Allgemein wurde bei der "Evakuierung" für diese Maßnahme von "Auflockerung" gesprochen. So auch in der Ratsherrensitzung am 16.12.1943. Durch dieses Datum ist auch das vorstehende Merkblatt zeitlich einzuordnen. Der Einfachheit halber gebe ich den zutreffenden Protokolltext der Ratsherrensitzung wieder. Das Originaldokument ist im Stadtarchiv Magdeburg unter der Signatur Rep. 18.4 Bü 314, Bl. 42 zu finden.
Stadtmedizinalrat Dr. Jeske berichtet über die Sicherungsmaßnahmen im Krankenhauswesen, die auf Betreiben des Gauleiters in die Wege geleitet seien. Die in anderen Städten gemachten Erfahrungen drängten zu weiteren Entlastungen der Magdeburger Krankenhäuser, insbesondere des schwergefährdeten Krankenhauses Altstadt. Die verschärfte Luftlage verlange eine Räumung der Krankenhäuser nach auswärts. Die Tuberkulosestation des Krankenhauses Lostau sei nach Jerichow verlegt, die Hautklinik und die internierten Prostituierten seien im Obdachlosenasyl untergebracht worden. Von der Verlegung der Kinderklinik sei wegen der von einer Wehrmachtsstelle geäußerten Bedenken Abstand genommen worden. In der Landesheilanstalt Uchtspringe könnten 850 Kranke untergebracht werden, darunter 150 Kranke der Kinderklinik. Voraussetzung für die Unterbringung der Patienten in Uchtspringe sei die Abnahme einer gleich großen Anzahl von Geisteskranken nach Magdeburg. Aus Uchtspringe könnten in dem Hilfskrankenhaus 3 (Umfassungsstraße) unter Hinzunahme zweier Turnhallen 500-550 Geisteskranke untergebracht werden. In Uchtspringe könnten 650 Kranke Aufnahme finden. In Magdeburg verbliebe von der Kinderklinik lediglich eine Aufnahmestation und die Infektionsstation. Die in dem Krankenhaus Altstadt verbleibenden Stationen der chirurgischen Klinik und der medizinischen Klinik würden im Keller untergebracht werden. Das Krankenhaus Altstadt werde hiernach etwa 150 Kranke behalten. [...] Es wird weiter ausgeführt, dass einmal wöchentlich ein Krankentransport nach Uchtspringe zu organisieren sei, mit dem auch die Genesenen zurück nach Magdeburg befördert würde, soweit diese nicht die Eisenbahn benutzen würden. Dr. Jeske fährt fort: Von den zur Zeit in den Krankenhäusern vorhandenen rd. 2 500 Kranken würden im Katastrophenfall etwa 1 000 - 1 200 unverzüglich entlassen werden können. Von dem verbleibenden Rest würden etwa 600 nach Uchtspringe abgegeben, sodaß in den Magdeburger Krankenhäusern 7-800 Kranke verbleiben würden, die sich auf die in den Außenbezirken liegenden Krankenhäuser und Hilfskrankenhäuser Sudenburg, Pfeiffersche Stiftungen, Lostau, Kahlenbergstift, Hilfskrankenhaus Hindenburgstraße usw. verteilen. Bei dem Anfall von Verwundeten im Katastrophenfall seien Unterkunftsmöglichkeiten neben den bestehenden Krankenhäusern zu schaffen. Zu diesem Zweck seien zwei Wohnschiffe sichergestellt worden.
Stadtbaurat Götsch macht Mitteilung von den Bestrebungen des Gauleiters, 40 000-45 000 Einwohner aus dem Kern der Altstadt, und zwar aus den engen und übervölkerten Straßen zu evakuieren. Hinzu kommen noch die Einwohner aus den engen Straßen der Stadtteile Buckau, Sudenburg und Alte Neustadt. Wegen der Bauart der Häuser, die die ältesten in diesen Gebieten seien, sollen Räumungs- und Fluchtwege für den Katastrophenfall geschaffen werden, um den Flüchtlingen die Möglichkeit zu geben, größere Straßen und Plätze zu erreichen. Die Gebäude seien oft ohne Keller, sodaß unter sehr schwierigen Arbeitsmethoden umfangreiche Stollenbauten erforderlich werden würden, um der Bevölkerung unter der Erde einen Fluchtweg aus den Brandgebieten zu schaffen. Diese Maßnahmen seien bisher in Deutschland noch nicht durchgeführt worden, und es müßte hierfür die Genehmigung maßgebender Stellen herbeigeführt werden. Bei dieser Auflockerung der Gebiete dürfe die Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft nicht vergessen werden, auch müsse die Unterbringung der 20 000-25 000 Erwerbstätigen in Magdeburg oder in der nächsten Umgebung gewährleistet sein. Die Möbel und der gesamte Hausrat müßten aus dem Auflockerungsgebiet mit herausgeführt werden. Auch sei auf die starke industrielle Entwicklung Bedacht zu nehmen. Die zu lösende Aufgabe sei sehr schwer und fordere große Überlegungen. Ferner seien Maßnahmen zur Schaffung eines Fluchtweges von dem Hochbunker in der Fürstenstraße nach der Elbe zu treffen, damit die Insassen -1 500 - 1 800 Personen- der Hitzeentwicklung entgehen können. Die Häuser Fürstenstraße 16, 17, 18 und 24 müßten hierbei entfernt, die 44 Mieter anderweit untergebracht und die Gewerbebetriebe nach neuen Gegenden umgelagert werden. Dies Programm sei in Verbindung mit der örtlichen Luftschutzleitung und der Kreisleitung eingehend überprüft worden. Das Luftfahrtministerium habe seine Zustimmung bereits erteilt. Das Amt für Wohnungs- und Siedlungswesen müsse für die anderweite Bereitstellung von Wohnungen sorgen und zunächst die Abgabe von Wohnungen an andere Mieter unterbinden. Bei den übrigen Bunkern seien derartige Maßnahmen nicht erforderlich, sie lägen frei und hätten Seitenwege, um in freie Gegenden zu kommen.
Ratsherr Voges bedauert, daß erst jetzt angespannt an diese Dinge herangegangen werde; nach seiner Meinung sei es für manche Dinge schon zu spät.
Auch in der Presse wird zum Jahresende 1943 propagandistisch auf die Bevölkerung Magdeburgs Einfluss genommen, um Unterstützung für die erforderlichen Evakuierungsmaßnahmen zu bewirken.
In der Magdeburgischen Zeitung vom 20. Dezember 1943 ist zu lesen: Auflockerung des Magdeburger Stadtkerns Eine umfassende Luftschutzmaßnahme des Gauleiters - Die Umquartierung wird beschleunigt Noch in den späten Abendstunden des Sonnabends hatte Gauleiter Rudolf Jordan den mit der Leitung des Kreises Magdeburg neubeauftragten K.-Gauorganisationsleiter Tichy zu sich befohlen, um ihn mit der schnellen und umfassenden Umquartierung der im Stadtkern von Magdeburg wohnenden Kinder und nichtberufstätigen Frauen zu beauftragen. In der Unterredung, der der Gaupropagandaleiter und der Kreisleiter eines Aufnahmekreises beiwohnten, wurden alle Entschlüsse gefaßt, die über bisher da und dort noch bestehende Hemmnisse hinweg sofort die Wege aus den aufs höchste gefährdeten Teilen der Stadt freimachen. Die Aktion, die ihrer Dringlichkeit halber mit Hochdruck auch während der Weihnachtsfeiertage fortgeführt wird, soll in kürzester Frist ihr Ziel, die vollständige Umquartierung der Kinder unter dreizehn Jahren aus der Innenstadt in die Aufnahmekreise bzw. zu Verwandten auf dem flachen Lande des Gaues, erreichen. Die eindringlichsten Mittel der unmittelbaren und persönlichen Werbung werden angewandt werden, um durch Darstellung der äußersten Dringlichkeit und des hohen Ernstes ohne Verzögerung und Ausnahme die Freimachung der den Wirkungen des Luftterrors am meisten ausgesetzten Stadtteile unter allen Umständen und gegen jeden Widerstand, der in unverständlicher Sorglosigkeit und Verkennung der tödlichen Gefahr von dem oder jenem versucht werden mag, zu bewerkstelligen. Tagung der Ortsgruppenleiter Am Sonntagvormittag versammelte Gauamtsleiter Krüger in Magdeburg die Ortsgruppenleiter und die Ortsgruppenamtsleiter zu einer Besprechung über die praktische Durchführung der Magdeburger Umquartierungsmaßnahmen. Von vornherein bestand Klarheit darüber, daß in erster Linie die Mütter, Kinder und alten Leute aus den eng gebauten Bezirken der Altstadt vorsorglich umquartiert werden müssen. Diese Umquartierung, die ja schon seit mehreren Wochen in vollem Gange ist, soll noch wesentlich verstärkt und beschleunigt werden. Es ist geplant, vom 27. Dezember ab zusätzlich Züge und Omnibusse zur Verfügung zu stellen, um die kurzfristige Umquartierung zu ermöglichen. Die Organisation der Umquartierung ist so getroffen worden, daß die Mütter und Kinder, deren Familienväter in Magdeburg tätig sind, in den Nachbarkreisen untergebracht werden, so daß nach Möglichkeit am Wochenende der Vater seine Familie draußen besuchen kann. Für Familien, deren Väter bei der Wehrmacht stehen oder an entferntere Orte dienstverpflichtet sind, kommt eine Umquartierung in entferntere Kreise des Gaues in Frage. Neben der Umquartierung von Müttern mit Kleinkindern sowie von alten und gebrechlichen Leuten läuft nach wie vor die erweiterte Kinderlandverschickung, in deren Rahmen aus Magdeburg die Schulklassen der 10- bis 13jährigen geschlossen verlegt werden. Obwohl zunächst von dem Hilfsmittel der Familienpflegestellen Gebrauch gemacht wurde und die Kinder in diesen Stellen auch mit aller Liebe und Fürsorge aufgenommen worden sind, besteht doch grundsätzlich die Absicht, allmählich überall die Unterbringung in Lagern zu ermöglichen. Unsere Leser wissen aus den Berichten, die wir in den letzten Wochen veröffentlicht haben, daß sie sich um die Unterbringung und die Ernährung ihrer Kinder sowie um deren sonstige Betreuung keine Sorge zu machen brauchen. Im übrigen wird durch die Einrichtung von Besuchstagen und von sogenannten Elternzügen, über die wir in unserer letzten Ausgabe schon berichteten, auch in unserem Gau dafür gesorgt werden, daß die Eltern sich persönlich vom Wohlergehen ihrer Kinder überzeugen können. Eine Frage, die von berufstätigen Frauen vielfach gestellt wird, sei in diesem Zusammenhang gleich beantwortet. Auch diese Frauen, deren Kinder nicht mit der Schule zusammen umquartiert werden, sich aber auch nicht mit der berufstätigen Mutter umquartieren lassen können, können ihre Kinder bei der NSV. zur Verschickung anmelden. Es ist dafür Sorge getragen, daß diese Kinder in zuverlässigen Familienpflegestellen untergebracht werden. Im übrigen ist organisatorisch alles so vorbereitet, daß die Umquartierung möglichst reibungslos vor sich gehen kann. Die auskunftgebenden Stellen in Magdeburg sind auch in den Mittagsstunden und an Sonntagen besetzt, und es wird alles getan, um Schwierigkeiten zu beseitigen und jedem einzelnen nach Möglichkeit zu helfen. Wir denken dabei etwa an die Versorgung mit Kohlen, mit Gemüse und Obst, alles Dinge, die bei einer solch großzügigen Maßnahme selbstverständlich bedacht wurden. Nur eine Aufgabe Es gibt in diesen Tagen für Magdeburg nur eine vordringliche Aufgabe, die Sicherheit unserer Mütter und Kinder, die Sicherheit der alten und gebrechlichen Menschen zu gewährleisten, namentlich die am meisten bedrohte Innenstadt von all den Menschen, die nicht durch Arbeit oder Einsatz bleiben müssen, zu entlasten und viele Frauen und Kinder aus den engen Straßen unseres Stadtkerns herauszunehmen und sie draußen, in den weniger gefährdeten Gebieten unseres Gaues, unterzubringen.