt Wasser für die Bevölkerung. An der Brücke baut man einen Steg.
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Eine ungeheuere Spannung durchzieht jeden Menschen in diesen Stunden. Der Krieg hat seinen Höhepunkt erreicht, wir sind am Ende dieses blutigsten Ringen der Welt in unserer Weltgeschichte. Wahnsinn war es. Jeder lebt nur s e i n e Welt, seine Welt, die er mit allen gemeinsam zu haben glaubt. Jedes Denken führt in Irrungen. Alles Denken in Wirrungen. Keiner vermag einen Rat zu geben, der etwas daran tut, diesen Wirrwarr zu lösen. Heute war es den ganzen tag ruhig, nur ein Tiefflieger hat ohne zu schießen Genthin überflogen. Fast friedlich ziehen Trecks vorüber, Wehrmachtswagen durcheilen die Stadt. Ab und zu sieht man auch mal einen geordneten Trupp Soldaten. Es wiederholt sich das ewige Verhängnis der Geschichte, dass dem Kämpfer am Ziel mit grausamer Klarheit zeigt, dass es ganz anders wurde, wie er erhoffte und dass es der Mühe nicht wert war. Wir reden viel vom Totschießen, mehr oder weniger kommen Selbstmordgedanken, aber immer will jeder noch einmal das kommende sehen oder miterleben, keiner möchte jetzt unmittelbar ausscheiden. Wieder ist es das Denken, welches hierzu verleitet. Und wieder ist nicht alles denken bisher falsch gewesen. Die Stimmung der Einzelnen ist furchtbar. Wieder stehen wir gegenüber drohenden Änderungen, die wir fürchten. Furcht, Furcht, was kommen wird. Der Führer soll tot sein! Himmler soll regieren.
Genthin, den 1.5.1945 Eine ruhige Nacht! Ich war von 2 bis 3 Uhr draußen, weil Ober nicht stehen konnte, ihm war gestern seinem Jungen das Bein abgenommen. Hellklare Nacht, es ist sehr kühl. Heute Morgen scheint die Sonne bei 4 Grad, es ist ein östlicher Wind. Gestern teilte Reisener den gespannt horchenden mit, dass Frauen und Kinder evakuiert werden würden, die Hamburger müssten nach Hamburg, die Reinhausener nach dem Westen und die Magdeburger nach Magdeburg, weitere Bestimmungen würden folgen. Genthin und seine unmittelbare Umgebung würden Kampfgebiet sein, hier würden die Truppen von uns sich zusammenballen. Frauen und Kinder müssen evakuiert werden. Wir fragen uns mit klarem Verstand, soweit dieser nicht irgendwie gelitten hat, wohin, wohin? Es gibt nur eine klare Erkenntnis, diese heißt Untergang in j e d e m Fall. Wenn wir die Frauen auf die Straße schicken, müssen diese verhungern und laufen den Russen in die Arme oder werden durch Tiefflieger kaputtgemacht. Wenn die Russen kommen, dann können wir n u r kämpfend untergehen. Wenn wir hier bleiben, also auch unsere Frauen und Kinder, dann haben wir auch bei uns den Hunger vor den Augen, denn die Lebensmittelvorräte bei den Großhändlern sollen schon jetzt auf die Neige gehen. Wir haben rund 60 Pfd. Kloßmehl, welches einem Quantum von 600 Pfd. Kartoffeln entspricht, das könnte uns die Lage verlängern, aber dem vom Schicksal zugedachten Untergang nicht aufhalten. Wir stehen also unmittelbar vor unserem Zusammenbruch auch als Einzelmenschen, es nützt und nur noch, mit anständiger Haltung unterzugehen. Was wir auch überlegen und nachdenken, es g i b t kein Auswärts, kein seitwärts und kein rückwärts. Wir müssen die Dinge so ansehen, wie eine gewaltige Naturkatastrophe, welcher wir Einzelmenschen machtlos gegenüberstehen. Heute Morgen ist es kühl, es sind nur 4 Grad. es darf nun eigentlich nicht kälter werden, sonst gerät das Wachstum wieder ins Stocken. Wie schön ist die Welt, wie hängt alles an dem Leben. Und d o c h, wie aussichtslos ist die Zukunft für uns. Allen Ernstes haben wir uns heute Nacht darauf vorbereitet, dass wir aus dem leben scheiden wollen. Wie Leid tut es uns, wenn wir an unser Kind denken. Sie hat immer noch eine Haltung welche s o positiv und s o gläubig ist, wie logisch und sachlich und erhaben begreift sie die Umwelt. Gestern geriet sie wohl das erste Mal aus ihrer Fassung, wie ich erzählte, dass wir damit rechnen müssen, dass der Führer nicht mehr ist. Sie hat es mit eiserner Ruhe aufgenommen, während sie sonst immer und in jeder Situation einen Ausweg weiß und immer rangeht, Auswege zu suchen.
Genthin, den 2.5.1945 Gestern war ein unruhiger Tag! Die Mitteilungen über Evakuierungen erzielten bei uns weitgehend Abzüge vom Geld. Wir haben deshalb nachmittags geschlossen. Ich bin in den Garten gegangen und habe dort einige Stunden gearbeitet. Es war ein kühler Tag, wenn auch in der Sonne einige Wärme war. Abends vernehmen wir mit getragener Spannung die deutsche Tragödie von dem Tode Adolf Hitlers. Er ist für seine Idee gefallen. Er gab allen ein Beispiel dafür, dass man für seine eigene Idee auch sterben kann und ggf. m u s s. Der Kampf gegen den Bolschewismus ist nicht beendet. Ganz groß und erhaben fühlte man, als wieder einmal unser Radio funktionierte, die Haltung unseres neues Staatsoberhauptes: Dönitz. Wenn er nach vielen Verhandlungen die Weiterführung des Kampfes gegen den Bolschewismus proklamiert, dann wird er auch geprüft haben, dass er das kann. Ich habe bis gegen 2 Uhr einige Verse gemacht. Heute früh ist nun alles grau in grau. In der Nacht kamen große Truppenteile hier durch, auch schwerste Panzer. Alles soll den weg nach Rathenow nehmen. Es wird sich bei uns alles zusammendrängen, wie werden wohl noch sehr schwere Tage durchzumachen haben. Wir werden wohl auch für unsere Idee fallen müssen. Kann ich das auch? Ich werde mich selbst prüfen und glaube es! Es würde schlimmer sein als der Tod, wenn es uns nicht gelingt, die Bolschewisten noch so zu schlagen, dass sie selbst Hilfe benötigen. Eine Evakuierung ist heute unmöglich. Es kommen auch heute weniger die Geld haben wollen. Viel sind schon weg, sie gehen einen traurigen Irrweg. So gehen die Menschen in der Irre, weil sie nicht in der Lage sind einen klaren Gedanken zu fassen. Das Bild von Adolf Hitler versehe ich mit einem Lorbeerzweig und Trauerflor, es bleibt hängen. Brandenburg ist heute genommen von den Russen. So pendelt die menschliche Hoffnung zwischen Lust und Weinen. Es ist eine klare Lage nicht erkennbar, wir tappen im Dunkeln. Eben war Dr. Buhl da, er ist und bleibt ein eigensüchtiger nur an sich allein denkender ganz primitiver Geist. Er meinte, das ganze System bestände an Verbrechern, er würde alles tun, um zu seinem Sturz beizutragen. Fallendes müsse man stoßen. Noch niemals sei etwas so klein und so gemein aus der Weltgeschichte gegangen. Ich meinte, er dächte eben nur an sich allein. Ja, nur seine eigene Sache wäre ihm das Wichtigste, alles andere ginge ihm nichts an. Er wollte nun schleunigst sehen, dass er aus dem Volksturmdienst käme, es passe ihm nicht wenn er Posten stehen müsse. Es scherten ihn die Gesetze von Gestern nicht. Ich meinte, er könne einen Vorschuss auf die Gesetze von morgen nicht bekommen, er stände unter dem Gesetz von heute. Wenn er sich nicht anders einstellen könne, dann ginge man leicht in diesem Wirbel unter. Das könne ihm auch egal sein.
Genthin, den 3.5.1945 Eine ruhige Nacht! Fast so ruhig, dass man diese Ruhe fürchtet. Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Ein fast immerwährendes Brummen durchzieht die Stadt in der Nacht, es sind die mot. Fahrzeuge, Panzer, Geschütze usw., die hier in unsere Gegend einrücken, wo sich die letzten Kämpfe abspielen werden, die unsern absoluten Untergang besiegeln. Berlin soll gefallen sein. es sollen fast 100 000 Tote auf unserer Seite sein. Aber, das weiß kein Mensch von uns und alle Sender lügen. Die letzten Truppen werden herumgejagt, Deutschlands Niederlage ist komplett. Es ist ein Untergang, wie ihn die Weltgeschichte noch nicht gesehen hat. Wenn ich hier Aufzeichnungen gemacht habe aus einem ganz kleinen Erdenwinkel, der wohl erst jetzt in den letzten tagen in Deutschland Untergang seine letzte Bedeutung erfährt, dann bin ich überzeugt, dass diese kleinen Notizen wohl von keinem mehr gelesen werden. Sie werden in den Strudel der Vernichtung mit hinab gezogen werden, genau so wie ich und meine Familie. Aber auch alles das, was schön war, was uns als Deutsche in der ganzen Welt auszeichnete. Wer übrig bleibt m u s s verhungern. Wer übrig bleibt muss ein Leben eines Landstreichers führen nachdem alle deutsche Ordnung, der wir gelebt haben und die wir erhalten haben überall wohin wir kamen, zerbrochen ist. Der Untergang des Abendlandes ist erfolgt, wir waren Zeugen dieses Unterganges. Ich habe gestern die Selbstbetrachtung des Kaisers Marc Aurel gelesen, welcher 121 n. Chr. geboren ist. Welch große Gedanken hatte dieser Mann schon damals. Wie wenig haben die Menschen nach diesen Erfahrungen gelebt. Es ist so, jeder lebt sein eigenes Leben und diese fängt immer wieder neu an. Die Menschen m ü s s e n alle Erfahrungen an sich selbst immer wieder neu erleben, sie müssen immer wieder neu lernen und haben nur dann aus ihren Erfahrungen Vorteile, wenn es ihnen nicht mehr nützt. Während wir uns als junges Volk bezeichneten, müssen wir feststellen, dass die jungen Menschen in Asien geboren sind, welche jetzt über die Hochzivilisierten Gegenden unseres großen Deutschland rasen, mit Mord und Brand, Tod und Vernichtung. Es wird nicht ein Bruchteil der in Deutschland lebenden Menschen übrig bleiben. Wir wissen nicht, was das Schicksal mit uns vorhat. All unser denken, unser großes Denken, unser faustisches Denken ist einfach zu Ende. Gestern fand eine Trauerfeier für Adolf Hitler statt. Mein Kassenbetrieb ist abgeflaut. Nach dem auch Schaeper, Belicke, ausgerückt ist, bekamen wir nochmals über 28 000.- Reichsmark die er einfach liegengelassen hatte, keiner hatte sich diesen Haufen Geld angeeignet, sondern man hatte es uns mit den nötigen Formalitäten gebracht. Was ist auch schon Geld? Was ist schon Besitz und Vermögen in diesen Tagen? Es ist sehr kalt, nur 2 Grad Wärme, waren in dieser Nacht. Heute ist es ein wenig sonnig, es ist aber trotzdem sehr kalt. Ich muss im Überzieher Dienst tun. Die „Selbstbetrachtungen“ des Marc Aurel würde ich in Leder einbinden lassen und ständig bei mir tragen, wenn ich überlebe. Hamburg soll heute von den Engländern besetzt werden. So bleibt nur noch ein kleines Stückchen deutschen Bodens übrig.
Genthin, den 4.5.1945 Eine ruhige Nacht. Unterbrochen von Wagenrollen und dem Anmarsch einer riesigen Armee und flüchtigen Soldaten. Overlack ist heute nun weggemacht. Theiss will auch heute weg. So verkrümelt sich der eine und der andere, jeder versucht dem kommenden Anprall zu entgehen. Eigenartig ist es, dass es sich immer um solche Menschen handelt, die während der ganzen bisherigen Dauer des Krieges nichts Besonderes getan haben. Wie muss es bei diesen Menschen im Inneren aussehen? Ein herrlicher Tag beginnt heute. Gestern war es noch veränderlich. Es waren heute früh nur 6 Grad, es war eine sehr kalte Nacht. Flüchtlinge kommen aus dem Bunker heraus, sie sind verfroren. Es kommt nicht mehr auf das Bett an, das einer hat, wenn er nur ein Dach über den Kopf hat. Ich überlege dauernd, ob ich nicht den hinteren teil der Bank freigeben soll zur Unterbringung von Flüchtlingen. Wenn ich es aber anfange, dann geht der verfall bei uns unablässig.
Nichts ist jämmerlicher als der Mensch der alles ergründen will und alles ergründet hat. Der die Tiefen der Erde durchforscht und die Seelen seiner Mitmenschen durchsucht Nur was bei ihm selbst vorgeht, was er selber tun muss, das bleibt ihm ewiges Rätsel!
Genthin soll über 500 000 Flüchtlinge bergen dazu vielleicht 1 Millionen Soldaten. Wir sind der letzte deutsche Kreis, der noch vom Feinde unbesetzt ist. Wie wird ein solcher Ansturm auslaufen? Es kann sich n u r um totale Vernichtung handeln. Gestern Mittag erlebten wir die letzten Sendungen von Hamburg. Alle meine Versuche einen weiteren Sender zu finden sind nicht geglückt. Die Wasserleitung läuft wieder, jetzt sollen die Brückenreste nochmals gesprengt werden, um die letzten Schiffe herauszubekommen.
Alle unsere Begriffe sind veränderlich, denn wo ist der Mensch, der sich niemals in seinen Urteilen geändert hat?
Was wird aus unserem Winkel werden? Blut und Tränen! Es wird die letzte deutsche Tragödie hier bei uns enden!
Keinem Menschen widerfährt etwas, was er nicht seiner Natur nach auch vertragen kann und könnte!
Es fehlen noch die Flieger, um unser Leid zu vollenden.
4.5.1945 Bedenke, dass wir nur die gegenwärtige Zeit leben, die ein unmerklicher Augenblick ist. Die übrige Zeit ist schon verlebt oder ungewiss Unser Leben ist etwas unbedeutendes, unbedeutend auch der Erdenwinkel, wo wir leben, Unbedeutend auch der Nachruhm, selbst der dauernste, er pflanzt sich fort durch eine Reihe schnell dahin sterbender Menschenkinder, die nicht einmal sich selbst kennen, geschweige denn jemanden, der längst gestorben ist, kennen können.
Und, wenn Du tausend Jahre lebst, so wisse, dass Du kein anderes Leben verlieren kannst als das, was Du wirklich lebst und Du lebst kein anderes Leben, als was Du wirklich verlierst.
Wir haben es Elisabeth ganz ernsthaft vorgestellt mit Ilgener und mit einem Schiff nach Hamburg zu kommen und sich dann von dort allein durch die Welt zu schlagen, sie solle von mir 5 000.- Reichsmark mitbekommen. Sie weigerte sich das zu tun, sie will nicht. Eigentlich habe ich es nicht anders von ihr erwartet. Theiss schwankt in seinem Willen, jetzt zu türmen hin und her. Er fragt diesen und jenen um Rat. Er k a n n sich einfach nicht entscheiden, zu handeln. Wir haben nach wie vor die feste Absicht, hier zubleiben. Wir werden alles nehmen, wie es kommt oder die Konsequenzen ziehen.
Der Mensch erschrickt n u r vor Drohungen mit vollendeten Tatsachen findet er sich schnell ab.
Der Kassenbetrieb ist heute normal. Nur wenige holen noch Geld, die meisten haben auch genug. Wir geben einzelnen auch nur 100.- Reichsmark von ihrem Buch. Ich wollte heute in den Garten gehen, um Bohnen zu legen und verschiebe es wieder auf morgen. Morgen will ich aber den Garten restlos bepflanzen und besäen. Wir m ü s s e n säen und ernten, wenn wir nicht säen, dann gehen wir zu Grunde. In unserer Gegend ist es gespickt voll Geschützen aller Art. W a n n geht der Spuk los? Wann kommen die Russen, das ist die bange Frage, welche alle bewegt. Nach wie vor ein Flüchtlingsstrom durch Genthin. Alles nach der Elbe, dort stauen sich hunderttausende.
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4.5.1945 Ich ging eben durch die Straßen. Eine ungeheure Truppenmasse wälzt sich durch die Straßen der Stadt. Überall ruhende Truppen, fahrende, reitende Männer. Dann folgen Gerüchte:
Dönitz soll erschossen worden sein. Dönitz soll in Kopenhagen sein. Speer soll von dort über den Rundfunk gesprochen haben. General Holste, unser Kommandeur soll getürmt sein. Die Ländliche wurde von ihm um 10 000.- Reichsmark erleichtert.
Wenn man nun die Truppen, die sich hier versammeln, ordnen und bewaffnen könnte, dann hätten wir bestimmt Material, um einen Schlag gegen die Russen zu führen und diese bis an die Oder zurückzubringen/ Ganz eigentümlich verhält sich der Amerikaner, er gibt keinen Schuss ab auf die diesseitige Küste der Elbe, welche voll gestopft ist von Soldaten und Frauen und Kinder. Alle Waldungen liegen voll, alle Dörfer liegen bis zum Brechen voll. So ist dieser Elb/Havelwinkel voll gestopft mit Menschen und Material. Nach Meldungen sollen es die letzten Trümmer Deutschlands sein. Der Russenschreck sitzt den Menschen in den Gliedern. Russen bedeutet einfach türmen. Man hätte bei den vielen Dingen, die man als Propaganda bezeichnet hat, hier sachlicher sein müssen. Diese bewusst betriebene Unsachlichkeit hat diesen Zustand zur Folge. Die meisten dieser Menschen gehen in den Tod. Es kann keine 8 Tage dauern, dann muss eine Hungerkatastrophe einsetzen von noch nie gekannten Ausmaßen.
Nicht der Tod ist Unglück, sondern die Furcht vor dem Tode. Alles was sich ereignet, geschieht gerecht! Oswald Sprengler hat ganz bestimmt recht gehabt in allen seinen Äußerungen und Voraussagen. Er hat nach jeder Richtung hin, Recht behalten. Goebbels meinte einmal, es kommt nicht darauf an Recht zu haben, sondern Recht zu behalten. Eine Feindsendung gibt durch, dass der Führer und Goebbels sich erschossen haben, er sei in den letzten Tagen nur ein Wrack gewesen. Dieses soll durch Hand Fritsche ausgesagt sein, welcher sich gefangen nehmen ließ. So fängt das Charakterbild schon zu schwanken an in der Geschichte.
Genthin, Sonnabend den 5.5.1945 Gestern Abend gingen wir gehen 12 Uhr zu Bett, nachdem ich eine 1927er Zeller Schwarze Kat getrunken hatte, die mir Frau Dr. Ritter gegeben hatte. Ein warmer Regen ging herab, es rieselte, stockdunkel, sodass man kaum die Hand vor Augen sehen kann. Ich sitze vorher bei Theiss, welcher seinen Sprit ausverkauft. Frau Ilgener sitzt noch bei uns, sie will ja heute in der Früh mit einem Kahn weg. Hoffentlich gelingt es ihr mit ihren Kindern wegzukommen. Sie ist eben besser in Hamburg aufgehoben. Eine tiefe Spannung beherrscht uns. Man fühlt beinahe wie die Geschichte zu einem Ende kommen m u s s. Man hat Schicksal direkt im Gefühl. Bange Fragen tauchen auf, auch die unsinnigsten Gerüchte und Vermutungen. Wagenrollen, Motorbrummen. Heute werden wir kurz nach 5 geweckt. Theiss klopft an, er sagt. Dass die Stadt Genthin kampflos übergeben wird. Ich bin dann erheblich erleichtert aufgestanden. Frau Ilgener hat ihre Sachen zum Kahn gebracht, sie übergibt mir noch die Kette von Irmi, die ich aufheben soll. Auch ihre Haushaltsuhr erhalte ich. Alles erfolgt formlos ohne irgendwelche Worte. Frau Zimmermann macht die Bank sauber, wie immer. Wieder eine unerhörte Spannung. Draußen auf der Straße große Kolonnen Soldaten, die in Richtung Brandenburg fahren, gehen große Kolonnen, die in Entgegengesetzter Richtung sich bewegen. Dazu Flüchtlingsscharen, jetzt um 6 Uhr 15 ist der große schöne Platz fast leer, nur noch vereinzelte Menschen bewegen sich. Was ist wohl in dieser Nacht passiert? Welche Ereignisse haben sich abgespielt? Es ist kühl, es sind nur 6 Grad, es hat den Anschein, als wenn es heute einen schönen Maientag geben wird, der Himmel ist noch trüb, jedoch scheint es sich aufzuklären. Wenn ich mich selbst prüfe, dann komme ich dazu, dass ich allen kommenden Ereignissen mit Ruhe entgegengesehen kann. Gestern Abend gab der Hamburger Sender in deutscher Sprache einzelne Ereignisse wieder. In England will man den Tag des Sieges feiern, nicht dadurch, dass man die Hüte in die Luft wirft, sondern in Gottesdiensten. So lebt jedes Volk, wie auch jeder Mensch seine eigene Welt. Man gab auch die nächsten Maßnahmen bekannt, dass man die NSDAP auflöst und die einzelnen Glieder, wenn sie grausam gewesen sind, zur Verantwortung ziehen will! Dieses soll vor einem ordentlichen Besatzungsgericht erfolgen. Hoffentlich erhalten sich die deutschen Menschen nach Möglichkeit überall ihre Haltung, wie es ihnen zukommt. Haltung nach jeder Richtung!
5.5.1945 Gantzer und Frau, Barheine Frau und Tochter sind aus dem Leben geschieden. Gantzer soll die drei Frauen erschossen haben und sich dann erhenkt. Sie haben offenbar die für ihr Leben nötige Konsequenz gezogen. Frau Korn Rosemarie sind gekommen, ich habe sie eben wieder entlassen. Wir haben einige Auszahlungen, die letzten gemacht. Frau Ilgener habe ich ihre Anschaffungen bezahlt, sie ist jetzt weg. Ein Tiefflieger, es kann nur ein Russe sein, befunkte uns eben auch noch. Ich hörte, dass er die Schiffe, welche mit Flüchtligen voll sind, beschossen hat. Haarsträubende Geschichten erzählt man sich über Göring und andere Nazigrößen, die man kaum glauben kann. Es geschehen überhaupt kaum glaubliche Dinge auf dieser Welt. Wir müssen uns jetzt wohl einen anderen Glauben angewöhnen, ob wir wollen oder nicht. Offensichtlich ist die Lage so, dass sämtliche restliche deutsche Armeen kapituliert haben, d.h. in diesem Sinne, sie werfen einfach die Waffen weg und laufen irgendwo über. Die deutechen Armeen lösen sich einfach auf, jeder nimmt sich das, was er will, oder wirft es einfach weg, wenn er es nicht mehr will. Der Zeitpunkt der Anarchie beginnt, ich meine hierbei hätten wir noch mehr Nerven zu behalten. Wir gebrauchen in den nächsten Stunden auch noch mehr Haltung wie bisher, nachdem es feststeht, dass Deutschland zerschlagen ist. Nochmals versichern wie uns, dass wir alle beisammen bleiben wollen. Es gibt für uns weder ein Ausweg noch ein Seitwärts noch ein Rückwärts. Klar und eindeutig wollen wir das Kommende ins Auge sehen. Von den Nazis sind wir jetzt „befreit“.
5.5.1945 Wieder sind fast zwei Stunden vergangen Ich bin durch Genthin gegangen und habe den einen und den anderen angesprochen. An den Gesichtern kann man unsere Not erkennen. Alles ist tot ernst. Die Straßen der Stadt leeren sich, die großen Truppenmassen sind in Richtung Westen dahin gezogen, vereinzelte stellen wir noch fest. Alles treibt zum Westen, zur Elbe. Auch die Zivilbevölkerung zieht nach Westen ab. Die Kähne der Hamburger sind auch fort, Frau Ilgener kam beinahe nicht mit, sie hat wenigstens ihren ursprünglichen Kahn nicht bekommen, weil sie ein dickes Fell hatte, wie immer. An den Bäckerläden stehen Schlangen nach Brot. Die einzelnen Kaufleute haben geschlossen, sodass dort die Schlangen fehlen. Aus den aufgelösten Militärlagern erhalten die Leute Konseven usw. man sieht sie auch mit Zigarren kommen. Ich möchte damit nichts zu tun haben, ich komme mir vor, als wenn ich eine Hyäne wäre. Unser Haus ist leer, wir sind die letzten. Es geht das Gerücht, dass in einigen Stunden der Amerikaner einrückt. Das soll nach den Bestimmungen erfolgen. Wir wissen nicht, ein anderes Gerücht besagt, dass die Russen gestern in Tuchheim waren und dort beim Ortbauernführer Kaffee getrunken haben. Sie hätten sich ordentlich betragen und erklärt, dass sie keinen etwas täten, wenn keine Gegenwehr erfolge. Man solle nur weiße Tücher heraushängen, dann ergäbe sich alles von selbst. Wer kommt nun wirklich? Wer kommt überhaupt. Und wann ist diese Stunde. Ich war auch bei Standau und fand dort eine abgeklärte und gefasste Haltung vor, man ist in seinem Schicksal ergeben. Wir gehen durch die Wohnungen unseres großen Hauses und kommen uns innen sehr leer vor, obwohl alles herumliegt. Das Wetter ist nicht aufgeklärt, es ist südlicher Wind, aber kühl. Die Fenster haben wir geöffnet, weil die Sprengung von Munition zu erwarten ist, diese soll in die Luft gehen. Nun kommt bald die Stunde, wo das Volk merkt, dass es keine Autorität mehr gibt. Fast alle Männer, die etwas galten, haben Genthin verlassen. Dr. Schünemann, Apotheker, ist auch verschwunden. Er wird sich natürlich als alter SA Mann in Feldgrau getarnt haben. Seiner zeit, es war wohl 1934, bezeichneten die Braunhemden, Feldgrau als einen Fremdkörper für das Volk. Sie haben sich in eine tarnende, vielleicht rettende Farbe in Feldgrau verzogen. Ja, ja, so ändern sich die Zeiten, so wenig gilt ein Symbol oder Farbe. Der Mensch möchte sich immer tarnen, nur ab und zu mal zeigt er seine wahre Gestalt und sein wahres Gesicht. Es ist trotz allem eine Genugtuung, dass ich n i e etwas mit diesen Einrichtungen zu tun hatte, ich hatte immer schon ein psychisches Unbehagen, wenn ich eine braune Uniform sah.
5.5.1945 7 Uhr Eben habe ich den Wehrmachtsbericht gehört, das gibt es also auch noch. Gleichzeitig wird ein Tagesbefehl an die Truppen verlesen, den ich aber nicht mit bekam. Ilgener sind noch mal zurückgekommen, sie wollen noch einige Sachen mitnehmen und das können sie ja auch. Theiss ist inzwischen weg, ich habe von Ihnen einen Abschied nicht genommen, ebenso die Kinder von Ilgener. Und das ist gut so, ich werde dabei wohl zu weich und ich gebrauche alles meine Kraft. So geht der eine oder andere einfach und still aus unserem leben, als wenn es ein tägliches Begegnen gewesen wäre, wortlos. Und ohne irgendwelche Floskeln. Der Kreisleiter soll sich heute früh allein in der Kreisleitung befunden haben, alle seine Mitarbeiter haben ihn verlassen, sie sollen a l l e weg sein. Wahrscheinlich sind sie alle in die Hände der Amerikaner gelangt, weil sie sich als deutsche Soldaten getarnt haben. Aber auch wahrscheinlich ist es, dass sie ihrem Schicksal nicht entgehen können und entgehen werden. Drüben findet sich wohl dann die ganze Welt ein, während hier nur noch solche zu finden sein werden, welche ein Gefühl für ihr Volk, für ihre Umwelt haben. Sen anderen kommt es nur darauf an, wie sie ihr Fell in Sicherheit bringen können. Wer da meint, er könne aus der Geschichte flüchten, irrt sich, das ist nur eine andere Art, das Schicksal zu erfüllen. So erfüllt sich das Schicksal über das deutsche Volk. Hier an der Elbe das Schicksal Europas. Aus dem Inneren Asien heraus, wo die Welteroberer geboren werden, wird sich eine neue Kultur erheben. Es ist auch wahrscheinlich, dass der Kampf, welchen diese Kräfte gegen die bürgerliche Welt führen, weitergeht. Wer übernimmt nun hier in Genthin das Regiment? Ich bin überzeugt davon, dass es für beherzte mutige Männer große Chancen gibt. Hoffentlich finden sich solche, die den Dienst für die anderen selbstlos tun und sich eine andere Einstellung geben, wie es die Machtträger der NSDAP nicht gekonnt haben. Aber, sind nicht auch die kommenden nicht nur Menschen und zwar in erster Linie nur Menschen. Müssen die Menschen aus ihrer Einstellung nicht immer so handeln? Ist der Mensch ein Raubtier? Ist nicht inzwischen der ganze Kulturlack herab gefallen? Gib es noch Menschen, die Herz u n d Verstand haben, damit keines dieser beiden in die Wüste geht? Gedanken erfüllen uns, wie es war und was kommen wird. Immerwährend muss der Mensch denken, immer denken, und was für eine Tragödie ist dabei herausgekommen???
5.5.1945 Es ist ½ 5uhr Ich habe etwa 2 Stunden geschlafen. Ich war sehr ermüdet. Das Wetter ist ein bisschen aufgeklärt, es ist auch wärmer geworden. Die Stadt macht ein vereinsamtens, ruhiges Bild. Genthin ist leer geworden. Fast ruhig mutet die Stadt uns an. Elsbeth geht mit ihrem Hund Lumpi spazieren. Noch immer haben wir die Entscheidung nicht. Wo stecken die Russen, wo steckt der Amerikaner. Ich will nun in die Stadt gehen, um neue Gerüchte zu hören. Man sieht einige Frauen, welche sich Kisten voll Fleisch geholt haben. Bei der Rauhfuttersammelstelle sollen sie sich gehauen haben, um die Rester einer geschlagenen Armee. Hierauf einen Spaziergang zum Garten. Ich spreche mit Becker und erfahre, dass Dr. Krüger mit einem Kahn weggekommen ist. Nach ihrem Haus kommen sie nie wieder. So endet vorerst auch das Schicksal dieser Familie als Prototyp nationalsozialistischer Volksgemeinschaft und SS- Mann. Großschieber 1. Güte. Abends keine besonderen Ereignisse. Frau Else berichtet, dass sich ihr Onkel, ein 67jähriger Mann, erhängt hat. Später gehen wir noch zur Polizei und bekommen sogar eine dicke schöne Zigarre von Ltn. Ernst. Im weiteren Untergangsstimmung. Erfahre dass ein Feldwebel beim Schnaps fassen an dem gestrigen Kahn ertrunken ist, er soll hier in Genthin ein feldmäßiges Begräbnis erhalten, Hakenkreuz und Erkennungsmarke. Es ist ja auch Kampfgebiet.
6.5.1945 Um 5 Uhr früh weckten uns eine Reihe Detonationen. Wir raus aus dem Bett. ich gehe mit Scherer usw. bis nach der Rauhfuttersammelstelle, wir stellen fest, dass es sich um Detonationen von Panzerfäusten handelt, welche man abschießt, um sie loszuwerden. Kleinere Truppenteile zum Teil in schönster Ordnung verlassen die Stadt in Richtung Elbe. Gegen ½ 8 kräftige Detonation, sodass anzunehmen ist, dass eine Brücke in die Luft gegangen ist. Offensichtlich setzen sich die Reste unserer Truppen jetzt ab, sie kommen meistens vom Norden aus Richtung Bismarckbrücke, die Brücke bei Dunkelforth soll gestern in die Luft gegangen sein. Es ist jetzt 8 Uhr, die letzten 3 Stunden sind schon wieder reich an Ereignissen und Gedanken aller Art. Gegen 7 Uhr verließ der Kreisleiter in feldgrauer Uniform die Stadt in Richtung seiner Wohnung, ich habe nur seine Konturen wahrnehmen können, ich selbst kann nicht so genau sehen. Die Knallerei hat wieder Menschen auf die Beine gebracht. Ein großer Teil von Frauen und Kindern befindet sich z. Z. in dem Splitterbunker auf dem Markt. Trüb ist das Wetter, es ist auch kühl, Maikühle. Draußen steht das Gras auf den Wiesen saftig und schön. Gestern weidete bereits das Jungvieh auf der Aue von Pieschel. Theiss kam gestern Nachmittag von ihrem Ausflug zurück, sie waren in Seedorf gewesen und haben jetzt die Nase voll.
6.5.1945 Ich schloss meine gestrigen Aufzeichnungen um ½ 10 Uhr. Dann traten die Ereignisse Schlag auf Schlag ein. Meine Bürotür wurde geöffnet, ein Melder tritt ein und erklärt, dass mein Zimmer Btl. Gefechtsstand sei. Gleich nach ihm trat ein Offizier ein und erklärte mir, dass ich das Zimmer zu verlassen habe, dann folgten weitere. Dann folgte eine erhebliche Knallerei, unsere Nebelwerfer schossen wie wild, wahrscheinlich in Richtung Kade und hinter unserm Bahnhof sowie in die Kriegsopfersiedlung. Es sammelten sich Melder auf Melder, die Befehle gingen heraus. Das Tack – Tack der Maschinengewehre ertönten aus der Richtung Karwowerstraße. Verwundete kamen, zum Teil hinkend. Auf und ab, immer neue Meldungen, immer neue Befehle. Es war mir natürlich nicht möglich ein Bild zu bekommen. Ich konnte es nur konstruieren, denn man ließ sich natürlich nicht in die Papiere gucken. Ein Oberleutnant war Btl. Führer, er hatte nur ein Auge und war auch sonst am Schädel verletzt. Sein Adjutant war ein Oberfeldwebel, der nur einen Arm hatte. Sie hatten offensichtlich mit noch weiteren Btlen die Nachhutsicherung der 9. Armee. Sie mussten diese Armee soweit schützen, damit ein Übergang über die Elbe erfolgen konnte. Genthin war Brückenkopf, die Nachhuten mussten Genthin solange verteidigen, bis die Armee zum größten Teil übergesetzt sei. Hin und her wogte der Kampf mit den einzelnen Feindgruppen, was aus den Meldungen der einzelnen Melder hervorging. Die Spannung stieg immer weiter. Überall lagen ermüdete Soldaten, sie schliefen, sie sprangen auf, wenn ihnen befohlen wurde. Es war hoch interessant. Allmählich macht sich bei uns allen eine große Ermüdung Platz, wir schliefen beinahe ein, wo wir standen.
6.5.1945 8 Uhr 10 Jetzt wollen sie die vollste Konsequenz tragen, d.h. Genthin verteidigen. Von Burg wird berichtet, dass die Russen mit 6 Panzern eingezogen sind, die Stadt sei übergeben, es sei gar nichts geschehen. Marodierende und plündernde Ausländer seien von den Russen erschossen worden. In Tuchheim sollen die Russen Kaffee getrunken haben und ebenfalls ordnungsmäßig aufgetreten sein. Eine unheimliche Stille durchzieht die Stadt. Ob es die Stille vor dem Sturm ist? Spannung, Spannung, die ganze Luft ist davon geladen. Ich machte mir viele Gedanken über die Zeit, die da kommen m u s s. Ob es die Zeit ist wieder Politik zu machen? Wenn wir nach den Erfolgen der Russen, die nicht nur militärisch, sondern politisch unerreicht sind, eine Änderung eintreten lassen müssen, dann muss auch alles in einer Richtung marschieren – Weltrevolution –, was man nicht will, wird die Geschichte mit uns tun. Wer sich getraut g e g e n diesen Riesenstrom zu schwimmen, der geht unter. Genthin wird eine geschichtliche Bedeutung erlangen. Hier schießen offener die letzten Kanonen des Krieges. Erneut starke Detonationen, welche den Bahnhof getroffen haben soll, die Russen rücken an. Die Menschen auf dem Markt flitzen auseinander. Offensichtlich ist es so, das die Stadt in den nächsten stunden genommen wird. Die Panzersperren sind zum teil von der Zivilbevölkerung entfernt worden, Amtsstraße und Brandeburgerstraße. Genthin hat offensichtlich die ersten Granaten bekommen, die aus nächster Nähe detonieren, es sind wohl Feldgeschütze. Unheimliche Stille, die Schreibmaschine macht dagegen ein Getöse. Theiss berichtet eben, dass man in der Wirtschaft von Wachsmuth wie Vandalen gehaust hat in der letzten Nacht. Menschen hat er im ganzen Haus nicht angetroffen. Sonntag, den 6.5.1945, das Schicksal beendet! Genthin wird von den Russen besetzt. Wie wird es an der Elbe aussehen? Zu Tausenden und Abertausenden sammeln sich dort die Flüchtlinge und Soldaten, eine geschlagene Armee und eine solche die nicht gekämpft hat, vielleicht muss sie jetzt noch kämpfen, um in Gefangenschaft zu kommen. Eine Paradoxie! Kämpfen um gefangen zu werden, so etwas hat die Weltgeschichte noch nicht erlebt.Wie viel Treibholz haben wir durchziehen sehen und wie viel schön schöne kräftige deutsche Jungen, die vom Kampf fast unberührt waren. Dr. Overlack hat die rote Armbinde wieder umgelegt. Er bewegt sich nach dem Rathaus, vielleicht will er etwas Besonderes tun, er will wohl Beziehungen anknüpfen.
6.5.1945 ½ 9 Uhr Maschinengewehrfeuer tackt auf. Noch ein Trupp deutscher Soldaten in Richtung auf die Elbe. Das Maschinengewehrfeuer scheint aus Richtung Mützel zu kommen, offenbar kommen die Russen auf der Bahnlinie hinein, nachdem man die Brücken nördlich der Stadt gesprengt hat. Frau Ober geht ins Lazarett nach ihrem mit dem Tode ringenden Sohn. Soldaten mit schussbereitem Gewehr. Wann kommen sie nun. Ein neuer Trupp Frauen und Kinder gehen mit Kinderwagen in den Splittergraben. Detonationen nehmen um uns herum einen immer größer werdenden Umfang an. Hörten eben im Keller die Geschichte der christlichen Gefangenen im/in Buchenwald. Der Berichter gibt an, dass diese 8 Jahre dort waren. Die Zahl der Todesfälle war verhältnismäßig gering, trotz einer bewussten Aushungerung. Sie hätten es nur ertragen können, weil sie so fest an Gottes Wort geglaubt hätten. Die barbarischen Maßnahmen der Nazis hätten es nicht vermocht ihnen ihren Mut zu nehmen, sie hätten alle Leiden und Aushungerungsmaßnahmen ertragen, weil sie fest an Gott geglaubt hätten. Man fabelte auch dort von einer Exekution, welche vorgenommen wurde, als sie sich geweigert hätten, Kriegsdienst zu leisten. 2 Kompanien SS hätten die Gewehre im Anschlag gehabt, sie hätten trotzdem durchgehalten. Mit Gott und der Freiheit wurden zu allen Zeiten die größten Verbrechen begangen. Während man diese Epistel den menschen der welt vorsetzt, um ihnen Möglichkeiten der Entrüstung zu geben, liegen tausende Frauen und Kinder an der Elbe und der kühle, gottgläubige, christliche Yankee sieht das und rührt keinen Finger. Er läßt sie kaltlächend verhungern und umkommen. Es sind zwar nicht gezählt, aber es sind 100 000 de. Was geschieht nun erst, wenn die Russen dorthin nachrücken? Das größte Grab aller Zeiten wird die Elbe zwischen Havelberg und Niegripp, bzw. Hohenwarthe. Unsere Einstellung zum Christentum m u s s eine ganz andere Grundlage erhalten. Gibt es noch den weisen, gerechten Gott? Neue Detonationen, sehr starke! 9 Uhr 20. An der Kreuzung Mühlenstraße, Marktstraße hat sich ein deutscher Trupp mit einem Maschinengewehr niedergelassen. Genthin wird also nicht kampflos übergeben. Es wird wahrscheinlich in der nächsten Stunde Straßenkämpfe geben. Jetzt um ½ 10 Uhr musste ich unser Kind mit großem Krach wecken, durch ihre durch fast nichts zu überbietende Ruhe, reizt sie uns. Ich habe dazwischen hauen müssen. Sie lässt sich einfach nicht aus der Ruhe bringen. Unheimliche Ruhe! Spannung, welche den ganzen Körper erkältete, man klapperte vor Frost. Drüben bei Linger ist ebenfalls jetzt ein leichtes Maschinengewehr postiert. Die blauen Bohnen werden also uns noch um die Ohren fliegen, die andern Brücken werden wohl auch noch in die Luft gejagt werden, sodass Genthin nach allen Richtungen hin abgesperrt sein wird. Licht ist noch vorhanden, Wasser nicht mehr.
Genthin, den 7.5.1945 Gegen 7 Uhr früh kommen die ersten Russen. Sie gehen vorsichtig sichernd durch die Straßen Genthins. Ich habe mich bemüht einen Kommandanten zu bekommen, aber man kann mich nicht verstehen. Ich habe inzwischen das Rathaus geöffnet, eine weiße Fahne gehisst. Leider fand ich keine Gelegenheit die Stadt zu übergeben. Die Einnahme von Genthin erfolgte durch Spähtrupps. Die Schlüssel habe ich auf den Tisch der Polizeiwache gelegt. Die Zimmer befinden sich in einem schrecklichen Zustand, die Soldaten oder was dort in den letzten Tagen gewohnt hat, hat nichts aufgeräumt. Das machte schon uns gegenüber einen sehr schlechten Eindruck. Es nehmen an der Besichtigung des Rathauses teil: Theiss, Bertram und Burckhardt. Zwischen 7 und 8 ballern die Feldgeschütze über uns hinweg nach der anderen Seite des Kanals. Wahrscheinlich wollen die Truppen irgendwo übersetzen.
7.5.1945
Raubend und plündernd ziehen Horden von Ausländer und russische Soldaten die Stadt. Zu mir in die Bank kommen sie des Öfteren, meistens haben sie kein Interesse an Bank – Geld. Sie nehmen auch kein Geld.. Während eines Gespräches mit einem russischen Oberleutnant (2 + + drängt sich eine Horde Ostarbeiter der übelsten Sorte hinein, gelangt durch das Treppenhaus in unsere Wohnung und plündert es aus. Das haben wir heute überall erlebt rundum uns. Alle fragen nach Schnaps, zum Teil haben sie schon Schnaps. Das Bild von meinem Fenster aus ist verheerend. Burckhardts Haus bekommt heute einen Granattreffer unserer Artillerie, welche sich absetzt. Nachmittag gegen 4 Uhr herrscht Ruhe an den Fronten. Wie sind so deprimiert, das wir Schluss machen wollen. Theiss Laden hat man ausgeplündert, Theiss hat nichts mehr. Am Vormittag lag ein heftiger Beschuss auf Altenplathow und wahrscheinlich bis zur Elbe. Altenplathow ist in Russenhände, das konnten wir wahrnehmen aus der Ruhe an der front. Hierbei ist festzustellen, dass nur geringe Truppenbewegungen stattfinden. Verlumptes Militär, junge Leute, die vielleicht noch nicht 16 Jahre sind, stellen das Gros der Truppe dar.
Abschrift Teddy
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Während der Sprengung Fenster aufgemacht Voschti 08.09.2012 Während der Sprengung Fenster aufgemacht Von Mike Fleske › Eine Brücke, die es nicht mehr gibt, haben wir in unserem heutigen Heimaträtsel gesucht. Viele Anrufer haben sich an der Aktion in dieser Woche beteiligt und wussten, dass es sich um die Amtsbrücke über den Altenplathower Kanal handelt. Genthin l Im Rahmen des Kanalausbaus von 1925 entstand die Amtsbrücke. Die 41 Meter lange und 24 Tonnen tragende Brücke wurde im August 1926 dem Verkehr übergeben und 1945, kurz vor Kriegsende, gesprengt. Seinen Namen erhielt das Bauwerk aufgrund ihrer Lage in der Nähe des Amtes Altenplathow. "Wir sind dort immer mit dem Fahrrad auf die andere Seite gefahren", erinnert sich Leserin Gisela Schulze aus Genthin an die Zeit vor 1945. "Wir sind dort 1933 mit dem Fahrrad zur Schule gefahren", wusste Ernst Viets aus Genthin. "Auf der linken Seite war eine Koppel mit Holzscheune, darauf stand ¿wählt Thälmann\', zwar sehr verwaschen, aber man konnte es noch lesen." Einige Leser waren als Kinder auch aus anderen Gründen rund um die Brücke unterwegs. "Das war unsere Spielinsel", sagt der Genthiner Erwin Bauer. Auch Reinhard von Gradolewski erinnert sich, als Kind in der Nähe gespielt zu haben. Die Amtsbrücke oder Hagenbrücke, wie sie auch im Volk genannt wurde, stand kurz vor Kriegsende noch. Erst am 6. Mai 1945 wurde sie gesprengt. "Dabei wackelte sogar der Berg in der Feldstraße", weiß Erwin Bauer noch. Leserin Inge Krüger aus Zerben konnte sich erinnern, dass es zuvor eine Information über die Sprengung gegeben habe. "Wir mussten dann alle Fenster im Haus aufmachen", so Krüger. Schäden habe es damals nicht gegeben. Geplant war danach, eine hölzerne Notbrücke zu errichten. Jedoch wurde dies genauso verworfen wie der Bau einer Stahlbrücke oder einer Stahlbetonbrücke. Man konzentrierte sich auf den Neubau der Genthiner Brücke. Von 1945 bis 1964 übernahm ein Fährkahn das Übersetzen von Personen. "Dort sind wir mitgefahren, obwohl wir kein Geld hatten", erzählt Ina Jäger aus Schlagenthin, damals Schülerin. 20 Pfennige habe die Überfahrt gekostet. "Wenn wir nach dem Geld gefragt wurden, haben wir gesagt, das ist ins Wasser gefallen." Nicht nur die Brücke, auch die im Hintergrund stehenden Bauwerke stießen auf das Interesse der Leser. "Das Kleinere war die Pieschelsche Ölmühle", wusste Historiker Klaus Börner. Dies sei der erste industrielle Bereich der Stadt Genthin gewesen. Die Mühle habe zwar unter Denkmalschutz gestanden, wurde aber Anfang der 1950er dennoch abgerissen. "Die Russen brauchten die Steine", fasst es Leser Ernst Maeder aus Genthin zusammen. Heute noch sichtbar ist dagegen der Schrotturm. "Er war lange Jahre das Wahrzeichen Genthins", so Börner. In der Spitze des Turms wurde flüssiges Blei durch ein Sieb gegossen und erstarrte beim Herunterfallen zu kleinen Kügelchen, die am Boden in einem Wasserbecken aufgefangen und abgekühlt wurden. Die Kugeln fanden später Verwendung in Jagdflinten. Reste der Amtsbrücke sind heute nicht mehr zu finden. Lange Zeit erinnerte ein Widerlager an der Straße nach Bergzow an den einstigen Standort.