Für die Bewohner der Neuen Neustadt (und weiter Teile Magdeburgs) gab es seit 1935 ein Problem. Ein Problem, das die Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG verursachten. Die Motorenwerke waren als neuer Arbeitgeber in der Stadt hochwillkommen geheißen und es wurde bei der Erteilung von Baugenehmigungen weniger auf den Inhalt gesehen, als vielmehr auf die Arbeitsplätze. Und mit Auflagen wollte man den Investor auch nicht über Gebühr belasten. Nur ein klein wenig: Lärmintensive Werksanlagen sollten außerhalb der Wohngebiete angesiedelt werden. Das Industriegelände Rothensee war noch aufnahmefähig. Aber da spielte bereits die staatliche Zentralgewalt nicht mit. Nun haben wir den Salat. Die Junkerswerke verursachen durch die Motorenprüfstände eine Lärmbelastung, über die die Bevölkerung außerordentlich erregt sei. Die ursprüngliche Forderung der Stadt zum Aufbau der Prüfstände im Industriegelände sei von den Werken mit Unterstützung Berliner Stellen abgelehnt worden. Die Baupolizei hatte dann im Dezember 1936 scharfe Auflagen erteilt, deren Erfüllung jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen sollte. Die Produktion von Kriegsgerät ist jedoch wichtiger als der Schlaf der Volksgenossen. Ohne von ihren Forderungen abzuweichen, erreicht es die Stadt schließlich, dass im Zusammenhang mit dem weiteren Ausbau des Industriegeländes die Junkers-Motorenwerke ihre Prüfstände aus Neustadt nach Rothensee verlegen wollen. Diese Erklärung wird im Mai 1942 abgegeben und gilt nicht für die 2x 12 Prüfstände des Jumo 211 (1000 PS) in Neustadt, sondern für 12 Prüfstände der Neuentwicklung Jumo 213, eines 1750-PS-Motors, deren Bau zwar begonnen wurde, die aber nicht mehr effektiv zum Einsatz kamen. Da auch die schlimmste Lärmbelästigung noch etwas Gutes haben muss, soll nachgetragen werden, dass der Lärm der Motorenprüfstände von Junkers in ganz Magdeburg, ja sogar in Schönebeck, zu hören war. War nichts zu hören, wusste man, dass in ca. 15 Minuten ein Luftalarm ausgelöst wird. Die abgestellten Motoren erzeugten gewissermaßen die Ruhe vor dem Sturm. Das hing damit zusammen, dass die in und um Magdeburg eingesetzten Horchgeräte zur Lokalisierung anfliegender Flugzeuge bei laufenden Motoren auf den Prüfständen nicht einsetzbar waren, da deren Lärm die Fluggeräusche überdeckte (im Werk waren für das Bedienpersonal der Prüfstände übrigens schalldichte Kabinen aus Ravensburg eingebaut). Für Mutter Timme (eine Zeitzeugin) in der SA-Dankopfer-Siedlung war es aber auch das Signal, ihr startbereites Fahrrad zu greifen und sich schnurstracks zur Schule in der Herbarthstraße zu begeben, ihre beiden dorthin gehenden Töchter zu greifen und sie vom LS-Raum in der Schule in den Luftschutzkeller im Siedlungshaus zu holen. Mutter und Töchter haben das oft geübte Verfahren zum Glück überlebt.
Ich habe in der ruhigen Zeit noch mal einige Themen durchgestöbert, dabei auch dieses. Die Luftwarnungen ("Fliegeralarm") nahmen ja mit der Dauer des Krieges immer mehr zu und wurden durch sich überschneidende Anflüge auch immer komplizierter. Da hörte mal einer die Vorwarnung für einen neuen Anflug und verwechselte das mit der Entwarnung zu einem anderen Fliegeralarm oder sonst etwas: das konnte schon verwirren. Ergebnis solcher Verwirrung waren immer wieder neue Vorschriften, die zwar nicht an die Zivilbevölkerung gerichtet waren, aber für die Luftschutzangehörigen gedacht letzten Endes doch wieder breite Wirkung zeigten. Dazu kamen die vesrschiedensten Ämter und Behörden, die alle "etwas zu sagen hatten". Sehr interessant ist beispielsweise die Zuständigkeit des Propagandaministeriums, in dem der "Interministerielle Kriegsschädenausschuss" beheimatet war. Dieser beschäftigte sich auch mit dem Arbeitszeitverlust infolge der Fliegeralarme. Was man sich dort z.B. zur Sicherung der Rüstungsproduktion ausdachte zeigt der beigefügte Brief: