Hermann Calmon, geboren am 26.Juni 1885 in Pritzwalk, Viehhändler, Kaufmann, wohnte in Magdeburg, Große Junkerstraße 15b, nach Inhaftierung am 11.Juni 1938 („Juniaktion“) in das KZ Buchenwald verschleppt und dort am 17.September 1938 ermordet.
Was wissen wir von ihm?
Hermann Calmon ist in Pritzwalk/Ostprignitz geboren. Seine Eltern, der Pferdehändler Louis Calmon und Bertha geb. Wildegans ziehen um 1880 aus Perleberg/Westprignitz nach Pritzwalk, wo Louis Calmon 1892 ein Wohn- und Geschäftshaus baut. Er betreibt dort einen Pferdehandel, der später von Hermann weitergeführt wird. Ein benachbartes, 1914 erbautes Haus wird der Alterssitz der Eltern. Zwei Schwestern von Hermann sind noch in Perleberg geboren: Helene am 23. 4. 1877 und Frieda am 13. 10. 1879. Helene heiratet den Kaufmann Ferdinand Levy aus Pritzwalk. Sie wird – wohl im Jahr 1941 – allein in das Ghetto Litzmannstadt (=Lodz) deportiert und von dort in eins der Vernichtungslager, wo sie ermordet wird. Von Frieda Calmon ist nichts weiter bekannt. Nach einer Familienerinnerung ist sie im frühen Kindesalter verstorben. Hermann Calmon heiratet in erster Ehe Blanka (Bianka) Nelke, geboren am 1. 12. 1891 in Salzwedel als Tochter von Gotthilf Nelke und seiner Frau Rosalie geb. Löwenstein. Auch der Schwiegervater war Pferdehändler. Wir können uns also gut vorstellen, dass berufliche Verbindungen dazu führen, dass Hermann und Blanka sich kennenlernen. Die Hochzeit findet am 21. 6. 1914 in Salzwedel statt. Das am 29. 6. 1915 geborene erste Kind Heinz Manfred stirbt bereits am 18. 2. 1917. Zwei weitere Kinder werden in dieser ersten Ehe geboren: Ruth am 8. Juni 1916 und Herbert 1917. Blanka Calmon stirbt am 20.10. 1918 in Berlin-Buchholz „nach schwerem Leiden“, wie es in einer in Salzwedel veröffentlichten Todesanzeige heißt. Am 25. 10. 1927 heiratet Hermann Calmon zum zweiten Mal. Käthe geborene Naumann (nicht jüdisch) ist am 30. 5. 1892 in Leipzig geboren. Die Familie wohnt später in Magdeburg, zunächst in der Seehäuser Straße 17. Der Vater, Franz Naumann, ist von Beruf Küchenchef. Von Magdeburg kommt Käthe Naumann (vielleicht aufgrund einer Anzeige?) nach Pritzwalk, wo nach dem Tod von Hermann Calmons erster Frau Blanka eine Kinderbetreuerin gesucht wird; sie wird als „Hausdame“ der Kinder Ruth und Herbert angestellt. Nach einigen Jahren heiraten Hermann und Käthe. Ihre Hochzeit findet am 25. Oktober 1927 in Magdeburg statt. Ihr Vater Franz Naumann ist einer der Trauzeugen. Ein zweiter Trauzeuge ist der Prokurist Friedrich Wiegand, wohl der Ehemann von Käthes Schwester Hedwig. Die Wohnadresse ist zu der Zeit dieselbe wie die des Vaters: Kühleweinstraße 20. Familie Calmon lebt nach der Hochzeit weiter in Pritzwalk. Am 3. 2. 1928 wird dort der Sohn Horst geboren. 1932 zieht die Familie nach Magdeburg, da der Betrieb in Pritzwalk in der Folge der Weltwirtschaftskrise in Konkurs gegangen ist. Ob hier die familiären Beziehungen von Käthes Seite eine Rolle spielen, ist nicht nachzuweisen, aber zu vermuten. Die Wohnadresse ist zunächst Seehäuser Straße 17 (wo auch einmal Käthes Vater gewohnt hat), dann, ab 1934, in der Otto-von-Guericke-Straße 76b, schließlich, ab 1935/36, wieder wie der Vater, in der Großen Junkerstraße 15b. Herman Calmon wird nun als Kaufmann tätig. Die Tochter Ruth besucht zunächst die Mittelschule. Sie bereitet sich danach in einer der Vorbereitungseinrichtungen auf eine Auswanderung nach Palästina vor. Sie kann 1936 emigrieren, wird aber in Palästina nicht heimisch und zieht weiter nach Melbourne in Australien, wo sie ihren Mann Erich Fischer kennenlernt und heiratet. Sie stirbt am 20. 9. 2007, ohne noch einmal nach Deutschland zurückgekehrt zu sein und ihre Verwandten wieder gesehen zu haben. Sohn Herbert absolviert (wahrscheinlich ohne mit nach Magdeburg umgezogen zu sein) eine Bäckerlehre in Salzwedel, wo ja Verwandte mütterlicherseits leben. Vermutlich arbeitet er auch in diesem Beruf, bis er kurz nach der Pogromnacht im Nov.1938 in das KZ Sachsenhausen eingeliefert wird. Er wird im März 1939 entlassen, vermutlich nachdem er die Möglichkeit zur Ausreise nach England erhalten hat. Er wird in England ansässig und findet eine Anstellung in seinem erlernten Beruf. Er erwirbt die britische Staatsbürgerschaft. 1944 heiratet er Sadie Klein und hat mit ihr vier Kinder. Die Familie gehört der Londoner jüdischen Gemeinde an. Als britischer Soldat nimmt er am 2. Weltkrieg teil. Er betreibt eine Bäckerei, die auf deutsche Backwaren spezialisiert und damit sehr erfolgreich ist. 1969 wird er bei einem Raubüberfall ermordet. Während also die Kinder aus erster Ehe schon ihre eigenen Wege gehen, geht Horst Calmon in Magdeburg zur Schule. Mit Beginn des Krieges geht er in die 5. Klasse und wird als Sohn eines jüdischen Vaters von der Schule verwiesen; er findet aber – wie er schreibt – „mit Hilfe guter Freunde…Arbeit bei einem kleinen Handwerksmeister“. Dort beginnt er eine Motorenschlosserlehre. Ab dem Jahr 1944 ist er (als „Halbjude“) zu einem Minenräumkommando eingezogen. Er kommt in amerikanische Gefangenschaft. Nach der Entlassung kann er ab Oktober 1945 seine Lehre fortsetzen. 1946 kehrt er mit seiner Mutter Käthe Calmon, die in Magdeburg den Krieg überlebt hat, nach Pritzwalk zurück. Sie stirbt dort am 31. 7. 1977. Ihr Sohn ist nach nachgeholtem Abitur und Weiterbildung Berufsschullehrer an einer Bildungsakademie. Er heiratet 1948 Ursula geb. Meinke und hat mit ihr sechs Kinder. Er stirbt am 17. 7. 2006 in einem Heim in Stepenitz. Obwohl Tochter Ruth früh die Ausreise nach Palästina betreibt, zieht Hermann Calmon eine Emigration auch für die übrige Familie nicht in Betracht. Horst Calmon schreibt: „Mein Vater vertrat die Meinung (wie so viele deutsche Juden), dass er und seine Familie als Kriegsteilnehmer im 1. Weltkrieg (Träger des Eisernen Kreuzes …) in Deutschland verschont werde.“ Tatsächlich aber wird er, als einer der ersten überhaupt, im Zuge der „Juni-Aktion“ am 11. Juni 1938 „auf offener Straße verhaftet“, in das Magdeburger Polizeigefängnis und am 14. Juni von dort in das KZ Buchenwald verbracht. Dort verstirbt er am 17. September 1938, angeblich an einer „alten Lungentuberkulose“, tatsächlich wohl an den unmenschlichen Verhältnissen des Lagers.
Informationsstand November 2020
Quellen: Archiv der Synagogengemeinde zu Magdeburg; Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt; Stadtarchiv Magdeburg; Bundesarchiv, Gedenkstätte Yad Vashem; Horst Calmon: „Biografische Aufzeichnungen“(MS), Informationen von Angehörigen. Text: Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“
Der Stolperstein für Hermann Calmon wurde von Siegrid Köhler, Magdeburg gespendet. 188
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Haas Rudolf Sally Haas, geboren am 20. Februar 1891 in Magdeburg, Fabrikant, wohnhaft in Magdeburg, Kaiser-Otto-Ring 5, Flucht in den Tod am 29. April 1933 in Prag.
Alice Hanselova, geborene Kussi, verwitwete Haas, geboren am 25. Januar 1900 in Prag, wohnaft in Magdeburg, Kaiser-Otto-Ring 5, deportiert am 6. März 1943 nach Theresienstadt, ermordet am 7. April 1944 in Theresienstadt.
Alfred Haas, geboren am 25. Mai 1925 in Magdeburg, wohnaft in Magdeburg, Kaiser-Otto-Ring 5, deportiert am 6. März 1943 nach Theresienstadt, deportiert am 6. September 1943 von Theresienstadt nach Auschwitz, ermordet.
Was wissen wir von Ihnen? Rudolf Haas entstammt einer angesehenen Magdeburger jüdischen Familie. Sein Vater, Louis Haas (geb. 24. April 1862 in Bayern, verst. 28. September 1928 in Magdeburg), ist Fabrikant und hat in Magdeburg einen Eisen-, Metall- und Maschinenhandel mit Kesselschmiede und Kessel- und Maschinenreparaturwerkstatt. Seine Firma hat mehrere Standorte in Magdeburg und auch Niederlassungen in Schlesien und Prag. Er ist seit 1890 mit Ottilie (Giittel), geborene Gersmann (geb. am 10. März 1864 in Murowana-Goslin/Posen; verst. Am 16. Juni 1938 in Breslau) verheiratet. Die beiden haben neben Rudolf noch drei weitere Kinder, Edith Clara (geb. 8. Februar 1892 in Magdeburg, verst. 24. Dezember 1941 in Shanghai), Oskar Ernst (geb. 25. Februar 1897; verst. 1990) und Käthe Charlotte (geb. 5. März 1901). Edith heiratet später den aus Halberstadt stammenden Bankfachmann, Journalisten und Politiker Paul Crohn (geb. 2. März 1888 in Halberstadt¸ verst. 8. Januar 1945 in Shanghai) und lebt mit ihm in Magdeburg; die beiden haben zwei Söhne, Ernst Erich (geb. 1913) und Moritz (geb. 1921). Oskar heiratet 1928 Charlotte Amalie Michaelis, sie haben einen Sohn, Werner (geb. 1928). Käthe heiratet Josef Zucker und geht mit ihm nach Prag.
1926 heißt es über den Betrieb von Louis Haas: „Die Firma ist aus relativ kleinen Anfängen zu größter Bedeutung in ihrer Branche und zu sehr erheblichem Wohlstand gelangt. Vor einigen Jahren ist die Einzelfirma L. Haas in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden mit einem Grundkapital von damals 20 Millionen RM…. Das gesamte Aktienkapital befindet sich ausschließlich im Eigentum der Familie Haas, insbesondere des Vaters Louis Haas und seiner beiden Söhne Rudolf und Oskar Haas…“ (Rechtsanwalt Dr. Heinz Braun in den HaasProzess-Akten). Zu dieser Zeit hat Louis Haas wegen eines Herzleidens die Firmenleitung den beiden Söhnen übergeben.
Rudolf, der ältere Sohn, hat am 12. März 1924 in Prag die Tochter einer jüdischen Familie geheiratet – Alice Kussi, Tochter von Julius Kussi (geb. 15. November 1863, verst. 6. Dezember 1926) und Matylda geborene Abelesova (geb. 14. September 1876; 1942 ermordet in Treblinka). Ein Jahr später werden die Zwillinge Hans und Alfred geboren. Der oben schon zitierte langjährige Rechtsanwalt der Familie Haas beschreibt die Situation von Rudolf Haas zu dieser Zeit: „Er ist ein Mann, der in den denkbar besten Verhältnissen, in junger, wie ich hier einschalten möchte, besonders glücklicher Ehe lebt, erst 35 Jahre alt ist, das ganze Leben noch vor sich hat … und ich bemerke hierbei weiter, dass die Gattin des Rudolf Haas einer ebenso angesehenen als wohlhabenden Familie Prags entstammt. Aus der Ehe sind bisher zwei Kinder hervorgegangen…“. Doch dieses junge Glück wird 1926 auf schreckliche Weise bedroht. Ein früherer Mitarbeiter der Firma Haas, Hellmut Helling, wird vermisst und man vermutet, er könnte ermordet worden sein. Über den Kriminalfall berichtet im Jahr 2018 der Redakteur der „Volksstimme“ Bernd Kaufholz: Verwandte Hellings „vermuten, dass der ehemalige Arbeitgeber des Vermissten, Rudolf Haas, Maschinenhandel AG Magdeburg, hinter dem Verschwinden stecken könnte. Helling hatte eine leitende Stellung nicht bekommen und daraufhin seinen Chef Haas bezichtigt, Steuern hinterzogen zu haben. Eine plausible Erklärung für die Ermittler. Sie schießen sich auf den jüdischen Fabrikanten, der Verbindungen in die Tschechoslowakei hat, ein. … Auch für den Untersuchungsrichter, Landgerichtsrat Johannes Kölling, … ist klar, dass nur der jüdische Betriebsdirektor in Verbindung mit dem tschechoslowakischen Konsulat eine entscheidende Aktie am Verschwinden Hellings haben kann. Die Hinweise in Richtung Richard Schröder [zuvor des Mordes an Helling beschuldigt, weil er dessen Schecks eingelöst hatte] ignoriert der Jurist. Kriminalbeamte, die die Spur Schröders verfolgen wollten, zieht er vom Fall ab. Er lässt Haas am 11. Juni 1926 verhaften. Der einzige Belastungszeuge ist Schröder. …Durch Kommissar Tenholt, … später unter den Nazis ein gefürchteter Gestapo-Mann, wird der rechtsnationale Waffennarr Schröder bestens instruiert. Da der Mörder Haas nicht kennt, zeigt ihm Tenholt den jüdischen Fabrikanten …. Wenige Tage später identifiziert Schröder den Fabrikanten bei einer Gegenüberstellung. Landgerichtsrat Richard Hoffmann, … lehnt die Entlassung von Haas gegen Kaution aus der U-Haft ab.“
Kriminalkommissar, Untersuchungsrichter und Landgerichtsrat sind sich einig: Nur der jüdische Fabrikant kann schuldig sein und direkt oder indirekt mit dem Verschwinden Hellings zu tun zu haben. Da sorgt der Oberpräsident der Preußischen Provinz, Otto Hörsing (SPD), unterstützt von Paul Crohn, dem Schwager von Haas, dafür, dass nicht nur in Richtung Haas ermittelt wird. Er schaltet einen erfolgreichen Kriminalisten aus Berlin, Kommissar Otto Busdorf, ein, der sehr schnell die Leiche Hellings im Keller von Schröders Haus entdeckt und den Mörder überführt. Nur widerwillig folgen die Verantwortlichen den eindeutigen Beweisen. Schließlich wird Schröder verurteilt und Haas freigelassen und mit einer Haftentschädigung von 70.000 RM abgefunden. Doch durch die beispiellose Vorverurteilung und die antisemitische Hetze, die auch weiter durch die Zeitungen geht, ist Familie Haas völlig am Boden zerstört. Dazu kommen persönliche Verluste: Im Jahr 1928 stirbt der schwer herzkranke Firmenchef Louis Haas, am 13. November 1931 der erst sechsjährige Hans, einer der Zwillinge. So gehen Rudolf Haas und seine Familie “infolge politischer Verfolgung“, wie Alice Haas in Prag zu Protokoll gibt, Anfang Juli 1932 nach Prag, um in der dortigen Filiale der Firma zu arbeiten. Sie wohnen in Prag XII, Skretova 9. Sechs Monate später übernehmen die Nazis die Macht in Deutschland, Hauptakteure jener antisemitischen Hetze gegen Rudolf Haas. Wohl deswegen macht Rudolf Sally Haas am 29. April 1933 seinem Leben ein Ende und flieht in den Tod.
Am 19. Juli 1935 werden Alice und Alfred Haas tschechische Staatsbürger. Am 25. Oktober 1941 heiratet Alice Haas einen tschechischen Kaufmann, Arthur Hansel. Die Beiden und Alfred werden am 6. März 1943 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Alice Hanselova verwitwete Haas stirbt dort ein Jahr später auf Grund der schlimmen Zustände. Ihr Sohn Alfred wird schon am 6. September 1943, ihr Mann Arthur Hansel am 23. Oktober 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Auch Matylda Kussiova wird am 18. Januar 1942 nach Theresienstadt und von dort am 15. Oktober 1942 in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Rudolf Haas‘ Schwester Edith und ihr Mann Paul Crohn können nach Shanghai fliehen, gehen aber dort an Armut, Hunger und Krankheiten zugrunde. Ihre Kinder überleben, Ernst mit seiner Frau in Palästina, Moritz durch den Kindertransport in England. Auch Oskar Haas und seine Frau Lotte, geb. Michaelis, können sich mit ihrem Sohn Werner 1938 nach Portugal retten und überleben. Über das Schicksal von Käthe Zucker ist bisher nichts bekannt.
Informationsstand Oktober 2020
Quellen: Stadtarchiv Magdeburg, Landeshauptarchiv Magdeburg, Standesamtsarchiv Magdeburg; Archiv der Synagogengemeinde zu Magdeburg; Bundesarchiv Berlin; Gedenkstätte Terezin; Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem; Volksstimme vom 15. September 2018: Bernd Kaufholz, Affäre Blum in der Börde; weitere Internetrecherchen, Recherchen und Text: Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“.
Anmerkung 1: Siehe auch Gedenkblatt Familie Crohn Anmerkung 2: Mit dem Titel „Affäre Blum“ erscheint 1947 ein Roman von Robert Stemmle und im Jahr 1948 ein gleichnamiger DEFA-Film. Die Geschehnisse erlangten Bekanntheit unter dem Stichwort – Magdeburger Justizskandal –. Anmerkung 3:In allen uns zugänglichen Berichten zu dem Justizskandal wird behauptet, das Ehepaar sei gemeinsam in den Tod gegangen.
Der Stolperstein für Rudolf Sally Haas wurde von Ulrike und Alexander Tietze, Magdeburg gespendet. 191 Der Stolperstein für Alice Hanselova verwitwete Haas wurde von Ulrike und Alexander Tietze, Magdeburg gespendet. 191 Der Stolperstein für Alfred Sally Haas wurde von Ulrike und Alexander Tietze, Magdeburg gespendet. 191
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Louis Kürschner, geboren am 15. Mai 1875 in Wongrowitz in der Provinz Posen (polnisch Wogrowiec), wohnhaft in Magdeburg, Papenstraße 2, Kaufmann, Deportation am 25. November 1942 in das Ghetto Theresienstadt, dort verstorben am 12. März 1943, eingeäschert am 14./15. März 1943.
Was wissen wir von ihm? Louis Kürschner, aus Wongrowitz stammend, gelangt 1919 mit seiner Ehefrau, der am 12. Januar 1888 geborenen Margarete (Grete) Weile, aus deren Geburtsort Schlochau (heute Człuchów) in Westpreussen nach Magdeburg. Das Ehepaar bezieht eine Wohnung in der Papenstr. 22 (heute Johannes-Kirsch-Straße), wo am 17. März 1922 der Sohn Siegfried zur Welt kommt.
Louis Kürschner wird Mitinhaber des Luxuswarengeschäfts Gebr. Weile in der Alten Ulrichstr. 3, das im Besitz der Brüder von Margarete Kürschner ist, sich auf den Verkauf von Bildern und Bilderrahmen, Kristallwaren, Rauchtischen und dergleichen spezialisiert hat und in dem beide mitarbeiten, Louis Kürschner und seine Frau. Siegfried Kürschner beschreibt sein Elternhaus als das einer assimilierten jüdischen Familie, in dem bestimmte jüdische Bräuche wie Rosh Hashanah und Yom Kippur gepflegt werden. Die Eltern definieren sich als Juden mit deutscher Staatsbürgerschaft. Der Sohn, der den Vornamen des Großvaters trägt, wird von einem Kindermädchen versorgt, wenn die Eltern im Laden arbeiten. Sonntags unternimmt man gemeinsame Ausflüge an die Elbseen - der Vater des Hausmeisters des Ladens ist Kapitän auf einem der Elbschiffe. Die Schulferien verbringt der Sohn bei den Eltern des Kindermädchens in einem Dorf in der Nähe. Aber bald erkrankt Margarete Kürschner an Krebs und stirbt am 5. November 1931 (sie ist auf dem Israelitischen Friedhof am Fermersleber Weg bestattet). Bis 1932 bleibt der Sohn noch in der elterlichen Wohnung, dann nimmt ihn der Adoptivbruder des Vaters, Adolf Abraham Kürschner, in seinen Haushalt in Berlin-Charlottenburg auf.
Nach 1933 wird das Geschäft der Gebrüder Weile aufgegeben. Über das weitere Leben Louis Kürschners ist wenig überliefert: 1938 ist er noch in der Papenstraße 22 wohnhaft, vom Sohn wissen wir, dass der Vater nach Ausbruch des Krieges als Zwangsarbeiter schwere körperliche Arbeit verrichten muss. Bald ist er gezwungen, in das so genannte „Judenhaus“ Brandenburger Str. 2a umzuziehen. Von dort wird er am 25. November 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er bald darauf, am 12. März 1943, stirbt und vor Ort, am 14./15. März 1943, eingeäschert wird.
Siegfried Kürschner besucht in Berlin die Schule, bevor ihn der Onkel in ein Waisenhaus in Pankow gibt. Siegfried gelingt es, über Österreich und Tschechien auszureisen. Über die Donau gelangt er auf dem Schiff in das Schwarze Meer und das Mittelmeer, schließlich nach Palästina. Er lebt im Kibbuz Shoval in der nördlichen Negev-Wüste bei Bersheva, wo er – nun als Saul Kirschner - eine Familie gründet und 2012 verstirbt. Adolf Abraham Kürschner wird wie sein Bruder Louis ein Opfer des Holocaust. Er wird am 24. Oktober 1941 in das Ghetto Litzmannstadt deportiert, wo er am 20. Februar 1942 ums Leben kommt.
Informationsstand September 2020
Quellen: Stadtarchiv Magdeburg, Landeshauptarchiv Magdeburg, Standesamtsarchiv Magdeburg; Archiv der Synagogengemeinde zu Magdeburg; Bundesarchiv Berlin; Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem; Niedersächsisches Landesarchiv, Entschädigungsakte Kürschner, Schaul (Nds. 110 W Acc. 31/99 Nr. 223365); Recherchen und Text: Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“.
Der Stolperstein für Louis Kürschner wurde anonym gespendet. 193
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Leopold Moritz Landmann, geboren am 20. März 1868 in Bielitz, Oberstudienrat, wohnhaft in Magdeburg, Gutenbergstraße 1, am 25. November 1942 deportiert nach Theresienstadt, ermordet am 10. Februar 1943 in Theresienstadt.
Was wissen wir von ihm? Leopold Moritz Landmann wird im schlesischen Bielitz (heute: Bielsko-Biala/ Polen) geboren. Seine Eltern sind der Schneidermeister Victor Josef Landmann und seine Ehefrau Henriette geborene Rosenthal. Bielitz gehört, als Leopold Moritz geboren wird, zu Österreich und ist eine Kleinstadt mit vorrangig deutschsprachiger Bevölkerung, zu der auch die Bewohner jüdischer Religion mehrheitlich gehören. Leopold Landmann wird evangelisch getauft (oder lässt sich taufen), jedoch hat seine Familie jüdische Wurzeln. Als er 1899 heiratet, ist seine Mutter immer noch in Bielitz wohnhaft, der Vater irgendwann zuvor verstorben, Landmann selbst aber wohnt seit 1896 in Höxter an der Weser. Dorthin war er irgendwann zuvor aus Zerbst zugezogen. In Zerbst gibt es seit 1887 eine zunächst private, vom Land Anhalt und der Stadt Zerbst subventionierte, ab 1900 städtische Bauschule, zu der neben vielen anderen Abteilungen auch eine Baugewerkschule gehört. Dort könnte Landmann sich haben zum Ingenieur ausbilden lassen. Doch es kann auch sein, dass er an dieser Schule seine erste Stelle als Lehrer fand, denn fortan ist er an den verschiedensten Baugewerkschulen als Lehrer, bzw. später Oberlehrer tätig. Alles Vermutungen, bisher ist nichts Näheres zu seinem Aufenthalt in Zerbst und zu seiner Ausbildung bekannt.
Was wir wissen: Leopold Moritz Landmann meldet sich am 15. Oktober 1896, aus Zerbst kommend, in Höxter an. Er kommt als ausgebildeter Bauingenieur und wohnt zunächst bei dem Direktor der Baugewerkschule, Nausch. Er beginnt als Lehrer an dieser Schule und wird am 25. Oktober 1898 zum Oberlehrer befördert. Die Baugewerkschule Höxter gibt es schon seit 1864, ab 1894 wird sie als staatliche Schule betrieben.
Landmann heiratet am 16. September 1899 in Berlin Johanna Charlotte Maria Godon, Tochter des Kaufmannes Karl Theodor Godon und seiner Ehefrau Johanna Karoline Auguste geborene Oehme. Maria Godon ist evangelisch und am 17. Juli 1872 in Berlin geboren. Ihre Familie hat keine jüdischen Wurzeln. Auf dem Eheeintrag beim Standesamt nennt sich ihr Mann „Königlicher Oberlehrer“. Ob Maria noch mit nach Höxter zieht, ist fraglich, denn er wohnt, als er (nur) sich am 18. April 1900 in Höxter abmeldet, um nach Hildesheim zu ziehen, zur Untermiete (Albaxer Straße 16, bei Reissner).
In Hildesheim meldet sich nun das Ehepaar Landmann am 20. April 1900 an, wohnt kurz Einumer Straße 82 und ab September 1900 Victoriastraße 25. Hier ist Landmann als Oberlehrer an der frisch gegründeten Königlichen Baugewerkschule (Hohnsen 2) tätig, an dem Standort, wo sich heute eine Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst befindet. Doch bald ziehen die Landmanns weiter. Sie melden sich zum 29. September 1905 nach Barmen-Elberfeld (heute Wuppertal) ab. Bei der Abmeldung steht als Vermerk „Will die preußische Staatsangehörigkeit durch Naturalisation erwerben“.
Von nun an also ist Leopold Landmann in Preußen tätig. Zunächst im preußischen Rheinland. Dort, an der 1897 gegründeten ‚Königlich Preußischen Baugewerkschule Barmen-Elberfeld‘ erhält er den Titel „Professor“. Unter diesem Titel wird er in einer Liste der Dozenten aufgeführt: „Prof. Landmann, Bauingenieur, Oberlehrer 1905 bis 1912“. 1912 verlässt er diese Baugewerkschule, eine der Vorläufereinrichtungen der heutigen Bergischen Universität Wuppertal, um nach Magdeburg zu ziehen.
Seit 1912 lebt das kinderlose Ehepaar Landmann in Magdeburg, zunächst Kaiser-Wilhelm-Platz 8 (heute Universitätsplatz), ab 1915 Franseckystraße Nr. 2, ab 1927 Nr. 17 (heute nördlicher Teil der Weitlingstraße und deren nicht mehr vorhandene Verlängerung Richtung Rathenaustraße).
Der Professor ist 44 Jahre alt, als er in Magdeburg seine Tätigkeit aufnimmt. Er lehrt als Oberlehrer an der „Königlichen Baugewerkschule“ (ab 1918 „Staatliche Baugewerkschule“). Sie befindet sich seit 1910 Am Krökentor 2. Als der Erste Weltkrieg beginnt, ist Landmann schon zu alt für den Wehrdienst, aber ihm wird am 24. August 1918 das Verdienstkreuz für Kriegshilfe verliehen, das Kaiser Wilhelm II. 1916 gestiftet hatte und das „an alle Männer und Frauen verliehen“ wird, „die sich im vaterländischen Hilfsdienst besonders ausgezeichnet“ haben, also auch an patriotische und kaisertreue Beamte wie ihn. 1920 erfolgt seine Ernennung zum Studienrat und kurz vor seinem 60. Geburtstag zum Oberstudienrat. 1929 zieht das Ehepaar Landmann nochmals um, in die Gutenbergstraße 1. Da steht Landmann wohl schon kurz vor oder bereits in seiner Pensionierung.
Mit Beginn der Nazizeit werden plötzlich die jüdischen Wurzeln des preußischen Patrioten Landmann belangvoll, denn der Antisemitismus des Nationalsozialismus interessiert sich nicht für die religiöse oder gesellschaftliche Zugehörigkeit, sondern fragt nur nach den „arischen Großeltern“. Zunächst allerdings ist Leopold Landmann als Evangelischer und Ehemann einer „arischen“ Frau etwas mehr geschützt als andere, die als Juden verfolgt werden. Doch das endet, als am 23. Dezember 1939 Maria Landmann 67jährig verstirbt. „Akuter Herztod“ heißt es im Sterbeeintrag.
Ende 1939 ist Leopold Landmann 71 Jahre alt. Er ist nicht mehr gesund. Altersbeschwerden und vor allem ein Fußleiden machen ihm zu schaffen, und er muss befürchten, dass er entsprechend dem „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30. April 1939 aus seiner Mietwohnung vertrieben werden könnte. Außerdem hat er damit zu tun, seine finanzielle Situation zu sichern. Zwei Jahre kann er noch wohnen bleiben, aber Anfang 1942 werden ihm monatlich aus seinen Einkünften nur noch 150,00 RM bewilligt, alles andere wird wie bei allen jüdischen Konten unter „Sicherheitsverwahrung“ gestellt. Er schreibt an die Oberfinanzdirektion, schon seine Miete betrage 107,70 RM, dazu kämen Kosten für die Aufwartung, den Lebensunterhalt, Medikamente, Heizung, Versicherung usw. und auch für die Grabpflege, darum bitte er um eine Erhöhung auf 250,00 RM. Bewilligt werden ihm am 15. Januar 1942 200,00 RM monatlich, am 10. Februar 1942 dann aber doch 250,00 RM. Doch im Juni 1942 muss er seine Wohnung für „arische“ Mieter räumen und wird in eines der so genannten „Judenhäuser“ gesteckt, Kaiser-Friedrich-Straße 28 (Ecke Spielgartenstraße). Von dort wird er im September 1942 ausgewiesen und muss ein Zimmer in einem anderen der „Judenhäuser“ beziehen, Arndtstraße 5. Doch der Raum ist fast unbewohnbar und muss erst gründlich gereinigt und entwanzt werden, dafür werden ihm nochmals 125,00 RM bewilligt, bevor er Anfang Oktober einzieht. Dieser Aufenthalt ist nur noch von kurzer Dauer. Am 25. November 1942 wird er mit vielen älteren Jüdinnen und Juden aus Magdeburg in das KZ Theresienstadt deportiert. Dort stirbt er zwei Monate später im Alter von 74 Jahren, ein Opfer der unmenschlichen Zustände, beengten Wohnens, Hunger, Kälte und fehlender ärztlicher Versorgung.
Informationsstand November 2020 Quellen: Landeshauptarchiv Magdeburg; Stadtarchiv Magdeburg; Landesarchiv Berlin; Stadtarchive Höxter, Hildesheim, Zerbst und Wuppertal; Universitätsarchiv der Bergischen Universität Wuppertal; Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Duisburg; ITS Bad Arolsen; Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem; Bundesarchiv Berlin; Internetrecherche, Recherche und Text: Städtische Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“
Der Stolperstein für Professor Leopold Moritz Landmann wurde anonym gespendet. 192
Magado-2 Wenn nicht anders ausgewiesen, dann Sammlung/Eigentum Magado Bilder/Beiträge dürfen "Nichtgewerblich" genutzt werden.
Wir erinnern an Theodor Kraft und seinen Sohn Walter
Theodor Kraft, geboren am 27. Mai 1864 in Calbe/Saale, Kaufmann, wohnhaft in Magdeburg, Blauebeilstraße 9, wird am 25. November 1942 nach Theresienstadt deportiert, ermordet am 9. März 1943 in Theresienstadt. Walter Kraft, geboren am 17. März 1897 in Magdeburg, Prokurist, wohnhaft in Magdeburg, Blauebeilstraße 9, wird am 23. Februar 1943 über Berlin nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Was wissen wir von Ihnen? Theodor Kraft stammt aus einer Familie, die seit 1810 in Calbe an der Saale zu Hause ist. Der älteste dort bekannte Vorfahr ist der Handelsmann Hermann Kraft, vermutlich Theodors Großvater. Hermann Kraft wird 1824 als einer von drei Zeugen erwähnt, die eine Urkunde beeiden. In der nächsten Generation gibt es den Kaufmann Bernhard Kraft, verheiratet mit Helene, geborene Lichtenstein, den Vater von Theodor und seinem älteren Bruder Max Kraft (geb. 19. August 1861). Bernhard Kraft inseriert immer wieder im „Patriotischen Volksblatt“, dem Calbeschen Kreis- und Wochenblatt, und bietet seine neuesten Waren an, zum Beispiel im Jahr 1857 „Leipziger Messwaren“, neue Schals, Tücher, Herren- und Damenartikel und anderes mehr. Am 8. September 1857 inseriert er, indem er seinen Umzug in ein neues Haus bekannt gibt und um Vertrauen in sein Geschäft am neuen Standort bittet, „… es wird mein Streben sein, durch eine streng rechtliche Handlungsweise es mir zu verdienen und erhalten zu suchen“. In dieser Atmosphäre kaufmännischer Redlichkeit wächst Theodor auf. Auch sein Bruder und er werden Kaufleute. Nach 1880 verlassen viele Juden Calbe und wandern nach Magdeburg aus, wo sie sich in der industriell und wirtschaftlich aufstrebenden Stadt ein besseres Fortkommen erhoffen. Auch Max Kraft wohnt schon in Magdeburg, als er am 13. September 1887 die Magdeburgerin Elise Simon heiratet. Wenig später, ab 1889, taucht auch der Name seines Bruders in den Magdeburger Adressbüchern auf. Beide Brüder Kraft lassen sich in Magdeburg-Sudenburg nieder. Am Breiten Weg (heute Halberstädter Straße) eröffnen sie ihre Geschäfte, Theodor Kraft ein Modewarengeschäft (Breiter Weg 41) und Max ein Manufakturwaren- und Konfektionsgeschäft (Breiter Weg 40). In den Adressbüchern dieser Zeit variiert die Geschäftsbezeichnung immer wieder:1891nennt Theodor Kraft es ein Schuh- und Pelzgeschäft, 1893 ein Hut-, Mützen- und Pelzwarengeschäft samt Schuhwarenlager. Im Jahr 1894 zieht Theodor Kraft mit seinem Geschäft nach Breiter Weg 37 um und heiratet am 15. Februar 1895 Kathinka Sonder (geboren am 14. April 1870 in Lengsfeld/ Herzogtum Sachsen-Weimar). Auch sie lebt in Magdeburg-Sudenburg (Breiter Weg 52d), seit wann, ist nicht bekannt. Ihre Eltern, der Viehhändler Abraham Sonder (22. August 1823- 31. Oktober 1864) und seine Frau Sara, geb. Ruppel, leben beide zu dieser Zweit nicht mehr, sie starben in Lengsfeld. Am 5. Oktober 1898 heiratet Kathinkas Schwester Ida (1871bis 1940) in Magdeburg einen Lipmann Weill und auch ihr Bruder Samuel zieht in die Nähe, nach Duderstadt, später nach Zerbst. Das Ehepaar Theodor und Kathinka Kraft bezieht eine Wohnung in Sudenburg: Breiter Weg 121, ab 1899 Breiter Weg 30d. Vier Kinder werden den Beiden geboren, Else (geboren am 3. Dezember 1895), Walter (geboren 1897), Margarete (geboren am 9. November 1898) und Gertrud (geboren am 22. Dezember 1902). Max Kraft hingegen hat einige Schicksalsschläge zu erleiden: Seine Frau Elise, geborene Simon stirbt 1894, von ihren beiden Kindern Helene (geb. 1888) und Bernhard (geb. 1890) stirbt Bernhard schon mit sechs Jahren. Max heiratet 1895 die Schwester seiner Frau, Emmi, stirbt allerdings sechs Jahre später, am 6. Dezember 1901. Emmi geht nach Berlin, wird 1942 nach Riga deportiert und dort ermordet. Was aus Helene Kraft wird, ist unbekannt. Theodor Kraft erweitert mit der Zeit sein Geschäft. Unter dem neuen Straßennamen Halberstädter Straße 37 nennt er es 1903 Schuhwaren-, Herren- und Konfektionsgeschäft (ab 1920 Halberstädter Straße 87), 1911 eröffnet er für seine Schuhabteilung ein zweites Geschäft in der Halberstädter Straße 118b. Beide Geschäfte bestehen bis etwa 1925. Als der Erste Weltkrieg beginnt, zieht die Familie nochmals um und wohnt ab 1914 Halberstädter Straße 119. Dort ist sie bis 1933 zu finden, zuletzt ist unter dieser Anschrift auch der Sohn Walter eingetragen. Er ist Prokurist im Geschäft. Seine Schwestern sind vermutlich zu dieser Zeit schon aus dem Haus. Gertrud heiratet 1930 den Kaufmann Otto Konirsch (Pollok-Konirsch, Thiemannstr. 23a) aus Berlin-Neukölln. Beide verlassen Deutschland Richtung Chile, leben aber zuletzt in Israel, wo Gertrud 1972 in Naharya stirbt. Auch den beiden anderen Schwestern gelingt es, ins Ausland zu entkommen, Else heiratet Alfred Schäfer und geht mit ihm in die USA, sie stirbt 1995 in Los Angeles; Margarete heiratet schon 1925 Hermann Abraham Poppelauer und reist mit ihm nach Australien aus, wo sie 1984 stirbt.
Im Jahr 1933 verändern die Krafts sowohl den Standort ihrer Geschäfte als auch ihr Angebot. Im Adressbuch heißt es: Brunnerstraße 7, neu nummeriert ab 1935 in Brunnerstraße 24 – dort wohnen sie auch; ihr jetzt einziges Geschäft führt Seidenstoffe. Am 1. September 1935 stirbt Kathinka Kraft mit 65 Jahren. Ihr Mann und der ledige Sohn Walter ziehen einige Zeit später von Sudenburg in die Altstadt um. Geschäft und Wohnung sind jetzt in der Blauebeilstraße 9. 1938 führt Theodor Kraft in der Königsstr. 58 (heute Rathenaustr.) im II. Stock ein kleines Textilgeschäft, sein Sohn und er wohnen jedoch weiter Blauebeilstraße 9. In einem Verzeichnis jüdischer Gewerbetreibender wird Walter Kraft schon 1935 als „ohne Beruf“ aufgeführt, also hat er als Jude vermutlich nicht nur seine Arbeit, sondern auch seine Berufsanerkennung verloren und muss sehen, wie er sich durchschlägt. Nach 1940 verlieren beide ihre Wohnung in der Blauebeilstraße und ziehen zum Ehepaar Hugo und Paula Wilhelm in die Jakobstr. 50. Im Januar 1942 erhalten sein Sohn und er ein Schreiben vom Wohnungsamt: „Auf Grund des Gesetzes über die Mietverhältnisse mit Juden vom 30. 4. 39 weise ich Ihnen als anderweitige Unterkunft das nach dem Hof gelegene Zimmer der Wohnung Meyer, Johannisberg 15a zu. Der Umzug hat sofort zu erfolgen“. Johannisberg 15a ist eines der so genannten „Judenhäuser“. Für eine Miete von 16,00 RM wohnen die beiden in diesem Zimmerchen, die Wilhelms werden in den Raum daneben gesteckt. Von dort wird Theodor Kraft im November 1942 auf den Transport nach Theresienstadt geschickt, wo er ein Vierteljahr später stirbt. Walter Kraft muss in ein anderes „Judenhaus“ in der Großen Schulstr. 2b ziehen. Von dort wird er im Februar 1943 mit dem XXX. Transport über Berlin nach Auschwitz deportiert.
Informationsstand: November 2020
Quellen: Stadtarchiv Magdeburg, Landeshauptarchiv Magdeburg; Hanns Schwachenwalde, „Beiträge zur Geschichte der Juden in Calbe“ ( Ms. 1988); Archiv der Synagogengemeinde zu Magdeburg; Stadtarchiv Schönebeck; Bundesarchiv Berlin; Gedenkstätte Yad-Vashem, Jerusalem; Erinnerungen von Luis Simonsohn, Chile; Gedenkstätte Terezin; ITS Bad Arolsen; diverse Internetrecherchen, auf „my heritage“ und Stadt Lengsfeld; Text: Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“.
Der Stolperstein für Theodor Kraft wurde anonym gespendet. 189
Der Stolperstein für Walter Kraft wurde anonym gespendet. 189
Magado-2 Wenn nicht anders ausgewiesen, dann Sammlung/Eigentum Magado Bilder/Beiträge dürfen "Nichtgewerblich" genutzt werden.
Wir erinnern an Frida Katzmann und ihre Kinder und ihre Schwiegertochter Magarethe
Frieda Katzmann. Geborene Meyerstein, geboten am 24 Oktober 1885 in Banteln. wohnhaft in Magdeburg, Westendstraße 9. deportiert am 25 November 1942 nach Theresienstadt, ermordet am 23. August 1943 in Theresienstadt. Elisabeth (Lissy) Katzmann. geboren am 4. August 1887 in Magdeburg, wohnhaft in Magdeburg, Westendstraße 9, deportiert am 14. April 1942 in das Ghetto Warschau. Keine weitere Nachricht. Gertrud de Haas, geborene Katzmann – siehe Anhang. Erna Katzmann, geboren am 30. April 1893 in Magdeburg, Orthopädie- Masseuse, wohnhaft in Magdeburg, Westendstraße 9, deportiert am 14. April 1942 in das Ghetto Warschau. Keine weitere Nachricht. Max Katzmann, geboren am 3. November 1894 in Magdeburg, wohnhaft in Magdeburg Westendstraße 9, verfolgt wegen „Rassenschande“. 1935 Flucht nach Riga (Lettland). 1941 als Deutscher in ein Arbeitslager nach Sibirien und dann nach Kasachstan transportiert. Verstorben. Margarethe Katzmann, geborene Ballerstein, geboren am 25. Mai 1900 in Magdeburg: 1935 Flucht nach Riga (Lettland).1941 als Deutsche in ein Arbeitslager nach Sibirien und dann nach Kasachstan transportiert. Überlebend.
Was wissen wir von Ihnen? Im 19. Jahrhundert kommen die Katzmanns als Viehhändler und Kaufleute aus Stadtlengsfeld und Gehaus in der Thüringer Rhön nach Magdeburg. Schon um 1860 lebt ein Siegmund Sußmann Katzmann (1827-1886) hier, 20 Jahre später ein Siegmund Siegwart Katzmann (1858-1932) sowie die beiden Brüder Sußmann (geb. am 12. November 1848) und Hermann (geb. am 7. Oktober1852), zwei von zehn Kindern von Abraham Katzmann (1825-1890) und seiner Frau Caroline, geb. Stern (1825-1898). Hermann und Sußmann Katzmann führen im (Sudenburger) Breiten Weg 57 (heute Halberstädter Straße 139/ Ecke Kirchhofstraße) als „Gebrüder Katzmann“ ein Geschäft für Viehimport und -export. Mitinhaber ist Siegmund Ehrlich (1866-1929). Er ist der Sohn der ältesten Schwester von Hermann und Sußmann, Thekla (geb. 1847) und stammt auch aus Lengsfeld. Vieh aus der Rhön ist in den Städten sehr gefragt, und die zweimal jährlich stattfindenden großen Viehmärkte auf dem Sudenburger Marktplatz (heute Ambrosiusplatz) im März und im September können durch die Viehhändler gut genutzt werden. So leben sich die Zuwanderer schnell ein. Hermann Katzmann ist schon 1879 Mitglied des Magdeburger Vereins für Landwirtschaft und landwirtschaftliches Maschinenwesen. Das Geschäft blüht und gedeiht, wenn auch der Ausbruch der Maul- und Klauenseuche 1895 ein arger Rückschlag ist. Doch schon am 3. Mai 1895 verkündet die Volksstimme, die Seuche „unter dem Viehbestand der Firma Gebr. Katzmann … ist erloschen“. Zu dieser Zeit nutzt die Viehhandlung bereits zusätzlich ein Grundstück in der Friedenstraße.
Im Jahr 1884 heiratet Hermann Katzmann Frieda (Frida) Meyerstein aus Banteln im Hannoverschen. Sie ist dort 1865 als Tochter von Max Meyerstein (1827-1907) und Johanne, geborene Wamberg, geboren worden. Frieda hat zwei Brüder, Moses und Salomon. Wahrscheinlich hat Hermann Katzmann seine Braut durch seine Brüder Siegmund und Emil kennen gelernt, die als Kaufleute in Banteln leben. Die Hochzeit findet am 11. Mai 1884 statt. Frieda und Hermann Katzmann bekommen sieben Kinder, 4 Töchter und drei Söhne. Die Älteste, Margarethe (geb. 10. März 1885), stirbt mit nur neun Jahren am 30. Oktober 1894. Die weiteren Kinder sind Elisabeth/Lissy (geb. 14. August 1886), Arthur (geb. 14. August 1888), Gertrud (geb. 12. April 1891), Erna (geb. 30. April 1893), Max (geb. 3. November1894) und Hans (geb. 8. August 1896). Margarethe, Elisabeth und Arthur werden noch im Sudenburger Breitenweg 121a geboren. 1890 kauft Hermann Katzmann für seine Familie das Haus Westendstraße 40 (ab 1935 Hausnummer 9; heute Klausenerstraße), ein 1880 gebautes Haus. Die Westendstraße ist eine gutbürgerliche Villenstraße. Dort werden die übrigen Kinder geboren. Alle wachsen hier auf und wohnen größtenteils auch noch als Erwachsene unter dieser Adresse. Am 5. November 1912 stirbt Hermann Katzmann, neun Jahre nach seinem Bruder Sußmann (verst. 21. Dezember 1903). Der älteste Sohn Arthur wird zu Beginn des Ersten Weltkriegs eingezogen, 1918 ist er Sergeant in einem Jägerbataillon. Er führt nach dem Ersten Weltkrieg bis zu seiner Ausreise in die USA 1926 gemeinsam mit den Brüdern Siegfried und Julius Lilienfeld aus Helmstedt die Firma Katzmann & Co.
1915 zieht auch Hans Katzmann in den Krieg und leistet seinen Dienst in einem Infanterieregiment ab. In den zwanziger Jahren geht er als Prokurist und Häusermakler nach Hamburg, wo auch seine Schwester Gertrud de Haas mit ihrer Familie wohnt. Zunächst wohnt er bei ihr, später Fuhlsbütteler Straße 227. Am 6. August 1930 heiratet er Margarethe Wolf aus Hamburg. Das Paar wohnt in der Bornstr. 28 und geht im Jahr 1934 in die USA. Am 3. August kommen beide in New York an. Hans Katzmann stirbt dort am 7. Oktober 1949.
Gertrud Katzmann heiratet am 29. April 1918. Ihr Ehemann ist der am 17. Dezember 1887 in Wandsbeck geborene Bankier Albert de Haas aus Straßburg. In Straßburg lebt auch das junge Paar, als am 6. Februar 1919 ihre Zwillingssöhne Heinz und Jürgen geboren werden. Doch als das Elsass an Frankreich fällt, zieht die Familie nach Hamburg. Nach nur siebenjähriger Ehe stirbt Albert de Haas am 13. September 1925 während eines Kuraufenthaltes. 1929 kehrt Gertrud mit ihren Kindern nach Magdeburg zurück, beide Söhne emigrieren in den dreißiger Jahren in die USA.
Das Familienunternehmen „Gebrüder Katzmann“ läuft auch nach dem Ersten Weltkrieg weiter, Inhaber ist jetzt allerdings Siegmund Ehrlich allein. Als er am 11. Januar 1929 stirbt, wird es bis zur so genannten „Arisierung“ 1938 von Siegmunds Witwe Emmy, geb. Abrahamowsky (geb. 1882; verst. 1943 im Internierungslager Westerbork/ NL) weitergeführt. Der jüngste Sohn Friedas Max Katzmann und seine nichtjüdische Partnerin Margarethe Ballerstein (geb. 25. Mai 1900 in Magdeburg) sind von den Nürnberger Gesetzen vom September 1935 betroffen, mit denen jede Beziehung oder Eheschließung zwischen Juden und Nichtjuden als so genannte „Rassenschande“ untersagt und bestraft wird. Sie emigrieren im Dezember 1935 nach Riga und heiraten dort. Als das Baltikum infolge des Hitler-Stalin-Paktes an die Sowjetunion fällt, und die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion überfällt, gelten sie als feindliche Ausländer. Wie viele andere Deutsche werden sie 1941 in ein Arbeitslager nach Sibirien transportiert, ab 1943 sind sie in Karaganda in Kasachstan. Margarethe Katzmann berichtet später, sie sei dort als Sekretärin und Pflegerin eingesetzt worden. Sie kehrt als Witwe 1947 nach Deutschland zurück, Max ist in Sibirien oder Kasachstan verstorben. Zunächst lebt sie in einem Übergangslager in Westberlin, 1950 in der Nähe von Stuttgart, von wo sie ihre Ausreise in die USA betreibt.
1939 hat Frieda Katzmann in Magdeburg nur noch ihre drei Töchter Lissy, Gertrud und Erna um sich. Auch sie planen, in die USA zu emigrieren, doch leider gelingt ihnen das nicht. Ab 1939 müssen die Katzmanns erleben, dass ihr Haus zu einem so genannten „Judenhaus“ erklärt wird. Es wird zum Ghetto ohne Mauern, in dem auf engstem Raum so viele Juden wie möglich eingepfercht werden, nachdem sie aus ihren bisherigen Wohnungen vertrieben wurden. Frieda Katzmann bewohnt zusammen mit der etwa gleich alten Bertha Neuhaus ein Zimmer.
Erna, von Beruf Krankenschwester und Physiotherapeutin, wird nach 1933 beruflich immer mehr eingeschränkt. Ab 1939 darf sie nur noch jüdische Patienten behandeln, denen sie, wie ein Informationsblatt der Synagogengemeinde 1941 berichtet, auch medizinische Fußpflege anbietet.
Erna und Elisabeth Katzmann werden mit dem ersten großen Transport am 14. April 1942 aus Magdeburg in das Ghetto Warschau deportiert. Ihre Schwester Gertrud muss sich am 13. Juli 1942 zur „Abwanderung nach dem Osten“ einfinden. Dieser Transport geht vermutlich in das KZ Auschwitz, wo man gerade mit den Gasmorden begonnen hat. Eine weitere Nachricht gibt es von ihnen allen nicht. Frieda Katzmann wird am 25. November 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert, wo sie acht Monate später infolge der dort herrschenden Zustände stirbt. Kaum ist Frieda Katzmann deportiert, wird ihr gesamtes Eigentum dem Deutschen Reich zugeschlagen. Und die „Katzmannsche Villa“ bleibt bis zum Ende des Krieges als „Judenhaus“ bestehen, zuletzt für Juden, die mit nichtjüdischen Personen verheiratet sind …
Informationsstand August 2020
Quellen: Stadtarchiv und Landeshauptarchiv Magdeburg, Archiv der Synagogengemeinde zu Magdeburg; Bundesarchiv Berlin; Gedenkstätte Yad-Vashem, Jerusalem: weitere Internetrecherchen; René Klish, Washington; Astrid Louven, Hamburg; Prof. Dr. Rolf Schlegel, Gatersleben; Dörte Steenken-Krüger, Uchte; Susanne Weihmann, „Die sind doch alle weggemacht“, Juden in Helmstedt 1933-1945; Ingo Paul, Familiendatenbank „Juden im Deutschen Reich“; Dr. Joachim Hahn, alemannia-judaica; Museum Ghetto Riga; Thomas Garde, Magdeburg; Archive in Dembach-Gehaus und Stadtlengsfeld; Stadtarchiv Gronau-Banteln; Recherchen und Text: Schülerinnen und Schülern der Klasse KBM 17d der BBS Eike-von-Repgow, Frau Elke Rühling, Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“.
Anmerkung: Siehe auch Gedenkblatt Gertrud de Haas
Der Stolperstein für Frieda Katzmann wurde von Dr. Hans Christiansen, Verden; Hans Feldhusen, Verden; Hermann Thies; Blender, Gerhard und Beate Teichmann gespendet. 184
Der Stolperstein für Elisabeth Katzmann wurde von Schülerinnen und Schülern der Klasse KBM 17d der BBS „Eike-von-Repgow, Magdeburg gespendet. 184
Der Stolperstein für Erna Katzmann wurde von Schülerinnen und Schülern der Klasse KBM 17d der BBS „Eike-von-Repgow, Magdeburg gespendet. 184
Der Stolperstein für Max Katzmann wurde von Dierk und Ilse Hamer; Hiltrud Wetzel; Marianne Hutmacher und Sabine Behrendt gespendet. 184
Der Stolperstein für Margarethe Katzmann wurde von Erwin Vorlauf; Eduard May; Götz Friedmann; Anja und Olaf Schilling, Magdeburg gespendet.
Magado-2 Wenn nicht anders ausgewiesen, dann Sammlung/Eigentum Magado Bilder/Beiträge dürfen "Nichtgewerblich" genutzt werden.
Ephraim (Edmmund) Langer, geboren am 8. Januar 1884 in Neu Sandec (heute Novy Sacz/Pl.), Kaufmann, wohnhaft in Magdeburg, Otto- Guericke- Straße 1, verhaftet am 27. Oktober 1938 und abgeschoben nach Polen, am 28.Oktober 1938, letzte Information 1941 aus Tuchow („Generalgouvernement“), Schicksal unbekannt. Sophie Langer, geborene Seehof, geboren am 17.August 1895 in Kassel, wohnhaft in Magdeburg, Otto- Guericke- Straße 1, Flucht nach Polen im Sommer 1939, letzte Information 1941 aus Tuchow („Generalgouvernement“), Schicksal unbekannt. Salomon Langer, geboren am 18.Oktober 1935 in Magdeburg, wohnhaft in Magdeburg, Otto- Guericke- Straße 1, Flucht nach Polen im Sommer 1939, letzte Information 1941 aus Tuchow („Generalgouvernement“), Schicksal unbekannt.
Was wissen wir von ihnen? Ephraim Langer wird in Neu Sandec (heute Novy Sacz/ PL) geboren, einer Kleinstadt, in der ein Drittel der Bevölkerung wie seine Familie jüdischer Herkunft ist. Seine Eltern sind Salomon Markus Langer (geb. 1852; verst. 3.August 1924) und Gittel Rifke, geborene Schlanger (geb. 18. Dezember 1854; verst. 11. September1927). Zwei Geschwister von Ephraim Langer sind bekannt, David (geb. 17.September 1889; gest. 11. Oktober1933) und Debora (Dora; geb. 1886). Salomon Markus und Gittel Rifka Langer verlassen mit ihrer Familie nach dem Ersten Weltkrieg ihre Heimat und kommen nach Magdeburg. Ephraim gründet eine Firma für die Gürtel- und Hosenträgerherstellung in der Otto- von- Guericke-Straße 1; er integriert sich und ist bald in Magdeburg ganz zu Hause. Er passt sogar seinen Vornamen an und nennt sich Edmund.
Am 6. März 1929 heiratet er eine junge Frau aus Kassel, Sophie Seehof. Sophie ist Stenotypistin und gehört einer schon lange in Hessen ansässigen Familie an. Ihr Großvater soll Rabbiner gewesen sein, ihre Eltern sind der Kaufmann Jonas Seehof und Cäcilie, geborene Oppenheimer. Jonas Seehof hat zuerst ein kleines „Tabak- und Zigarrengeschäft“, erweitert es später und verkauft dann auch Knaben- und Herrengarderobe. Sophie hat mindestens noch einen älteren Bruder, Arthur (geboren am 9. April1892; verstorben am 1. September 1966), der später ein bekannter Journalist wird, ständiger Mitarbeiter von Carl von Ossietzkys „Weltbühne“ und mancher anderen Zeitschrift.
Da Sophie Langer einen Beruf erlernt hat, ist sie gewiss mit tätig im Geschäft an der Otto- von- Guericke -Straße, beide Eheleute sind dabei, sich ein erfolgreiches Leben aufzubauen. Und sie sind gewiss auch froh, die Verwandten in der Nähe zu haben; Schwester Debora wohnt mit ihrem Mann Juda Weinberger in der Rotekrebsstraße 2.
Doch dann kommt die Nazi-Zeit, und mit ihr schon am 1. April die erste Ächtung jüdischer Geschäfte. Wir wissen nicht, was die Langers erleben, aber vorstellbar ist, dass sie sich bedroht fühlen und überlegen, wie sie sich und dann auch ihren 1935 geborenen Sohn möglichst heil durch die Zeit bringen können. Da wird sie die am 27. Oktober 1938 erfolgte Verhaftung Edmund Langers und seine Abschiebung nach Polen einen Tag später schwer getroffen haben. Edmund/Ephraim Langer versucht alles, zu seiner Familie zurück zu kommen oder sie nach Polen zu holen, damit sie wieder zusammen sein können. Bei der Volkszählung am 17. Mai 1939 stehen alle drei Namen auf der Magdeburger Liste – wenig später gelingt es Ephraim Langer, seine Familie nach Polen zu holen. Sein Schwager Arthur schreibt nach 1945 an die Synagogengemeinde zu Magdeburg: Meine Schwester Sophie Langer geborene Seehof „ist mit ihrem Mann und einem Jungen nach Polen abgeschoben worden. Nach meiner Erinnerung ist das 1939 oder 1940 geschehen; aber ich selbst war damals in der Emigration in Frankreich, und da ich bald illegal leben musste, sind alle Papiere von ihr, die ich hatte, verloren gegangen. … Trotz aller Bemühungen habe ich – nach der Verschickung nach Polen – nie wieder Nachricht von meiner Schwester oder von meinem Schwager haben können“.
In Polen werden die Langers vom deutschen Angriff auf Polen überrollt. Im Landeshauptarchiv Sachsen - Anhalt befinden sich Schreiben von Ephraim Langer an die Magdeburger Devisenstelle vom 10. Februar und 5. April 1941, in denen er darum bittet, von seinem in Magdeburg zurück gebliebenen Geld etwas zugesandt zu bekommen, weil er so gut wie mittellos sei. Er wohnt inzwischen mit seiner Familie in Tuchów im Generalgouvernement und die Bitte wird in Magdeburg durch seine Schwester weitergeleitet. Doch ihm wird mitgeteilt, sein Vermögen sei inzwischen an das Deutsche Reich übergegangen, weil er sich ja im Ausland befände. Allerdings wird dann einer weiteren Bitte vom 7. März 1941 entsprochen, seiner Schwester zu erlauben, ihm einige bei seiner Schwester lagernde Kleidungsstücke, unter anderem einen warmen Mantel seiner Frau und einige Herrenhemden, zuzusenden. Das ist das letzte Lebenszeichen, was uns von dieser Familie erhalten ist.
Anfang Juni 1942 wird für die in und um Tuchów lebenden Juden in Tuchów ein Ghetto eingerichtet, in das bis zu 3.000 Menschen zusammengepfercht werden. Im September 1942 werden alle Ghettobewohner von dort in das Vernichtungslager Belzec transportiert. Man muss annehmen, dass zu ihnen auch Ephraim, Sophie und Salomon Langer gehören.
Auch das Ehepaar Weinberger muss Magdeburg verlassen und wird am 23. Februar 1943 mit dem großen Transport aus Magdeburg nach Auschwitz deportiert. Sophies Bruder Arthur Seehof überlebt. Anmerkung: Siehe auch Gedenkblatt Ehepaar Weinberger
Informationsstand Oktober 2020
Quellen: Stadtarchiv Magdeburg, Landeshauptarchiv Magdeburg, Standesamtsarchiv Magdeburg; Archiv der Synagogengemeinde zu Magdeburg; Stadtarchiv Kassel; Bundesarchiv Berlin; Gedenkstätte Yad-Vashem, Jerusalem; weitere Internetrecherchen; Text der Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“.
Der Stolperstein für Ephraim Langer wurde von Petra Kerwien, Hamburg und Dr. Martin Klaus, Magdeburg gespendet. 190
Der Stolperstein für Sophie Langer wurde von Petra Kerwien, Hamburg gespendet. 190
Der Stolperstein für Salomon Langer wurde von Petra Kerwien, Hamburg gespendet. 190 190
Magado-2 Wenn nicht anders ausgewiesen, dann Sammlung/Eigentum Magado Bilder/Beiträge dürfen "Nichtgewerblich" genutzt werden.
Elfriede Schild, geborene Hirsch, geboren am 25. Dezember 1879 in Magdeburg, wohnhaft in Magdeburg, Tauentzienstraße 9, deportiert am 14. April 1942 in das Ghetto Warschau, ermordet.
Was wissen wir von ihr? Elfriede Schilds Herkunftsfamilie Hirsch ist schon lange in Magdeburg ansässig. 25 Gräber mit dem Nachnamen Hirsch gibt es auf dem Israelitischen Friedhof – ob sie alle der gleichen Familie angehören, ist nicht bekannt, aber Hirschs hat es schon fast das ganze 19. Jahrhundert hindurch in Magdeburg gegeben. Die Eltern von Elfriede sind der Kaufmann Abraham Hirsch (13. April 1844 - 28. Oktober1919) und seine Ehefrau Hedwig, geborene Selowsky (23. Dezember 1852 - 3. Februar 1937). Auch die Selowskys leben schon länger in Magdeburg, das älteste Grab eines Familienangehörigen stammt aus dem Jahr 1850. Abraham Hirsch gründet 1872 in Magdeburg eine Zigaretten-, Tabak- und Zigarrenfabrik, deren Marke “Bonitas” ziemliche Bekanntheit erreicht. Zunächst befindet sich die Firma in der Großen Münzstraße, später Goldschmiedebrücke und dann Fürstenufer 12 (heute Schleinufer). Eine Zeit lang nennt sich die Firma später „Orientalische Zigaretten- und Tabakfabrik”, und- als die Söhne mit ins Geschäft einsteigen - heißt sie „Firma A. Hirsch & Co.“.
Als Elfriede geboren wird, wohnt die Kaufmannsfamilie auf der Kaiserstraße 103 (heute Otto-vonGuericke-Straße), später Kaiserstraße 94 a und zuletzt am Fürstenufer 12. Ihre Geschwister sind Edith (geb. 1881; später verh. mit Hermann Heimann David), Catharina / Käthe (geb. 1883; später verheiratete Spanier), Arthur**) (geb. 8. Dezember 1887; ermordet 1944 in Auschwitz), Max*) und Eugen (geb.1. Juli1891; ermordet 1943 in Sobibor).
Um 1882 taucht eine Firma H & C Schild, Getreidegeschäft en gros, in Magdeburg auf. Ihre Niederlassung ist am Breiten Weg 188. H. und C. – das sind Hermann und Carl Schild, vielleicht Brüder einer Familie Schild, die ursprünglich in Alme bei Brilon im Sauerland zu Hause war. Hermann (1840 -1908) wird später Schwiegervater von Elfriede Hirsch. Er ist verheiratet mit Philippine, geborene Rose (1844 - 1911). Die beiden haben sechs Kinder, Salomon (geb. 26. Juli1867), Max (geb. 13. November1871), Ludwig (geb. 17. Juli1873), Elise (geb. 20. Januar1876; verh. Weinzweig), Alex (10. Juli1877) und Josef (17. April1879), die alle in Alme geboren wurden. Der zweitälteste Sohn, Max Schild, Elfriedes späterer Ehemann, erlernt den Beruf eines Prokuristen und ist schon 1899 im Adressbuch bei der väterlichen Firma eingetragen. Als Inhaber führt er sie nach dem Tod des Vaters 1908 gemeinsam mit seiner Mutter weiter, bis 1911 auch sein jüngerer Bruder Ludwig einsteigt. Max Schild heiratet am 19. Oktober 1903 Elfriede Hirsch. In den ersten Ehejahren wohnt das Paar bei Elfriedes Schwiegereltern im Haus Augustastr. 16, wo ihnen am 31. Juli 1904 ihr Sohn Werner geboren wird. 1906 zieht die junge Familie in die Spielgartenstr. 43 (heute Maxim-Gorki-Str.) und wohnt ab 1909 Tauentzienstr. 9 (heute Liebigstr.). Max Schild weist sich bei seiner Eheschließung vor dem Standesamt „mit seinem Landsturm-Schein“ aus. Ob er elf Jahre später, als der Erste Weltkrieg ausbricht und er 33 Jahre alt ist, noch zum Kriegsdienst eingezogen wird? Das war bei Landsturmmännern bis zum 45. Lebensjahr möglich. Sein Bruder Ludwig zieht als Offiziersanwärter in den Krieg. Er wird schwer verletzt und erliegt seinen Kriegsverletzungen am 17. Mai 1920. Sein Name steht mit auf dem Gefallenendenkmal der Synagogengemeinde auf dem Israelitischen Friedhof. Auch nach dem Krieg wohnt Max mit seiner Familie in der Tauentzienstr. 9. Sie liegt in einer sehr guten Wohngegend nahe dem Hasselbachplatz, ziemlich nahe der Firma in der Bahnhofstraße. Der Sohn Werner wird wie sein Vater Kaufmann und arbeitet als kaufmännischer Angestellter (in der väterlichen Firma?). Es ist ein schwerer Schlag für Max und Elfriede, dass er am 19. Oktober 1925, gerade erst 21 Jahre alt, verstirbt. 1928 – es ist die Zeit der Weltwirtschaftskrise - wechselt der Firmenstandort, man zieht sozusagen „um die Ecke“ in die Franckestr. 4, ein Jahr später in die Heydeckstr. 5 und 1933 in die Anhaltstr. 6. Ein Jahr später, am 16. Dezember 1934, stirbt Max Schild. Der Tod trifft den 63-Jährigen plötzlich und völlig unerwartet, als er mittags gegen 13 Uhr bei dem Kaufmann Rolf Sonnenfeld in der Königstraße 58 aus beruflichen oder privaten Gründen zu Besuch ist. Danach ist die Getreidegroßhandlung aus den Adressbüchern verschwunden.
In den Listen einer Volkszählung im Mai 1939 steht Elfriede Schild immer noch unter der Adresse Tauentzienstraße 9. Doch inzwischen hat sie antisemitische Verfolgung und die Pogrome miterlebt, auch die Emigration ihrer Geschwister. Darum will sie nicht mehr in Deutschland bleiben. Sie will zu ihrem Bruder Max*) nach Genf und beginnt mit all den vielen Vorbereitungen, die für einen solchen Wegzug nötig sind, Visumbeschaffung, Genehmigungsanträge für das Mitnehmen von Geld und Möbeln usw.. Im Februar 1940 erfährt die Gestapo durch das Finanzamt von dieser Absicht. Frau Schild braucht eine steuerliche Unbedenklichkeitserklärung und will ihrem Bruder, der mittellos ist, etwas Geld überweisen. Am 30. April 1940 wird ihr Umzugsgut geprüft und zur Ausfuhr genehmigt. Doch die Reichsbahn kann den Umzug nicht fristgerecht abwickeln, unterdessen verfällt jedoch ihr Schweizer Visum und sie muss es neu beantragen. Das zieht sich länger als ein Jahr hin. Anfang 1942 wird sie aus der Wohnung ausgewiesen, die Möbel kommen auf ein Lager und sie zieht am 3. März in einen kleinen Raum in der (früheren) Jakobstraße. Da sie zu ihrem Geld nur begrenzten Zugang hat, schreibt sie an die Oberfinanzdirektion: „Die mir am 27.2.1942 zugewiesene und von mir am 3.3.42 bezogene Unterkunft liegt in Hause vom Rath-Straße 50, Hof, Hochparterre. Die zwei Halbfenster gehen hinaus auf den dunklen Hausflur. Mangels Tageslicht muss ich zum Arbeiten den ganzen Tag künstliches Licht brennen, das Fehlen von Sonne und Licht macht den Raum ungewöhnlich kalt“. Sie bittet darum, von ihrem eigenen Geld wegen der höheren Energiekosten mehr zugewiesen zu bekommen. Es ist unklar, ob sie überhaupt noch glaubt, ein Visum bekommen zu können. Es geht ihr nämlich gesundheitlich nicht sehr gut. Sie schreibt: „Wegen eingetretener Herzschwäche mit häufigen Schwindelanfällen benötige ich öfter Hilfe zu Arbeiten, die ich nicht selbst ausführen kann…“
Tatsächlich sind all ihre Bemühungen, das Land zu verlassen, vergeblich. Elfriede Schild ist 63 Jahre alt, als sie aufgefordert wird, sich am 14. April 1942 einzufinden, um von Magdeburg aus in das zu der Zeit schon völlig überfüllte Ghetto Warschau deportiert zu werden. Mehr ist von ihr nicht bekannt. Ab dem 21. Juli 1942 wird das Ghetto Warschau geräumt, die meisten Ghettobewohner kommen zwischen dem 21. Juli und Ende September 1942 ins Vernichtungslager Treblinka, wo sie gleich nach Ankunft ermordet werden. Doch für die Transporte von Warschau nach Treblinka sind keine Listen erhalten …
Informationsstand November 2020
Quellen: Stadtarchiv Magdeburg, Standesamtsarchiv Magdeburg; Landeshauptarchiv Magdeburg, Archiv der Synagogengemeinde zu Magdeburg; Bundesarchiv Berlin; Gedenkstätte Yad-Vashem, Jeru
Der Stolperstein für Elfriede Schild wurde von Dr. Ulf Redlich, Magdeburg gespendet. 186
Anmerkung 1: Siehe auch Gedenkblatt Ehepaar Hirsch **)Anmerkung 2: Stolpersteine für die Familie Arthur Hirsch befinden sich in Burg, Bahnhofstr. 27. *) Anmerkung 3: Elfriede Schilds Bruder Max Hirsch lebte zunächst in Dresden und emigrierte später in die Schweiz.
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Wir erinnern an Netty Vogelhut und ihre Tochter Rita
. Netty (Neche/Necha Hurdis) Vogelhut, geboren am 3. September 1899 in Bochnia/Polen, wohnhaft in Magdeburg, Tischlerkrugstraße 21, verhaftet am 27. Oktober 1938 in Detmold, am 28. Oktober 1938 abgeschoben nach Polen; interniert in Bentschen (Zbaszyn) bis zum Juli 1939, Aufenthalt im Osten des besetzten Polens; Tod in Rzeszow am 26. Juni 1940. Rita Vogelhut, geboren am 24. April 1933 in Magdeburg; wohnhaft und versteckt bei einer nicht jüdischen Pflegefamilie zuletzt in der Kurfürstenstraße 13; 1943 verraten; deportiert am 29. Juni 1943 über Berlin nach Theresienstadt; deportiert von dort am 18. Mai 1944 nach Auschwitz; ermordet in Auschwitz.
Was wissen wir von ihnen? Netty Vogelhuts Vater, der österreichische Handelsmann Moses David Vogelhut (geb. am 25. März 1875) kommt im Jahr 1901 aus seinem Geburtsort Bochnia bei Krakau/ Polen zunächst ohne Familie nach Leipzig. Er hatte im Jahr 1898 vor dem Rabbiner von Bochnia Fanny Feigel Gutfreund (geb. am 25. Dezember 1874 in Gdow/ Russland) geheiratet. In Bochnia waren ihre ersten drei Kinder geboren worden, Netty (Necha/Neche Hurdis), Josef Leib (geb. am 28. August 1900) und Isaak (auch genannt Ilu; geb. am 12. April 1902). David Vogelhut kommt 1903 nochmals nach Bochnia zurück, um am 29. April 1903 vor dem Führer des Matrikenbuches der israelitischen Gemeinde in Wisnicz standesamtlich zu heiraten und um seine Familie nach Leipzig zu holen. Dort wird ihnen am 3. März 1906 die Tochter Paula geboren. Doch schon im Jahr 1906 ziehen sie weiter nach Magdeburg. Dort wird ihnen 1907 am 16. Oktober die Tochter Lina geboren, die am 29. Mai 1909 stirbt. Am 15. April 1911 kommt ihr Sohn Kallmann (Karl) zur Welt. Ab 1914 wohnen sie Tischlerkrugstr. 21. Dort eröffnet Moses David Vogelhut ein An- und Verkaufs-Geschäft, und als der Hausbesitzer 1922 Insolvenz anmeldet und das Haus am 28. September 1922 zur Zwangsversteigerung kommt, erwirbt er es.
Netty, die Älteste, steht auch als Erwachsene noch unter Vormundschaft (der Grund ist unklar). Sie heiratet - wie ihr Bruder Karl später berichtet - nach jüdischem Ritus (aber nicht standesamtlich), Leo Schoss, und bekommt drei Kinder, Rosa (geb. 27. Mai 1925), Manfred (geb. 26. März 1926) und Moritz (geb. 19. August 1928). Leider kann sie wohl nicht selbst für ihre Kinder sorgen. Jedenfalls kommen sie, als Nettys Vater am 14. Juni 1927 stirbt, im darauffolgenden Jahr in einem Kinderheim untergebracht: Moritz in Magdeburg im Säuglingsheim in der Tismarstr.1, wo er am 11. April 1929 verstirbt, die beiden größeren Kinder in Köln in das von Julia Plato, der Frau des Rabbiners, 1909 eröffnete israelitische Kinderheim in der Lützowstraße. Lydia Hamlet, Ehefrau eines Magdeburger Bankiers, wird Nettys Vormündin.
Am 24. April 1933 bekommt Netty noch ein Kind, Rita. Es hat einen nicht jüdischen Vater und Netty wohnt zur Zeit dieser Geburt Alt Salbke 78. Rita kommt - sechs Wochen nach der Geburt - zu einer (nichtjüdischen) Pflegefamilie in der Nachbarschaft (Alt Salbke 52), zu Otto und Else Zenker, die sie wie ihr eigenes Kind umsorgen und aufziehen und mit Rita später, als die Situation für ein jüdisches Kind immer bedrohlicher wird, mehrfach umziehen, um sie zu schützen.
Nach dem Tod ihres Mannes führt Fanny Vogelhut das Geschäft der Familie weiter, unterstützt wohl auch von den Kindern, die allerdings nach und nach aus dem Haus gehen. Nur Netty wohnt einige Zeit nach Ritas Geburt wieder bei ihrer Mutter. Josef Leib geht nach Detmold, wo er Anna (Chana), geborene Sylt-Gottlieb (bzw. geborene Bleicher) heiratet. Karl zieht Ende 1931 nach Bremen und lässt sich ab 1934 in Stockholm nieder. Isaak geht nach Frankreich. Er wird im Internierungslager Le Vernet (Ariege) festgesetzt, wo er am 29. Januar 1943 umkommt. 1936 geht Paula nach Palästina, lässt sich in Haifa nieder und heiratet dort. Im Jahr 1939 holt Karl/Kallmann seine Nichte Rosa und seinen Neffen Manfred aus Köln zu sich nach Schweden.
Bei der „Polenaktion“ am 27. Oktober 1938 werden Josef Leib und Netty in Detmold (die vermutlich dort zu Besuch ist) sowie Josefs Frau Anna, die bei ihrer Schwiegermutter in Magdeburg ist, verhaftet und am nächsten Tag nach Polen abgeschoben, wo sie im Sammellager Bentschen (Zbaszyn) interniert werden. Ein letztes Lebenszeichen ist von Josef Leib aus Tarnopol vorhanden, er soll am 7. oder 8. Februar 1942 in Auschwitz ermordet worden sein. Wo Anna umkommt, ist unbekannt.
Von Netty berichtet ihre Vormündin 1940, dass sie in der Nähe ihrer Geburtsstadt wohne und dringend finanzielle Unterstützung brauche, sie wäre in großer Not und litte Hunger. Aus dem Erbe des Vaters (und dem Hausverkauf) wäre eine Geldsendung möglich, die aber nicht erlaubt wird. Lydia Hamlet muss schließlich der Oberfinanzdirektion Magdeburg mitteilen: „Laut beiliegender Schrift (der jüdischen Gemeinde in Rzeszow) ist mein Mündel am 26. Juli 1940 in Rzeszow/Polen verstorben“. Aus den Unterlagen im Landeshauptarchiv Magdeburg geht hervor, dass Netty zuvor eine Weile krank war, die Jüdische Gemeinde sich ihrer angenommen hat und sie auch bestattet hat.
Fanny wohnt zur Volkszählung im Mai 1939 noch in ihrer Wohnung. 1941 wird sie gezwungen, ihre Wohnung aufzugeben und in eines der so genannten „Judenhäuser“ in der Brandenburger Straße 2a zu ziehen. Von dort wird die fast 68-Jährige am 2. Dezember 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert. Dort stirbt sie drei Monate später an den unerträglichen Zuständen.
Rita wohnt mit ihren Pflegeeltern zuletzt Kurfürstenstr. 13 (heute Heidestraße). Dort entdeckt eine Hauswirtin 1943 Ritas jüdische Herkunft und verrät sie an die Gestapo. Die Zehnjährige wird am 4. Juni 1943 von einem Gestapomann nach Berlin gebracht, wo sie am 29. Juni 1943 einem „Alterstransport“ nach Theresienstadt zugeordnet und dorthin deportiert wird. Von dort wird sie am 18. Mai 1944 nach Auschwitz transportiert und ermordet. Nach 1945 wird die Hauswirtin, angezeigt durch die Pflegeeltern, vor Gericht gebracht und verurteilt.
Informationsstand Oktober 2020
Quellen: Stadtarchiv Magdeburg, Landeshauptarchiv Magdeburg, Standesamtsarchiv Magdeburg; Archiv der Synagogengemeinde zu Magdeburg; Stadtarchiv Leipzig; Bundesarchiv Berlin; ITS Bad Arolsen; Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem, Beate und Serge Klarsfeld (Paris); Gudrun Mitschke-Buchholz (Detmold); Birte Klarzyk, NS-Dokumentationszentrum Köln; Text der Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“.
Der Stolperstein für Netty Vogelhut wurde von Landesbischöfin a.D. Ilse Junkermann, Leipzig gespendet. 5
Der Stolperstein für Rita Vogelhut wurde von Landesbischöfin a.D. Ilse Junkermann, Leipzig; Ingrid Wallmann und Martin Kramer, Magdeburg gespendet. 5
Magado-2 Wenn nicht anders ausgewiesen, dann Sammlung/Eigentum Magado Bilder/Beiträge dürfen "Nichtgewerblich" genutzt werden.
Wir erinnern an Fanny Vogelhut und ihren Sohn Isaak
Fanny Feigel Vogelhut, geborene Gutfreund, geboren am 25. Dezember 1874 in Gdow (Russland), Geschäftsfrau, wohnhaft in Magdeburg, Tischlerkrugstraße 21, deportiert nach Theresienstadt am 2. Dezember 1942, ermordet am 13. März 1943 in Theresienstadt. Isaak Vogelhut, geboren am 12. April 1902 in Bochnia/Polen wohnhaft in Magdeburg, Tischlerkrugstraße 21, Flucht nach Frankreich, interniert im Lager Le Vernet (Argiere), dort ermordet am 29. Januar 1943.
Was wissen wir von Ihnen Im Jahr 1901 kommt der österreichische Handelsmann Moses David Vogelhut (25. März 1875 - 14. Juni 1927) aus seinem Geburtsort Bochnia bei Krakau zunächst ohne Familie nach Leipzig. Von seinen Eltern wissen wir nichts. Er hat im Jahr 1898 vor dem Rabbiner von Bochnia Fanny Feigel Gutfreund geheiratet. Fannys Eltern sind Josef Feig und Perl, geborene Gutfreund.
Das Ehepaar Vogelhut bekommt noch in Bochnia drei Kinder, Netty (Necha/Neche Hurdis; geb. am 3. September 1899), Josef Leib (geb. am 28. August 1900) und Isaak (auch genannt Ilu). David Vogelhut kommt 1903 nach Bochnia zurück, um am 29. April 1903 vor dem Führer des Matrikenbuches der israelitischen Gemeinde in Wisnicz standesamtlich zu heiraten und um seine Familie nach Leipzig zu holen. Dort wird ihnen am 3. März 1906 die Tochter Paula geboren. Doch schon im Jahr 1906 ziehen sie weiter nach Magdeburg. Sie lassen sich in der Magdeburger Altstadt nieder, wo schon viele jüdische Familien aus Osteuropa leben. Die Vogelhuts kommen zunächst im Breiten Weg 116 unter. Dort wird ihnen 1907 am 16. Oktober die Tochter Lina geboren, die nicht einmal zweijährig am 29. Mai 1909 stirbt. Ab 1909 wohnen die Vogelhuts in der Großen Mühlenstraße 7a, wo am 15. April 1911 ihr Sohn Kallmann (Karl) zur Welt kommt. 1913 wohnen sie kurz Grünearmstr. 18 a und ab 1914 Tischlerkrugstr. 21. Dort eröffnet Moses David Vogelhut ein An- und Verkaufs-Geschäft, und als der Hausbesitzer 1922 Insolvenz anmeldet und das Haus am 28. September 1922 zur Zwangsversteigerung kommt, erwirbt er es. Zwar wird ihm das Haus in den nächsten Jahren viel Mühe (und mancher Ärger mit Mietern) bereiten, aber die Familie scheint doch froh zu sein, ein eigenes Haus zu besitzen. Das Haus ist ein schon 1818 aus einem Viehstall umgebautes Wohnhaus, das einen Hof mit einem Taubenschlag hat und zwei Seitenflügel. Der Stolz auf das eigene Haus klingt noch in einem Brief der Tochter Paula vom 8. März 1948 an die Synagogengemeinde zu Magdeburg an, in dem sie nach dem (leider im Krieg total zerstörten) Haus fragt.
Am 14. Juni 1927 stirbt David Vogelhut. Seine Witwe führt das Geschäft der Familie weiter, unterstützt wohl auch von den Kindern, die aber nach und nach aus dem Haus gehen. Netty soll nach jüdischem Ritus einen Leo Schoss geheiratet haben, sie bekommt vier Kinder, von denen eines früh stirbt, wohnt aber später wieder zu Hause. Josef Leib wohnt ab 1931 in Detmold und heiratet dort Anna (Chana), geborene Sylt-Gottlieb (bzw. geborene Bleicher). Beide eröffnen dort in der Krummen Straße 27 ein Bekleidungsgeschäft. Karl zieht Ende 1931 nach Bremen und verlässt 1933 Deutschland. Er lässt sich ab 1934 in Stockholm nieder und wird schwedischer Staatsbürger.1936 geht Paula nach Palästina und lässt sich in Haifa nieder. Sie heiratet und nennt sich dort Pnia Schwarz. Im Jahr 1939 holt Karl/Kallmann Nettys Kinder Rosa und Manfred zu sich nach Schweden. Isaak geht irgendwann nach Frankreich. Zuerst wohnt er in Paris (Rue de Temple 97), nach Beginn des Einmarsches der deutschen Wehrmacht hält er sich im unbesetzten Gebiet auf. Dort wird er im (schon 1939 eingerichteten) Internierungslager Le Vernet (Ariege) festgesetzt, wo er am 29. Januar 1943 umkommt. Anfang des Jahres 1938 wird der Laden Fanny Vogelhuts überfallen, sie selbst schwer verletzt. Fensterscheiben gehen zu Bruch und die Baupolizei übt wegen baulicher Mängel Druck auf sie aus. Zunächst bittet sie am 17. Februar um Aufschub „infolge meines durch den Raubüberfall krankhaften Zustandes“, als der nicht gewährt wird, schreibt sie am 27. April erneut, “ich bin nicht imstande, auf Dauer die mit meinem … Grundstück verbundenen Bedingungen zu erfüllen. Aus diesem Grunde bereite ich den Verkauf vor …“. Schließlich schreibt sie am 21. August 1938: „Anfang diesen Jahres wurde ich in meinem Laden überfallen und schwer verletzt. Seitdem bemühe ich mich mit aller Kraft, das Haus zu verkaufen, da ich durch den Überfall mit den Nerven vollständig herunter bin.“ Verzögerungen entstehen, weil sie als polnische Staatsangehörige nur unter Schwierigkeiten einen Erbschein bekommen kann. Schließlich wird das Haus verkauft. Vom 6. und 10. Oktober 1938 datieren die Verträge, mit denen Fanny Vogelhut ihr Haus für 1.000 RM an den („arischen“) Rechtsanwalt Kurt Olaf verkauft. Den Verkaufserlös – reduziert durch eine Hypothek auf dem Haus - teilt sie sich mit ihren fünf Kindern. Doch angesichts der im nationalsozialistischen Staat erlassenen Regelungen für jüdisches Vermögen sehen sie und ihre Kinder kaum etwas von dem Geld, Fanny Vogelhut „darf“ den Verkaufserlös lediglich sechs Monate „abwohnen“ und noch einige Zeit länger zur Miete bleiben. Bei der „Polenaktion“ am 27. Oktober 1938 werden Josef Leib und Netty in Detmold (die vermutlich dort zu Besuch ist) sowie Josefs Frau Anna, die bei ihrer Schwiegermutter in Magdeburg ist, verhaftet und am nächsten Tag nach Polen abgeschoben, wo sie im Sammellager Bentschen (Zbaszyn) interniert werden. Es gelingt Josef Leib und Anna Vogelhut nochmals, kurz nach Deutschland zu kommen, um Hausrat und Kleidung nachzuholen. Als das Lager im Sommer 1939 aufgelöst wird, ziehen sie in die Nähe von Bochnia. Ein letztes Lebenszeichen ist von Josef Leib aus Tarnopol vorhanden, er soll am 7. oder 8. Februar 1942 in Auschwitz ermordet worden sein. Wo Anna umkommt, ist unbekannt. Netty lebt in ihrer Nähe, sie ist krank und lebt in großer Armut. Am 26. Juli 1940 stirbt sie in Rzeszow/Polen. Ihre Tochter Rita (geb. am 24. April 1934), in Magdeburg bei einer Pflegefamilie untergekommen, wird 1943 nach Theresienstadt und von dort am 18. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Fanny versucht verzweifelt, auch mit Hilfe ihres Sohnes in Schweden, ihre beiden Kinder in Polen finanziell und mit Kleider- und Ess-Paketen zu unterstützen. Davon zeugen eine Reihe von Dokumenten, die heute im Landeshauptarchiv aufbewahrt werden. Meistens wird ihr das verboten. Auch ihre eigene, nach Schweden geplante Ausreise gelingt nicht mehr. Im Jahr 1941 wird sie gezwungen, ihre Wohnung aufzugeben und in eines der so genannten „Judenhäuser“ in der Brandenburger Straße 2a zu ziehen. Von dort wird die fast 68-Jährige am 2. Dezember 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert. Dort stirbt sie drei Monate später an den unerträglichen Zuständen.
Informationsstand Oktober 2020
Quellen: Stadtarchiv Magdeburg, Landeshauptarchiv Magdeburg, Standesamtsarchiv Magdeburg; Archiv der Synagogengemeinde zu Magdeburg; Stadtarchiv Leipzig; Bundesarchiv Berlin; ITS Bad Arolsen; Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem, Beate und Serge Klarsfeld (Paris); Gudrun Mitschke-Buchholz (Detmold); Birte Klarzyk, NS-Dokumentationszentrum Köln; Text der Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“.
Der Stolperstein für Fanny Vogelhut wurde von Maria Ackermann, Magdeburg gespendet. 5
Der Stolperstein für Isaak Vogelhut wurde Annette Bohley, Magdeburg gespendet. 5
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Luise/Louise Wolff geborene Bruchhorst (genannt Ida), geboren am 15. November 1863 in Aken, wohnhaft in Magdeburg, Kronprinzenstraße / Kantstraße 4, Flucht in den Tod vor der drohenden Deportation am 24. November 1942 in Magdeburg.
Was wissen wir von ihr? Luise Bruchhorst wird in Aken an der Elbe geboren, einer Kleinstadt in der Nähe von Dessau. Ihre Eltern, der Kaufmann Louis Bruchhorst und seine Ehefrau Rosalie, geb. Stein gehören zur jüdischen Gemeinde von Aken, die zu ihren besten Zeiten etwa 70 Mitglieder hat. Die Familie der Mutter ist hier schon seit den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts zu Hause. Es gibt einen 18 Jahre jüngeren Bruder, Hugo (geb. 23. April 1881), der später als Strohseilfabrikant in Aken lebt. Mit 21 Jahren heiratet Luise Bruchhorst einen Kaufmann aus Magdeburg, Walter Simon Wolff (geb. 1. September 1855 in Magdeburg). Er ist der Sohn von Julius Joachim Wolff und seiner Ehefrau Friederike, geb. Goldstein. Walter hat mindestens noch einen 16 Jahre jüngeren Bruder, Georg, der später die Magdeburgerin Else Bernhardt heiratet. Die Hochzeit von Walter und Luise wird am 25. Oktober 1884 in Aken gefeiert, Trauzeugen kommen aus der befreundeten Akener Familie Gottschalk.
Walter und Luise Wolff lassen sich in Magdeburg nieder, und Luise schließt sich mit ihrem Mann gemeinsam der Magdeburger Synagogen-Gemeinde an, sein Name findet sich dort in den Wählerlisten der Gemeinde zur Repräsentanten-Versammlung 1908 und auch 1919 (nur Männer hatten damals in der Synagogen-Gemeinde Wahlrecht).
Das junge Paar wohnt im Haus von Walters Vater Georgenstraße 4 (Straße nicht mehr vorhanden; sie verlief zwischen Kutscherstraße und Großer Schulstraße, dort, wo heute der Parkplatz von „Karstadt“ ist). Julius Wolff betreibt dort ein Geschäft für Felle, Wolle und Material für Polstermöbel, Möbelstoffe und später auch Artikel für das Tapezieren. Es kann vermutet werden, dass sein Sohn Walter auch im Geschäft arbeitet, denn als Julius Wolff sich nach 1890 allmählich zur Ruhe setzt und sich ab 1895 in das Adressbuch als „Privatmann“ eintragen lässt, führt sein Sohn Walter das Geschäft weiter, gemeinsam (bis 1913) mit einem Isidor/Julius Burghardt. 1907 zieht das Geschäft in die Kronprinzenstraße 4 (die spätere Kantstraße) um. 1918 eröffnet Walter Wolff auch eine Fahnenfabrik.
Drei Kinder haben Walter und Luise Wolff. Die Tochter Marianne kommt am 30. März 1892 zur Welt, die Tochter Gertrud am 24. September 1898, Marianne stirbt, gerade 22 Jahre alt, schon am 15. Juli 1914, Gertrud am 18. Juli 1932. Beide ruhen auf dem Israelitischen Friedhof. Der Sohn Friedrich wird am 21. März 1894 geboren. Er heiratet 1921 die Magdeburgerin Ilse Michaelis (geb. 18. November1897). Vier Jahre nach der Hochzeit des Sohnes stirbt Walter Simon Wolff plötzlich. Auf dem Todeseintrag des Standesamtes heißt es, er sei am 21. Januar 1925 „im Hausflur seiner Wohnung vormittags um ein Uhr“ verstorben, mit 69 Jahren. Danach taucht das Familiengeschäft nicht mehr in den Adressbüchern auf – anscheinend geht der Sohn einem anderen Beruf nach und Luise, inzwischen auch schon 62jährig, kann oder will es nicht alleine weiterführen. Wo sie in den kommenden Jahren wohnt, ist unklar, ihr Name erscheint erst wieder in der Volkszählungsliste 1939. Da wohnt sie in der Arndtstraße 5 im 2. Stock, in einem Haus, das der Synagogen-Gemeinde gehört und in dem ein Altersheim für jüdische Gemeindeglieder eingerichtet werden sollte. Jetzt wird es durch die Nazi-Administration zum „Judenhaus“ erklärt, einem Haus, in dem jüdische Magdeburger in größter Enge beisammen wohnen müssen, die zuvor aus ihren Mietwohnungen vertrieben worden waren. Als Luises Schwager Georg Wolff am 3. Juli 1939 stirbt, zieht ihre Schwägerin Else in das gleiche Haus.
Else ist gewiss für Luise eine wichtige Gesprächspartnerin, ist sie doch sonst ganz allein, denn zu dieser Zeit leben ihr Sohn und dessen Frau nicht mehr in Magdeburg. Leider ist das Schicksal dieser Beiden nicht bekannt – ihre Namen sind nicht in den Opferlisten des NS-Terrors zu finden, so dass es gut möglich ist, dass sie überlebten.
Am 12. März 1942 verstirbt Else Wolff. Die Magdeburger Judenheit muss es in diesem Jahr erleben, dass einer nach dem anderen mit der Post die Aufforderung bekommt, sich zur Deportation auf dem Bahnhof einzufinden. Solche Briefe treffen im November 1942 auch in der Arndtstraße 5 ein. Luise Wolf erhält einen solchen Brief für den 25. November. Doch die inzwischen 79jährige kann und will nicht mehr, am Vortag des Abtransportes findet man sie erhängt in ihrem Zimmer. Am 3. Mai 1947 schreibt der Vorsitzende der Synagogen-Gemeinde Magdeburg, Horst Ismar Karliner, einem auswärtigen Gemeindeglied, das sich nach ihr erkundigt: „Ida Luise Wolff …entzog sich ihrer Deportation nach Theresienstadt durch Freitod und wurde auf unserem Israelitischen Friedhof beerdigt“.
Informationsstand November 2020
Quellen: Stadtarchiv Magdeburg, Standesamtsarchiv Magdeburg; Landeshauptarchiv Magdeburg, Archiv der Synagogengemeinde zu Magdeburg; Stadtarchiv Aken; ITS Bad Arolsen; Bundesarchiv Berlin; Gedenkstätte Yad-Vashem, Jerusalem, Familiendatenbank „Juden im Deutschen Reich“ von Ingo Paul; weitere Internetrecherchen; Landesverband jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalts (Hg,); Geschichte jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalts, S. 14 ff.; Text: Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“.
Der Stolperstein für Luise Wolff wurde anonym gespendet. 187
Magado-2 Wenn nicht anders ausgewiesen, dann Sammlung/Eigentum Magado Bilder/Beiträge dürfen "Nichtgewerblich" genutzt werden.
Hans Wolff, geb. 20. Juli 1895 in Magdeburg, wohnhaft in Magdeburg, Schwertfegerstraße 14/15, Kaufmann, 11. November 1938 verhaftet, Polizeigefängnis Magdeburg; „Schutzhaft“ bis 17. November 1938, 1939 Flucht nach Belgien, Internierungslager St. Cyprien, später Gurs, schließlich am 1. September 1942 nach Drancy, von dort am 4. September 1942 nach Auschwitz deportiert, dort ermordet
Was wissen wir von ihm? Hans Wolff wächst in einer begüterten Familie in Magdeburg auf. Der Vater, Berthold Wolff, lässt sich mit der Ehefrau Bertha, geb. Holländer, und dem 1887 geborenen ältesten Sohn Artur in Magdeburg als Auktionator und Besitzer einer Herrengarderoben- und Schuhwarenhandlung in der Schwertfegerstraße 14 nieder. Bald nach der Geburt des zweiten Sohnes 1895 erwirbt er das Nachbarhaus Nr. 15 und lässt es ausbauen.
Hans Wolff beginnt nach dem Besuch der Volksschule eine kaufmännische Lehre in der Fa. Hamlet in Oschersleben, bevor er – wie der Bruder – im 1. Weltkrieg Soldat wird. Ein schwerer Schicksalsschlag trifft die Familie während des Krieges, denn während Hans, an Kampfhandlungen in Frankreich beteiligt, den Krieg übersteht, wird der ältere Bruder am 21. Juni 1917 dessen Opfer.
Hans Wolff tritt, 23-jährig, in das väterliche Geschäft ein. Am 7. Dezember 1922 heiraten Hans Wolff und die aus Groß Salze stammende Rosa Sachs (geb. 9. Januar 1896), deren Vater in Bad Salzelmen ein angesehener Viehhändler ist. Die Mitgift, 80.000 Goldmark, werden in das Geschäft der Wolffs investiert, Hans Wolff wird 1923 Mitinhaber des väterlichen Geschäfts. Am 8. August 1924 wird der (nach dem verstorbenen Bruder benannte) Sohn Heinz Arthur geboren, bevor die Familie einen weiteren Schicksalsschlag hinnehmen muss: Bertha Wolff stirbt am 18. Februar 1925, gerade einmal 60 Jahre alt. Danach zieht der Vater in den 1. Stock des Hauses in der Schwertfegerstraße 14. Bald steht der Familie von Hans und Rosa Wolff erneut Nachwuchs in Haus: Am 18. November 1928 wird die Tochter Hanna Berta geboren (ihr Zweitname ist der der Großmutter). Das Geschäft der Wolffs, dessen Alleininhaber Hans Wolff ab 1930 wird, prosperiert, in den Jahren 1930 bis 1933 verfügt man über ein Jahreseinkommen von 250.000 bis 270.000 Reichsmark. Die Kunden, Arbeiter, untere und mittlere Beamte, Landleute aus der Umgebung, schätzten das Angebot des Geschäfts in der Schwertfegerstraße mit seinen vier Schaufenstern. Die Familie kann sich einiges leisten, zum Haushalt (die Familie wohnt im 3. Stock der Schwertfegerstraße in einer Wohnung mit fünf Zimmern und Nebengelass) gehört ein Pkw Modell 37 Ford V/8 (wie der Sohn Heinz Arthur stolz berichtet) und ein Motorboot in Katerbow (bei Havelberg). Die Tochter Hanna erinnert sich, dass sie - damit unterwegs - unter den Elbbrücken immer riefen: „Wie spät ist es in Machteburch?“ und auf das Echo „Achte durch!“ warteten.
Das Naziregime trifft die Familie mit aller Härte, wenngleich Hans Wolff das Geschäft als Kriegsteilnehmer noch bis 1938 weiterführen kann. Dann aber wird er zum Verkauf gezwungen. Der aus Schneidemühl stammende Robert Grups schreibt am 3. Juni 1938 an den Regierungspräsidenten: „Mein Antrag auf Fortführung des Schuhwarengeschäftes von Berthold Wolff, Inhaber Hans Wolff, Schwerdtfegerstr. 14/15 wurde vom Oberbürgermeister genehmigt.“ Bald darauf muss Hans Wolff seinen Vater Berthold Wolf, der am 25. Juni 1938 stirbt, auf dem Israelitischen Friedhof am Fermersleber Weg zu Grabe tragen.
Die Familie muss nun umziehen. In der Otto-von-Guericke-Str. 45, im Haus des Rechtsanwalts Max Abraham, bezieht sie eine große Wohnung – vorübergehend, denn man ist zur Emigration entschlossen. Der Sohn wird schon in Schweden in Obhut gegeben, die Tochter in Holland, da wird Hans Wolff am 11. November 1938 im Magdeburger Polizeigefängnis in „Schutzhaft“ genommen. Er kommt nach einer Woche frei und versucht eilends, Teile des Vermögens in Sicherheit zu bringen, vergeblich. Anfang 1939 flüchten die Eltern unter Zurücklassung der gesamten Habe nach Belgien, sehr zum Kummer besonders von Rosa Wolff, die ihre inzwischen erblindete Mutter und ihre Schwester zurücklassen muss. Hedwig Sachs, geb. Sachs, wird mit 76 Jahren 1942 in Theresienstadt, Bertha Sachs (geb. 1893) in Auschwitz ermordet. Im Juli 1939 werden Konten und Depots der Familie (mit einem Wert von gut 40.000 Reichsmark) mit Pfändungsbeschluss durch das Amtsgericht eingezogen, Rosa und Hans Wolff, nun wieder mit der Tochter vereint, am 20. Juni 1940 ausgebürgert. Da sind sie allerdings schon von Belgien ins französische St. Cyprien deportiert worden, in ein hoffnungslos überfülltes Internierungslager. Hans Wolff flieht aus dem Lager, wird im Mai 1942 erneut verhaftet und ins Lager Gurs bas Pyrénées gesteckt. Von dort erreicht den Sohn, inzwischen im Moshav von Kinneret in Palästina, eine letzte Nachricht des Vaters: „Ich verreise mit unbestimmtem Ziel, weiss nicht wann neue Adresse angebe bleibe munter.“ Ein weiterer Satz wird von der Zensur gestrichen.
Hans Wolff wird am 1. September 1942 nach Drancy und von dort am 4. September 1942 nach Auschwitz abtransportiert, wo er nach Angaben der Tochter am gleichen Tage ins Gas geschickt wird.
Rosa und Hanna Wolff können sich – wie der Sohn Heinz Arthur – retten. Beide gelangen von Gurs, anderen Lagern und verschiedenen Orten in Südfrankreich, später mit dem Zug nach Paris und von Bordeaux mit der „Formose“ nach Brasilien, wo sie am 21. September 1946 ankommen.
Informationsstand Oktober 2020
Quellen: Stadtarchiv Magdeburg, Landeshauptarchiv Magdeburg, Standesamtsarchiv Magdeburg; Archiv der Synagogengemeinde zu Magdeburg; Bundesarchiv Berlin; Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem; Niedersächsisches Landesarchiv, Entschädigungsakte Hans Wolff (Nds. 110 W Acc. 31/99 Nr. 221861); Recherchen und Text: Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“.
Der Stolperstein für Hans Wolff wurde durch den ver.di Ortsverein Magdeburg gespendet. 145
Wir erinnern an Familie Ludwig Wolff
Ludwig Wolff, geboren am 30. September 1875 in Thorn (Westpreußen, heute Torun/Polen), Kaufmann, wohnhaft Breiter Weg 23/Eingang Berliner Str. III, Deportation 13./14. April 1942 in das Ghetto Warschau, ermordet.
Selma Wolff, geb. Katz, geboren am 23. August 1882 in Kurnik (Posen, heute Kórnik/Polen), wohnhaft Breiter Weg 23/Eingang Berliner Str. III, Deportation 13./14. April 1942 in das Ghetto Warschau, ermordet
. Gerhard Wolff, geboren am 20. Mai 1907 in Thorn (Westpreußen, heute Torun/Polen), kaufmännischer Angestellter, wohnhaft Breiter Weg 23/Eingang Berliner Str. III, verhaftet am 10. November 1938, „Schutzhaft“ im KZ Buchenwald, Deportation am 13./14. April 1942 in das Ghetto Warschau, ermordet.
Walter Wolff, geboren am 29. März 1910 in Thorn, vermutlich Werkzeugmeister, wohnhaft Breiter Weg 23/ Eingang Berliner Straße III, verschollen.
Was wissen wir von ihnen? 1923 zieht der Kaufmann Ludwig Wolff mit seiner Familie, der Ehefrau Selma, geb. Katz, und den Söhnen Gerhard und Walter von Thorn in Westpreussen nach Magdeburg und lässt sich dort Breiter Weg 23 nieder. Im Thorn war die Familie fester Bestandteil der jüdischen Gemeinde, die in den 1880er Jahren stark angewachsen war. Der Großvater David Wolff ist Kaufmann und bis zu seinem Tod 1916 Kantor und Vorsteher der Gemeinde. Die Mutter Mathilde Wolff ist bereits 1885 gestorben, ihr Mann hat erneut geheiratet. Auch der Sohn Ludwig, seit 1906 verheiratet, ist wie der Vater ins kaufmännische Fach gewechselt. Die Familien wohnen gemeinsam Altstädtischer Markt 16 im Zentrum der Stadt. Die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage, aber auch die Angliederung des westpreußischen Gebiets an den polnischen Staat 1920 führt zu einer Abwanderung jüdischer Familien – vermehrt in die USA, nach Berlin und in andere deutsche Großstädte. Ludwig Wolff und seine Familie zieht es nach Magdeburg, seinen Bruder Martin (geb. 1877) als Apotheker erst nach Braunsberg in Ostpreußen, später nach Berlin, die Schwester Bettina (geb. 1880) nach Köln. Es gibt wenige Informationen über das Leben der Familie Wolff in Magdeburg. Gerhard und Walters Fotos stammen von einem Badeurlaub mit Verwandten in Broesen (heute Brzezno/Polen) bei Danzig an der Ostseeküste. Gerhard setzt die kaufmännische Tradition in der Familie fort und wird kaufmännischer Angestellter, Walter vermutlich Werkzeugmeister.
Gerhard Wolff gehört zu den etwa 130 Magdeburger Juden, die im Anschluss an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 von der Polizei gefangen genommen und in das Polizeigefängnis eingeliefert werden (Gefangenenbuch 1938, Lfd. Nr. 186,0). Am 11. und 12. November überführt die Staatspolizei 225 die in „Schutzhaft“ genommenen Juden – so auch Gerhard Wolff - in das KZ Buchenwald, wo er die Häftlingsnummer 23880 erhält. Das Fahrgeld für seine Rückkehr nach Magdeburg hat der Vater zu erbringen. Bereits 1936 bekommen die so genannten Devisenstellen im Land durch das „Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Devisenbewirtschaftung“ (RGBl I, S. 1000) die Befugnis, Sicherungsanordnungen zu treffen. Damit konnte betroffenen Personen die freie Verfügung über ihr eigenes Vermögen entzogen werden. Im August 1939 verfügt das Reichswirtschaftsministerium, dass Juden alle Barmittel auf ein „beschränkt verfügbares Sicherungskonto“ einzuzahlen haben. Auch gegen Ludwig Wolff erfolgt am 11. April 1940 eine solche Sicherungsanordnung. Die Lebensführung der Familie unterliegt damit einer verschärften Kontrolle durch die Behörden des nationalsozialistischen Staates. Am 15. April 1940 beantragt Ludwig Wolff bei der Devisenstelle des Oberpräsidenten einen höheren als den bereits zugewiesenen Freibetrag von 150 Mark, da in seinem Haushalt 3 Personen leben, neben ihm und seiner Ehefrau der 33-jährige Sohn Gerhard, „der seit dem 1. Januar 1939 ausser Stellung ist, den ich vollkommen ernähren und kleiden muss. Mein Sohn ist leidend, er bedarf einer besonderen Pflege, die erhöhte Ausgaben verursacht“. Die Aufforderung der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten vom 11. April 1942 den Vordruck Dev. VI 3 Nr. 2 zur Sicherungsanordnung vom 11. April 1940 auszufüllen, beantwortet Ludwig Wolff handschriftlich am 12. April 1942 mit dem Hinweis, dass er Magdeburg „am 13. mit dem Abtransport der Juden“ verlässt. Ludwig, Selma und Gerhard Wolff gehören zu den 446 jüdischen Menschen aus dem Regierungsbezirk Magdeburg und dem Land Anhalt, die zusammen mit 494 Juden aus Berlin und Brandenburg in das Warschauer Ghetto deportiert werden. Adam Czerniaków vom Warschauer Judenrat verzeichnet am 16. April 1942 in seinem Tagebuch: „Um 6 fuhr der Zug mit den Neuankömmlingen aus Deutschland ein. Es sieht nach 1000 Personen aus.“ (Czerniaków, Adam: Im Warschauer Getto, München 1986, 243) Die meisten der in das Ghetto Deportierten werden, wenn sie nicht schon in Warschau umgekommen sind, ab 21. Juni 1942 in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort bei der Ankunft ermordet. Der jüngste Sohn der Familie, Walter Wolff, gilt als verschollen.
Informationsstand November 2020
Quellen: Stadtarchiv Magdeburg, Landeshauptarchiv Magdeburg, Standesamtsarchiv Magdeburg; Archiv der Synagogengemeinde zu Magdeburg; Bundesarchiv Berlin (online); Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem (online); Ruth Nadelman Lynn, Lexington, MA, USA; Recherchen und Text der Arbeitsgruppe „Stolpersteine für Magdeburg“.
Der Stolperstein für Selma Wolff wurde anonym gespendet. 185
Der Stolperstein für Gerhard Wolff wurde anonym gespendet. 185
Der Stolperstein für Walter Wolff wurde anonym gespendet. 185
Der Stolperstein für Ludwig Wolff wurde anonym gespendet. 185
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