Mir ist soeben dieser Bericht per EMail zugepielt worden:
Tröbst, Magdeburgisches Pionier-Bat.Nr.4 Mit freundlicher Genehmigung seines Enkels, der sich momentan umd die Herausgabe der Tagebücher bemüht.
"Leutnants Weihnachten" (1912)
Vorbemerkung: Das im Folgenden geschilderte Weihnachten und Neujahr ist das des Jahres 1912 im Kasino in Magdeburg. Ich habe es hier [1922] ausführlich geschildert, denn es gleicht den in den vorangegangenen Jahren in der Armee gefeierten Weihnachtsfesten wie ein Ei dem anderen. Nur der " Betrieb" wechselte eben ständig.
Es war also so um den 10. Dezember 1912. An der Mittagstafel der Tischgesellschaft ging es mal wieder hoch her. Das Datum der Weihnachtsfeier des Offizierscorps stand zur Debatte. Die Glücklichen, die auf Urlaub fahren sollten, waren für einen recht frühzeitigen Termin - denn in Urlaubssachen hörte die Kameradschaft auf. "Das wäre ja noch schöner, wenn man wegen dieser Säufer noch einen Tag länger in der Garnison bleiben müsste!“ So äußerten sich die Egoisten. "Uns ist das ja alles ganz piepe ", erklärten die vielen Rekrutenoffiziere, zu denen ich in diesem Jahr gehörte, und die wie üblich aus "dienstlichen Gründen" daheim bleiben mussten. Und da es den verheirateten Herren noch gleichgültiger war, wurde also der 20. Dezember als "Tag der Tage" festgesetzt.
Damit war der Fall ausgestanden. Weihnachtsfeier! Was heißt, Weihnachtsfeier! Das würde genauso ein Schausaufen werden, wie jedes andere, das den euphemistischen Namen "Liebesmahl", „Gemütlicher Abend", "Gästetag" oder "Geburtstagsfeier" führte. Also da war eine besondere Aufregung oder gar Erwartung nicht nötig. Außerdem hatte der Leutnant, der "Zuglückenaugust ", mit den unumgänglichen Vorbereitung nicht das Geringste zu tun. Das war Sache der Kasino-Kommission und last not least der Damen. Beide Wohlfahrtseinrichtungen traten umgehend in Tätigkeit. Von der "Wahl " eines besonderen "Komités" wurde abgesehen, man hatte schon "Amüsemang" übergenug. Die Leitung der Vorbereitungen riss, wie üblich bei solchen Gelegenheiten, Leutnant Körting an sich, der als sehr reich Verheirateter daheim einen maßlosen Aufwand trieb und der also wissen musste, "wie es gemacht wird!". Vom Kommandeur mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet, machte er davon mit der Rücksichtslosigkeit eines Nero Gebrauch und am 19. Dezember erklärte er das Kasino zur Empörung aller vier Kasernenbewohner als "geschlossen".
"Seht zu, wo Ihr Euer Essen herbekommt". Damit schloss er uns gegenüber seine Beweisführung, die darin gipfelte, dass er das Kasino " un-be-dingt" heute schon haben müsse, wenn nicht das Gelingen des Festes in Frage gestellt sein sollte. Empört fügten wir uns, und da der Dienst heute Mittag im ganzen Bataillonen offiziell schloss, dinierten wir vier Unzertrennlichen - Wohlgemut, Schultz, ich und Gottschalk - in der Stadt.
Am Morgen des 20. herrschte im Kasino das, was man "lebhafte Bewegung" nennt, Körting hielt mit einer Schar Ordonanzen eigenmächtig eine nochmalige Generalreinigung ab, sehr zum Entsetzen von Kasino-Feldwebel Dörge und den bereits erschienenen Damen. Diese hatten sich, einem uralten, geheiligten Brauch Folge leistend, wohl oder übel in den Dienst der Sache stellen müssen. Das heißt, ihnen oblag die Ausschmückung des riesengroßen Tannenbaums , der in einer Ecke des mächtigen Speisesaals Platz gefunden hatte. Auf den Gedanken, irgend etwas Konfekt hinzuzuhängen, kam natürlich keiner, denn das kostete Geld und wer weiß, wer das Zeugs dann fraß. Ernsthaft gesprochen bedauerte ich das sehr, denn es war ein Zeichen, dass die Damen ihre Aufgabe als eine rein äußerliche betrachteten, ohne den tieferen Kern zu erfassen, der darin lag. Denn durch das Baumaufputzen sollte doch angedeutet werden, dass das Offiziercorps eine große Familie bildete, in der jeder dem anderen eine Freude zu machen versuchen sollte. Aber auf den Gedanken verfiel weder eine der Damen noch einer der Offiziere. Das Wort "Kameradschaft", "Einer für alle, alle für einen" wurde zwar ständig von allen im Munde geführt, aber letzten Endes handelte doch niemand danach. Gewiss, man bildete eine Familie, aber lediglich nur, weil man denselben Rock mit derselben Nummer trug.
Es wird mir heute, während ich diese Zeilen schreibe [1922/23] immer klarer, dass die viel gerühmte "Kameradschaft" ein gutes Teil "Mache" war, zumindest eine Art "Äußerlichkeit", an der man festhielt und deren Wort man im Munde führte, weil es die allerhöchsten Bestimmungen so verlangten. Und ich betone auch bei dieser Gelegenheit wieder, dass der Krieg für die Armee, das heißt für das Offiziercorps 1914 zur rechten Zeit kam. Die Lockerung im Inneren, im Geist, im Denken und Fühlen des Offiziers, das sich immer mehr von den alten preußischen Traditionen entfernte, hatte eben begonnenen, ganz winzig klein und dem Uneingeweihten nicht sichtbar. Ein paar Jahre noch stumpfer Friedensdrill und das Offiziercorps wäre nicht mehr auf der Höhe gewesen. So trat es aber 1914 in dem Augenblick in den Krieg, als es - was sein Können und seinen „Geist“ anbetraf - (der Geist eines Heeres steckt in seinen Offiziers ) - im Zenith Stand und als es sich eben gerade anschicken wollte, die abwärts gerichtete Kurve zu beschreiten.
Wie gesagt, in diesem Fall händigte also Dörge den Damen einen großen Kasten aus, in welchem vom vorigen Jahr die bunten Papierkränze, goldenen und silbernen Glaskugeln, die Sterne und Engel und weiß der Kuckuck was da alles noch dazu gehörte, aufbewahrt wurden. Natürlich wurden zum Leiterhalten ein paar Ordonanzen kommandiert, und deren tatkräftiger Hilfe war es dann zu verdanken, dass der Baum schließlich in einer märchenhaften, wenn auch etwas vorjährigen Pracht erstrahlte. Aber bei der abendlichen Beleuchtung fiel das ja nicht weiter auf und im übrigen: "Ansehen" tat ja doch niemand das Wunderwerk.
Im Büro des Kasinos hielt unterdessen die Kasino-Kommission Sitzung über Sitzung ab. Über das Menü hatte man sich gütlich geeinigt. Es sollte natürlich pompös sein und durfte nichts kosten. Das hatte der Leutnant, der ja immer in Geldschwulitäten saß, als erste Bedingung erhoben. Das war natürlich gänzlich gegen den Wunsch von Robert Lotze, dem alten, bissigen, geizigen Hauptmann, der das ganze Fest nur als eine Gelegenheit zum Füllen der Kasino-Kasse ansah. Gleichzeitig hoffte er bei dieser Gelegenheit seine schlechten Weine loswerden zu können, und er plädierte eifrig für eine Punschbowle am Schluss, in die er seinen famosen "Clüserater", den kein Mensch trinken wollte, hinein zu pantschen gedachte. Er war immer "popelig", aber mit Rücksicht auf die erlauchten Gäste, die erwartet wurden, wurde er überstimmt und die Bowle vom Programm abgesetzt.
Die Liste der einzuladenden Gäste war naturgemäß schon eine Woche vorher fertig gestellt. Jeder hatte da einen Wunsch angeben können, wen er gerne - allerdings auf eigene Kosten - bewirten wollte. Die Unkosten für die "offiziellen" Gäste mussten natürlich gemeinsam getragen werden. Major Rotthardt hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen, dem Kommandierenden General Sixt von Arnim im Helm auf die Bude zu rücken und ihn zu bitten, den Tag durch seine Anwesenheit zu verschönern. Er wusste natürlich schon im voraus, dass der Herr Kommandierende dieses Jahr bei den "66.gern" feiern würde, aber eine solche Einladung konnte nie schaden. Denn wie meine sämtlichen Pionierkommandeure, so bildete sich auch Rotthardt steif und fest ein, dass gerade er und sein Bataillonen die einzigen und ausschließlichen Lieblinge seiner Exzellenz seien. Und wie ein seichter Pfaff den Namen Gottes täglich missbraucht, so verfuhr auch Rotthardt mit unserem höchsten Chef. " Seine Exzellenz sagte mir neulich... " " Exzellenz meinte gestern..“, "Der Herr Kommandierende hat mit Befremden bemerkt, dass... "
Und der gute Mann bildete sich also steif und fest ein, dass der Korpskommandeur Tag und Nacht nur an sein Pionier-Bataillon denke. Und um den mächtigen Mann von diesem Denken nicht "weich werden" zulassen, hatte er sich also mit der Einladung wieder in empfehlende Erinnerung bringen wollen. "Exzellenz hatten natürlich unendlich bedauert und mit seiner Vertretung den Herrn Chef des Generalstabs, Generalmajor von Falkenhayn, beauftragt. [Erich von F., 1861-1922, General, osmanischer Marschall, Militärpolitiker, im I. WW Chef des Großen Generalstabs. Sh. Auch Verdun] Wenigstens ein General kam! Und hätten wir damals geahnt, was für einer! Denn die Jagd der Regiments-Kommandeure in der Garnison nach Generalen und Exzellenzen zur Verschönerung der Weihnachtstafel war schon nicht mehr schön! Und das färbte auf das Offiziercorps ab.
" Wer war denn bei Ihnen? " erkundigte man sich in den nächsten Tagen bei den Kameraden der anderen Regimenter. "Was? Nur der Oberst vom Bekleidungsamt? Bei uns war Falkenhayn!" Und wenn dann erst die 26-er mit dem Divisionskommandeur, Graf von Schwerin oder gar die 66-er mit dem Kommandierenden in eigener Person aufwarten konnten, dann war die gesellschaftliche Rangordnung der Regimenter und Truppenteile für das ganze folgende Jahr festgelegt.
Die Vorbereitungen zum Fest waren rechtzeitig beendet und jetzt ging der Kasernenbewohner - genannte Höhlenbewohner - daran, sich in seiner Klause fein zu machen und zu schmücken. Zwei Stunden mindestens verwandte jeder von uns - wie alle anderen - auf das " Anziehen ". Denn die Garderobe des Offiziers wurde damals in ihrer Reichhaltigkeit eigentlich nur von der einer berühmten Operettendiva übertroffen. Zur Feier des Tages hatte ich ein Extra-Bad genommen, und mein behaglich erwärmtes Schlafzimmer glich einem Modesalon. Mein Bursche hatte die blitzenden Uniformen überall ausgebreitet und zurecht gelegt, und während er an den silbernen Knöpfen und an den glänzenden Lackschuhen herum hantierte, um ihnen einen überirdischen Schimmer zu verleihen, vollendete ich vor dem von zwei Kerzen erleuchteten Spiegel meine Toilette. Kopf waschen, Rasieren - zum dritten Mal heute - frisieren und Maniküren. Endlich "saß“ der Scheitel. So! Nun die Lackschuhe! Extra gestern gekauft. Etwas eng zwar, aber maßlos patent. Dann die lange schwarze Hose mit den messerscharfen Bügelfalten und nun der herrliche, blaue, fast schwarz schimmernde Waffenrock - diese Farbe war in diesem Jahr die "große Mode". Denn obwohl die Uniform in Farbe und Schnitt durch 1000 Bestimmungen festgelegt war, kümmerte sich in Wirklichkeit doch nie jemand darum. Irgend jemand, der viel Geld hatte - bei uns waren Strauss und Körting die Tonangebenden - "kreierte" irgend eine Variante und jeder fühlte die heilige Verpflichtung, den Wahnsinn mitzumachen.
So! Der Waffenrock saß tadellos wie immer. Die weißen Manschetten durften auf keinen Fall wie bei den „krummen Zivilisten“ aus den Ärmeln ragen, der weiße steife Leinwandkragen - weil es durch die Bekleidungsvorschrift verboten war - schaute diskret einen halben Zentimeter aus dem schwarzen, mit dicken Silberstickereien geschmückten Samtkragen des Rockes heraus. Die winzig kleinen - diesjährige Mode - roten, mit silbernen Biesen eingefassten Epaulettes saßen brillant. Noch ein halbstündiges Abbürsten durch den Burschen, ein paar Tropfen Parfum ins Taschentuch, das Zigarettenetui gefüllt - so - wo ist die Mütze? Hier! Vorsichtig wickelt sie der Bursche aus dem knisternden Seidenpapier aus. „Kaps-Mütze“ hieß sie. Nach einem Fabrikanten gleichnamigen Namens, der in Breslau saß und dort diese Wunderwerke baute. Die fama behauptete, dass sie ihr Entstehen einer Idee des Kronprinzen verdankte, und es war daher Ehrensache, dass jeder Offizier aus Breslau mindestens eine solche Mütze bezog. Ein geradezu unwahrscheinlich herrliches Ding. Das Reglement sah bekanntlich niedrige flache Tellermützen vor, Modell 1880. Herr Kaps hatte aber folgendes Monstrum daraus gemacht (siehe Zeichnung)- also ein Traum!
Die Mützen waren so herrlich, dass Rotthard vor einigen Wochen sich verpflichtet gefühlt hatte, diesen "Unfug" zu verbieten. Wir tobten! Ein Besuch des Bummels auf dem Breiten Wege war dadurch ein Ding der Unmöglichkeit geworden und es hätte um ein Haar zu einer Palastrevolution geführt. Denn alle Kameraden der anderen Regimenter stolzierten dort in diesen Prachthauben herum - sollten wir vor ihnen als Barbaren erscheinen? Eine Gegenaktion wurde geplant und energisch durchgeführt. Der gesamte Leutnants-Tross zog eines Tages zu einem kleinen Soldaten-Schneider in der Friedrichstadt und bestellte sich dort eine "vorschriftsmäßige" Mütze. Allerdings mit der Variation, dass die angegebenen Maße noch eigenmächtig um ein Bedeutendes verkleinert wurden. Es entstand dadurch ein Zündhütchen, das geradezu lächerlich komisch aussah...... ....... An einem bestimmten Tag, als alle vier Kompanien auf dem Kasernenhof exerzierten, erschienen wir Leutnants dazu in diesem seltsamen Aufzug. Kurz darauf kam Rothard zu Pferde angaloppiert und musterte uns verdutzt. "Herr Leutnant! Was haben Sie denn da für eine eigentümliche Mütze auf? "
" Die vorschriftsmäßige Mütze, Herr Major!"
" So!... So!... So!... " Mehr vermochte der Überraschte nicht zu stammeln und ritt in tiefen Gedanken fort. Er wusste nicht, was er machen sollte. Denn die in der Bekleidungsvorschrift angegebenen Mützen sahen tatsächlich so aus, und waren auch tatsächlich so in den achtziger Jahren Mode gewesen. Die Zeit schritt zügig fort, nur das Reglement hatte keine neue Bearbeitung und keine Neuauflage erlebt. In Folge dessen waren auch die Mützen im Lauf der Jahrzehnte "von alleine" gewachsen, so dass auch Rotthardt streng genommen eine unvorschriftsmäßige "Behauptung" trug. Und als er uns nun mit dem noch absichtlich verkleinerten Hütchen sah, glaubte er das Urbild des Regiments zu erkennen, schlug an seine Brust, ging in sich und wandte sich mit Grausen. Beruhigt wurden nun die Kaps-Mützen wieder hervorgeholt, allerdings vermied man es, dem Gewaltigen damit absichtlich unter die Augen zu treten.
Heute wollte man es aber geschlossen riskieren, um sich Generalpardon für die Zukunft zu verschaffen. Wohlgemut, der Redakteur der Weihnachtszeitung, hatte darin ein entsprechendes satirisches Bild gezeichnet, welches das letzte Eis zum Schmelzen bringen sollte. Fröhlich pfeifend, mit den Händen in den Hosentaschen, sprang ich die Treppe hinunter, ein paar Schritte über den Hof, wohin schon die Musiker mit ihren ungeschlachten Instrumenten eilten - und die behaglich erwärmte Halle des Kasinos nahm mich auf. In allen Ecken und auf allen Treppen und Stufen standen Hilfsordonnanzen in weißen Jacken herum, die ungeschlachten Hände in ebensolche Handschuhe gezwängt, und spähten ängstlich und nervös nach Opfern aus, denen sie ihre in Hilfe anbieten konnten. Ein Geruch von verbranntem Tannenzweig zog durch das schöne, weitläufige Gebäude, überall waren gemütliche Ecken - sprich "Saufecken" - gemacht, hinter jedem Bild und an allen Wänden und prangten Tannenzweige, feenhafte Beleuchtung überall, von Weiten das Summen und Zirpen der Instrumente, die von den Musikern gestimmt wurden und durch die weit geöffneten Türen aller Räume wogte das fast vollzählig schon versammelte Offiziercorps durcheinander. Rasch in der Toilette noch ein Blick in den großen Wandspiegel geworfen - alles war comme il faut - ! dann hinein in die Masse.
Im Rauchzimmer hielt Major Rotthardt Circle ab. Leutselig plauderte der Gewaltige hier mit seinen vier um ihn herumdienernden Kompanieschäfern. In lebhaftem Tempo geht es bis auf drei Schritte an den Mächtigen heran, Hacken zusammenschlagen, Verbeugung, die offizielle Begrüßung, ein gnädiges Kopfnicken und dann geht es in die Ecke zu den Leutnants, die "höchst verbrecherlich, finden alles lächerlich!"
Leutnant Körting rast wie ein Wilder durch das Lokal. "Schant Dörge" atemlos mit zwei Ordonanzen hinterher. Hier wird ein Tisch, dort ein Stuhl umgestellt, dort ein Tannenzweig etwas malerischer gesteckt und zwischendurch die Ordonanzen mit guten Ratschlägen vollgestopft. Körting segelt auf uns zu. " Also meine Herren, dass das nachher klappt! Sie nehmen den Major Klutentreter in Arbeit, Sie beschäftigen sich mit dem katholischen, sie mit dem evangelischen Divisions-Christus, Sie nehmen den Herrn X, Sie den Y unter Ihre Fittiche. So wie es besprochen war. Verstanden?"
"Jawohl! Jawohl! Wird gemacht! " ertönt es aus unserer Leutnantsgruppe bereitwilligst. Denn das Fest kann natürlich nur klappen, wenn Theater gespielt wird und wenn in diesem Theater vor allen Dingen alle Herren mitspielen. Oberster Grundsatz im Kasino ist: Jeder Gast, der diese heiligen Hallen betritt, muss sich vorkommen, als ob er unter lauter guten alten Bekannten ist. Aus diesem Grunde betrachtete also jeder Offizier es als eine Ehrenpflicht, sich in erster Linie den Gästen zu widmen und denen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Nun ist es ja immerhin in einer großen Gesellschaft möglich, dass ein Gast im Laufe des abends - wenn es sich auch nur um Sekunden handelt - allein ist oder keinen Gesellschafter hat. Aus diesem Grunde erhält jeder Eingeladene sozusagen einen stillen Adjutanten, der das Opfer wie ein Detektiv überwachen muss. Dieser darf den Gast nicht aus den Augen lassen. Und wird neben ihm zum Beispiel nach dem offiziellen Teil der Tafel ein Stuhl frei, dann hat er die Pflicht, sofort Kameraden und alles im Stich zu lassen und sich neben den Betreffenden zu pflanzen und ihn auf das Liebenswürdigste zu unterhalten.
Und jeder Eingeladene geht dann mit dem Gefühl am anderen Morgen nachhause: "Nein, sind das aber nette Leute! So ein nettes Fest habe ich noch lange nicht gefeiert! "
Diese Maßregel ist absolut notwendig, denn jedes Offizierkorps hat unter seinen Gästen eine Anzahl " enfants terribles", die niemand leiden kann oder die niemand kennt, die man nie einladen würde, die man aber aus Höflichkeit auffordern muss. Und natürlich kommen sie immer prompt. Das sind in erster Linie uralte Obersten und Majore a.D., die vor 30 Jahren mal im Bataillon gestanden haben und die nun durch irgendeinen Zufall ihre Tage in der Großstadt beschließen. Sie sind meist sehr leutselig, aber der unglückliche "Leute", der neben sie gepflanzt wird, hat immer nur mit lauter Stimme "Jawohl, Herr Oberst!" zu sagen, und pflichtschuldigst zu jedem Satz zu lächeln. Denn diese alten Herren reden meist unterbrochen. Und jede Geschichte beginnt meist mit den Worten: "Als ich noch so ein junger Dachs wie Sie war... " (Das halten auf die Dauer auch die stärksten Leutnants-Ohren nicht aus!!!)
Von diesen alten Obersten gab es bei uns mehrere, die schönste Type war aber entschieden " Herr Major Klutentreter". Kein Fantasiegebilde, sondern so hieß der Herr tatsächlich. In Wirklichkeit lautete sein Titel " Festungs-Bau-Major ", aber in der Bescheidenheit ließ er die beiden ersten Worte fort und stellte sich damit mit unserem Major auf eine Stufe. Zu dessen grässlichstem Entsetzen. Herr Klutentreter war im Jahr 1865 als einfacher Pionier- in die Armee getreten, hatte natürlich 70/71 mitgemacht, dann die Festungsbau-Karriere eingeschlagen und sich in 40 bis 50-jähriger Dienstzeit bis zum Festungsbau-Hauptmann aufgearbeitet, in welcher Stellung er bei seinem Abschied mit dem Titel " Festungs-Bau-Major " für seine musterhaften, pflichtgetreuen Dienste belohnt worden war. Er konnte mit Recht auf sich und seine Tüchtigkeit stolz sein. Und das war er auch, leider machte er den kleinen, aber verzeihlichen Fehler, das fortgesetzt immer wieder zu betonen, so deutlich, dass der Leutnant, dem nichts im Leben heilig ist, in dem ehrwürdigen alten Herren mehr einen Gegenstand der Belästigung als der Ehrfurcht sah.
Herr Klutentreter war also auch heute Abend wieder wie üblich derjenige, der als erster der Geladenen erschien. Leutselig grüsste er die Klasse der Leutnants und fast widerlich unterhielt er sich mit Rotthardt. In einer Ecke wurden die ersten faulen Witze gemacht. Jetzt strömten die Gäste förmlich herein. Der schwarze Samtkragen überwog, ein paar rote Infanteriekragen glänzten hier und dort auf.
Auch die ersten Zivilisten erschienen und bald tobten etwa 80 Personen durch die lichtstrahlenden Räume. Aber es war eine etwas gezwungen Heiterkeit. Rotthardt spähte alle Augenblicke nach der Tür, vor dem Haus hatte er einen Leutnant postiert als Beobachtungsoffizier, denn "Er", die Krone des Festes, war immer noch nicht da!!.
"Exzellenz sind eben vorgefahren!" Damit stürzte Arnade, der sich für solche Dienerposten immer gut eignete, atemlos ins Empfangszimmer. Spornstreichs und sporenklirrend verließ Rotthardt das Zimmer mit den vor Wichtigkeit platzenden Hauptleuten. Einige höhnisch grinsende Leutnants, denen ja nie etwas heilig ist, folgten langsam. Auf der Diele großer Empfang. Excellenz Falkenhayn, "unser Erich", Majestäts schickster General, wie er in der Garnison allgemein genannt wurde, tigerte eben im Mantel und Umhang, das unvermeidliche Monokel an der schwarzen Schnur im Auge, die Treppe hinauf. Hackenklappen, Vorbeugung, Falkenhayn zwei Finger an der Mütze: " Mein lieber Herr Major! Sehr erfreut... Unverständliches Gemurmel, Händedrücke, atemloses Schweigen und dito Stille, Ordonanzen stehen wie entgeistert herum. Ein General ! Nein! Ein richtiger General!
Exzellenz legen ab. Tadellos! Ein Blick in den Spiegel, " Erich" zieht seinen Waffenrock fest und, eskortiert von fünf Offizieren, betritt er den Salon. Jede Unterhaltung ist dort schon seit fünf Minuten nur im Flüsterton geführt worden. "Ein General! Ist es denn zu glauben! Ein General!" Kaum überschreitet er die Schwelle, auf die alle ihre Augen geheftet haben, so knicken 60 bis 70 Männer fast bis zum rechten Winkel zusammen. Die Zivilisten hätten sich am liebsten auf dem Bauch gelegt. Ein General! Heil uns! Er wird an unsere Tafel tafeln! Mit einer einzigen großzügigen Handbewegung stellt Rotthardt dem Erlauchten das Volk vor, so als ob er sagen wollte: "Da, sieh Dir den Mist an!" Erich lächelt und grüßt nach allen Seiten, wohin er sieht, knicken die Leute zusammen wie das Korn unter der Sense. Einige Herren werden ins Gespräch gezogen. So die üblichen Fragen wie bei den Rekruten-Besichtigungen: "Wie heißt Ihr Vater? Lebt Ihre Mutter noch? Welche Stiefelnummer haben Sie? Sind Sie mit dem Essen zufrieden?“ - Aber jeder Angeredete ist hoch beglückt. Ein General hat mit ihm gesprochen! Und was für einer!
In diesem Augenblick reißen die Ordonanzen die Flügeltüren auf, mit einem rauschenden Marsch setzt die Musik auf der Empore ein, das Volk formiert sich, und unter Vorantritt seiner Glückseligkeit geht es in den großen Speisesaal ab. Hufeisentafel, feenhaft dekoriert, jeder freier Raum ist mit kleinen Tischen besetzt. Wirklich, die Kasino- Kommission hat sich angestrengt. Vom Besten das Beste! Das schwerste Silber, das schönste Kristall, eine erlesene Wein- und Speisekarte, auf die sich sofort der gefräßige Leutnant stürzt.
"Ach, da hinten steht ja der Baum! Janz hübsch! Ein dolles Ding! Zu Fressen hat Lotze natürlich nichts reingehängt!" - so schwirrt es durcheinander. Und unterdessen laufen die Ordonanzen. Vor Aufregung haben die Hilfskräfte einen dicken, schweißbedeckten Kopf, und balancieren ängstlich die Suppenteller in den weißbehandschuhten Händen.
Die Tafel steht zum Brechen voll Wein, der Rotspohn, in den schönen, silbergeschmückten Kristallkaraffen, den Erinnerungsgaben versetzter und verabschiedeter Offiziere. Heute ist "Repartitionssaufen". Das heißt, die gesamten Unkosten an Getränken werden gleichmäßig verteilt. Also heißt es, sich dran halten! Ob man eine oder 10 Pullen trinkt, ist gleichgültig, berappen muss jeder später gleich viel. Also: denn mal Prost! Und bald herrscht überall die gehobenste Stimmung. Um den General kümmert sich der Leutnant nicht mehr. Ein Glück, wer eine gemütliche Ecke gefunden hat. Das heißt, möglichst weit ab von der Klasse der Hauptleute und Stabsoffiziere und möglichst weit ab von unangenehmen Gästen, mit denen man sich langweilt. Da ist zunächst der alte Zahlmeister Andrä, der nur in seinen Zahlen lebt, unheimlich säuft, und nie einen Ton redet. Oder die beiden Divisionsgeistlichen, mit denen sich nie ein Kontakt herstellen lässt, oder Klutentreter, der jede Geschichte selbstgefällig mit den Worten anfängt: "Als ich noch gemeiner Soldat war... "
Da geht es an unserer Leutnantsecke doch lustiger zu. Wir fühlen uns absolut als Herren der Situation, sind sorglos glücklich und leeren mit Bieneneifer unsere Butelljen. Nach dem dritten und vierten Gang wird es schon überall recht lebhaft und laut. Rotthardt, der keinen Alkohol verträgt, macht bereits seine typischen Handbewegungen beim Erzählen, die darauf hindeuten, dass er recht bald "in Form" sein wird.
Das Dessert ist vorbei, die Musik war unermüdlich, und vollgegeßen bis an den obersten Waffenrockknopf erhebt sich auf ein Zeichen Rotthardts alles, um in den anstoßenden Zimmern den Kaffee zu "nehmen". Überall bilden sich plaudernde Gruppen mit roten Köpfen, die Stimmung ist glänzend, alle möglichen bon mots von Falkenhayn machen die Runde. Ordonanzen eilen mit Likören und Zigarren. Falkenhayn mischt sich leutselig unter die Leutnants. Auch ich werde mit einer Ansprache beehrt. "Ob ich mich amüsierte?" „Gewiss, Euer Exzellenz, danke ganz gehorsamst, ausgezeichnet!" Als ob er das nicht selbst gesehen hätte!.
Unterdessen haben die Ordonanzen den Speisesaal aufgeräumt, gelüftet und die Tafel umrangiert, die Bahn zu neuen Taten ist frei. "Na, nu wird’s endlich gemütlich!" konstatiert der unersättliche Leutnant. "Kommen Sie, Wohlgemut, Tröbst, Gottschalk - wir setzen uns jetzt zusammen", erklärt Schultz, "jetzt wollen wir erst mal richtig einen schmettern!"
Tisch und Rangordnung ist aufgehoben. Gute Freunde und Genossen setzen sich zusammen, die Musik spielt ununterbrochen, "der Mutter Ehrenweine werden preisgegeben, es geht jetzt her wie auf dem Heidelberger Schloss!" Mit anderen Worten: es wird "maßlos gesoffen", wie der terminus technicus heißt. Denn jeder will sich so bald wie möglich die Unterlage schaffen, die unbedingt nötig ist, um die " Weihnachtszeitung" und die anschließende Verteilung der Geschenke geduldig hinnehmen zu können. Denn die "Weihnachtszeitung", deren Chefredakteur und Drucker in einer Person Wohlgemut ist, stellt eine einzige große Anödung dar, die eigentlich nur noch durch die Verteilung der so genannten Weihnachtsgeschenke übertroffen wird.
Der große Moment ist endlich da. Leutnant Hauff teilt die Zeitung mit einer kleinen humoristischen Ansprache aus und liest dann den Inhalt vor. Sie behandelt wie üblich alle im Lauf des Jahres eingetretenen Ereignisse im Offizierscorps in sehr deutlicher und sehr satirischer Form. Jeder bekommt seinen Teil weg und jeder erhält dazu ein kleines Geschenk, das den Betreffenden lächerlich machen soll. Schlechte Schützen ein Kindergewehr, Hauptmann Hölscher, der den "Turnfimmel" hat, ein kleines Reck mit einem daran turnenden Kasper und so weiter und so weiter. Diese harmlosen Anödungen tragen natürlich sehr zum Heben der Stimmung bei, die bereits Formen angenommen hat, die man gelinde gesagt als "bedenklich" bezeichnen muss. Nur die Anwesenheit Falkenhayns wirkt noch einigermaßen besänftigend. Und alles was noch halbwegs klar ist, hegt nur den einen Wunsch: "Wenn der Kerl doch nun endlich gehen wollte"!..... .........Endlich tut er uns den Gefallen. Alles springt auf, Hackenklappen, Sporenklirren, tiefe Vorbeugungen, eskortiert von dem stark schwankenden Rotthardt wird der große Mann hinauskomplimentiert. Das Barometer des Jubels steigt auf 40 Grad. "Na, Gott sei Dank, dass der Kerl weg ist, jetzt wollen wir uns aber endlich mal amüsieren". Lachen, Jubeln, Gläserklirren, Musik, "Prost"-Rufe, "Ordonanz!"-Schreien, tanzende Paare, irgendwo hält einer eine Rede, irgendwo wird Geschirr zertrümmert, rote Köpfe, Zigarrenrauch, Hochs und nochmals Hochs! Weiß der Teufel, auf wen, brüllendes Gelächter auf einmal im ganzen Saal, einzelne Rufe: " Na, nu wird’s gut!" „Nu Wird's gut!" „Bravo! Feste!" Rotthardt erscheint, eine Zivil-Fuchsmütze mit unwahrscheinlich langem, waagerecht abstehendem Schirm bis über Augen und auf die Ohren herabgezogen - sie ist Eigentum eines eingeladen Bördegutsbesitzers . Er schleppt die große, dreiteilige spanische Wand aus der Garderobe hinter sich her. Ihm zur Seite die beiden Leutnants Redlich vom Regiment 26 und 66, zwei Vettern, die größten Betriebsrüben der Garnison. Rotthardt klettert auf einen Stuhl, die spanische Wand wird um ihn von den beiden gestellt - eine Art Kanzel ist fertig, die dem Major etwa bis an die Stelle reicht, wo normalerweise das Herz sitzt. Er rückt sich die Mütze etwas zurecht und blickt mit weinseligen Augen einen Moment strahlend über die Tafelrunde.
" Nein, aber das ist doch eigentlich unglaublich! " murmelt in diesem Augenblick irgendwo irgendjemand!
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Wenn wir nüchtern gewesen wären, hätten wir anderen sicher dasselbe gesagt. Der unglaubliche Mann fing nämlich an zu predigen. Wie ein Pfaff! Da war ja nun schließlich nichts weiter dabei, denn es war Weihnachten, aber er kopierte dabei in einer geradezu glänzenden Art und Weise den evangelischen Divisionsgeistlichen, der ihm schräg gegenüber an der Tafel saß und dessen Salbadereien wir so oft im Dom hatten anhören müssen. Der Jubel der Zuhörer erreichte seinen Höhepunkt, als Rothard bei einer Kraftstelle das Übergewicht verlor und samt seiner spanischen Wand vornüberkrachend auf die große Tafel fiel. . " Klickeridoms! Machte das Geschirr, Gläser und Pokale fielen um, Wein ergoss sich über das Linnen, Teller und Geschirr tanzte herum und alles rief Hurrah.
" Das hat er mal wieder glänzend gemacht! " urteilte ein besonders Begeisterter. In einem Knäuel von Menschen wurde der dicke Mann vom Boden aufgeklaubt, und auf die Schultern genommen. "Herr Fuchs! Präsentiermarsch! " Und unter den Klängen unseres alten, schönen Marsches wurde der Strampelnde im Triumph durch alle Räume getragen und wieder auf seinen Platz gesetzt.
Es ging auf ein Uhr. Ein Teil der Gäste hatte sich bereits verabschiedet, es wurde Platz zum Tanzen. Deklamateure, Klavierkünstler und Redner traten auf. Die Zecherei wurde von Minute zu Minute schlimmer. Die Fröhlichkeit konnte schon nicht mehr überboten werden. Die unglaublichsten Bowlen und die stärksten Sekt- Mischungen wurden zusammengebraut. Gegen 3:00 Uhr wurde der Hauptteil der Musik entlassen, acht Streichmusiker im Salon plaziert. Natürlich wollte Rotthardt sofort das Dirigieren einer Nummer übernehmen, auch hier verlor er das Gleichgewicht und purzelte in die kleine Kapelle hinein. Jäh brach sie ab, hilfsbereit stürzten Ordonanzen und Leutnants herbei und suchten den Kommandeur aus dem Wust der umgefallenen Notenpulte und der flatternder Notenblätter zu befreien.
Jetzt war es höchste Zeit, den völlig außer Rand und Band Geratenen nachhause zu transportieren. Der Krümperwagen fuhr vor, acht Leutnants "der edelsten Geschlechter" trugen die selig lallende Leiche, die Musik eröffnete den Zug mit dem schönen Lied " Ach, nun trinkt er keinen Rotspohn mehr ", und die übrigen Säufer folgten tief erschüttert mit brennenden Wachskerzen in der Hand. So ging es durch den stillen Garten, der Präsentiermarsch wurde noch einmal gespielt, alles nahm Paradeaufstellung , die Leiche wurde verstaut, ein Hauptmann geleitete - pardon- überführte sie nach Hause. "Hurrah! II Hurrah! Hurrah! !" Es war wie bei Kaisers!
Im Sturmschritt ging es ins Kasino zurück, die letzten Gäste verschwanden und nur etwa 15 bis 20 Dauerhafte hielten aus. Das schöne Lied, dass jedes Mal das Zeichen zum "Zusammendrücken" angab, wurde angestimmt: "Wir konzentrieren uns, wir konzentrieren uns, auf einen Punkt.. Und so weiter - nach der schönen Melodie: "Heil Dir im Siegerkranz!" Es wurde weiter gezecht und weiter Unfug getrieben. Es ging auf 5, als auch der letzte fremde Etranger von Auswärts abgebröckelt war. Nur wir vier Kasernen-Bewohner hielten das Banner noch aufrecht. Den großen Saal hatten wir längst geräumt und uns ins Lesezimmer zurückgezogen, wo wir apathisch in den Klubsessel lagen, alle Viere von uns streckten und Schwedenpunsch mit schwedischen Platten genossen. Das sollte immer gut für die Gesundheit sein.
Allmählich kroch der graue Morgen herauf, wir brachen auf, und eingehenkelt bummelten wir singend und krakehlend der schlafenden Kaserne zu. Im Parterre bei Gottschalk stärkten wir uns noch einmal für die Mühe des dritten Stocks mit Danziger Goldwasser, in jeder Etage wiederholte sich das gleiche, bis Wohlgemut voraussichtlich alleine bei sich oben gut angekommen war. Das Ganze geschah natürlich rein mechanisch und völlig besinnungslos, und als am anderen - oder am selben Morgen - der Bursche am Bett stand: "Herr Leutnant! Aufstehen! !“- und als man mit am Gaumen klebender Zunge seinen Ölkopf fühlte und die wild im Zimmer herum liegenden Uniformen musterte, dämlich und verschlafen, da hatte man die tröstliche Gewissheit:
Ich bin jetzt beim durchstöbern dieser Seiten beim Pionierbataillon 4 angekommen. Vor ein paar Jahren hatte ich direkten Kontakt zu Mario Tröbst und freue mich für ihn, dass er die Tagebücher seines Opas offensichtlich "übersetzen" konnte und einen großen Teil der Öffentlichkeit zugänglich macht. (Unmengen handgeschriebener Tagebücher). Ich habe damals ein paar Leseproben von ihm erhalten und war begeistert mit welcher Lebendigkeit sein Opa das Militärleben beschreibt. Besonders die Stellen welche Magdeburg betreffen waren natürlich köstlich. Man fühlt sich richtiggehend in einer Zeitmaschine. Mit Genehmigung von Mario schrieb ich damals die Volksstimme an und beschrieb ihnen den Zeitzeugen. Die VS hätte nur mit Mario Tröbst Kontakt aufnehmen brauchen (hätte ich auch vermittelt), aber es passierte nichts, nicht mal eine Antwort. Auch ein weiterer Versuch scheiterte. Schade, aber eventuell passte es nicht ins Weltbild eines Redakteurs. Dabei finde ich die Beschreibungen weder militaristisch noch in irgendeiner Form nationalistisch. Ein hervorragender Zeitzeuge. Marios Opa beschrieb auch Feiern im Casino. Durch einen kleinen Trick gelang es mir, die Räumlichkeiten mal zu begehen. Das Gebäude als solches steht ja noch. Man wird es nicht glauben, aber ich hatte das Gefühl das Klirren und Klappern des Geschirres immer noch wahrzunehmen. Sein Opa beschreibt einen Weinkeller, dort wurde oft getrunken. Den Keller gibt es noch....nur ein beschriebener Fahrstuhl für Speisen fehlt inzwischen. Ich wünsche Mario viel Glück bei der Verwaltung des Nachlasses.
Es gibt drei Sorten von Menschen: Die Lebenden, die Toten...und die Seefahrer