Die Inbesitznahme der Stadt Bernburg durch die Amerikaner am 16. April 1945
von Dr. jur. Ernst Eilsberger
Anfang Februar 1945 hatte die russische Armee auf ihrem Vormarsch in Richtung Berlin den Oderstrom bei den Städten Frankfurt und Küstrin erreicht. Hier machte sie zunächst Halt - wie es schien, um Verstärkungen für ihren geplanten frontalen Großangriff auf die Reichshauptstadt heranzuziehen und ihre Flanken nach Nord und Süd genügend zu sichern, dann aber wohl auch, um ein näheres Heranrücken der Amerikaner und Engländer von Westen her abzuwarten. Deutscherseits glaubte man letzteres aus Auslandsnachrichten folgern zu dürfen, nach denen die Grenze zwischen den künftigen Besatzungszonen der Russen und der Angloamerikaner die Elbe bilden sollte. Anfang April stand der Russe immer noch fest in der Oderstellung östlich von Berlin. Die angloamerikanische Armee war inzwischen, nachdem sie Anfang 1945 den Rhein überschritten hatte, mit zahlreichen Panzerverbänden und nachfolgenden Truppeneinheiten nach Osten weit in das Deutsche Reich vorgestoßen. In Mitteldeutschland war sie um den 10. April bis an die Elbe bei Magdeburg und Barby gelangt. Hier endete zunächst ihr Vormarsch. Man nahm auf deutscher Seite an, der Stillstand bezwecke, daß die südlich anschließenden noch im Raume Halberstadt-Nordhausen stehenden gegnerischen Verbände gleichfalls erst an die Elbe, in die Linie Aken-Dessau heranrücken sollten. Dabei glaubte man freilich annehmen zu dürfen, daß auch in der Linie Aken-Dessau die Elbe noch die Grenze der künftigen Besatzungszonen bilden sollte. Doch wenn man auf der Landkarte sah, daß bei Aken der Lauf der Elbe, stromaufwärts verfolgt, einen scharfen Knick von Süden nach Osten macht, so lag die in Blättern der Alliierten wiederholt erörterte Möglichkeit nahe, daß als Grenze der Besatzungszonen südlich von Magdeburg ein ebenfalls weiter nach Süden gerichteter Flußlauf gewählt werden mochte, vielleicht die Saale, oder auch die Mulde. Jedenfalls aber führte der Weg der aus dem Raum Nordhausen-Halberstadt nach Osten vorrückenden Angloamerikaner über Bernburg. Die Stadt Bernburg Anfang April 1945 mit ihren Verteidigungsbehörden, dem Kampfkommandanten, dem Oberbürgermeister, dem Kreisleiter. Somit war die Lage der Stadt Bernburg am 10. April, dem Tage, an dem wir unsere Schilderung beginnen, unstreitig, eine sehr Ernste. Der am 8. April von dem Gauleiter Jordan in Dessau, in seiner Eigenschaft als Reichsverteidigungskommissar, ernannte „Kampfkommandant der Stadt Bernburg“, Oberstleutnant Schnitter, dem in Sache der Stadtverteidigung der Oberbürgermeister der Stadt Bernburg Eggert und der Bernburger Kreisleiter Himmerich unterstellt waren, sah sich vor einige schwierige Aufgabe gestellt. Die Hauptsorge bildete dabei die Frage, ob sich der allgemeine Befehl des Oberkommando der Wehrmacht zur „Leistung äußersten Widerstandes“, der in den letzten Tagen, wie es in Bernburg hieß, durch den Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar dem Kampfkommandanten schriftlich und telefonisch noch besonders eingeschärft war, überhaupt durchführen ließ.
Kampftruppe und Waffen in Bernburg. Denn seit 2 Wochen war Bernburg von allen irgendwie kampffähigen Truppen entleert. Unter dem Kommando des Kampfkommandanten, der hauptamtlich Leiter des Wehrmeldeamtes Bernburg war, standen lediglich 10 a. v. (arbeitsverwendungsfähige) Soldaten mit 5 Gewehren und 2 Pistolen zu je 5 Schuß. Der Oberbürgermeister verfügte nur über eine verhältnismäßig geringe Zahl von Polizeimannschaften und Feuerwehrleuten, die nach den bestehenden Vorschriften ausschließlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zum Feuerschutz in der Stadt bestimmt waren. Einzig und allein der Kreisleiter hatte ein umfangreicheres Personal zur Hand, sein Stab zählte etwa 30 Köpfe, der ihm unterstellte Volkssturm war etwa 600 Mann stark; ihm unterstanden ferner die Parteiorgane in Bernburg, auch durfte er auf Unterstützung durch die Mitglieder der Partei und der HJ in Bernburg rechnen. Dem gegenüber war jedoch sein Bestand an Waffen außerordentlich gering. Wenn wir 60 Gewehre, 40 Pistolen und 10 Panzerfäuste rechnen, werden wir wohl bereits zu hoch gegriffen haben. Die Kampffähigkeit einzelner Volkssturmmänner und HJ-Mitglieder in allen Ehren ! - aber mit einer kampffähigen Mannschaft von höchstens 200 Köpfen läßt sich kein „äußerster Widerstand“ gegen einen weit überlegenen kampferprobten Gegner leisten. Andere Verteidigungsmittel: Panzersperren, Brückensprengung. Solche dürfen auch der Kampfkommandant, der mit seinen 10 Bürosoldaten begreiflicherweise engere Fühlung an den Kreisleiter suchte, aber auch der Kreisleiter selbst, wenn er die Kampfkraft seiner ziffermäßig hohen Zahl an Mannschaften richtig einzuschätzen verstand, wohl erkannt haben. Sie mußte deshalb andere Verteidigungsmittel anwenden, wenn sie sich irgendeinen Erfolg von der Verteidigung versprechen wollten: Nach dem Vorgang anderer Städte im Osten und Westen und nach den Beschlüssen einer Gauleiter-Konferenz vom 4. April kamen als solche Verteidigungsmittel in erster Linie Panzer-Straßensperren in Frage, und sodann äußerstenfalls Brückensprengungen, oder beides vereint, alles aber selbstverständlich unter gleichzeitigem Einsatz der wenigen verfügbaren bewaffneten Kampfkräfte. Zuständigkeit für Vorbereitung und Durchführung der Straßensperren und Brückensprengungen. Handelte es sich bei der Frage der Verständigung der Stadt durch Personal und Waffen in erster Linie um eine gemeinsame Aufgabe des Militärs und der Partei, woraus sich insoweit die enge Zusammenarbeit des Kampfkommandanten mit dem Kreisleiter erklären ließe, so war die Errichtung von Sperren in städtischen Straßen und gar die Sprengung städtischer Brücken eine über die Parteizuständigkeit hinausgehende Angelegenheit, die tief in die städtischen Belange eingriff, und die der Kampfkommandant demgemäß mit dem Oberbürgermeister hätte regeln sollen. Der Kampfkommandant zog es indes vor, auch in diesen Fragen vornehmlich mit dem Kreisleiter zusammenzuarbeiten, wenngleich dieser mit der Verwaltung der Stadt Bernburg nichts unmittelbar zu tun hatte und seine Einflußnahme auf städtische Angelegenheiten sich nur unmittelbar durch die Parteiorgane und Parteigliederungen, wie Ortsgruppenleiter, HJ-Führern u. dgl. Der Kampfkommandant glaubte anscheinend von dem Kreisleiter leichter die Erfüllung aller seiner militärischen Wünsche zu erlangen; unterstanden doch überdies beide dem gleichen Vorgesetzten: der Kampfkommandant dem Gauleiter Jordan in dessen Eigenschaft als Reichsverteidigungskommissar, der Kreisleiter demselben Gauleiter als seinem Parteioberen. Der Oberbürgermeister dagegen war ein vom Staate, wenn auch mit Zustimmung der Partei, bestellter Beamter, der unter selbstverständlicher Voranstellung seiner Vaterlandpflichten die Interessen seiner Stadt zu vertreten hatte. Es war an sich schon ein richtiger Gedanke gewesen, der im 5. Kriegsjahr, angesichts des ständigen Vorrückens der Alliierten in die deutschen Lande von Ost und West, zu der Bestellung der Reichskommissare in der Person der Gauleiter führte. Denn da die im Laufe des Krieges an Zahl immer schwächer werdenden deutschen Truppen aus strategischen und taktischen Gründen bald hierin, bald dorthin geworfen werden mußten, konnte die Truppe zur dauernden Verteidigung eines Raumes oder Ortes - von den sogenannten Stützpunkten abgesehen - nicht längere Zeit an demselben Platze festgehalten werden. Der gegebene Raum, der Gau, mußte sich in erster Linie selbst zu verteidigen suchen, der Gauleiter wurde Reichsverteidigungskommissar für seinen Gau. Daß sich bei solcher Regelung leicht Übergriffe der Partei in militärische und behördliche Zuständigkeiten einstellen konnte, liegt auf der Hand. Wir werden solche Übergriffe auch in unsere Schilderung, der Bernburger Verteidigungsmaßnahmen feststellen können. Mitte März verlangte der Gauleiter in seiner Eigenschaft als Reichsverteidigungskommissar von dem Kreisleiter in Bernburg in dringender Form die schleunige Errichtung von Panzersperren in der Stadt. Zu gleicher Zeit überbrachte ein Pionierfeldwebel dem Kreisleiter die Vorschriften der Heeresverwaltung über die technische Ausführung von Panzersperren. Der Feldwebel stellte sich in der Woche vor Ostern - der letzten Märzwoche - an Hand der Stadtkarte und nach Besichtigung an Ort und Stelle die Plätze für 34 Panzersperren in der Stadt fest. Der von dem Feldwebel aufgestellte Plan wurde von dem Kreisleiter ohne weiteres genehmigt und von ihm dem Volkssturm zur schleunigen Ausführung übergeben. Die erste Arbeit des Volkssturms bestand in dem Fällen der benötigten Bäume. Inzwischen hatte der Oberbürgermeister, der in dieser Angelegenheit weder vom Gauleiter noch vom Kreisleiter befragt oder gehört war, von sich aus selbständig in dies eigenartige Vorgehen eingegriffen. Er gebot dem unkontrollierten Abhauen von Bäumen Einhalt und gab bestimmte Baumreihen oder Einzelbäume auf Straßen, Plätzen und Friedhöfen zum Fällen frei. Dann aber ließ er die von dem sich allmächtig dünkenden Feldwebel ausgewählten Plätze der Panzersperren daraufhin untersuchen, ob sie nach Umgebung und Untergrund für die Anlage von Panzersperren überhaupt geeignet waren. Es lagen offene Fehler vor. So war eine Panzersperre neben einem Lazarett geplant. Und noch jetzt sieht man mit Erstaunen, daß eine Panzersperre an dem Nienburger Torturm, einen altehrwürdigen Bauwerk, eine andere an dem neuem chemischen Laboratorium der Deutschen Solvaywerke, einem wertvollen modernen Gebäude mit unersetzlichem Instrumentarium, angelegt worden war. Hatte denn der Feldwebel nicht daran gedacht, daß eine Granate oder eine Fliegerbombe, welche die Sperre treffen sollte, leicht auch die anliegenden Baulichkeiten niedergerissen hätte? Und unter dem für Panzersperren aufzureißenden Pflaster lagen doch Röhren für Wasser, Gas und Strom, auf die Rücksicht zu nehmen war. Der gesunde Bürgersinn führte manchen Volkssturmmann, der die Arbeit verrichten sollte, zum Stadtbauamt um sich Rat zu holen. Da die Fertigstellung der Panzersperren dem Gauleiter zu langsam voranging, befahl dieser nochmals, soweit wir feststellen konnten, am 10. April, daß angesichts des schleunigen Vorrückens der Angloamerikaner die Sperren bis zum 15. vollendet sein müßten. Die Sperren sind, wie wir sehen werden, nicht zu ihrer beabsichtigten Verwendung gekommen, sodaß wir an ihnen selbst nicht erkennen konnten, ob sie im Stande gewesen wären, „äußersten“ Widerstand zu leisten, oder ob sie nutzlos zusammenbrechen mußten. Nach dem Urteil Sachverständiger war letzteres anzunehmen. Das Vertrauen der Bernburger Bevölkerung auf dies zu ihrem Schutz aufgebauten Verteidigungsmittel war im übrigen äußerst gering, so gering, daß bereits vor dem kritischen Tage, dem 16. April, einzelne Personen, insbesondere Frauen, die Sperren als nach ihrer Meinung völlig nutzlos, abzubauen begannen. Daß die Panzersperren nach dem 16. April sofort verschwanden, ist wohl der Verlockung der als Brennholz trefflich verwendbaren Baumstämme, sofort dem Umstande zuzuschreiben, daß es nach dem Einrücken der Amerikaner am 16. April keinen Kreisleiter und keinen Volkssturm, aber auch, zunächst wenigstens, keine Bernburger Polizei gab. Erdlöcher, Pflasterlücken und Steinhaufen kündeten noch 10 Wochen nach dem 16. April von dem Standort der Panzersperren; unzählige Baumstümpfe aber werden noch lange Jahre die Erinnerung an dies völlig nutzlose Verteidigungsmittel vom April 1945 wach halten, - wenn nicht etwa in kürzester Frist wegen mangels an Brennstoffen, auch diese häßlichen Stümpfe bis auf die Wurzel abgehauen sein werden. Auf Einzelheiten der Vorgänge, die sich am 15. und 16. April an den Sperren abgespielt haben, werden wir noch weiter unten zu sprechen kommen. Zunächst verfolgen wir in zeitlicher Folge die Bernburger Ereignisse vom 11. bis zum 16. April.
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Der Bombengroßangriff amerikanischer Flieger auf Bernburg am 14. 4. 1945. Die angloamerikanischen Flieger hatten während der ersten 5 Kriegsjahre die Stadt Bernburg in auffallender Bevorzugung mit Bombenangriffen verschont. Auf ihren zahlreichen Flügen nach Berlin, Magdeburg, Dessau, Halle, Leipzig, von denen wohl die Mehrzahl über Bernburg hinzog, waren im 5. Kriegsjahr 1944 nur vier Mal einige wenige Bomben, mehr wie durch Zufall, auf die Stadt selbst niedergefallen und hatten hier geringen Sachschaden mit insgesamt 4 Todesopfern verursacht. Weitere vier Angriffe erfolgten im Jahre 1944 noch auf den Bernburger Flugplatz, der zwar zum Stadtbezirk Bernburg gehört, aber doch weit außerhalb der bebauten Stadtlage, mehr in der Nähe von Neugattersleben gelegen ist. Bei diesen Angriffen, deren Ziel die auf dem Flugplatz liegenden Junkerswerke waren, wurden Wohnviertel der Stadt Bernburg nur in ganz geringen Umfang berührt. Der Sachschaden an den Junkerswerken war jedesmal erheblich. Beim ersten Angriff vom 20.2.44 betrug die Zahl der Toten 17, der Verletzten 48. bei den weiteren 3 Angriffen vom 11.4., 29.6., 7.7. wurden insgesamt 7 Tote und 11 Verletzte gezählt. Der Angriff vom 11. April 1945 aber war ein die Stadt selbst treffender Bombengroßangriff, der erste derartige, den die Stadt erlitten hat. Der Anflug der amerikanischen Maschinen erfolgte westlich von Bernburg in Richtung nach Süden, schwenkte im Süden von Bernburg ostwärts um und drehte dann zur endgültigen Angriffsrichtung Süd-Nord, längs der Eisenbahn Köthen-Bernburg ein. Der Angriff erfolgte in zwei getrennten Wellen um 10.20 Uhr und um 11.40 Uhr. Der Bombenabwurf geschah aus einer Flughöhe von etwa 2500 m. Die von den Deutschen Solvay-Werken aufgenommene und dann vom Stadtbauamt verkleinerte Kartenskizze macht es offensichtlich, daß das Ziel des Angriffs der Güterbahnhof Bernburg mit seinen zahlreichen Geleisen und Baulichkeiten zwischen der Eisenbahn Fußgängerbrücke in der Parkstraße und dem Empfangsgebäude des Bahnhofes war. Mit dem Angriff auf dem Bahnhof Bernburg verfolgte der Gegner anscheinend in erster Linie den Zweck, den begonnenen militärischen Aufmarsch deutscher Truppen in Richtung auf den Harz zu stören. Zu demselben Zweck wurden gleichzeitig auch die Bahnhöfe Aschersleben und Köthen lahmgelegt. Außer dem Bahnhof in Bernburg freilich wurde auch umfangreiches Nebengelände mit zahlreichen Wohngebäuden und mehreren Industrie-Anlagen, sowie der Friedhof II schwer getroffen und beschädigt. Endlich wurden auch auf ein kleines Geländestück, das auf dem jenseitigen Saaleufer in der Aue, etwa 300 m nördlich von der Saale und rd. 400 m östlich von der Eisenbahn gelegen ist, Bomben, in größerer Menge zusammengedrängt, abgeworfen. Man hatte beobachtet, daß von beiden Wellen gerade deren hinterste Maschinengruppe auf diese enge Stelle ihre Bomben niederwarf. Es war nicht ausgeschlossen, daß diese Bomben die Eisenbahnbrücke sprengen sollten, jedoch, durch starken Südostwind abgedrängt, ihr Ziel verfehlten, wobei es nur auffallen mußte, daß zwei getrennte Maschinengruppen dasselbe kleine Geländestück am allerdichtesten mit Bomben belegten: 29 Trichter wurden hier gezählt, d.h. auf den Hektar gerechnet 56. Die Dichtigkeit der Bombenabwürfe mit Trichterbildung, ebenfalls auf den Hektar umgerechnet, betrug für die Hegebreite und Teil des Bahnhofes 22, für die Baulichkeiten in der Stadt 14 bis 17, für den Friedhof und Teile des Bahnhofs 9 bis 12 Trichter. Es wurden durchweg nur Sprengbomben, keine Brandbomben abgeworfen. Der erste Teilangriff (10.20 Uhr) erfolgte in 6 Pulks zu je 6 Maschinen, der zweite (11.40 Uhr) anscheinend in 7 Pulks zu je 6 Maschinen. Wenn wir annehmen, daß jede Maschine 6 Bomben abwarf, sind im ganzen (6x6x6)+ (7x6x6) = 216+ 252 = 468 Bomben abgeworfen. An Trichtern wurden im ganzen 306 gezählt. Von den Trichtern entfielen etwa 90 auf das Bahngelände, 29 auf die Aue, der Rest mit 187 auf Friedhof II, Parkstraße, Bahnhofstraße, Martinsplatz, Hegestraße, Hegebreite. Die meisten Trichter hatten eine Tiefe von 3 bis 5 m unter Erdniveau, mit Randaufwürfen von ¼ bis ½ m, sowie einen Durchmesser von 6 bis 8 m. Solche Maße entsprechen einem Sprengstoffgewicht von 500 kg. Doch wurden auch schwerere Bomben abgeworfen, worauf Trichter mit 15 m Durchmesser und 8 m Tiefe schließen lassen. Wir geben noch Einzelheiten über die durch den Bombengroßangriff verursachten Verwüstungen und Zerstörungen und sprechen zunächst vom Bahnhof. Die Zerstörung des Güterbahnhofs. In der Höhe von Martin- bis Neuestraße wurden sämtliche Haupt- und Nebengeleise zerstört, und insbesondere auch das Bahnbetriebswerk mit seinen Lokomotiven, Werkstätten, der wichtigen Drehscheibe, der Wasserversorgung und Bekohlung restlos außer Betrieb gesetzt. Etwa 50 Güter- und Personenwagen wurden total zerstört. 180 Güterwagen brannten aus oder wurden schwer beschädigt. Von der Gewalt der Sprengung zeugt ein noch 10 Wochen nach dem Angriff in der Bahnhofsstraße liegender Teil des Untergestells eines Güterwagens: eine Achse mit Federn und Rädern, die von einem auf dem Eisenbahngeleise stehenden Güterwagen unter gewaltigem Luftdruck losgerissen und durch die Lücke zwischen zwei Wohnhäusern auf die Bahnhofstraße geworfen wurde. Die Entfernung: vom nächsten Eisenbahngeleise betrug etwa 150 m. auf dem Martinsplatz lag eine Eisenbahnschiene von 8 m Länge in einer Entfernung von etwa 200 m vom Eisenbahndamm. Der Sachschaden einschließlich des in den nächsten Tagen durch Plünderung entstandenen Schadens wird auf mindestens eine Million Reichsmark geschätzt. Der Friedhof II bot ein Bild grauenhafter Zerstörung. Wenn er in der Kartenskizze und in obiger Schätzung der Trichter-, Dichtigkeit an letzter, mithin günstigster Stelle steht, so rührt dieser scheinbare Widerspruch daher, daß der Friedhof, bei Aufstellung der Skizze und der Berechnung, in seinem weiten Umfang als einheitliches Ganzes zugrunde gelegt war, während die Dichtigkeit der Trichter innerhalb seiner Grenzen außerordentlich verschieden war. So waren einzelne Teile, die immerhin noch eine beträchtliche Ausdehnung hatten, - vielleicht waren es zwei von einander getrennte Fünftel -, derart mit Trichtern besetzt, daß diese beiden Fünftel, als selbständige Geländestücke betrachtet in eine höhere, ja selbst in die höchste Klasse der Dichtigkeit gehören wurden. Der Friedhof wurde 10.20 Uhr von der ersten Welle und 11.40 Uhr von der etwa 300 m weiter östlich anfliegenden zweiten Welle aufs schwerste getroffen. Als der doppelte Orkan vorüber gebraust war, stand zwar noch die Kapelle, - nur die Fenster und das Dach waren leicht beschädigt -, aber unmittelbar nördlich von ihr begann die Hölle ihr fürchterliches Bild zu zeigen. Man erlasse mir eine genauere Schilderung. Ich vermöchte kein der Wirklichkeit einigermaßen entsprechendes Bild zu zeichnen, wenngleich ich die einstige Stätte des Friedens, die jetzt zur Hölle geworden war, oft genug durchwandert oder besser: durchklettert habe. Das furchtbare Chaos von Einzeltrümmern vermag ich nicht einmal durch Stichworte zu verdeutlichen. Es stehen nur klar und mächtig vor meinen Augen die Trichter, die sich aneinander reihten, sich berührten, sich überschnitten, sich ineinander verdoppelten. Die Zahl der durch solche Trichter zerstörten Gräber, Grabgitter, Grabsteine, Grabmonumente läßt sich nicht angeben oder schätzen. Der Kriegsfriedhof des ersten Weltkrieges ist so gut wie völlig verschwunden, mit ihm das darauf errichtete Gefallenen-Denkmal des Bildhauers Urba, ein Werk von zweifelhaftem Kunstwerk, das bereits zur Zeit seiner Errichtung viel Widerspruch gefunden hatte. Auch ich trauere seinem nunmehrigen Verluste nicht nach. Nur daß es so zu Grunde gehen mußte! Die Frage drängt sich auf, ob alle die zerstörten, die verschwundenen Gräber wieder hergestellt werden können?
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Die Zerstörung von Baulichkeiten in der Stadt. Schließlich noch ein Wort über die Auswirkung des Bombengroßangriffs auf die Baulichkeiten in der Stadt. Total zerstört wurde die Sächs. Anh. Armaturenfabrik, Parkstraße 16, die Gärtnerei H. Henß, Parkstraße 15 und die Eisenhandlung Max Stamm, Hegestraße 16, sowie 27 Wohnhäuser an der Bahnhofstraße, dem Martinsplatz, der Hegestraße und der Hegebreite - schwerbeschädigt wurden die Maschinenfabrik W. Siedersleben, Parkstraße 11, der Holzplatz Wohlhaupt, Parkstraße 14, der Holzplatz Fischer, Fischer in der Hegestraße sowie 22 Wohnhäuser in den vorgenannten Straßen. Dazu traten in den gleichen Straßen als mittelschwer beschädigt 2 Industrieanlagen und 35 Wohnhäuser, als leicht beschädigt 456 Wohnhäuser in den verschiedensten Stadtgegenden. An Toten, einschließlich derer, die an einer schweren Verletzung in den nächsten Tagen nach dem Angriff verstorben waren, wurden im ganzen 84 gezählt, an Verwundeten 25, an Vermißten 9. Männer und Frauen des Roten Kreuzes und die Technische Nothilfe war ganze Tage und Nächte, ungeachtet der unaufhörlichen Alarme und der mehrfachen Brückensprengungen, ja selbst noch während der Kampfhandlungen des 16. April an den Unglücksstätten beschäftigt, um die Toten zu bergen und die Verwundeten zu retten und nach den Rettungsstellen und Hilfskrankenhäusern zu weiterer Pflege zu schaffen. An den zerstörten Gebäuden mit ihren Toten, Vermißten und Verwundeten konnte die Bernburger Bevölkerung zum ersten Mal die Auswirkung eines Bombenangriffs erleben, wie sie fast alle Städte Deutschlands in den voraufgegangenen Kriegsjahren mit Schrecken erfahren hatten. Dabei hatten die Bernburger noch allen Grund, sich glücklich zu schätzen, daß der ihrer Stadt zugefügte Schäden im Vergleich mit den anderen Städten als verhältnismäßig sehr gering zu bezeichnen war. Sie dürfen sich aber - was schon hier gesagt sein mag - insbesondere auch darüber glücklich schätzen, daß dieser erste Bombengroßangriff der einzige geblieben ist, welchen ihre schöne Stadt erlitten hat! Über die Gründe dieses Glücks berichten spätere Ausführungen. Der Bombengroßangriff mit den nachfolgenden Fliegeralarmen vermehrte die allgemeine Befürchtung, daß solche Maßnahmen die Einleitung zu weiteren Kampfhandlungen des Gegners, vielleicht gar zum entgültigen allgemeinen Großangriff auf Bernburg bilden sollten. Die Brückensprengungen. Gleich am frühen Nachmittag des 11. April erließen der Kampfkommandant und der Kreisleiter erneute Befehle an den Volkssturm, die Arbeiten an den Panzersperren zu beschleunigen und in 24 Stunden zum Abschluß zu bringen. Vor allem aber rückte jetzt die alles beherrschende Frage der Brückensprengungen in den Vordergrund. Die Frage schien allerdings für den Kampfkommandanten und den Kreisleiter, anscheinend auf Grund eines Befehls des Gauleiters, bereits dahin gelöst, daß die Sprengung aller drei Saalebrücken aus allgemein militärischen Gründen notwendig sei und baldmöglichst ausgeführt werden müsse. Der Kreisleiter behauptete wenigstens, einen dahin lautenden Befehl des Gauleiters erhalten zu haben. Ob der Befehl schriftlich oder fernmündlich erteilt war, ob er die sofortige Sprengung von einer, von zwei oder von allen drei Brücken, oder nur die Vorbereitung dazu anordnete, entzieht sich unserer Kenntnis, wird wohl auch kaum mehr festgestellt werden können. Im übrigen möchten wir zweifeln, ob der Kreisleiter dem Gauleiter gegenüber überhaupt eigene Bedenken zur befohlenen Brückensprengung geltend gemacht hat oder ihm wenigstens rein sachlich die schweren Folgen einer solchen vorgetragen hat. Es wäre nach unserem dafürhalten immerhin möglich gewesen, durch einen solchen Vortrag den Befehl des Gauleiters dahin abzuschwächen, daß die Sprengung nur im alleräußersten Notfall und gegebenenfalls erst dann vorgenommen werden sollte, wenn sich Amerikaner hinter den zurückweichenden deutschen Truppen auf den Brücken befänden. Doch all solche Erwägungen sind anscheinend zwischen Kreisleiter und Gauleiter garnicht zur Erörterung gekommen. Befehl war Befehl, und es dürfte feststehen: hätte der Kreisleiter sprengkundige Männer und den nötigen Sprengstoff selbst zur Hand gehabt, so würde er unverzüglich alle drei Brücken haben sprengen lassen. Jetzt aber mußte er sich erst bei der Stadt und bei der Bernburger Industrie nach Personal und Material zur Sprengung umtun. Zunächst hielt er es für angezeigt, sich dieserhalb an den Oberbürgermeister zu wenden. Dieser saß gerade, da Fliegeralarm war, in dem Befehlsstand des Luftschutzleiters, als der Anruf des Kreisleiters an ihn erfolgt. „Fragen sie, in welcher Sache mich der Herr Kreisleiter zu sprechen wünscht“, rief der Oberbürgermeister dem Telefonisten zu. Er hatte wegen schwerer dienstlicher Differenzen mit dem Kreisleiter bereits seit längerer Zeit jeden persönlichen Verkehr mit ihm abgebrochen. Es kam die Antwort „In Sachen Brückensprengung“. +) Wir haben in vorliegender Niederschrift keinen Anstand genommen die durchweg vor Zeugen geäußerten, oft harten Urteile und Ausdrücke des Oberbürgermeisters gegenüber dem Kreisleiter in tatsächlich gesprochenem Wortlaut wiederzugeben. Sie erweisen einen hohen Grad von sittlichen Ernst und persönlichem Mut. Im übrigen sind sie als Zeitdokument von besonderem Wert. Ist doch in der sog. Mittelinstanz der Partei und der Behörde- Kreisleiter einerseits, und Bürgermeister, Landrat, Oberbürgermeister andererseits, das dienstliche und persönliche Verhältnis zwischen beiden Seiten auch anderwärts in den meisten Fällen ein ähnlich zwiespältiges wie hier in Bernburg gewesen. Das war für den Oberbürgermeister wichtig genug, das Persönliche in den Hintergrund treten zu lassen. Es folgte nun ein aufgeregtes Gespräch zwischen beiden, wobei die Worte des Oberbürgermeisters von allem im Befehlsstand anwesenden Personen gehört wurden. Der Kreisleiter machte einleitend die Mitteilung, daß die Sprengung aller drei Saalebrücken der Stadt Bernburg erfolgen müsse. Er habe die Anweisung des Gauleiters erhalten, daß die drei Brücken am nächsten Morgen, dem 12. April, früh 6 Uhr sprengbereit sein sollen. Er, der Kreisleiter, habe für die Sprengung der Eisenbahn- und der Annenbrücke Direktor Kerstein von den Deutschen Solvay-Werken bestimmt, die Sprengung der SA-Brücke sollte von Seiten der Stadt durch den Bauarchitekten Alsleben ausgeführt werden.- Hier unterbrach der Oberbürgermeister: „Erlauben Sie, mir ist nicht bekannt, daß Herr Alsleben Ihnen untersteht. Ich habe allein über ihn zu verfügen und er wird die Sprengung nicht ausführen. Im übrigen muß ich gegen jede Brückensprengung, auch der Eisenbahn- und Annenbrücke namens der Stadt Bernburg schärfsten Einspruch erheben. Die Folgen wären für die Stadt untragbar. Der Außenverkehr und die Schiffahrt wären für lange Zeit stillgelegt. Die Verbindung zwischen Bergstadt und Talstadt wäre außerordentlich erschwert. Sämtliche Leitungen für die Versorgung der Stadt mit Wasser, Gas und Strom würden zerstört sein, sodaß ein unerträglicher Zustand für die Stadt eintreten müßte, der von mir als Oberbürgermeister wegen seiner katastrophalen Auswirkung auf keinen Fall verantwortet werden kann“. Der Kreisleiter erwiderte kurz, daß der Befehl des Gauleiters vorliege, der unter allen Umständen durchgeführt werden müsse. Das Schlußwort des Oberbürgermeisters lautete ebenso kurz: „Ich muß meinen schärfsten Widerspruch für die Stadt Bernburg aufrecht erhalten und behalte mir weitere Schritte, eventuell beim Gauleiter selbst, nach Rücksprache mit angesehenen Bürgern der Stadt vor“. Er legte den Hörer auf. Es folgten nun während des ganzen Abends bis spät in die Nacht hinein ernste Besprechungen des Oberbürgermeisters mit Bürgern der Stadt, die alle damit endeten, daß ein Brückensprengung für die Stadt ein untragbares Unglück bedeuten würde und daß alles getan werden müsse, um eine solche Katastrophe von der Stadt abzuwenden. Bei diesen Besprechungen fand der Oberbürgermeister einen energischen Helfer in Direktor Bökelmann, dem tatkräftigen Feldführer des DRK.- Gegen Mitternacht des 11./12. April trat wieder der Kreisleiter in Aktion. Der allein verantwortliche Kampfkommandant schien alles in dieser für die Stadt lebenswichtigen Frage dem Kreisleiter überlassen zu haben. Dieser wandte sich um 23.30 Uhr fernmündlich an Direktor Kerstein von den DSW und forderte ihm im befehlenden Ton auf, die SA-Brücke, die Annenbrücke und die Eisenbahnbrücke bis 6 Uhr früh fertig zu machen. Direktor Kerstein lehnte diese Aufforderung ab, zumal es überdies ganz unmöglich wäre, bis zu diesem Zeitpunkt die Vorbereitungen zur Sprengung durchzuführen. Der Kreisleiter bestand aber darauf, da der Gauleiter ihm persönlich gesagt habe, daß die Brücken am 12. vormittags zerstört sein müßten. Auf die wiederholte Ablehnung des Auftrags durch Direktor Kerstein, der noch geltend machte, daß er die Brückenkonstruktion nicht kenne, er auch nicht wisse, ob überhaupt bei den Brücken Sprengkammern vorhanden seien, hielt der Kreisleiter seine Forderung mit dem Zusatz aufrecht, daß Direktor Kerstein mit seinem Kopf für die Ausführung der Sprengung einzustehen hätte. Direktor Kerstein erkundigte sich noch in der Nacht bei dem Stadtarchitekten Alsleben nach der Konstruktion der Brücken und hörte von ihm, daß ihm die Lage der Kammern nicht bekannt sei. Gleich nach Mitternacht ging Direktor Kerstein nochmals zum Kreisleiter, um ihm solches mitzuteilen. Als er ihm ferner sagte, daß keine hochbrisanten Sprengstoffe vorhanden seien, fiel die Äußerung des Kreisleiters: „Ach was, Sprengstoff bleibt Sprengstoff, und die Brücken fliegen auch ohne Sprengkammern in die Luft.“ Letztere Bemerkung zeigt deutlich, daß der Kreisleiter von der Sprengtechnik nicht das Geringste verstand. Der aus solcher Unkenntnis vom Kreisleiter gegebene Befehl der Sprengung hat die außerordentlichen Verwüstungen bei der Sprengung der SA-Brücke verursacht, wie unten des Näheren ausgeführt wird. Direktor Kerstein berichtet weiter wörtlich: „Als ich am 12.4. gegen 0.15 Uhr zur Kreisleitung kam, traf ich dort folgende Herren an: Oberstleutnant Schnitter, Kreisleiter Himmerich, Stabsleiter Knabe, Direktor Rettig vom Elektrizitätswerk, Direktor Schlemming vom Gaswerk, Fabrikant Müller von der Technischen Nothilfe, Direktor Kirves von den DRW-Sodafabriken. Später kamen hinzu die Herren Alsleben und Schürmann von Stadtbauamt und Tiefbauunternehmer Schulz.“ Es sei hier eingeschaltet, daß Stadtarchitekt Alsleben mit dem Oberstadtbauinspektor Schürmann und dem Direktor der Gaswerke Schlemming zu der Besprechung im ausdrücklichen Auftrag des Oberbürgermeisters erschien, der, wie bereits erwähnt, es grundsätzlich vermied, sofern daß dienstliche Interesse es nicht unbedingt erforderte, mit dem Kreisleiter persönlich zu verhandeln. Seine Beauftragten hatten die direkte Weisung erhalten mit aller Energie namens des Oberbürgermeisters für die Stadt schärfsten Protest gegen die Brückensprengungen einzulegen. Sie waren es, die in den nachfolgenden Verhandlungen neben Direktor Kerstein die heftigste Opposition gegen den Kreisleiter und seinen unsinnigen Plan der Brückensprengung erhoben. Direktor Kerstein nehme wieder das Wort: In der allgemeinen Besprechung wurde der Kreisleiter auf die Folgen einer etwaigen Sprengung aufmerksam gemacht. Alle anwesenden Herren - mit Ausnahme des Stabsleiters Knabe und des Oberstleutnant Schnitter - wiesen auf die schweren Folgen hin, die durch das Zerstören der Hauptgasleitung, der Hauptwasserleitung, des Fernsprechkabels (das von Leipzig nach Würzburg führt und als 600 adriges Kabel unter der SA-Brücke liegt) und der Fernsprechleitungen der obersten Heeresleitung diesseits und jenseits der Elbe entstehen würden, sowie auf die Schwierigkeiten der Lebensmittelzuführung. Alle diese Einwände schlug der Kreisleiter in den Wind und betonte immer wieder, daß er die Anweisungen des Gauleiters zu befolgen hätte. Die Brückenzeichnungen wurden nochmals durchgesehen und es wurde dabei festgestellt, daß in den Zeichnungen keinerlei Vermerke über das vorhandensein von Sprengkammern waren. Ich wiederholte dem Kreisleiter nochmals, daß ich den Auftrag zur Sprengung der Brücken ablehnen müßte. Herr Himmerich rief darauf das Pionier-Bataillon in Roßlau an und bat um Überlassung eines Sprengkommandos. Dem dortigen Oberleutnant wurden die wichtigsten Abmessungen der Brückenkonstruktionen bekanntgegeben. Eine Stunde später - es mag 3 Uhr gewesen sein - teilte das Bataillon mit, daß ein Sprengkommando mit Sprengstoff in Marsch gesetzt sei, das gegen 7 Uhr in Bernburg eintreffen würde. Auf Bitten des Kreisleiters gab ich meine Einwilligung, das Kommando bei seinem Eintreffen in Empfang zu nehmen und einzuweisen. Gegen 3.30 Uhr verließ ich die Kreisleitung und fand mich um 7.00 Uhr wieder ein, wo sich nach kurzer Zeit das Kommando aus Roßlau meldete. Ich zeigte dem Stabsfeldwebel als rangältesten Unteroffizier (ein Offizier war nicht mitgekommen) die Brücken und stellte an der SA-Brücke eine Sprengkammer fest. Nachdem ich die 3 Sprengtrupps für die SA-, Annen- und Eisenbahnbrücke eingewiesen hatte, habe ich mich um die weiteren Arbeiten nicht mehr gekümmert. Ich erfuhr nur mittags, als ich die Brücken nochmals besichtigte, von dem Stabsfeldwebel, daß die Brücken in aller Eile sprengfertig gemacht worden seien, was aber mit Rücksicht auf die geringen Sprengstoffmengen und die Kürze der Zeit nicht mit 100%iger Sicherheit auf einen vollen Sprengerfolg zu rechnen sei. Der Feldwebel zeigte mir einen mit Bleistift geschriebenen Befehl, wonach die Brücke nur auf Anweisung eines Divisionskommandeurs oder eines Stabsoffiziers, der als letzter die SA-Brücke überschreitet, gesprengt werden dürften.- die 3 Brücken wurden dann am 12.4. zwischen 20 und 21 Uhr gesprengt. Die SA-Brücke war schwer beschädigt, aber es bestand die Möglichkeit, daß noch Panzer darüber fahren konnten; das gleiche war bei der Annenbrücke der Fall. Die Eisenbahnbrücke war unbrauchbar, denn das Mitteljoch lag mit dem einen Ende im Wasser. Noch in letzter Stunde, um nicht zu sagen Minute, wurde von Bürgern der Stadt ein nochmaliger Vorstoß beim Kampfkommandant und beim Kreisleiter unternommen, um das Unheil der Brückensprengung von der Stadt Bernburg abzuwenden. Mein Sohn, Direktor Helmut Eilsberger von den DSW, berichtet darüber in nachfolgender Aufzeichnung. „Am Nachmittag des 12. April erhielt ich davon Kenntnis, daß die Sprengung der Brücken noch am gleichen Tage zu erwarten sei. Die letzte Entscheidung lag in den Händen des Kampfkommandanten der Stadt Bernburg Oberstleutnant Schnitter. Unter dem Eindruck der vielen Proteste seitens der Bürgerschaft gegen die beabsichtigte Sprengung der Brücken sollte nach einer mir vertraulich gemachten Mitteilung Oberstleutnant Schnitter in seinem Entschluß wankend geworden sein, und es bedürfe noch eines nochmaligen Vorstoßes prominenter Bürger der Stadt Bernburg, um ihn von seinem Entschluß abzubringen und die Stadt vor schwersten Schäden zu bewahren. Ich setzte sofort die leitenden Herren der DSW, Generaldirektor Clemm und Bergwerksdirektor Kerstein von den mir gemachten Mitteilungen in Kenntnis und forderte sie auf, sich an der gemeinsamen Aktion der Bürgerschaft zu beteiligen. Die beiden Herren erklärten sich bereit und begaben sich sogleich mit mir nach dem Gebäude der Kreisleitung, in dem der Kampfkommandant seinen Befehlsstand hatte. Direktor Kerstein verhandelte mit Oberstleutnant Schnitter, während Generaldirektor Clemm und ich nach dem Rathaus gingen, um dem Oberbürgermeister die mir gemachten Äußerungen mitzuteilen und ihn in letzter Minute nochmals aufzufordern seitens der Stadt Schritte beim Kampfkommandanten zu unternehmen. Die Besprechung im Rathaus fand in Gegenwart von Bürgermeister Ackermann und Direktor Bökelmann statt. Der Oberbürgermeister hielt es für notwendig, Oberfeldarzt Jungenitz hinzuzuziehen, der als Leiter der in Bernburg befindlichen Lazarette sich aber falls gegen die Sprengung der Saalebrücken aussprechen sollte. Im Anschluß an diese Besprechung fand in Gegenwart aller Vorgenannten in der Privatwohnung von Direktor Kerstein eine Besprechung statt. Direktor Kerstein berichtete zunächst über die ergebnislose Unterredung, die er soeben mit Oberstleutnant Schnitter gehabt hatte, der vollkommen unter dem Einfluß des Kreisleiters stände, welch letzterer wieder seine Weisungen vom Gauleiter Jordan erhalten habe. Obwohl es nach den bisherigen Protesten bei dem Kreisleiter und dem Kampfkommandanten so gut wie aussichtslos erschien, sollte noch ein letzter Versuch bei den vorgenannten Stellen unternommen werden. Als wesentliches Argument gegen die Sprengung sollten diese besonders auf die Tatsachen hingewiesen werden, daß die Amerikaner bereits nördlich und südlich von Bernburg die Saale überschritten hätten und dadurch eine vollkommene neue militärische Lage entstanden sei, die u.U. die Sprengung der Saalebrücken zwecklos und illusorisch mache. Oberfeldarzt Jungenitz wollte es übernehmen, dem Kreisleiter persönlich aufzusuchen, während Bürgermeister Ackermann und ich dazu bestimmt wurden, die Vertretung der Bürgerschaft bei Oberstleutnant Schnitter zu übernehmen. Auf dem Wege nach dort baten wir Direktor Bökelmann, uns in seiner Eigenschaft als DRK-Feldführer zu begleiten, der auch sofort dazu bereit war. Wir trafen Oberstleutnant Schnitter in seiner Wohnung nicht an und gingen eiligst zur Kreisleitung. Dort fanden wir Oberstleutnant Schnitter in größter Aufregung vor, der in eiligen Schritten aus seinem Dienstzimmer kommend, uns zurief, er sei unter keinen Umständen zu sprechen, er habe wichtigere Dinge zu erledigen. Trotzdem glückte es Bürgermeister Ackermann, ihn für wenige Sekunden festzuhalten und ihn namens der Stadtverwaltung, der Bürgerschaft, der Industrie und des Roten Kreuzes in kürzesten Worten auf die schwerwiegenden Folgen der Brückensprengung aufmerksam zu machen, worauf er nur erwiderte, daß nichts mehr zu ändern sei, die Brückensprengung sei beschlossen, er begebe sich gerade mit dem Kreisleiter zu den Brücken, um die Sprengung selbst vorzunehmen. Vor dem Hause der Kreisleitung sprachen wir noch kurz den Kreisleiter Himmerich, der uns in barschen Ton zu verstehen gab, daß er im Auftrage des SS-Führers Himmlers handle und daß er den Befehl zur Sprengung der Brücken erhalten habe, den er ausführen müsse. Ein Aufschub der Sprengung sei nicht mehr möglich. Er begebe sich gerade im Wagen zu den 3 Brücken, um die Sprengung derselben anzuordnen. - Nach etwa 30 Minuten erfolgte die erste Detonation, in größeren Abständen hörte man weitere starke Explosionen. Die Sprengung der Bernburger Brücken war Tatsache geworden. Wir haben absichtlich die vorstehenden beiden Äußerungen im Wortlaut wiedergegeben, weil sie am anschaulichsten die höchst aufregenden, ja dramatischen Vorgänge des 12. April und die dabei beteiligten Persönlichkeiten erkennen lassen, sodaß wir auch zur Charakteristik der letzteren nichts hinzuzufügen brauchen. In jeder der beiden Erklärungen finden wir einen Punkt von besonderem Interesse. Direktor Kerstein spricht von einem ihm von dem Stabsfeldwebel gezeigten, mit einer Bleistiftnotiz versehenen Zettel, der offenbar eine Anweisung an den Feldwebel enthielt für den Fall, daß die SA-Brücke vom Militär gesprengt werden sollte. In der Anweisung ist an die Möglichkeit gedacht, die Sprengung erst im letzten Augenblick auszuführen zu lassen, wenn die letzten eigenen Truppen die Brücke passiert haben und der nachdrängende Gegner die Brücke betreten hat. Auch solch ein Wunsch war dem Kampfkommandanten und dem Kreisleiter wiederholt vorgetragen. Leider vergeblich! Die in jedem Falle viel zu frühen Brückensprengungen in Bernburg haben den zurückweichenden deutschen Harztruppen den Rückzug abgeschnitten und zu ihrem teilweisen Untergang mit beigetragen. - Die Bleistiftnotiz aber zeigte im übrigen, mit welcher Vorsicht von Seiten der Militärverwaltung die Frage einer Brückensprengung im Hinblick auf deren weittragende Folgen behandelt wurde. Von entscheidender Bedeutung ist die Mitteilung des Direktor Eilsberger an den Kreisleiter, wonach am Abend des 12. April vor der Sprengung der Bernburger Brücken die Amerikaner bereits die Saale nördlich und südlich von Bernburg überschritten hatten. Waren diese Tatsachen richtig, dann würde allerdings die ganze Brückensprengung ein völlig nutzloses und sinnloses Manöver gewesen sein. Denn dann wäre Bernburg bereits im Norden und Süden von amerikanischen Truppen überholt gewesen. Das in der Mitte liegende Bernburg hätte in solchem falle keine Gefahr mehr für den Gegner bedeutet und wäre allein schon durch eine Vereinigung der gegnerischen Nord- und Südkolonne, ja selbst auch ohne eine solche Vereinigung zur Übergabe genötigt gewesen. Selbstverständlich hätte bei Nichtsprengung der Brücken der Durchmarsch eigner und gegnerischer Truppen durch die Stadt für letztere erhebliche Unbequemlichkeiten im Gefolge gehabt. Doch was bedeuten solche gegenüber den geschilderten katastrophalen Folgen der Brückensprengungen: Und was bedeuteten die Brückensprengungen für den Gegner? Nun sie konnten ihn freilich zu einem - für Kraftfahrzeuge belanglosen - Umweg über die noch vorhandenen Brücken im Norden und Süden von Bernburg nötigen. Wenn er sich aber den Umweg sparen wollte und Wert darauf legte, daß die mittlere Kolonne in gleicher Höhe mit den Nachbarkolonnen vormarschierte, blieb ihm das nicht schwierige Mittel, auf rasch herstellbaren Lastfähren oder Pontonbrücken über die Saale zu setzen. Solches würde er aber sicherlich erst getan haben, nachdem er die Stadt durch Granaten und Bomben zerstört hätte. So würde auch eine völlig nutzlose und sinnlose Brückensprengung zur Zerstörung der Stadt geführt haben. Angesichts der Bedeutung der von Direktor Eilsberger dem Kampfkommandanten und dem Kreisleiter gemeldeten Tatsachen haben wir uns bemüht, diese nach allen Seiten auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen. Wir sind dabei zu folgendem Ergebnis gelangt, das zugleich die ganze Lage der Bernburg benachbarten Saalebrücken während der Tage vom 12. bis 16. April aufklärt. Vorausgeschickt sei, daß die nachstehend angegebenen Entfernungen der Brücken untereinander in der Luftlinie gemessen sind, und daß von den 3 Bernburger Brücken die frühere SA-Brücke als Meßpunkt angenommen ist. 1) Die nördlich von Bernburg gelegene Stadt Calbe mit ihrer 13 km von Bernburg entfernten Saalebrücke ist am Abend des 12. April in die Hand der Amerikaner gefallen. Die Nachricht davon ist bereits am gleichen Abend nach Bernburg gelangt. Das gleichzeitig in Bernburg umgehende Gerücht, daß der Gegner im Verlauf desselben Tages auch die 6 km nördlich von Bernburg gelegene Nienburger Brücke überschritten habe, erwies sich dagegen als unzutreffend. Die Amerikaner hätten freilich die Stadt Bernburg am 11. April besetzt, hatten aber ihre Absicht, am 12. April vormittags über die Saale nach Osten weiter vorzustoßen, nicht ausführen können, weil die Brücke am vormittag des 12. deutscherseits gesprengt wurde. 2) Auch die südlich von Bernburg gelegene Stadt Könnern, mit ihrer 14 km von Bernburg entfernten Saalebrücke, ist am Abend des 12. von den Amerikanern in Besitz genommen. Auch diese Nachricht ist noch am Abend des 12. nach Bernburg gelangt. Man erzählte sich in Bernburg gleichzeitig, daß am 12. auch die 11 km von Bernburg entfernte Brücke bei Alsleben von den Amerikanern überschritten sei. Solches war jedoch nicht zutreffend. Die Amerikaner sind erst am 13. bis dicht vor Alsleben herangekommen, sind aber, nach Erkundung der Lage, am 14. früh von Alsleben nach Süden in Richtung Halle abgebogen. Erst am 16. um die Mittagszeit ist Alsleben nach fünfstündigem Artilleriebeschuß dem Amerikanern übergeben.
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Wenn auch aus vorstehenden Feststellungen nicht mit Sicherheit gefolgert werden kann, daß am Abend des 12. April die Saalebrücken in Calbe und Könnern von den Amerikanern tatsächlich überschritten worden sind, so ist es unstreitig, daß zum genannten Zeitpunkt die Städte Calbe und Könnern, in gegnerischen Besitz gelangt waren, und daß seitdem die Brücken dem Gegner zum weiteren Vormarsch nach Osten offen standen. Im Gegensatz hierzu waren die Amerikaner am Abend des 12. April noch nicht bis an die Stadt Bernburg herangekommen. Sie waren im Harzraum auf heftigen deutschen Widerstand gestoßen und deshalb hinter ihren nördlichen und südlichen Nachbarverbänden zurückgeblieben. Eine solche Lage beim Gegner mußte dem Kampfkommandanten und dem Kreisleiter in Bernburg bekannt geworden sein, wenn nicht aus eigener durch ihre Motor-Spähwagen vermittelter Kenntnis, so durch Mitteilung des Gauleiters, der über die Militärischen Vorgänge in seinem Gau laufend unterrichtet sein mußte. Doch sei dem, wie ihm wolle - in jedem Falle hätte die Mitteilung des Direktors Eilsberger am Abend des 12. April den Kampfkommandanten und den Kreisleiter veranlassen müssen, die allgemeine Kampflage nochmals genaust zu überprüfen. Bei ruhiger Überlegung hätten beide dann erkennen müssen, daß die beabsichtigte Brückensprengung angesichts der vorgetragenen Stellungen des Gegners in Calbe und Könnern, nördlich und südlich von der Stadt Bernburg, die selbst vom Gegner unberührt war, ein sinn,- und nutzloses Manöver war, und daß wenigstens die Sprengung noch vertagt werden konnte und mußte. Die weitere Entwicklung konnte und mußte in ruhe abgewartet und eine neue Entscheidung des Gauleiters eingeholt werden. Diese Entscheidung hätte nach ein oder zwei Tagen, als tatsächlich gegnerische Verbände die Brücken bei Calbe und Könnern weithin überschritten hatten und Bernburg immer noch vom Gegner nicht erreicht war, vernünftigerweise nicht anders Lauten können, als das jedwede Sprengung zu unterbleiben habe, da Bernburg dann, an beiden Seiten vom Gegner weit überholt, für ihn keine Gefahr mehr bedeutete und zur selbstverständlich gewordenen Übergabe geradezu gezwungen war. Doch die Verantwortlichen konnten nicht warten. Verrannt in den einmal gegebenen, ohne jedes eigene Verantwortungsbewußtsein hingenommenen Befehl des Gauleiters, und von dem fälschlichen Ehrgeiz beherrscht, eine große Tat zu tun, schlug der Kreisleiter und mit ihm der Kampfkommandant die außerordentlich wichtige Mitteilung des Direktors Eilsberger in den Wind, und beide stürzten sich auf ihre Opfer, die 3 Saalebrücken von Bernburg, um ihnen den Garaus zu machen und damit ein schweres Unglück über die Stadt Bernburg zu bringen. Nun wollte das Schicksal noch zweien von den drei Brücken, der SA-Brücke und der Annenbrücke, gnädig sein: die Sprengung dieser zwei Brücken war unvollkommen ausgefallen, es bestand immer noch die Möglichkeit, das Panzer über sie herüberfahren konnten. Doch der Kreisleiter verstand den Wink des Schicksals nicht. Im Gegenteil: Nur den strikten Befehl des Gauleiters und seine eigne Ehrsucht im Kopfe, hatte er den einzigen Gedanken, den Fehler, den nach seiner Meinung die von ihm Beauftragten begangen hatten,- vielleicht sogar mit der Absicht, die Brücken zu schonen und ihn selbst bloßzustellen--, so rasch als möglich wieder gutzumachen. Er forderte fernmündlich von Dessau Fliegerbomben im Gewicht von 250 kg an und ließ bis zu der Ankunft noch zwei weitere Sprengungen ausführen. Am folgenden Morgen des 13. April erfolgte dann mittels der inzwischen aus Dessau angelangten Fliegerbomben die vierte und letzte Sprengung, durch welche die SA-Brücke endgültig für die Überfahrt von Panzern unbrauchbar gemacht wurde. Eine wiederholte Sprengung am Morgen des 13. April machte auch die Annenbrücke für jeden Panzerübergang unbrauchbar. Über die Vorbereitungen für die Morgensprengungen berichtet Direktor Kerstein folgendes: „In der Nacht vom 12. zum 13. rief mich Kreisobmann Schlüter an, um mir mitzuteilen, daß die SA-Brücke und die Annenbrücke am 13. früh so gesprengt werden müßten, daß keine Panzer mehr darüber fahren könnten. Er gab mir Kenntnis, daß ich die Aufgabe hätte, die aus Dessau erwarteten Fliegerbomben scharf zu machen. Es würden mir zwei Stunden Zeit gegeben und während dieser Zeit müßte ich die Meldung an den Kreisleiter machen, daß die Vorbereitungen zur Sprengung beendet seien. Ich lehnte diese Forderung wegen der Kürze der Zeit ab. Ich teilte dem Kreisobmann mit, daß ich keine Sprengkapseln und keinen Sprengstoff zum Scharfmachen hätte und er versuchen solle, in Wintershall Sprengstoff zu bekommen. Herr Schlüter wurde daraufhin ausfallend und erklärte, ich wolle nur die Aufgabe nicht übernehmen und mich davor drücken; der Kreisleiter hätte jedoch angeordnet, daß ich die Sache selbst in die Hand nehmen sollte. Ich lehnte den Auftrag nochmals ab und bat, den Kreisleiter von meiner Stellungnahme in Kenntnis zu setzen. Als Herr Schlüter daraufhin noch ausfallender wurde und mir ungehörige Redensarten sagte, legte ich den Hörer auf.“ Über die Auswirkung der Sprengung der SA-Brücke auf die Umgebung hören wir von dem dicht an der SA-Brücke wohnenden Buchdruckereibesitzer Gustav Kunze das Nachfolgende: „Die Saalebrücke (Brücke der SA) ist am 13. April frühmorgens gesprengt worden. Die vorhergehenden 3 Sprengungen am Abend und in der Nacht des 12./13. April hatten keinen oder nur geringen Erfolg, da die großen Sprengladungen nur auf die Brücke gelegt worden waren und Oberdruck erzeugten. Die anliegenden Häuser sind durch diese ersten 3 Sprengungen zerstört worden. Nach Aussage meines Gewährsmannes hatte man bei der 4. Sprengung zwei Fliegerbomben unter den Sprengkammern (also endlich an der richtigen Stelle) angebracht, was dann auch die Sprengung der Brücke zur Folge hatte. Durch diese 4. Sprengung sind die anliegenden Häuser wohl nicht mehr weiter beschädigt worden. Die Ladung der 4. Sprengung soll nur 1/10 einer Ladung der 3 ersten Sprengungen betragen haben“. Der Umfang des Schadens am Saalplatz und an den anliegenden Straßen auf beiden Seiten der Saale wurde von der Polizeibehörde mit folgenden Ziffern festgestellt; es waren schwer beschädigt 28 Geschäftshäuser und 10 Wohnhäuser, leicht beschädigt 75 Geschäftshäuser und 137 Wohnhäuser. Wenn die Verwüstung einen derartigen Umfang annahm, so ist der Grund hierfür auch darin zu suchen, daß vorher keine ausdrückliche Benachrichtigung von der Sprengung und ihren Folgen an die Umwohner ergangen war, und diese deshalb keinerlei vorbeugende Maßnahmen getroffen hatten, insbesondere die Fenster nicht geöffnet hatten und durch die plötzlichen Explosionen aufs höchste erschreckt wurden. Noch 10 Wochen nach der Sprengung erfüllten große Haufen von Mauerschutt und Glasscherben den Saalplatz und die angrenzenden Straßen bis hinauf zum alten Gottesacker, dessen Friedhofskapelle sogar stark beschädigt wurde. Das dicht an der SA-Brücke stehende SA-Denkmal, das gelegentlich der vor 10 Jahren - 14. April 1935 - erfolgten Einweihung der Brücke enthüllt worden war, hatte bei der Sprengung keinen Schaden erlitten, wurde aber später abgetragen. Die Sprengung der SA-Brücke und die Verwüstung in ihrer Umgebung wird die Stadt Bernburg dem ehemaligen Kreisleiter Himmerich - man denke an sein oben zitiertes Wort!- nicht vergessen.-Stolz auf das Gelingen ihrer Heldentat ließen der Kampfkommandant Oberstleutnant Schnitter und der Kreisleiter Himmerich am 13. April ein rotes Plakat an Straßen und Plätzen in der Stadt anheften mit der großen Aufschrift: „An die Bevölkerung der Stadt Bernburg“. Der erste Absatz lautete; „Volksgenossen! Dem Feind ist der Einbruch in unsere engere Heimat gelungen. Einige Orte im Kreisgebiet befinden sich bereits in seiner Hand. Nordamerikanische Truppen stehen vor den Toren der Stadt. Ihr Vordringen auf Bernburg machte die Sprengung der Saalebrücken erforderlich. Dadurch ist den Feinden weiteres Vordringen zunächst verwehrt.“ Es folgten weitere hochtrabende Sätze: „Volksgenossen, bewahrt weiterhin Ruhe und Besonnenheit.- ... Die Zeit ist schwer, muß aber durchgehalten werden.... Streifen der Wehrmacht, der Polizei und des Volkssturms sind angewiesen, bei Verstößen gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit rücksichtslos von der Waffe Gebrauch zu machen. Plünderer werden erschossen.“ Es folgten zum Schluß einige beruhigende Worte über die gesicherte Ernährungslage. Der Oberbürgermeister, dem der Kreisleiter durch den Schriftleiter Ziems diesen Aufruf vor der Drucklegung zur Mitunterzeichnung telefonisch mitteilen ließ, lehnte eine solche energisch ab, indem er wiederholt ausführte, daß er die Brückensprengungen für ein durchaus sinn- und nutzloses Unternehmen und für ein untragbares Unglück der Stadt Bernburg ansehe, und daß er nach wie vor schärfsten Einspruch dagegen erheben müsse. Im übrigen sagte er dem Schriftleiter am Telefon, daß er es „für unter seiner Würde halte“, unter einen öffentlichen Aufruf seinen Namen zusammen mit dem des Kreisleiters zu setzen, der „im Augenblick der Gefahr feige“ seine Familie aus Bernburg anderswohin in Sicherheit gebracht, sein Geld nächtlings von der Sparkasse abgehoben und zur eigenen Sicherheit die Nacht in Pobzig zugebracht habe. Der Oberbürgermeister wiederholte das Gleiche am Telefon persönlich dem Kreisleiter selbst, der mit Anzeige an den Gauleiter drohte und schwere Folgen in Aussicht stellte.
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Der Verlauf des 13., 14. und 15.4.45 Der 13., 14. und 15. April waren höchst - unruhevolle Tage und Nächte für die Einwohner Bernburgs, die sich zumeist im Luftschutzraum oder in dessen unmittelbarer Nähe aufhielten. Kleinalarm, Fliegeralarm, Feindalarm, Panzeralarm lösten einander in bunter Folge ab, bis am 15. dauernder Panzeralarm die ständige unmittelbare Nähe der feindlichen Panzer ankündigte. Wilde unkontrollierbare Gerüchte über den herannahenden Gegner durchschwirren die Stadt. Jetzt sollten amerikanische Panzer in Güsten, Rathmannsdorf, Neugattersleben, Hohenerxleben, Staßfurt stehen, jetzt sollten sie bis Peißen, jetzt bis zum Bernburger Flugplatz, jetzt sogar bis nach Waldau vorgedrungen sein. Dazu war Geschützfeuer von allen Seiten, allerdings noch aus weitere Ferne zu hören. Was die Unruhe und Sorge aber noch besonders erhöhte, war das Durchfahren ungezählter Lastwagen mit deutschen Soldaten, die erschöpft und matt sich auf dem Wagen drängten und deutliche Spuren der Auflösung zeigten. Die Wagen kamen zum größten Teil aus dem Harzraum Nordhausen - Halberstadt, einige auch von Halle her. Die Mehrzahl hatte die 8 km südlich von Bernburg gelegene Lastenfähre bei Großwirschleben zum Saaleübergang benutzt. Wiederholt war dabei die Fähre von angloamerikanischen Fliegern beschädigt und zum Stilliegen gezwungen, aber immer wieder in Stand gesetzt worden, um die inzwischen angestauten Wagen- und Truppenmengen überzusetzen. In der Nacht vom 13. zum 14. April kam die Fähre zum endgültigen Erliegen. Sie wurde von deutschem Militär wegen des Nachdrängens gegnerischer Panzertruppen versenkt. Doch hieß es auch, sie sei infolge zu starker Belastung, wie der Ausdruck im Fährbetrieb lautet, „abgesoffen“.- Als am Morgen des 14. Oberst Hollunder mit seiner noch straff zusammengehaltenen Kampfgruppe, Brigade Hollunder genannt, an die Saale gelangte und keine Fähre mehr vorfand, schickte er seinen Adjutanten zu dem Bernburger Tiefbauunternehmer Gustav Schulz und ließ ihn um schleunigste Herstellung einer Behelfsfähre gleich nördlich von Gröna, an einer besonders schmalen Stelle der Saale, ersuchen. Schulz brachte im Verlauf weniger Stunden unter Verwendung eines 45 Tonnen-Saalebootes die Behelfsfähre fertig, sodaß bereits mittags die Kampfgruppe Hollunder mit ihren 30 zum Teil sehr schweren Lastwagen und etwa 300 Mann Infanterie übergesetzt werden konnte. Hinter ihr folgte am Nachmittag, in der Nacht und während der folgenden Tage und Nächte bis zum 17. April in dichtem Gedränge noch zahlreiche andere Lastautos und Infanterietrupps, die glücklich waren, bei ihrem Zurückweichen aus dem Harzraum noch einen Übergang über die Saale zu finden. Bemerkenswert war, daß sich in all diesen Tagen und Nächten nur ganz vereinzelt gegnerische Flieger zeigten, ohne indes in den Übergang störend einzugreifen. Aus all dem darf geschlossen werden, daß die Bernburger Brücken, hätte man sie nicht gesprengt, von größtem Wert für die zurückflutenden deutschen Harztruppen gewesen wären. Doch daran hatten die Verantwortlichen überhaupt nicht gedacht. Als während der auf die Brückensprengungen folgenden Tage die Reste der deutschen Truppen, die sich nach dem Übergang bei Gröna nordwärts wenden mußten, um über Bernburg und Dröbel die noch offene Straße nach Köthen und Dessau zu gewinnen, in unaufhörlicher Folge zu Fuß und auf Lastwagen die Straßen der Stadt Bernburg durchzogen, war manch zorniges Wort der müde dahinschleichenden oder auf den Wagen hockenden Soldaten zu hören: weshalb habt ihr nur eure Brücken gesprengt!- Das war ein trübes Bild, das in jenen Tagen an den Blicken der Bernburger vorüberrollte. Bei all solcher Unruhe des Augenblicks lastete auf der gesamten Einwohnerschaft Bernburgs die niederdrückende Sorge, daß täglich ja stündlich die Stadt von den Amerikanern durch Artilleriebeschuß oder durch Bombenabwurf zerstört und überrannt werden konnte, wie es ja ähnlich zahlreichen anderen deutschen Städten im Westen des Reiches ergangen war. Daß Panzersperren und Brückensprengungen, sowie die schwachen Infanterietruppen und der waffenlose Volkssturm nichts dagegen würden ausrichten können, war die allgemeine Überzeugung. Zahlreiche Familien, insbesondere solche mit Kindern, zogen deshalb unter Mitnahme des notwendigsten Hausrats in die großen Bunker der Stadt oder in einen nahen Busch oder Steinbruch oder in ein benachbartes Dorf. Manche haben bis zu 8 Tagen und Nächten außerhalb ihrer Wohnung zugebracht, um der Zerstörung und Vernichtung zu entgehen. Daß solche Befürchtung und Sorge wohl begründet war, beweist ein Ereignis vom 15. April, das durch den Oberbürgermeister selbst festgestellt wurde. Danach sollten am Nachmittag des 15. April durch ein amerikanisches Rotes-Kreuz-Auto etwa 20 holländische Arbeiter, die in Bernburg beschäftigt waren, nach dem Bernburger Flugplatz hingebracht werden mit dem ausgesprochenen Zweck, sie vor der für den folgenden Tag, den 16. April geplanten Beschießung und Zerstörung der Stadt zu bewahren. Die holländischen Arbeiter hatten sich tags zuvor hier in Bernburg ordnungsgemäß abgemeldet wegen der am 12. und 13. ausgeführten Brückensprengungen hatten sie sich in der Nähe der zerstörten Eisenbahnbrücke am rechten Saaleufer versammeln müssen, waren von hier auf bereitgehaltenen Booten nach dem anderen Ufer übergesetzt und in amerikanischen Autos nach dem Flugplatz befördert. Der geschilderte Vorgang blieb vorerst in der Stadt unbekannt.
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Die Bewahrung der Stadt Bernburg vor der Zerstörung. In den der Brückensprengung folgenden Tagen fand der Verfasser Gelegenheit, sich an Verhandlungen und Geschehnissen zu beteiligen, die schließlich dazu führten, daß die Stadt Bernburg, deren Inbesitznahme durch den Gegner unvermeidlich geworden war, wenigstens vor der Verwüstung und Zerstörung bewahrt geblieben ist. Es sei ihm gestattet, den Verlauf dieser Tage in der Fassung zu schildern, wie er sie in seinen persönlichen Erinnerungen niedergeschrieben hat.- Als ich mich mit den Meinen am 13. April 3 Uhr nach Mitternacht aus dem unterirdischen Bunker der DSW, in dem wir die Nacht verbracht hatten, zum Morgen emporstieg und nach meiner Wohnung zurückkehrte, überkam mich in Sekunden an das der Stadt Bernburg drohende Schicksal „der Menschheit ganzer Jammer.“ Der seelische Druck hielt während des ganzen Vormittags an, ja er verstärkte sich noch. Doch als ich Mittags die Meldungen des Rundfunks hörte, ging eine Wandlung in mir vor. Ich vernahm einen Nachtrag zum Wehrmachtsbericht des 12. April, aus dem ich glaubte einen Strahl der Hoffnung aufleuchten zu sehen. Der Nachtrag enthielt eine Anordnung, als deren Unterzeichner genannt waren: der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht Generalfeldmarschall Keitel, der SS-Reichsführer Himmler und der Leiter der Parteikanzlei Bormann. Der erste Teil der Anordnung freilich, ihr Hauptteil, war dazu angetan, mich nochmals bis ins Innerste zu erschüttern. Er hatte etwa folgenden Inhalt - ich muß den Inhalt so wiedergeben, wie ich ihn damals vom einmaligen Hören im Gedächtnis hatte und etwa drei Wochen lang, kein gedruckter Text für mich erreichbar war, in meiner Erinnerung festhielt: „Alle Städte, die durchweg zugleich wichtige Verkehrsknoten-punkte darstellen, müssen bei feindlichen Angriffen bis zum Äußersten verteidigt und unter allen Umständen gehalten werden. Der für jede Stadt ernannte Kampfkommandant haftet mit seinem Kopfe dafür. Aber auch Militärpersonen und zivile Amtspersonen, die dem Kampfkomman-danten von seiner Pflicht abzuhalten versuchen, werden zum Tode verurteilt.“ Die Anwendung dieses Befehls auf die Stadt Bernburg in ihrer augenblicklichen Lage mit Oberstleutnant Schnitter als ihrem Kampfkommandanten und Kreisleiter Himmerich, mußte ganz unvermeidlich zur „Leistung äußersten“, aber völlig vergeblichen „Widerstandes“ und damit zur sicheren Zerstörung der Stadt führen. Doch - von solchem schreckhaften Gedanken wurde ich befreit, als ich den Nachsatz hörte: Ausnahmen von dieser Anordnung bestimmt das Oberkommando der Wehrmacht. Sofort stieg in mir die Hoffnung auf, daß dieser Nachsatz Bernburg retten könnte. Ich beschloß, sofort einen Ausnahme-Antrag zu entwerfen und der zuständigen Stelle zur Unterschrift vorzulegen. Doch wer war antragsberechtigt? Ich mußte zu dem Zweck und auch aus sonstigen allgemeinen Gründen zuerst den genauen Text der Anordnung kennen. Doch der Text blieb mir, wie gesagt am 13., aber auch an den folgenden Tagen unerreichbar. Denn Zeitungen erschienen seit dem 12. in Bernburg nicht mehr. Die meisten Personen aber, die ich fragte, hatten den Wehrmachtsbericht überhaupt nicht gehört oder nicht im Gedächtnis behalten. Den letzten Satz von der Ausnahmebewilligung wollte niemand gehört haben. So mußte ich wohl oder übel ohne genaue Kenntnis des Textes versuchen, den Antrag auf Bewilligung einer Ausnahme von dem Städteverteidigungsbefehl zu entwerfen. Erst später, nach drei Wochen, als alles längst vorüber war, gelang es mir, den Text des Befehls von dem in Bernburg lebenden früheren Herausgeber des „Anhalter Kurier“, Herrn von Zweck, der in Erkenntnis der Wichtigkeit des Befehls ihn sofort beim Hören im Rundfunk mitstenografiert hatte, im Wortlaut zu erhalten. Er lautete: „OKW-Bericht vom 12. April 1945. ......................... Das Oberkommando der Wehrmacht gibt ferner bekannt: Städte liegen an wichtigen Verkehrsknotenpunkten, sie müssen daher bis zum Äußersten verteidigt und gehalten werden, ohne jede Rücksicht auf Versprechen oder Drohungen, die durch Parlamentäre und feindliche Rundfunksendungen überbracht werden. Für die Befolgung dieses Befehls sind die in jeder Stadt ernannten Kampfkommandanten persönlich verantwortlich. Handeln sie dieser soldatischen Pflicht und Aufgabe zuwider, werden sie, wie alle zivilen Amtspersonen, die den Kampfkommandanten von dieser Pflicht abspenstig zu machen suchen, oder gar ihn bei der Erfüllung seiner Aufgabe hindern, zum tode verurteilt. Ausnahmen von der Verteidigung von Städten bestimmt ausschließlich das Oberkommando der Wehrmacht. Der Chef des Oberkommando der Wehrmacht gez. Keitel Der Reichsführer SS gez. Himmler Der Leiter der Parteikanzlei gez. Bormann.“ Denkt man diesem Befehl heute tiefer nach, so muß man ihn als einen Akt der Verzweiflung erachten. Der Befehl hat viele Männer, und gerade die Besten in den erzwungen Freitod - hier ist auch das Wort „Selbstmord“ am Platze - getrieben und vielen Städten im Reich völlig unnütze Verwüstung und Zerstörung gebracht. Bei seiner Abfassung hat die Partei durch ihre beiden Vertreter Himmler und Bormann die Oberhand gehabt, auch wenn man annehmen will, daß Himmler vornehmlich in seiner Eigenschaft als Reichsminister des Innern und deshalb als höchste Aufsichtsbehörde über die Städte den Befehl unterzeichnet hat. Mit Mühe hat anscheinend die höchste militärische Stelle, das Oberkommando der Wehrmacht, das Recht der Ausnahmebewilligung für sich allein durch-gesetzt. Doch wir werden sehen, wie es gleichwohl schwer war, mit einem Ausnahmeantrag bis an das Oberkommando der Wehrmacht überhaupt heranzukommen, da die Gauleiter, die zugleich Reichsverteidigungs-kommissare waren, dazwischen standen. Absichtlich ist wohl in der Anordnung nicht gesagt, wer zur Stellung des Antrags auf eine Ausnahmebewilligung berechtigt sein soll. - Ich kehre zu den Ereignissen vom 13. April zurück. Um den von mir geplanten Ausnahme-Antrag einwandfrei zu begründen, suchte ich mich sofort mit allen Vorgängen in der Stadt, und, soweit ich es vermochte, auch mit der Lage beim Gegner bekannt zu machen. Mit dem Oberbürgermeister stand ich in ständiger Verbindung. Ihm danke ich es, daß wir, nicht ohne seine Mühe und unter, sonst niemals von mir gewünschter, Hervorhebung meiner Eigenschaft als Ehrenbürger der Stadt Bernburg, vom städtischen Reichspostamt am 14. der sonst allgemein geschlossene Telefonverkehr geöffnet wurde. So konnte ich laufend über alle Ereignisse unterrichtet werden. Ich hörte, daß der Gegner vom Westen immer näher aufrückte und am 14. mit seinen Panzerspitzen bereits in die Linie Rathmannsdorf - Hohenerxleben - Neugattersleben vorgestoßen war. Am 15. früh stieg ich mit dem Oberbürgermeister auf den Beobachtungsstand des Rathauses und konnte hier trotz beschränkter Sicht feststellen, daß die Stadt Bernburg von allen Seiten eingeschlossen war. Meine Teilnahme an einer am Mittag des gleichen Tages im Luftschutz-Befehlsstand des Oberbürgermeisters stattfindenden Sitzung ergab das gleiche Bild: Ein grade eingetroffener Bote brachte die Meldung, daß amerikanische Panzer bereits auf dem Flugplatz der Junkerswerke bei Neugattersleben ständen. Von anderer Seite kam die Nachricht, daß Waldau besetzt sei und daß die Amerikaner auf Peißen vorrückten. Ein Gang am Nachmittag durch die Straßen der Stadt zeigte mir, daß die Straßensperren fast durchweg fertiggestellt, aber noch offen waren, und daß nur bei einigen wenigen noch Volkssturmleute arbeiteten. Von Truppen und Waffen konnte ich so gut wie nichts bemerken. Nur auf dem alten Gottesacker und dem hohen Saaleufer fand ich einzelne Uniformierte, zumeist von der HJ, in Schützenlöchern sitzen, mit einem Gewehr in der Hand, daß auf die Saale und die zerstörten Brücken gerichtet war, als ob der Gegner über die Reste der zerstörten Brücken oder auf Pontons die Saale überschreiten wollte. Der Abend und die Nacht blieben ruhig. Indes mag manchen, wie auch mich, das spannende Gefühl wach gehalten haben, daß der Gegner am nächsten Tage, dem 16. April, Bernburg angreifen würde. Ich hatte noch am Abend meinen Entwurf betr. die Ausnahmebewilligung fertig gestellt und das Schreiben mit den Worten begonnen: „Der unterzeichnete Oberbürgermeister der Stadt Bernburg bittet das Oberkommando der Wehrmacht um Bewilligung einer Ausnahme von dem für die Städte kürzlich erlassenen allgemeinen Verteidigungsbefehl und begründet die Bitte wie folgt:“ Bevor ich zu der Schilderung des 16. April, des Entscheidungstages, übergehe, sei noch eines Vorgangs vom 15. April gedacht, der erst mehrere Wochen später zu meiner Kenntnis gelangte. Der bereits oben erwähnte Oberst Hollunder, Kommandeur eines Fallschirmjäger-Sturmbataillons und zugleich Führer einer aus dem Harz zurückweichenden, noch fest zusammengeschlossenen Kampfgruppe, auch Brigade Hollunder genannt, war am 14. April auf der eigens für seine Kampfgruppe gebauten Fähre bei Gröna über die Saale gesetzt und zu mehrtägigem Aufenthalt in Bernburg eingerückt. Damit war er rangältester Offizier in der Stadt geworden und am 15. April vom Gauleiter, in dessen Eigenschaft als Reichsverteidigungskommissar, zum Kampfkommandanten der Stadt an Stelle des zurücktretenden Oberstleutnant Schnitter, ernannt worden. Am gleichen Tage, Sonntag, dem 15. April, ließ der neue Kampfkommandant durch Oberstleutnant Schnitter den Oberbürgermeister Eggert telefonisch zu einer grundlegenden Lagebesprechung nach der Kreisleitung zu Mittag 12 Uhr bitten. Der Oberbürgermeister folgte diesen Ersuchen, - um einen Zeugen zu haben: in Begleitung des Bürgermeisters Ackermann. Es waren anwesend außer Oberst Hollunder und Oberstleutnant Schnitter der Kreisleiter Himmerich und verschiedene Mitglieder seines Kreisstabes (Litte, Knabe, Schulz, Ziems, Kühne, Dittmann und der Bannführer Wentzlau). Oberst Hollunder stellte sich als Kampfkommandant vor, schilderte die Lage und bat um vertrauensvolle Zusammenarbeit. Der Oberbürgermeister richtete an den Kampfkommandanten die Bitte, daß alle Maßnahmen vermieden würden, welche die Stadt gefährdeten. Als Beispiel einer durchaus falschen und für die Stadt sehr schädlichen Anordnung bezeichnete er die Brückensprengungen. Dabei fiel ihm der Kreisleiter sofort mit Widerspruch ins Wort, indem er behauptete, daß die Sprengung nötig gewesen sei. Es entstand ein scharfer Wortwechsel, in dessen Verlauf der Oberbürgermeister die Brückensprengung als „Verbrechen“ und die Durchführung als „Beweis völliger Unfähigkeit“ bezeichnete. Er lehnte es überhaupt ab, sich mit dem Kreisleiter zu unterhalten, der durch die anderweitige Unterbringung seiner Familie usw. feige und unehrenhaft gehandelt habe. Nach diesem scharfen Zusammenstoß klärte der Oberbürgermeister den neuen Kampfkommandanten über die schweren Differenzen zwischen ihm und den Kreisleiter auf und betonte die Unmöglichkeit jeder Zusammenarbeit seinerseits mit dem Kreisleiter. Dagegen sei er selbstverständlich zum Wohle der Stadt und der Einwohnerschaft zu vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Oberst Hollunder bereit, den er im Namen der Stadt begrüße. Er bat gleichzeitig um Beseitigung einiger Panzersperren, die, entgegen den Bestimmungen in der Nähe von Lazaretten und einem Hilfskrankenhaus vom Kreisleiter angeordnet seien. Außerdem bat er um Rücksichtnahme auf die Lazarette und die Einwohnerschaft bei der leider nun einmal angeordneten Verteidigung, die ihm erfolglos und nur schädlich erschiene. Oberst Hollunder sagte Prüfung und Berücksichtigung zu. Dementsprechend wurde dann auch die Sperre am Kurlazarett unbesetzt gelassen.
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Der 16. April. Am frühen Morgen des 16. April kam mein Sohn in großer Eile zu mir. Der Oberbürgermeister bäte um meinen schleunigen Besuch. Die Amerikaner seien auf der Halleschen Chaussee im Vormarsch und ständen im Feuergefecht mit unseren Truppen und Volkssturmeinheiten. Ich rufe den Oberbürgermeister an, und wir einigen uns auf meinen Besuch um 8.30 Uhr. Zu genannter Zeit bin ich in Begleitung meines Sohnes bei ihm im Rathaus. Er bestätigt mir, daß im Südosten der Stadt an der Halleschen Chaussee bei den Fabriken von Sommer und Weigel gekämpft wird. Der neue Kampfkommandant sehe indes die Schießerei noch nicht als ernst an und verfolge die Plänkeleien vorläufig noch von seinem Befehlsstand im Hause der Kreisleitung. Ich berichtete dem Oberbürgermeister über die Vorgeschichte meines Entwurfs eines Schreibens an das Oberkommando der Wehrmacht und lese ihm den Entwurf vor. Zugleich bitte ich ihn sofort nachforschen zu lassen, ob im Rathaus der Wehrmachtsbericht vom 12. April mit der fraglichen Dreimänner-Anordnung vorhanden sei. Während im Rathaus danach gesucht wird, - er ist leider hier nicht vorhanden, auch in den Druckereien der Stadt nicht erreichbar -, lese ich meinen Entwurf nochmals dem Oberbürgermeister vor. Er erwidert: „Ich kann den Entwurf nicht unterzeichnen“. „Warum denn nicht“? „Ich bin genötigt, den Brief durch die Hand des Gauleiters Jordan, als den Reichsverteidigungskommissar, weiter zu reichen, und dieser zerreißt mir sicher den Antrag und wirft ihn in den Papierkorb“. „Dann will ich zum Kampfkommandanten gehen und ihn um Unterzeichnung und Weitergabe bitten.“ „Ich fürchte, Sie werden auch bei ihm nichts erreichen. Er ist ganz neu in der Sache und hat jetzt gerade den Kampf in der Halleschen Straße zu leiten. Er wird nicht zu sprechen sein.“ “Ich bitte Sie, mich bei ihm telefonisch anzumelden. Für ein paar Minuten wird er die Kampfleitung seinen Adjudanten überlassen können.“ Der Oberbürgermeister sucht Verbindung, meldet mich an und erhält zusagende Antwort. Ich gehe mit meinen Sohn sofort in das Haus der Kreisleitung Sedanplatz 8, - in mein früheres Wohnhaus, in dem ich mehr als 30 Jahre gelebt hatte. Ich betrete das Haus, - seit meinem Umzug nach Berlin vor 7 Jahren, zum ersten Mal wieder. Oberst Hollunder empfängt mich sofort und führt mich und meinen Sohn in ein großes Zimmer, in dem sich zugleich mehrere uniformierte Mitglieder des Stabes des Kreisleiters versammeln. Es erscheint mir am Platze, mich zunächst durch eine kurze Schilderung meines Lebensganges bei Oberst Hollunder einzuführen. Dann trage ich ihm meine bitte vor, den Antrag auf Bewilligung einer Ausnahme vom Städteverteidigungsbefehl zu unterzeichnen und dem OKW weiter zureichen. Auch erwähne ich, daß der Oberbürgermeister die Unterzeichnung abgelehnt habe, weil er fürchten müsse, daß der Gauleiter den Antrag nicht weiterreichen werde. Ich lese dem Kampfkommandanten den Antrag vor. Er erwidert: „Ich kann den Brief nicht unterzeichnen.“ „Weshalb denn nicht, Herr Oberst?“ - „Weil ich als Kampfkommandant den Befehl habe, die Stadt zu halten. Ein anderer möge den Antrag unterzeichnen. Weshalb nicht Sie selbst als Ehrenbürger der Stadt Bernburg?“ „Wenn weder Sie als Kampfkommandant noch der Herr Oberbürgermeister den Antrag unterzeichnen - gut, so will ich es, als Ehrenbürger der Stadt Bernburg tun.“ - „Tun Sie es, ich würde mich herzlich freuen, wenn Ihr Antrag Erfolg hat.“ - Letztere Bemerkung macht mich stutzig und läßt mich einen Blick in des Kampfkommandanten grundsätzliche Stellung zur Frage der Stadtverteidigung und in sein Verhältnis zu seinem Vorgänger Oberstleutnant Schnitter und zum Kreisleiter tun. Ich beschließe in mir, über die Bemerkung des vortrefflichen Mannes vorläufig nicht zu sprechen. Im Laufe der Unterhaltung fragt mein Sohn noch Oberst Hollunder, ob die Darstellung der militärischen Verhältnisse in meinem Antragsentwurf richtig sei. Der Oberst bejaht die Frage ausdrücklich. Ich kehre zum Oberbürgermeister zurück, unterrichte ihn über meine Unterhaltung mit Oberst Hollunder und über meinen Entschluß, den Antrag auf Ausnahmebewilligung vom Verteidigungsbefehl in meiner Eigenschaft als Ehrenbürger der Stadt Bernburg, selbst zu stellen. Der Oberbürgermeister ist einverstanden und begrüßt mit herzlicher Freude meine Bereitwilligkeit. Ich diktiere sofort - es ist 9 Uhr vormittags - den Antrag in die Maschine und unterzeichne ihn. Der Oberbürgermeister fügt aus freien Stücken noch eine kurze Befürwortung des Antrags namens der Stadt Bernburg hinzu, sodaß das Schreiben folgenden Wortlaut hat: „Bernburg, den 16. April 1945 An das Oberkommando der Wehrmacht, B e r l i n Der unterzeichnete Ehrenbürger der Stadt Bernburg bittet das Oberkommando der Wehrmacht um Bewilligung einer aus- nahme von dem für Städte kürzlich erlassenen allgemeinen Verteidigungsbefehl und begründet diese Bitte wie folgt: 1.) Soweit die Nachrichten des Deutschen Rundfunks, sowie eigene Ermittlungen und Beobachtungen ein Urteil für mich zulassen, dürfte sich die Kriegslage im Dreck Magdeburg - Halle - Dessau, auf dessen Saalebasis in der Mitte Bernburg liegt, in den letzten 3 Tagen wesentlich geändert haben. Der Feind ist nördlich von Bernburg im Südosten von Magde- burg bei Barby über die Elbe, und südlich von Bernburg im Nordosten von Halle bei Könnern über die Saale mit stärke- ren Kolonnen gegangen und ostwärts bzw. nordostwärts weiter- gerückt. Dadurch ist Bernburg im Norden und Süden vom Feinde überholt, vielleicht bereits nach Vereinigung beider Kolon- nen von allen Seiten eingeschlossen. Wenn so lange nach mir gewordener Mitteilung die Saalefront verteidigt werden sollte - aus welchem Grunde bereits die Saalebrücke in Bernburg ge- sprengt und zahlreiche Straßensperren errichtet worden sind -, so möchte mir augenblicklich eine Verteidigung der Saalefront allein bei Bernburg unnötig und überflüssig erscheinen. Selbst ein Zeitgewinn und eine Fesselung von feindlichen Kräften zwecks Vorbereitung und Verstärkung deutschen Widerstandes kann nach meinem Dafürhalten durch die Verteidigung von Bernburg nicht geschafft werden. Das Ergebnis der zwecklosen Verteidigung wäre lediglich die mit größten Schäden und Menschenverlusten verbundene Zerstörung der Stadt, zu deren Errettung ich mich als Ehrenbürger der Stadt Bernburg berufen fühle, sofern nicht ein dringendes militäri- sches Interesse vorgehen sollte, worüber allein das Oberkommando der Wehrmacht das Urteil zusteht. 2.) In der Stadt Bernburg, die vor dem Kriege rd. 45.000 Einwohner zählte, sind im Laufe des Krieges rd. 40.000 Evakuierte, haupt- sächlich Frauen und Kinder, untergebracht und über 20 Lazarette mit mehr als 4.000 verwundeten Soldaten angefüllt worden. Eine anderweitige Unterbringung der Evakuierten und Verwundeten war bisher unmöglich und ist heute völlig ausgeschlossen. Die große Zahl der verwundeten Soldaten in Bernburg dürfte es im übrigen wohl rechtfertigen, daß Bernburg ähnlich wie andere Städte zur Lazarettstadt erklärt wird. 3.) Kampfkommandant für die Stadt Bernburg ist seit gestern Oberst Hollunder, der Abschrift dieses Schreibens erhält. gez.: Dr. jur. Ernst Eilsberger Geh. Regierungsrat a. D. Ehrenbürger der Stadt Bernburg Die Richtigkeit der obigen Angaben wird bestätigt. Die obigen Ausführungen werden dringend befürwortet. Der Oberbürgermeister der Stadt Bernburg gez.: Eggert.
Von vorstehenden Schreiben wurden sofort zwei Reinschriften abgangsfertig gemacht und dem mit einem Motorrad ausgerüsteten Polizeimeister Sandmann zur Beförderung an das Oberkommando der Wehrmacht übergeben. Einem der Briefe verbarg er im Stiefel und fuhr von Bernburg 9.30 Uhr ab. Er erschien für diesen Botendienst besonders geeignet, da er sich vor kurzem aus dem Westen mit einem Pferdefuhrwerk durch die amerikanischen Truppen unbehelligt durchgeschlagen und sich auf solche Art nach seiner Meinung „an die Amerikaner“ gewöhnt hatte. Seiner Anregung entsprechend wurde er in eine Postuniform gesteckt, zu deren Darleihung sich ein aus Frankfurt a/O. evakuierter Postbeamter Hermann Brandt entgegenkommend bereit erklärt hatte. Polizeimeister Sandmann wollte angeblich seine erkrankte Mutter in Wiesenburg besuchen und erhielt entsprechende Ausweispapiere. Für seine Fahrt war ihm nach den von Oberst Hollunder gemachten Angaben der folgende Weg vorgezeichnet: Bernburg-Latdorf-Zuchau-Diebzig-Kühren-Aken-Elbefähre-Brambach-Roßlau. Von dort aus sollte er beim Stabe des dortigen Armee-Oberkommando den Sitz des Oberkommandos der Wehrmacht ermitteln, der wahrscheinlich Jüterbog sei. - Der Bote kam ungestört bis Aken, fand Aken noch von deutschen Truppen besetzt, auch die Fähre noch unbeschädigt in deutscher Hand, konnte sie aber nicht mehr benutzen, weil sie unmittelbar vor der Sprengung stand. Er mußte Kehrt machen und langte abends 19 Uhr wieder in Bernburg an. Inzwischen war der für Bernburg entscheidende Tag der Inbesitznahme durch die Amerikaner, man darf wohl sagen: gnädig abgelaufen. Doch man meine nun nicht, daß deshalb Antragstellung und Botenfahrt unnütz und wertlos gewesen sei. Beides hat den zunächst Beteiligten und Verantwortlichen, dem Kampfkommandant und den Oberbürgermeister, die Handlungsfreiheit gegenüber jenem in seiner Allgemeinheit unheilvollen Städteverteidigungsbefehl gegeben. Durch den auf den Weg gebrachten Antrag waren beide von dem durch jenen Befehl auferlegten Kadavergehorsam Unverantwortlicher befreit und brauchten sich ihr gesundes Bewußtsein echter Verantwortlichkeit nicht durch Gedanken an Selbstmord und Zerstörung der Stadt verwirren lassen. Der Weg dazu war ihnen durch dem im Befehl selbst zugelassenen Antrag auf Ausnahmebewilligung frei gemacht. Was der Kreisleiter, der bei dem ganzen Vorgang ausgeschaltet war, darüber dachte, wissen wir nicht. Jeder der diese Zeilen liest, mag aus seiner Handlungsweise am Abend des 16., auf die wir noch zu sprechen kommen, seine Schlüsse ziehen. Wir beschäftigen uns hier vorerst mit den Ereignissen am Morgen, Vor- und Nachmittag des 16. April, und zwar zunächst mit dem, was in der Bergstadt auf dem rechten Saaleufer geschah, wo die Hauptentscheidung fiel. Den Geschehnissen in der in der Talstadt, die sich zu Anfang völlig selbständig entwickelten und sich erst zum Schluß in die bereits in der Bergstadt gefallenen Hauptentscheidung einordneten, werden wir nach der Schilderung der Inbesitznahme der Bergstadt unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Die Kampfhandlungen in der Bergstadt Bernburg am 16. April. Der Kampfkommandant hatte noch am Abend des 15. April, als nach eingegangenen Meldungen die amerikanischen Panzerspitzen auf der Chaussee Halle-Bernburg bis nach dem Dorfe Peißen, 7 km südlich von Bernburg, vorgedrungen waren, etwa 300 m vor dem Stadtrand Bernburgs eine Verteidigungslinie aufgebaut, die mit den Fabriken Sommer & Söhne und Weigel an der Halleschen Chaussee in der Mitte, sich nach rechts bis zur Kustrenaer Chaussee, nach links bis zum Zepziger Weg hinzog. Die Stellung wurde am frühen Morgen des 16. von einigen schwachen Infanterietrupps, die mit Gewehren, Maschinengewehren und Panzerfäusten ausgerüstet waren, in der Hauptsache aber von Volkssturmmännern, die nur wenige Panzerfäuste besaßen, weitläufig besetzt. Kurz nach 8.30 Uhr rückten wie vom Rathausturm bei guter Sicht festgestellt wurde, die gegnerischen Panzer aus Peißen heraus. Das daraufhin in Bernburg gegebene Signal „Panzeralarm“ war das letzte Alarmsignal, das die Bernburger Sirenenanlage überhaupt gegeben hat, - nachdem sie in den letzten Wochen und Monaten zu jeder Tages- und Nachtzeit mit ihren Alarmsignalen die Bernburger Bevölkerung in die Luftschutzräume gescheucht hatte. Die feindlichen Panzer rückten vorsichtig vorwärts, zweigten auch kleinere Verbände nach der Kustrenaer Chaussee und dem Zepziger Weg ab. Die abgesessenen Panzersoldaten gingen in aufgelösten Schützenlinien gegen die deutschen Verteidigungsstellungen vor. Ein schwaches Infanteriefeuer von beiden Seiten setzte ein und hielt wohl eine Stunde lang an. Auch einzelne Einschläge von leichter und mittlerer Artillerie der Amerikaner erfolgten. Ein Vorratsgebäude der Fabrik Sommer & Söhne wurde in Brand geschossen. Gegen Mittag verlagerte sich die Kampftätigkeit mehr und mehr an den bebauten Teil des Stadtrandes heran. Am lebhaftesten ging es am Ausgang der Halleschen Straße zu. Von hier aus richteten amerikanische Geschütze mehrere Geschosse leichten Kalibers gegen die Panzersperre an der Wolfgangstraße, ohne ihr indes etwas antun zu können. Die Amerikaner stellten auch bald wieder das Feuer ein und beschränkten sich im wesentlichen darauf, in den am Stadtrand gelegenen Straßen eine Durchsuchung der Wohnungen nach deutschen Soldaten, nach Waffen und Fotoapparaten vorzunehmen. Die wenigen Todesfälle und Verletzungen, die bei den Kämpfen am Stadtrand auf deutscher Seite vorgekommen sind, dürften auf Zufall oder Irrtum, nicht auf Absicht zurückzuführen sein. Überhaupt glaubte man bemerken zu können, daß die Amerikaner - selbstverständlich auch im eigenen Interesse ihrer Sicherheit - nur langsam und vorsichtig vorgingen, dabei aber ungeachtet ihrer offenbaren Überlegenheit an Truppen und Waffen alles vermieden, was die Unseren zu heftigen Widerstand reizen oder gar was zu Blutvergießen führen konnte. Während der Kampfhandlungen fanden zwischen 12.30 und 14.30 Uhr Übergabe-Verhandlungen statt, deren Verlauf, mochte er auch zu keinem Ergebnis führen, wert ist, festgehalten zu werden. Der Kommandant der amerikanischen Panzertruppen, die an der Straßensperre in der Halleschen Straße Halt gemacht hatten, rief gegen 12.30 Uhr aus der ihn umstehenden Menge den Einwohner Baldewein aus der Antoinettenstraße 1 zu sich heran und forderte ihn auf, zum Oberbürgermeister mit folgenden Auftrag zu gehen: der Oberbürger-meister und der Polizeipräsident sollten sofort nach der Tankstelle Schade kommen, um Verhandlungen wegen Übergabe der Stadt aufzunehmen. Bei Nichterscheinen würde er, der Kommandant, Flieger anfordern und die Stadt bombardieren lassen, sodaß die Stadt in Trümmern gelegt würde. Baldewein, der sich als Parlamentär durch einen auf der Schulter getragenen, mit einem weißen Bettlaken bedeckten Schrubber kenntlich machte, erschien gegen 13.10 Uhr beim Oberbürgermeister und überbrachte ihm den Auftrag. Der Oberbürgermeister gibt hierzu folgende Schilderung: „Ich befand mich mit einigen Herren in meinem Dienstzimmer in einer Besprechung. Eben hatte mich Direktor Bökelmann, der Feldführer vom DRK, verlassen, als dieser mit Baldewein, den er im Flur angetroffen hatte, wieder zurückkehrte. Dieser trug mit das Ultimatum vor. Ich war mir sofort der großen Verantwortung für die Erhaltung der Stadt und der sehr kritischen Lage bewußt, denn nur wenige Minuten Luftbombardement hätten die bis dahin noch gut erhaltene nach dem Beispiel von Dessau, Magdeburg, Dresden usw. ausgelöscht. Eine Übergabe konnte nicht in Frage kommen, da man damit der deutschen Wehrmacht in den Rücken gefallen wäre. Infolgedessen hielt ich es für wichtig, Zeit zu gewinnen und wollte, mit Rücksicht auf die starke Belagerung der Stadt mit Lazaretten, größere Kampfhandlungen innerhalb der Stadt zu vermeiden suchen. Da der amerikanische Truppenbefehlshaber Baldewein nichts schriftliches gegeben hatte, bezweifelte ich zunächst dessen Legimatition und gab ihm dann 13.30 Uhr einen unterschriebenen Zettel mit folgenden Wortlaut: „Zu Verhandlungen befugt ist nicht der Oberbürgermeister, auch nicht die Polizei, sondern der Kampfkommandant der Wehrmacht. Luftwaffen-Einsatz würde gegen die Genfer Konvention verstoßen und mehr als 20 Lazarette in der Stadt Bernburg vernichten.“ Baldewein wollte sich zunächst, wie er meinte der Einfachheit halber, unmittelbar zum Befehlsstand des Kampfkommandanten begeben, ich veranlaßte ihn aber, sich jetzt erst langsam zum amerikanischen Befehlshaber mit dem Bescheid zurückzubegeben und sich zum Wege zum Kampfkommandanten bereit zu erklären. Damit glaubte ich Zeit zur weiteren vorherigen Besprechung mit Oberst Hollunder und mit dem Ehrenbürger Geheimrat Eilsberger zu gewinnen, im Hinblick auf den zum OKW entsandten Kurier. Der Kampfkommandant wurde sofort von vorstehenden telefonisch unterrichtet, er billigte den Wortlaut der Antwort und war zur sofortigen Besprechung der Sache vor Eintreffen des Parlamentärs bei ihm einverstanden. Ich bat Geheimrat Eilsberger zu mir, der sofort mit seinen Sohn bei mir erschien und wir begaben uns etwa 14 Uhr zum Kampfkommandanten, um mit ihm die Lage und deren weitere Entwicklung zu besprechen. Während der sich anschließenden Unterhaltung erschien der Parlamentär Baldewein und überbrachte den vorher dem Oberbürgermeister mitgeteilten Auftrag nunmehr dem Kampfkommandanten Oberst Hollunder. Dieser erteilte Baldewein folgende Antwort, die er ihn aufschreiben ließ. „Bernburg, den 16.4.1945 14.15 Uhr Der Kampfkommandant läßt die Frage unbeantwortet. Die zivile Verwaltung der Stadt hat Kurier zum Oberkommando der Wehrmacht entsandt, um Bernburg als Lazarettstadt und damit als offene Stadt zu erklären, da hier sehr viele Lazarette unter Schutz der Genfer Konvention stehen. Die zivile Verwaltung, nicht der Kommandant der Stadt bitten um 72 Stunden Frist, bis die Antwort des Oberkommandos eingegangen ist. Die 72 Stunden gelten ab 15 Uhr 16.4.1945.“ Der Kommandant bestätigte schließlich in meinem und meines Sohns Beisein auf Anfrage dem Oberbürgermeister, daß dieser durchaus korrekt, im Interesse der Stadt richtig und vaterländisch ehrenvoll gehandelt habe und daß niemand berechtigt wäre, ihm aus seinem Verhalten irgend welche Vorwürfe zu machen. - Infolge der wiederholten Hinweise des Oberbürgermeisters auf die Bestimmungen der Genfer Konvention zu gunsten von Lazaretten schien der amerikanische Truppenbefehlshaber nunmehr, entgegen seiner ersten Androhung des Luftbombardements bei nicht sofortiger Übergabe der Stadt, von dem Einsatz der Luftwaffe abzusehen zu wollen. Um indes, wie es schien, die Stadt und ihre Befehlsstellen unter Druck zu setzen, ließ er, zuerst gegen 15 Uhr, in die Gegend des Karlsplatzes und des Lindenplatzes etwa 6 Geschosse von kleinem oder mittleren Kaliber abfeuern, die nur ganz geringen Sachschaden verursachten. Dann schickte er noch kurz nach 16 Uhr 2 Flugzeuge, die mit Bordwaffen angriffen und gleich zu Beginn das Dach des Kuranstalt-Lazarettes in Brand schossen. Das gab dem Oberbürgermeister erwünschten Anlaß, sofort einen ausdrücklichen und energischen Protest wegen Verletzung internationaler Verträge zu erheben. Er wollte damit nachweisen, daß Bernburg wirklich Lazarettstadt sei, und zugleich erreichen, daß auf Grund der internationalen Vereinbarungen überhaupt von jedem Luftwaffenbeschuß der Stadt abgesehen werde. Das Protestschreiben hatte folgenden Wortlaut: „Bernburg, den 16. April 1945. An den Kommandanten der amerikanischen Truppen. Um 16.15 Uhr wurde mir heute gemeldet, daß durch Bordwaffen-beschuß das Dach der Kuranstalt, welches deutlich nach den internationalen Vorschriften als Lazarett gekennzeichnet ist, in Brand geschossen wurde. Eine solche Maßnahme widerspricht allen Vorschriften internationaler Abmachungen. Ich erhebe ausdrücklich und formell Protest gegen diese Verletzung internationalen Rechts und bitte dringend, die amerikanischen Truppen anzuweisen, keinesfalls die Vorschriften der Genfer Konvention bzw. der Haager Land-Kriegsordnung zu verletzen. Kein Mensch wird für eine solche Maßnahme die Verantwortung übernehmen können, und auch Sie werden das nicht wollen. Ich hoffe deshalb, daß weitere Verletzungen international Abmachungen unterbleiben und darf wohl annehmen, daß meine Einwände berücksichtigt werden. Die Stadt Bernburg beherbergt in allen Stadtteilen mehr als 20 Lazarette und Krankenhäuser. Der Oberbürgermeister der Stadt Bernburg gez.: Eggert.“ Der Oberhelfer des Roten Kreuzes Waldemar Hirstowski überbrachte mit Ausweis versehen, den Brief den Amerikanern. Er wurde zum Kommandanten geführt und mußte auf einen Stadtplan den die Amerikaner in ihren Besitz hatten, den Platz der Kuranstalt und der übrigen Lazarette und Krankenhäuser bezeichnen. Ihm wurde bedeutet, „daß auf dieses Lazarett, sowie auf sämtliche anderen Lazarette nicht geschossen werden wird, sofern keine deutschen Soldaten bzw. Zivilleute mit Waffen sich in der Nähe befinden und auf amerikanische Soldaten schießen.“ Im übrigen ließ der Kommandant dem Oberhelfer durch einen deutsch sprechenden Offizier mitteilen, daß der Treffer auf die Kuranstalt ein bedauerlicher Zufall sei. Die Amerikaner würden weiterhin nicht auf Lazarette schießen um nicht die darin befindlichen Verwundeten gefährden. In der gleichen Zeit, als vorstehende Auseinandersetzungen stattfanden, wurden die aussichtslosen Übergabeverhandlungen noch ein wenig weiter fortgesponnen. Parlamentär Baldewein, der das Fristgesuch dem amerikanischen Kommandanten überbrachte, erhielt von diesem den Auftrag, zum Kampfkommandanten zurückzugehen, daß die Frist nicht bewilligt und sofortige Übergabe der Stadt verlangt werde. Baldewein traf den Kommandanten nicht mehr in seinen Befehlsstand an und mußte sich zu Fuß nach der weit abgelegenen Zuckerfabrik in Dröbel begeben, wohin inzwischen der Befehlsstab verlegt war. Oberst Hollunder lehnte die Übergabe ab. Er setzte Baldewein auf einen Kraftwagen, damit er seine Ablehnung möglichst rasch den Amerikanern zurückbrächte. Doch Baldewein kam nicht mehr an sein Ziel. Fortsetzung der Kampfhandlungen. Die Amerikaner hatten nicht erst die Antwort des Kampfkommandanten abgewartet, sondern waren zum Großangriff angetreten. Immerhin mochten die vorausgegangenen Verhandlungen einen gewissen hinhaltenden und abschwächenden Einfluß auf die Amerikaner ausgeübt haben. Wenn sie von einem Bombenangriff nunmehr entgültig absahen, erschien ihnen vielleicht auch das Risiko zu groß, beim Bombenabwurf trotz aller Vorsicht doch ein Lazarett zu treffen. Auch dürfte das durch den Kampfkommandanten übermittelte Fristgesuch des Oberbürgermeisters und die ganze Haltung der Bevölkerung den Amerikanern gezeigt haben, daß sie ernsthaften Widerstand nicht zu befürchten hätten. Die nur mit ganz wenigen Schuß aus Gewehr und Maschinengewehr angegriffenen Sperren in den drei Anmarschstraßen wurden nicht gerade mit besonderer Energie von der Infanterie und Volkssturmeinheiten verteidigt. Der Parlamentär Baldewein mit seinem lakenumhüllten Schrubber wurde mit lautem Beifall von der Bevölkerung begrüßt. Auch weiße Fähnchen, um deren Beseitigung sich einige Volkssturmmänner vergeblich bemühten, zeigten sich hier und da. Bei solcher Haltung der Truppe und der Bevölkerung konnten die Amerikaner schließlich - sie hatten sich zwei Stunden vor den Panzersperren Zeit gelassen - nach wenigen Schuß und ohne nennenswerte Verluste auf beiden Seiten, durch die Sperren hindurchrücken. In der Öffnung der Panzersperren in der Halleschen Straße beteiligten sich auch einige Frauen, indem sie die Baumstämme und den Schutt beiseite räumten. Nach Überwindung der Sperren sah der Gegner keine besondere Gefahr mehr, weiter in die Stadt vorzudringen. Seine wiederholten Halte, die er gleichwohl bei seinem vorsichtigen Einmarsch machte, benutzte er dazu, die vor ihm und seitwärts liegenden Straßen mit Maschinengewehrfeuer leicht zu bestreichen. So gelangte er auf seinen drei Hauptstraßen zum Waisenhausplatz, zur Admiral-Scheer-Straße und zum Friederikenplatz. Die Vorgänge ab 17.45 Uhr schildert der Polizeihauptmann der Stadt Bernburg wie folgt: „Der Gegner hielt sich bei seinem weiteren Vorwärtsdringen immer noch vorsichtig zurückhaltend. Dadurch hatte der schwache deutsche Infanterieverband Gelegenheit, sich abzusetzen und das Stadtgebiet in ostwärtiger Richtung durch die Köthensche Straße zu verlassen. Auch der Kampfkommandant Oberst Hollunder verließ mit seinem Stabe, dem sich der Kreisleiter Himmerich mit seinem Büro anschloß, seinen Befehlsstand im Hause der Kreisleitung, Sedanplatz 8 und errichtete seinen neuen Befehlsstand weiter ostwärts in der Zuckerfabrik Dröbel. Seit dieser Zeit ist von dem Kampfkommandant und dem Kreisleiter nichts mehr bekannt geworden. Die letzten Gruppen und Grüppchen der Wehrmacht zogen an Häuserfronten entlang zur Köthenschen Straße hinaus. Gegen 18 Uhr war eine feindliche Infanteriespitze bis zur Gaststätte „Weihenstephan“, Ecke Lindenstraße-Karlsplatz vorgedrungen. Bald darauf erschienen auch einige Kampfwagen aus der Halleschen Straße auf dem Karlsplatz selbst. Infanterie schob sich durch die Deckungsgräben auf dem Karlsplatz gegen das Rathaus vor und erreichten nach einigen Feuerstößen gegen das Rathaus, ohne auf militärischen Widerstand zu stoßen, den Rathauseingang bei der Polizeiwache. Gleichzeitig rollten einige Panzer bis zur Rathausklause vor. Die Infanterie forderte vor dem Rathaus durch Zurufe den Oberbürgermeister und den Polizeichef auf, hinaus zu kommen, zum Zwecke der Verhandlungen. Oberbürgermeister Eggert und Polizeihauptmann Bornemann, die mit den gesamten Stabe der örtlichen Luftschutzleitung die Befehlsstelle besetzt hielten, begaben sich auf die Aufforderung hin vor das Rathaus und führten die ersten kurzen Verhandlungen mit der Kampfspitze, die von einem Leutnant geführt wurde. Dieser unterhielt sich durch drahtlose Telefonie mit seinem Kommandanten und nahm anscheinend weitere Anweisungen entgegen. Kurz darauf wurde das Rathaus von den Amerikanern besetzt. Der Oberbürgermeister mit dem gesamten Personal der städtischen Verwaltung und Polizei mußten während der Nacht im Rathaus bleiben. Damit war der Kampf um Bernburg entschieden. Der Gegner war an diesem Tage bis zum Schloß, zur Kaiserstraße und Sedanstraße vorgedrungen. Die weitere Besetzung der Stadt ostwärts, der Sedanstraße und Wilhelmstraße erfolgte erst am nächsten Tage. Polizeihauptmann Bornemann schließt seine Aufzeichnung mit der Notiz: „Durch die vorstehend geschilderten Kampfhandlungen um Bernburg ist nur geringer Sachschaden eingetreten. Ebenfalls sind die Personenverluste äußerst gering. Soweit bekannt geworden, sind gefallen am Kaliwerk Wintershall, in der KustrenaerStraße der Direktor Kleg und in der Schulstraße und Zepziger Straße zwei Volkssturmangehörige sowie ein Berufskraftfahrer der Saalemühlen.“ Nach späterer amtlicher Feststellung ist die Zahl der am 16. April 1945 durch Feindeinwirkung gefallenen Zivilpersonen der Stadt Bernburg größer geworden. Es sind am 16. April 1945 folgende Personen gefallen: Ehefrau Marie Buch Schüler Siegfried Gass Zugabfertiger Otto Giebler, Volkssturm Ehefrau Gertrud Hahne Bauaufseher Otto Hebestreit, Volkssturmmann Buchhalter Friedrich Henning Schlosser Paul Höcker Bergwerksdirektor Heinrich Kleg Pförtner Bernhard Kopplin Werkschutzmann Willy Maigatter Lokomotivführer Karl Noak Schüler Gerhard Schrödter Mechaniker Stanislaus Szezepanski Installateur Walter Wiehle
Wir tragen noch folgende Einzelheiten nach: Nach der Besetzung des Rathauses fuhr eine kleinere Panzergruppe nach der Franzkaserne in der Franzstraße und nahm hier auf der Straße Oberstleutnant Schnitter, dem Leiter des dortigen Wehrmeldeamtes, fest, als dieser gerade aus dem Portal heraustrat, um die Kaserne dem amerikanischen Offizier zu übergeben. Oberstleutnant Schnitter, mit einem Rucksack auf dem Rücken, wurde in einem Kampfwagen gestellt, der eine Rundfahrt durch die Straßen machte. Auf einen zweiten, dicht dahinter folgenden Kampfwagen stellten sie einen Mann der Werkschutzpolizei der Deutschen-Solvay-Werke, den sie zufällig in der Nähe des Bahnhofes antrafen und weil er eine Uniform trug, ohne weitere Prüfung festnahmen. In dem letzten, dritten Wagen der Gruppe schien ein Offizier zu sitzen, der wohl, mit den auf den ersten beiden Wagen aufrecht stehenden zwei Uniformierten, der Bevölkerung ein Schauspiel geben sollte. Der Werkschutzpolizeimann wurde noch im gleichen Abend wieder freigelassen, der Oberstleutnant Schnitter aber gefangen genommen. Der Kampfkommandant Oberst Hollunder wird aus seinem Absetzen kein Vorwurf gemacht werden können. Er hatte von vornherein die völlige Aussichtslosigkeit der Verteidigung der Stadt Bernburg erkannt und durfte sich nur den beim Oberkommando der Wehrmacht von ziviler Seite gestellten Antrag auf Fristgewährung berufen. Nicht konnte das Gleich der Kreisleiter Himmerich tun, der von Anbeginn an, gemäß dem für ihn immer noch geltenden Strikten Befehl des Gauleiters, die „Leistung äußersten Widerstandes“ vorbereitet und betrieben hatte und an dem erwähnten beim Oberkommando der Wehrmacht gestellten Antrag völlig unbeteiligt war. Seine ganze Handlungsweise erscheint um so seltsamer, wenn man doch folgende Tatsachen berücksichtigt, von denen einzelne schon im Vorstehenden gestreift sind. 1.) Kreisleiter Himmerich hatte seine Frau mit 2 Kinder vor der Brückensprengung nach Altenburg bei Bernburg in Sicherheit gebracht. 2.) Nach der Brückensprengung hatte er sein Geld von der Girokasse abgehoben, nachdem er die Bankbeamten spät abends besonders in die Kasse bestellt hatte. 3.) Er hatte die Nacht vom 12. zum 13. April mit mehreren Mitgliedern seines Stabes zu eigener Sicherheit in Pobzig zugebracht. 4.) Während der letzten Tage und Nächte vor dem 16. April hatte er mit mehreren Mitgliedern seines Stabes Militäruniform mit Offiziers-Schnitt ohne Rangabzeichen angelegt.
Am folgenden Tage, den 17. April, wurde die Besetzung der Stadt durch die Amerikaner vollendet. -
Wegen der im 4. Stock des Rathauses eingesperrten etwa 400 Personen (Oberbürgermeister, Polizei, Bürgermeister, Mitglieder der Luftschutz-Befehlsstelle, Luftschutzpolizei, Mitglieder des Deutschen Roten-Kreuzes, der Technischen Nothilfe und Rathauspersonal) verlangte der Oberbürgermeister sofort am 17. früh eine Besprechung mit dem verantwortlichen Offizier. Kurz nach 5 Uhr erfolgte diese in Gegenwart des Bürgermeisters Ackermann in der Erdgeschoßwohnung des Hauses Karlsstraße 1.
Magado-2 Wenn nicht anders ausgewiesen, dann Sammlung/Eigentum Magado Bilder/Beiträge dürfen "Nichtgewerblich" genutzt werden.
Der Oberbürgermeister legte zunächst formell dagegen Protest ein, daß er als Führer des Deutschen-Roten-Kreuzes, sowie die übrigen Roten-Kreuz-Mitglieder, ferner Feuerwehr und Personal im Rathauses eingesperrt worden seien. Der betreffende Offizier erklärte, daß er solches bedaure, daß aber im Kriege Mißgriffe unvermeidlich seien. Im übrigen bat der Oberbürgermeister um Verhinderung von Plünderungen. Das wurde zugesagt, trotzdem fanden zahlreiche Plünderungen, durch Ausländer, leider auch durch deutsche Evakuierte und sogar durch hiesige Einwohner statt. Das Verlangen auf Freilassung der im Rathaus eingesperrten 400 Personen wurde gegen Mittag erfüllt. Es wurden nun 10 englisch sprechende Einwohner verlangt als Dolmetscher, die gestellt wurden. Außerdem wurden die Geistlichen der Bernburger Kirchen zu einer Besprechung mit dem Kommandanten Major Stribling zu 14. Uhr vorgeladen. Über den Verlauf der Besprechung berichten wir auf Grund einer Aufzeichnung des Kreisoberpfarrers Ernst Kluge nachfolgendes: Die 5 in der Stadt Bernburg zur Zeit amtierenden Geistlichen: Kluge, Kindscher, Heide, Schröter, Dr. Langsch werden im Rathaus vom Vertreter des Kommandanten, Captain Moore, empfangen, der die Besprechung, durch die Vermittlung eines Dolmetschers, mit dem Kommentar einleitete, er dürfe wohl annehmen, daß die Geistlichen nicht gerade Freunde des Nazismus seien. Er bat die Herren, zu deren Überraschung, ihm Personen zu nennen, die für den Posten des Oberbürgermeisters und des Landrates in Frage kommen könnten. Kreisoberpfarrer Kluge führt in seiner Aufzeichnung wörtlich fort: „Nach kurzer Verständigung waren wir alle bereit, zuerst ein gutes Wort für Herrn Oberbürgermeister Eggert einzulegen, der sich um die Stadt große Verdienste erworben und in allerletzter Zeit durch kluges Handeln und selbstlosen Einsatz die Stadt vor Zerstörung bewahrt und sie gerettet habe. Captain Moore antwortete, daß von einem Verbleiben des Oberbürgermeisters in seinem Amt nicht die Rede sein könne, da die Bestimmungen seiner Regierung dies einem PG. verwehrten. Er bitte daher, ihm andere geeignete Persönlichkeiten nahmhaft zu machen. . . Ein jeder von uns bekam einen Zettel, auf dem er fünf Namen verzeichnen möchte. Ich dachte sofort an meinen Nachbar, Herrn Reinhold May, der als ein tüchtiger Kaufmann und Fabrikbesitzer Umsicht, Energie und Menschenkenntnis und Behandlung besitzt. Die anderen stimmten zu, und so kam dieser Name an die erste Stelle. Der zweite Name sollte Anwärter für den Landratsposten sein. Auch dieser Name war bald gefunden: Fabrikbesitzer Heinrich Zorn, als Besitzer einer Fabrik für landwirtschaftliche Maschinen habe er sicherlich eine gute Kenntnis des Landkreises. . . . Zu diesen Namen hatte ein jeder noch drei andere hinzugefügt. Aber möge das Übergewicht ihrer Stimmen - liefen diese beiden Namen für besagte Ämter durchs Ziel. Sofort ging ein Bote ab, um die beiden Herren zu benachrichtigen und zu befragen. . . Bald darauf erschien der Major Stribling selbst. . . Er äußerte sich in ähnlicher Weise wie Captain Moore, sodaß wir uns nach einiger Zeit befriedigt verabschieden konnten. Unten auf der Treppe des Rathauses trafen wir den höchsterstaunten Herrn Reinhold Hey. Wir begrüßten und beglückwünschten ihn als Oberbürgermeister. . . In der Tat brachte die nächste Stunde die Amtsenthebung des bisherigen Oberbürgermeisters Eggert von seinem Posten und die Ernennung des neuen Oberbürgermeisters Reinhold Mey. - - - Das Ausscheiden des Oberbürgermeisters Eggert aus seinem Amte, daß er 12 Jahre hindurch in Ehren zum Wohle der Stadt Bernburg verwaltet hatte, wurde von der Bevölkerung herzlich bedauert. Sein Ausscheiden wurde um so schmerzlicher empfunden, als er gerade im Zusammenhang mit der Inbesitznahme der Stadt durch die Amerikaner erfolgte. Denn gerade hierbei hatte sich der Oberbürgermeister durch sein entschlossenes und klares, nur von der Sorge um das Wohl der Stadt geleitetes Vorgehen die größten Verdienste um die Stadt erworben, ja, er hatte unter Einsatz seiner ganzen Person, allen Widerständen zum Trotz, die Stadt vor der Zerstörung und Vernichtung gerettet. Die Besetzung der Talstadt Bernburg am 15. - 17. April. Die Inbesitznahme der Talstadt der Stadt Bernburg durch die Amerikaner vollzog sich am 15. und 16. April völlig unabhängig von den geschilder-ten Vorgängen der Bergstadt. Der Grund für die Selbständigkeit der Kampfhandlungen in der Talstadt lag einmal darin, daß die Verbindung zwischen der Talstadt und der Bergstadt durch die Sprengung der Saalebrücken völlig abgebrochen war, und sodann darin, daß auf dem linken Saaleufer eine andere amerikanische Armee operierte als auf dem rechten Saaleufer. Im Mittelpunkt der Geschehnisse, die zur Inbesitznahme der Talstadt durch die Amerikaner führten, stand der Leiter der Saatzuchtwirtschaft G. Braune G.m.b.H. in Waldau, Herr Gottfried Braune. Wir lassen seinen Bericht über die Vorgänge in der Talstadt im Wortlaut folgen: „Am 15. April vormittags wurde mir durch meinen Gutsinspektor gemeldet, daß zwei Ausgänge der Talstadt durch amerikanische Panzer und Panzerspähwagen besetzt seien und zwar die Magdeburger Straße an der Siedlung „Zickzackhausen“ und die Straße nach Nienburg bei Altenburg. Am gleichen Tag gab der Ortsgruppenleiter von Waldau Herr Omyer, an die Volkssturmmänner den Befehl, die vorbereiteten Panzersperren zu schließen. Nur mit Mühe konnte hierzu eine geringe Anzahl Männer zusammengetrommelt werden, denen man ansah, mit welchem Widerwillen sie ans Werk gingen, da ein jeder die Aussichtslosigkeit eines Widerstandes einsehen mußte, zumal sich überhaupt kein deutsches Militär mehr in der Talstadt befand und auch mit keiner Hilfe von Seiten der Bergstadt wegen der erfolgten Brückensprengung zu rechnen war. Einige meiner Arbeiter und auch deren Frauen kamen zu mir und zeigten sich über die Schließung der Sperren derartig aufgebracht, daß wir beschlossen, rechtzeitig - also bevor ein Unheil angerichtet werden konnte - für die Entfernung bzw. Öffnung der Sperren schon wieder zu sorgen. Dies ist dann auch in der gleichen Nacht noch geschehen, wobei die Waldauer Frauen tatkräftig mithalfen, die, mit Sägen bewaffnet, die entfernten Baumstämme gleich noch zersägten, daß diese nicht etwa von anderer Seite zur erneuten Schließung der Sperren wieder Verwendung finden konnten. Am Nachmittag des darauffolgenden Tages, also des 16. April wurde ich von einigen meiner Arbeiter von meiner Wohnung abgeholt, da sich zwei Panzer und ein Panzerspähwagen der Amerikaner vor unserem Rittergut in der Magdeburger Straße postiert hatten und mein Erscheinen als Geschäftsführer des Betriebes von dem Kommandanten gefordert wurde. Auf meinem Wege zum Büro traf ich eine große Schar Männer, Frauen und Kinder, die zwei amerikanische Soldatenneugierig umringten, und die bei meinem Kommen laut riefen: „Da kommt Herr Braune, der kann englisch sprechen!“ Die beiden Posten führten mich zu ihrem Hauptmann, der mich ersuchte, dem Bürgermeister Bescheid zukommen zu lassen, damit er die Übergabe der Stadt vollzöge. Ich muß dabei noch erwähnen, daß sofort beim Eintreffen der amerikanischen Panzer der Vorort Waldau weiße Fahnen gezogen hatte. Ich erklärte dem Hauptmann, daß die Stadt Bernburg einen Oberbürgermeister hätte, der in der Bergstadt sei und wegen der gesprengten Brücken jetzt bestimmt nicht hier erscheinen könne. Als er daraufhin den Polizeigewaltigen der Talstadt zu sprechen verlangte, mußte ich ihm sagen, daß auch das nicht möglich sei, da sich dieser ebenfalls in der Bergstadt aufhielt. Nach einer Rücksprache mit mir, in der sich genauestens über meine Person informierte, erklärte mir sodann der Hauptmann: „Than you are the Bourgemaster!“ Ich dankte ihm für diese Ernennung, bedauerte jedoch, ablehnen zu müssen, da ich durch meinen Beruf stark in Anspruch genommen sei und ich außerdem eine verwaltungsmäßige Trennung der Stadt Bernburg in eine Tal- und eine Bergstadt nicht gutheißen könne. Es wurde mir nun bedeutet, daß ich mich nach den Bestimmungen der Alliierten nicht weigern dürfe, dieses Amt anzunehmen, und es wurde von mir verlangt, wegen der Übergabe der Talstadt sowie auch insbesondere wegen der Waffenablieferung alles in die Wege zu leiten. Leider ist diese Unterredung von anderen Personen teilweise mit angehört worden, wodurch das Gerücht, ich sei der neue Bürgermeister, in der Talstadt verbreitet wurde. Das hatte zur Folge, daß ich in den nächsten Tagen von einer unglaublichen Menschenmenge mit den z.Z. eigenartigsten Anliegen überlaufen wurde. Da der Ortsgruppenleiter Drayer die Verteidigung der Talstadt gewünscht hat und sich Waldau nunmehr weiß beflaggt zeigte, ging ich zu ihm die Wohnung, um ihm zur Waffenablieferung zu veranlassen, da er ja das Arsenal unter sich hatte. Zu dieser Unterredung nahm ich unseren Oberinspektor Herrn Spreter und Herrn Landwirt Ringelmann, Waldau mit. Bei meinem Eintreten zog Herr Drayer seinen Revolver aus der Tasche; die Herren Spreter und Ringelmann, die das bemerkt hatten, stellten sich jedoch sofort so dicht an ihm heran, daß er von der Waffe keinen Gebrauch hätte machen können. Herr Drayer begrüßte mich mit den Worten „Ihnen gebe ich nicht die Hand, da Waldau und somit auch Ihr Betrieb die weiße Flagge gehißt hat. Außerdem weiß ich, daß sie gekommen sind, um mich abzuholen, aber ich erkläre Ihnen, daß ich, wenn das geschieht, vorher noch mindestens sechs umlege.“ Des weiteren warf er mir noch vor, es sei eine Feigheit, jetzt nicht zu kämpfen, zumal doch die Panzer so günstig zum Abschuß daständen. Wir fanden diese letzte Bemerkung von ihm etwas verächtlich, da er ja als „Führer“ von Waldau in seinem Keller saß und andere zu diesem uneinigen Handeln verleiten wollte. - Jedenfalls verließen wir die Wohnung des Herrn Drayer, ohne etwas erreicht zu haben. Die amerikanischen Panzer hatten sich inzwischen wieder nach dem Flugplatz zurückgezogen. Am nächsten Morgen, dem 17.4. erschien ein Panzerspähwagen, besetzt mit einem Leutnant und drei Mann, welche in meinem Büro den „Bourgemaster Brown“ zu sprechen verlangten. Ich empfing diese Abordnung und erklärte, daß ich den Bürgermeisterposten nicht übernehmen könne. Während der Leutnant das Büro verließ um sich von seinem Wagen aus drahtlos telefonisch mit seinem Vorgesetzten in Verbindung zu setzen, der sich auf dem Klugplatz befand, blieben die drei amerikanischen Soldaten bei mir zurück. Es dauerte keine 10 Minuten, als auch der Captain mit seinem Wagen bei mir eintraf. Nochmals das dringende Ersuchen, das mir angebotene Amt anzunehmen. Meine wiederholte Weigerung unter Darlegung seiner Gründe. Unter anderem wies ich darauf hin, daß ich größte Schwierigkeiten hätte, die Waffenablieferung in die Wege zu leiten, da sich der Ortsgruppenleiter dem widersetzte. Außerdem hatten sich Herr Drayer und seine Genossen das Zurückziehen der amerikanischen Kampfwagen zu nütze gemacht und daß Gerücht verbreitet, die Deutschen hätten Magdeburg und Hannover wieder zurückerobert, und unsere Truppen befänden sich bereits in Könnern. Diese Nachricht bewirkte dann auch, daß auf einmal sämtliche weiße Fahnen wieder verschwunden waren. Der Captain hatte dies auch selbst schon bemerkt, er forderte sofort weitere Panzer vom Flugplatz an und fuhr direkt zur Wohnung des Drayer, um ihn zu verhaften. Es war dann übrigens ganz interessant, zu sehen, wie die enorme Unbeliebtheit des Herrn Drayer in einem ziemlich hemmungslosen Jubel der Waldauer zutage kam, als er abgeführt wurde. Am gleichen Tage kam dann der Captain nochmals zu mir und meinte, daß doch nun nach dieser Verhaftung meinem Amtsantritt als Bürgermeister wohl nichts mehr im Wege stände. Es war ja aber inzwischen die Bergstadt - übrigens eigentümlicher Weise durch Truppen einer anderen amerikanischen Armee - besetzt worden, und da ich erfahren hatte, daß Herr Reinhold Hey zum Bürgermeister der Stadt ernannt worden war, glaubte ich, daß damit auch die Ernennung eines Bürgermeisters für die Talstadt illusorisch bzw. überflüssig geworden sei. Der Captain erklärte sich damit einverstanden, mich von der Verpflichtung des mir zugedachten Bürgermeisterpostens zu entbinden, wenn sich Herr Hey bereit finden würde, die Verwaltung der gesamten Stadt zu übernehmen. In einer Besprechung am Tage darauf, zu der mich die Herren Hey und Eggert durch einen Polizeibeamten hatten ins Rathaus holen lassen, hörte ich, daß Herr Hey zunächst nur die Verwaltung der Bergstadt als Oberbürgermeister übernommen hatte. Ich ging sodann gemeinsam mit Herrn Hey zur amerikanischen Kommandantur, wo von dem betreffenden amerikanischen Offizier Herr Hey gebeten wurde, auch die Verwaltung der Talstadt mit zu übernehmen. Worauf dieser sich dann auch bereit erklärte, im Interesse der Bevölkerung, sein so schweres Amt auch auf die Talstadt auszudehnen.
Eine einzige Sperre war übrigens, als die anderen in der ganzen Stadt schon längst geöffnet waren, noch immer fest geschlossen und wurde von ihren Volkssturmmännern treu bewacht. An der Straße zum Weinberg - Richtung Nienburg, an der Eisenbahn entlang, lag diese in der Aufregung von allen völlig vergessene Sperre, an der sich die Leute, mit Panzerfäusten bewaffnet, postiert hatten. Man kann wohl behaupten, daß die dort auf verlorenen Posten stehenden Männer noch immer vom Glück reden können, daß nicht tatsächlich ein amerikanischer Panzer oder Spähwagen dort aufgetaucht ist - sie würden, ohne im geringsten der Sache genutzt haben, nur schweren Schaden verursacht haben. Fast unglaublich wirkte zum Überfluß noch die Feststellung, daß die den „Verteidigern“ ausgehändigten Panzerfäuste nicht scharf gemacht worden waren.
Wir haben dieser erschöpfenden und anschaulichen Darstellung nichts Sachliches mehr hinzuzufügen.
Herr Gottfried Braune hat durch sein entschlossenes und geschicktes Verhalten dazu beigetragen, daß die Talstadt mit Waldau von der Zerstörung durch den Gegner geblieben ist. Ferner aber hat er es verstanden, ungeachtet der Saalebrücken und der Verschiedenheit der auf beiden Saaleufer operierenden amerikanischen Armeen, die historische Einheit der Berg- und Talstadt Bernburg durch Stunden der Trennungsgefahr sicher hindurchzuretten.
Sclußwort Die Stadt Bernburg ist am 16. April, kurz vor dem Ende des furchtbarsten Krieges, dem Tage der Kapitulation der deutschen Wehrmacht zum 8. Mai 1945, von den Amerikanern in Besitz genommen. Wegen der zentralen Lage der Stadt Bernburg innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches ist die während des mehr als fünf Jahre währenden Zweifrontenkrieges niemals in den Mittelpunkt oder in die Nähe einer Schlacht geraten, sodaß Artilleriebeschuß sie nicht erreicht hat. Wie durch ein Wunder ist es ferner geschehen, daß sie während des ganzen Krieges bis zum 11. April 1945 von Bombenangriffen verschont geblieben ist, und daß auch der Bombenangriff vom 11. April verhältnismäßig geringen Schaden angerichtet hat. Vollends als größtes Glück aber darf es gelten, daß die Stadt Bernburg an dem Tage der Inbesitznahme durch die Amerikaner, dem 16. April, vor der Zerstörung durch Fliegerbomben bewahrt worden ist. Dank solchem mehrfachen Glücks ist Bernburg mitten unter den Trümmern - Wüstereien der sich in weitem Umkreis umgebenden deutschen Städte - mit Recht eine „Oase“ genannt worden. Das Regiment der amerikanischen Besatzung in Bernburg, das etwas länger als 12 Wochen bis zum heutigen Tage, dem 4. Juli währte, ist im Ganzen erträglich gewesen. Zu solcher Einstellung des amerikanischen Military Goverment dürfte wesentlich beitragen, daß der auf Vorschlag der Bernburger Geistlichen als neuer Oberbürgermeister berufene Herr Reinhold Hey es verstanden hat, in Ruhe und Klarheit die Interessen der Stadt und ihrer Einwohner beim Goverment zu vertreten, nicht Unbilliges zu verlangen oder zu wünschen und den amerikanischen Weisungen und Wünschen weitmöglichst zu entsprechen. Als besonderes Verdienst ist es ihm, und außerdem Dank der wirkenden Mitarbeit des neuen Landrats des Landkreises Bernburg, Herrn Zorn, auch diesem anzurechnen, daß die Stadt vor der ihr ernstlich drohenden Lebensmittelnot bewahrt geblieben ist. Dabei sei betont, daß der frühere Oberbürgermeister, Herr Eggert, auf Wunsch des Herrn Mey diesem vom Goverment zunächst zur Hilfe beigeordnet war, und daß Herr Eggert während der ersten 6 Wochen von früh bis spät auf dem Rathaus im Interesse der Stadt an deren Verwaltung getreulich mitgearbeitet hat. Nach entgültiger Festsetzung der Besatzungszonen durch die Alliierten ist die Stadt Bernburg seit dem heutigen Tage, dem 4. Juli 1945 unter russische Besatzungshoheit gekommen. Mit allen guten Wünschen für die Stadt Bernburg schließe ich diese Niederschrift.
Bernburg, den 4. Juli 1945
gez. Dr. Eilsberger Geheimer Regierungsrat a.D. Ehrenbürger der Stadt Bernburg
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