V22.11.14 Der Mann, der sich sein Gefängnis baute Die Geschichte des Magdeburger Festungsbauers Walrawe als Kriminalfall 1713 hatte Friedrich Wilhelm I. den preußischen Thron bestiegen und verkündet, dass sein Staat nichts dringender brauche als eine starke Armee. Cornelius Walrawe sah seine Chance. Die Festungen befanden sich in einem miserablen Zustand. Walrawe, im Rang eines Majors, machte sich an die Arbeit. Das Verteidigungssystem musste den militärtechnischen Bedingungen des 18. Jahrhunderts angepasst werden. 1722 beförderte der König den Festungsbaumeister zum Oberstleutnant, 1729 ernannte er ihn zum Chef aller in preußischen Diensten stehenden Militäringenieure. Trotz dieser Erfolge blieb Walrawe ein Außenseiter. Viele Kommandeure waren der Ansicht, dass sich der Emporkömmling nicht so benahm, wie es sich für einen preußischen Offizier gehörte. Sogar Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, einst ein Befürworter des Baumeisters, schlug sich auf die Seite derer, die Walrawe für einen Fremdkörper im preußischen Offi zierskorps hielten. „Walrawe ist mehr dumm als schuldig.“ Der König fand die Beschwerden berechtigt. Walrawe wurde gerüffelt. Vieles sprach bereits damals dafür, dass ein Teil der Mittel, über die der Chef des Ingenieurkorps verfügte, aus trüben Quellen stammte. Der Herr Oberst wirtschaftete aus dem Vollen. In seinem Palais am Magdeburger Domplatz, das er sich 1725 gebaut hatte, ging es hoch her. Die Festmahle, zu denen er die Offi ziere der Magdeburger Garnison und auch zivile Honoratioren einlud, waren üppiger als die des kommandierenden Generals. Woher kam das Geld? Festungsbaumeister konnten sich Nebeneinnahmen verschaffen, indem sie für private Bauherren arbeiteten. Der Militäringenieur verstand auch etwas von Zivilbaukunst, wie die von ihm entworfene Nordfront des Domplatzes bewies. Die Tatsache, dass er ergiebigste Aufträge stets dem Magdeburger Maurermeister Reinike zuschanzte, erregte Verdacht. Friedrich Wilhelm I. starb 1740, und sein Nachfolger Friedrich II. wischte alles, was ihm über Walrawe zugetragen wurde, vom Tisch. Die preußische Armee bereitete sich auf den Krieg vor. Und der Oberst gehörte zu den besten Militärbaumeistern seiner Zeit. Während des ersten Schlesischen Krieges (1740 - 1742), gehörte Walrawe zum Stab des Königs. Im Mai 1741 beförderte ihn Friedrich zum Generalmajor. 1742 zeichnete ihn der König noch einmal aus, indem er ihn zum Chef des in der eroberten Festung Neiße neu aufgestellten Pionierregiments ernannte. Der Frieden währte nur zwei Jahre. 1744 fielen die Preußen wieder über Österreich her. Im September eroberten sie Prag. Der König hoffte, die Festung halten zu können, und ernannte Walrawe zu ihrem Kommandanten. Der Generalmajor richtete sich im Palais Clam-Gallas ein. Aber die Österreicher drängten die Preußen zurück. Bevor Walrawe das Palais räumte, plünderte er es aus. Sogar die Seiden- und Ledertapeten ließ er von den Wänden ablösen und nach Magdeburg schaffen. Die Erfahrungen, die die preußische Armee in den beiden Schlesischen Kriegen gesammelt hatte, mussten ausgewertet werden. Walrawe erhielt von Friedrich den Auftrag, alles, was der Offizier an Kenntnissen brauchte, um sich in dieser Spezi aldisziplin der Militärwissenschaft zurechtzufinden, in einer Instruktion zusammenzufassen. 1747 lieferte der Generalmajor die Arbeit ab: „Denkschrift über den Angriff und die Verteidigung von festen Plätzen“. Der König fand sie so gut, dass er sie vervielfältigen ließ. Die Kopien gingen den Festungskommandanten, den Generalen und ausgewählten Stabsoffizieren zu. Schriften dieser Art galten als geheime Dienstsachen. „Begraben wo man will, nicht innerhalb der Festungswerke.“ Walrawe hatte Schulden, er wollte seine Kunstsammlungen verkaufen, knüpfte Verhandlungen an – mit dem sächsischen Gesandten von Bülow und dem russischen Gesandten von Keyserling. Damit geriet er ins Blickfeld der preußischen Spionageabwehr. Ihr Leiter, Generalmajor Hans Karl von Winterfeldt. Der König befahl, den Verdächtigen zu überwachen. Die Spionageabwehr machte sich an die Arbeit ... Die Inschrift „Frey-Haus“ am Giebel zeigt an, dass Walrawes Wohnhaus durch königliche Order auf alle Zeit vom Grundzins befreit war. Die Untersuchung bestätigte den Verdacht: Walrawe hatte Quittungen gefälscht und sich über 40•000 Taler angeeignet. Aber es fanden sich keine Belege für einen Landesverrat. Winterfeldt warb die Mätresse Walrawes als Agentin an – und die brachte ihn auf eine heiße Spur. Die Ermittlungsergebnisse: Der Generalmajor hatte den Österreichern seine geheime Denkschrift ausgeliefert und ihnen angeboten, Wien zu einer uneinnehmbaren Festung auszubauen. Friedrich zögerte nicht: Am 10. Februar 1748 befahl er, Walrawe zu verhaften und in das Fort Berge zu bringen. Der wand sich: Jawohl, es stimme, dass er den Österreichern angeboten habe, die Befestigungsanlagen von Wien zu modernisieren – aber nur in der Absicht, dem König im Fall eines Krieges die Eroberung der Stadt zu erleichtern. Nie hätte er die geheime Denkschrift ausgeliefert, wenn er von Seiner Majestät noch so gnädig behandelt worden wäre wie in früheren Zeiten. Friedrich kam zu der Überzeugung: Der Kerl ist nicht ganz richtig im Kopf! In einem Privatbrief, den er an Leopold Maximilian von Anhalt-Dessau, ältester Sohn des 1747 verstorbenen Fürsten Leopold, richtete, schrieb er: „Walrawe ist mehr dumm als schuldig. ... Der Verrat ist nicht vollendet worden; für seinen verdammenswerten Leichtsinn und sein erbärmliches Betragen muß er bestraft, aber nicht gehängt werden.“ Die Strafe bestand in lebenslänglichem Festungsarrest. Der König ordnete einige Hafterleichte rungen an: Walrawe brauchte keine Fesseln zu tragen, er durfte die Kasematten schon nach ein paar Wochen verlassen und lebte seitdem in einem Häuschen, das für ihn im Hof des Forts erbaut worden war. Die Instruktion schrieb ferner vor: „Wenn der von Walrawe einen medicus (Arzt) verlangt oder auch Handwerksleute, um was bei ihm machen zu lassen, so können solche zu ihm gelassen werden, jedoch daß allmahl ein Major oder Stabsofficir dabei ist ... Sollte er aber Bücher zum Lesen verlangen, so können ihm solche auf sein Begehr gegeben werden.“ Nur in einem ließ Friedrich nicht mit sich reden: Er lehnte alle Gnadengesuche des Generalmajors ab. Nach 25 Jahren Haft, am 16. Januar 1773, starb Gerhard Cornelius von Walrawe. Der Kommandant von Magdeburg fragte an, wo der Leichnam beerdigt werden solle. Der König erwiderte: „Wo man will, nur nicht innerhalb der Festungswerke, weil ich glaube, daß er auch noch nach seinem Tode daselbst unnütz werden könnte.“ Drei Salven über das Grab – das war alles, was Friedrich dem ehemaligen Chef der preußischen Pioniere bewilligte. (gekürzt) Bild entfernt (keine Rechte) Walrawes Palais Domplatz Nr. 9 wurde 1723 bis 1725 gebaut. Heute beherbergt es Teile der Verwaltung des sachsen-anhaltischen Landtags. Fotos: Martin Rieß Bild entfernt (keine Rechte) Bild entfernt (keine Rechte) Georg Piltz, Der Prinzenraub und andere historische Kriminalfälle, Verlag Das Neue Berlin, 288 Seiten, mit Abbildungen, 12,99 Euro Das Cover von „Der Prinzenraub“.
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Ich habe noch eine Geschichte über das Schicksal von Walrave gefunden (Der Zuschauer am Main - Zeitschrift für Politik und Geschichte, Aschaffenburg 1835, Verfasser des Aufsatzes ist anonym). Inhalt der Geschichte ist das Ausscheiden Friedrichs II. aus dem Freimaurerbund. Auslöser dieses Ausscheidens war Walrave.
Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Aufsatz "Friedrichs II. Ausscheiden aus dem Freimaurer-Bund"
In dem engen Zirkel seiner Loge befand sich ein Königs-, Landes- und Ordensverräther, gegen den Friedrichs Benehmen übermenschlich, königlich und maurerisch war. Friedrich II. betrachtete den Freimaurer-Orden als einen Schmuck der Krone menschlicher Erfindungen, wenn er das ist, was er sein soll, und fand unter der symbolischen Hülle den Kern. Er stiftete im ersten Jahre seiner Regierung eine Loge, in welcher er als Meister vom Stuhl den Hammer führte: diese Loge bildeten seine vertrautesten Freunde, von denen er sich überzeugt hielt, daß sie brave und moralisch gute Menschen seien. Aber nicht alle Berufene sind auch Auserwählte, und in allen Verhältnissen des Lebens bleibt der Mensch: Mensch! In ihm liegt der Keim zum Guten und zum Bösen; nicht Einer ist von Schwachheit frei. Leider! mußte auch Friedrich dies erfahren und sich betrogen sehen. In dem engen Zirkel seiner Loge befand sich ein Königs-, Landes- und Ordensverräther, gegen den Friedrichs Benehmen übermenschlich, königlich und maurerisch war. Als der große König Schlesien erobert hatte, so mußte er es auch zu erhalten und seine übrigen Provinzen zu decken suchen. Zu diesem Zwecke war es nöthig, die alten Festungen zu verbessern und neue anzulegen. Dem General Wallrave, einem der geschicktesten Ingenieure, übertrug der König die Ausführung. Besonders wurde die Festung Neiße mit einigen Forts und durch Minen, die Festung auf eine Viertelstunde weit umgebend, verstärkt: denn sie war die Grenzfestung gegen Oesterreich. Dieser General Wallrave, Liebling des Monarchen und Mitglied der Loge, in welcher sein königlicher Herr als Meister vom Stuhl präsidirte, hatte sich, durch Gold verblendet, mit dem Fürsten Kaunitz in Wien in Correspondenz gesetzt, und wollte den Plan der Festung und die Lagen der Minen und ihrer Verbindung mit den Werken, an das Kabinet zu Wien verkaufen. Aber die Unterhandlungen wurden nicht vorsichtig genug betrieben, - eine höhere Macht waltete stets über Preußen - der Generalpostmeister schöpfte Verdacht und meldete die Sache dem Könige. Als nun wieder ein Brief des Wallrave abgehen sollte, wurde er dem Könige gebracht. Friedrich erbrach ihn, und vor seinen Augen stand klar das gräßliche Verbrechen. Er sah sich verrathen an seine Erdfeinde; verrathen von seinem Lieblinge, von einem Mitgliede seiner Loge, auf deren Liebe, Treue und Ergebenheit er, – die Loge bestand nur aus vierundzwanzig Mitgliedern - vermöge seines Scharfblicks und seiner Vorsicht, Felsen gebauet hätte; verrathen und verkauft als König, Freund und Bruder, und in die traurige Nothwendigkeit versetzt, den, welchen er mit Wohlthaten überhäuft und als Bruder umarmt hatte, als Landesverräther zu bestrafen. Lange überlegte Friedrich bis er einen Entschluß faßte, der ihn und sein vortreffliches Herz zu mehr als einem Menschen, zu einem Maurer des allerhöchsten Welten-Baumeisters erhob. Er berief eine Loge zusammen, in der er mit Begeisterung, mit Belehrung und Wärme von den Pflichten eines ächten Maurers sprach, und die er als ein solcher dem Orden, seinen Brüdern, dem Staate und dem Vaterlande zu leisten schuldig sei; und am Schlusse dieser ernsten eindrucksvollen Rede wurde sein Ton feierlich, und seine Worte versetzten alle in Erstaunen. Der tief Gekränkte erhob sich von seinem Sitze und sprach: „Einer hier unter den versammelten Brüdern hat sich an den Gesetzen des Ordens, seiner Pflicht gegen den Staat, seinem Eide, seiner Treue und Dankbarkeit gegen mich als vorsitzenden Meister und seinen König schwer und todesstrafbar vergangen." „Als König will ich es nicht wissen, als Meister vom Stuhl ihm verzeihen, als Bruder biete ich ihm die Hand, von seinem Falle ihn wieder aufzurichten, und als Mensch will ich das Geschehene vergessen." „Ich verlange nur, er soll sein Verbrechen hier gestehen, in sich gehen und sich bessern; in diesem Falle bleibt Alles unter uns, und nie soll davon wieder eine Erwähnung geschehen.“ „Schweigt er aber und nimmt die ihm angebotene Verzeihung nicht an, so muß ich als Meister ihm andeuten daß ich gezwungen bin, auf immer die Loge zu verlassen, und ihn, als Herr und König, als erster Beamter im Staate, dem Ausspruche des Gerichts zu übergeben." Stillschweigend und erschüttert sah sich die Versammlung einander forschend an. Keiner konnte sich die Schreckensworte des Königs erklären, und selbst Wallrave ahnete nicht, daß sein Verrath entdeckt und er gemeint sei. Nach einer Pause wiederholte der König dieselben Worte. Alle schwiegen. Friedrich sprach zum dritten Male. Alle waren verstummt. In den Augen des großen Königs glänzten Thränen. Er sprach weiter: Als Maurer hab' ich meine Pflicht erfüllt. Leider! aber gewahre ich, daß unter dieser kleinen Zahl kein Maurergefühl herrscht, daß Eid, Pflicht, Treue und Erkenntlichkeit nicht vermögend sind, Menschen zu fesseln und die Allgewalten der Leidenschaften zu zügeln. Somit schließe ich denn heute und für immer diese Loge: nie werd‘ ich den Hammer wieder führen!" Feierlich schloß Friedrich noch einmal nach Maurer-Sitte die Loge, und legte, bis in sein Innerstes bewegt und mit entblößtem Haupte, den Hammer auf den Altar nieder. Im Vorzimmer forderte der König dem Gen. Wallrave den Degen ab, ließ ihn zum Arrest führen und ihm später den Prozeß machen. Er wurde zu lebenslänglichem strengen Festungs-Arrest verurtheilt, und in das von ihm erbaute Gefängniß abgeführt. Wallrave mußte nämlich auf Befehl zu Magdeburg das Fort Preußen, und darin ein Gefängniß bauen. – Es sollte dies Gefängniß für einen Staatsverbrecher und so eingerichtet sein, daß aus ihm weder zu entweichen, noch darin sich um das Leben zu bringen möglich wäre. Die Wände und der Fußboden waren gepolstert und mit schwarzem Tuch überzogen so, daß man sich nicht einmal durch einen Stoß verwunden konnte. Sieben Jahre verlebte Wallrave hier ohne Licht - nur etwas schimmerte von oben herein ohne Schreibmaterialen und Bücher, nur sich und dem nagenden herben Gefühle der Reue überlassen. Kein Mensch durfte zu ihm, und selbst der Offizier, der ihm das für ihn so zubereitete Essen brachte, daß er solches ohne Löffel, Messer und Gabel zu sich nehmen konnte, durfte mit ihm kein Wort wechseln. Nach sieben Jahren erhielt er auf Befehl des Königs ein besseres Gefängniß mit einem kleinen Gärtchen, worin er frische Luft schöpfen uud sich Bewegung machen konnte; die übrigen Bedingungen blieben die nämlichen. Er saß bis an seinen Tod, von 1746 bis 1776, also 30 Jahre abgeschieden von der lebenden Welt. Einmal wagte es Wallrave durch den 88sten Psalm Davids um Befreiung aus seinem Kerker zu bitten, worauf ihm der Monarch mit dem 101sten Psalm antwortete. Von der Zeit an, wo Friedrich II. das Strafamt gegen einen Bruder zu übernehmen gezwungen war, konnte er nun nicht mehr Mitglied sein, und dies allein war die Ursache, warum der große König und Menschenfreund die Logenversammlung nicht mehr besuchte. Aber der König ehrte den Orden bis an seinen Tod; denn er war überzeugt, daß die Mitglieder des Freimaurer-Bundes mit Liebe, Treue und Ergebenheit an ihrem Könige und dem Vaterlande hangen.