1934 wurde die Pflichtmitgliedschaft zum Jungvolk, einer Gliederung der Hitlerjugend eingeführt. Ich ging also ab 1937 mittwochs und samstags Nachmittagzum Dienst, wie wir sagten. Zunächst in Jerichow, dann in Quedlinburg. Die HJ, so auch das Jungvolk, war militärähnlich organisiert. Es gab Einheiten mit Fahnen, Spielmann- und Fanfarenzug und Vorgesetzte. Es wurde marschiert inReih und Glied! Die Einheiten hießen Gebiet, Jungbann, Fähnlein, Zug und Gruppe. In Jerichow gehörten wir zu dem Gebiet „Mitte-Mitteldeutschland“. Die „Banne“ waren entsprechend den ortsansässigen Infanterieregimentern nummeriert. Unser Jungbann in Jerichow hatte daher die Nummer 66 nach dem in Magdeburg und Burg stationierten Infanterieregiment. Der Jungbann in Quedlinburg trug die Nummer 412 entsprechend dem Infanterieregiment 12., dessen 2. Bataillon in Quedlinburg seine Kasernen hatte. Wir trugen Uniformen, im Sommer schwarze kurze Hosen und braunes Hemd mit Halstuch und Lederknoten, im Winter lange schwarze Skihosen und schwarze warme Blusen. Die meisten Eltern konnten ihren Kindern solche Uniformen nicht kaufen. Manche hatten daher zunächst nur Hose oder nur das Hemd oder gar nichts. Wenn Uniformstücke vorhanden waren, dann oft gebraucht erworben. So ergab sich ein bunter Haufen. Was trieb man beim Jungvolk? Bei gutem Wetter fanden sogenannte Geländespiele statt, die meistens in Kloppereien ausarteten, bei schlechtem Wetter und im Winter gab es sogenannte Heimatabende. Wir saßen dann in warmen Räumen und sangen bekannte oder lernten neue Lieder. Eine direkte systematische nationalsozialistische Unterweisung fand nicht statt, zu der unsere Führer, die höchstens 15 Jahre alt waren, auch nicht in der Lage gewesen wären. Vorgetragen wurden aber Biographien der Nazigrößen, besonders Hitler und Göring. Schwerpunkte bildeten hierbei die Leistungen im ersten Weltkrieg. Von Göring wurde
immer wieder berichtet, dass er als Jagdflieger im ersten Weltkrieg einen Luftkampf mit einem englischen Jagdflieger abgebrochen habe, nach dem dieser seine Munition verschossen hatte. Dies wurde als besonders ritterliches Verhalten mit Vorbildcharakter herausgestellt. Ich persönlich nahm an dem Dienst mit wenig Begeisterung teil, besonders die Schlägereien waren mir zuwider, weil ich sie auch fürchtete. Ich hatte besonderes Pech, dass sich größere und ältere Jungen auf mich stürzten, einem Lehrersohn zahlte man es ganz gerne einmal heim. Ich saß lieber zu Hause auf dem Sofa und las die spannenden Geschichten von Karl May. In den Sommerferien fanden regelmäßig mehrwöchige Zeltlager statt, zumeist im Harz, an denen ich aber nie teilnahm, weil meine Familie die Ferien in Ferchland bei der Großmutter verbrachte. Ich musste daher immer von der Teilnahme an den Zeltlagern befreit werden. Wir veranstalteten auch oft Radtouren durch den Harz, die mir Spaß machten. Die Führer waren im Allgemeinen recht umgänglich, die Kameradschaft war gut. Besonders beeindruckend waren die großen Aufmärsche zu bestimmten feierlichen Ereignissen. Dann waren wir alle auf dem Markt aufmarschiert und die Fanfarenzüge spielten. Oft hatten auch die Garnisonen (in Quedlinburg gab es Infanteristen und Flieger) Abordnungen entsandt mit eigenen Musikkapellen. Es war dann üblich, dass die militärischen Kommandeure drei pensionierten Generälen, die in Quedlinburg ihren Wohnsitz hatten, Meldung erstatteten. Diese Generäle trugen ihre alten bunten Uniformen als Husar oder Dragoner. Auf uns Jugendliche wirkten sie schon etwas tatterig. Insgesamt verfehlten aber solche Ereignisse ihre Wirkung auf uns nicht.
Eine besondere Attraktion war in Quedlinburg der Fanfarenzug der HJ, der im Wettbewerb mit anderen den Rang des „Reichsfanfarenzuges“ erworben hatte, d. h. er war der beste Fanfarenzug in Deutschland. Das Verdienst gebührte besonders dem Leiter des Fanfarenzuges, einem etwa 18-jährigen jungen Mann mit großem musikalischen Talent. Er leitete seinen Fanfarenzug wie ein professioneller Orchesterdirigent mit entsprechenden Gesten und Gesichtsausdrücken. Er beschränkte sich nicht auf die Einstudierung von Militärmärschen, sondern brachte auch klassische Stücke wie z. B. „Aida“ von Verdi. Er trat auch als Solist hervor und spielte eine kleine Trompete, mit der er auch seinen Musikzug dirigierte. So ein Fanfarenzug bestand aus zwei Kesselpauken, etwa acht großen Trommeln und 15 Fanfaren.
Sonntags vormittags hatten wir oft im Quedlinburger „Schilling“-Theater Kinovorstellungen. Diese wurden immer eingeleitet durch den Fanfarenzug, der uns begeisterte mich so stark, dass ich mich um die Aufnahme in den Fanfarenzug bewarb. Zu meiner großen Freude wurde ich angenommen und durfte mir eine Fanfare abholen. Als ich damit zuhause ankam, verlangte meine Mutter von mir, dieses Instrument sofort wieder zurückzubringen. Sie konnte dieses „Krachgerät“ nicht leiden. Damit war der Traum vom Fanfarenblasen beendet.
Zu Weihnachten 1942 sollte ein großer Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus in Quedlinburg stattfinden. Die vielen Buden und Attraktionen waren aufgestellt. Die Leitung war nun der Meinung, dass der Markt in den Nächten nicht unbewacht sein dürfe und meiner HJ-Einheit, wurde der Wachdienst übertragen. Wir erhielten einen großen Raum im Rathaus zugewiesen, indem die erforderliche Zahl von Betten aufgestellt war. In der Nacht mussten dann jeweils zwei Jungen für zwei Stunden mit wachsamen Augen auf dem Marktplatz hin- und herlaufen. Unser Anführer hatte nun
– wie er meinte – die gute Idee, zwei Kleinkalibergewehre mit Munition zu beschaffen, mit denen die Wachen jeweils ausgerüstet wurden. Das machte auf uns natürlich einen gewaltigen Eindruck. Mit geschultertem Gewehr die Wache durchzuführen, verschaffte uns ein gehobenes Selbstbewusstsein und ein Gefühl der Sicherheit. Der Vorgang führte aber zu einem Eklat. Der Bannführer, ein gesetzter, etwas älterer Mann, mit Bauchansatz erfuhr davon. Er erschien sofort auf der Wache und nahm uns die Gewehre ab. Wir alle erhielten einen scharfen „Anschiss“. Der Bannführer hielt uns vor, was wir uns als Jugendliche dabei denken, mit geladenen Gewehren nachts auf dem Markt herumzulaufen. Wir seien schließlich keine Polizei. Wir waren natürlich sehr enttäuscht, sahen aber auch ein, dass wir wohl unsere Kompetenzen überschritten hatten.
Dies über meinen Dienst in der HJ, der mit der Einberufung als Luftwaffenhelfer zur Flak nach Magdeburg am 12.09.1943 endete.
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Eine Besonderheit unserer Generation mit prägendem Charakter möchte ich hervorheben. Es war unsere Beziehung zum Militärischen, zur früheren Reichswehr und dann zur Wehrmacht, mit der wir uns eng verbunden fühlten. Die Gründe hierfür erkläre ich mir so: Unsere Kindheit fiel in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Es gab damals sowohl für Erwachsene (z.B. Ernst Jünger und Erich Remarque) als auch für Jugendliche und Kinder eine umfangreiche Kriegsliteratur. Diese beschrieb durchaus auch die Schrecken des Krieges und kann im allgemeinen nicht alskriegsverherrlichendangesehen werden. Sie zeigte aber den deutschen Frontsoldaten sehr positiv. Er galt als tapfer, vaterlandslieb und letztlich als heldenhaft. Das sprach uns als Jungen natürlich an. Die Frontsoldaten fanden unsere Anerkennung und Verehrung. Diese Sympathie übertrug sich dann später ohne weiteres auf die Reichswehr und die neue deutsche Wehrmacht. Wenn sie ihre Feldübungen machten, waren wir Kinder immer dabei. Besonders die Pioniere fanden unser großes Interesse, wenn sie eine Pontonbrücke über die Elbe schlugen. Wir sammelten für die Soldaten die Hülsen der Platzpatronen, besorgten für sie bei den Bauern Eier, sie unterhielten sich mit uns, ließen uns auf ihre Fahrzeuge und hatten nichts dagegen, wenn wir uns ihre Stahlhelme aufsetzten. Wir bekamen von ihnen auch Brot, Butter und Wurst, was auch bei den Eltern zu Hause sehr gut ankam. Bei Manövern, die regelmäßig stattfanden, gab es Einquartierungen. Jeder Haushalt bekam einen Soldaten zum Schlafen und zur Beköstigung zugewiesen, die Besseren einen Offizier oder Feldwebel, die kleinen Leute meist einen einfachen Soldaten oder schon einmal einen Unteroffizier. Zu den letzteren gehörten meist wir, worüber sich meine Mutter ärgern konnte. Für uns Kinder war eine solche Einquartierung ein ganz besonderes Erlebnis, obwohl die jungen Soldaten meist schüchtern waren und in fremder Umgebung wenig aus sich herausgingen. Die Eltern freuten sich auf den regelmäßig stattfindenden Manöverball in dem ländlichen Tanzsaal. Dies alles führte zu einem harmonischen Verhältnis zwischen der Bevölkerung und auch uns Kindern zu der Truppe. Man interessierte sich für sie, ihre Waffen, Flugzeugtypen und Fahrzeuge. Offene Bekundungen der Freundschaft durch die Bevölkerung gegenüber den Soldaten waren selbstverständlich. Solche Bekundungen habe ich letztmals erlebt in Westberlin gegenüber den amerikanischen Soldaten. Wenn sie auf den Straßen mit ihren Panzern und Fahrzeugen fuhren, winkte man sich gegenseitig zu und lachte. Die Westberliner wussten warum. Das ist heute alles völlig anders. Die deutsche Wehrmacht wird besonders in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr als eine verbrecherische Organisation gesehen, deren Angehörige natürlich nicht viel besser wegkommen. Die heutige Bundeswehr ist für die Bevölkerung kaum wahrnehmbar. Allenfalls huscht mal eine Soldatin oder ein Soldat in bunter Tarnkleidung vorbei. Unsere Streitkräfte finden in der Bevölkerung kaum Interesse. Bei Vereidigungen von Rekruten werden durch Pfiffe und andere Störungen, an denen sich auch Politiker beteiligen, offene Ablehnung bis hin zur Feindschaft gezeigt.
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- Die Einberufung nach Magdeburg und die Ausbildung
Die Schüler der 6. Klasse der GutMuths Oberschule in Quedlinburg (Jahrgänge 1926 und 1927) wurden im September 1943 als Luftwaffenhelfer nach Magdeburg zur Flak eingezogen. Wir hatten uns mit unserem Gepäck auf dem Schulhof zu versammeln, wo wir von einem Oberleutnant und einem Wachtmeister (Feldwebel) der Flak begrüßt wurden. Der Oberleutnant sagte dann zu dem Wachtmeister:Führen Sie die Leute ab. Diese Worte waren für uns wie ein Schlag in das Gesicht. Letztlich hatte aber der Herr Oberleutnant durchaus eine zutreffende Formulierung gefunden. Wir wurden nun abgeführt von unserem Leben als Kinder und Schüler in die Welt des Militärischen. Wir fuhren dann mit der Bahn nach Magdeburg in unseren H-J-Uniformen, kamen aber unterwegs überein, unsere „Hakenkreuzarmbinden“ und die Rangabzeichen abzulegen. Wir wollten damit zeigen, dass wir nun der Luftwaffe angehörten und nicht mehr der HJ.
Wir landeten dann in Magdeburg-Rothensee und wurden während der Ausbildung in dem Tanzsaal des Gasthofes „Zum Krug“ untergebracht. Dort waren schon zweistöckige Holzgestellbetten aufgebaut, wobei jeweils ein freies Karree blieb, in dem Tisch und Stühle für die Einnahme der Mahlzeiten Platz hatten. Unsere erste Aufgabe bestand darin, mit unseren Bettunterlagen zu einem Bauern zu marschieren, die dort mit Stroh gefüllt wurden. Der Übergang von den Federbetten, die wir zuhause gewöhnt waren, zu dieser neuen Art von Betten verursachte lange Gesichter. Uns fiel das Lied ein: „Die Tiroler sind lustig, die Tiroler sind froh, sie haben kein Bettchen, sie schlafen auf Stroh.“
Dann empfingen wir Uniformen, Wäsche und Geräte sonstiger Art. Die Uniform mussten wir sofort anziehen und unsere „Zivilklamotten“ in dem mitgebrachten Koffer verstauen, der dann nach Hause zurückgeschickt wurde.
Wir wurden der 827. leichten Flakabteilung zugeteilt, die in Rothensee in Stellung lag. Diese Abteilung bestand aus vier Batterien mit je vier Zügen. Ich gehörte zur ersten Batterie, die ausnahmsweise 5. Züge hatte mit insgesamt 15 Geschützen vom Kaliber 3,7-cm. Die übrigen Batterien verfügten über 2-cm–Vierlingskanonen oder 2-cm-Solokanonen. Insgesamt bestand die Abteilung aus 51. Geschützen. Die Bezeichnung der Einheit und ihr Standort waren geheim. Mit der Außenwelt durften wir nur über unsere Feldpost-Nr. L 32604 verkehren. Die Flak-Kanone 3,7-cm 1937 war geeignet für die Bekämpfung von Tieffliegern. Das Geschütz konnte 80 Granaten pro Minute verschießen, die Reichweite betrug 1.500 m hoch und 6.500 m horizontal. Um das Geschoss schnell an das Flugzeug heranzubringen, hatte dieses eine sehr hohe Anfangsgeschwindigkeit. Sie betrug etwa 850 m/s.
Neben unserer leichten Flak-Abteilung waren in Rothensee zahlreiche schwere Flak-Batterien stationiert, die aus je sechs oder 12 Kanonen mit Kaliber 8,8-cm bestanden. Sie erreichten eine Schusshöhe von 15.000 m.
Diese Massierung von Flak in Rothensee diente dem Schutz der dort ansässigen Industrie, wie Giesches Erben, Krupp-Mouson und der BRAWAG (Hydrierwerk).“
Wir wurden von Unteroffizieren und Obergefreiten an der leichten Flak Kal. 3,7 cm ausgebildet und beherrschten dieses Gerät bald genauso wie unsere Ausbilder. Jeder konnte jede Funktion an dem Geschütz ausüben, wir waren also austauschbar.Der Vorgang der Waffe beim Schuss (was passiert alles zwischen der Betätigung des Abzugshebels durch den Richtkanonier und dem Austritt des Geschosses aus dem Rohr) war ein wichtiges Thema. Mehrmals in der Woche hielt der Zugführer Unterricht ab über die Gliederung der Flak, über die Typen der feindlichen Flugzeuge, über militärisches Verhalten und vieles mehr. In der Woche gingen wir dreimal zur Bertold-Otto-Schule in Magdeburg, wo wir in Fächern wie Deutsch, Englisch, Latein, Erdkunde, Geschichte und Naturwissenschaften unterrichtet wurden. Wir erhielten auch regelmäßig Zeugnisse, die von unseren Lehrern und auch von unserem Batteriechef unterschrieben wurden, weil sie sich auch auf die dienstlichen Leistungen bei der Flak bezogen.
- Amtliche Regelungen des Dienstes der Luftwaffenhelfer
Zusammen mit der Einberufung zum Luftwaffenhelferdienst erhielten wir ein Merkblatt mit allgemeinen Anordnungen und Darstellungen der Dienstverhältnisse der Luftwaffenhelfer. Dieses Merkblatt war in lupenreinem Amtsdeutsch geschrieben und fand nicht unser Interesse. Grundlage dieses Merkblattes war der „Erlass des Reichsministers der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe vom 26.01.1943 – 11 b Nr. 1/43 (Chef d. L. w./1 Wehr 1 III). Im Anhang (Seite XX) abgedruckt. Dieser Erlass regelte in 26 Punkten detailliert und umfassend das gesamte „Luftwaffenhelferwesen“. Ich habe ihn erst nach dem Krieg zur Kenntnis nehmen können. Es war nun für mich sehr interessant, meine praktischen Erfahrungen bei der Flak mit den Regelungen des Erlasses zu vergleichen. Wie so oft im Leben ergaben sich erhebliche Diskrepanzen zwischen Praxis und Theorie. Überspitzt könnte ich sagen: „Ähnlichkeiten waren rein zufällig“. Ich möchte einige Passagen aus diesem Erlass zitieren, ihre Wertungen aber dem Leser überlassen.
In der Präambel heißt es, dass die Luftwaffe mit dem Einsatz der Luftwaffenhelfer eine hohe Verantwortung übernehme und dass die jungen Menschen stolz darauf seien, dass sie bereits in noch nicht wehrpflichtigem Alter für den Sieg Deutschlands im Rahmen der Wehrmacht aktiv eingesetzt werden. Dieser Stolz sei zu vertiefen und die Begeisterung für das Soldatische wach zu halten, um die Wehrfreudigkeit zu steigern. Zweck des Kriegshilfseinsatzes der Luftwaffenhelfer sei es, Soldaten zum Dienst mit der Waffe an der Front freizumachen. Nach dem Krieg schätzte man, dass etwa 200.000 Luftwaffenhelfer von 1943 bis 1945 zum Einsatz gekommen sind. Viele von ihnen sind gefallen.
Es heißt dann weiter:
Zu den Luftwaffenhelferdiensten seien die Schüler der Geburtsjahrgänge 1926 und 1927, die der 6. und 7. Klasse einer höheren Schule angehören, heranzuziehen. In nicht zu übertreffenden Amtsdeutsch wird dann festgelegt, dass die Luftgaukommandos den zuständigen höheren Verwaltungsbehörden zur Weitergabe an die Heranziehungsbehörden für die Ausfüllung der Heranziehungsbescheide für
jede heranzuziehende Klasse der einzelnen Schule umgehend Tag, Stunde und Ort der Meldung mitzuteilen hätten.“ Die Schüler seien in ihrer Schule zusammenzuziehen, und in geschlossenen Transporten unter Führung eines Offiziers und in Begleitung eines Lehrers (der fehlte bei uns) zu den Einsatzdienststellen in Marsch zu setzen. Es wird vorgeschrieben, dass für 100 eingesetzte Luftwaffenhelfer etwa 70 Soldaten frei zu machen seien. Bei der dienstlichen Beanspruchung sei auf die leichtere Ermüdung der Jugendlichen im Entwicklungsalter Rücksicht zu nehmen. Der Jugendliche brauche durchschnittlich 10 Stunden Schlaf. Bei Nachtdienst sei ausreichende Bettruhe bei Tage anzuordnen. Den Luftwaffenhelfern werden dann alle möglichen Dienstverrichtungen zugewiesen. Es heißt dann, dass sie nach Ausbildung in einer ihrer Entwicklungsstufe angemessenen Tätigkeit auch an der Flak-Waffe Verwendung finden können. Eine Einteilung an der schweren Flak-Waffe dürfe nur für solche Funktionen vorgesehen werden, mit denen besondere körperliche Anstrengungen nicht verbunden seien. Da kann man nur lachen! Immerhin wurde der Einsatz im Küchen-, Kasino-, Reinigungs- und ähnlichen Dienst verboten.
Für alle Luftwaffenhelfer ist grundsätzlich die Anrede „Sie“ zu wählen. Die Freizeitgestaltung, weltanschauliche Schulung und die allgemeine Betreuung der Luftwaffenhelfer außerhalb ihres Einsatzes bei der Truppe soll durch die HJ nach Weisung des Reichsjugendführers erfolgen. Eine solche Weisung ist wohl nie erfolgt, ebenso wenig die vorgeschriebene Betreuung durch die HJ.
Die Luftwaffenhelfer sollen freie Verpflegung nach den Truppenverpflegungssätzen ihrer Einsatzeinheiten erhalten. Die Alkohol- und Tabakportionen dürfen für die Luftwaffenhelfer nicht empfangen werden, stattdessen sind „Vitamindrops“ oder Süßigkeiten auszugeben. Trotzdem haben wir eigentlich ständig geraucht, besonders auch im Einsatz an den Geschützen. Wir meinten, dass dies einfach dazugehöre.
Mit der Regelung, dass jedem Luftwaffenhelfer eine tägliche Barvergütung von 0,50 Mark zu zahlen sei, möchte ich diese trockene Materie abschließen.
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Nach Abschluss unserer Ausbildung wurden wir den einzelnen Flakstellungen zugewiesen. Diese lagen in Rothensee auf freiem Acker in dem schweren Boden der Magdeburger Börde. Wir hatten daher meistens dreckige Schuhe. Besser waren die Kameraden dran, die einem Zug zugeteilt wurden, dessen Geschütze auf dem Grünstreifen der Autobahn aufgestellt waren, die von Berlin nach Hannover führte und die wir später oft befahren haben. Schützen sollten wir die dort ansässige Industrie, wie Giesches Erben und die BRABAG vor Tieffliegerangriffen. Ein Flakzug bestand aus drei Geschützen und fünf Holzbaracken. Für die 30 Luftwaffenhelfer standen drei Baracken zur Verfügung, für jede Geschützbedienung eine. Die Baracken bestanden aus einem Wohn- und Essraum mit eisernem Ofen sowie einem gesonderten Schlafraum mit Doppelstockbetten, Strohmatratzen und Spinden. Die Geschütze waren in einem viereckigen Erdwall mit Holzverschalung aufgestellt und mit dem Erdboden fest verbunden (ortsfest). Die Nächte im Winter 1943/1944 waren sehr kalt und meistens von Fliegeralarm unterbrochen. Wir zogen daher nachts die Uniformen gar nicht erst aus. Bei Alarm, der durch ein Telefon ausgelöst wurde, sprangen wir aus den Betten, zogen Schuhe,
einen Mantel und einen sogenannten Übermantel an. Der Stahlhelm wurde auf den Kopf gestülpt. Manche trugen ihn auch in der Hand. Das galt für diejenigen, die sich mit ihren jugendlichen Gesichtern in dem meist zu großen Helm etwas komisch vorkamen. Sie setzten den Helm erstbei Gefahr im Verzug auf. Ich gehörte auch zu denen, aber aus einem anderen Grunde. Ich hatte nämlich dickes, welliges Haar, das nach 2 Stunden Stahlhelm platt gedrückt war und dann 2 Tage zur Erholung brauchte. Dies beruhte nicht nur auf Eitelkeit. Es fand ein ständiger Kampf zur Erhaltung der Individualität statt gegen das Übergewicht des Uniformierten. Die Erhaltung persönlicher Eigenheiten war notwendig zur Abwehr einer vollständigen Vereinnahmung durch das Militärische. Im Laufschritt ging es dann zu den Geschützen, die schnell feuerbereit gemacht wurden. Zwei Mann befreiten sie von den riesigen Planen, die vor Witterungseinflüssen schützen sollten. Der Ladekanonier spannte das Geschütz und führte ein Munitionsmagazin seitlich in den Lauf ein. Der Richtkanonier nahm seinen Sitz ein. Der Entfernungsmesser packte sein optisches Gerät aus, die übrigen umlegten die Kanone mit griffbereiter Munition. Schließlich wurde ein zweites Kanonenrohr (3,30 m lang) für den Fall bereit gelegt, dass das erste Rohr heiß geschossen war. Dann standen wir herum, machten Witze und warteten auf das, was nun kommen sollte. Die Motorengeräusche der anfliegenden Bomberverbände ließen meist nicht lange auf sich warten. Meist überflogen sie uns auf ihrem Flug nach Berlin. Der eigentliche Zweck des Ganzen, nämlich das Schießen auf feindliche Flugzeuge, kam nicht so häufig vor, weil diese meist in einer Höhe flogen, die wir mit der leichten Flak nicht erreichen konnten. Die Arbeit mussten wir dann unseren Kameraden von der schweren Flak überlassen, die unaufhörlich schoss. Wir waren daher bei Fliegerangriffen oft nur Zuschauer, allerdings gewaltiger, unvergesslicher Vorgänge, die ich später noch beschreiben werde.
Sonntags ab mittags hatten wir meistens Ausgang. Wir zogen unsere Ausgangsuniformen an und fuhren mit der Straßenbahn nach Magdeburg. Unser Programm war immer gleich. Es gab eine große Anzahl von Kinos auf demBreiten Weg, die für uns sehr unterhaltsame Filme brachten. In Frage kamen für uns nur Revue- und Ausstattungsfilme mit guten Kapellen, viel Musik, guten Schlagersängern und Tanz. Sie hatten Titel wieImmer nur Du,Sophienlund, Hallo, Janin! und ähnlich. Unsere Idole waren Johannes Heesters, Heinz Rühmann, Marika Röck, Zahra Leander, Rosita Serano usw. Die Schlager aus diesen Filmen nahmen wir schnell auf.Frauen sind keine Engel wurde gesungen und gepfiffen und auf einem uns zur Verfügung stehenden Klavier gespielt. Absoluter Höhepunkt war der Besuch des Zentraltheaters mit seinen Operetten, wie Maske in Blau. Hier wurden wir für etwa 2 Stunden der Wirklichkeit völlig entrissen. Krieg und Flak waren vergessen. Wir lebten in zivilen Welten mit gut aussehenden und gut gekleideten Menschen. Manchmal reichte die Zeit zu einem Besuch bei meiner Tante Hedwig, die in Magdeburg in der Falkenbergstraße wohnte und sonntags meistens Freundinnen zum Kaffeeklatsch als Gäste hatte. Ob wir da immer willkommen waren, mein Freund und ich, möchte ich aus heutiger Sicht bezweifeln. Jedenfalls bekamen wir Kaffee und Kuchen und trotteten dann wieder in die Flakstellung, wo wir das Erlebte verdauten und mit den Kameraden darüber redeten.
Zu unserem routinemäßigen Dienst gehörte auch das Wacheschieben, eine unangenehme, stupide Tätigkeit. Die Geschütze mussten von einem Mann mit Gewehr vom Einbruch bis Ende der Dunkelheit bewacht werden. Hierzu wurden wir alle herangezogen, der Wachdienst betrug 2 Stunden, die sich wie eine Ewigkeit hinzogen, dann erfolge die Ablösung durch einen Kameraden. Einmal hatten wir einen sehr unangenehmen Zwischenfall während des Wachdienstes. Zwei Kameraden waren in der Baracke über das Funktionieren des französischen Beutegewehrs, das wir auf Wache benutzten, in Streit geraten, als gerade der Posten mit Gewehr zur Ablösung erschien. Der eine Kamerad, der nun begierig war, den Streitfall durch wirklichkeitsnahe Demonstration an der Waffe zu lösen, entriss diese dem Posten, wobei sich ein Schuss löste. Da sich etwa 10 Kameraden während der abendlichen Freizeit in der Baracke aufhielten, erwarteten wir jeden Augenblick den Aufschrei eines Getroffenen. Der blieb Gott sei Dank aus. Ein Mensch war nicht verletzt, aber viele Gegenstände waren beschädigt. Wie wir feststellten, hatte der Schuss die Wand zum Schlafraum und einen dort hängenden Stahlhelm durchschlagen. Das Geschoss hatte sich dabei zweigeteilt und zum einen etwa 6 aufgehängte Übermäntel durchlöchert und zum anderen eine Spindwand und dann sämtliche Uniformteile, die in dem Spind hingen. Wir waren entsetzt. Jeder Verlust von Geschossen, die nach der Wache vollständig wieder abgegeben werden mussten, führte zu umfangreichen Ermittlungen, natürlich erst recht ein zerschossener Stahlhelm und durchschossene Uniformteile. Es begann nun sofort ein intelligentes Konsilium zur Erarbeitung von Lösungen, die eine Offenbarung des Vorfalles verhindern sollte. Der Stahlhelm verschwand in dem Koffer eines Kameraden, der am nächsten Tag auf Urlaub fahren sollte. Nach seiner Rückkehr meldete er, dass sein Stahlhelm aus unerfindlichen Gründen verschwunden sei. Der Posten gab an, dass ihm eine Patrone verloren gegangen sein müsse, weil er das Gewehr während der Wache einmal durchgeladen habe, wobei die Patrone herausgefallen sein müsse. Den Ort kenne er noch genau. Dieser wurde dann von ihm und dem Oberwachtmeister aufgesucht, wobei sich ergab, dass sich gerade dort eine große Matschpfütze befand, in der nichts zu finden war. Die Patrone wurde daher abgeschrieben. Alle Kameraden arbeiteten die Nacht durch und vernähten fein säuberlich die Löcher in den Uniformstücken. Als wir am nächsten Tag zum Appell antreten mussten, sagte der uns inspizierende Oberwachtmeister natürlich völlig ahnungslos -:
Das sieht ja aus wie Durchschüsse. Wir konnten uns das Lachen kaum verkneifen. Damit war der Vorfall ohne schädliche Folgen beendet, bildete aber noch lange Gesprächsstoff. Unser Dienst bei der Flak war durch zahlreiche ministerielle Richtlinien geregelt. Wenn man davon absieht, dass unser militärischer Einsatz als 15- und 16-jährige an der schweren und leichten Flak im Rahmen der Luftwaffe schon an und für sich als Verstoß gegen die Menschlichkeit angesehen werden könnte, atmeten diese Richtlinien einen gewissen Geist der Rücksichtnahme auf unsere Jugend und den Stand unserer Lebensentwicklung. Vielleicht kam in den Richtlinien ein Stück schlechten Gewissens zum Ausdruck. Man weiß, dass unser Einsatz bei der Flak in den staatlichen und militärischen Stellen nicht unumstritten war. Jedenfalls war unsere Verpflegung unserem Alter angepasst, reichlich und gut. Milchspeisen gab es täglich, ebenso Fleisch und Gemüse, abends Wurst, Butter und Brot. Alles in reichlichen Mengen. Eier gab es leider nicht. Hier entwickelten wir den ersten Schwarzmarkt. Einige unserer Kameraden waren Bauernsöhne, die regelmäßig Eier von zu Hause erhielten. Die verkauften sie für 0,50 RM das Stück, der Normalpreis betrug 0,10 RM. Im Kochgeschirrdeckel wurden dann auf unserem eisernen Ofen köstliche Spiegeleier gebraten. Der tägliche Mittagsschlaf war Vorschrift und wurde überwacht. War nachts Fliegeralarm, so brauchten wir am nächsten Tag erst um 10.00 Uhr zur Schule. Eine gute Behandlung erfuhren wir durch unsere Wachtmeister (Zugführer) und Obergefreite, die meist schon etwas älter waren. Sie behandelten uns wie ihre Jungen. Unser Oberwachtmeister war etwa Mitte der vierziger Jahre und wir nannten ihn Papa. Er war gutmütig und versuchte, uns so weit wie möglich zu schonen. Eine Ausnahme war in der Ausbildung ein Obergefreiter. Er musste früher Fallschirmjäger gewesen sein, denn er trug einen Ärmelstreifen mit der Aufschrift Kreta. Man erzählte, dass er wegen einiger Verfehlungen vom Feldwebel zum Obergefreiten degradiert worden sein sollte. Dieser Obergefreite neigte gelegentlich zu schikanösem Verhalten. Gott sei Dank hatten wir unseren Oberwachtmeister. Wenn ihm Übergriffe des Obergefreiten zu Ohren kamen, ließ er ihn kommen und machte ihn fertig, dass ihm hören und sehen verging.
Unsere Offiziere gaben sich kaum mit uns ab, nur beim Unterricht. Unseren Batteriechef kannten wir nur flüchtig. Abteilungs- und Regimentskommandeur waren völlig unbekannt, sie ließen sich in einer Flakstellung nicht sehen. Unser Urlaub war, jedenfalls auf dem Papier, reichlich bemessen: vier zusammenhängende Wochen, zweimal im Jahr. Zu Weihnachten 1943 erhielt ich die ersten vier Wochen Urlaub. Über diesen Weihnachtsurlaub möchte ich berichten. Ich verbrachte ihn selbstverständlich in Ferchland, wo sich meine Mutter bei meiner Großmutter aufhielt. Weihnachtsfeiertage in Ferchland! Wir hatten sie in den Kinderjahren immer dort verlebt mit traditionell geschmücktem Weihnachtsbaum, in festlicher Atmosphäre und bei gutem Essen. Die klaren Weihnachtsnächte mit ihren funkelnden Sternen, verschönt noch durch die brennenden Wunderkerzen, die wir in den Himmel warfen, bleiben unvergessen. Das alles glaubte ich 1943 wieder aufleben lassen zu können, wurde dann aber arg enttäuscht. Gleich nach meiner Ankunft offenbarten mir meine Angehörigen, dass wegen des Krieges nicht beabsichtigt sei, einen Weihnachtsbaum aufzustellen. Ich war wütend und zeigte das auch. Die Stimmung war dahin. Meine Lieben hatten wohl nicht vorausgesehen, was sie in mir mit dem fehlenden Weihnachtsbaum anrichten würden. Sie reagierten schnell: Innerhalb weniger Stunden stand ein geschmückter Weihnachtsbaum in der guten Stube und der Weihnachtsurlaub war gerettet. Es wurde nun doch noch ein wunderschöner Urlaub. Ich besuchte die vielen Verwandten und Freunde und stellte mich mit Stolz in meiner schicken blauen Uniform vor. Die Zeit verging schnell und ehe ich mich versah, war ich wieder in der kalten Flakunterkunft mit ständigem Fliegeralarm gelandet So war das tägliche Leben bei der Flak erträglich. Der Verlust des Elternhauses, der Schule und der Heimat wurde teilweise kompensiert durch die insgesamt gute Behandlung bei der Flak, besonders aber durch das kameradschaftliche Zusammenleben von Klassenkameraden, die in enger Freundschaft verbunden waren und in gegenseitigem strikten Vertrauen zu einander hielten.
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Im Herbst 1943 wurden wir nach Dramburg zum Scharfschießen kommandiert. Dort befand sich in einer schönen Seenlandschaft ein ausgedehnter Schießplatz für leichte Flak. Dieser Ausflug war eigentlich grotesk, da ja der wirkliche Luftkrieg über Magdeburg Ende 1943 schon ständig stattfand. Es war eine aufwendige Aktion. Mit der Eisenbahn sollten wir, etwa 60 Luftwaffenhelfer, mit entsprechendem Führungspersonal und 3 Flakgeschützen, über Berlin und Stettin nach Dramburg transportiert werden. Die Geschütze wurden in harter Arbeit auf Eisenbahnwaggons verladen, für uns standen mit Stroh ausgelegte Viehwaggons zur Verfügung, für die Offiziere und das übrige Führungspersonal Personenabteile. Nach dem alles verstaut war, machten wir es uns auf unserem Strohlager gemütlich und die Fahrt ging los. Natürlich waren wir voller Erwartung, wie so einScharfschießen ablaufen würde.
Die ersten Schwierigkeiten ergaben sich dadurch, dass keine Toiletten vorhanden waren. Zu diesem Zwecke hielt der Zug auf freiem Feld, wir sprangen aus den Waggons und nahmen Hockstellung ein. Der Hauptmann spazierte zwischen uns und trieb uns zur Eile an, was sich mehr hinderlich als fördernd auswirkte. Da sich dieser Vorgang während der langen Fahrt öfter wiederholte, bekamen wir langsam Übung.
Die Fahrt durch Berlin verlief schwierig. Wir hatten mehrfach Fliegeralarm und mit dem Scharfschießen hätten wir eigentlich schon dort beginnen können, wenn unsere Kanonen nicht einsatzunfähig auf den Waggons festgezurrt gewesen wären. Stattdessen hängte man an unseren Zug zu unserem Schutz einen Waggon mit einer 2 cm-Vierlingsflak. Flak hilft Flak! Schließlich kamen wir auf dem riesigen Schießplatz in Dramburg an und wurden in Baracken untergebracht, wo wir auf Strohsäcken schliefen. Kommandant des Schießplatzes war ein Oberstleutnant mit unangenehmen Eigenschaften, die wir noch kennen lernen sollten. Am nächsten Morgen nahmen wir an unseren Geschützen Aufstellung, die offenbar inzwischen von Hilfskräften ausgeladen und in Stellung gebracht waren. Hinter uns stand der Oberstleutnant an einem Scherenfernrohr, mit dem er unsere Schießergebnisse beobachten wollte, unser Hauptmann neben ihm. Nach einiger Zeit kam ein tieffliegendes Flugzeug auf uns zu, das an einem sehr langen Seil einen rotweiß gestreiften Luftsack hinter sich her zog, auf den wir schießen sollten. Es ging nun alles sehr schnell, wie ungezählte male eingepaukt. Es kamen die üblichen lauten Rufe:Anflug Richtung 6,fertig,Ziel aufgefasst,Feuer! Das Geschütz gab nun Dauerfeuer. Unser Kamerad, der zielen und schießen musste, war so aufgeregt, dass die Geschosse völlig danebengingen. Der Oberstleutnant war außer sich. Er rief: Aufhören und forderte unseren Hauptmann auf, die Leute von dem Geschütz zu nehmen und antreten zu lassen. Dann gab es ein Donnerwetter des Oberstleutnants, ganz besonders an die Adresse unseres Batteriechefs, der aufgeregt umherlief. Er war im Zivilberuf Studienrat, etwas dicklich und machte keine gute Figur. Bei der Fehlerkritik merkten wir, dass der Oberstleutnant von unserem Geschütz offensichtlich keine Ahnung hatte und es mit einem anderen Typ verwechselte. Er kreidete uns nämlich an, dass wir den Beschuss nicht mit Einzelfeuer begonnen hatten, obwohl unser Geschütz nur auf Dauerfeuer eingerichtet war. Eine große Blamage! Der Oberstleutnant hatte bei uns verspielt. Wir mussten nun den ganzen Vorgang wiederholen. Das Flugzeug kam wieder auf uns zu, den Luftsack hinter sich. Diesmal fungierte als Richtkanonier nicht wieder der arme Luftwaffenhelfer, sondern unser erfahrener Obergefreite. Der war die Ruhe selbst. Er ließ sich die Entfernung zum Luftsack in das Zielgerät eingeben, zielte kurz, gab dann einen längeren Feuerstoß ab und brachte den Luftsack zum Absturz. Wahrscheinlich war es ihm gelungen, das Halteseil zu durchschießen. Der Oberstleutnant war baff, wir alle staunten nicht schlecht. Dem Batteriechef schwoll die Brust, der Obergefreite hatte ihn gerettet. Über eine kleine Begebenheit, die damals die ganze Batterie erheiterte, möchte ich noch berichten, weil sie in ihrer Absurdität für den damaligen Kommiß typisch war. Der bereits erwähnte Oberstleutnant ließ es sich nicht nehmen, Unterricht für die Batterie persönlich abzuhalten. Wir saßen dann in einer warmen Baracke auf langen Bänken und lauschten den lehrreichen Ausführungen des Oberstleutnants. Es gehörte zu seinen Eigenarten, dass die Offiziere, Wachtmeister und Unteroffiziere in der ersten Reihe zu sitzen hatten. Wenn er sein Thema beendet hatte, pflegte er wenig geistreiche Fragen zu stellen, die er entsprechend einer weiteren Eigenart von ihm nach der Rangfolge erst an die Offiziere und dann an die folgenden Ränge richtete.
In unserem Fall war ihm die für die vollmotorisierte Flak völlig absurde Frage eingefallen:Wie viele Meter reitet der Kompaniechef bei einem Vorbeimarsch vor seiner Kompanie? Diese Frage verursachte ein Geraune und in den hinteren Reihen ein hörbares Feixen. Unser Hauptmann war der erste, der antworten musste.Auf solche Verrücktheit antworte ich nicht, konnte er natürlich nicht sagen und brachte vor:10 m, Herr Oberstleutnant. Dieser charakterisierte die Antwort als verfehlt und wandte sich nun an den Oberleutnant, dessen Antwort genauso zurückgewiesen wurde, wie die der folgenden Ränge. Schließlich geriet er an den Unteroffizier Kloppenburg, zu dem ich ein gutes Verhältnis hatte, weil er gern mit mir Tischtennis spielte. Dieser Unteroffizier stand auf, nahm Haltung ein und antwortete laut und deutlich:Der Abstand ist beliebig, Herr Oberstleutnant. In dem brach nun eine Welt zusammen. Das Wort beliebig existierte für ihn nicht. Beim Militär war nichts beliebig, sondern alles genauestens geregelt. Auf den Unteroffizier ging nun ein Donnerwetter hernieder, das dieser als langjähriger Soldat ohne weiteres unbeeindruckt überstand. Die hinteren Bänke konnten sich das Lachen nicht mehr verkneifen. 16-jährige sind eben noch albern.
Wir gelangten dann bald wieder nach Magdeburg zurück. Das Wortbeliebig wurde auch später bei passender und unpassender Gelegenheit benutzt und jeder fühlte sich an die amüsante Lehrstunde mit dem Oberstleutnant in Dramburg erinnert.
- Unsere Russen
Ein kleines Kapitel möchte ich den russischen Kriegsgefangenen widmen, die freiwillig als sogenannte Hilfswillige bei der Flak eingesetzt wurden. Jedem Flakzug waren etwa 6 Russen zugeteilt, die eine eigene Baracke bewohnten. Diese war für uns tabu. Sie wurde allenfalls gelegentlich von einem Unteroffizier inspiziert, den wir dann herumtoben hörten, wenn Unordnung herrschte. Die Russen ließen sich davon wenig beeindrucken. Die eigentliche Aufgabe der Russen lag darin, bei Fliegerangriffen Munition nach starkem Verbrauch von den Depots zu den Geschützen zu schleppen. Dies war aber niemals erforderlich, weil wir immer genügend Munition in unmittelbarer Nähe des Geschützes zur Verfügung hatten. Die Russen kamen daher bei Fliegeralarm erst gar nicht aus ihrer Baracke heraus, sondern schliefen einfach weiter. Wie machten sich nun die Russen nützlich? Sie waren für die Essensausgabe zuständig. Täglich fuhren sie mit Feldküchen oder mit Essenskübeln beladenen Lkws in die Flakstellungen, wo sie von uns hungrigen jungen Menschen schon erwartet wurden. Je ein Russe setzte sich dann rechts und links auf den Feldküchenrand mit einer riesigen Kelle in der Hand. Dann ging es los. Vor jedem Russen bildeten wir eine Schlange, wir hielten unser Kochgeschirr hin, das dann von den Russen gefüllt wurde. Dabei grinsten sie fröhlich vor sich hin statt Unterhaltung, die wegen Sprachschwierigkeiten nicht stattfand. Gab esMenü mit mehreren Gängen, nahmen wir uns das Essen aus den Kübeln selbst und die Russen warteten ab, bis wir satt waren. Sie setzten sich dann in einem Kreis um die Kübel und aßen die Reste mittels eines Löffels, den sie stets in der Hosentasche mitzuführen pflegten. Daneben bekamen sie natürlich auch ihr reguläres Essen. Auf diese Weise aßen sie alle mehr, als sie eigentlich brauchten, so dass sie alle über ein erhebliches Übergewicht verfügten. Wenn sie beim Essen saßen, versuchten sie manchmal, uns zu provozieren. Natürlich hatten sie mitbekommen, dass es mit der deutschen Kriegsführung nicht gut stand, wenn schon Jugendliche in Uniform gesteckt und an der Flak Dienst tun
mussten. So sagte uns einer von ihnen ins Gesicht:Hitler kaputt. Einer von uns erwiderte:Stalin kaputt. Alle lachten, dann war der Fall erledigt. Heute würde man sicher annehmen, dass ein solcher Russe sofort erschossen worden wäre. Die Wirklichkeit war anders.
Mit einem für mich etwas mulmigen Erlebnis möchte ich das Kapitel mit den Russen abschließen. Eines Tages wurden etwa 10 Luftwaffenhelfer zum Stellungsbau in einer anderen Gegend Magdeburgs eingeteilt. Wir fuhren mit einem Lkw dahin und nahmen unterwegs von einer anderen Flakstellung noch 6 Russen auf, die uns bei den Erdarbeiten helfen sollten. Wir arbeiteten bis zum Einbruch der Dunkelheit und fuhren dann zurück. Als wir in der Nähe der Stellung ankamen, zu der die Russen gehörten, hielt der Lkw an, die Russen sprangen ab und unser Oberwachtmeister befahl: Kiemann, führen Sie die Russen in ihre Stellung! Ich dachte ich höre nicht recht. Ich als einzelne unbewaffnete 16-jährige Person sollte 6 kräftige russische Kriegsgefangene abführen, wobei der Weg auch noch über eine lange Kanalbrücke führte. Wollte mich der Oberwachtmeister den Russen ausliefern? Als wir über die Brücke trampelten, sah ich schon einige Russen mich packen und mich über das Brückengeländer ins Wasser stoßen. Ich wäre völlig hilflos gewesen. Sicher war auch den Russen die günstige Lage für eine Flucht bewusst. Aber wo sollten sie hin, nachdem sie mich beseitigt hatten? Es geschah also nichts und wir kamen gut in der Flakstellung der Russen an. Wie sich das militärisch gehörte, ließ ich die Russen Aufstellung nehmen und begab mich in die Baracke des Zugführers, nahm Haltung an und meldete:6 Russen vom Arbeitseinsatz zurück! Der Leutnant wollte nun die Rückkehr der Russen persönlich in Augenschein nehmen, die sich aber inzwischen verkrümelt hatten und schon in ihrer Baracke auf den Betten lagen. Es ergab sich nun für mich eine äußerst peinliche Situation, die natürlich von dem Leutnant genüsslich ausgenutzt wurde.Wo haben Sie die Russen gelassen? fragte er zynisch. Natürlich wusste er genau, dass die Russen, die militärischen Ritualen wenig zugänglich waren, längst ihre Behausung aufgesucht hatten. Nachdem er mein dämliches Gesicht hinreichend genossen hatte, lachte er und die Situation fand damit ihre Auflösung. Wenig später saß ich wieder mit meinen Kameraden auf dem Lkw auf der Fahrt in unsere Flakstellung und ich war heilfroh, dass ich den heiklen Auftrag hinter mir hatte.
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Besonders zwei Bombenangriffe habe ich noch in guter Erinnerung, die ich für eine Darstellung ausgesucht habe. Ein besonders schwerer Angriff erfolgte am 22.01. 1944, an dem 585 viermotorige Bomber teilnahmen, die insgesamt etwa 2000 Tonnen Bomben auf Magdeburg abwarfen. Wie üblich hatten wir einige Zeit nach Beginn des Fliegeralarms an unseren Geschützen herum gestanden, als wir aus der Ferne gewaltige Motorengeräusche hörten. Jeder Mensch weiß heute, welcher Lärm verursacht wird, wenn man von einem einzelnen Verkehrsflugzeug überflogen wird. Man stelle sich nun vor, dass über 500 Bomber mit mehr als 2000 Motoren über die Köpfe hinweg fliegen. Die Geräuschkulisse ist beängstigend. Sie wurde noch verstärkt durch zahlreiche deutsche Nachtjäger, die den Bomberverband begleiteten und ihn mit Maschinenwaffen beschossen. Das Feuer wurde natürlich von den Bombern erwidert, von denen jeder etwa 8 Maschinengewehre an Bord hatte. Neben den Motorengeräuschen der Bomber und der Nachtjäger war also noch das ständige
Schießen aus den Maschinengewehren in der Ferne zu hören. Waren die Nachtjäger noch nicht im Einsatz, so veranstaltete die eigene schwere Flak ein gewaltiges Donnern: ständige Abschüsse der Kanonen und Explosionen der Granaten zwischen den Flugzeugen. Wurden Bomben geworfen, so fand die Geräuschkulisse ihren absoluten Höhepunkt. Die Bomben prasselten dann nur so hernieder und explodierten beim Aufprall in nicht enden wollenden gewaltigen Detonationen. Die Erde vibrierte und mit ihr der eigene Körper. Neben diesen fast unerträglichen akustischen Sensationen gab es dann aber auch die erträglichen optischen Erscheinungen, an denen auch wieder viele Verursacher beteiligt waren. Zunächst waren da die eigenen zahlreichen Scheinwerfer, die mit einem Durchmesser von 2 m die feindlichen Flugzeuge mit ihren langen in den Himmel greifenden Armen erfassten und sie silbern aufleuchten ließen. Besonders wirkungsvoll waren die sogenannten Christbäume, die von den feindlichen Flugzeugen zur Markierung der Ziele abgeworfen wurden. Sie bestanden aus 100ten von roten oder weißen Kugeln in der Form eines Christbaumes, die langsam vom Himmel herunter schwebten. Verstärkt wurden diese optischen Eindrücke durch die ständig abgefeuerten Erkennungssignale der eigenen Nachtjäger, die für jeden Tag neu festgelegt wurden (z. B. aus einer roten Kugel wurden drei weiße Kugeln), mit der die Flak vom Schießen abgehalten werden sollte. Feuerte die Flak, so ergaben sich zusätzlich am Himmel zahlreiche rotgelbe Blitze, die durch die Detonation der Flakgeschosse ausgelöst wurde. Insgesamt entstand ein optisches Bild mit Geräuschkulisse, das von keinem Silvesterfeuerwerk auch nur annähernd erreicht wird. Diese gewaltige akustische und optische Szenerie wurde dann noch durch die zahlreichen Abschüsse von Flugzeugen verstärkt. Nach Tony Wood/Bill GunstonDie Luftwaffe Seite 106 kehrten 55 viermotorige Bomber in dieser Nacht von Magdeburg nicht zurück. (Auch der berühmte deutsche Nachtjäger Major Heinrich Prinz zu Sayn-Wittgenstein wurde abgeschossen.) Der Absturz der Bomber verlief in recht unterschiedlichen Formen. Meistens brannten die Bomber lichterloh und zogen einen Feuerschweif nach sich. Sie gingen steil oder schräg oder in Kreisen oder sich ständig um sich selbst drehend zur Erde. Bei manchen heulten die mächtigen Motoren nochmals gewaltig auf, wie Automotoren im Leerlauf. Wie reagierten wir auf solche Abschüsse? Man könnte annehmen, dass wir uns gebärdet hätten wie heute Fußballspieler nach einem Torschuss. Das war aber keinesfalls so. Es gab keinerlei Beifallskundgebung, es herrschte Schweigen. Damit komme ich auf die Frage unserer inneren Einstellung zu dem fliegenden Personal der Bomber. Natürlich wussten wir, dass diese Flieger viele deutsche Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, getötet hatten. Trotzdem gab es keinen Hass. Wir befanden uns im Krieg und konnten dem Gegner das Recht, uns zu bekämpfen, nicht absprechen. Dies war damals unsere Einstellung. Ein Kamerad von mir (mein Freund Manfred Rehbock) hatte einen abgeschossenen amerikanischen Flieger, der sich mit dem Fallschirm gerettet hatte, aufgespürt. Er konnte sich mit eigenen Kräften nicht aus dem Fallschirm lösen und machte auch sonst verständlicher Weise - einen bedrückten Eindruck. Mein Freund hat ihn von dem Fallschirm befreit und ihm beim Zusammenlegen des Fallschirms geholfen. Er hat ihn dann zu unserem Batteriegefechtsstand geführt und den Fallschirm getragen. Unser Hauptmann, der diesen Vorgang beobachtete, hat meinen Kameraden dafür getadelt und ihn angewiesen, den Amerikaner seinen Fallschirm gefälligst selbst tragen zu lassen.
Den von mir geschilderten Luftangriff erlebten wir in einer Flakstellung in Magdeburg-Neue Neustadt, wo wir zum Schutze eines Motorenprüfwerkes von Junkers eingesetzt waren. Wir hatten das Glück, nicht von Bomben getroffen zu werden. Dass von uns Erlebte reichte aber aus, die Schrecken eines Bombenangriffs nachhaltig und unvergesslich zu erfahren.
Der Angriff vom 22.01.1944 erfolgte im Rahmen der „Schlacht um Berlin“ durch das britische Bomber-Command, die in der Zeit vom 19.11.1943 bis März 1944 stattfand und von General Harris wegen der großen Verluste an viermotorigen Bombern durch Nachtjäger und Flak abgebrochen wurde. Im Rahmen der „Schlacht um Berlin“ erfolgten 16 Großangriffe auf die Stadt. Etwa 500 Bomber wurden abgeschossen und 3.000 Mann fliegendes Personal gingen verloren. Gerade zu dieser Zeit war ich als Luftwaffenhelfer in Magdeburg, eine Stadt, die von den Angriffen im Rahmen der „Schlacht um Berlin“ betroffen war. Die An- und Abflugrouten der Bomber verliefen überwiegend auf der Strecke Hannover – Braunschweig – Magdeburg – Brandenburg – Berlin. Überflogen die Verbände Magdeburg, so kam die schwere Flak zum Zuge. Die Engländer griffen Magdeburg mit ihren Bombern auch mehrere Male an, um die Deutschen Nachtjäger von dem eigentlichen Angriffsziel Berlin abzulenken.
Die Engländer führten Bombenangriffe bei Nacht in einer bestimmten Ordnung durch, die ich einmal darstellen möchte. Eingesetzt wurden die Flugzeugtypen „Lancaster“ und „Halifax“. Angeführt wurde der Verband von Moskitos, die als Pfadfinder fungierten und die sogenannten Christbäume zur Markierung der Angriffsflächen setzten.
Ein Bomberverband bestand aus mehreren Wellen mit etwa je 120 Bombern. Die Wellen waren der Höhe und der Breite nach versetzt. Bei Tagesangriffen war dies auch deutlich zu sehen. Sie flogen etwa 5.000 m hoch. Die „Handley-Page-Halifax B.5“, wie die genaue Bezeichnung lautete, hatte eine Spannweite von 31,75 m und eine Länge von 21,51 m. Die Besatzung bestand aus sieben Mann und die Bewaffnung aus fünf 7,7 cm MGs. Die Höchstgeschwindigkeit betrug 450 km/h. Die AVRO Lancaster B.1 wies etwa dieselben Maße auf. Besatzung und Bewaffnung so wie ihre Geschwindigkeit waren ebenso wie bei der Halifax. Die „De Havilland Mosquito B.16“ war erheblich kleiner und hatte nur zwei Mann Besatzung und keine Bewaffnung. Die Höchstgeschwindigkeit betrug allerdings 659 km/h.
Jeder von uns hatte ein kleines Handbuch, indem sämtliche Bombertypen und Jäger der Engländer und Amerikaner abgebildet und genauestens beschrieben waren. In diesem Buch blätterten wir fast täglich, so dass uns die feindlichen Flugzeugtypen, die wir natürlich auch vom eigenen Anblick kannten, sehr geläufig waren.
Die von mir erwähnten Deutschen Nachtjäger waren neben der Flak das Rückgrat der Luftverteidigung. In Magdeburg und Burg befanden sich zwei Gruppen des Jagdgeschwaders 3 „Udet“. Ein Jagdgeschwader umfasste etwa 125 Flugzeuge. Für die Nachtjagd wurden insbesondere eingesetzt die zweimotorige Ju88 und die Messerschmitt Bf 110. Die zweimotorige Ju88 hatte eine Höchstgeschwindigkeit von 640 km/h. Die Nachtjäger waren mit Maschinengewehren und zwei 2-cm-Kanonen ausgerüstet. Die Messerschmitt Bf 110 hatte eine Höchstgeschwindigkeit von 560 km/h. Die Bewaffnung bestand aus zwei 2-cm-Kanonen und vier Maschinengewehren.
Das Zusammenwirken zwischen Flak und Nachtjägern war gut. Besonders die Flakscheinwerfer erwiesen den Nachtjägern gute Dienste. Ich konnte selbst beobachten, wie in Magdeburg der Himmel von großen Flakscheinwerfern mit 2 m Durchmesser angeleuchtet wurden, damit die Nachtjäger die feindlichen Bomber besser erkennen konnten. Mit besonders festgelegten optischen Erkennungssignalen, die von den Nachtjägern abgeschossen wurden, sollte verhindert werden, dass die Flak auf Nachtjäger schießt. Trotzdem ist es vorgekommen, dass Nachtjäger von der Flak abgeschossen worden sind.
Erwähnen möchte ich einen weiteren Luftangriff, der am ersten Pfingsttag 1944 um die Mittagszeit auf das Hydrierwerk in Magdeburg-Rothensee (genannt BRABAG) durch einen kleinen Bomberverband geführt wurde. In diesem Werk wurde in einem komplizierten Verfahren Braunkohle in Treibstoff für Flugzeuge und Panzer verwandelt. Als Nebenprodukt entstand interessanterweise Schmalz, das wir zum Essen bekamen und das durchaus schmackhaft war. So ein Werk arbeitete Tag und Nacht und war durch starke Flak geschützt. An diesem Tage befand ich mich nicht in der Geschützstellung, sondern wegen einer Erkrankung (entzündete Wanzenstiche!) in derSanitätsstube der Batterie, die in unmittelbarer Nähe der Hydrierwerke lag. Als der Fliegeralarm erfolgte, mussten wir in einem Luftschutzkeller Schutz suchen und haben dort den Angriff er- und überlebt. Als das gewaltige Getöse begann, dachten wir zunächst an starkes Feuer unserer schweren Flak. Es war aber ein ausgedehnter Bombenteppich, der von dem Hydrierwerk bis zu unserem Luftschutzkeller reichte. Als wir bei Entwarnung den Keller verließen, sahen wir, dass unser Gebäude von Bombentrichtern umgeben war, das Hydrierwerk brannte lichterloh. Es rückten unzählige Feuerwehren an, die die Brände bekämpften. Wir konnten es kaum fassen, dass das Werk nur 3 Tage nach dem Angriff wieder hergestellt war und Benzin produzierte. In großer Sorge war ich um meine Mutter und meine Schwester, die mich zu Pfingsten zur Mittagszeit besuchen wollten. Sie blieben Gott sei Dank verschont und kamen dann später doch noch zu einem Besuch. Übrigens psychotherapeutische Betreuung irgendeiner Art haben wir nach solchen Angriffen nicht erhalten.
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