Der RAD-Arbeitsmann Schneider war mein Vater. Er war 1916 geboren worden und wuchs im Städtchen Stollberg im Erzgebirge auf – im Dunstkreis der Industriestadt Chemnitz. Nach 8 Jahren Volksschule gelang es ihm - trotz der herrschenden Rezession in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise – einen Lehrvertrag zu bekommen. Er erlernte den Beruf eines Schriftsetzers. Anschließend war für den Gesellen in der Nähe kein Arbeitsplatz zu ergattern. Im fernen anhaltinischen Dessau kam er dann in einer Druckerei unter. Er wohnte zur Untermiete in einer kleinen Dachwohnung 1935 oder 1936, ich weiß nur, daß es in der warmen Jahreszeit war, bekam er dann seine „Einberufung“ zum Reichsarbeitsdienst. Es verschlug ihn – wie ich heute weiß – im Gau 13 bzw. XIII Magdeburg/Anhalt in die Abteilung 2/131 nach Seehausen in der Altmark. Aus dieser Zeit hat er manchmal erzählt und einige Anekdoten blieben in meinem Gedächtnis haften. Ich erzähle sie so, wie ich sie von meinem Vater gehört habe. Hinzugefügt habe ich nichts.
1. Angekommen Die „Neuen“ kamen am Bahnhof an und wurden dann in mehreren Grüppchen zum Lager geführt. Noch waren sie in Zivil, ihnen wurde dann eine der Baracken zugewiesen. Sie sahen sich kurz darin um und harrten nun einige Minuten der Dinge, die nun folgen sollten. Auf der einen Seite standen die Stockbetten, auf der anderen Seite waren die Fenster zum Lüften weit geöffnet. Die Gruppe, etwa 8 bis 10 junge Männer, stand zusammen, man stellte sich schon mal mit seinem Namen vor. Ein Kerl stach aus der Gruppe heraus. Nach Schilderung meines Vaters war er 1,92 bis 1,95 m groß, breitschultrig und mit großen kräftigen Händen – ein echter Hüne. Dann stürmte plötzlich ein Vorgesetzter in die Baracke, so eine Art Spieß bzw. Hauptfeldwebel beim Militär, wohl ein Feldmeister oder Oberfeldmeister. Er wollte sich wahrscheinlich sofort Respekt verschaffen, schrie mehr als er sprach. Von allen Anwesenden war er allerdings mit Abstand der körperlich Kleinste und wirkte so auf alle wie ein Giftzwerg. Der Hüne wagte jetzt einen Einwand und meinte, die dienstlichen Abläufe und Pflichten könnten doch im ruhigen Ton vorgetragen werden, man hätte doch nichts verbrochen. Doch da war er an den Falschen geraten. Der Feldmeister schimpfte jetzt noch lauter und beleidigte den angehenden Arbeitsmann auch persönlich. Der hörte sich das ein paar Sätze ganz ruhig an, bis es ihm dann doch zu viel war. Er schnappte sich den Kleinen am Schlafittchen und am Koppel und warf das zappelnde Bündel mit Schwung wie ein Postpaket aus dem Fenster. Draußen trollte sich der Feldmeister, drinnen waren sich alle einig, daß es jetzt Ärger geben wird. Nach Minuten erschien dann der „Alte“, der Arbeitsführer. Er schien vernünftig zu sein, hörte sich von allen in der Gruppe an, was vorgefallen war und wollte später über die Folgen entscheiden. Es kam jedoch nichts nach. Hatte man zukünftig mit dem Feldmeister zu tun, war der ganz normal, um nicht zu sagen handzahm.
2. Geld einzahlen Mein Vater hatte sich mit dem oben genannten Hünen befreundet. Er erfuhr von ihm interessante Dinge. Er sei ein auslandsdeutscher Dienstpflichtiger, den es also für ein halbes Jahr hierher verschlagen hat. Er lebte in Argentinien und war, wenn er die deutsche Staatsbürgerschaft behalten wollte, für einen „Dienst für das deutsche Volk“ verpflichtet und kam dem nun auch ohne Murren nach. Er (gemeint war mit Sicherheit sein Vater, also seine Familie) hatte in Argentinien riesengroße Ländereien („so groß wie die ganze Altmark“), auf denen 5 000 Rinder weideten. Mein Vater erfuhr viel über die Arbeit dort in Südamerika, über Land und Leute und über die Schiffsüberfahrt nach Bremen. Dann wurde er in ein Geheimnis „eingeweiht“. Der Kumpel zeigte ihm ein gerolltes Bündel Geldscheine, es waren 1 000,- Reichsmark, die dieser in Buenos Aires eingetauscht und für alle Fälle mit nach Deutschland genommen hatte. Er wollte den Rat meines Vaters, wo man das Geld am besten verstecken könne. Schließlich wollte er niemanden in Versuchung bringen, es zu stehlen. Mein Vater war ganz praktisch und empfahl, den Betrag gleich morgen bei der Sparkasse in Seehausen einzuzahlen. Die Angelegenheit wurde bei den entsprechenden Vorgesetzten angesprochen und tatsächlich trabten beide dann zur Sparkassenfiliale und sicherten das Geld. Mein Vater hatte so viel Reichsmark auf einem Haufen noch nie gesehen.
3. Faschinen fahren Die Hauptaufgabe der RAD-Abteilung war die Trockenlegung von Flächen nördlich und östlich von Seehausen. Durch den Fluß Aland und die nahe Elbe gab es viele Feuchtgebiete, die man entwässern wollte, um zunächst Weideland und in Zukunft vielleicht Ackerland zu gewinnen. Dazu wurden – oft genug nur mit dem Spaten – Entwässerungsgräben angelegt oder Dämme aufgeschüttet. Am Flußufer wurden Faschinen verbaut. Diese mußten natürlich vorher erst hergestellt werden. Nachdem den Arbeitsmännern erst einmal der Unterschied zwischen einer Maschine und einer Faschine erklärt war, wurden Sträucher gerodet und dann die Äste und anderer Reisig mit Bindedraht zusammengerödelt. Diese Gebilde wurden dann mit selbst hergestellten Holzpflöcken z.B. in einer Flusskurve befestigt, um Erosion zu verhindern. Es war jetzt aber ein größerer Bedarf an diesen Faschinen festgestellt worden. Auch war die Entfernung zur Einbaustelle mittlerweile groß geworden. Ein Lkw stand nicht zur Verfügung, so faßte man den Einsatz von Pferd und Wagen ins Auge. 2 Tage vorher hatte der Zugführer wie beiläufig gefragt, wer von den Arbeitsmännern schon mal auf einem Kutschbock gesessen hätte. Mein Vater hatte sich ehrlicherweise gemeldet. Er war nämlich als etwa 14-Jähriger einmal in Chemnitz gewesen, wo gerade ein Zirkus gastierte. Der Besuch der Vorstellung kostete vielleicht ein paar Groschen, aber es gab bei diesen Zirkussen immer auch eine Tierschau, wo man sich für 10 Pfennig Eintritt einen Elefanten, vielleicht einen Löwen oder Tiger, Lamas oder ein Zebra in den Käfigwagen ansehen konnte. Auch sprangen ein paar Rhesusaffen herum. Die Pferde wurden gefüttert und getränkt. Eine Kutsche wurde gerade angespannt, auf dem Wagen war eine große Werbetafel – das Gefährt sollte eine Runde durch Chemnitz drehen und Reklame für den Zirkus machen. Dem Kutscher fiel mein Vater auf, schließlich wurde der interessierte Junge eingeladen, ein Stück mitzufahren. Er nahm das natürlich gern an. Auf einer geraden Straße durfte er sogar für ein paar hundert Meter die Zügel in die Hand nehmen. Das war also die Vorgeschichte. Nun war im RAD-Lager morgens die Arbeitseinteilung und das Schicksal schlug für meinen Vater voll zu: Er sollte auf einem Bauernhof das Pferdegespann holen und dann bis zum Feierabend Faschinen vom Bindeplatz bis zum Fluß befördern. Sein Einspruch, dass er dafür höchst ungeeignet sei, blieb ungehört. So bestieg er ein Dienstfahrrad und fuhr zu dem Bauernhof. Der Bauer empfing ihn recht mürrisch und wies einen Knecht an, bei der Bereitstellung zu helfen. Der Name des Zugtiers wurde genannt und es wurde betont, daß es ausdrücklich nur dieses Tier sein durfte. Der Knecht spannte das Tier ein und gab noch Hinweise, wie ein solches Gefährt überhaupt zu steuern sei. Bis zum Verlassen des Hofes nahm er noch die Zügel selbst in die Hand. Jetzt übernahm mein Vater und brachte die Kutsche mit einem „Hüh !“ auch in Fahrt. Aber nach knapp 300 Metern verlangsamte das Pferd und blieb schließlich stehen. „Hüh !“ und „Hott !“ blieben völlig ohne Wirkung, alles Zureden war zwecklos. Vorsichtig setzte mein Vater nun die Peitsche ein und „tätschelte“ die Hinterbacken des Zossen. Das reichte aber nur für ein paar lächerliche Meter. Widerwillig - mein Vater war ein zutiefst tierlieber Mensch - wurde das Peitschen nun etwas kräftiger, aber leider war die Wirkung fast null. Vielleicht war dem Pferd die Entfernung vom heimischen Stall einfach schon zu groß, es wollte wohl nicht in die Ferne. Mein Vater zog jetzt die Kurbelbremse an, stieg herunter und sprach mit dem Tier da vorne. Es war aber leider sehr uneinsichtig und der arme Arbeitsmann verzweifelte. Er unternahm noch einen Versuch. Dabei kam er – mehr durch Zufall – mit der Peitsche an den Darmausgang des Zugtiers. Offensichtlich zeigte das eine Wirkung, man kam etwas voran. Mein Vater schnitt nun aus einer Weide am Weg eine in Länge und Stärke passende Rute zurecht.
Wieder „kitzelte“ er seinem tierischen Kollegen bei Bedarf immer wieder den Anus und nun ging es wie geölt zum Bindeplatz. Zur Stärkung der Partnerschaft wurde während des Beladens auch noch etwas Gras zur Fütterung des Pferdes gezupft. Kurz gesagt verlief der Arbeitstag durchaus erfolgreich und es ging zurück zum Bauernhof. Auf dem letzten halben Kilometer mußte gar nicht mehr „stimuliert“ werden, das Tierchen ahnte jetzt den heimischen Stall und trabte flott voran. Das Gespann wurde dem Knecht übergeben, der gänzlich überrascht war. Er erkundigte sich, wie es gelaufen sei. „Alles normal ! Ein braves Pferd !“ schwindelte mein Vater. „Wirklich ? Ich kann das kaum glauben. Wissen Sie, im Vertrauen gesagt, der Bauer wollte kein Pferd hergeben. Er hatte sich geärgert, dass er dazu verpflichtet wurde. Was Sie hier vor sich sehen, ist ein Maultier ! Es hat praktisch noch nie eine Kutsche gezogen.“ Das Erstaunen war nun ganz auf Seiten meines Vaters. Seinen „Trick“ verriet er allerdings nicht, da man ihn ja offensichtlich hatte reinlegen wollen. Noch ein weiteres Mal hatte mein Vater das „Vergnügen“, den Transport per Kutsche zu übernehmen. Es gab keinen Grund zur Klage. Dann traf jedoch ein reparierter Lkw ein, wohl ein „Opel-Blitz“, der ab jetzt diverse Transportaufgaben übernahm. G. Schneider
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Hallo alle, alles, was ich hinzufügen kann, ist dieses Speicheralbum. Es ist von einem Arbeitsmann, der ursprünglich in Abt. 8/131 Seehausen II 'Konig Heinrich' oder Markt Oberdorf gewesen sein könnte, sein Dienstabzeichen ist seltsam, da es eine 1 unter 13 hat?und die Postkarte für 1/134 Quedlinburg ist deutlich im Buch.Bild entfernt (keine Rechte) Bild entfernt (keine Rechte) Bild entfernt (keine Rechte) Bild entfernt (keine Rechte) Bild entfernt (keine Rechte)
Beitrag von Gwar hier her kopiert
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Hallo MAGADO-2 und Fischer, ich entschuldige mich für alle Unannehmlichkeiten, die dies verursacht habe, etwas ging schief, wie ich bemerkte, dass die Fotos nicht einmal erschienen, ich werde härter versuchen, meinen Beitrag hier zu verbessern, Grüße und vorsicht, Gwar
Moin, erstmal klasse Bilder.
Auf der einen Karte wo der Platz drauf mackiert ist liegst du ganz richtig.
Dort wo früher das Lager war sind heute Eigenheime. Straße heißt "Waldesfrieden"
Das eine Gebäude war ein Kurhaus was leider auch nicht mehr steht, auf dem Gelände befinden sich jetzt Häuser für Altersgerechtes Wohnen.