Die Friedrichstadt und die Stadterweiterung nach Osten
Mit der Erkenntnis, dass sich Festungen überlebt hatten, wurde auch die Frage akut, wie es mit der Friedrichstadt weitergehen sollte. Wie bereits in meinen vorangegangenen Ausführungen geschildert, wurde die Zollschanze/Friedrichstadt weder vom Militär noch vom Magdeburger Magistrat als Filetstück betrachtet. Doch nachdem die West- und Südfront verschoben und die Nordfront freigemacht war, musste auch in Richtung Osten etwas in Bewegung gebracht werden. Am 12. Juli 1897 schlossen der Reichs-(Militär-)Fiskus, vertreten durch die Königliche Intendantur des 4. Armee-Korps, unter Vorbehalt der Genehmigung durch das Königliche Kriegsministerium, und die Stadtgemeinde Magdeburg, vertreten durch ihren Magistrat, den Vertrag über die Bebauung des militärfiskalischen Geländes der Friedrichstadt. Am 20. August 1897 wurde dieser Vertrag vom preußischen Kriegsministerium genehmigt.
Leider habe ich die zum Vertrag gehörigen Pläne mit ihren Eintragungen nicht auffinden können. Ersatzweise stelle ich je einen Flurkarten- und einen Bebauungsplan-Auszug im Anschluss an diese Ausführungen ein. Den Kennern der Ortslage wird die Beschreibung im Vertragstext ausreichen, auch wenn natürlich nicht eindeutig ist, was unter den Straßen a, b, c ... gemeint ist. Es geht aber um’s Prinzip und das ist ausreichend definiert.
Dass beide Parteien keine großen Würfe beabsichtigten, geht aus dem Vertrag deutlich hervor. Er beginnt nämlich mit der Regelung der Wegeverhältnisse. Die bisher in der Friedrichstadt vorhandenen Straßen und Wege waren vom Militär ausschließlich nach dessen Bedarf angelegt. Sie waren in diesem Sinne keine „öffentlichen“ Straßen. Außerdem kommt im Vertrag zum Ausdruck, dass die mit der Stadterweiterung mögliche Verbesserung der hygienischen Verhältnisse (Abwasserentsorgung) auch dem Militär zugute kommen sollten.
Ich füge den § 1 des Vertrags hier im Original ein, um die Form derartiger Verträge einmal plastisch zu demonstrieren.
In den nachfolgenden §§ 2 bis 5 wird sehr detailliert auf einzelne Straßen, Straßenränder, Reitwege usw. eingegangen.
§ 6 endlich führt dann aus, dass der ganze Straßenbau in der Friedrichstadt lediglich von den Interessen des Militärs getragen wird, da die Bebauung der Grundstücke fast ausschließlich mit Bauten des Militärfiskus erfolgen wird. Demzufolge gelten die Regelungen zum Bautermin der Straßen immer in Abhängigkeit der militärischen Bauerfordernisse. Sollte die Stadt, deren Interesse an diesen öffentlichen Straßen auf die Erschließung weiterer Flächen außerhalb der Friedrichstadt gerichtet war, einen früheren Bau der Straßen vornehmen wollen, war der Militärfiskus zur anteiligen Finanzierung erst verpflichtet, wenn seine eigenen Bedürfnisse für den Straßenbau anhängig waren.
Auszug aus § 6:
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In den §§ 7, 8 und 9 werden weitere Einzelheiten zum Bau bestimmter Straßenabschnitte geregelt.
Die §§ 10 bis 15 beinhalten die Regelungen zur Anlage des Abwassersystems für das dem Militärfiskus gehörende Gelände der Friedrichstadt und die Verpflichtung zur Zahlung von Kanalgebühren entsprechend der Ortssatzung.
In # 30 hatte Magado einen Hinweis auf das in der Friedrichstadt gebraute Broihans (-Bier) geliefert. Nicht als Broihans, sondern als Breuhahn war es ein traditionelles Getränk, nicht nur in Magdeburg. Zum Preis des Breuhahn nachfolgende Angabe, die sich auf den Jahresbeginn 1698 bezieht. Und ein paar weitere Preise noch dazu.
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Zum Getreidemaß hat Wikipedia aus Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 16 herausgepickt: 1 Wispel war länderspezifisch sehr unterschiedlich und entsprach z.B. - in Mecklenburg-Strelitz 2 Drömt = 25 Scheffel, etwa 1368,2 Liter, - in Sachsen 2 Malter à 12 Scheffel, was dort 2491,7 Liter waren, - in Preußen 24 Scheffel und wird mit ungefähr 1319,1 Litern gleichgesetzt. Nehmen wir an, dass in Magdeburg preußisch gemessen wurde.
1 Klafter entsprach einem Würfel mit einer Kantenlänge, die ein Mann mit ausgestreckten Armen umfassen konntre.
Wenn ich schon über Preise berichtet habe, will ich wenigstens auch die Standardmünzen aufzählen, die der Normal-Magdeburger beim Begleichen seiner Rechnungen verwendete:
Zuerst war die Friedrichstadt ja gar keine Stadt. Noch nicht einmal ein Stadtteil. Es gab einfach einen vorgeschobenen Militärposten mit einer einfachen Befestigung, Schanze eben, der den Elbübergang gegen Angriffe aus Osten schützen sollte. Bezeichnet wird er als Zollschanze. Seine Funktion war die eines Brückenkopfes und er bewährt sich bei der Belagerung Magdeburgs im Schmalkaldischen Krieg 1550/51. Im Jahr 1631 wird er jedoch, wie die Stadt, die er schützen soll, zerstört. Der Schutz des Elbübergangs nach Magdeburg bleibt in der Folgezeit ein strategisch wichtiges Anliegen und so erfolgt der Wiederaufbau. Jetzt mit einem großen steinernen Turm und dem daraus abgeleiteten Namen Turmschanze. Und immer noch ist es eine rein militärische Einrichtung. 1718 bis 1721 erfolgt ein Um- und Ausbau nach den neuesten militärtechnischen Erkenntnissen durch den preußischen Festungsbauer Walrave. Nunmehr meint der preußische Monarch, dass ziviles Leben für die Besatzung förderlich sei und legt fest, dass sich in der Turmschanze Bürger ansiedeln dürfen. Es entsteht ein sternförmiges Straßennetz mit einem zentralen Platz (Heumarkt) und für 25 große sowie 50 kleine Fachwerkhäuser werden Bauplätze bereitgestellt. Die Siedlung erhält einen „richtigen“ Namen: Friedrichstadt und wird der Magdeburger Gerichtsbarkeit unterstellt. Lange müssen die Bewohner auf eine geistige, sprich geistliche, Betreuung warten, denn erst 1798 schenkt Friedrich Wilhelm II. der Gemeinde ein Bethaus. Die Stadt Magdeburg unterstützt die Entwicklung und schenkt der neuen Gemeinde eine Orgel, bleibt ansonsten jedoch reserviert gegenüber der ostelbischen Siedlung.
Große Not herrscht an einer stabilen Wasserversorgung, denn die launische Elbe bringt mit Eisgang und Hochwasser Gefahren für Leib und Leben der Wasserholer und versagt das kostbare Nass bei Niedrigwasser oft ganz. Auch die wenigen Brunnen liefern nicht immer das, was die Bewohner zum Leben brauchen. 1808 beauftragt der Maire der Stadt Magdeburg den Stadtbaumeister mit der Verbesserung des Friedrichstädter Brunnens, was mit einem Kostenaufwand von 47 Talern und 17 Silbergroschen erledigt wird. Im Dezember 1827 schreibt dann ein Friedrichstädter Bürger an den Magistrat: Die Bewohner der Friedrichsstadt, welche sämmtlich ihren Bedarf an Elbewasser aus der alten Elbe entnehmen, haben nur einen Weg dahin und zwar eine Treppe welche zur Elbe führt und wo das Wasser geschöpft wird. Die Erfahrung hat gelehrt, daß dieß Wasserschöpfen stets mit Gefahr verbunden war, denn es sind in jedem Jahre mehrere Personen, welche Wasser schöpfen wollten, bei dieser Treppe in die Elbe gefallen und wenn sie auch größtentheils gerettet wurden, so sind doch dort auch schon einige verunglückt. Aus diesem Grunde erlaube ich mir den gehorsamsten Antrag, in der Nähe der Langenbrücke, wo die Versandungen nicht so leicht Statt finden, eine Pumpe zum Wasserschöpfen geneigtest anlegen zu lassen.
Mit Genehmigung der Königlichen Commandantur darf der Magistrat mit einem Aufwand von 53 Talern und 6 Silbergroschen eine Pumpe installieren, nicht ohne damit die Verpflichtung zu übernehmen, auf seine Kosten diese Pumpe wieder zu entfernen, wenn es die Belange der Festung erfordern. Das Ergebnis ist wohl nicht überzeugend, sodass im Juli 1833 aus der Friedrichstadt der Vorschlag des Bäckermeisters Krüger zum Bau von 2 öffentlichen Brunnen kommt. Neben der Elbe, die in jedem Jahr im Sommer - so wie jetzt - austrocknet, gibt es bisher nur einen öffentlichen Brunnen. Das ist, insbesondere bei Löscharbeiten keineswegs ausreichend. Oberbürgermeister Francke beauftragt den Stadtbauconducteur Wolff mit der Ausarbeitung eines Kostenanschlags und Abstimmung des Planes mit den Militärbehörden. Der Bauconducteur kümmert sich, was über seine Nachfolger zu Zeiten Oberbürgermeister Hasselbachs nicht mehr gesagt werden kann – diese „kontrollieren“ alle Eingaben der Friedrichstädter mit dem Ergebnis, dass Grund zur Beschwerde nicht vorliege. Stadtbaurat Grubitz erhält dann auch keinen Orden für die Verbesserung der Friedrichstädter Wasserleitung, sondern für seine Beteiligung am Neubau der Strombrücke. Selbst Interventionen des Polizeipräsidenten bleiben ohne Erfolg.
Erst nach der Fertigstellung der neu errichteten Langen Brücke im Jahr 1882 erhalten die mehr als 3000 Bewohner der Friedrichstadt einen Anschluss an das öffentliche Wasserleitungsnetz der Stadt.
Zur gleichen Zeit etwa werden die Festungsvorschriften für Magdeburg und damit verbundene Baueinschränkungen gelockert. In der Friedrichstadt beginnt eine rege Bautätigkeit und der von der preußischen Regierung genehmigte Neubau einer eigenen Kirche wird ab 1880 betrieben. Sie wird 1882 geweiht und heisst ab 22. Januar 1897 offiziell Lutherkirche. Auf den Tag genau 47 Jahre später fällt sie bei einem Luftangriff auf Magdeburg englischen Bomben zum Opfer. Die dem nationalsozialistischen Staat nahe stehende Kirchengemeinde hatte noch für die 200-Jahr-Feier der Kirchengemeinde 1936 eine persönliche Spende von Adolf Hitler in Höhe von 200 Reichsmark erhalten und vor der Kirche eine Hitlereiche gepflanzt. Die Stadt hatte aus gleichem Anlass für 6900 Reichsmark den öffentlichen Bereich um die Kirche herrichten lassen. Nichts von Allem blieb.
Noch eine weitere Besonderheit taucht in der Erinnerung an die Friedrichstadt auf: das Brückgeld. Wer von der Friedrichstadt in die Altstadt wollte (oder umgekehrt) hatte an der Zollbrücke einen Brückenzoll zu entrichten. Er war 1858 beschlossen worden und sollte der Finanzierung der Brückenneubauten dienen (Strombrücke 1861/62, Zoll- und Lange Brücke 1881/82) und war ab 1. Januar 1859 zu zahlen. Fußgänger "mit und ohne Last" zahlen bis 1868 vier Pfennige für eine Überquerung der Elbe. Nach verschiedenen Modifizierungen wird ab 1.7. 1927 für Kraftfahrzeuge Brückgeld nicht mehr erhoben. Für das Passieren der Brücken mit Pferden, Rindern, Maultieren, Eseln und Mauleseln ist weiterhin eine Gebühr zu zahlen. Die einmalige Benutzung kostet 0,20 RM/Tier. Eine Jahreskarte für Magdeburger Tierhalter ist für 4,50 RM zu haben. Ab 1.4. 1936 wird eine Befreiung vom Brückgeld für die Wehrmacht und für Fuhrwerke und Pferde des Reichsarbeitsdienstes wirksam. Die NSDAP und ihre Gliederungen werden vom Brückgeld befreit, wenn der dienstliche Anlass für die Passage nachgewiesen wird. Und am 1. 4. 1942 endet die Ära des Brückgeldes endgültig.
Für den Wiederaufbau der Strombrücke nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zahlen alle Magdeburger vom 1. Oktober 1945 bis zum 1. Juni 1946 gerne einen Aufschlag von 5 Pfennigen auf jede Straßenbahnfahrt – egal ob über eine Brücke oder nicht.