Forum der Fachgruppe Militär- und Garnisonsgeschichte Magdeburg » Das Kriegsende in und um Magdeburg, Frühjahr 1945 » Kampfhandlungen in und um Magdeburg » April 1945 Bereich Lindenhof-Lindenplan

Gestern erhalten:
Auszug aus meinen Lebenserinnerungen (17.04. -18.04.1945)
Nachdem in den frühen Nachmittagsstunden die Bombardierung der Stadt Magdeburg aufgehört hatte, war klar, dass jetzt die Bodentruppen mit der Eroberung Magdeburgs beginnen würden. Das war kurz vor 17:00.
Und da entdeckte Vati bei seinen Rundgängen durchs Haus und beim Blick aus dem Waschküchenfenster, daß ein junger Soldat in unserem Garten hinter der Regentonne hockte und Magdeburg verteidigen wollte. Er bat ihn, von diesem Haus zu verschwinden, da er hier nur Frauen und Kinder erxtrem gefährden würde. Der lehnte dieses Ansinnen mit der Bemerkung ab, daß ihn sein Leutnant, der an der Ecke Quittenweg/Leipziger Chaussee (stadteinwärts) lag und mit einigen Kindersoldaten den Einmarsch der Amerikaner über die Leipziger Chaussee zur Innenstadt aufhalten sollte, sofort erschießen würde, wenn er seinen Platz verlassen würde.
Kaum war Vati wieder in Luftschutzraum zurückgekehrt, der Gefechtslärm (Gewehrschüsse und Maschinengewehrsalven) kam immer näher, da schrie der Soldat plötzlich: “Hilfe Kameraden, Hilfe!“ Wieder ging unser Vater zum Waschküchenfenster und rief dem Verwundeten zu, dass er sich an dieses Fenster schleppen sollte, er würde ihn hereinziehen ins Haus, um das Gewehrkugeln pfiffen und auch im Putz einschlugen.
Vati war kaum im Luftschutzkeller, als es am Waschküchenfenster klirrte. Er ging sofort wieder dorthin, und ich hörte wie er sagte: „Aber ich habe doch Kinder!“
Dann war es still. Die Tür zum Luftschutzkeller in den Kellergang stand halboffen, und plötzlich blickten wir in die Mündung eines Gewehrlaufes. Wir sahen ein halbes Gesicht mit Helm, eine Hand mit dem Zeigefinger am Abzug und hoben alle unsere Hände.
Und es war Erika oder Hannelore, die das „Hände hoch“ mit einem „Heil Hitler“ begleitete.
Frauen und Kinder wurden von den GIs nicht beachtet. Nur Robert und Horst Renger mußten ihre Oberhemden aufknöpfen, es wurde geprüft, ob sie eine Hundemarke1 trugen. Dann durften sie als lebende Schutzschilde vor den Soldaten durch das ganze Haus gehen und die Türen zu den Wohnungen und zu allen Zimmern öffnen.
Und dann geschah für lange Zeit, in Wirklichkeit vielleicht 10 Minuten, nichts, außer, dass einer von den ca. 6-10 Soldaten dauernd in sein Funktelefon brüllte: „Where are the tanks!“
In diesen Minuten wurde unsere Mutter immer unruhiger. Sie forderte mich auf, einen Soldaten nach meinem Vater zu fragen. Ich versuchte es: “Please, where is my father . The man in the blue uniform. He is not a soldier, he is a fireman!” Das fragte ich mehreremale, sah, dass ich verstanden wurde, erhielt aber von niemandem eine Antwort.
Auf einmal, nach geschätzten 10 Minuten, der Gefechtslärm in der unmittelbaren Umgebung wurde schwächer, verschwanden die GIs2 aus unserem Haus so geräuschlos wie sie gekommen waren.
Aber an diesem Abend war der Kampf um Magdeburg noch nicht zu Ende. Es wurde immer noch geschossen, amerikanische Soldaten fuhren kontrollierend durch die Straßen auf der Suche nach versprengten Soldaten und Hitlerjungen. Keiner konnte an diesem Tag das Haus verlassen.
Doch immerhin konnten wir in der Wohnung in unseren Betten schlafen, ohne die Angst der vergangenen 7 Nächte, im Schlaf durch eine Bomber oder ein Artilleriegeschoß getötet oder verletzt zu werden.
18.04.
In den vergangenen 7 Tagen und Nächten gab es zwar keinen Strom und kein Gas, aber Wasser kam noch aus den Hähnen und das Abwasser hatte noch funktioniert. Am 18. April gab es jedoch auch kein Wasser mehr. Nun hatte ja Mutti in der Zeit vom Sommer 1944 bis April 1945 wegen der vielen Bombenangriffe des öfteren erlebt, dass die Wasserversorgung für Stunden oder Tage ausfiel. Dann gingen die Bewohner des Hopfengartens zu einem ihrer Mitbürger, der noch eine Pumpe im Garten hatte und natürlich jedem Betroffenen Wasser gab.
Also erhielt ich morgens früh den Auftrag, schleunigst mit einem Eimer Wasser zu holen. Die uns rettende Pumpe stand nur wenige Schritte entfernt in einem Garten auf der anderen Seite des Lindenplans direkt an der rechten Seite des Klostergrabens, wenn man vom Lindenplan zur Dodendorferstraße blickt.
Ich bekam mein Wasser und beim Überqueren des Lindenplans blickte ich in die andere Richtung des Klostergrabens. Was ich sah, traf mich wie ein Blitzschlag. Dort lag im Klostergraben, am Gartenausgang des Lindenplans 7, mein Vater, tot! Es gab daran keinen Zweifel. Ich lief ja nur in etwa 25 m Entfernung an ihm vorbei. Ich war entsetzt, fassungs- und ratlos. Wie sollte ich das meiner Mutter sagen?
Zu Hause mit meinem Eimer Wasser angekommen, kamen im gleichen Augenblick Nachbarn zu meiner Mutter, um ihr das Schreckliche, Unfassbare mitzuteilen (ich war so durcheinander, dass ich nicht weiß, wer).
Sie lief sofort los, und Robert und ich hinterher. Im Klostergraben warf sie sich, vor Schmerz außer sich, auf unseren Vater und schrie immer wieder unter Tränen: „ Oh August, August!“
Unter Tränen standen wir hilflos daneben, denn wie sollten wir, selbst entsetzt und hilflos, Mutti trösten?
Realiter waren wir zu diesem Zeitpunkt, wie man heute sagt, traumatisiert3.
Wir sahen, dass er von zwei Schüssen (Durchschüsse)getroffen worden war. Der eine war am Kopf in die Schläfe eingedrungen, Austritt am Hals, der zweite in die dieser Schläfe gegenüberliegenden Seite des Brustkorbs, Austritt in Höhe des Zwerchfells.
Mehrere Erwachsene, wozu vielleicht auch Robert gehörte, trugen unseren Vater nach Hause. Stunden und Tage später versuchten wir zu verstehen, wie das geschehen war. Es müssen jedenfalls, als er den Klostergraben betrat, von rechts und links die Schüsse gekommen sein.
Doch Trauma hin und her. Das Leben, das uns in diesen Minuten so brutal und erbarmungslos beutelte, ging einfach weiter, denn Mutti musste in wenigen Stunden ein Mittagessen für ihre sechs Kinder haben, es musste ein Arzt gefunden werden, der den Tod bestätigte, und unser Vater musste beerdigt werden.
Es war wohl Frau Dr. Biallowons, wohnhaft an der Ecke Lindenplan/Birkenweg, die den Tod bestätigte, den später auch das Standesamt aktenkundig machte (s. Abbildung 12). Und es waren Robert und ich, die am südlichsten Punkt in unserem Garten eine Grube für unseren Vater aushoben (in der Stadt wurde ja immer noch gekämpft).
von Benno Barg (Sohn)
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