Im Mai dieses Jahrs jährt sich zum 388. Mal der Tag der Zerstörung Magdeburgs im Dreißigjährigen Krieg und zum 205. Mal das 183 Jahre später erfolgte Ende der französischen Herrschaft über die Festung Magdeburg. Zu Letzterem will ich versuchen etwas beizutragen. Bekanntlich hatten die gegen Napoleon 1813 bis 1815 verbündeten Truppen bei ihrem Kampf gegen die „Große Armee“ zunächst auf die Rückeroberung der von den Franzosen besetzten preußischen Festungen verzichtet. Nach der Schlacht von Groß Beeren erhielt das 4. Armee-Corps unter General Graf Tauentzien den Auftrag nach Torgau und Wittenberg auch Magdeburg wieder in preußische Hand zu bringen. Während Torgau und Wittenberg noch mit militärischem Einsatz zurückerobert werden mussten, sollte das im Falle Magdeburgs notfalls ebenso geschehen, wenn keine freiwillige Kapitulation zu erreichen war. Graf Tauentzien hatte zu diesem Zweck zunächst in Quedlinburg sein Hauptquartier eingerichtet. Um Magdeburg enger einschließen zu können, verlegte er sein Quartier aber noch näher in Richtung Magdeburg nach Hundisburg. Die Situation änderte sich mit dem Sturz Napoleons und dem Abschluss des Pariser Friedens. Das änderte allerdings nicht die Einstellung des Magdeburger Gouverneurs General Lemarois. Dieser lehnte auch die Befehle ab, die ihm über Tauentziens Hauptquartier vom französischen provisorischen Gouvernement aus Paris übermittelt wurden. Zeugnis vom Standpunkt der beiden Hauptpersonen legt ein Vorfall ab, der sich nach Vereinbarung eines Treffens zwischen Tauentzien und Lemarois, auf Antrag des Letzteren abgespielt hat. Tauentzien erschien am verabredeten Treffpunkt bei den Vorposten und musste dort über Gebühr lange auf das Eintreffen des Gouverneurs warten. Dieser zeigte sich sofort von einer solchen Arroganz, dass General von Tauentzien sein Pferd wendete, mit der Hand zum Zeichen des Abschiedes winkte und fortritt. Den französischen General irritierte das – er musste sich aber über sein unwürdiges Verhalten aufklären lassen. General Graf Tauentzien hatte dem französischen General übermitteln lassen, dass sich bei ihm kein französischer Offizier wieder blicken lassen dürfe. Lemarois bediente sich des in Magdeburg angesehenen Medizinalrats Dr. Voigtel als Vermittler. Dieser sollte in Hundisburg um die Einleitung der Kapitulation ersuchen. Der „amtliche“ Verkehr zwischen Preußen erfolgte zunächst über Dr. Voigtel, der persönlich als Bote fungierte bzw. schriftliche Mitteilungen machte. Alle Wünsche und Forderungen des Gouverneurs wurden von Tauentzien zurückgewiesen, der auf den von ihm formulierten Kapitulationsbedingungen beharrte. Schließlich wünschte Lemarois einen preußischen mit Vollmachten ausgestatteten Kommissar. Mit dieser Aufgabe wurde der Chef des Generalstabs des 4. Armee-Corps, Major von Rottenburg, betraut. Begleitet wurde er von Major von Eisenhart. An einem Sonntag, das genaue Datum ist nicht überliefert, kamen die beiden Kommissare in Begleitung französischer Soldaten gegen 4 Uhr nachmittags in die Stadt. Ihr Erscheinen verursachte einen Massenauflauf Magdeburger Bürger vor dem Fürstenhaus auf dem Wall. Nach einem gemeinsamen Essen erklärte der Gouverneur, dass er auf die formulierten Bedingungen nicht eingehen werde und dass der Chef seines Generalstabes mit den weiteren Verhandlungen beauftragt sei. Durch Tauentzien waren die preußischen Vertreter beauftragt zu erklären, dass im Weigerungsfalle der militärische Ring um Magdeburg eng geschlossen würde und eine spätere Kapitulation nicht mehr angenommen werde – es wäre dann nur noch eine „unbedingte Ergebung“ möglich. Die Einschließungsmaßnahmen würden im Moment der Rückkehr der Kommissare einsetzen. Nach erneut gestellter Forderung zur Anerkennung von sieben Punkten einer Kapitulationsvereinbarung kehrte Lemarois noch einmal zurück und erklärte, dass ihm das Gouvernement in Paris keine Befehle zu erteilen habe, er sei König von Magdeburg und könne diese Festung noch lange verteidigen. Da keine Zustimmung seitens der französischen Besatzer erreicht werden konnte, erklärte Major von Eisenhart: „Wenn das Ihre Meinung ist, so erkläre ich Ihr Korps für Brigands und Sie für deren Chef. Ihr Schicksal wird nicht zu beneiden sein.“ Dazu machte er eine eindeutige Handbewegung an den Hals. Ohne Verzug wollten von Rottenburg und von Eisenhart nunmehr aufbrechen, wurden aber zurückgerufen und die Bereitschaft zum Abschluss der Kapitulationsvereinbarung signalisiert. Eine halbe Stunde später – gegen 22 Uhr- schied man freundschaftlich mit der unterschriebenen Kapitulationsurkunde. Die Magdeburger Bürger begleiteten die zurück kehrenden preußischen Offiziere mit „Vivat“-Rufen. Die beiden Bevollmächtigten eilten nunmehr nach Hundisburg, wo sie gegen 1 Uhr eintrafen. Mit der erfreulichen Nachricht wurde Hauptmann von Weyher als Kurier zum preußischen König nach Paris in Marsch gesetzt. Er erhielt von diesem das Eiserne Kreuz Erster Klasse (Boten werden also nicht nur für schlechte Nachrichten bestraft, sondern für gute auch ausgezeichnet). Major von Eisenhart wurde beauftragt, die Übergabeformalitäten für Festung, Waffen und Vorräte abzuwickeln.
Ich denke, noch ein paar Detailfragen über den Ablauf der Übergabe mitzuteilen.
Bevor ich die Rückgabe der Festung Magdeburg an Preußen im Jahr 1814 weiter behandeln will, möchte ich zunächst die Bedingungen einfügen, wie die Kapitulation und Übergabe an die Truppen Napoleons I. im Jahr 1806 vollzogen wurde. Die noch vorhandene Urkunde hat folgenden Wortlaut:
Artikel der Capitulation der Stadt und Vestung Magdeburg, abgeschlossen zwischen dem Herrn Brigade-General Du Taillis, einem der Commandeurs der Ehrenlegion, Ritter des Militairordens von Bayern, Chef des Generalstabs des sechsten Corps der großen Französischen Armee; dem Obersten Liger-Belait, Officier der Ehrenlegion, commandiierenden Adjutant und Chefs des Generalstabs der Avantgarde, und dem Capitain Regnard, Mitgliede der Ehrenlegion und Generaladjutant Sr. Excellenz, des Herrn Marschall Ney, geschlossen im Namen Sr. Excellenz, des Herrn Reichs-Marschalls Ney, Großofficier der Ehrenlegion des großen Kreuzes, Chef der siebenten Cohorte, Ritter des Christordens von Portugal und Chef-Commandeur des sechsten Corps der großen Französischen Armee und zwischen dem Herrn von Renouard, Generalmajor, Chef eines Infanterieregiments und Ritter des Verdienstordens von Preußen; Du Trossel, Obersten der Infanterie und Commandanten der Vestung Magdeburg, und Le Blanc, Hauptmann im Infanterie-Regimente Prinz Louis von Preußen, geschlossen im Namen Sr. Excellenz, des Herrn Grafen v.Kleist, Generals der Infanterie, Ritters des schwarzen und rothen Preußischen Adlerordens und des Russischen Ordens St. Alexander-Newsky und Gouverneurs der Stadt und Vestung Magdeburg.
1. Artikel Die Stadt, Citadelle und Vestungswerke von Magdeburg werden den Truppen des sechsten Corps der großen Französischen Armee übergeben, mit ihrer Artillerie, Munition, Magazinen, Vorräthen aller Art und allem Staatseigentum darin, ohne alle Einschränkung und in dem Zustande, worin alle diese Sachen zur Zeit der Capitulation sich befinden. 2. Artikel Das Ulrichsthor und die äußern davor liegenden Werke werden der Französischen Armee eingeräumt, um durch dieselben den 10ten November, um 2 Uhr Nachmittags, in Besitz genommen zu werden. 3. Artikel Die Garnison marschiert mit allen kriegerischen Ehrenzeichen den 11ten November, des Morgens 11 Uhr, unter Trommelschlag, mit fliegenden Fahnen und vier Feldstücken durch gedachtes Ulrichsthor; sie streckt das Gewehr, und die Cavallerie liefert ihre Waffen und Pferde an der Stelle ab, die man bestimmen wird, auf die Schußweite der Kanonen der Vestung. 4. Artikel Nach abgelegten Waffen wird die Garnison zu Kriegsgefangenen, die Soldaten werden nach Frankreich geführt, und die Herren Officiere sind Gefangene, auf ihr Ehrenwort, vor der Auswechselung nicht gegen seine Majestät, den Kaiser von Frankreich und König von Italien, noch gegen seine Bundesgenossen, zu dienen, und wird ihnen freygelassen, sich dahin zu begeben, wo sie es selbst bestimmen werden; indessen können allein die Officiere, die ihre Familie haben und in Magdeburg etablirt und verheyratet sind, in der Stadt bleiben. 5. Artikel Die Herren Officiere behalten ihre Degen, ihre Bagage und Pferde; die Soldaten behalten ihre Tornister und Mantelsäcke. 6. Artikel Die Cadets, Fahnenjunker, Portd’epeefähnrichs, Feldwebel der Infanterie und Wachtmeister der Cavallerie werden als Officiere angesehen, und wie diese behandelt. 7. Artikel Die Regimentsquartiermeister, Auditeurs, Feldprediger und Chirurgen werden nicht als Kriegsgefangene angesehen. 8. Artikel Die beyden incompletten Invaliden-Compagnien, die unbrauchbar sind und sich in der Vestung befinden, werden daselbst ihre Waffen niederlegen, und werden in ihre alten Garnisonen geschickt, eine nach Peine, bey Hildesheim, die andere nach Aken, wo sie ihre gewöhnliche Löhnung und Verpflegung durch die Oberbehörden und auf Kosten des Landes erhalten werden. 9. Artikel Nach dem Abzuge der Garnison begeben sich die Herren Officiere zurück nach der Stadt, um daselbst ihre Pässe zu erhalten, und reisen ab, nachdem sie solche erhalten haben. Die Reverse, die sie auf ihr Ehrenwort ausstellen, vor der Auswechselung nicht zu dienen, müssen im Voraus bereitgehalten werden. 10. Artikel Die verheyratheten, und zu Magdeburg oder in dem Bezirk der Inspection etablirten Soldaten bleiben bey ihren Familien, mit der Bedingung, vor der Auswechselung nicht zu dienen, und keine militairische Uniform zu tragen. 11. Artikel Die verwundeten und kranken Officiere und Soldaten können bis zu ihrer Genesung in Magdeburg bleiben; sie werden auf Kosten der Stadt verpflegt. Preußische Oberchirurgen bleiben in hinlänglicher Zahl im Orte, um für sie zu sorgen. Sie werden, während ihres Aufenthalts, von der Stadt so wie die Französischen Oberchirurgen behandelt. 12. Artikel Die Personen, das Eigenthum der Einwohner, der Gottesdienst und die kirchlichen Verfassungen werden unter den Schutz der Gesetze und der Französischen rechtlichen Verfassung versetzt. Wenn in der Stadt Personen sich finden sollten, die solche zu verlassen wünschen, sey es, mit Erhaltung oder nach Verkauf ihres Eigenthums: so sollen ihnen die nöthigen Pässe und die erforderliche Gewährsleistung ertheilt und zugesichert werden. 13. Artikel Es wird nichts in der Verwaltung und der gegenwärtigen Verfassung des Landes geändert werden. Die Obrigkeiten, die dieses zu besorgen haben, werden ihre Verrichtungen fortsetzen, und den Schutz der Französischen Armee erhalten. 14. Artikel Es werden von beyden Seiten Commissarien ernannt werden, zur Abfassung des Verzeichnisses und zur Überlieferung der Depots an Planen und Karten, Papieren, Archiven, Artillerie, Kriegsmunition und Proviant und von allem, was zum Staatseigenthum gehört, es bestehe, worin es wolle, und was sich in der Stand befinden mögte. 15. Artikel Die Herren Stabs- und übrigen Officiere, so wie die Cadets, Fahnenjunker, Portd’epeefähnrichs, Feldwebel, Wacht- und Quartiermeister, die sich zufolge der gegenwärtigen Capitulation, in diejenigen preußischen Provinzen begeben wollen, die durch Französische Truppen besetzt sind, oder in der Folge noch besetzt werden könnten, werden auf Kosten dieser Provinzen und durch die Verwaltungsbehörden jeden Orts, ihre Löhnung und ihren Unterhalt auf dem Friedensfuß bekommen. Diese Löhnung und Unterhalt sollen genau den ersten jeden Monats bezahlt werden. 16. Artikel Sener Excellenz, dem Herrn Gouverneur von Magdeburg, steht es frey, wenn er es für gut befindet, einen Officier an seinen Landesfürsten zu schicken, um demselben von der gegenwärtigen Capitulation Nachricht zu ertheilen. Dieser Officier wird die nöthigen Pässe erhalten. 17. Artikel Alle Artikel der gegenwärtigen Capitulation, die scheinen könnten, einen zweifelhaften Sinn zu haben, sollen zum Vortheil der Garnison erklärt werden. 18ter und letzter Artikel Es sollen von beyden Seiten drey Geißeln von dem Range, den man bestimmen wird, zur wechselseitigen Garantie der Vollziehung dieser Capitulation gegeben werden. Diese Geißeln werden Morgen, den 9ten November, gestellt, und von beyden Theilen gleich nach der Besitznahme der Vestung wieder ausgeliefert. Gleichlautend in zwey Exemplaren ausgefertigt, den achten des Monats November Achtzehnhundert und sechs.
Du Taillis, von Renouard. Brigadegeneral und Chef des Generalmajor. Etat-Major.
Liger-Belair, (L. S.) du Trossel, Adjutant-Commandant. Oberst und Commandant.
L. A. J. Regnard, (L. S.) Le Blanc, Capitain und Adjutant. Capitain.
Hallo. wiedermal interessant, auch über dieses Kapitel der Magdeburger Geschichte, speziell der Festung, hier zu lesen. Gerade auch über die Bedingungen der Kapitulation/Übergabe, die meines Erachtens doch sehr milde erscheinen.
Die Übergabe und Räumung der Festung Magdeburg im Jahr 1814 – zeitlicher Rahmen
Ich hatte bisher auf die Angabe von Daten verzichtet, da sie nicht immer beschaffbar oder nicht eindeutig sind oder weil sie interpretiert werden können. Um aber ein zeitliches Verständnis zu ermöglichen, will ich zunächst den Zeitrahmen definieren, in welchem sich die Vorkommnisse um die Räumung der Festung Magdeburg bewegen. Bevor General Graf von Tauentzien als Oberbefehlshaber des 4. Armee-Corps befehlsgemäß seine Kräfte für die Einnahme der Festung Magdeburg einsetzen konnte, waren noch die Festungen Torgau und Wittenberg am Mittellauf der Elbe zu nehmen. Am 2. November 1813 begann die Blockade von Torgau. Am 10. Dezember 1813 wird nach starkem Beschuss das Fort Zinna von den Franzosen verlassen. Die Festung kapituliert am 26. Dezember 1813 und die Preußen rücken unter Graf Tauentzien am 10. Januar 1814 in Torgau ein. Die 4246 Mann starke Garnison unter General Graf von Narbonne wurde nach Schlesien in Kriegsgefangenschaft abgeführt. Nunmehr begab sich Graf Tauentzien nach Wittenberg, das bereits seit dem 15. 9. (bis 11. 10.) 1813 vom 4. Armee-Corps blockiert wurde. Bombardements und erneute Blockade erfolgten ab dem 23. 10. 1813 bis die Festung in der Nacht zum 13. Januar 1814 im Sturm genommen wurde. General von Tauentzien erhielt für seine Leistungen den Ehrennamen „Graf Tauentzien von Wittenberg“. Nunmehr war der Weg frei nach Magdeburg. Dieses war nach der Völkerschlacht blockiert worden und ein Ausfall der Franzosen am 16. 12. 1813 wurde zurückgeschlagen. Die groben Abläufe im Zusammenhang mit der Übernahme der Festung sind oben bereits genannt. Als geschichtliche Eckpunkte können der 11. April 1814 (Sturz Napoleons und Bildung eines provisorischen Gouvernements in Paris, welches Verhandlungen mit der Feind-Koalition aufnahm) und der 30. April 1814 (Vereinbarung eines Waffenstillstandes) angenommen werden. In älterer militärgeschichtlicher Literatur wird der Waffenstillstand oft fälschlicherweise als Friedensschluss bezeichnet. Der Friedensvertrag (1. Pariser Frieden) wurde jedoch erst am 30. 5. 1814 unterschrieben und am 31. 5. 1814 von den bis dahin verfeindeten Mächten ratifiziert und damit in Kraft gesetzt. Offene Punkte sollten in einem späteren Verfahren (Wiener Kongress) einer Lösung zugeführt werden. Der offizielle Einzug der Preußen unter General von Tauentzien in die Stadt und Festung Magdeburg erfolgte am 24. Mai 1814.
Erste Phase des Übergangs von der französischen auf die preußische Herrschaft über die Festung Magdeburg
Nach dem Sieg über die französische Festung Wittenberg wendete sich General von Tauentzien gegen Magdeburg. Zunächst nahm er sein Hauptquartier in Quedlinburg. Von dort aus wurde die Fortführung Blockade gegen die französische Festung geleitet. Wann das Hauptquartier nach Hundisburg verlegt wurde, konnte ich nicht feststellen. Es war aber damit das Ziel verbunden, den Ring um Magdeburg enger zu ziehen, um erneute Ausfallversuche zu verhindern, aber auch Versorgungsprobleme zu schaffen und zu verschärfen, um damit die Kapitulationsbereitschaft zu erhöhen. Für einen Sturm auf Magdeburg mit einer Besatzung von 18000 Mann reichten Tauentziens Kräfte nicht aus. Kapitulationsverhandlungen haben in diesem Zeitabschnitt deshalb sicherlich nicht stattgefunden. Die Situation änderte sich, als Napoleon I. gestürzt und eine neue Regierung in Paris zu Friedensverhandlungen bereit war. Das war allerdings noch keine Grundlage für den Gouverneur der Festung und Stadt Magdeburg, General Lemarois. Sein Eid galt immer noch Napoleon. Ob er einen Überblick über die politische und militärische Gesamtlage hatte, darf bezweifelt werden. Formal handelte er richtig, wenn auch undiplomatisch, wenn er Kapitulationsforderungen zurückwies. Allerdings war der tatsächliche Druck so groß, dass er einer Kapitulation zustimmte noch bevor am 23. 4. 1814 ein Waffenstillstand zwischen Frankreich und seinen Gegnern vereinbart war. Hier halte ich eine kurze Zwischenbemerkung für erforderlich. Es geht um die Definition von Waffenstillstand und Kapitulation. Beide Formen waren bis 1907 im Völkerrecht nicht fixiert. Erst die Haager Landkriegsordnung (HLKO) schaffte eine verbindliche Grundlage. Es ist aber davon auszugehen, dass die HLKO nur etwas fixierte, was vorher als ungeschriebenes Recht bereits existierte. Zentrale Begriffe waren demnach Ritterlichkeit und Ehre. Eine ehrenhafte Kapitulation war danach z. B. mit dem Recht verknüpft, dass der Unterlegene frei, mit fliegenden Fahnen, mit klingendem Spiel und mit Waffen und Ausrüstung (und ähnlichen Attributen militärischer Ehre, je nach getroffener Verabredung) die Festung verlassen durfte. Im Gegenzug verpflichteten sich die Kapitulierenden dazu, für einen gewissen Zeitraum keine Handlungen, auch nicht in fremden Diensten, gegen den bisherigen Gegner vorzunehmen (dieser hielt sich damit die Verantwortung für Unterbringung, Verpflegung und Versorgung von Kriegsgefangenen vom Leibe). Kapitulationen waren unkündbar und von beiden Parteien „ritterlich“ zu vollziehen. Ein Waffenstillstand konnte räumlich und zeitlich begrenzt vereinbart werden und bei Verletzung der Waffenstillstandbedingungen von der anderen Vertragspartei nach Ankündigung aufgehoben werden. Auch eine Kündigung war möglich (so ist es auch heute noch, falls sich jemand an verabredete Bedingungen hält). Der am 23. 4. 1814 von den Regierungen der kriegführenden Parteien vereinbarte Waffenstillstand war recht hart (Frankreich hatte einwilligen müssen, in bestimmten Fristen alle außerhalb der französischen Grenzen vom 1. Januar 1792 gelegenen Festungen zu räumen – alles in allem 53 - auch Magdeburg. Den Verbündeten mussten alle Artillerie-Depots und Munitionsvorräte übergeben werden – ein ungeheures Kriegsmaterial: 12 000 Geschütze, darunter 11 000 bronzene. Die französischen Truppen durften nur ihre Feldartillerie mitnehmen, und zwar auf je 1000 Mann 3 Geschütze. In Bezug auf die Räumung des französischen Gebietes wurde bestimmt, dass sie von den verbündeten Mächten nach Maßgabe des Abzugs der französischen Truppen aus den ausländischen Festungen bewerkstelligt werden solle.) griff allerdings in die vor Ort in Magdeburg/Hundisburg vereinbarten Kapitulationsbedingungen für die Stadt und Festung Magdeburg ein. Genau aus diesem Grund gab es Irritationen, Klärungs- und Änderungsbedarf. Von preußischer Seite war man bemüht, möglichst großzügig zu verfahren und hat damit der Abwicklung der Festungsübergabe gedient, die noch vor dem Friedensschluss Ende Mai 1814 zu Ende gebracht werden konnte.
Beispiele über Probleme und ihre Lösungen werde ich in weiteren Beiträgen folgen lassen.
Verhandlungen zur Übergabe der Festung Magdeburg nach der Waffenstillstandsvereinbarung vom 23. 4. 1814
Mit dem wieder eingesetzten Gouvernement des französischen Königs Ludwig XVIII. wurde preußischerseits ein Abkommen zur Übergabe der noch französisch besetzten Festungen getroffen. Das französische Departement beauftragte den Maréchal de Camp von Valazé damit, den Platz Magdeburg an einen preußischen Offizier zu übergeben. Entgegen früherer Absichten wurde durch General von Tauentzien der damalige Oberst und Brigade-Commandeur von Lossau beauftragt, die Festung von dem General von Valazé zu übernehmen. Zur speziellen Übernahme der Festungswerke und der zur Fortifikation gehörigen Gegenstände wurde der Ingenieur-Major von Kleist, für die Artillerie Major Spreuth, für die Archive der damalige Hauptmann und Adjutant des kommandierenden Generals von Puttkammer sowie zur Übernahme der Montierungs-Depots, der Magazine, der Kassen usw. verschiedene Militärbeamte dem Obersten von Lossau zur Seite gestellt. Sie hatten täglich um 11 Uhr Rapport zu erstatten. Oberst von Lossau erhielt freie Hand – er wurde über die ursprünglich mit dem Gouverneur Lemarois getroffenen Vereinbarungen nicht einmal informiert. Das führte letztendlich zu einer gewissen Reserviertheit zwischen dem französischen Gouverneur und dem preußischen Oberst. General von Valazé erwies sich als kompetenter und verantwortungsbewusster Partner und die Verhandlungen gingen konstruktiv und zügig voran. Etwa zum 8. Mai 1814 konnte von Lossau einen ersten zusammenfassenden Bericht über die vorzubereitende Konvention bezüglich des französischen Abzuges aus Magdeburg an General von Tauentzien geben. Allerdings gab es vielerlei Probleme und Beanstandungen von französischer Seite, die sich aus der Auslegung der vorgegebenen Übergabebedingungen ergaben. Beispielsweise war festgelegt, dass die nichtfranzösischen Hilfstruppen (Neapolitaner, Italiener, Illyrer und Rheinbundangehörige) sofort abmarschieren. Da diese aber nicht mit den materiellen Voraussetzungen ausgestattet waren (Geldverpflegung, Bekleidung, insbesondere Schuhe) musste zunächst die Finanzierung dieses Bedarfs sichergestellt werden. General von Tauentzien wies deshalb einen Fonds von 6000 Talern an, deren Verteilung erhebliche Auseinandersetzungen nötig machte. Nach Abmarsch der fremden Truppen ging es um die Anzahl der mitzuführenden Geschütze. In der französisch-preußischen Vereinbarung war festgelegt, dass für je 1000 Mann 3 Geschütze mitgenommen werden dürfen. Vor Ort wurde die Anzahl nach der Kopfstärke der nach Abmarsch der fremden Truppen verbliebenen französischen Truppen als Maßstab verwendet. Die Franzosen wollten die Geschütze aber nach der Stärke der ursprünglichen Festungsbesatzung berechnen. Oberst von Lossau sah das Zugeständnis der Mitführung von Geschützen durch die abziehenden Truppen als lediglich der Truppenehre zuzurechnendes Entgegenkommen an und war nicht bereit Munitionswagen und Munition mitnehmen zu lassen. Graf von Tauentzien gestattete schließlich 54 Feldgeschütze, entsprechend der ursprünglichen Truppenstärke, forderte aber, dass unter den mitzuführenden Geschützen keine ehemals preußischen sein durften. Auch das führte zu Auseinandersetzungen, die erst bereinigt werden mussten.
Die Übergabe der Festung Magdeburg an General von Tauentzien auf der Grundlage der Waffenstillstandsvereinbarung vom 23. 4. 1814 Stand 10. Mai 1814
Vom preußischen König mit der Abwicklung der Übergabeverhandlungen wurde der damalige Oberst von Lossau beuftragt. Zu dessen Person habe ich folgende lexikalische Angaben aus dem Jahr 1836 gefunden:
"Friedrich Constantin v. Lossau, königl. Generallieutenant, Ritter des rothen Adlerordens 1. Cl. des Ordens pour le mérite (erworben 1812 in Kurland), des eisernen Kreuzes 2. Cl. (vor Magdeburg), geboren in Westphalen. Im Jahre 1806 stand derselbe als Major im Generalstabe, im Jahre 1815 commandirte er als Oberstlieutenant in der Festung Graudenz, deren Commandant er als Generallieutenant im Jahre 1820 wurde, im Jahre 1825 aber ernannte ihn Se. Majestät zum Commandeur der 2. Division und 1. Commandanten zu Danzig. Seit dem Jahre 1834 lebt derselbe zu Berlin. Die Militair-Literatur verdankt demselben einen höchst scbätzenswerthen Beitrag durch ein im Jahre 1835 erschienenes, und noch gegenwärtig fortgesetztes grosses militairisches Werk über die Systeme der Kriegführung der berühmtesten Feldherren, älterer und neuerer Zeit."
Wie bereits erwähnt ging dieser zügig zu Werk. Für seinen ersten Bericht an General von Tauentzien wurde er von diesem mit Schreiben vom 10. 5. 1814 belobigt. Wir dürfen nicht vergessen, dass für die Vorbereitung der Übergabe, für die Übergabe selbst, für die Vorbereitung und Durchführung des Truppenabzuges von 18 000 Mann ein auch unter heutigen Bedingungen noch kolossales Arbeitspensum zu bewältigen war. Die nachstehend zu schildernden Vorgänge mussten in weniger als zwei Wochen realisiert werden – eine Anerkennung verdienende Leistung, für die von Lossau berechtigt mit dem eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet wurde.
Am 10. 5. macht von Tauentzien zunächst darauf aufmerksam, dass die französischen Truppen fremder Nationalität „augenblicklich herausgegeben“ werden müssen, da die französischen Grenzen verbindlich festgelegt seien und Zweifel an fremder Staatszugehörigkeit damit nicht mehr bestehen. Für die „Reconvalescenten“ legt er als spätesten Abmarschtag den 13. 5. fest.
Für die Mitnahme von Geschütz bestimmt er, dass dafür die ursprüngliche Gesamtstärke verbindlich sei und deshalb 54 Feldgeschütze an die Franzosen zu geben seien. Allerdings ohne dazugehörige Wagen und von Munition sei gar nicht zu reden. Der Abmarsch erfolge friedlich und die Geschütze seien ausschließlich als Ehrenzeichen bewilligt.
Der französische Abmarsch ist in drei Kolonnen vorgesehen und wird von preußischen Offizieren geführt. Termin ist der 15., 17. und 19. Mai, worauf von Tauentzien besteht. Eine Diskussion über spätere Termine lässt er nicht zu, da die Räumung laut Convention zwischen Preußen und Frankreich spätestens am 1. Juni 1814 erfolgt sein muss. Tauentzien hatte nicht die Absicht, diesen Zeitraum zu beanspruchen. Für die benötigten 15 000 Paar Schuhe hatte er alles erforderliche bereits eingeleitet.
Die Übergabe der Festung Magdeburg an General von Tauentzien auf der Grundlage der Waffenstillstandsvereinbarung vom 23. 4. 1814
Stand 12. Mai 1814
Die Übergabeverhandlungen sind weitgehend abgeschlossen. Für die Genehmigung von Abweichungen in Bezug auf die „Convention“ sieht sich General von Tauentzien nicht autorisiert strenge Einhaltung der Vorgaben.
Stand 14. Mai 1814 Graf Tauentzien teilt von Lossau mit, dass er Major von Krause zur Regulierung der Marschangelegenheiten bestimmt hat sowie für jede Marschkolonne einen weiteren Offizier. Er rät weiterhin „in Kleinigkeiten“ zu großzügiger Auslegung der vorgegebenen Bestimmungen, um im Interesse einer schnellen Räumung Verzug zu vermeiden und weist ihn an, für einen ordentlichen Zustand der abgehenden fremden Truppen zu sorgen. Im Notfalle sollen angemessene Geldvorschüsse gezahlt werden. Das Geld will sich Graf Tauentzien von den Gesandtschaften der fremden Truppenteile zurückholen. Ausgenommen bleiben die Holländer, die inzwischen eigene Kommissare in Magdeburg haben.
Stand 16. Mai 1814
Graf Tauentzien übersendet an von Lossau einen Bericht. In diesem wird das unehrenhafte Verhalten eines französischen Detachements unter dem Kommando eines Major Kosmann geschildert. Dieses hatte bei einem Ausfall am 30. 11. 1813 nach Barleben wehrlose Zivilisten misshandelt und umgebracht. Von Lossau wird beauftragt, die Täter zu ermitteln, um die Tat sühnen zu können.